Foto: Mauritius / Bildagentur Baumann Farben Naturheilkunde GESUNDHEIT der Gesundheit Früchte und Gemüse sind gesund: Einen wichtigen Anteil daran haben Farb-, Duft-, Geschmacks-, Schleim- und Bitterstoffe. Diese so genannten sekundären Pflanzenstoffe spielen im Körper des Menschen eine wichtige Rolle. Und obwohl sie der Organismus nicht direkt zur Energiegewinnung benötigt, können sie einen wesentlichen Einfluss auf unsere Gesundheit haben. Text: Heinz Knieriemen B ioaktive Substanzen erfüllen wichtige Aufgaben im Stoffwechsel der Pflanzen. Als Farb- und Duftstoffe locken sie Insekten an und sorgen damit indirekt für eine Bestäubung. Sie üben aber auch eine Signalwirkung auf Vögel und andere Tiere aus, damit diese die Samen fressen und weiterverbreiten. Andere Stoffe wiederum schützen die Pflanzen vor Schädlingen, Krankheiten und ultravioletten Strahlen, hemmen oder fördern ihr Wachstum und geben als Botenstoffhormone den Takt für Wachsen, Blühen, Fruchten und Vergehen an. Botaniker schätzen, dass es mindestens 30 000 unterschiedliche Wirkstoffe in Pflanzen gibt, von denen etwa 10 000 als sekundäre Pflanzenstoffe gelten. Allein im Weisskohl/Kabis fand man bisher 49 verschiedene Pflanzenstoffe. Von den gelbroten Farbstoffen, den Carotinoiden, gibt es mehr als 600 Verbindungen. Die Forschungen der letzten Jahre haben immer deutlicher gezeigt, dass bioaktive Substanzen im Organismus des Menschen eine wichtige Rolle spielen. Welche Stoffe das im Einzelnen sind, ist bisher weitgehend Spekulation. Wahrscheinlich ist es auch kein Einzelstoff, der gut für die Gesundheit ist, sondern das Zusammenwirken vieler sekundärer Pflanzenstoffe. Sie können in verschiedene Stoffwechselabläufe eingreifen und den Körper in der Abwehr von Krankheiten unterstützen. Ihnen werden viele positive Eigenschaften nachgesagt: Sie sollen unerwünschte Bakterien abwehren, die Abwehrkräfte stärken, entzündungshemmende, blutdrucksenkende, verdauungsfördernde Wirkung ausüben, den Blutzuckerspiegel regulieren, Blutgerinnsel und Ödeme verhindern, Krebs vorbeugen und das Risiko von HerzKreislauf-Erkrankungen verringern. Ei- nige neutralisieren freie Radikale und regen zudem körpereigene Entgiftungsenzyme an, um gesundheitsschädigende Stoffe zu bekämpfen. Chlorophyll und das Urprinzip Leben Farben sind gespeicherte Lebensenergie und nicht nur selbstverständliche physikalische Realität unseres Alltags. Sie schlagen Brücken, lassen Energien fliessen, hellen das Gemüt auf, erregen, erheitern, beleben und beruhigen. Antioxidative Kapazität von Gemüsen und Früchten Je grösser die Zahl, desto höher die Kapazität, freie Radikale zu neutralisieren 179 Orangen Erdbeeren 154 Kopfsalat 49 Spinat 129 Grapefruit 48 Grünkohl 52 Randen 81 Blumenkohl 46 Auberginen 80 Knoblauch 46 Zwetschgen 79 Zwiebeln 40 Rote Peperoni 74 Tomaten 38 Brüsseler, Endivie/Chicorée 70 Kiwi 37 Brokkoli 59 Rote Trauben 36 Natürlich | 5-2004 49 Unter all den Farben gilt das Grün des Chlorophylls als eigentlicher Lebensspender. Die Strahlen der Sonne spenden der Erde jährlich eine Energiemenge, die das insgesamt bekannte Potenzial an Erdöl, Kohle und Erdgas um ein Vielfaches übersteigt. Den Pflanzen gelingt es, mittels Photosynthese etwa 0,1 Prozent der eingestrahlten Energie in organische Materie umzuwandeln und zu speichern. Die Photosynthese ist die Grundvoraussetzung für alles Leben. Die Pflanze entnimmt mit den Spaltöffnungen ihrer Blätter das Kohlendioxid (CO2) aus der Luft. Wasserstoff und Sauerstoff nimmt sie in Form von Wasser (H2O) mit den Wurzeln aus dem Erdboden auf. Mit Hilfe des Sonnenlichts erfolgt in den grünen Pflanzenteilen – den Chlorophyllkörnern – die Umwandlung dieser drei Elemente in Traubenzucker (Glucose). Durch die Photosynthese werden auf der Erde jährlich etwa 200 Millionen Tonnen organischer Materie aufgebaut, durch die sich Leben in vielfältiger Form entfalten kann. Farb- und Duftstoffe locken Insekten an und sorgen damit für eine Bestäubung Chemisch gesehen hat Chlorophyll einen dem menschlichen Hämoglobin sehr ähnlichen Aufbau. Chlorophyll und Hämoglobin besitzen beide den Baustein Pyrrol. Sie unterscheiden sich lediglich in wenigen Seitenketten und im Zentralatom, das beim Chlorophyll Magnesium und beim Hämoglobin Eisen ist. Chlorophyll unterstützt die Bildung des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin. Es ist deshalb ein erstklassiges Mittel zur Überwindung von Blutarmut. Carotinoide schützen vor freien Radikalen Die orange-gelb-roten Farben der Carotinoide geben die kraftvollen Signale in der Natur. Sie treten bei Karotten, Paprika, Kürbis, Aprikosen, Hagebutten oder Vogelbeeren deutlich zu Tage. Aber auch hinter der grünen Farbe der Brennnessel, des Weisskohls, oder von Spinat verbergen sich die orangen Substanzen. Sie werden jedoch vom grünen Chlorophyll überdeckt. Foto: Hans Reinhard / Okapia Carotinoide schützen vor freien Radikalen: Am besten entfalten sie ihre Wirkung, wenn die Karotte roh verzehrt wird. 50 Natürlich | 5-2004 Foto: Robert Gross / Okapia GESUNDHEIT Naturheilkunde Carotinoiden wird eine schützende Wirkung gegen Krebs und Herz-Kreislauf-Störungen nachgesagt. Um die positive Wirkung zu nützen, sollte man viel frisches und reifes Obst essen und Gemüse sowohl unerhitzt, als auch schonend gegart verzehren. Zur Gruppe der Carotinoide gehören neben Alpha- und Beta-Carotin (E160a), das vor allem in Tomaten vorkommende Lycopin (E160d) sowie die gelben Farbstoffe Lutein und Zeaxanthin. Das wichtige Beta-Carotin wird im menschlichen Organismus zu Vitamin A umgebaut und ist an Funktionen wie dem Sehprozess und der Embryonalentwicklung beteiligt. Dieses Carotinoid ist relativ hitzestabil und kann, ohne an Wert zu verlieren, erhitzt werden. Es ist fettlöslich und sollte möglichst in Kombination mit ein wenig Fett, beispielsweise mit kaltgepresstem Öl, gegessen werden. Das orangefarbene Beta-Carotin spielt vor allem auch für diejenigen Organe eine Rolle, mit denen der Mensch direkt oder indirekt mit der Aussenwelt in Kontakt tritt: die Haut, die Augen, die Schleimhaut, der Magen und das Organ, das am meisten mit Fremdstoffen und Giften zu tun hat, die Leber. Carotinoide schützen vor so genannten freien Radikalen (siehe Kasten), die an der Entstehung von HerzKreislauf-Erkrankungen und Krebs mitbeteiligt sind. Die Vitamine C, E, Phenolsäure und die Carotinoide können freie Radikale unschädlich machen. Die gelben Farbstoffe Lutein und Zeaxanthin sind zudem wichtige Heilmittel bei Netzhauterkrankungen der Augen. Foto: Chris Mueller / Okapia Foto: Friederike Naroska / Okapia Selbst hinter dem Grün der Brennnessel wirkt das Orange der Carotinoiden. Neben Alpha- und Beta-Carotin gehört das vor allem in Tomaten vorkommende Lycopin zu den besten Radikal-Fängern. Ebenso präsent in der Natur wie die orange-gelb-roten Carotinoide sind die rot-violett-blauen Farbstoffe, die Anthocyane. Sie gehören wie die gelben Flavonoide der Zitrusfrüchte und die Phenolsäuren in Kaffee und Tee zur Gruppe der Polyphenole. Ob Randen-, Holunderoder Heidelbeersaft, ob Traubensaft oder Rotwein, immer sind die Pflanzenpigmente Anthocyane (griechisch cyan = blau) dabei. Die verschiedenen Abstufungen von Rot zu Blau variieren stark, was besonders schön bei der herbstlichen Verfärbung der Blätter zu sehen ist. Die Anthocyane kommen nicht nur in Früchten und Gemüsen, sondern auch in vielen Blüten (Rittersporn, Eisenhut, Malven, Mohn, Rosen, Veilchen usw.) vor. Die Naturheilkunde macht geltend, dass gerade die rot-blauen Farbstoffe die Sauerstoffzufuhr der Zellen verbessert. Deshalb werden Randen-, Trauben- oder Holunderkuren auch als Zusatztherapie bei bösartigen Geschwulsten empfohlen. Auf die Dosis kommt es an Bioaktive Substanzen, als sekundäre Pflanzenstoffe an Farben gebunden, sind selten weit von Vitaminen, Hormonen und Enzymen entfernt; immer befinden sich viele andere wichtige Stoffe in ihrer Nähe. Im wohltuenden Holundersaft wirken nicht nur die blau-roten Farbstoffe, die Anthocyane, sondern auch die Fruchtsäuren, Gerbstoffe, Fruchtzucker, Carotinoide, Vitamin C, verschiedene Mineralien und ätherische Öle. Die ganze Pflanze ist Teil der Natur und Teil des Kosmos, und sie wird mit der Nahrungsaufnahme ein Teil von uns. Es ist also verfehlt, eine Pflanze auf ihre Inhaltsstoffe zu reduzieren. Es gibt ein naturheilkundliches Grundgesetz, wonach sich die Heilwirkung beim Überschreiten einer bestimmten Dosis in ihr Gegenteil umkehrt. Dann verliert sich die Heilkraft, und der anfängliche Heilungsprozess kehrt sich um, so dass sich die Symptome wieder verschlimmern. Das hat sich auch bei den bioaktiven Substanzen eindrücklich gezeigt. Zunächst einmal gibt es keine exakten Kenntnisse darüber, in welchen Mengen sekundäre Pflanzenstoffe aufgenommen werden sollen, um die gewünschten Wirkungen zu erzielen. Es existieren auch wenig gesicherte Erkenntnisse, wie sie isoliert wirken. Eine finnisch-amerikanische Studie unter Rauchern musste abgebrochen werden, da bei der Gruppe mit den Beta-Carotin-Präparaten mehr Lungentumore auftraten. Der erhoffte krebshemmende Effekt kehrte sich also um. Eine andere neue Studie macht Soja als Phytoöstrogen verantwortlich für ein Nachlassen der männlichen Fertilität. Auch hier hatte ein zu hoher Verzehr von isolierten Sojaprodukten ein Nachlassen der Fruchtbarkeit männlicher Samen zur Folge und kehrte den erhofften Effekt eines hormonellen Ausgleichs um. Vielfältig und abwechslungsreich Das Wissen um die heilende Wirkung der bioaktiven Substanzen ist wichtig im Rahmen einer gesunden Ernährung. Es bringt nichts, aus Angst vor einem Herzinfarkt nur noch Pflanzen zu essen, die viele sekundäre Pflanzenstoffe enthalten. Freie Radikale Bei enzymatischen Stoffwechselprozessen mit allen Substanzen, die mit ihnen in kommt es zur Bildung von molekularen Berührung kommen, sei es mit Körper- Bruchstücken, den so genannten freien gewebe, der Erbsubstanz oder Substanzen Radikalen. Rauchen, Umweltverschmutzung der Zell- und Körperflüssigkeit. Zusätzlich und UV-Strahlen der Sonne erhöhen diesen problematisch ist die Tatsache, dass sie oxidativen Stress. Zwar sind für bestimmte Radikalkettenreaktionen auslösen können: Reaktionen im Körper diese hochreaktiven Dabei greift ein Radikal ein anderes Molekül Moleküle oder Atome notwendig. Uner- an, zerstört es und setzt dabei weitere wünscht ist jedoch die Freisetzung dieser Radikale frei. Im Extremfall kann so ein Radikalen in die Zell- oder Körperflüssigkeit. einziges freies Radikal Tausende von Mole- Denn sie zeichnen sich durch eine unge- külen zerstören. Antioxidative Stoffe können heure Reaktivität aus. Konkret reagieren sie diese Radikalen neutralisieren. (thv) Natürlich | 5-2004 51 Wichtig ist viel mehr die Integrierung möglichst vieler verschiedener Gemüse-, Salatund Obstsorten in die tägliche Ernährung. Wichtig: Reife Früchte sind zu bevorzugen. Die wichtigen Gesundheitsspender bilden sich nämlich erst am Ende der Reifezeit. Roh geerntetes und dann nachgereiftes Obst enthält nur einen Bruchteil der sekundären Pflanzenstoffe. Die Nahrungsqualität spielt also immer eine entscheidende Rolle. Das Denken in Einzelsubstanzen führt immer weg von der Ganzheit und Lebendigkeit der Nahrung, da es den Naturgesetzen widerspricht. Das ändert selbstverständlich nichts daran, dass ein Wissen um die Wirkung der sekundären Pflanzenstoffe einen Heilschatz darstellt, der im Rahmen einer vielfältigen Ernährung ebenso wie im Einzelfall gezielt genutzt werden kann. Es gibt zum Beispiel keinen besseren Gesundheitsschutz im Winter, als die Senföle des Meerrettichs kräftig einzuatmen. Damit befreit man Rachen und Foto: Olivier Maire / Okapia GESUNDHEIT Naturheilkunde Die rot-blauen Anthocyane fördern die Sauerstoffzufuhr der Zellen. Anthocyane finden sich gleichermassen in der Traube wie auch im Rotwein. Nebenhöhlen von unerwünschten Keimen. Vitamin A und die Vorstufe, das Beta-Carotin, gelten als Antagonisten zu den Schilddrüsenhormonen. Ein Rüeblisalat mit einem guten Öl und etwas Orangensaft wirkt daher ausgleichend. Die bioaktiven Substanzen haben zahlreiche gesundheitsfördernde Eigen- schaften und bilden wichtige Schutzstoffe. Im Rahmen einer gesunden Ernährung lassen sie sich durchaus gezielt einsetzen, um die Krankheiten des Überflusses zurückzudrängen. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick, wo sekundäre Pflanzenstoffe vorkommen und wie sie wirken. ■ Stoff Aufgabe Vorkommen Wirkung Carotinoide, Lutein, Zeaxanthin, -Carotin und Lycopin natürliche gelb-orange bis grüne Farbstoffe im Obst und Gemüse in Rüebli, Tomaten, Aprikosen, Mangos, Kürbis, Grünkohl, Brokkoli, Blattsalat, Spinat schützen vor Herzinfarkt, Krebs und schädlichen Oxidationen durch Umweltgifte, stärken das Abwehrsystem Glucosinolate scharfe Geschmacksstoffe in Meerrettich, Kresse, Senf, Kohl beugen Infektionen vor, Krebsschutz Phytoöstrogene, Flavonoide, Lignane natürliche pflanzliche Hormone ähnlich den Sexualhormonen in Rotklee, Getreide, Kürbiskernen, Bohnen, Hopfen schützen vor hormonabhängigen Krebsarten wie Brust-, Gebärmutter-, Prostata- und Darmkrebs Phytosterine Hormonbausteine aus Pflanzen oder Hefen in Sonnenblumenkernen, Nüssen, Sesam, kaltgepressten Pflanzenölen, Kaktusfeigen schützen vor Dickdarmkrebs, senken den Cholesterinspiegel, wirken positiv auf Blase und Prostata Polyphenole, Phenolsäure, Phenolglycoside, Flavonoide, Anthocyane braune, gelbe, rote bis violettblaue Farbstoffe der Pflanzen in Grünem Tee, Kirschen, Heidelbeeren, Preiselbeeren, Spargeln, Olivenblättern, Rotkohl, Zwiebeln, Weintrauben, Rotwein hemmen das Wachstum von Bakterien und Viren, schützen die Zellen vor freien Radikalen, Krebs, Herzinfarkt und Infektionen, beeinflussen die Blutgerinnung Phytinsäuren speichert Phosphat in Getreide, Leinsamen, Hülsenfrüchten hemmen Entzündungen Protease-Inhibitoren Enzyme, die die Proteinzerlegung hemmen in eiweissreichen Pflanzen wie Hülsenfrüchten, Kartoffeln, Getreide beugen Krebs und Entzündungen vor, regulieren den Blutzuckerspiegel Saponine seifenartige Verbindungen in Hülsenfrüchten (Sojabohnen) Spargeln, Rosmarin, Salbei senken den Cholesterinspiegel, stärken die Abwehrkräfte, schützen vor Dickdarmkrebs Sulfide schwefelhaltige Substanzen in Zwiebeln, Lauch, Knoblauch beugen Infektionen vor, senken den Cholesterinspiegel, schützen vor schädlichen Oxidationen, Krebs, Herzinfarkten, Hirnschlag, hemmen die Blutgerinnung Terpene Aromastoffe in Kümmel, Pfefferminze, Zitronen, Rettich, Trauben, Sellerie senken das Krebsrisiko, kurbeln den Stoffwechsel an 52 Natürlich | 5-2004