Verführerische Mofieflte beifi Stuttgarter Ballett

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Verführerische Momente
Verführerische Momente
Ballettabend mit Choreografien von Kozielska, Cherkaoui, Goecke und Béjart
Veröffentlicht am 05.02.2017, von Alexandra Karabelas
Stuttgart - Premiere beim Stuttgarter Ballett: Wie eine Schachtel edelster Pralinen liegt der neue Abend mit vier Choreografien auf
dem Tisch. Es ist dessen Titel, der zu dem Vergleich einlädt: „Verführung“, ein Wort, das nach Werbeclip riecht, dem Anpreisen
von Produkten aus der weiten Warenwelt unserer von den Gesetzen und Mechanismen der Wirtschaft durchgeprägten Welt – die
Erotik eingeschlossen. Ambitionen stecken im Akt der Verführung. Der Appell an die Sinne erfolgt mit Absicht und geleitet von
Zielen, um einen Gegenwert zu erhalten: Gefolgschaft, Körper, Sex, Geld, Genuss, Hingabe, aber vor allem - Aufmerksamkeit.
Wie hart ist der Kampf, so gesehen, geworden, Ballett unters Volk zu bringen. Das Ereignis des hochgebildeten und –
ausgebildeten tanzenden Menschen in einem geschlossenen Raum besitzt Seltenheitswert. Allein der Gang zum Theater gleicht
einer Investition in etwas, das anders ist als jenes, das wir in unserer berührungsfernen und an Smartphones und Tablets
angeschlossenen Welt leben: Sich für ein paar Stunden dem artifiziellen Vollzug kreierter Bewegungen in Raum und Zeit als
Ausdruck von Seele und Welt und als Mittel der Kunst auszusetzen, gleicht einem archäologischen Akt. Im besten Fall gelingt dem
Tanz dann das, was er kann: nicht nur durch Virtuosität und Stimmung zu begeistern, sondern auch Selbstbegegnung zu
ermöglichen. Oder Spiegelflächen des Lebens draußen vor der Tür zu zeigen.
Gelungene Uraufführung von Katarzyna Kozielska
Letzteres gelingt Katarzyna Kozielska mit ihrer Uraufführung von „Dark Glow“, einem Ensemblestücke für 19 Tänzerinnen und
Tänzer. Kozielska hat sich ziemlich entwickelt. 2011 machte die Halbsolistin der Noverre-Gesellschaft ihre Aufwartung. 2012
entstanden mehrere Kurzstücke für den Arbeitgeber. 2014 folgte schließlich der Sprung ins Große Haus mit einer Auftragsarbeit.
„Dark Glow“ kann sich sehen lassen, auch wenn es noch nicht ganz rund ist. Das Spannende ist, dass es sowohl eine erzählende
als auch eine abstrakte Kreation ist. Das erzählende Moment liegt in einer Dreieckskonstellation, getanzt von Alicia Amatriain als
einsam und allein dastehender Frau, die auf ein Pärchen blickt, verkörpert von Elisa Badenes und Constantine Allen. Amatriains
Figur ist auch die einzige, die Emotionen zeigt, während die anderen, wie auch das Ensemble, im gleichgültig-kühlen Gestus
verhaftet bleiben, in dem sie das spezifische Vokabular ausführen, das Kozielska ihnen auferlegt hat: weite Spagate, hohe Passés,
spitz nach vorne aufgestellte Füße, kombiniert mit Armbewegungen, die wie Fremdkörper wirken und dennoch eine hypnotische
Wirkung nicht verfehlen: nach außen klappende Unterarme, plötzlich in die Luft wühlende Finger, geknickte Knie auf Spitze. Oft
reist man hier in Gedanken zu Werken von Balanchine oder Robbins „The Cage“, vielleicht auch, weil das gesamte Ambiente
einen gewissen Retrochick verströmt. Thomas Lempertz hat in diesem Zusammenhang ein grandioses Kostümbild entworfen: kurze
Bodies in verschiedenen Pastelltönen, die am Oberkörper Bewegung zulassen, aber vor allem die typischen breiten
Schulterschnitte aufweisen, wie man sie aus den 1980er Jahren kennt. Dass er keine Schulterpolster eingenäht hat, wundert fast.
Im zweiten Teil der Choreografie knöpfen zuerst Amatriain, dann nach und nach alle Ensemblemitglieder die Oberteile auf und
verwandeln ihre Bodies in schwarze Hängerchen – Männlein wie Weiblein. Als Gruppe tanzen sie wie eine Armee einem Kasten
mit grünen Scheinwerfern entgegen, der sich cool von der Bühnendecke schwingt. Hier fällt das Stück auseinander. Es hätte
gereicht, Amatriain im fahlen Scheinwerferlicht verschwinden zu lassen. Das Stück hätte seine Rätselhaftigkeit bewahrt, die auch
durch den gekonnten Umgang mit dem Ensemble aufgebaut worden war. Zuweilen gelang es Kozielska, das Stück auf vier
gleichzeitig getanzte und im Raum miteinander kommunizierende Ebenen oder Stimmflächen aufzuteilen. So aber steuern die
Zuschauer im zweiten Teil auf ein neues Narrativ zu, das Verschwinden des Einzelnen in der gleichgeschalteten Masse – ein
richtiger Befund, wenn auch ein langweiliger. Fast vergessen: „Dark Glow“ folgt einer wunderbaren, kongenial zur Choreografie
passenden Auftragskomposition aus Orchestermusik und elektronischen Klängen von Gabriel Prokofiev, dem Enkel Sergej
Prokofiev. Auch das machte diese Premiere zu einem besonderen Ereignis.
Deutsche Erstaufführung von „Le Spectre De La Rose“ und ein grandioser Friedemann Vogel
Große Freude machte die deutsche Erstaufführung von „Le Spectre De La Rose“ von Hauschoreograf Marco Goecke aus dem Jahr
2009. Goeckes eigener Entwurf des legendären Stückes von Mikhail Fokine über den Traum eines Mädchens über das Lebendig
werden einer Rose, die es beim Ball trug, zog auch jene Zuschauer in den Bann, die, so das Raunen in den Reihen, am
Freitagabend wohl erstmals einen Goecke sahen. Die puristische Klarheit der Inszenierung, der fantastische Reichtum, der in ihr
steckt, der komplexe Neuentwurf des klassischen Vokabulars, der Goecke seit mehr als zehn Jahren gelingt, fesselten ebenso wie
die hohe Präsenz, Lebendigkeit und hoch beredte Eigentümlichkeit, die seine Tänzer in ihren Rollen entwickeln dürfen. Grandios
verkörperte Adam Russel-Jones den Geist der Rose: ein hoch springendes, vor Energie berstendes, sympathisches Bündel, das
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immer wieder gegen die Grenzen seines eigenen Körpers anrennt, gepudert von einer mit Rosen übersäten Samthose. So ähnlich
muss es Vaslav Nijinsky ergangen sein, der die 1911 die Uraufführung getanzt hatte. Agnes Su verkörperte daneben fast
zurückhaltend das Mädchen. Goeckes ruckelnde, säbelnde, in die Luft schneidende und zappelnde Bewegungssprache vermählte
sich zauberhaft mit der ruhigen Ausstrahlung der Asiatin.
Der Ballettabend schloss mit einer Aufführung von Maurice Ravels „Bolero“ in der meisterhaften Choreografie von Maurice Béjart.
1961 in Brüssel uraufgeführt, befindet sich das rituelle Stück seit 1984 im Repertoire des Stuttgarter Balletts. Auf den legendären
runden roten Tisch, um den 36 Tänzer in schwarzer Hose und nacktem Oberkörper sitzen, durfte dieses Mal Weltstar Friedemann
Vogel. Und er hatte sichtlich Spaß, das 17-minütige Exerzitium frontal mit Blick auf das Publikum auszuleben. Wie ein Magier
vollzog er das interkulturell, oft an indische Tempeltänzer erinnernde Bewegungskonvolut der Arme, während sein Becken im
Rhythmus der Komposition wippte und seine Füße federten.
Man muss stark sein, um dieses Stück zu tanzen. Es ist fast so, als ob sich der Tänzer dem Ritual unterwerfen, aber dann sich unter
Aufrechterhaltung seiner Gesetzmäßigkeiten von ihm emanzipieren muss , um den Zuschauer zu verführen – da ist es wieder, das
Wort des Abends. Vogel gelingt das von Anfang an herausragend. Manchmal geht er fast bis an die Grenze des Machbaren
beim Ausspielen der erotischen Aspekte. Dementsprechend laut schreit das Publikum beim letzten Schlag auf.
Überflüssig: Sidi Larbi Cherkaouis "Faun" beim Stuttgarter Ballett
Vergessen hat man in diesem Moment fast das vierte Stück des Abends, das eigentlich als zweites die Bühne bevölkerte: Sidi
Larbis Cherkaouis Interpretation von Claude Debussys „Nachmittag eines Fauns“. Ein Klassiker im modernen Ballettrepertoire des
20. Jahrhunderts. Schade, dass der hochgelobte Belgier nicht damit bzw. nicht mit dem Potenzial des Stuttgarter Balletts umgehen
konnte. Wie schon in früheren Stücken erschrickt man, wie traditionell abbildend Cherkaoui mit seinen Sujets umgeht. Das
Animalische habe ihn am Faun interessiert, schreibt er. Dann wiederum das Hybride an dessen Wesen. Viele Worte um was?
Was ist schlussendlich zu sehen? Denkt man sich die einlullende Waldprojektion weg, zu der der Choreograf nicht einmal in
seinem eigenen Stück kritisch Stellung bezieht, lässt er die arme Hyo-Jung Kang und Pablo von Sternenfeld wie Johnny Weißmüller
mit fremder Jane auf dem Waldboden auf allen Vieren herumtanzen, bis sie sich immer mehr ineinander verknoten. Das
Bewegungsvokabular wäre auf jedem Freie Szene-Tanzfestival ‚Out Door’ gut aufgehoben, und es hätte, wäre es der „Faun“, dort
sogar noch eine Spannung. Als Besucher des Stuttgarter Balletts wundert man sich jedoch, und man fragt sich: Braucht es
tatsächlich Cherkaoui, um sich dem Zeitgenössischen hin zu öffnen oder gar es irgendwie zu erlernen? Von was hat es sich hier
verführen lassen? Die Autorin meint: nein.
„Verführung!“ am Stuttgarter Ballett: "Bolero"
© Carlos Quezada
„Verführung!“ am Stuttgarter Ballett: "Dark Glow"
© Stuttgarter Ballett
„Verführung!“ am Stuttgarter Ballett: "Faun"
© Stuttgarter Ballett
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