Prof. Dr. Olaf Sosnitza Obligatorische Herkunftskennzeichnung im Lebensmittelrecht Olaf Sosnitza Freiburg i. Br., 24. September 2015 Prof. Dr. Olaf Sosnitza So eine Arbeit wird eigentlich nie fertig, man muß sie für fertig erklären, wenn man nach Zeit und Umständen das Mögliche getan hat. Johann Wolfgang von Goethe Prof. Dr. Olaf Sosnitza Gliederung I. II. Einleitung Bestandsaufnahme 1. Unionsrecht 2. Nationales Recht III. Analyse 1. 2. IV. V. VI. VII. Entwicklung der Pflichtkennzeichnung Sinn und Zweck Bewertung Systemvergleich zwischen fakultativer und obligatorischer Herkunftskennzeichnung Verhältnis obligatorischer zu fakultativen Herkunftsangaben Fazit Prof. Dr. Olaf Sosnitza II. Bestandsaufnahme Unionsrecht LMIV 13.12.2014 Nationales Recht Prof. Dr. Olaf Sosnitza 1. Unionsrecht a) - Gegenstände der Pflichtkennzeichnung Fisch, VO (EU) Nr. 1379/2013 Obst und Gemüse, VO (EU) Nr. 1308/2013 Honig, RL 2001/110/EG Bio-Lebensmittel, VO (EG) Nr. 834/2007 Rindfleisch, VO (EG) Nr. 1760/2000 Hühnereier , VO (EU) Nr. 1308/2013 Olivenöl , VO (EU) Nr. 1308/2013 Wein , VO (EU) Nr. 1308/2013 Prof. Dr. Olaf Sosnitza LMIV: - Fleisch (Schwein, Schafe, Ziegen, Hausgefügel) - Andere Arten Fleisch - Milch (auch als Zutat) - Unverarbeitete Lebensmittel - Erzeugnisse aus einer Zutat - Zutaten, die über 50 % eines Lebensmittels ausmachen - Fleisch als Zutat Prof. Dr. Olaf Sosnitza b) Inhalt: „Herkunft“? Bei freiwilliger gHA Maßstab: Verkehrsauffassung Prof. Dr. Olaf Sosnitza Bei obligatorischer Herkunftskennzeichnung normative Festlegung - horizontal - vertikal Prof. Dr. Olaf Sosnitza Horizontal: „Ursprungsland“? Zollkodex-VO Nr. 2913/92 „vollständig“ in einem Land „gewonnen oder hergestellt“, Art. 23 Abs. 1 Prof. Dr. Olaf Sosnitza z.B. - Pflanzliche Erzeugnisse, die in diesem Land geerntet worden sind, oder - Erzeugnisse, die von in diesem Land gehaltenen lebenden Tieren gewonnen worden sind Prof. Dr. Olaf Sosnitza Mehrere Länder: „…Ursprungsware des Landes, in dem sie der letzten wesentlichen und wirtschaftlich gerechtfertigten Be- oder Verarbeitung unterzogen worden ist und zur Herstellung eines neuen Erzeugnisses geführt hat oder eine bedeutende Herstellungsstufe darstellt“, Art. 24 Prof. Dr. Olaf Sosnitza „Herkunftsort“? Art. 2 Abs. 1 lit. g LMIV: Angegebener Ort, der nicht Ursprungsland ist Prof. Dr. Olaf Sosnitza Ursprungsland = MS oder Drittland Herkunftsort = z.B. Stadt, Region oder Bundesland Prof. Dr. Olaf Sosnitza Vertikal: Produktspezifische Regelungen Prof. Dr. Olaf Sosnitza - Fisch: Fanggebiet (z.B. „Ostsee“) - Obst und Gemüse: Ursprungsland und – wahlweise – Anbaugebiet oder nationale, regionale oder örtliche Bezeichnung Bei Mischungen jeweiliges Ursprungsland Prof. Dr. Olaf Sosnitza - Honig: Ursprungsland der Erzeugung Bei Mischungen „Mischung von Honig aus EULändern“, „… aus Nicht-EULändern“ oder „… EU-Ländern und Nicht-EU-Ländern“ Prof. Dr. Olaf Sosnitza - Bio-Lebensmittel: Ort der Erzeugung der Ausgangsstoffe „EU-Landwirtschaft“ „Nicht-EU-Landwirtschaft“ „EU-/Nicht-EU-Landwirtschaft“ Prof. Dr. Olaf Sosnitza Wenn alle Ausgangsstoffe in demselben Land erzeugt wurden: Wahlweise statt dessen oder ergänzend Angabe des Landes Prof. Dr. Olaf Sosnitza - Rindfleisch: Schlachthof und Land Zerlegungsbetrieb und Land Geburtsland Mastland Prof. Dr. Olaf Sosnitza - Eier: Erzeugercode Haltungssystem Land Betrieb Stall Prof. Dr. Olaf Sosnitza - Olivenöl: MS, Union oder Drittland, wenn dort geerntet und dort Mühlenbetrieb Prof. Dr. Olaf Sosnitza Sonst „Natives Olivenöl (extra), hergestellt in (Bezeichnung der Union oder des betreffenden Mitgliedstaats), aus Oliven geerntet in (Bezeichnung der Union, des betreffenden Mitgliedstaats oder des betreffenden Drittlandes)“ Prof. Dr. Olaf Sosnitza Bei Mischungen - - - „Mischung von Olivenölen aus der Europäischen Union“ oder einem Verweis auf die Union „Mischung von Olivenölen aus Drittländern“ oder einem Verweis auf den Drittlandsursprung „Mischung von Olivenölen aus der Europäischen Union und aus Drittländern“ oder einem Verweis auf den Unions- und Drittlandsursprung Prof. Dr. Olaf Sosnitza - Wein: Wenn im selben Land geerntet oder verarbeitet „Wein aus (…)“, „erzeugt in (…)“ oder „Erzeugnis aus (…)“ Prof. Dr. Olaf Sosnitza Bei Mischungen - - Aus MS „Wein aus der europäischen Gemeinschaft“ oder entsprechende Begriffe oder „Verschnitt von Weinen aus verschiedenen Ländern der europäischen Gemeinschaft“ Aus Drittländern „Verschnitt von Weinen aus verschiedenen Ländern außerhalb der europäischen Gemeinschaft“ oder „Verschnitt aus (…)“ Prof. Dr. Olaf Sosnitza - Ernte und Verarbeitung in verschiedenen Ländern „Wein aus der europäischen Gemeinschaft“ oder entsprechende Begriffe oder „Wein gewonnen in (…) aus in (…) geernteten Trauben“ Prof. Dr. Olaf Sosnitza - Fleisch (Schwein, Schafe, Ziegen, Hausgefügel): Ort der Aufzucht Ort der Schlachtung Partiennummer Prof. Dr. Olaf Sosnitza „Ort der Aufzucht“ z.B. Schwein - - - wenn das Tier im Alter von mehr als sechs Monaten geschlachtet wird, den Mitgliedstaat bzw. das Drittland des letzten Aufzuchtsabschnitts von mindestens vier Monaten wenn das Tier im Alter von weniger als sechs Monaten und mit einem Lebendgewicht von mindestens 80 kg geschlachtet wird, den Mitgliedstaat bzw. das Drittland des Aufzuchtsabschnitts, nachdem das Tier ein Lebendgewicht von 30 kg erreicht hat wenn das Tier im Alter von weniger als sechs Monaten und mit einem Lebendgewicht unter 80 kg geschlachtet wird, den Mitgliedstaat bzw. das Drittland, in dem die gesamte Aufzucht stattgefunden hat Prof. Dr. Olaf Sosnitza c) Art und Weise Bisher: „an gut sichtbarer Stelle, in deutscher Sprache, leicht verständlich, deutlich lesbar und unverwischbar anzubringen“, LMKV Jetzt: „an einer gut sichtbaren Stelle deutlich, gut lesbar und gegebenenfalls dauerhaft anzubringen“, LMIV Prof. Dr. Olaf Sosnitza Sonderregelungen: Verweis auf LMKV (Honig) „in lesbaren, unverwischbaren und von außen sichtbaren Buchstaben“ (Äpfel) „an gut sichtbarer Stelle, deutlich lesbar und unverwischbar angebracht“ (Bio-Lebensmittel) „deutlich sichtbar, leicht lesbar und mindestens 2 mm hoch“ (Eier) „im gleichen Sichtbereich“ … „gleichzeitig gelesen werden können, ohne dass es erforderlich ist, das Behältnis umzudrehen“ (Wein) Prof. Dr. Olaf Sosnitza 2. Nationales Recht LMIV vollharmonisiert, soweit nicht Öffnungsklauseln bestehen, Art. 38 I Prof. Dr. Olaf Sosnitza a) Obligatorische Herkunftsangaben nach Art. 39 II LMIV „…Maßnahmen hinsichtlich der verpflichtenden Angabe des Ursprungslands oder des Herkunftsorts …, wenn nachweislich eine Verbindung zwischen bestimmten Qualitäten … und seinem Ursprung oder seiner Herkunft besteht“. Prof. Dr. Olaf Sosnitza Reichweite unklar: - Nationales Schutzsystem für gHA (-) EuGH „American Bud II“ - Einfache Herkunftsangaben (-) Kein Qualitätsbezug - Subjektiver Qualitätsbezug? Art. 39 II 2 LMIV: „… Verbraucher… Bedeutung beimisst“ Prof. Dr. Olaf Sosnitza - Pflichtangaben auch im Anwendungsbereich der VO 1151/2012? Contra: Gedanke des Art. 26 I LMIV - Vorrang auch hier Pro: LMIV und VO 1151/2012 gleichrangig Pflicht ≠ Schutz Ergänzungsfunktion Prof. Dr. Olaf Sosnitza b) Milch, Art. 40 LMIV Milch und Milcherzeugnisse in wiederverwendbaren Glasflaschen Prof. Dr. Olaf Sosnitza c) Nicht vorverpackte Lebensmittel, Art. 44 LMIV Grundsätzlich keine verpflichtende Herkunftskennzeichnung, es sei denn, MS führen solche ein. Prof. Dr. Olaf Sosnitza III. Analyse 1. Entwicklung der Pflichtkennzeichnung 2000 Rindfleisch 2002 Fisch 2004 Honig, Eier 2008 Obst und Gemüse 2009 Bio-Lebensmittel, Olivenöl, Wein Prof. Dr. Olaf Sosnitza 2015 Schwein, Schafe, Ziegen, Hausgefügel Andere Arten Fleisch Milch (auch als Zutat) ? Unverarbeitete Lebensmittel Erzeugnisse aus einer Zutat Zutaten, die über 50 % eines Lebensmittels ausmachen Fleisch als Zutat Prof. Dr. Olaf Sosnitza 2. Sinn und Zweck Rindfleisch-VO 1760/2000 „Höchstmaß an Transparenz“ „Stabilisierung des Rindfleischmarktes“ => Marktorganisation Prof. Dr. Olaf Sosnitza Fisch, Obst und Gemüse, Eier, Olivenöl Gemeinsame Marktordnungen, Art. 39, 40 AEUV Verbraucherinformation kein primäres Ziel Prof. Dr. Olaf Sosnitza Anders LMIV Informationsinteresse der Verbraucher als vorrangiges Ziel Dennoch Verbindung zur Rindfleischetikettierung in Egrd. 31: „… gewisse Erwartungshaltung der Verbraucher…“ Prof. Dr. Olaf Sosnitza Klarer Trend: Statt sektorspezifischer Einzelregelung als Marktordnungselement jetzt Primärzweck als Element des Verbraucherschutzes Prof. Dr. Olaf Sosnitza IV. Bewertung Interesse der Verbraucher: Information und Transparenz Interesse der LM-Unternehmer: Kostenvermeidung Prof. Dr. Olaf Sosnitza Kommissionsbericht: 90 % der Verbraucher halten Herkunftsangabe für wichtig 10% - 30% der Verbraucher würden Preisaufschlag von 5% bis 9% akzeptieren Prof. Dr. Olaf Sosnitza Generelles Phänomen im Lebensmittelsektor und -recht: Diskrepanz zwischen - Informationsbegehren und Kostenbewusstsein - Absichten und tatsächlichem Kaufverhalten Prof. Dr. Olaf Sosnitza Mögliche Alternativen: (1) Online-Information mit QR-Code auf Packung Prof. Dr. Olaf Sosnitza (2) Bloße Angabe „EU“ oder „Nicht-EU“ Prof. Dr. Olaf Sosnitza (3) Freiwillige Herkunftskennzeichnung als Wettbewerbsfaktor - Frosta zutatentracker.de Prof. Dr. Olaf Sosnitza Zentis Schwartau Prof. Dr. Olaf Sosnitza hohes C McDonald‘s Prof. Dr. Olaf Sosnitza Regionalfenster Prof. Dr. Olaf Sosnitza V. Systemvergleich zwischen fakultativer und obligatorischer Herkunftskennzeichnung 1. Regulatorische Ansätze 2. Steuerungsmöglichkeiten 3. Kontrolle 4. Interesse Fakultativ Obligatorisch Marktkonform Dirigistisch/ Interventionell Groß (Ob und Wie) Normeinhaltung Info Verbraucher/ Marktförderung (auch Unternehmen) Keine (Registersystem) Irreführungsschutz Unternehmen (WBFaktor, „Marke“) (auch Info Verbraucher) (Politik: Aktionismus) Prof. Dr. Olaf Sosnitza VI. Verhältnis obligatorischer zu fakultativen Herkunftsangaben Pflicht: Unverarbeitete Produkte Freiwillig: Verarbeitete Produkte Aber schon jetzt Überschneidungen (Caldener Spargel, Bayerisches Rindfleisch) Nehmen zu, wenn obligatorische Herkunftskennzeichnung über LMIV weiter ausgedehnt wird Prof. Dr. Olaf Sosnitza Gesetzliche Vorgaben: Wein: Obligatorische Herkunftskennzeichnug subsidiär gegenüber freiwilligen gHA (Art. 55 VO 607/2009) Fleisch: Zusätzliche freiwillige Angaben möglich, wenn kein Widerspruch und keine Irreführung (Art. 8 VO 1337/2013) Prof. Dr. Olaf Sosnitza Allgemeine Regel: Doppelkennzeichnung zulässig, solange nicht irreführend und obligatorische Angabe nicht in Frage gestellt wird Auch sinnvolle Ergänzung: - Obligatorisch: Ursprungsland - Fakultativ: Herkunftsort Prof. Dr. Olaf Sosnitza Konflikte bei abweichenden Kriterien Beispiel Prof. Dr. Olaf Sosnitza Drei Monate altes Tier mit 31 kg Gewicht Aufzucht bis 29 kg in Frankreich Rest in Hessen LMIV Regionalfenster „Aufgezogen in mehren MS der EU“ „Zu 100% aus Hessen“ Prof. Dr. Olaf Sosnitza VII. Fazit 1. Entwicklung der obligatorischen Herkunftskennzeichnung vom produktspezifischen Hilfsmittel in Marktordnungen zum Primärzweck des Verbraucherschutzes. 2. Freiwillige Herkunftskennzeichnungen bei verarbeiteten Produkten sind als WettbewerbsFaktor vorzugswürdig. 3. Fakultative und obligatorische Herkunftsangaben können grundsätzlich nebeneinander treten, wenn keine Irreführung droht und freiwillige Angaben der Pflichtkennzeichnung nicht widersprechen. Prof. Dr. Olaf Sosnitza Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Prof. Dr. Olaf Sosnitza Obligatorische Herkunftskennzeichnung im Lebensmittelrecht Olaf Sosnitza Freiburg i. Br., 24. September 2015