Wirtschaftskrise So schlimm, wie in den Medien berichtet, ist es hierzulande nicht. Denn zum Glück wird bei den Haustieren nicht als Erstes gespart. Dennoch sind auch sie mehr und mehr von der Wirtschaftskrise betroffen, auch in der Schweiz. Hunde und Katzen werden abgegeben oder ausgesetzt, notwendige Behandlungen nicht durchgeführt. Tierheimen mangelt es schon heute an Platz und finanziellen Mitteln. Und die Zahl der Menschen, die die Kosten für ihre Haustiere nicht mehr tragen können, wird weiter steigen. Deutschland reagiert mit Tiertafeln. Wirtschaftskrise Von Andreas Krebs © blickwinkel.de Betroffen sind auch Haustierbesitzer Die Wirtschaftskrise geht auch am Tierwohl nicht vorbei. Einige Tierschutzstellen erhalten weniger Spendengelder, Tierheimen ergeht es ebenso. Dabei bräuchten gerade diese mehr Geld als früher. Denn immer häufiger werden Tiere aus Kostengründen ins Heim abgeschoben. Hingegen nehmen weniger Leute Heimtiere auf. «Seit Anfang Jahr haben wir rund 20 % weniger Spenden erhalten», sagt Markus Brechbühl, Betriebsleiter des Tierheims an der Ron im luzernischen Root. Die Leute müssten mehr sparen und kürzten ihr Budget zuerst bei Spenden. Dies hat Konsequenzen für Vierbeiner: Das Tierheim muss auf dringende Investitionen verzichten. Ausserdem bleibt das Tierheim wie viele andere auf seinen Verzicht- und Findeltieren sitzen. «Die Platzierungen sind zurückgegangen», bestätigt Brechbühl. In Zeiten der Wirtschaftskrise wollten die wenigsten noch zusätzliche Kosten für ein Haustier auf sich nehmen, glaubt er. Besonders wenn operationsbedürftige und alte Tiere abgegeben werden, stehen die Tierheime vor der schwierigen Entscheidung, einzuschläfern oder zu operieren. Im letzteren Fall bleiben die Tiere meist Langzeitgäste. Denn alt und oft chronisch krank möchte sie niemand mehr haben. Tierschutz (noch) weniger betroffen Wenn auch nicht ganz so schlimm, so spürt doch auch der Tierschutz beider Basel die Wirtschaftskrise. «Die Stiftungsgelder fliessen spärlicher, weil das angelegte Kapital weniger Ertrag brachte», erklärt Geschäftsleiterin Beatrice Kirn. ?? © Katzen Magazin ?/?? Die Spendengelder hingegen seien im ersten halben Jahr etwa gleich hoch wie in der Vergleichsperiode 2008. «Wir rechnen jedoch mit einem Rückgang in der zweiten Jahreshälfte, da wir glauben, dass die Krise erst dann bei den Leuten ankommt», so Kirn. Ausserdem hätten sie mehr Tierschutzfälle zu verzeichnen und die Zahl der Findel- und Verzichtstiere habe leicht zugenommen. «Noch sind die Zahlen bei uns nicht beunruhigend», sagt Kirn. «Wir rechnen aber mit einer weiteren Zunahme in der zweiten Jahreshälfte.» « Seit Anfang Jahr haben wir rund 20 % weniger Spenden erhalten. » Der Schweizer Tierschutz (STS) spürt ‹rein spendenmässig› die Krise nicht, oder noch nicht, wie Eva Waiblinger von der Fachstelle Heimtiere sagt. «Zum Glück, denn nächstes Jahr gehen wir mit der Tierschutzanwaltinitiative in einen Abstimmungskampf.» Aktuelle Zahlen zu in Heimen abgegebenen Tieren liegen dem STS noch nicht vor. «Wir müssen zuerst den Jahresbericht unserer Sektionen abwarten», erklärt Waiblinger. Deutlich zu sehen sei aber ein genereller Anstieg der in Tierheimen abgegebenen beziehungsweise aufgefundenen Tiere: Im Jahr 2000 waren es 13 025, 2005 bereits 16 232 und 2007 sogar 18 813 Tiere. Diese Zahlen seien allerdings mit Vorsicht zu geniessen, da in dieser Zeit einige Mitgliedorganisationen hinzukamen und daher mehr Tiere gezählt wurden. Seit 2006 auch rund 1500 Fische, die der Verein Aquarium Zürich in der Fischauffangstation jährlich aufnimmt und weitervermittelt. Bei Hund und Katz wird nicht gespart Noch kaum betroffen von der Wirtschaftskrise ist die Kleintierklinik der Universität Zürich. Es könne schon sein, dass bei den Haustieren gespart werde, falls die Krise noch lange anhalte, meint Oberassistentin Karin Hurter. «Aber Tiere haben in den letzten Jahren einen immer grösseren Stellenwert für viele Menschen erhalten. Ich kann mir auch vorstellen, dass gerade in Krisen Haustiere noch wichtiger werden.» Sicher werde bei den Haustieren nicht als Erstes gespart. Gespart werde wohl eher bei den Ferien oder beim Auto. Tatsächlich stürzen sich manche Tierhalter sogar in Schulden, wenn ihr geliebtes Tier krank wird. Bei der heutigen Hightech-Medizin kann das schnell passieren. Stefan Broger, Präsident der Schweizerischen Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten, kennt das Phänomen: «Die Tierarztrechnung wird normalerweise bezahlt. Man muss dem Tierarzt beim nächsten Besuch ja wieder in die Augen schauen. Dafür bleibt aber die Steuer-, die Krankenkassen- oder die Stromrechnung liegen. Das ist ein neuer Trend.» lic ©b kw ink el.d e « Am Ende erschrecken viele über die hohen Kosten. » Auch Tierarzt Charles Trolliet kennt das Problem. «Für viele Besitzer sind Hunde und Katzen heute Familienmitglieder, in einigen Fällen sogar Kinderersatz. Wird das Tier krank, ist das eine sehr emotionale Angelegenheit», sagt der Präsident der Gesellschaft Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte. In seiner eigenen Praxis erlebt er es täglich: «Im ersten Moment heisst es immer: Egal, was es kostet, machen Sie alles, was nötig ist. Am Ende erschrecken viele über die hohen Kosten.» Die Frage nach Ratenzahlungen habe enorm zugenommen. Manche Tierärzte berichten aber, dass Halter weniger Geld für ihre Tiere ausgeben. Katzen z. B. würden weniger geimpft. Dadurch nehme die Impfdichte ab und die Katzenseuche zu. Deshalb würden Katzen qualvoll verenden. > SO VIELE HAUSTIERE LEBEN IN DER SCHWEIZ 1 300 000 500 000 390 000 170 000 120 000 40 000 25 000 Katzen Hunde Vögel – vor allem Kanarienvögel, Wellensittiche und Zebrafinken Meerschweinchen Wüstenmäuse Hamster Reptilien und Amphibien – vor allem Schlangen, Eidechsen, Vogelspinnen und Skorpione. Diese Exoten sind in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden. © an im a ls - d ig it a l.d e Die Angaben beruhen auf Schätzungen des Verbandes Zoologischer Fachgeschäfte und des Bundesamtes für Veterinärwesen. © Katzen Magazin 4/09 13 In der Tiermedizin ist heute fast alles möglich, was auch in der Humanmedizin machbar ist. Röntgengerät, Computertomograf, EKG und die Ultraschall-Untersuchung sind Standard. So viel kosten die Operationen im Durchschnitt: Hüftprothese für den Hund 5000 Franken inkl. Behandlung Augenoperation bei grauem Star 3000 Franken. Operation am Herz 2500 bis 3000 Franken Chemotherapie je nach Medikament bis zu 1500 Franken Darin noch nicht enthalten sind die Kosten für die Untersuchung, die Betreuung und der Aufenthalt in der Klinik. Bei einer komplizierten oder chronischen Krankheit können die Kosten für die Behandlung eines Kleintiers schnell einmal 10 000 Franken betragen. Das Tierspital Zürich hat 2008 11 Millionen Franken Behandlungskosten in Rechnung gestellt, 6,5 Millionen davon gehen allein aufs Konto der Kleintierklinik. Seit acht Jahren gibt es in der Schweiz die Möglichkeit, sein Tier zu versichern. Oberassistentin Hurter vom Tierspital Zürich: «Das ist vor allem bei einem jungen Tier etwas sehr Sinnvolles.» Für einen mittelgrossen Hund unter vier Jahren kostet eine solche Versicherung rund 15 Franken pro Monat. Gedeckt sind Kosten von 5000 Franken pro Jahr. Haustiere in Krisen noch wichtiger Dass bei den Haustieren aber nicht als Erstes gespart wird, glaubt auch Susanne Matt, diplomierte Hundefriseuse. «Die meisten Leute verzichten eher selber auf etwas, als ihre Tiere zu vernachlässigen», glaubt sie. «Ich spüre nichts von der Krise.» Das Fell vernachlässigen bringe nichts, im Gegenteil. «Die Fellpflege hat auch mit der Gesundheit der Tiere zu tun. Die Folgekosten wären höher als die regelmässige Pflege.» Und so befürchtet Matt keine Einbussen wegen der Wirtschaftskrise. Ähnlich tönt es bei anderen Hundesalons, wie eine nicht repräsentative Umfrage zeigt. Am ehesten werde man die Krise wohl im Luxusbereich spüren, bei den Accessoires und Spielzeugen, vermutet Matt. Züchter spüren neue Auflagen Von der Wirtschaftskrise unterschiedlich betroffen sind Züchter. In der Schweiz werden die meisten Katzenund Hundezuchten hobbymässig betrieben, das heisst, die Züchter sind nicht zwingend angewiesen auf das Geld. «Wenn es jemand wegen dem Geld macht, muss er es sein lassen», sagt Marianne Graber, die im Ruederthal Berner Sennenhunde züchtet. Zwar bleibe, wenn man einen guten Wurf ohne Kaiserschnitt habe, schon etwas übrig. «Aber Hunde züchten musse man aus Freude, nicht wegen dem Geld.» Sie sei bis jetzt nicht betroffen von der Wirtschaftskrise, sagt Graber. «Mein letzter Wurf ging schnell weg.» Das hange aber auch damit zusammen, dass seit einiger Zeit wenig reinrassige Berner Sennenhunde angeboten würden. Graber glaubt aber dennoch Auswirkungen der Wirtschaftskrise zu bemerken: «Die Ausländer bleiben weg. Früher habe ich gut die Hälfte der Welpen ins Ausland verkauft, vor allem nach Deutschland.» Möglich also, dass auch die Züchterin aus dem Ruederthal bald von der Krise betroffen ist. Denn in der Schweiz sei der Markt wohl 14 © Katzen Magazin 4/09 © Andreas Krebs/www.aufrad.ch © blickwinkel.de Schuldenfalle Kleintier Noch kaum betroffen von der Wirtschaftskrise ist die Kleintierklinik der Universität Zürich. bald gesättigt, vermutet Graber. Andere Züchter spüren die Krise bereits jetzt. Werner von Gunten zum Beispiel hat von seinem letzten Wurf noch keinen Welpen verkauft. Er glaubt aber eher, dass der Schaden von den verschärften Auflagen für Hundebesitzer kommt. Sozialhilfe für Hunde In Deutschland ist die Situation deutlich angepannter als in der Schweiz, nicht erst seit der Wirtschaftskrise. In den letzten Monaten und Jahren sind in grösseren Städten Tiertafeln eingerichtet worden. Sie funktioniert wie die Tafel für Menschen: Mittellose Tierhalter werden gratis mit Futter- und Sachspenden versorgt. «Gelebter Tierschutz führt über den Menschen, der ein Tier hält», sagt Claudia Hollm, Vorsitzende des Vereins Tiertafel Deutschland. «Unser Verein wurde gegründet, um Mitbürgern zu helfen, die finanziell oder körperlich, kurzfristig oder langfristig nicht in der Lage sind, ihre Haustiere gesund und artgerecht zu ernähren beziehungsweise zu pflegen.» « Die meisten Leute verzichten eher selber auf etwas, als ihre Tiere zu vernachlässigen. » Die Tiertafeln berichten nun über immer grösseren vierpfotigen Zulauf. In einem Jahr habe sich die Zahl der Anmeldungen mehr als verdoppelt, berichtet Hollm. Im März habe die Tafel 14 500 Tiere versorgt, im Vorjahr seien es im selben Monat noch 7000 gewesen. Bisher sind bundesweit 19 Stellen in Betrieb. Wegen des grossen Ansturms sind 30 neue Ausgabestellen in Planung. «Gerade die Altersarmut greift brutal um sich», sagt Hollm. 40 % der Kunden seien Rentner, aber auch viele Hartz IV- Empfänger kämen zur Futterhilfe. «Viele Menschen sind arbeitslos geworden und merken jetzt, dass sie ihr Tier allein nicht mehr durchbringen können», erklärt Hollm. Alleine bei der Tafel in Berlin gehen wöchentlich dreitausend Kilo Hundefutter weg. Auch für Katzen gibt es Futter. Geld und Futtersäcke kommen von privaten Spendern und von Futterproduzenten. Für Hollm ist das Ziel ihrer Initiative klar. «Die Tiere sollen da bleiben können, wo sie gross geworden sind und wo sie geliebt werden.» Auch und gerade in der Wirtschaftskrise. www.aufrad.ch