Bakterien – intelligenter als der Mensch? - viamedica

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Vortrag am 30.11.2007 – anlässlich der Verleihung des Pfizer Forschungspreises
Bakterien – intelligenter als der Mensch?
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
30 Jahre lang habe ich mich mit Bakterien beschäftigt, sie haben mein
ganzes berufliches Leben bestimmt, und obwohl sie ständig versuchen,
uns Menschen umzubringen, sind sie mir ans Herz gewachsen – denn
ohne Bakterien kein menschliches Leben, ohne Darmbakterien keine
Verdauung. Bakterien produzieren herrliche Farben, gute und böse Gifte,
Bakterien kommunizieren miteinander, töten sich aber auch gegenseitig.
Sie haben Kriege entschieden, sogar ganze Völker ausgerottet. Sie haben
aber auch Sex. Damit habe ich hoffentlich ihre volle Aufmerksamkeit für
meine Hypothese erregt, dass Bakterien intelligenter sind als wir
Menschen. Sie können zwar nicht denken, erreichen aber doch alles, was
sie wollen – das kann der Mensch sicher nicht.
Nehmen wir einmal an, die Bibel hat doch recht, dass Gott den Menschen
erschaffen hat. Unglücklicherweise beginnend mit einem Mann, dem Herrn
der Schöpfung, was die Frauen dem lieben Gott zu recht niemals verzeihen
werden. Bevor Gott aber Adam erschuf, muss er die Bakterien erschaffen
haben, denn ohne gut funktionierende Darmflora hätte Adam den Apfel von
Eva nicht verdauen können.
In der Tat sind Bakterien seit über drei Milliarden Jahren auf unserer Erde
und somit die ersten Lebewesen überhaupt. Bis zum Jahr 1676 haben sie
es geschafft, unentdeckt zu bleiben. 1676 entdeckte Anthony van
Leeuwenhoek mit Hilfe eines selbst gebauten Mikroskops Bakterien im
Wasser und im menschlichen Speichel.
•
Ein Milliliter Speichel enthält etwa 10 Millionen Bakterien – aus
bakteriologischer Sicht ist ein Kuss eine äußerst unhygienische und
gefährliche Angelegenheit.
•
Pest, Cholera, Lepra und Tuberkulose rotteten im Mittelalter
durchschnittlich 30 Prozent der Bevölkerung aus, im 12.
Jahrhundert gab es in Europa 19.000 Leprahäuser.
•
Bakterien haben Kriege entschieden. Im amerikanischen
Unabhängigkeitskrieg starben mehr Soldaten an bakteriell
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Vortrag am 30.11.2007 – anlässlich der Verleihung des Pfizer Forschungspreises
verursachtem Wundbrand durch Schusswunden als durch direkte
Kriegseinwirkung.
•
Der Abstieg Napoleons wurde durch Bakterien eingeleitet, im
gescheiterten Russlandfeldzug starben mehr Soldaten an
Fleckfieber als während den Kämpfen.
Bakterien haben deswegen über drei Milliarden Jahre auf unserer Erde
überlebt, weil sie sich allen widrigen Umständen, die die Evolution oder
sehr viel später dann der Mensch ihnen bot, angepasst haben.
Bakterien können alles, ihre Anpassungsfähigkeit ist schier unbegrenzt.
Viele Bakterien benötigen Sauerstoff, andere – die Anaerobier –
dagegen überhaupt nicht. Die phototrophen Bakterien, die zur
Photosynthese fähig sind, haben überhaupt erst Leben auf der Erde
ermöglicht, indem sie –wie erst sehr viel später dann die Pflanzen –
durch Photosynthese aus Kohlendioxid den für uns und die Pflanzen
lebenswichtigen Sauerstoff erzeugt und damit die Bildung der
Atmosphäre ermöglicht haben. Hätte es die phototrophen Bakterien
nicht gegeben, hätte Adam keinen Sauerstoff zum Atmen gehabt.
Wir Bakteriologen haben den Bakterien wunderbare Namen gegeben.
Es gibt die extremophilen, die acidophilen, die alkaliphilen, die
halophilen und die basaophilen Bakterien. Die Extremophilen haben
sich – wie der schöne Namen schon sagt – extremen
Umweltbedingungen angepasst, viele davon bilden Dauerstadien, so
genannte Sporen, wie z.B. Tetanusbakterien. Man kann deren Sporen
stundenlang kochen, aber sie wachsen nach der belebenden
Thermalwasserkur wieder zum Tetanusbakterium aus. Die Acidophilen
wachsen in konzentrierter Säure, die Alkalophilen tolerieren PH1 (nur
nebenbei – Zitronensaft hat ca. PH5), die Halophilen lieben hohe
Salzkonzentrationen, die den Menschen in wenigen Stunden auflösen
würden. Die barophilen Bakterien lieben einen hohen hydrostatischen
Druck, die dazugehörigen, so genannten endolithen Bakterien leben im
Inneren von Steinen. Ja, es gibt sogar radiophile Bakterien, die im
Kühlwasser von Kernreaktoren prächtig gedeihen. Im zerstörten
Reaktor von Tchernobyl wurden sie als schwarzer Belag an den
Reaktorwänden nachgewiesen.
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Vortrag am 30.11.2007 – anlässlich der Verleihung des Pfizer Forschungspreises
Bakterien sind entweder faul und bewegen sich nicht von der Stelle,
oder sie bewegen sich mit Hilfe von Geiseln mit traumhafter
Geschwindigkeit durch Gewässer. Andere mögen es wieder langsamer,
sie schwimmen nicht, sondern sie bewegen sich gemächlich durch
Kriechen fort. Bakterien lassen sich durch verschiedene Faktoren in
ihrer Bewegungsrichtung beeinflussen. Phototaxis, Chemotaxis,
Aerotaxis, Mechanotaxis und sogar Magnetotaxis sind die schönen
Bezeichnungen für Bewegungsrichtungen durch Umweltfaktoren. Bei
Aerotaxis zieht Sauerstoff die Bakterien an und bei Magnetotaxis sogar
magnetische Kräfte.
Lange glaubte man, Bakterien würden Temperaturen weit über 100°
nicht aushalten. Doch dann fand man tief im Ozean die so genannten
Archebakterien, die bei Temperaturen von weit über 100° prächtig
gedeihen. In der Tiefsee fand man vor kurzem sogar Methanfressende
Bakterien, die sich im Darmtrakt von Röhrenwürmern aufhalten und
diesen die Energie zum Leben liefern.
Die Lebensdauer von Bakterien ist schier unendlich. In einem Fuldaer
Steinsalzlager schliefen Bakterien 250 Millionen Jahre lang, bis
Forscher sie vor kurzem aus dem Tiefschlaf holten.
Seit neuestem gibt es auch journalistophile Bakterien. Schlagzeile in
der ZEIT vom 23. August diesen Jahres: „Bakterien als Baumeister“. In
der Welt vom 22. September 2007: „Bakterien verspeisen Propangas“.
Im Spiegel vom September: „Putzen mit Keimen?“. Bestimmte
Pseudomonasarten bauen Nitrate in Wasser ab. In Wasser gelöst,
kriechen Nitrate aus dem Boden in das Gestein alter Bauten, das
Wasser verdunstet an der Oberfläche, zurück bleiben die Nitrate, die im
Gemäuer zu Kristallen wachsen, die natürlichen Poren verstopfen und
schließlich das Baumaterial sprengen. Nitratfressende Bakterien
werden nun zusammen mit Nährstoffen in Alginatkügelchen verpackt, in
Mörtel angerührt und auf das Gestein aufgebracht. Weil der Mörtel
wenig Nitrat enthält, wandert das Salz aus dem Stein in den Mörtel und
wird dort von den Bakterien gefressen.
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Vortrag am 30.11.2007 – anlässlich der Verleihung des Pfizer Forschungspreises
Das Geoforschungszentrum in Potsdam entdeckte kürzlich in
Meeressedimenten Bakterien, die sich von Propan- und Butangas
ernähren. Sie verwenden Sulfat statt Sauerstoff zur Atmung und nutzen
Propan und Butan als alleinige Kohlenstoff- und Energiequelle.
Putzen mit Keimen klingt ganz besonders unheimlich, denn die
deutsche Hausfrau versucht händeringend, beim Putzen auch
Bakterien zu beseitigen. Eine Forschergruppe aus Mailand hat jedoch
entdeckt, dass Bakterien mit dem schönen Namen Desulfovibrio
vulgaris am Mailänder Dom die dunkle gipshaltige Kruste besser
abtragen konnten als chemische Verfahren. Denkmalpflege mit
Bakterien, welch eine wunderbare Perspektive!
Wenn Sie nun meinen, wir wüssten schon das Meiste über Bakterien,
muss ich Ihnen sagen, dass über 95% aller auf unserem Planeten
existierenden Bakterienarten noch gar nicht näher bekannt sind.
Bakterien sind winzig, mit dem bloßen Auge nicht erkennbar. Allerdings
nur bis vor kurzem: Denn 1999 wurde das größte bisher bekannte
Bakterium, die so genannte Schwefelperle von Namibia „Thiomargarita
Namibiensis“ entdeckt, mit einem Durchmesser von einem dreiviertel
Millimeter und somit bereits mit bloßem Auge sichtbar.
Viele Bakterien, vor allem die krank machenden, vermehren sich mit
rasender Geschwindigkeit, eine Zellteilung alle 15-20 Minuten, so dass
innerhalb eines Tages aus einem Bakterium Millionen von
Nachkommen entstehen können. Sex spielt bei dieser Geschwindigkeit
verständlicherweise keine Rolle. Sex zwischen Bakterien geht
gemächlich, vielleicht sogar lustvoll vor sich – aber davon später.
Bakterien sind unglaublich intelligent und einfallsreich, wenn sie sich
vorgenommen haben, uns Menschen krank zu machen und dazu
unsere körpereigenen Abwehrmechanismen überwinden müssen. Ein
Beispiel dafür ist Helicobacter Pilori, der Erreger von Magen- und
Blinddarmgeschwüren. Die meisten krank machenden Bakterien, die
wir mit der Nahrung aufnehmen, werden durch den extrem sauren
Magensaft-PH abgetötet. Helicobacter Pilori sieht wie eine kleine
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Vortrag am 30.11.2007 – anlässlich der Verleihung des Pfizer Forschungspreises
Spirale aus, an einer Seite spitz wie ein Korkenzieher, am anderen
Ende vier peitschenartige Geiseln, die das Bakterium wie einen
Korkenzieher durch die Schleimschicht des Magens und in die Zellen
der Magenschleimhaut hinein bohren. Unter der Schleimschicht und in
den Zellen ist es vor dem sauren Magensaft-PH geschützt. In den
Zellen speichert er nun mit einem Enzym Ureasis den im Magen
vorhandenen Harnstoff in Ammoniak und Hydrogencarbonat, die den
PH-Wert in der unmittelbaren Umgebung des Keims anheben und so
ein neutrales Mikromilieu schaffen - und der stärkste
Abwehrmechanismus gegen Keime in Nahrungsmitteln, nämlich der
saure Magensaft-PH, ist wirkungslos geworden.
Es gibt aus der Sicht von uns Menschen gute und böse Bakterien.
Ohne Darmflora keine Verdauung und somit kein Leben, ohne Hautflora
kein Schutz gegen Mikroorganismen von außen. In unserem Darm
leben pro Gramm Stuhl 1013-14 Bakterien, also eine 1 mit 14 Nullen –
eine Zahl, von der unser Finanzminister nur träumen kann. Auf unserer
Haut lebt etwa eine Billion Bakterien, an den Armen sind es nur wenige
Tausend, in fettigeren Regionen wie z.B. der Stirn schon einige
Millionen, und in feuchten Regionen wie z.B. unter unseren Achseln
mehrere Milliarden pro Quadrat-Zentimeter. Dort ernähren sie sich von
rund zehn Milliarden Hautschuppen, die täglich abgegeben werden,
sowie von Mineralstoffen und Lipiden, die aus den Hautporen
ausgeschieden werden. Die Darmgase und den Achselgeruch
produzieren Bakterien. Wichtig ist nun, dass 99,999 und noch mehr
Prozent der Bakterien in uns, auf uns und um uns herum gute Bakterien
sind, die uns überhaupt nichts tun oder antun wollen. Die Hersteller von
antibakteriellen Haushaltsprodukten, die immer wieder Bilder von
massenweise Bakterienhaufen präsentieren, die sich auf dem
Klodeckel oder im Kühlschrank befinden, verschweigen natürlich, dass
die meisten dieser Bakterien für den Menschen auch völlig ungefährlich
sind. Natürlich verstecken sich in unserer Darmflora und auf unserer
Haut einige krank machende Bakterien, die aber von den anderen gut
in Schach gehalten werden und die wir mit Stuhlgang und
Händewaschen dahin bringen, wo sie hingehören, nämlich ins Klo und
ins Waschbecken. Sie dort noch mit antibakteriellen Toilettenreinigern
oder Reinigungsmitteln zu verfolgen, ist pervers. 20.000 Tonnen
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Vortrag am 30.11.2007 – anlässlich der Verleihung des Pfizer Forschungspreises
Kloreiniger werden in deutschen Haushalten ins Klo geschüttet. Das
deutsche Klo wird dadurch so bakterienrein, dass man es fast als
Sektkühler benutzen könnte.
Die Verwendung von antibakteriellen Putzmitteln ist nicht nur stark
allergisierend für den Anwender, sondern auch noch schädlich für die
Umwelt. Denn die vielen hundert Arten von Abwasserbakterien sind
unsere Freunde. Biologische Abwasserreinigung ist nichts anderes als
die Leistung von vielen hundert Bakterienarten, die synergistisch den
Dreck abbauen, den wir hinterlassen. Ohne Bakterien keine
Abwasserreinigung!
Ohne Abwasserbakterien auch kein Trinkwasser, denn Sie wissen
sicher, dass das geklärte und gereinigte Abwasser wieder den Flüssen
und Seen zugeführt wird, aus denen wir zum Teil unser Trinkwasser
gewinnen.
Weil sich aber alle Menschen vor Bakterien fürchten, hat es eine
bestimmte Industrie leicht, eine Gefährdungs- und Drohkulisse
aufzubauen und die abenteuerlichsten antibakteriellen Produkte auf den
Markt zu bringen. Es gibt mittlerweile den antibakteriellen Fußboden, für
Kliniken die antibakteriellen Vorhänge, das antibakterielle Telefon, das
antibakterielle Spülmittel, die antibakterielle Seife usw. Gegen
stinkende Füße helfen die antibakteriellen Socken, die antibakterielle
Wäsche spart den Wechsel von Unterhosen, und der
Hygieneweichspüler macht nichts anderes, als das Abwasser zu
belasten, denn er ist völlig überflüssig. Jede moderne
Haushaltswaschmaschine macht die Wäsche auch schon bei 40°
hygienisch einwandfrei. Denn die in den Waschmitteln reichlich
vorhandenen Tenside lösen die Zellwände der meisten Bakterien auf,
und was die Hersteller zwar wissen, aber bewusst verdrängen, ist die
Tatsache, dass für jede bakterielle Infektion eine definierte
Infektionsdosis nötig ist, d.h. eine gewisse Anzahl von Bakterien, die bei
Ruhr zwischen zehn bis mehrere Tausend bei den Salmonellen
schwankt, um die körpereigene Abwehr zu überwinden und überhaupt
eine Infektion zu erzeugen. Durch die zahlreichen Spülgänge wird die
Infektionsdosis nie erreicht, außerdem müsste man beim Beispiel von
Ruhr, Salmonellose oder auch Cholera das Waschwasser trinken, um
eine Infektion zu bekommen.
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Vortrag am 30.11.2007 – anlässlich der Verleihung des Pfizer Forschungspreises
Produkte besonderer Volksverdummung sind der antibakterielle
Kühlschrank und das antibakterielle Kochgeschirr. Der antibakterielle
Kühlschrank und das antibakterielle Geschirr sind mit Silber
ausgestattet, dessen antibakterielle Wirkung niemand bezweifelt. Um
aber eine antibakterielle Wirkung zu erzeugen, muss das
Nahrungsmittel im Kühlschrank in engen Kontakt mit dem Silber
kommen, und welche Hausfrau klebt schon Fleisch, Wurst oder Käse
unverpackt an die Kühlschrankwand? Im antibakteriellen Geschirr
sollen Nahrungsmittelreste hygienisch länger aufbewahrt werden
können. Aber hier gilt das Gleiche wie für den Kühlschrank. Für den
Bruchteil eines Millimeters ist das Nahrungsmittel geschützt, der Rest
verfault.
Um es kurz zu machen: Sämtliche antibakteriellen Produkte sind
überflüssig, viele davon allergisierend, alle mehr oder weniger
abwasser- und umweltschädlich. Und – was noch wichtiger ist, niemand
hat bisher untersucht, welche Langzeitwirkung antibakterielle Produkte,
z.B. Kleidungsstücke, auf die gesunde Hautflora haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe Ihnen bisher ein
überwiegend friedliches Bild von Bakterien gezeichnet, aber die können
natürlich auch anders, wie Sie wissen. Wir unterscheiden zwischen
apathogenen und pathogenen, also krank machenden Bakterien, halten
aber fest, dass die apathogenen Bakterien in und ums uns in
millionenfacher Überzahl sind, und allein schon dadurch die
pathogenen Bakterien in Schach halten. Das gilt v.a. für unsere Hautund Darmflora, aber nur so lange, wie wir Menschen mit unserer
Intelligenz dieses Gleichgewicht nicht stören. Dafür möchte ich Ihnen
nur zwei Beispiele geben: Krankenhausinfektionen und Antibiotika.
Krankenhausinfektionen gehören zu den häufigsten Infektionen
weltweit. Im Durchschnitt erkranken ca. 5% der Patienten auf
Allgemeinstationen und ca. 15% auf Intensivstationen an
Krankenhausinfektionen. Das bedeutet, dass jeder sechste
Intensivpatient durch Krankenhausinfektionen zusätzlich noch kränker
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Vortrag am 30.11.2007 – anlässlich der Verleihung des Pfizer Forschungspreises
wird. Wie zu erwarten, stehen Bakterien an der Spitze der in Frage
kommenden Erreger.
Die häufigsten Krankenhausinfektionen sind Harnweginfektionen,
postoperative Wundinfektionen, Pneumonie und Sepsis. Nur 30% der
Krankenhausinfektionen sind bzw. wären vermeidbar, haben also etwas
mit Versäumnis des Krankenhauses, insbesondere der Ärzte und des
Pflegepersonals zu tun. Der Rest, d.h. die Mehrzahl der Krankenhausinfektionen, ist gewissermaßen schicksalhaft - das Ergebnis des Sieges
von pathogenen Bakterien. 30 Jahre lang habe ich versucht, ihrer Herr
zu werden - meine Intelligenz hat dazu nicht ausgereicht.
Wie kommt es, dass wir es den Bakterien gerade im Krankenhaus
besonders leicht machen, Infektionen zu verursachen? Das hängt mit
den so genannten medicotechnischen Maßnahmen zusammen, die wir
im Krankenhaus durchführen müssen, um Patienten gesund zu
machen, sie aber dadurch gleichzeitig gefährden. Einige Beispiele….
•
Unsere Lunge und die Trachea in den unteren Abschnitten sind
normalerweise keimfrei. Das Tracheaepithel trägt Zilien, die in
ständiger Bewegung wie ein Kornfeld im Wind wiegend
Bakterien und Schmutzpartikel wie auf einem Rollfeld nach
außen transportieren. Was machen wir, wenn ein Patient
beatmet werden muss? Wir stecken einen Tubus tief in die
Trachea, die Zilienbewegungen - die wesentliche
Abwehrleistung der Trachea – ist somit ausgeschaltet und die
zahlreichen Bakterien der Mundhöhle fließen ungehemmt in die
Lunge.
•
Bei Gesunden ist die nur wenige Zentimeter lange Harnröhre
keimfrei, die Öffnung nach außen aber ist massenweise von
Darmbakterien umgeben. Mit dem Blasenkatheder werden diese
Bakterien ungehemmt in die Blase geschoben, und von dort ist
der Weg in die Niere für sie leicht erreichbar.
•
Eine geradezu fantastische Eigenschaft hat ein Keim entwickelt,
der zu Millionen auf unserer gesunden Haut vorkommt und sich
somit auch Staphylococcus epidermidis nennt. Er hilft der Haut,
uns vor bakteriellen Angriffen von außen zu schützen. Aber
wehe, der Mensch greift ein. Fast scheint es so, als hätte der
liebe Gott dem Staphylococcus epidermidis gesagt: „Auf der
Haut verbiete ich Euch, Böses zu tun. Wenn aber der Mensch
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Vortrag am 30.11.2007 – anlässlich der Verleihung des Pfizer Forschungspreises
Euch unter die Haut lässt, wachset und mehret Euch“.
Staphylococcus epidermidis hat eine fanatische und
fantastische Liebe zu Fremdkörpern entwickelt. Immer dann,
wenn ein Venenkatheder gelegt werden muss, werden in ca.
30% der Fälle auch Staphylococcus epidermidis mit in die Vene
geschoben, denn Desinfektionsmittel können diese Keime nur
an der Oberfläche der Haut, nicht aber in den
Schweißdrüsenausgängen und Haarbälgen töten.
Staphylococcus epidermidis hat nun Oberflächenproteine
entwickelt, mit denen er sich geradezu magnetisch an jeden
Fremdkörper anheften kann. Er vermehrt sich auf den
Fremdkörpern, bildet kleine Kolonien und gleichzeitig eine Hülle
über die Kolonie aus Biofilm, so dass ihm weder die weißen
Blutkörperchen noch die im Blutserum vorhandenen Antikörper
noch die meisten Antibiotika etwas anhaben können. Die
Fremdkörper- bzw. Implantatinfektionen, verursacht durch
Staphylococcus epidermidis, ist die häufigste Form der im
Krankenhaus erworbenen Sepsis geworden, an der immer noch
durchschnittlich 25% der Patienten sterben. Alle Fremdkörper im
menschlichen Körper – künstliche Hüften, künstliche
Herzklappen, künstliche Venen, künstliche Herzkranzgefäße
etc. – sind ständig durch Staphylococcus epidermidis
Infektionen gefährdet, auch dann, wenn kein großes Loch mit
einem Venenkatheder in die Haut gebohrt wird. Kleinste
Hautverletzungen, die der Mensch in der Regel gar nicht merkt,
sind Eintrittspforten für Staphylococcus epidermidis. Er gelangt
dabei häufig in die Blutbahn, wird von Gesunden aber
spätestens innerhalb von 15 Minuten eliminiert. Findet er in
dieser Zeit aber einen Fremdkörper, ist es um diesen
geschehen, denn infizierte Fremdkörper müssen in der Regel
operativ entfernt werden.
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Die stärkste, aber immer schwächer werdende therapeutische Waffe
des Menschen gegen Bakterien sind Antibiotika. Nach allem, was ich
Ihnen bisher über die Anpassungsfähigkeit von Bakterien erzählt habe,
werden Sie aber sicher nicht glauben, dass Bakterien nicht auch gegen
Antibiotika ein bewundernswertes Arsenal von Gegenmaßnahmen
entwickelt haben. Die Antibiotika-Resistenz ist zu einem der größten
Infektionsprobleme weltweit geworden. Täglich sterben Tausende von
Patienten an Infektionen mit Antibiotika-resistenten Keimen, weltweit
wesentlich mehr als an Aids. Antibiotika greifen entweder an der
Zellwand an und lösen sie auf, oder gelangen durch Poren in das
Innere der Bakterienzellen und greifen dort in den Stoffwechsel ein.
Wie wehren sich nun die Bakterien? Sie schließen die Poren in der
Zellwand, zwicken gewissermaßen die Haut zusammen oder haben
Pumpen entwickelt, so genannte Eflux-Pumpen, mit denen sie das
Antibiotikum durch die Poren wieder heraus pumpen. Oder sie
verändern ihre Zellwandstruktur. Oder sie produzieren Enzyme, die
Antibiotika auflösen. Oder sie ändern ihren Stoffwechsel. Oder sie
haben Sex - weil aber nicht lustvoll, hat der Mensch dafür den schönen
Namen Parasexualität erfunden. Das funktioniert so: Eine
Bakterienspezies war besonders intelligent und hat Resistenzgene
gegen viele Antibiotika auf einem ringförmigen Plasmit in den einzelnen
Bakterienzellen gespeichert. Diese suchen sich nun einen Partner,
sagen gewissermaßen „Komm her zu mir, ich hab was Schönes für
dich“. Die Bakterien legen sich aneinander, das Resistenzplasmittragende Bakterium bildet einen so genannten Sexpilus – eine
Proteinröhre -, steckt sie in das andere Bakterium hinein und über diese
Proteinbrücke kann das Resistenzgen von einer Zelle zur anderen
übertragen werden. So wird beispielsweise Antibiotika-Resistenz von
einer für den Menschen harmlosen Bakterienspezies auf pathogene
Bakterien übertragen.
Tatsache ist, dass es bei Penicilin einige Jahre, aber bei den neuen
Antibiotika in der Regel nur wenige Monate dauert, bis Bakterien gelernt
haben, eine Abwehrstrategie zu entwickeln. Es gibt kein einziges
Antibiotikum, gegen das Bakterien nicht gelernt haben, sich zu wehren
– also eine Resistenz zu entwickeln.
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Vortrag am 30.11.2007 – anlässlich der Verleihung des Pfizer Forschungspreises
Wie sieht die Zukunft aus? Homo sapiens gegen Bakterium sapiens –
der Kampf ist noch nicht entschieden, aber auf des Messers Schneide.
Noch ist es gelungen, wenn auch in den letzten zwei Jahrzehnten sehr
viel seltener, neue Antibiotika auf den Markt zu bringen. Nur so
nebenbei: Dies dauert mindestens fünf Jahre und kostet mindestens
500 Millionen Euro pro neuer Substanz. Viele pharmazeutische Firmen
haben sich deswegen aus der Antibiotika-Forschung zurück gezogen.
Wie soll es weitergehen? Vielleicht können wir von den Pflanzen
lernen. Könnte es nicht sein, dass Pflanzen, die Hunderte Millionen
Jahre länger auf der Erde sind und ebenso wie der Mensch von Anfang
an dem Angriff von Bakterien ausgesetzt waren, verschiedenste
antibakterielle Substanzen entwickelt haben, damit z.B: ein Baum
tausend Jahre alt werden kann? Warum haben unsere Vorfahren
ausgerechnet Blöcke aus Buchenholz verwendet, um Fleisch zu
zerhacken? Fleischreste und Blut sind hervorragende Nährböden für
Bakterien. In der Tat – Buchenholz und Fichtenkernholz haben
hervorragende antibakterielle Eigenschaften. Vor einigen Jahren haben
wir das Wachstum der wichtigsten Krankenhausinfektionserreger auf
Frühstücksbrettchen aus Fichtenkernholz mit dem auf
Resopalbrettchen verglichen. Auf Fichtenkernholz starben die Keime
ab, auf Resopal überlebten sie, und das sogar tagelang. Als ich noch
aktiv war, habe ich ein Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit der
Fakultät für Forst- und Umweltwissenschaften und der Staatlichen
Forst- und Versuchsanstalt hier in Freiburg angestoßen, um aus
verschiedenen Hölzern die antibakteriellen Substanzen zu isolieren und
daraus vielleicht in Zukunft ein Antibiotikum zu gewinnen. Ein
Forschungsgrant der Firma Pfizer wäre natürlich hoch willkommen – wir
würden das Antibiotikum dann auch gerne PFIZERIN nennen.
Zum Schluss, meine sehr verehrten Damen und Herren, bleibt mir nur
noch, mich mit Respekt vor meinen Freunden und Feinden, den
Bakterien, zu verneigen, die vor 3,5 Milliarden Jahren durch die Kunst,
Sauerstoff zu produzieren, unser Leben auf der Erde erst ermöglichten.
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