Meine sehr geehrten Damen und Herren, au

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Ist die Ausübung einer Begabungsvielfalt auf einheitlichem
Niveau dauerhaft möglich?
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
aus Anlass der Verleihung des Musikförderpreises 2008 des
Kulturfonds Baden an Frank Düpree habe ich mir Gedanken
darüber gemacht, ob die Ausübung einer Begabungsvielfalt - bei
ihm zweifelsohne vorhanden - auf einheitlichem Niveau dauerhaft
möglich ist.
Mir passiert es in meinem Berufsleben immer wieder, dass ich
gefragt werde:
„Sie spielen Klavier, Sie unterrichten Klavier an einer
Musikhochschule….“ kurzes nachdenkliches Schweigen …. „und
was noch ??“
Taucht eine so geartete Frage nach einem meiner Konzerte auf,
kann ich doch eventuell die in den Augen meines Gegenübers
nach meiner ehrlichen negativ ausfallenden Antwort kurz
aufflackernde Enttäuschung relativieren. Aber ich muss es
hinnehmen, dass ich von manchen Zeitgenossen als Fachidiotin
eingeschätzt werde, kennen sie doch einen Musiklehrer vor Ort,
der Unterricht in den Fächern Klavier, Keyboard, Orgel
Akkordeon, Diatonische Harmonika, Gitarre, E-Gitarre, E-Bass
und Blockflöte erteilt!
Natürlich habe ich auch in anderen Instrumenten eine gründliche
Ausbildung genossen, aber dennoch: Mit „noch was“ kann ich
nicht dienen, ich bin professionell gesehen eine Nur-Pianistin und
Nur-Klavierpädagogin. Das Präfix Nur wird üblicherweise mit
der Tätigkeit einer Hausfrau verknüpft und hat immer noch einen
abwertenden Beigeschmack, auch wenn in der Werbung
neuerdings von „Familienmanagerin“ die Rede ist.
Anmerken, meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer, darf ich,
dass es mir als Pianistin noch nie am Instrument langweilig
geworden ist! Zu reich und zu groß ist der Kosmos der
Kompositionen, zu gewaltig die Herausforderung, sich neue und
auch alte unbekannte Werke verschiedener Stilrichtungen
anzueignen, die eigene Interpretation von Repertoirestücken
immer wieder zu überdenken, mit frischen Augen zu sehen und
mit frischen Ohren zu hören. Peter Röbke von der Universität für
Musik und Darstellende Kunst Wien drückt es so aus: „So wie
jede Welle im Meer eine eigene und einmalige Gestalt hat, so hat
auch jede Melodie eine eigene Gestalt und jeder musikalische
Verlauf seine energetische Unverwechselbarkeit – und das
bedeutet eine unaufhörliche Faszination für den, der musiziert
und
immer
wieder
aufs
neue
den
musikalischen
Wellenbewegungen nachspüren kann und muss.“ Zitat Ende.
Das Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans
nimmermehr...“ gilt auf jeden Fall für die hohen
Leistungsanforderungen für Profis im instrumentalen Bereich.
Deshalb sollten Eltern ein musikalisches Hänschen schon von
allerfrühester Jugend an nicht nur gewähren lassen, sondern auch
intensiv unterstützen, wenn es sich für Musik im allgemeinen,
sogar für mehrere Instrumente bzw. mehrere musikalische
Gebiete interessiert.
Die Neugier, die kleine Kinder im Umgang mit Klängen
mitbringen, erstreckt sich zunächst auf alles - egal ob
Vogelgezwitscher, Hundegebell, Autohupen oder das Geräusch
eines vorbei fahrenden Motorrades. Und das alles ist ja letztlich
auch Musik, hat Komponisten inspiriert und wurde quasi
nachkomponiert:
Die Vögel exzessiv von Olivier Messiaen, der Kuckuck von LouisClaude Daquin, die Henne von Jean-Philippe Rameau, das
Hundegebell von Antonio Vivaldi, die Autohupen von George
Gershwin in „Ein Amerikaner in Paris“ und selbst das Motorrad
im Posaunenkonzert von Jan Sandström.
Die Alltags-Instrumente der Erwachsenen reizen die Kleinen: das
Schlagen des Schneebesens, das Scheppern der Kochtöpfe, der
pfeifende Wasserkessel, das Klappern der PC-Tastatur – dann
zuweilen mit einer Mischung aus Neugier und Angst: die
Bohrmaschine oder der Rasenmäher. Dem Baby drücken die
Eltern mit Holzrassel, Klapperkugel die ersten eigenen
„Perkussionsinstrumente“, mit Quietschtieren
„Melodieinstrumente“ in die Hand.
die
ersten
Und was motiviert das Krabbelkind in musizierenden Familien zu
ersten Stehversuchen? Da ist dieser Kasten… mit weißen und
schwarzen Tasten…. auf dem Mama, Papa, Bruder oder
Schwester so interessante Klänge zaubern. Genauso, wie das Kind
die Sprachlaute und den Gesang nachahmt – man spricht
abschätzig und nahezu diffamierend von der Papageienmethode,
obwohl diese Methode gerade beim Spracherwerb die
überragende Rolle spielt – versucht es auch andere Tätigkeiten
zu imitieren. Auch hier wird oft ein tierisch abwertender Begriff
gebraucht: nachäffen. Und so drückt das Kind vorsichtig eine
Taste, wie es das beobachtet hat, oder traktiert – genügend Halt
vorausgesetzt – das Instrument mit der ganzen Patschhand – wie
es das nicht unbedingt
beobachtet hat, aber unbedingt
ausprobieren muss.
Bald jedoch ist es an der Zeit, dass die Spielereien mit der Musik
in gute Bahnen gelenkt werden. Verantwortliche Eltern müssen
jetzt handeln – im Fall unseres Preisträgers Frank Düpree ist das
ideal geschehen! Hier greift sofort die wesentliche Bedeutung
eines qualifizierten Anfangsunterrichts!
Aber auf welchem Instrument?
„Die Musiker-Instrumenten-Beziehung, so könnte man auf den
ersten Blick meinen, beginnt in dem Moment der Auswahl eines
Instruments. Doch das“, so schreibt Karin Nohr, „woran sich die
Auswahl orientiert, beeinflusst bereits die Einstellung zum
Instrument. Von Anfang an ist das Instrument ein projektiv
aufgeladener und mit – oft elterlichen – Vermächtnissen
symbolisch angereicherter Gegenstand.“ Die Wahl des
Instruments kann auf verschiedene Art geschehen: Durch
permanente musikalische Äußerungen eines Kindes – in welcher
Form auch immer -, welche die Eltern zur musikalischen
Förderung praktisch drängen, dann durch den Wunsch des
Kindes, dasselbe Instrument wie eine enge Bezugsperson zu
spielen, durch sanften oder weniger sanften Druck der Eltern, ein
bestimmtes Instrument i h r e r Wahl zu erlernen, durch
überraschendes Sichverlieben des Kindes in ein Instrument,
nachdem es schon ein anderes einige Jahre gespielt hat, und
schließlich durch Zufall, der auch mit dem Ehrgeiz der Eltern zu
tun haben kann, wie zum Beispiel bei dem Pianisten Gerald
Moore, dessen Eltern wünschten, er solle es einem Nachbarskind
gleichtun, ja es gar übertreffen.
Welch wunderbare Aufgabe für eine Lehrerpersönlichkeit, mit
einem jungen Menschen gemeinsam das Zauberland der Musik
mit seinen verschiedenen Regionen zu betreten und dessen
Geheimnisse und Schätze nach und nach zu entdecken! Um die
musikalische Entwicklung des anvertrauten Schützlings
erfolgreich zu fördern, bedarf es einer pädagogisch-didaktisch
fundierten und zugleich geschickten Vorgehensweise. Schon 1789
schrieb Daniel Gottlob Türk in seiner „Klavierschule“: „Das
Wichtigste, wofür man anfangs zu sorgen hat, ist ein guter
Lehrer. Das Vorurtheil: Die Anfangsgründe kann man bey jedem
lernen, ist fast allgemein. Die Erfahrung bestätigt es, dass ein
geschickter und gewissenhafter Lehrer seine Schüler in einigen
Monaten weiter bringt als ein schlechter die Seinigen in einem
ganzen Jahre“. Soweit also Daniel Gottlob Türk, der auf
musikpädagogischem Gebiet zu den erfolgreichsten und auch
fortschrittlichsten Persönlichkeiten seiner Zeit gehörte.
Ein kluger Lehrer regt von Anfang an die Denkfähigkeit des
Schülers an. Er erklärt dem Schüler viele Aspekte eines Stückes,
das er sich aneignen soll, und sei es auch noch so klein und
einfach. Er lehrt den Schüler, Form und Aufbau zu erkennen,
Strukturen und Zusammenhänge, also die inneren Gesetze eines
Stückes, zu erfassen – dadurch kann er den Schüler im Lauf der
Zeit motivieren, sich selbst auch mal als Komponisten
auszuprobieren. Er regt den Schüler an, eine Klangvorstellung zu
entwickeln. Dabei wird er zwangsläufig auf andere Instrumente
zu sprechen kommen und selbstverständlich auch auf die Urform
des Musizierens, das Singen. So kann durchaus der Wunsch des
Schülers entstehen, sich zusätzlich auf einem weiteren Gebiet der
Musik zu betätigen. Ein verantwortungsvoller Lehrer wird mit
beschreibenden Worten den Ausdrucks- und Nuancenreichtum
der Musik darzulegen versuchen, er wird den Schüler durch
Querverbindungen zu anderen Künsten wie der Dichtkunst zum
Beispiel dahin führen, die Spannungsverläufe eines Werkes
emotional zu erleben, den Wechsel zwischen Erregung und Ruhe,
zwischen Spannung und Entspannung, zwischen Wachsen und
Reduktion.
Das Musizieren fordert Aufmerksamkeit und Konzentration. Es
gehört das Lesen und Entziffern des Notentextes dazu – da kann
man die Gedanken nicht abschweifen lassen. Das Gelesene muss
umgesetzt werden: die Auge-Hand-Koordination wird geschult.
Harmonische Zusammenhänge müssen erkannt werden. Bei jeder
musikalischen Tätigkeit, ob Instrumentalspiel, Dirigieren, Singen,
Komponieren etc. muss man auf seine Aufgabe focusiert, aber
nicht eingeengt sein. Viele der oben aufgezählten Parameter gilt es
gleichzeitig zu realisieren. Natürlich macht eine verlässliche,
solide technische „Ausrüstung“, die sich aber niemals
verselbständigen und von der Musik abkoppeln darf, das
Verwirklichen einer künstlerischen Vorstellung erst möglich.
So muss man Gerhard Mantel recht geben, der feststellt: „Das
Lernen selbst verläuft nicht linear. Es wird bestimmt durch LernEreignisse auf allen Ebenen.“ Lern-Ereignisse geschehen auch
durch Miteinandermusizieren – ein verantwortungsvoller
Pädagoge mit Motivationskraft sorgt für solche regelmäßigen
„Interaktionen“. Dadurch wird auch die persönliche Entwicklung
der jungen Musiker nachhaltig geprägt.
Das Nebeneinander verschiedener musikalischer Tätigkeiten ist
nicht immer selbstverständlich gewesen. Im Mittelalter gab es
ausübende Musiker und Musiktheoretiker - aber nie in einer
Person. Später waren Komponisten fast immer auch ausübende
Musiker. Im 18. Jahrhundert trennten sich die verschiedenen
Genres voneinander; im 19. Jahrhundert spielte das
Virtuosentum, das sich nur auf ausübende Künstler bezog, eine
entscheidende Rolle im musikalischen Leben. Im 20. Jahrhundert
schließlich war die Trennung in die Bereiche Komposition,
Interpretation, Musikpädagogik und Musikwissenschaft soweit
vorangeschritten, dass von vier unterschiedlichen Berufen die
Rede sein kann.
Fakt ist jedenfalls, dass bei einem Multitalent eine musikalische
Tätigkeit die andere befruchtet. Das Denken, die Vorstellung eines
Musikwerkes, sei es ein bereits geschaffenes oder ein noch zu
schaffendes, wird aus verschiedenen Perspektiven möglich.
In der Musikgeschichte gibt es schöne Beispiele dafür, denen wir
uns nun zuwenden möchten.
So hat Antonín Dvořák, der ein tüchtiger Bratscher war, die
Bratschen in seinen Orchestersätzen und Kammermusikwerken
weit weniger stiefmütterlich behandelt als andere Komponisten.
Als eine absolute Ausnahmeerscheinung fällt Hector Berlioz auf,
der zwar als Chorist tätig war, aber kein Instrument spielte.
Ausgerechnet er galt als der Klangfarbenspezialist, der mit seiner
„Abhandlung über Instrumentation und Orchestrierung“
Maßstäbe setzte. Er hat eben nicht – wie die meisten Komponisten
– vom Klavier her gedacht, einen Klaviersatz instrumentiert,
sondern direkt die Klangfarbe mitkomponiert, ohne ein eigenes
Lieblingsinstrument zu bevorzugen.
Begabungsvielfalt als Anlass und deren konsequente Ausübung
auf einheitlich hohem Niveau war und ist im Musikerberuf die
bewunderte Ausnahme. Bei den Organisten-Komponisten denkt
man an Johann Sebastian Bach, Anton Bruckner und CharlesMarie Widor, bei den Pianisten-Komponisten an Wolfgang
Amadeus Mozart, der aber ebenso gut Violine spielte, dann an
Ludwig van Beethoven, Béla Bartók, Dmitri Schostakowitsch und
natürlich an die komponierenden Virtuosen Frédéric Chopin und
Franz Liszt.
Viele Mehrfachbegabungen beschränken sich früher oder später
auf einen Bereich, wie Paul Klee, der bereits als Zehnjähriger im
Berner Stadtorchester geigte, um sich später auf Malerei und
Grafik festzulegen. Oder sie werden im Rückblick nachfolgender
Generationen auf eine ihrer Qualitäten reduziert, nämlich auf die,
welche den nachhaltigsten Einfluss auf die Weiterentwicklung des
Genres hatte - so passiert bei E.T.A. Hoffmann, der nicht nur
Schriftsteller, sondern auch Komponist, Zeichner und ganz
nebenbei Jurist war. Doch seine „Lebens-Ansichten des Katers
Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters
Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern“ hatten einen
solch großen Einfluss auf die Literatur: auf Balzac, Dickens,
Baudelaire, Poe und Kafka, dass seine braven, aber nicht
innovativen Kompositionen darüber fast vergessen wurden oder
aber umgekehrt – wegen der Bedeutung des Autors Ernst
Theodor Amadeus Hoffmann nicht vergessen worden sind.
In die Reihe der Simultan-Musiker passt auch bestens Serge
Rachmaninoff. Zusätzlich zu seiner Klavierausbildung widmete er
sich schon als Teenager dem Komponieren – einer Tätigkeit, die
ihn später aus einer großen Lebenskrise retten sollte. Auch als
Dirigent trat Rachmaninoff immer wieder auf. Übrigens war das
Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op. 15 von Ludwig van Beethoven –
wir hören es heute Vormittag - das einzige der fünf
Klavierkonzerte, das Rachmaninoff öffentlich spielte. Er
vergötterte dieses Werk geradezu.
Über Leonard Bernstein hieß es, er sei „Der beste Komponist
unter den Dirigenten, der beste Pianist unter den
Komponisten…“. Unter dieser Beurteilung litt er. Schließlich
bedeutet sie eine Einschränkung.
Und er selbst sagte:
„Alles, was ich tue – Komponieren, Dirigieren, Klavierspielen – ,
bedeutet den Versuch, meine Gefühle und Gedanken über Musik
mit anderen Menschen zu teilen.“ In einem Konzert für junge
Zuhörer erläuterte er seine Geistesverwandtschaft zu Gustav
Mahler: „Manche meinen, Mahler habe besser dirigiert als
komponiert. Ein Dirigent habe zu sehr die Musik anderer im
Kopf, als dass er etwas Eigenständiges schreiben könne. Ich bin
da ganz anderer Meinung. Mahlers Musik ist fantastisch und
durchaus eigenständig. Natürlich ist es nicht leicht, gleichzeitig
Dirigent und Komponist zu sein. Ich sollte es wissen, denn ich
habe das gleiche Problem, und das ist einer der Gründe dafür,
warum ich Mahler mag. Es ist so, als seien zwei Menschen in
einem einzigen Körper gefangen. Der eine ist Dirigent und der
andere Komponist. Und beide sind eine Person namens Mahler
oder Bernstein. Man fühlt sich wie ein Doppelmensch.“ Zitat
Ende.
Weil sich nicht jeder als Doppelmensch wohl fühlt, satteln viele
Musiker im Laufe ihrer Karriere um: Bruckner war lange Zeit
ein gefeierter Organist, bevor er erst mit Ende 30 ernsthaft zu
komponieren begann. Matthias Rexroth, um in der Gegenwart
anzukommen, hat Oboe studiert, bevor er als Countertenor zum
Star avancierte. Als Hornist begann Klaus Florian Vogt, der jetzt
vor allem als Lohengrin ein umjubelter Heldentenor ist.
Manche fahren zunächst zweigleisig, wie Julia Fischer, die zwar
fast ausschließlich als Geigerin konzertiert, aber ebenfalls
ausgebildete Pianistin ist - und davon mit Sicherheit auch als
Geigerin profitiert, weil sie von Anfang an das harmonische
Verständnis und die orchestrale Klangvorstellung mitbringt.
Zudem gibt es einige Sänger und Instrumentalisten, welche
dirigieren. Manche sind darunter, die umschwenken, weil die
Geschmeidigkeit ihrer Stimme nachlässt oder ihre technischen
Fertigkeiten auf dem Instrument nachlassen. Böse Zungen sagen
auch, sie seien schlicht zu faul zu üben.
Es gibt allerdings auch solche, die sich einen Spaß aus dem
Dirigieren machen, wie der Jazzvokalist Bobby McFerrin. Er
wurde von einem Kritiker als „der einarmige Bandit unter den
Dirigenten“ bezeichnet, nachdem er - mit dem linken Arm auf
dem Rücken und dem Dirigentenstab neckisch in die Rastalocken
gesteckt – Felix Mendelssohn Bartholdys „Italienische Sinfonie“
dem Münchner Rundfunkorchester überlassen hatte, um
gelegentlich auf deren Aktionen zu reagieren – statt zu dirigieren.
Dennoch
wird
im
renommiertesten
deutschsprachigen
Musiklexikon: „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“, kurz
MGG, Bobby McFerrin als Jazzsänger und Dirigent bezeichnet.
Weit mehr verdient hat den „Doppelstatus“ Trevor Pinnock, der
zwölf Jahre nach seinem Debüt als Cembalist seine Aktivitäten
mehr und mehr auf das Dirigieren verlagerte, sich allerdings auf
das Repertoire bis einschließlich der Wiener Klassik beschränkt.
In die Cembalist-plus-Dirigent-Schublade gehören auch Ton
Koopman und Gustav Leonhardt.
Die Liste der dirigierenden Pianisten ist weit länger. Alphabetisch
angefangen bei Vladimir Ashkenazy, gefolgt von Daniel
Barenboim, welcher der Tradition des 19. Jahrhunderts folgend
einer der wenigen vom Konzertflügel aus dirigierenden Pianisten
ist, in einer Doppelrolle, in der wir heute auch Frank Düpree
erleben. Barenboim lebt den Spagat zwischen Dirigieren und
Klavierspielen und ist ungeheuer produktiv. Bei seinen
Klavierinterpretationen wird seine orchestrale Klangvorstellung
deutlich – er sieht, hört und gestaltet Klavierwerke mit
„Orchesterfarben“. Kritisch äußerte sich mir gegenüber sein
Schwiegervater Dmitri Baschkirov, selbst ein renommierter
Konzertpianist, über das Verhältnis von Quantität zu Qualität:
„Daniel sollte weniger Stücke und diese intensiver vorbereiten, er
spielt zu viele.“
Wenn man dann alphabethisch fortfährt, kommt man zu
Christoph Eschenbach bis Christian Zacharias.
Wie steht es um die Multi-Instrumentalisten und zwar jene, die
nicht nur zwei oder mehr Instrumente beherrschen, sondern sich
auch auf die Konzertbühne wagen? Bis auf die bereits erwähnte
Julia Fischer wäre da noch Kolja Lessing zu nennen, der überdies
ein ausgefallenes Repertoire pflegt: von Georg Philipp Telemanns
Violinfantasien bis zum Klavierwerk von Wladimir Vogel.
Im Jazz gibt es die Mehrfachinstrumentalisten öfter, meist mit
nahe liegenden Kombinationen wie Klarinette und Saxophon oder
Trompete und Flügelhorn.
Klavier und Schlagzeug – wie Frank Düpree das praktiziert - ist
aber auch im Jazz eine seltene Verbindung. Gerade mal zwei der
ganz Bekannten sind es, die zunächst klassisches Klavier
studierten und später als Schlagzeuger in Jazzbands spielten:
Jack DeJohnette und Art Blakey.
Kenny Clarke begann im Kindesalter mit Klavier und Orgelspiel,
um dann ebenfalls Jazz-Schlagzeuger zu werden. Ihm wird ein
bedenkenswerter Satz über Dirigenten nachgesagt: „Die meisten
Dirigenten werden uralt, weil ihre Tätigkeit eine sehr gesunde
Mischung von regelmäßiger Gymnastik mit uneingeschränkter
Autorität ist.“
Ob das stimmt? Die „uneingeschränkte Autorität“, die darf man
getrost bezweifeln. „Doppelmensch Bernstein“, der ja als
Komponist, Dirigent und Pianist eigentlich ein Tripelmensch war,
sah sich vor einem Konzert der New Yorker Philharmoniker zu
einer Ansprache genötigt: „Keine Angst, Mister Gould ist hier. Er
wird gleich auftreten…. Sie werden eine, man könnte sagen,
einigermaßen unorthodoxe Aufführung von Brahms d-mollKonzert hören - eine Aufführung, die sich deutlich von allem
unterscheidet, was ich je gehört habe oder was ich mir je auf
diesem Gebiet erträumt habe, deren Tempi ungewöhnlich breit
sind und die regelmäßig von Brahms´dynamischen Anweisungen
abweicht. Ich kann nicht sagen, dass ich mit Mister Goulds
Konzept vollkommen einverstanden bin, was die interessante
Frage aufwirft: Warum dirigiere ich das überhaupt? Ich
dirigiere es, weil Mister Gould ein wirklicher, ein ernsthafter
Künstler ist, so dass ich alle seine Ideen, die er in bester Absicht
entwickelt, ernst nehmen muss. Und sein Konzept ist so
interessant, dass ich denke, Sie sollten es sich anhören.“
Einheitlich hohes Niveau bei verschiedenen musikalischen
Gebieten zu erreichen und dauerhaft zu halten ist ein
anstrengendes Unterfangen, meine Damen und Herren! Die
Gefahr der Zerstreuung, des permanenten Springens von einer
musikalischen Tätigkeit in die andere kann innerhalb der
geliebten Musik zu einer Art Heimatlosigkeit führen – kann, muss
aber nicht! Es kann auch der innere Wunsch, ja künstlerische
Drang motivierend wirken, sich in mehreren musikalischen
Genres zu beweisen. Dabei muss allerdings die „innere
Qualitätskontrolle“ des Musikers jederzeit wirksam sein!
Unserem Preisträger Frank Düpree, einem „Quadrupelkünstler“,
wünsche ich, dass er nicht nur die „Einzelhaft am Klavier“ pflegt
oder im eigenen Saft schmort, sondern sich auch mit
Streitgesprächen, Überzeugungsarbeit und Charme für sein
Konzept einsetzt, egal ob als Pianist, Dirigent, Komponist oder
Schlagzeuger.
Sollte er aber bei kritischer Bilanzierung merken, dass es besser
wäre, sich auf einen Bereich zu beschränken, um dort Optimales
zu leisten, zum Beispiel wenn im professionellen Leben in diesem
Bereich die meisten Aufgaben auf ihn zukommen, dann sollte er
sich darauf konzentrieren.
Auch für ein ausschließliches musikalisches Gebiet gilt Robert
Schumanns Feststellung aus den „Musikalischen Haus- und
Lebensregeln“: „Es ist des Lernens kein Ende.“ Langeweile wird
bei dem nachschaffenden Musiker nie aufkommen; dazu ist der
im Lauf der Jahrhunderte geschaffene musikalische Kosmos zu
gigantisch groß und verschiedenartig!! Und als Komponist macht
man wirklich alles selbst, muss aus seiner eigenen Energie
schöpfen und seinen eigenen ästhetischen Postulaten entsprechend
Neues schaffen.
Oder Frank Düpree betreibt das, was er im professionellen
Musikerleben – und ich zweifle keine Sekunde, dass er diesen
Beruf ergreifen wird – zurückstellen oder gar einstellen muss, nur
zu seinem Privatvergnügen.
Bisher war unser Preisträger nie in der Gefahr, das angestrebte
hohe Niveau zu verlassen. Er weiß genau, dass von fröhlichem
Dilettantismus auf der Konzertbühne grundsätzlich abzuraten ist.
Es ist nämlich nicht so, dass der gute Ruf, den ein Musiker in
einem Bereich genießt, auf andere Tätigkeiten unbedingt positiv
abfärbt – sondern eher umgekehrt:
Ein guter Ruf ist schnell „verspielt“. Falls es Frank Düpree
gelingt, weiter auf so hohem Niveau seine verschiedenen
Begabungen zu pflegen, dann gehört er zu den wenigen
bewunderten Ausnahmen. Die Unterstützung durch Hans Zender
im Dirigieren, Ursula Euteneuer-Rohrer in der Komposition,
Manfred Rohrer im Schlagzeug und durch mich im Klavier ist
ihm sicher. Auf jeden Fall wünsche ich ihm, dass er weiterhin das
Podium und das Studier- und Übezimmer als sein Zuhause
betrachtet.
Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, danke ich fürs
Zuhören!
Sontraud Speidel
21. September 2008, 11 Uhr,
Lustgartenhalle Karlsruhe-Hohenwettersbach
Anlässlich der Verleihung des Musikförderförderpreises 2008 des
Kulturfonds Baden e.V. an FRANK DÜPREE
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