Vom Kinobetreiber zum Filmtheater-Intendanten?!

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Vom Kinobetreiber zum Filmtheater-Intendanten?!
Für Unternehmer in der Kinobranche hat sich seit langer Zeit der Begriff "Kinobetreiber"
eingebürgert. Kaum jemanden stört das. Im Zusammenhang mit dem digitalen Kino wurde die
Befürchtung geäußert, es könne zu einer Degradierung zum Facility-Manager kommen. Im
Vergleich zum gängigen Begriff klingt das fast schon nach Beförderung.
Während Filmproduzenten und Regisseure mit den Stars auf Du sind und überall, wo sie
auftreten, Aufsehen erregen, fristet das Kino ein Mauerblümchendasein. Filmproduzenten
werden von den Förderern hofiert und sind der Glanz auf jeder Party. Die wichtigsten
Filmverleiher gehören mächtigen Konzernen an, haben gute Beziehungen zu den Medien und
reisen um die Welt, um ihr Produkt zu vermarkten. Der Kinobetreiber hingegen ist der glanzlose
Einzelhändler, der sich mit dem Publikum herumärgert und Popcorn aus den Sälen fegt. Als
letztes Glied in der Wertschöpfungskette Film kann der Kino-Unternehmer den geringsten Glanz
für sich in Anspruch nehmen. Läuft ein Film gut, liegt es an der guten Arbeit der
Filmproduzenten und der exzellenten Vermarktung der Verleiher. Ist ein Film ein Flop, wird die
Schuld dem schwachen Einsatz und dem fehlenden Engagement der Kinounternehmer
zugeschrieben.
Idealbild des Intendanten
Kinounternehmer werden chronisch unterschätzt. Im Idealfall ist der Kinounternehmer eine
öffentlich bekannte Persönlichkeit. Die letzten Jahre haben die Nachteile des zentral gesteuerten
Filialisten-Konzeptes in der lokalen Vermarktung deutlich werden lassen. Es mangelt an der
Integration der Verantwortlichen in das soziale und gesellschaftliche Umfeld vor Ort.
Inhabergeführte Unternehmen realisieren in der Regel eine deutlich höhere Ausschöpfung eines
bestehenden Besucherpotentials. Sie tun das vor allem durch eine bessere Auswertung der sog.
Mittelware, das sind Filme, die das Publikum zwar sehen kann, aber kein "Muss" sind. Warum
ist das so? Zunächst ist es seine besondere Agilität, die aus der unternehmerischen
Verantwortung entsteht. Der Independent hat die Bank in seinem Rücken, weshalb er dem Ort
des Geschehens, der Ursache seines Schuldenberges besondere Aufmerksamkeit widmet. Er
steht regelmäßig abends in seinem Kino am Einlaß, er pflegt den Kontakt zu seinem Publikum.
Er sorgt dafür, dass über die neuen Filme entsprechende Informationen in seinem Haus zu
finden sind. Er bestimmt den Einsatz der Trailer nicht nach den Wünschen der Verleiher, von
denen er sich nicht wie z.T. neuerdings angeboten, das Trailering bezahlen lässt. Er entscheidet
über den Einsatz nach der Zusammensetzung und den Bedürfnissen seines Publikums. Der
Intendant sammelt Email-Adressen und erstellt einen funktionierenden Newsletter. Der
Intendant erfasst die Postleitzahlen seiner Kunden, um ggfs. Lücken in der Ansprache und der
Werbung festzustellen. Der Intendant erstellt Nutzerprofile seiner Kunden und erarbeitet ein
entsprechendes Marketing. Und: er reagiert sofort, wenn Probleme oder Missstände auftauchen.
Neben dem Produkt Film steht das Produkt Kino, also Ambiente und Ausstattung. Selbst
Kleinigkeiten wie die Musikauswahl im Foyer oder im Saal darf nicht zufällig sein oder den
Vorlieben eines Mitarbeiters überlassen werden.
Neben unternehmerischen Handwerkszeugen sind es letztlich aber andere Aspekte, die vom
Mittelmaß abheben. Der Filmtheater-Intendant muss ein hohes Maß an kommunikativen
Fähigkeiten besitzen. Denn der einzelne Film kommt oft genug als zunächst unbestimmte Ware
in sein Haus. Deshalb muß er die Zielgruppen bestimmen und auf geeignetem Weg ansprechen.
Dazu gehört die Fähigkeit, in seinem sozialen Umfeld die Meinungsführer zu kennen und den
Impuls für einen Kinobesuch auszulösen. Das vielfältige Beziehungsgeflecht zwischen
Lokalpolitik, Medienpartnern, Schulen, Unternehmen, städtischen Einrichtungen und den
einzelnen Publikumssegementen muß er wie eine Klaviatur zu spielen verstehen. Die wohl
wichtigsten Aufgaben des Intendanten sind demnach die der Werbung, der Publikumsansprache
und der Öffentlichkeitsarbeit. Der Intendant darf kein Filmkenner ohne Sendungsbewusstsein
sein. Ein guter Intendant hat immer mehr Ideen als er umsetzen kann. Über seine Filme reden
und die Vermittlung der Faszination der Bilder muß ihm ein inneres Bedürfnis sein. Kein Film, zu
dem ihm nicht eine Idee für die geschickte Vermarktung einfällt, kein Publikum, welches er nicht
anzusprechen weiß. Das wohl effektivste Werbemittel ist die Mundpropaganda. Diese
auszulösen, ist die große Kunst des Intendanten.
Die Programmpolitik hat er als Intendant seines Hauses zu verantworten, zu vermarkten und zu
leben. Der Intendant steht für die Qualität der Ware und die Qualität der Vermarktung ein. Sein
Publikum vertraut ihm. Wenn er einen Film zeigt, dann ist der sehenswert. Der Intendant erklärt
dem Publikum auch warum. Dem Image seines Kinos schadet derjenige, der sehenden Auges
dem Publikum beliebigen Schrott anbietet. Die Programmhoheit liegt allein beim Intendanten.
Ausüben kann er diese Hoheit nur dann, wenn er filmische Kompetenzen erworben hat und
permanent pflegt. Diese fachliche Kompetenz ist nie angeboren, sondern irgendwann im
Werdegang der Person erworben worden. Damit anzufangen ist immer möglich.
Großer Professionalisierungsbedarf
Viele Programmhefte und Flyer, noch mehr Internet-Auftritte und Anzeigen erfüllen MarketingExperten mit tiefer Trauer. Das durch Unkenntnis und fehlende Phantasie erzeugte Dilettieren in
dem Marketingauftritt vieler Kinos ist auf dem gleichen Niveau angesiedelt wie die vielfach im
Kino gezeigte Ortswerbung. Hier werden wöchentlich Chancen vergeben, das Publikum
angemessen anzusprechen: Viele Werbemittel zeigen eine visuelle Qualität, die nicht vermuten
läßt, dass hier die Krönung des bewegten Bildes als Triebfeder allen Mühens steht.
Unsere Beratungspraxis führt uns immer wieder zu Betreibern, die einen Teil ihrer Erfüllung darin
finden, ein paar Euro zu sparen, wenn sie selbst im Großmarkt bestimmte Produkte für ihr Kino
einkaufen. Andere vertiefen sich in die Perfektionierung ihrer Buchhaltung oder das
Herauskitzeln der allerletzten Tonqualitätsreserven. Sollen sie aber eine Idee für eine
Filmpremiere entwickeln oder eine Publikumsansprache anlässlich einer großen Verlosungsaktion
halten, fehlen wichtige kommunikative Kompetenzen.
Statt einer die Unternehmen lähmenden Fortbildung zur Sicherheitsfachkraft, die schon
schildbürgerähnliche Züge trägt, sollte für alle Unternehmen eine Verpflichtung zur Schulung
von professionellem Marketing bestehen. Statt pausenloser Änderungen in steuerrechtlichen
und Sozialversicherungsfragen sollten Hilfestellungen für die Professionalisierung in einem
anspruchsvollen Beruf gegeben werden.
Das Kino muß in alle kulturellen und gesellschaftlichen Prozesse einer Kommune eingebunden
sein. Film ist - auch wenn es nicht immer den Anschein hat - ein kulturelles Gut. Ein guter KinoIntendant zu sein heißt demnach: Film zu lieben, kenntnisreich und enthusiastisch pausenlos
darüber mit anderen kommunizieren.
Nichts geschieht von allein. Der Aufbau eines Beziehungsgeflechtes, die Präsentation der
eigenen Person und der Produkte, für das das Filmtheater steht, das Auftreten in der
Öffentlichkeit, das professionelle Out-Fit in Wort, Schrift und Bild: all dies erfordert
Lernbereitschaft und entsprechende Lernangebote. Nur dann, vielleicht, wird's auch was mit den
200 Millionen!
Abspann
Jean-Jaques Schpoliansky betreibt das kleine, aber feine Kino Balzac in einer Seitenstraße der
Champs Elysées in Paris. Nach dem Erfolg gefragt, antwortet er charmant: „Ich liebe gute Filme.
Ich bin 365 Tage im Jahr in meinem Kino. Ich spreche vor jedem Film zu meinem Publikum und
verkaufe im Foyer den selbstgebackenen Kuchen meiner Frau. Le cinema – cést moi. Das Kino,
das bin ich.“
Kim Ludolf Koch / Thomas Pintzke
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