Vorlesung Elektrizitätswirtschaft TU Clausthal Kapitel 6 Stromhandel Inhalt Dr. Klaus-Dieter Maubach 6.1 Einführung in den Stromhandel 6.2 Funktionsweise des Stromhandels 6.3 Strombörsen 6.4 Handel mit Emissionsberechtigungen 6.1 Einführung in den Stromhandel Überblick Wie jedes Handelsgeschäft findet der Stromhandel statt, um Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen. Die technisch erzwungene Zeitgleichheit von Erzeugung und Verbrauch sowie die hohe Komplexität der Vorgänge sind natürliche Beschränkungen eines Handelsgeschäftes, das früher vorrangig dem kurzfristigen Stromaustausch zwischen Verbundunternehmen, der Kraftwerksauslastung und der Absatzsicherung diente. Die Liberalisierung der Energiemärkte, das Unbundling und die Entwicklung von Strombörsen haben den Stromhandel in den letzten Jahren zu einem kaufmännisch wesentlich komplizierteren Geschäft gemacht, das einer dynamischen Entwicklung unterliegt. In diesem Geschäft steht vielfach die reale Erfüllung hinter anderen Handelsfunktionen, z.B. der Preissicherung, zurück. Literatur: L. Müller: „Handbuch der Elektrizitätswirtschaft“, 2. Auflage, Springer Verlag 2001, S. 408 2 6.1 Einführung in den Stromhandel Motive für Stromhandel • Hauptmotive: a) Optimierung der Beschaffung des Vertriebsbedarfes (Vertriebshandel) b) Vermarktung von Kraftwerksleistung c) Ausnutzen der vorhandenen Marktmöglichkeiten • Nebenaspekte: a) Aufbau von Know-how in einem sich verändernden Marktumfeld (Wettbewerbsvorteil) b) Verkauf der Stromhandelskompetenz als Dienstleistung 3 6.1 Einführung in den Stromhandel Preisbildungsmechanismus an Märkten Idealtypisch bildet der Preis an einem vollkommenen Markt die Ausgleichsfunktion zwischen Angebot und Nachfrage. Dargestellt ist: • Angebotsmenge steigt bei steigenden Preisen • Nachfragemenge sinkt bei steigenden Preisen • beim Gleichgewichtspreis (gestrichelt) gilt: Angebotsmenge = Nachfragemenge Preis Nachfrage Angebot Marktpreis Menge 4 6.1 Einführung in den Stromhandel Preisvolatilität Preise können sich... • kurz- oder langfristig... • stark oder nur geringfügig... ändern AMJ J A SOND J FM 160 % Je kurzfristiger und stärker die Preisänderungen sind, desto volatiler ist der Preis der entsprechenden Ware 140 % Aktien- und Devisenkurse verdeutlichen unterschiedliche Volatilitäten. Produkte an Warenbörsen weisen analog unterschiedliche Volatilitäten auf 100 % NEMAX 50 120 % EUR 80 % DAX 60 % 5 6.1 Einführung in den Stromhandel Handel mit volatilen Produkten Handelsmotive an volatilen Märkten sind: • Spekulation: Nutzung zeitlicher Preisentwicklungen • Arbitrage: Nutzung räumliche Preisdifferenzen • Hedge: Ziel der Preissicherung Spekulations- und Arbitragegeschäfte werden durch Händler getätigt. International haben diese Motive im Stromhandel der Energiewirtschaft eine erhebliche Bedeutung. Perspektivisch ist eine ähnliche Entwicklung in Deutschland möglich. Im Folgenden soll aber nur das für den deutschen Stromhandel im energiewirtschaftlichen Sinne relevante Motiv der Preissicherung weiter betrachtet werden. Die Betrachtung erfolgt wechselseitig aus Sicht eines Anbieters, hier Generation Portfolio Manager (GPM) bzw. eines Nachfragers, hier Sales Portfolio Managers (SPM). 6 6.1 Einführung in den Stromhandel Preissicherung am Beispiel von Grenzkosten Grenzkosten in €/MWh Angebot Nachfrage =f (t) Wasser Kernenergie Steinkohle Braunkohle Gas Speicher Menge In der Stromerzeugung müssen mindestens die energieträgerabhängigen Grenzkosten je Kraftwerkstyp erlöst werden. Andernfalls ist selbst der kurzfristige Betrieb unwirtschaftlich. Diese Preise sind aus Erzeugerperspektive zu sichern. 7 6.1 Einführung in den Stromhandel Preisbildung aus Vollkostenperspektive Vollkosten in €/MWh Angebot Nachfrage =f (t) Wasser Kernenergie Steinkohle Braunkohle Gas Speicher Menge Langfristig ist die Erzeugung zu Grenzkosten unrentabel. Der Generation Portfolio Manager muss versuchen, am Markt die Vollkosten und die gewünschte Rendite zu erlösen und zu sichern. Die Verschiebung der Angebotskurve ist oben schematisch gezeigt. 8 6.1 Einführung in den Stromhandel Preissicherungsmechanismen Preissicherung in Handelsgeschäften erfolgt über: Spotmarkt: • Handel für Erfüllung nächster Tag/die nächsten Tage (Optimierungshandel) • Erfüllung generell durch physische Lieferung Terminmarkt: • Handel für Erfüllung in zukünftigen Perioden (spekulativer Handel oder Instrument zur Preissicherung) • Erfüllung physisch oder finanziell • Handelsplatz auch für Teilnehmer ohne Interesse an der Ware Optionsgeschäfte: • Recht, zu einem festgelegten Zeitpunkt und zu einem vorher festgelegten Preis ein Handelsgeschäft durchführen zu können 9 6.1 Einführung in den Stromhandel Preissicherungsmechanismen Definition Call Option Der Käufer eines Calls hat das Recht, aber nicht die Pflicht, • gegen Zahlung einer Optionsprämie • eine bestimmte Menge Strom • innerhalb eines bestimmten Zeitraums • zu einem vorab definierten Preis (strike) • vom Verkäufer des Calls zu kaufen Der Verkäufer eines Calls (Stillhalter) hat umgekehrt die Pflicht, bei Ausübung des Optionsrechts durch den Käufer, • eine bestimmte Menge Strom • innerhalb eines bestimmten Zeitraums • zu einem vorab vereinbarten Preis zu verkaufen Fazit: Der Käufer schützt sich gegen steigende Preise und wahrt gleichzeitig die Chance, an fallenden Preisen zu partizipieren 10 6.1 Einführung in den Stromhandel Preissicherungsmechanismen Visualisierung einer Kaufoption (Call) Das Beispiel zeigt, wie ein Sales Portfolio Manager (SPM) sich über einen Basispreis von 21 €/MWh und einen Optionspreis von 2 €/MWh maximal 23 €/MWh Kosten sichert (gepunktet = Gewinn, schraffiert = verminderter Verlust, grau = auf Optionspreis begrenzte Kosten). 21 €/MWh (Basispreis Option) 23 €/MWh Gewinn ggü. Marktpreis in €/MWh Optionspreis (2 €/MWh) Käufer übt Option nicht aus und kauft zum Marktpreis Marktpreis Käufer übt Option aus und kauft zum Basispreis 11 6.1 Einführung in den Stromhandel Preissicherungsmechanismen Definition Put Option Der Käufer eines Puts hat das Recht, aber nicht die Pflicht, • gegen Zahlung einer Optionsprämie • eine bestimmte Menge Strom • innerhalb eines bestimmten Zeitraums • zu einem vorab definierten Preis • dem Verkäufer des Puts zu verkaufen Der Verkäufer eines Puts hat umgekehrt die Pflicht, bei Ausübung des Optionsrechts durch den Käufer, • eine bestimmte Menge Strom • innerhalb eines bestimmten Zeitraums • zu einem vorab vereinbarten Preis zu kaufen Fazit: Der Käufer schützt sich gegen fallende Preise und wahrt gleichzeitig die Chance, an steigenden Preisen zu partizipieren 12 6.1 Einführung in den Stromhandel Preissicherungsmechanismen Visualisierung einer Verkaufsoption (Put) Das Beispiel zeigt, wie ein Generation Portfolio Manager (GPM) sich über einen Basispreis von 25 €/MWh und einen Optionspreis von 2 €/MWh mindestens 23 €/MWh Erlös sichert (gepunktet = Gewinn, schraffiert = verminderter Verlust, grau = auf Optionspreis begrenzte Kosten) 23 €/MWh Gewinn ggü. Marktpreis in €/MWh Optionspreis (2 €/MWh) Käufer übt Option aus und verkauft zum Basispreis 25 €/MWh (Basispreis Option) Marktpreis Käufer übt Option nicht aus und verkauft zum Marktpreis 13 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Bedeutung von Prognoseverfahren GPM und SPM setzen komplexe Prognoseverfahren ein, um wichtige Informationen zu erhalten: • Der Generation Portfolio Manager prognostiziert Preisentwicklungen, um sinnvolle Kraftwerkslaufzeiten abschätzen zu können (obere Grafik) • Der Sales Portfolio Manager prognostiziert Lastgänge, um Einkaufsmengen festlegen zu können (untere Grafik) €/MWh 40 20 0 0 4 8 12 16 20 24 4 8 12 16 20 24 h MW 400 200 0 0 h 14 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Zerlegung des Lastgangs Zur Beschreibung des Lastgangs aus Sicht des SPM, der diesen Lastgang zu bedienen hat, werden folgende Begriffe genutzt und auf der Folgeseite visualisiert: • Base load: • Peak load: • Off-peak load: • Single hours: • Short: • Long: Täglich, 0 - 24h Mo - Fr, 8 - 20h, auch feiertags Mo - Fr 0 - 8h und 20 – 24h, Sa, So Mengen für Einzelstunden (im Diagramm nicht dargestellt) Der SPM hat weniger Leistung eingekauft, als er gemäß prognostiziertem Lastgang bedienen muss. Zu diesen Zeiten ist er deshalb ‚short‘ Der SPM hat mehr Leistung eingekauft, als er gemäß prognostiziertem Lastgang bedienen muss. Er ist deshalb ‚long‘. 15 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Zerlegung des Lastgangs Visualisierung der Begriffe MW t Montag Bedarf Dienstag Mittwoch Donnerstag Base Peak Quelle: Chrsitian Bogatu: „Portfolio-Management von Stromversorgungsverträgen“ / Handout-Internet-Version, TU Berlin, Fachgebiet Energiesysteme, Berlin 2001 (Abbildung leicht modifiziert) Freitag Samstag „short“ Sonntag „long“ 16 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Zerlegung des Lastgangs Nachfahren über Single-hours Wird der Lastgang durch den SPM nur sehr grob nachgefahren, so muss teure Regelenergie vom ÜNB bezogen (short-Zeiten) oder - gering vergütet - an ihn abgegeben werden (long-Zeiten). Es ist deshalb aus Sicht des SPM möglich, über Spotgeschäfte (single hours) den Lastgang noch wesentlich genauer nachzufahren. Er kauft dann während der prognostizierten short-Zeiten Leistung zu. In seinen long-Zeiten wird er zum Verkäufer und verkauft die Energie. Das nachfolgende Diagramm veranschaulicht, wie diese Feinabstimmung aussehen könnte. Immer verbleiben aber Zeiten, in denen Regelenergie bezogen oder geliefert wird. Der SPM reduziert diese Zeiträume aber auf ein unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten sinnvolles Maß. 17 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Zerlegung des Lastgangs Visualisierung der Single-hours MW t Montag Bedarf Base Peak „short“ „long“ Single hour K Single hour VK Quelle: Chrsitian Bogatu: „Portfolio-Management von Stromversorgungsverträgen“ / Handout-Internet-Version, TU Berlin, Fachgebiet Energiesysteme, Berlin 2001 (Abbildung leicht modifiziert) 18 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Handelszeiträume Der historisch gewachsene Stromhandel in Deutschland bestand im Wesentlichen aus langfristigen bilateralen und individuellen Verträgen netztechnisch verbundener Unternehmen. Hinzu kamen Kurzfristkontrakte, die zwischen Verbundunternehmen zum Ausgleich von Engpässen und Überkapazitäten geschlossen wurden. Der liberalisierte Strommarkt unterscheidet dagegen: • langfristige Geschäfte: Vollbezug mit individuellen Verträgen • mittelfristige Geschäfte:> 7..10 Tage • kurzfristige Geschäfte: im Wetterprognosezeitraum (< 7...10 Tage) Im Folgenden werden Vollbezugsverträge kurz und danach die beiden anderen Segmente ausführlich betrachtet. Quelle: L. Müller: „Handbuch der Elektrizitätswirtschaft“, 2. Auflage, Springer Verlag 2001, S. 408 19 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Handelszeiträume Langfristige Stromhandelsgeschäfte Bei den langfristigen Stromhandelsgeschäften unterscheidet man zwei Formen über den jeweils vereinbarten Zeitraum: • Vollbezug (Anmerkung: gegenüber dem jeweiligen ÜNB bestehen gesetzlich geregelte Abnahmeverpflichtungen zu anteiligen Einspeisemengen gem. EEG und KWKG) • Bandlieferung / Bandbezug Gründe für langfristige Stromhandelsgeschäfte können sein: • • • • günstige Einkaufskonditionen (aus Sicht des Käufers) langfristige Absatzsicherung (aus Sicht des Verkäufers) Beteiligungsverhältnisse (als Absatzsicherung) Verzicht auf eigenen Kraftwerksbau (z. B. internationale langfristige Geschäfte: Italien verzichtet mit Strombezug aus Frankreich auf eigene Kraftwerksleistung) 20 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Handelszeiträume Kurz- und mittelfristige Stromhandelsgeschäfte Der Fokus der weiteren Betrachtungen liegt auf den kurz- und mittelfristigen Geschäften. Das trägt der folgenden Tatsache Rechnung: • dynamische Marktentwicklung: Im Zuge der Liberalisierung des Strommarktes nehmen Handelsvolumen und Anzahl der Handelsgeschäfte derzeit deutlich zu • Aufbau von Handelsplätzen: Der dynamischen Marktentwicklung trägt der Aufbau zentraler Handelsplätze (Strombörsen) Rechnung • Referenzpreisbildung: Die Preise für die an Strombörsen gehandelten Mengen haben auch für OTC-Geschäfte (OTC = ‚over the counter‘, also bilaterale Geschäfte) Referenzpreisfunktion und damit einen entscheidenden Einfluss auch auf den außerbörslichen Stromhandel Diese kurz- und mittelfristigen Handelsgeschäfte werden im Folgenden verkürzt als ‚Stromhandel‘ bezeichnet 21 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Gliederungskriterien des Stromhandels Stromhandelsgeschäfte lassen sich nach verschiedenen Kriterien strukturieren: • nach Fristigkeit (Spotgeschäfte/Termingeschäfte/Swapgeschäfte) • nach Verbindlichkeit (unbedingte/bedingte Geschäfte) • nach Handelsplatz (Börsengeschäfte/OTC-Geschäfte) Auf diese Kriterien soll im Folgenden einzeln eingegangen werden, weil die Verbindung der Gliederungskriterien für die Produkte oder Formen des Stromhandels eine wichtige Rolle spielt. Quelle: „Grundlagen des Stromhandels“, 1. Ausgabe, VWEW-Verlag, Frankfurt am Main 1998, S.50 ff 22 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Gliederungskriterien des Stromhandels Kriterium 1: Fristigkeiten Stromhandelsgeschäfte Spotgeschäfte Termingeschäfte Spotgeschäfte sind kurzfristige Geschäfte, die sich auf eine oder mehrere Stunden des Folgetages beziehen Termingeschäfte umfassen längere Zeiträume wie Tag, Woche, Monat, Quartal oder Jahr. Swapgeschäfte Kopplung eines Spotmit einem Termingeschäft (Auf Swapgeschäfte wird im Folgenden nicht weiter eingegangen, da es sich um spezielle Finanzgeschäfte handelt). 23 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Gliederungskriterien des Stromhandels Kriterium 2: Verbindlichkeit Stromhandelsgeschäfte Verbindliche Stromhandelsgeschäfte Optionsgeschäfte Verbindliche Stromhandelsgeschäfte, die entweder erfüllt oder glatt gestellt werden Der Käufer einer Option erwirbt das Recht, während der Laufzeit zu entscheiden, ob das Geschäft ausgeführt werden soll Call (Kauf-Option) Käufer darf zum Basispreis Strom kaufen Put (Verkauf-Option) Käufer darf zum Basispreis Strom verkaufen 24 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Gliederungskriterien des Stromhandels Kriterium 3: Handelsplätze Stromhandelsgeschäfte OTC-Geschäfte Börsengeschäfte OTC-Geschäfte sind dezentrale, bilaterale Geschäfte mit individuellen Merkmalen und geringer Transparenz Börsengeschäfte sind zentrale Geschäfte mit Clearingstellen, standardisiert und für den Markt transparent Telefongeschäfte Abwicklung auf telefonischem Wege Internetgeschäfte Zukünftig insbes. in Verbindung mit Clearinghäusern 25 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Absicherung (Hedging) von Preis- und Volumenrisiken Preis z.B. Wetterderivat Preiserwartung „Normales“ Derivat (Future, Option, …) Preisrisiko Preisrealität Umsatz = Volumen x Preis Volumenrisiko Volumen Volumenrealität Volumenerwartung 26 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Zeitliche Entwicklung des Stromhandels Ableitung und Darstellung Aufgrund der gegenwärtigen Situation in Deutschland werden ausschließlich die folgenden Produkte des Stromhandels detaillierter betrachtet: • Forwards • Optionen nicht börsengehandelt • Wetterderivate • Spothandel börsengehandelt • Terminmarkt (z. B. Future) Der Direkthandel (direkter Handel von Spotmengen) läuft derzeit im Wesentlichen telefonisch ab. Mengen und Preise ähneln dem Spothandel (Abschnitt 6.3). Forwards und Optionen haben analoge börsengehandelte Pendants (Future und Börsenoptionen), deren gegenwärtige Bedeutung geringer ist. Auf eine Darstellung dieser und des Swap-Geschäftes wird im Folgenden verzichtet. 27 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Forwards Der Begriff ‚Forward‘ bezeichnet nicht börsengehandelte (also individuelle, nicht standardisierte), verbindliche Warentermingeschäfte. Interessen der Geschäftspartner: • Der Generation Portfolio Manager will sich unabhängig vom volatilen Spotmarkt für bestimmte Mengen und Zeiträume den - möglichst hohen Verkaufspreis sichern. • Der Sales Portfolio Manager will sich marktunabhängig für bestimmte Mengen und Zeiträume einen bestimmten - natürlich möglichst niedrigen Einkaufspreis sichern. Preissicherungsgeschäfte sind insbesondere für große Mengen und längere Zeiträume (Base oder Peak load) interessant, bei denen schon kleine Preisänderungen wirtschaftlich kritisch sein könnten. 28 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Forwards Beispiel: Ein Generation Portfolio Manager (GPM) und ein Sales Portfolio Manager (SPM) schließen folgenden Forward ab: • Lieferzeitraum: Mai 2002 • Base load; Leistung: 200 MW • Preis: 23 €/MWh Das Volumen der Lieferung beträgt: 31 d * 24 h/d * 200 MW = 148.800 MWh Der Preis beträgt dementsprechend: 148.800 MWh * 23 €/MWh = 3.422.400 € Tatsächlich liegt der Spotmarktpreis im Mai nun im Mittel bei 20 €/ MWh. Der GPM hätte also am Spotmarkt 446.400 € Mindererlöse realisiert, die den Kraftwerksbetrieb ggf. unrentabel gemacht hätten. Der SPM zahlt zu viel; die Kosten sind aber durch die Erlöse von seinen Kunden gedeckt (sonst hätte er den Forward nicht abgeschlossen). 29 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Optionen Im Gegensatz zu einem Forward zahlt bei einer Option einer der beiden Vertragspartner dafür, dass er bei Kenntnis des aktuellen Marktpreises entscheiden darf, ob das Geschäft zur Ausführung kommt oder nicht. Es sei angenommen, dass der GPM im vorherigen Beispiel weiterhin 23 €/MWh erlösen muss, und deshalb bei einem Optionspreis von 2 €/MWh einen Put über 23 €/MWh + 2 €/MWh = 25 €/MWh abschließt. Er zahlt also bei Abschluss 148.800 MWh * 2 €/MWh = 297.600 € an den SPM. Da der Marktpreis auf 20 €/MWh fällt, übt er im Mai die Option aus und verkauft für 25 €/MWh an den Verkäufer des Put statt für 20 €/MWh über Spotgeschäfte. Er erhält nach Abzug seines Optionspreises ‚netto‘ wiederum 3.422.400 €. 30 6.2 Funktionsweise des Stromhandels Wetterderivate Über Stromderivate (Forwards, Futures) werden Preissicherungsgeschäfte getätigt. Banken bringen verschiedene Branchen zusammen, die über Wetterderivate beispielsweise Mengensicherungsgeschäfte tätigen wollen. Bei einem derartigen Wetterderivat werden zwei Vertragsparteien zusammengebracht, auf die sich die gleiche Wetteränderung wirtschaftlich entgegengesetzt auswirkt. Beispiel: Abschluss eines Wetterderivates für den Monat September zwischen einer Weinkelterei und einem Independent Power Producer (IPP). Effekt: • bei Kälte ersetzt der Mehrerlös des IPP-Betriebs über einen besseren Spotmarktpreis für den Strom den Mindererlös der Kelterei • in einem warmen September ist es umgekehrt 31 6.3 Strombörsen Strombörsen in Europa ICE APX Power UK APX Power NL OTE Borzen GME Quelle: BDEW/VDEW Stromdaten 2007 32 8.4 6.3 Strombörsen Beispiel Termingeschäfte Skandinavien 90 €/MWh 80 UK Niederlande 70 Deutschland 60 Belgien 50 Frankreich 40 30 20 Jan. Mai Sep. Quelle: EST-TA * Frontjahr Base Jan. Mai Sep. Jan. Mai Sep. Jan. Mai Sep. Jan. Mai Sep. 33 6.3 Strombörsen Strombörsen in Europa Entwicklung der Handelsvolumina* an den europäischen Strombörsen 1400 TWh 1200 1000 800 600 400 200 0 2002 2003 2004 2005 2006 EXAA 1 1 2 2 2 Powernext 3 7 27 82 113 APX 14 19 21 25 29 EEX 144 200 216 346 477 Nord Pool 1143 664 757 962 1016 *Summe aus Future- und Spot-Transaktionen, Clearing nicht berücksichtigt Quelle: Geschäftsbericht EEX 2006 34 6.3 Strombörsen Strombörse in Deutschland Die deutsche Strombörse EEX (Leipzig): Die EEX ist die wichtigste kontinental-europäische Strombörse. Sie ging im Jahr 2002 aus einer Fusion zwischen der LPX Leipzig Power Exchange und der Frankfurter European Energy Exchange hervor. Hauptgeschäftsfelder der EEX sind der Spot- und Terminhandel für Strom, Gas, Emissionsberechtigungen und Kohle. Kennzahlen 2006: - 158 Handelsteilnehmer aus 19 Ländern - Anteilseigner: EUREX Zürich AG (23%), Nord Pool ASA (17%), Landesbank Sachsen (17%), Streubesitz, i.e. Energieversorger/ Stadtwerke (43%) - Umsatzerlöse: 37,8 Mio € Quelle: Geschäftsbericht EEX 2006 35 6.3 Strombörsen Spotmarkt – Produkte Dem Gedanken des idealen Marktes folgend, weisen Börsenprodukte eine hohe Standardisierung auf. Sie sind in unterschiedlichsten Mengen zwischen verschiedenen Marktteilnehmern ohne individuelle Vereinbarungen und damit allein preisorientiert handelbar. Die Einführung von Strombörsen in Deutschland hat erst die Verbändevereinbarung 1999 ermöglicht. An der deutschen Strombörse sind derzeit folgende Spotmarkt - Produkte handelbar: • Baseload (0...24 h), Peakload (8...20 h von Montag bis Freitag), Stundenkontrakte; Stückelung: 1 MW • Blockkontrakte (Standardblocks (Base-, Peak-, Off-Peak1- und OffPeak 2-Load), Specials (6 verschiedene, 4 oder 6 Stunden)); Stückelung 100 MW Stundenkontrakte; Stückelung 0,1 MW 36 6.3 Strombörsen Spotmarkt – Geschäfte Unter dem Begriff ‚Spothandel‘ versteht man kurzfristige, börsengehandelte (also standardisierte) und verbindliche Warengeschäfte. Im Gegensatz zu OTCGeschäften sind sich Käufer und Verkäufer nicht bekannt; die Geschäfte werden mit der Clearingstelle der Börse als Vertragspartner abgewickelt. Börsengeschäfte werden durch die Abgabe von Geboten initiiert. Bei den Geboten für die zuvor genannten Produkte unterscheidet man • preisabhängige Gebote: Ein Geschäft wird nur ausgeführt, wenn der Market Clearing Price (MCP) das Preislimit nicht unter- oder überschreitet. • preisunabhängige Gebote: Geschäfte mit sehr hoher Mengensicherheit, da sie praktisch immer zur Ausführung gelangen. 37 6.3 Strombörsen Spotmarkt – Geschäfte Beispiel Ein Sales Portfolio Manager ist auf Grund eingekaufter Peak load von 17 bis 18 h long. Das bedeutet: Der prognostizierte Absatz an seine Kunden liegt unter der eingekauften Leistung. Er bietet deshalb über die Börse an: • Zeitraum: 17 bis 18 h Folgetag • Leistung I: 20,5 MW • Preis I: preisunabhängig • Leistung II: 9,5 MW • Preis II: 26 €/MWh An der Börse bildet sich ein Gleichgewichtspreis von 24,50 €/MWh für Singlehour-Spothandel des Folgetages. Der SPM erlöst für das erste Gebot 1 h * 20,5 MW * 24,50 €/MWh = 502,25 €. Das zweite Gebot kann er über die Börse nicht verkaufen. 38 6.3 Strombörsen Spotmarkt – Geschäfte Beispiel Da er die Arbeit aber über einen anderen Peak load - Vertrag (z.B. über einen Forward) eingekauft hat, speist er sie ins Netz des ÜNB ein und erlöst damit z.B. 1 h * 9,5 MW * 15 €/MWh =142,50 €. Der SPM erlöst also insgesamt 502,25 € + 142,50 € = 644,75 € für 30 MWh (also im Mittel etwa 21,50 €/MWh). Auch hier findet ein Risikosplitting bei wesentlich kleineren Volumina statt. Hätte er die Gesamtmenge preisunabhängig angeboten, so wäre das in diesem Fall vorteilhaft gewesen (Erlös: 735 €). Hätte er die 30 MWh zu 25 € preisabhängig angeboten, so wäre das Geschäft in diesem Fall nicht ausgeführt worden und er hätte komplett ins ÜNB-Netz gespeist (Erlös in diesem Fall: 450 €). 39 6.3 Strombörsen Preisbildungsmechanismus am Spotmarkt Preis [€/MWh] alle Anbieter verkaufen an alle Nachfrager 28 kein Anbieter verkauft, kein Nachfrager kauft Angebot Market-Clearing-Price (MCP) 25 24 Nachfrage erfolgreich gehandelte Menge E1 Menge E2 Nachfrage (durch Käufer formuliert): „Ich bin bereit, für max. 28 €/MWh die Energiemenge E1 zu kaufen“ Angebot (durch Verkäufer formuliert): „Ich bin bereit, für min. 24 €/MWh die Energiemenge E2 zu verkaufen“ Beide handeln letztlich zum MCP (25 €/MWh)! 40 6.3 Strombörsen Preisbildungsmechanismus am Spotmarkt Sonderformen An einem Spotmarkt können Sonderkonstellationen auftreten. So ist es z.B. denkbar, dass sich kein Gleichgewichtspreis bildet. Gründe: Preis Angebot Nachfrage • Unterhalb eines Grenzpreises gibt es überhaupt kein Angebot. • Oberhalb eines Grenzpreises gibt es überhaupt keine Nachfrage. Menge Preis Nachfrage Voraussetzung in diesem Fall: Es gibt keine preisunabhängigen Gebote. Angebot Menge 41 6.3 Strombörsen Beispiel Entwicklung Spotmarkt EEX 2003-2004 Quelle: www.eex.de EEX 2005-2006 42 6.3 Strombörsen Terminmarkt Unter dem Begriff ‚Terminhandel‘ versteht man langfristige und verbindliche Warengeschäfte unabhängig davon, ob Sie an der Börse gehandelt werden. Produkte: Fahrpläne In der Regel Jahresfahrpläne Standardprodukte Base und Peak in den Zeiträumen Woche, Monat, Quartal und Jahr (Forward) (Forward/Future) Forward - Fokus auf physische Erfüllung Future - Fokus auf finanzielle Erfüllung 43 01 15 .20 .0 05 1 29 .20 .0 05 1 12 .20 .0 05 2 26 .20 .0 05 2 12 .20 .0 05 3 26 .20 .0 05 3 09 .20 .0 05 4 23 .20 .0 05 4 07 .20 .0 05 5 21 .20 .0 05 5 04 .20 .0 05 6 18 .20 .0 05 6 02 .20 .0 05 7 16 .20 .0 05 7 30 .20 .0 05 7 13 .20 .0 05 8 27 .20 .0 05 8 10 .20 .0 05 9 24 .20 .0 05 9 08 .20 .1 05 0 22 .20 .1 05 0 05 .20 .1 05 1 19 .20 .1 05 1 03 .20 .1 05 2 17 .20 .1 05 2 31 .20 .1 05 2 14 .20 .0 05 1 28 .20 .0 06 1 11 .20 .0 06 2 25 .20 .0 06 2 11 .20 .0 06 3 25 .20 .0 06 3 08 .20 .0 06 4 22 .20 .0 06 4 06 .20 .0 06 5 20 .20 .0 06 5 03 .20 .0 06 6. 20 06 01 . 6.3 Strombörsen Beispiel Entwicklung Terminmarkt (EEX 2005-2006) Strompreisentwicklung Base und Peak für 2006/2007 85,00 83,00 81,00 79,00 77,00 75,00 73,00 71,00 69,00 67,00 65,00 63,00 61,00 59,00 57,00 55,00 53,00 51,00 49,00 47,00 45,00 43,00 41,00 39,00 37,00 35,00 33,00 €/MWh Effekt CO2Zertifikate Base 06 Base 07 Peak 06 Peak 07 44 6.3 Strombörsen Perspektiven des Strombörsenhandels Sowohl der Spot- als auch der Terminhandel an den deutschen Strombörsen verzeichnen rasche Zuwächse. Trotzdem bestimmt der OTC-Handel noch ganz überwiegend das Marktgeschehen. Derzeitige Entwicklungsmöglichkeiten sind: • Weiteres deutliches Anwachsen des Strombörsenhandels • Deutliche Zunahme von Spekulanten und Arbitrageuren als Marktteilnehmer • Mittelfristig bleibt jedoch der überwiegende Teil des Gesamtvolumens im Stromhandel beim OTC-Geschäft • Westeuropäische Erzeugungskapazitäten treten in Wettbewerb zu Stromimporten aus osteuropäischen Ländern • Starker Wettbewerb und zunehmende Transparenz führen zu sinkenden Margen und damit zwangsläufig zu Volumensteigerung 45 6.4 Handel mit Emissionsberechtigungen Emission Trading Systems (ETS) Einführung des ETS seit 01.01.2005 nach dem Prinzip „Cap and Trade“: - Die EU bestimmt die Höchstmenge an Zertifikaten pro EU-Mitgliedsstaat. - Auf nationaler Ebene wird die Zuteilung auf die einzelnen Anlagen über einen Nationalen Allokationsplan (NAP) geregelt. - Die Emissionszertifikate werden am Markt gehandelt (teilnehmende Sektoren: Industrie- und Energiewirtschaft) - Festlegung von zunächst 2 Handelsperioden (NAP I 2005-2007; NAP II 20082012) - Die durch den NAP festgelegte Menge an erlaubtem CO2-Austoß wird in jeder Phase reduziert, so dass Einsparungen entstehen. - EEX: - kontinuierlicher Handel (fortlaufend von 9 bis 17 Uhr) - An- und Verkauf von CO2-Futures (Jahresprodukte) - Überwachung in Deutschland durch die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) Quelle: Deutsche Emissionshandelsstelle im Umweltbundesamt, EEX, Eon Energie Intranet 46 6.4 Handel mit Emissionsberechtigungen Zu- und Verkauf von CO2-Zertifikaten Beispiel: Stehen einem Betreiber nicht genügend Berechtigungen zur Verfügung, so kann er seinen Ausstoß durch Einbau klimafreundlicher Technologien verringern (Betreiber Anlage 1) oder Berechtigungen (Betreiber Anlage 2) zukaufen. Anlage 1 2 Start mit bisherigem CO2-Ausstoß 5.000 t 5.000 t verfügbare Zertifikate 4.500 t 4.500 t tatsächlicher CO2-Ausstoß 4.000 t 5.000 t 500 t Verkauf 500 t Zukauf Handel 47 6.4 Handel mit Emissionsberechtigungen Entwicklung des CO2-Preisindex 2004 - 2007 €/t 30 25 20 15 10 offizieller Handelsbeginn 1.1.2005 5 0 Mrz. Jun. Sep. Dez. Mrz. Jun. Sep. Dez. Mrz. Jun. Sep. Dez. Mrz. Jun. Sep. Dez. 2004 2005 CO2 Preis-Index (2007) – NAP-1 phase Quelle: EEX 2006 2007 CO2 Preis-Index (2008) – NAP-2 phase 48 6.4 Handel mit Emissionsberechtigungen Einfluss des CO2-Zertifikate-Handels auf die Stromerzeugungskosten Schätzungen für Zertifikatspreise zwischen 10 – 30 €/t CO2 Erhöhung der Stromerzeugungskosten bei angenommenem Zertifikatspreis von 10 €/t CO2 €/MWh Variable Erzeugungskosten Zertifikatspreis 10 €/t CO2 CO2-Kostenbelastung Variable Brennstoffkosten Kernkraft Braunkohle Steinkohle Erdgas (inkl. Grube) Basis: aktuelle Brennstoffpreise 49