PolitischesBewusstseinpflanzen

Werbung
Politisches Bewusstsein pflanzen
Die Gemeinschaftsgärten von Barcelona
Ein urbaner Garten wächst in Blumentöpfen auf Balkonen und Terrassen, auf
schmalsten Streifen brachliegendem Landes, auf Schulhöfen, auf Flächen,
die von der Stadt zur Verfügung gestellt oder von NachbarInnen geteilt
werden. Alle urbanen GärtnerInnen füllen ungenutzten Raum mit Sinn: sie
bringen die Hortikultur, den Kontakt mit der Erde und das Bewusstsein über
unsere Ernährung in die Stadt. Dabei verwandeln sie den konsumorientierten
Alltag in einen produktiven und ersetzen das Grau des Betondschungels
durch das Grün der Pflanzen.
Doch die Kultivierung Barcelonas beweist, dass diese Palette noch viel
mehr Farben annehmen kann. “Ein urbaner Garten sollte wirklich
gemeinschaftlich sein, ohne Interessen Einzelner. So würden mehr grüne und
öffentliche Plätze entstehen und die Menschen könnten dort anbauen wo sie
wollen und nicht nur auf dem Land”. Mit diesen Worten, drückt María,
Aktivistin des Gärtchens des Forat im innerstädtischen Viertel La Ribera das
gleiche aus, was am anderen Ende der Stadt künstlerisch in einem Graffito
vereinfacht wurde: Akí me planto – Hier pflanze ich mich. Eben dieses Motto
gab dem Garten hinter der bemalten Mauer in Sant Andreu seinen Namen.
Während sich die Tür des Supermarkts auf der anderen Seite der Straße
unaufhörlich öffnet und schließt, hat die Gruppe junger Leute von Akí me
planto beschlossen, diese einfach offen stehen zu lassen. Die PassantInnen,
die sich der städtischen Tradition angeschlossen haben, Gemüse außerhalb
jeder Saison zu konsumieren, blicken mit Interesse auf diese kleine Oase.
Hier werden die Tomaten noch gegossen, die sie schon in Plastiktüten nach
Hause tragen.
Eine höhere Zahl an besetztem Wohnraum und Sozialzentren hat
Barcelona den Titel der aktuellen europäischen Hauptstadt der Besetzung
beschert.. Außerdem ist sie aber die Stadt mit den meisten
Gemeinschaftsgärten in Spanien und wahrscheinlich auch über die Grenzen
der Halbinsel hinaus. Die urbane und gemeinschaftliche Landwirtschaft hat
sich in eine wichtige Strategie sozialpolitischer Bewegungen der
katalanischen Hauptstadt verwandelt. Davon ausgehend, dass die Identität
einer Stadt nicht von außen (und von oben) planbar und auch nicht nur durch
ihre Architektur charakterisiert ist, werden Freiflächen besetzt, um spekulative
Praktiken anzuklagen und gleichzeitig gemeinschaftliche und selbstbestimmte
Räume zu schaffen. Diese konkrete Interaktion zwischen den Personen und
dem Raum in dem sie leben, steht in der Tradition der Stadt und verdeutlicht
die Aktions- und Restrukturierungsmöglichkeiten, die die ungewissen Räume
eines immer stärker kontrollierten urbanen Umfelds ermöglichen. Es werden
gemeinschaftliche Projekte urbaner Gärten oder landwirtschaftlicher Zonen in
Gang gesetzt, um sich – entgegen der aktuellen genmanipulierten Tendenzen
– das Wissen über die Herkunft unserer Nahrungsmittel wieder anzueignen.
„Klar muss das Thema des urbanen Anbaus auf irgendeine Art organisiert
werden, aber die Stadt tut dies in einer Weise, durch die die NutzerInnen der
Gärten wieder als KonsumentInnen enden“, fügt Javi des Projekts Can
Masdeu hinzu.
Wenn die community gardens New Yorks die wichtigste Referenz für
die internatioale Forschung sind, ist Can Masdeu dies für die
Gemeinschaftsgärten von Barcelona. Kurz nach der Besetzung des Hofes auf
einem Hügel der Collserola vor bereits acht Jahren, wurden die existierenden
Terrassen für den ökologischen Anbau hergerichtet, eine Versammlung
einberufen und 50 Parzellen zwischen den BewohnerInnen des Hauses, den
NachbarInnen des Viertels Nou Barris und weiteren interessierten Menschen
aufgeteilt. Mit der Rückgewinnung dieser ehemals periurbanen
Landwirtschaftszone, die sich heute bereits von der Stadt umringt sieht,
gaben die GärtnerInnen ihr die Bedeutung eines Ortes der Produktion und
Reproduktion von Lebensmitteln zurück. Die strategisch-politische Seite liege
darin, einen Raum zu öffnen, “um den Leuten das zu geben, was ihnen in
Wirklichkeit die Stadt zur Verfügung stellen müsste. Aber wir machen es auf
eine billigere und bessere, weil auf eine andere Art und Weise”. Die
Entscheidungen über Wasser und Landverteilung werden gemeinschaftlich
getroffen. Auch die Werkzeuge werden geteilt, aber jedeR baut das an, was
er/sie möchte, um dann ein bißchen was in den gigantischen Kochtopf
zurückzugeben, in dem einmal im Monat ein Essen für alle GärtnerInnen des
Tals zubereitet wird. Das Projekt der parzellierten Huertos Comunitarios von
Can Masdeu sticht sowohl auf Grund des intergenerationellen Charakters, als
auch dafür hervor, dass im Jahr 2009 70% der Setzlinge homemade waren.
Dank der Tauschbank konnten die Samen Can Masdeus wortwörtlich
in der Erde der ganzen Stadt sprießen. In bereits mehr als zwölf, über ganz
Barcelona verteilten, besetzten Gemeinschaftsgärten, sind Menschen jeden
Typs und Alters dabei zu säubern, zu planen, zu bauen, zu pflanzen, zu
ernten, zu essen, zu feiern und auszutauchen. Alles dreht sich darum, mit
FreundInnen und NachbarInnen zu lernen und zu teilen; sowohl Raum, als
auch Wissen und Ernten. Dabei werden nicht nur ländliche mit urbanen
Problematiken in ersten Kontakt gebracht, sondern auch Selbstverwaltung
und die Auflösung von Hierarchien zu Gunsten von gemeinschaftlichen
Entscheidungen experimentiert. Durch ein territoriales Konzept von
Ernährung, wird eine Zwischenzone, zwischen dem Ökologischen und dem
Sozialen geschaffen. Und obwohl unter dem Asfalt weder einfach zu
bebauende, noch ökologische Erde zu finden ist, wird dieser Art anzubauen
eine große Wichtigkeit zugeschrieben. JedeR möchte in den Genuss
kommen, eine bessere Qualität zu verzehren, als die, die es zu kaufen gibt.
Damit beziehen die urbanen GemeinschaftsgärtnerInnen eines unserer
Basisbedürfnisse in ihre Aktivitäten ein und nutzen dessen Werte hinsichltich
Nachhaltigkeit und Autonomie, um Orte einer anderen Lebensweise zu
kreieren. Mit Workshops, Führungen für Gruppen, Spielplätzen für Kinder und
kulturellen Events wie Konzerten und Volxküchen, kultivieren immer mehr
Menschen richtige Sozialzentren an der frischen Luft, wobei sie der Nutzung
von Raum, dem Gemüse und den GärtnerInnen die Idee von
Selbstorganisation zurückgeben.
„So wie für Schnecken und Vögel, steht der Garten allen offen, die sich
beteiligen wollen“, betonte Albert des Gartens hinter dem Sozialzentrum La
Farga im Viertel Sants, vor dessen Räumung im Oktober 2009 und ließ damit
den politischen Anspruch aller Gemeinschaftsgärten Barcelonas klar werden.
Auf der einen Seite geht es darum, der vom Menschen errichteten Wüste der
Großstadt ihr Ökosystem zurückzugeben. Auf der anderen Seite laden die
Initiatoren dazu ein, an der „gärtnerischen Offensive gegen die Diktatur des
Zements“ (Akí me planto) teilzunehmen. In einem urbanen Umfeld, in dem die
voranschreitende Gentrifizierung ehemalige Arbeiterviertel in Freizeitparks für
Touristen verwandelt, warten passive Städter immer mehr darauf unterhalten
zu werden. Nur die direkte Aktion macht aus ihnen AktivistInnen. Die Nutzung
von existierendem, aber ungenutztem Raum, dient nicht nur als Mittel des
Protests, sondern auch der Selbstentwicklung als politischer Frage. „Ist es
nicht krass, dass alle Felder der Biologiefakultät nur zum Experimentieren zur
Verfügung standen und wir keine Ahnung hatten, wie eine Tomate wächst,
außer anhand von Powerpoint-Präsentationen?“ fragt Teo der
umweltaktivistischen Gruppe Skamot Verd. Sie ist eine der StudentInnen, die
einen Teil des Campus der Zona Universitaria für einen Garten besetzt
haben. Auch in anderen Fakultäten verwandelten die Studierenden das
passive Lernen in praktische Selbstlehre, wie z.B. in der UB Raval, wo die
Verwandlung des ungenutzten Innenhofes Teil des Streiks und der
Aktionswoche gegen den Bolognaprozes im Oktober 2008 war.
Um einen Schritt weiterzugehen, tragen die GärtnerInnen dieses Typs
urbaner Gärten in Barcelona den gemeinschaftlichen Geist auch in ihre
Viertel. So entstand z.B. ein Nachbarschaftsnetzwerk im Carmelo, um Wissen
und Setzlinge unter den NachbarInnen auszutauschen, von denen viele
schon seit Jahrzehnten diesen barcelonesischen Berg bepflanzen. „Das Ziel
ist es“, erklären sie, „den wenigen Räumen, die in der Stadt noch frei sind,
Leben zu geben“. Die existenzielle Frage des Eigenanbaus steht hier in enger
Wechselwirkung mit der bewussten Entscheidung die letzten (von auferlegten
und daher limitierten Nutzungsmöglichkeiten) freien Räume zu besetzen und
so die Politisierung des Gemüses und der GärtnerInnen voranzutreiben.
Das Land in die Stadt zu setzen bedeutet, deren Rhythmus dem der
Natur anzupassen, aber gleichzeitig immer im Auge zu behalten, dass die
Charakteristika eines urbanen Gartens der ständigen Transformierung der
Stadt unterworfen sind. Auf der einen Seite gibt es viele Gärten, die, auf
Grund von Stadtentwicklungsplänen, von Zerstörung bedroht sind. Einer
dieser Fälle ist der Hort de Cologne der Colonia Castells im Viertel Les Corts.
Auf der anderen Seite aber, wurde mit diesem Gartenprojekt, dass sich
zwischen den Mauern eines der ersten abgerissenen Häusern des Viertels
befindet, genau deshalb begonnen, um den Widerstand der BewohnerInnen
zu unterstützen und mit Leben zu füllen. Der urbane Garten ist – im
Gegensatz zum oft erzeugten Anschein – keine Erfindung zeitgenössischer
Stadtplaner, sondern ein historisches Phänomen, da die Städte rund um oder
in der Nähe von fruchtbarer Erde gebaut wurden. Und auch die prekäre
Situation ist für die GärterInnen der Stadt nichts Neues. Die fehlende
institutionelle Anerkennung des urbanen Anbaus in Barcelona hat schon
immer dazu geführt, dass die überwiegend älteren GärtnerInnen, die am
entlang der Eisenbahnstrecken oder an den Ufern der Flüsse Besòs und
Llobregat anbauen, von Informalität betroffen waren und sind.
Die BesetzerInnen-Bewegung stößt darüber hinaus auf das Problem
der Illegalisierung der Gärten, die durch die Räumungen verschiedener
Projekte in den letzten Jahren anschaulich zum Ausdruck gebracht wurde. So
verloren Ende 2009 z.B. die GärtnerInnen des Gemeinschaftsgarten Gràcia
den Gerichtsprozess, der durch die Anzeige der BesitzerInnen des
Grundstücks ausgelöst wurde. Nachdem das Sozialzentrum El Monstruo de
Banyoles geräumt und abgerissen worden war, hatte dieses Grundstück am
Tag der öffentlichen Gartenbsetzung bereits seit fünf Jahren brach gelegen.
Anfang Juli 2010 wurden Pflanzen und GärtnerInnen von der Polizei geräumt.
Ein Aktivist des Hort del Xino im Viertel Raval erzählt, dass einer der
Ansprüche der besetzten Gärten eben auch sei, “die Tradition dieser
Grundstücke,
auf
denen
sich
vorher
Sozialzentren
befanden,
aufrechtzuerhalten”, in seinem Fall das Ruina Amalia.
Die fehlende Anerkennung durch die Autoritäten der Stadt hat nie zum
Verschwinden des Bedürfnisses und des Wunsches der BewohnerInnen, in
ihrem nächsten Umfeld anzubauen, geführt. Die Gründung des Netzwerks der
Gemeinschaftsgärten von Barcelona im November 2009 zeigt, dass auch die
Besetzungen von Grundstücken, um Gärten zu eröffnen, nicht durch
Räumungen zu stoppen sein werden. Im Gegenteil kommen die GärtnerInnen
zusammen, um sich in ihrem hortikulturellen Kampf zu unterstützen. Obwohl
die Produktion der Gemeinschaftsgärten sich noch ganz am Anfang befindet,
hinterlassen sie bereits beachtliche Früchte auf dem Weg zu einer dauerhaft
freieren, kreativeren und nachhaltigeren Gesellschaft.
Herunterladen