3. Jahrgang, September 2009, 208-224 - - - Rubrik Neue Arzneimittel - - - Neue Arzneimittel: Neue Entwicklungen in der Zytostatikatherapie Abarelix (Plenaxis®) Lapatinib (Tyverb®) Panitumumab (Vectibix®) 5-Amino-4-oxopentansäure (Gliolan®) Neue Zytostatika - 209 - Neue Entwicklungen in der Zytostatikatherapie Korrespondenzautorin Stephanie Kumpf, Pharmaziestudentin Institut für Pharmakologie und klinische Pharmakologie UniversitätsKlinikum der Heinrich Heine-Universität Düsseldorf Moorenstraße 5, 40225 Düsseldorf, Germany [email protected] Lektorat PD Dr. rer. nat. Jutta Meyer-Kirchrath Institut für Pharmakologie und klinische Pharmakologie UniversitätsKlinikum Düsseldorf N.N. Schlüsselwörter Zytostatika, Prostatakarzinom, Kolorektales Karzinom, Mammakarzinom, Gliom Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 210 - Abstract In our developed world tumors are one of the most prevalent diseases. Patients who face this diagnosis undergo a dramatic reduction in life quality and life expectancy. Therefore, prevention and early diagnosis are used to prevent tumor cells from spreading in the body but also pharmaceuticals shall help to get the disease under control. The today applied cytostatics have enormous side effects due to their co-damage to healthy cells and are mostly just able to help palliatively. Due to these reasons new drug development attempts to damage tumor cells selectively and above all cure the disease. Here we discuss the newly developed anti-cancer drugs Abarelix, Lapatinib and Panitumumab as well as the cell dyeing agent 5Aminolevulinic acid. Abstrakt In unserer entwickelten Welt gehören Tumore zu den häufigsten Erkrankungen. Für Patienten, die mit dieser Diagnose leben müssen, bedeutet dies eine drastische Minderung der Lebensqualität und der Lebenserwartung. Deshalb wird nicht nur versucht, mit Prävention und Früherkennung die Krankheit an ihrer Ausbreitung im Körper zu hindern, sondern auch Arzneimittel sollen helfen, die Erkrankung in den Griff zu bekommen. Die heute Anwendung findenden Zytostatika haben vor allem auch wegen der Mitschädigung gesunder Zellen immense Nebenwirkungen und können in den meisten Fällen nur palliativ unterstützen. Aus diesen Gründen wird mittels Neuentwicklungen versucht, Tumorzellen möglichst selektiv zu schädigen und vor allem eine Heilung anzustreben. Hier werden die im Jahr 2008 neu zugelassenen Zytostatika Abarelix, Lapatinib und Panitumumab sowie der Zellfarbstoff 5Amino-4-oxopentansäure besprochen. Zytostatikatherapie bei Tumorerkrankungen Einleitung Krebserkrankungen zählen in der entwickelten Welt neben den kardiovaskulären Erkrankungen zu den häu- figsten Todesursachen. Im Jahr 2004 traten in Deutschland laut einer aktuellen Statistik des Robert-Koch-Instituts 436.500 Krebsneuerkrankungen (Männer 230.500, Frauen 206.000) sowie 208.824 Todesfälle aufgrund einer Krebserkrankung auf (Abb. 1). Dabei ist der Prostatakrebs mit 25% bei Männern und der Brustkrebs mit 28% bei Frauen die jeweils häufigste Krebserkrankung (1). Tumorentstehung Die Entstehung von Tumoren beruht auf einem autonomen und progressiven Wachstumsprozess körpereigener Zellen. Grundlegend unterscheidet man zwischen benignen und malignen Tumoren. Während benigne Tumore zwar expansiv aber langsam mit nur geringem Differenzierungsverlust wachsen, zeigen maligne Tumore ein durch eine hohe Zellteilungsrate schnelles, invasives und destruierendes Wachstum bei häufigem Auftreten von Zellatypien und Zellpolymorphien (Tab. 1). Insgesamt lässt sich die Malignität am Grad der Dedifferenzierung ablesen (2, Weblink 1). Malignität von Tumoren Unsichere Zeichen schnelles Wachstum Atypie, Polymorphie Differenzierungsverlust Sichere Zeichen invasiv destruierend Metastasierung Tabelle 1: Aspekte zur Unterscheidung zwischen benignen und malignen Tumoren. Die Umwandlung einer Zelle in eine Tumorzelle erfolgt in mehreren Schritten. Zunächst wird die DNA durch unterschiedliche, karzinogene Noxen chemischer (Benzpyrene, Nitrosamine, mutagen wirkende Pharmaka), physikalischer (Radioaktivität, UV-Strahlung), biologischer oder viraler Art angegriffen, was zu dominanten Schädigungen der an Zellproliferation und Zelldifferenzierung beteiligten wachstumsregulierenden Pro- Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 211 - to-Onkogene und so zur Einschränkung der Tumorsuppression führen kann. Auch genetische Faktoren scheinen hier eine Rolle zu spielen. Die maligne Transformation erfolgt durch Umwandlung eines Proto-Onkogens in ein Onkogen. Dies kann durch Punktmutation, Chromosomen-Translokation oder Virusinfektion, aber auch oder zusätzlich durch den Verlust von Tumorsupressorgenen (AntiOnkogenen) erfolgen, wobei für die Tumorentstehung mindestens zwei Onkogene überexprimiert werden müssen (2, Weblink 1). Im Anschluss beginnt das Tumorwachstum, welches aufgrund der fehlenden Reaktion auf wachstumshemmende Reize (Zell-zu-Zell Kontakte, verschiedene Botenstoffe) überschießen kann. Dabei ist zu bemerken, dass die Zellzykluszeit im Allgemeinen nicht kürzer ist als bei normalen Zellen, sich aber eine größere Tendenz, nach der Mitose in einen weiteren Zellzyklus einzutreten beobachten lässt. Auch findet sich im Tumorgewebe eine große Anzahl abgestorbener Zellen, was durch unzureichende Nährstoffversorgung aufgrund des schnellen Wachstums bedingt ist (Abb. 2). Das Tumorwachstum selbst wird entscheidend durch die Proliferationskinetik der Tumorzelle, die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung sowie die Immunabwehr beeinflusst. Wichtig für das Größenwachstum eines Tumors ist die Gefäßeinspros- sung, da ausschließlich durch Diffusion ernährte Tumore nur eine Größe von 1-2 mm erreichen können. Je nach Zell- bzw. Gewebetyp, aus dem die Tumore entstehen, kann man die Karzinome (Epithelzellen) als häufigste Form von u.a. Sarkomen (mesenchymales Gewebe) oder Leukämien (hämatopoietische Stammzellen) abgrenzen (2, Weblink 1). Ein weiteres Merkmal maligner Tumore ist die Bildung von Metastasen. Im Rahmen der Invasion von Tumorzellen in gesundes Wirtsgewebe, was durch Dissoziation, Lokomotion und Auflockerung der Gewebematrix (enzymatisch und ödematös) erfolgt, können sich nach Einwachsen des Tumors in Gefäße einzelne Tumorzellen oder auch ganze Zellaggregate vom Primärtumor lösen und sich nach Überwindung der zunächst erfolgenden mechanischen Arretierung durch das Kapillarbett über das Gefäßsystem im gesamten Körper verteilen. Durch Extravasion (Austritt aus dem Gefäß) kommt es zur Anhaftung an das Gewebe im Zielorgan (z.B. Lunge, Knochenmark, Lymphknoten, Leber), was mechanistisch analog der Invasion erfolgt. Je nach Metastasierungsweg wird zwischen hämatogenen und lymphogenen Metastasen unterschieden. Insgesamt lässt sich feststellen, dass Metastasen normalerweise schneller wachsen als der Primärtumor (2, Weblink 1). Abbildung 1: Prozentualer Anteil ausgewählter Tumorlokalisationen an allen Krebsneuerkrankungen in Deutschland 2004 (1). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 212 - Überlebenszeit (kurative Chemotherapie) zu erzielen. In den meisten Fällen wird lediglich eine Linderung der Symptome und eine begrenzte Lebenszeitverlängerung erreicht. Der Erfolg einer solchen palliativen Chemotherapie beruht auf einer Verringerung der Zellzahl (Remission) (3). Abbildung 2: Zellzyklus (nach 4). Tumortypisierung: TNM Klassifikation Von der UICC (union international contre le cancer, Internationale Vereinigung gegen Krebs) wurde in den 1950er Jahren ein System, welches seither ständig ergänzt und aktualisiert wurde, eingeführt, womit die lokale Ausbreitung der Krebserkrankung und die eventuelle Ausdehnung auf weitere Körperregionen beschrieben werden kann. In der heutigen Therapie von Tumorerkrankungen erfolgt häufig eine Kombination aus chirurgischen Maßnahmen, Strahlen- und Chemotherapie. Als „Stahl und Strahl“ bezeichnet man die chirurgische Exzision gut lokal begrenzter Primärtumore bzw. die örtliche Bestrahlung eher diffuser, aber dennoch lokal limitierter Tumore oder die Bestrahlung nach Operationen. Die Chemotherapie wird insbesondere bei diffusen oder metastasierenden Tumoren sowie zur Vor- (neoadjuvant) und Nachbehandlung (adjuvant) bei chirurgischen Maßnahmen und Strahlentherapie angewendet. Ein Vorteil hierbei ist die Mitschädigung oder sogar Abtötung von möglicherweise vorhandenen jedoch nicht diagnostizierbaren Metastasen (Weblink 1). • T = Tumor: örtliche Ausdehnung (Größe) des Primärtumors • N = Node (Knoten): Fehlen oder Vorhandensein von regionären Lymphknotenmetastasen • M = Metastase: Fehlen oder Vorhandensein von Fernmetastasen Eine genauere Beschreibung erfolgt durch Ergänzung der Buchstaben durch Ziffern (T0–T4, N0–N3, M0–M1, wobei die Null für fehlende Nachweisbarkeit steht) (Weblinks 2 und 3). Zytostatikatherapie Trotz beachtlicher Fortschritte in der Chemotherapie, also der Pharmakotherapie mit Zytostatika, seit der ersten erfolgreichen Behandlung eines Protatakarzinoms mit Diethylstilbestrol im Jahre 1941, ist es bisher nur in wenigen Fällen möglich, eine Heilung bzw. eine deutliche Verlängerung der Abbildung 3: Absterbekinetik (3, Weblink 1). Eine zytostatische Pharmakotherapie macht sich die Eigenschaft der erhöhten Zellteilungsrate von Tumorzellen zunutze. Aufgrund der Tatsache, dass sich Tumorzellen vermehrt innerhalb des Zellzyklus (G1-, S-, G2- oder M-Phase) befinden, reagiert Tumorgewebe besonders empfindlich auf hier angreifende toxische Effekte. Außerdem ist die Erholungszeit des Tumorgewebes normalerweise länger (Abb. 3). Bei der Zytostatikatherapie wird bei jeder einzelnen Applikation nicht die gleiche Zellzahl sondern der gleiche Prozentsatz abgetötet („fractional cell kill“). Die Absterbekinte- Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 213 - tik erfolgt dabei exponentiell nach einer Kinetik 1. Ordnung (3, Weblink 1). Grundsätzlich lassen sich Zytostatika nach ihrer Wirkung in phasenspezifische (Wirkung nur innerhalb einer Phase des Zellzyklus) und zyklusspezifische (Wirkung innerhalb aller Phasen des Zellzyklus) Substanzen einteilen. Zu den phasenspezifischen Wirkstoffen gehören u.a. die Antimetabolite und die Mitosehemmstoffe. Dadurch, dass nur Zellen, die sich in einer bestimmten Phase des Zellzyklus befinden, abgetötet werden, erreicht die Wirkung recht schnell ein Plateau, wodurch die Wirksamkeit in erster Linie vom Therapieschema und nicht von der Dosis abhängt. Dies bringt zwar eine gewisse Limitation der Effektivität mit sich, gewährleistet aber auch eine recht hohe Therapiesicherheit. Anders bei den zyklusspezifischen Wirkstoffen, wozu beispielsweise die Anthrazykline die Alkylantien und Cisplatin gehören. Hier werden die Zellen abgetötet, die sich innerhalb des Zellzyklus, also nicht in der G0-Phase befinden. Folglich ist die Effektivität abhängig von der Höhe der Dosis, wodurch die Applikation einer entsprechend hohen Einzeldosis ausreichend ist. Im Gegensatz zu den phasenspezifischen Wirkstoffen, wo die Schädigung des Knochenmarks erst bei kontinuierlicher Applikation lebensbedrohlich wird, ist hier eine zu hohe Einzeldosis bzw. eine bei Kombination mehrerer Wirkstoffe dieser Klasse (additiver Effekt) ohne erfolgte Dosisreduktion bereits kritisch (2, Weblink 1). Die Strategie einer Chemotherapie erfolgt nach einigen Grundregeln. Den Rahmen bildet eine intermittierende Therapie (Abb. 3), welche ausreichende Therapiepausen einschließt, um eine Erholung des Knochenmarks zu gewährleisten. Es sollte die maximal tolerierbare Dosis in möglichst kurzer Zeit appliziert werden. Weiterhin ist eine ausreichend häufige Wiederholung des Therapiezyklus notwendig, um ein möglichst optimales Ergebnis zu erreichen. Dabei kann die Minimierung und Behandlung toxischer Effekte u.a. durch Blutbildkontrollen, antiemetische Therapie und durch einen Schutz vor Nephrotoxizität erfolgen (Tab. 2). Insgesamt sollte auf eine effektive Kombination mehrerer Substanzen geachtet werden, um eine syner- gistische Wirkung auszunutzen und an sich asynchrone Tumorzellen in den unterschiedlichen Phasen abzutöten. Außerdem kann auf diese Weise eine geringere Toxizität erzielt (Tab. 2) und auf eine Vermeidung von Resistenzbildungen geachtet werden (Weblink 1). Bei hormonsensitiven Tumoren, also Tumoren, deren Wachstum zumindest teilweise vom Einfluss körpereigener Hormone abhängt, können Hormonagonisten bzw. -antagonisten, welche den Proliferationsstimulus entscheidend beeinflussen, gute Effekte erzielen. Es ist zwar keine Heilung möglich, doch können Remissionen erzielt oder die Effektivität anderer therapeutischer Maßnahmen gesteigert werden (Abb. 4). Vor allem bei Prostata-, Mamma- und Uteruskarzinomen findet die Hormontherapie breite Anwendung. Folgende Angriffspunkte stehen u.a. zur Verfügung (3, Weblink 1): • Steroidbiosynthese • hormoneller Regelkreise • Hormonrezeptoren Resistenzen können auf vielfältige Weise entstehen. Grundlage bilden Mutationen, die aufgrund einer gegebenen genetischen Instabilität von Tumorzellen ohnehin gehäuft auftreten, sowie die Selektion von resistenten Zellen (3, 4). • Vermehrung des Anteils der Tumorzellen, die sich in der G0Phase befinden • Hemmung der zellulären Aufnahme von Zytostatika • Verminderung der intrazellulären Bioaktivierung der Zytostatika • Zytostatikatransport aus der Tumorzelle • kompensatorische Erhöhung der gestörten Stoffwechselaktivität • Wechsel zu alternativen wechselwegen Stoff- • Produktion spezifischer Inhibitoren der Zytostatika • Inaktivierung Zytostatika / Zerstörung der • verstärkte DNA-Reparatur • Veränderung des Zielsubstrats • Überexpression des Zielproteins Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 214 - Abbildung 4: Angriffspunkte von Zytostatika (nach 4). Frühreaktionen Übelkeit Erbrechen Fieber Allergie Blutdruckabfall Herzrhythmusstörungen Venenentzündungen Reversible Spätreaktionen Bleibende chronische Toxizität Kardiotoxizität Knochenmarksdepression (Erythro-, Nieren- und LeberLeuko- und Thromschädigung bopenie) Neurotoxizität (LähSchleimhautschäden mungen, Sensibili(Mucositis), Stomati- täts-störungen) tis, aregenerative Mutagenität Enteropathie mit ApTeratogenität petitlosigkeit und Diarrhö Haarausfall, Hautveränderungen (Pigmentierungen, Hyperkeratosen) Indirekte Wirkungen immunsuppressive Wirkung als Folge der Leukopenie Erhöhung des Harnsäurespiegels mit akuter Nephropathie und Nierenversagen Karzinogenität (Zweittumor) Lungen-, Nieren- und Leberfunktionsstörungen Gerinnungsstörungen Amenorrhö, Azoospermie Tabelle 2: Unerwünschte Wirkungen bei Zytostatika-Applikation (3). Neuere Therapieansätze schließen den Einsatz von Immuntherapeutika ein, wo durch Ausnutzung bestimmter Mechanismen des Immunsystems das Tumorwachstum gehemmt wird. Hier werden Zytokine (Interferone, Interleukin 2) und monoklonale Antikörper, welche gegen spezifische Oberflächenstrukturen von Tumorzellen gerichtet sind, eingesetzt. Antisense-Oligonukeotide, die spezifisch an DNA-Sequenzen von Tumorzellen binden und so die Onkogen-Expression verhindern, befinden sich derzeit in der klinischen Erprobung. Weitere Möglich- Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 215 - keiten sind Substanzen zur Induktion der Differenzierung und der Apoptose, Hemmstoffe der mitogenen Signaltransduktion, der Angiogenese und der Metastasierung, Immunmodulatoren sowie Wachstumsfaktoren (3, Weblink 1). Wichtigstes Ziel aller Neuentwicklungen ist die selektive Schädigung von Tumorgewebe, wodurch nicht nur eine Remission sondern eine Heilung ermöglicht werden kann. Abarelix (Plenaxis®) Indikation Der GnRH (gonadotropin releasing hormone)-Antagonist Abarelix ist angezeigt zur Einleitung einer hormonalen Kastration bei fortgeschrittenem oder metastasierendem, hormonabhängigem Prostatakarzinom, wenn eine Androgensuppression erforderlich ist (5). Der Preis für 100 mg Abarelix beträgt 355,19 €. Prostatakarzinom Europaweit werden jährlich 2,6 Millionen neue Fälle diagnostiziert. Damit ist das Prostatakarzinom die häufigste Krebsneuerkrankung. Als Todesursache liegt es mit 10,1 % auf Platz 3 hinter den Krebserkrankungen der Lunge und des Darms. Wichtigster Risikofaktor scheint das Alter zu sein, allerdings sind auch erbliche Faktoren beteiligt. Weiterhin haben exogene Faktoren, wie z.B. die Ernährung, einen entscheidenden Einfluss, was zu der Empfehlung führt, weniger tierisches Fett und mehr Obst, Gemüse und Getreide zu essen. Außerdem scheinen Selenmangel und fischfreie Kost das Risiko, an Prostatakrebs zu erkranken, zu erhöhen (6). Hormontherapie bei metastasierendem Prostatakarzinom Aufgrund der Tatsache, dass Prostatakarzinome während des Wachstums zumindest zeitweise androgenabhängig sind, kann durch die Therapie mit Substanzen, die eine antiandrogene Wirkung haben, das Wachstum gehemmt werden. (2) Hierbei stehen neben der Orchiektomie GnRH (gonadotropin releasing hormone)Analoga (Goserelin, Leuprorelin) sowie nicht-steroidale Androgenrezeptorantagonisten (Flutamid, Bicalutamid) zur Verfügung. Zur maximalen Rezeptorblockade können die ersten beiden genannten Klassen jeweils mit einem Rezeptoranta- gonisten kombiniert werden (Weblink 5). Die Agonisten des GnRH spielen in der hormonellen Therapie heute eine große Rolle, da sie die physischen und psychologischen Nebenwirkungen, die mit einer Orchiektomie einhergehen minimieren (6). Die Wirksamkeit einer antiandrogenen Therapie gilt bei symptomatischen Metastasen und bei lokalen Symptomen durch ein fortgeschrittenes Prostatakarzinom als gesichert, bei symptomlosen Metastasen sowie adjuvant nach kurativer Therapie ist die Anwendung umstritten. Wirkmechanismus Mit Abarelix, einem synthetischen Dekapeptid (Abb. 5), wird in der Therapie des Prostatakarzinoms kein wirklich neuer Weg eingeschlagen. Abbildung 5: Strukturformel Abarelix. Es gibt bereits verschiedene GnRH (gonadotropin releasing hormone) Superagonisten, die über die Stimulation der Sexualhormonbildung und den körpereigenen feedback-Mechanismus schließlich als Antagonisten wirken: Goserelin, Leuprorelin. Hierbei kommt es allerdings zu einer initialen Steigerung von Testosteron, was bei Abarelix aufgrund der rein antagonistischen Wirkung nicht geschieht. Die Wirkung von Abarelix erfolgt zunächst über eine schnelle Reduktion des luteinisierenden Hormons (LH) und des Follikel stimulierenden Hormons (FSH), was zu einer Verminderung des Testosteronspiegels (bei Männern, des Östrogenspiegels bei Frauen) führt. Die Wirkung ist nach Beendigung der Therapie reversibel. Der theoretische Vorteil, Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 216 - dass die Kombination mit einem nichtsteroidalen Antiandrogen nicht notwendig ist, da keine initiale Steigerung der Testosteronausschüttung erfolgt, scheint klinisch nicht relevant (5, 7). Klinische Wirksamkeit Verschiedene Studien zeigen, dass Abarelix schneller und ohne initiale Anflutung den Testosteron-Spiegel senken kann. So erzielten zum Beispiel in einer offenen randomisierten Phase III Studie mit Abarelix die mittleren Testosteronspiegel das Kastrationsniveau von 50 ng/dl an Tag 4, wohingegen die Kombination aus Leuprorelin und Biculatamid dies erst zwischen Tag 15 und Tag 29 erreichten (8). Zu bemerken ist allerdings, dass in vergleichenden Studien zu Goserelin und Leuprorelin ermittelt wurde, dass innerhalb von 48 Wochen der Testosteronspiegel wieder über das Kastrationsniveau ansteigen kann, was insbesonders die längerfristige Anwendung einschränkt (9). Pharmakokinetik Die Anwendung erfolgt mittels intramuskulärer Injektion mit 100 mg Abarelix als unmittelbar vor Applikation herzustellender Suspension in isotoner Natriumchloridlösung (50 mg/ml) an den Tagen 1, 15 und 29 sowie anschließend alle vier Wochen. Bei einer Anwendung von länger als drei Monaten sollte der Testosteronspiegel aufgrund der oben beschriebenen Problematik engmaschig kontrolliert werden. Erkenntnisse über Anwendungen von länger als zwölf Monaten liegen bisher nicht vor. Die Resorption einer Einzeldosis erfolgt langsam (tmax = 3,0 ± 2,9 Tage) und erreicht eine Höchstkonzentraion cmax von 43,4 ± 32,3 ng/ml mit einer AUC von 500 ± 96 ng*Tag/ml. Der Metabolismus scheint, wie anhand von Tierversuchen ermittelt wurde, Cytochrom P-450 unabhängig zu sein. Die Ausscheidung erfolgt mit 13 % unveränderter Substanz über den Urin, Metabolite konnten nicht nachgewiesen werden. Die renale Clearance beträgt 10 ml/min (5). Unerwünschte Wirkungen Als unerwünschte Arzneimittelwirkungen treten sehr häufig, also bei mehr als einem von zehn Behandelten, Kraftlosigkeit bzw. Schwäche sowie ein Anschwellen der Brustdrüsen und Hitzewallungen auf. Häufig (1-10 von 100 Behandelten) sind folgende Nebenwirkungen: • Schmerzen an der Injektionsstelle • Brustschmerzen • empfindliche Brustwarzen • Peripheres Ödem • Schmerzen • Schwindel • Kopfschmerzen • Sensibilitätsstörungen • Bauchschmerzen • Verstopfung • Durchfall • Blähungen • Übelkeit • Erhöhung der Leberenzyme • Gewichtszunahme • Muskelschwäche • Muskelschmerz • Magersucht • Depression • Impotenz • Schlafstörungen • Minderung der sexuellen Triebkraft • Schläfrigkeit • Hodenschmerzen • Störungen der Hoden • Atemnot • Haarausfall • Juckreiz • Ausschlag • Häufigkeit der Blasenentleerung • Dringlichkeit der Blasenentleerung • Nächtliches Wasserlassen Fazit Mit Abarelix ist ein Arzneimittel auf dem Markt, welches weder ein neues Wirkprinzip verfolgt noch eine klinisch relevante Verbesserung der bisher verfügbaren Therapie mit sich bringt und somit als Reservepräparat zu werten ist. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 217 - Panitumumab (Vectibix®) Indikation Der Antikörper Vectibix® ist als Monotherapie indiziert zur Behandlung des metastasierten, EGFRexprimierenden kolorektalen Karzinoms mit nichtmutiertem (Wildtyp-)KRAS-Gen bei Patienten, bei welchen Fluoropyrimidin-, Oxaliplatin- und Irinotecan-haltige Chemotherapieregime versagt haben (10). Der Preis beträgt für 100 mg Panitumumab in 5 ml € 573,34. Erkrankung Das kolorektale Karzinom ist mit über 70.000 Neuerkrankungen und ca. 30.000 Todesfällen pro Jahr in Deutschland der zweithäufigste maligne Tumor. Präventiv wird empfohlen regelmäßig Sport zu treiben und nicht zu rauchen. Weiterhin scheint Übergewicht ein Risikofaktor zu sein. Die Ernährung sollte ballaststoffreich sein und ausreichend Obst und Gemüse sowie wenig rotes bzw. verarbeitetes Fleisch beinhalten. Zur Karzinomreduktion wird die Einnahme von Folsäure und Kalzium empfohlen, zur Prävention gilt die Einnahme dieser und anderer Mikronährstoffe (Magnesium, beta-Carotin, Vitamine A, C, D, E sowie Selen) allerdings als umstritten (11). Standardtherapie Die Standardtherapie des metastasierenden kolorektalen Karzinoms erfolgt nach dem De Gramont Schema (12). Das auch als FOLFOX bezeichnete Therapie-Regime umfasst eine Kombination aus Folinsäure, Fluorouracil und Oxaliplatin (Abb. 6). Als Alternative existiert außerdem FOLFIRI (Folinsäure, Fluorouracil und Irinotecan). Bisher sind als Antikörper in der Therapie des kolo- rektalen Karzinoms Bevacizumab, welches an vaskulärem endothelialem Wachstumsfaktor (VEGF = vascular endothelial growth factor) bindet, und das chimäre Cetuximab mit dem gleichen Zielprotein wie Panitumumab zugelassen. Wirkmechanismus Bei Panitumumab handelt es sich um einen rekombinanten, vollständig humanen monoklonalen Antikörper der Immunglobulin-Klasse IgG2, der mit hoher Affinität und Spezifität an den humanen EGFR (epidermal growth factor receptor), einem transmembranären Glykoprotein einer Unterfamilie der Typ-I-Rezeptor-Tyrosinkinasen, bindet. EGFR ist ubiquitär vorhanden und fördert das Zellwachstum in normalen epidermalen Geweben. Zusätzlich ist er auf diversen Tumorzellen exprimiert. Panitumumab bindet an die Liganden-bindende Domäne des EGFR und hemmt kompetitiv die Rezeptor-Autophosphorylierung. So kommt es zur Verlagerung des Rezeptors ins Innere der Zelle und dadurch zur Hemmung des Zellwachstums und zur Induktion der Apoptose. Zusätzlich wird die Produktion von Interleukin 8 und von vaskulärem endothelialem Wachstumsfaktor (VEGF) vaskulärem endothelialem Wachstumsfaktor gehemmt (11). Das KRAS (kirsten rat sarcoma 2 viral oncogene homologue)-Gen ist in die Signaltransduktion involviert und codiert ein kleines GTP-bindendes Protein (Abb. 7). Mittels EGFR wird KRAS aktiviert und durch die Aktivierung anderer intrazellulärer Proteine die Zellproliferation, das Zellüberleben und die Angiogenese stimuliert (10). Abbildung 6: FOLFOX-Therapieschema bei der Behandlung von kolorektalem Karzinom (13). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 218 - Abbildung 7: Zum Wirkmechanismus von Panitumumab (14). Eine Aktivierung der Signaltransduktionskaskase durch Liganden wie den epidermalen (EGF) oder den transformierenden Wachstumsfaktor (TGFα) hemmt die Apoptose und induziert Invasion und Metastasierung sowie Zellproliferation und Angiogenese. Die Hemmung der Lingandenbindung mittels Panitumumab behindert zunächst die EGF-Rezeptor-Dimerisierung und anschließend die Autophosphorylierung, wodurch es zur Verlagerung des Rezeptors ins Innere der Zelle kommt. Klinische Wirksamkeit Panitumumab ist als Monotherapie beim metastasierenden kolorektalen Karzinom mit progredientem Krankheitsverlauf während oder nach Chemotherapie zugelassen. Die Ergänzung des Standardregimes kann sich sogar schädlich auswirken: Verkürzung des progressionsfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens im Vergleich zu FOLFOX in Kombination mit Bevacizumab (14). Die Wirksamkeit wurde in einer offenen einarmigen Studien mit 384 Patienten und in einer multinationalen, randomisierten, kontrollierten Studie mit 463 Patienten überprüft. Bei der letzteren wurden die Patienten 1:1 randomisiert und erhielten alle zwei Wochen 5 mg/kg KG (Körpergewicht) und BSC (best supportive care) bzw. nur BSC. Dabei war der primäre Endpunkt das progressionsfreie Überleben. Bezüglich des Gesamtüberlebens war kein Unterschied festzustellen, wobei hierbei zu berücksichtigen ist, dass Patienten im BSC-Arm nach der Progression Panitu- mumab erhielten (10, 14). In einer retrospektiven Analyse wurde der Status der KRAS-Mutationen in aufbewahrtem, in Paraffin eingebettetem Tumorgewebe untersucht und mit den klinischen Ergebnissen verglichen. Bei Patienten ohne KRAS Mutation beträgt die Zeit bis zur Progression 12,3 Wochen, bei Patienten mit KRAS Mutation 7,4 Wochen im Gegensatz zu BSC 7,3 Wochen (Abb. 8, 9). Eine Analyse, ob eine Mutation im KRAS Gen vorliegt hat demnach vor Applikation zu erfolgen (14). In einer randomisierten Phase IIIB Studie wurde die Ergänzung des Standardregimes untersucht, die sich allerdings schädlich auswirkte: Verkürzung des progressionsfreien Überlebens (von 11,4 auf 10,0 Monate) und des Gesamtüberlebens (von 24,5 auf 19,4 Monate) im Vergleich zu FOLFOX in Kombination mit Bevacizumab. Vor allem treten mehr Nebenwirkungen, so werden z.B. Diarrhöe, Infektionen und Lungenembolien beschrieben, auf (15). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 219 - Abbildung 8: Studienergebnisse Panitumumab aller Teilnehmer (11). Kaplan-MeierKurve zur Darstellung des ereignisfreien Zeitintervalls im Verlauf der Studie. Erst nach acht Wochen tritt eine Wirkung ein, die etwa 16 Wochen anhält. Bis zur 32. Woche wird die Rezidivrate in etwa halbiert. Dieser Vorteil schmilzt bis zur 48. Woche vollständig dahin. Hier sind nur 5% der Patienten noch ohne Rezidiv. Abbildung 9: Studienergebnisse Panitumumab der Teilnehmer ohne KRAS-Mutation (11). Studienergebnisse nach retrospektiver Analyse der KRAS-Genmutation. Hier sind die ereignisfreien Zeitintervalle des Patientenkollektivs, die den Wildtyp exprimieren dargestellt. Das Therapieansprechen erfolgt auch hier nach acht Wochen, allerdings ist das progressionsfreie Überleben deutlich verlängert. Pharmakokinetik Insgesamt besteht bei einer Applikation der empfohlenen Dosis von 6 mg/kg KG einmal alle 2 Wochen als einstündige Infusion eine geringe Inzidenz zur Bildung von antiPanitumumab-Antikörpern. Die Panitu- mumab-Konzentrationen erreichen bei der dritten Infusion das Fließgleichgewicht mit einer mittleren maximalen Konzentration von 213 ± 59 μg/ml und einer mittleren minimalen Konzentration von 39 ± 14 μg/ml. Der mittlere Wert für Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 220 - die AUC(0-τ) betrug 1306 ± 374 μg*Tag/ml bei einer Clearance von 4,9 ± 1,4 ml/Tag/kg KG. Die EliminationsHalbwertszeit betrug etwa 7,5 Tage. Offensichtlich haben Alter, Geschlecht, Tumortyp, Rasse, Leber- und Nierenfunktion, chemotherapeutische Wirkstoffe und die Expression von EGFR auf Tumorzellen keine Auswirkung auf die Pharmakokinetik, allerdings gibt es keine klinischen Untersuchungen zur Pharmakokinetik bei Patienten mit Nieren- oder Leberinsuffizienz (10). Unerwünschte Wirkungen Sehr häufig (mehr als ein von zehn Behandelten) treten Hautausschläge, Erytheme, Exfoliation, Pruritus, trockene Haut, Fissuren, Paronychie, Diarrhöe und Fatigue auf. Häufig (1-10 von 100) sind die folgenden Nebenwirkungen: • Infusionsreaktionen (Pyrexie, Schüttelfrost) • Hypomagnesämie • Hypokaliämie • Dehydratation • Übelkeit • Erbrechen • Dyspnoe • Husten • Kopfschmerzen • Konjuktivitis • Wimpernwachstum • verstärkter Tränenfluss • okuläre Hyperämie • trockene Augen • Augenpruritus • Stomatitis • Schleimhautentzündungen • Onycholyse • Hypertrichose • Alopezie • trockene Nase • trockener Mund • Lungenembolie Fazit Dieses Arzneimittel wurde unter besonderen Bedingungen zugelassen. Die EMEA erwartet weitere Studienergebnisse nach Markteinführung. Vor allem vergleichende Studien zu Cetuximab stehen noch aus. Da es nur nach fehlgeschlagener Therapie mit Oxaliplatin und Fluorouracil angewendet wird und außerdem auf das Patientenkollektiv mit nicht mutiertem (Wildtyp) KRAS-Gen begrenzt ist, bleibt es ein Reservepräparat. Lapatinib (Tyverb®) Indikation Der duale TyrosinkinaseInhibitor Lapatinib (Abb. 10) ist in Kombination mit Cepecitabin angezeigt zur Behandlung von Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs, deren Tumore ErbB2 (HER2) überexprimieren. Die Patienten sollen eine progrediente Erkrankung nach vorangegangener Therapie, die Anthrazykline und Taxane sowie in der metastasierten Situation Trastuzumab einschloss, aufweisen (16). 70 Tabletten mit je 250 mg Lapatinib kosten € 1611,63. Erkrankung Das Mammakarzinom ist mit einem Anteil von fast 30 % die häufigste Krebserkrankung bei Frauen und auch mit nahezu 20 % die häufigste Todesursache bei Betrachtung der Krebserkrankungen (1). Nach brusterhaltender Operation treten nach einem Zeitraum von zehn Jahren mit einer Häufigkeit von 5-10 % Lokalrezidive auf. Diese werden standardmäßig lokal therapiert, wobei wenn möglich eine operative Exzision des Rezidivs angestrebt wird. Eine adjuvante Radiotherapie kann die lokale Tumorkontrolle verbessern. Da das Risiko einer Metastasierung und somit einer nachfolgenden systemischen Tumorprogression recht groß ist, kann zusätzlich zur lokalen Therapie eine systemisch verfügbare Chemotherapie angewandt werden. Einen Beleg durch prospektive randomisierte Studien für die Effektivität besteht allerdings bisher nicht (17). Standardtherapie Standardmäßig wird das Mammakarzinom nach Operation und Nachweis von Hormonrezeptoren mittels adjuvanter Hormontherapie behandelt: postmenopausal mit dem Östrogen-Antagonisten Tamoxifen oder bei Therapieversagen mit einem Aromatasehemmstoff, prämenopausal mit GnRH (gonadotropin releasing hormone) Analoga. Um vor allem nach aufgetretenen Rezidiven das Risiko eines erneuten Tumor- Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 221 - rückfalls zu minimieren, wird auf eine adjuvante Chemotherapie gesetzt. Dies kann nach dem CMF-Schema, welches sechs Zyklen Cyclophosphamid, Methotrexat und Fluorouracil umfasst, wobei auch die alleinige Gabe von Cyclophosphamid möglich ist, oder nach dem EC-Schema, das aus vier Zyklen Epirubicin und Cyclophosphamid besteht, geschehen (3). Wirkmechanismus Lapatinib ist chemisch gesehen ein 4-Anilinochinazolin und inhibiert die intrazellulären Tyrosinkinase-Domänen des EGFR (ErbB1)- und des ErbB2 (HER2)-Rezeptors, wodurch das ErbB-abhängige Tumorwachstum gehemmt wird. Die Anwendung erfolgt peroral in Kombination mit Cepecitabin, einem Fluoropyrimidin-Carbamat, welches als Prodrug nach Resorption in drei Schritten zum zytotoxischen 5Fluorouracil aktiviert wird. Die Thymidinphosphorylase, welche den letzten Schritt katalysiert, ist in hoher Konzentration in Tumorzellen vorhanden (16, Weblink 6). Klinische Wirksamkeit Für beide Angriffspunkte von Lapatinib sind bereits Arzneimittel auf dem Markt: Trastuzumab (hier scheint keine Kreuzresistenz zu bestehen) hemmt die Überexpression von HER2 und Cetuximab sowie Erlotinib sind gegen den Angiogenesefaktor EGFR gerichtet. Die Kombinationstherapie mit Cepecitabin verlängert zwar die Zeit bis zur Progression von 4,4 auf 8,4 Monate, allerdings nicht die Gesamtüberlebensdauer (18). Pharmakokinetik Maximale Plasmaspiegel werden nach einer Einnahme von 1250 mg Lapatinib ungefähr nach 4 Stunden erreicht. Die tägliche Dosierung führt zu einer mittleren cmax von 2,43 μg/ml und einer AUC von 36,2 μg*h/ml im steady state (16). Die Metabolisierung erfolgt über CYP3A4 und CYP3A5, zu einem geringen Teil auch über CYP2C19 und CYP2C8, zu einer Vielzahl oxidierter Metaboliten. In vitro hemmt Lapatinib CYP3A und CYP2C8 in klinisch relevanten Konzentrationen. Lapatinib wird fortlaufend einmal täglich und in Kombination mit Cepecitabin (2000 mg/m2/Tag; Tag 1-14, alle 21 Tage) oral eingenommen (16). Unerwünschte Wirkungen Bei der Applikation von Lapatinib treten sehr häufig (mehr als 10% aller Behandelten) Durchfall, der zur Dehydratation führen kann, und Hautausschlag (einschließlich akneformer Dermatitis) sowie Anorexie, Müdigkeit, Dyspepsie, trockene Haut, Mundschleimhautentzündung, Verstopfung, Bauchschmerzen, palmar-plantare Erythrodysathesie, Schmerzen in den Extremitäten, Rückenschmerzen, Schleimhautentzündung und Schlaflosigkeit auf. Häufig (1 – 10%) sind: • verringerte linksventrikuläre Auswurffraktion • Hyperbilirubinämie • Hepatotoxizität • Kopfschmerzen Fazit Dieses Arzneimittel wurde unter besonderen Bedingungen zugelassen. Mit Lapatinib ist ein Arzneimittel auf dem Markt, welches weder ein neues Wirkprinzip verfolgt noch eine klinisch relevante Verbesserung der bisher verfügbaren Mittel mit sich bringt und auch wegen der erhöhten Nebenwirkungen und der Kosten-Nutzen-Abwägung als Reservepräparat zu werten ist. Abbildung 10: Strukturformel Lapatinip Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 222 - 5-Amino-4-oxopentansäure (Gliolan®) Indikation Der Zellfarbstoff 5-Amino-4oxopentansäure (Abb. 11) ist bei Erwachsenen zur Visualisierung von malignem Gewebe während der Operation eines malignen Glioms (WHO-Grad III und IV) angezeigt (19). Abbildung 11: Strukturformel 5-Amino4-oxopentansäure Erkrankung Gliome sind hirneigene Tumore, die aus den Gliazellen, also den Stützzellen des Gehirns entstehen. 6 von 100000 Einwohnern erkranken pro Jahr an einem Gliom. Aufgrund des schnellen Wachstums sind Früherkennung und Prävention hier ohne relevanten Stellenwert. Man unterscheidet Gliome nach ihrem Ursprungsgewebe. So entstehen Astrozytome aus Astrozyten und Oligodendrogliome aus Oligodendrozyten. Kombinationen aus beiden Zelltypen nennt man Oligoastrozytome. Die Einteilung des Wachstumsverhaltens und der Aggressivität erfolgt nach Kriterien der WHO in vier Klassen (20). • Grad I: benignes Gewebe mit lang- samen Wachstum • (z.B. Meningeom, pilozytische Astrozytom) • Grad II: überwiegend benignes Ge- webe • (diffuse Astrozytome, Oligo- dendrogliome, Oligoastrozytome) • Grad III: überwiegend malignes Gewebe • (anaplastische Astrozytome, ana- plastische Oligodendrogliome, anaplastische Oligoastrozytome) • Grad IV: malignes Gewebe mit ag- gressivem Wachstum • (Glioblastom) Standardtherapie Die Behandlung von Gliomen erfolgt wenn möglich durch Tumorresektion zur Reduktion der Tumormasse, Entlastung des Hirndrucks und zur Wiederherstellung einer ungestörten neurologischen Funktion. Zur Sicherung der Diagnose legt der histologische Befund anschließende Bestrahlung (insbesondere bei Tumoren WHO Grad III u. IV) nahe. Aufgrund des infiltrativen Wachstums kann eine adjuvante Chemotherapie nötig sein (Weblink 7, 20). Wirkmechanismus 5-Amino-4-oxopentansäure ist ein natürlicher biochemischer Vorläufer des Häms und wird als Sensibilisierungsmittel in der photodynamischen Therapie eingesetzt. Nach Aufnahme in die Körperzellen kommt es enzyminduziert über verschiedene Schritte zur Umsetzung zu fluoreszierenden Substanzen (Porphyrine), insbesondere PPIX (Protoporphyrin IX). Da Gliomzellen den Wirkstoff vermehrt aufnehmen und eine veränderte Expression bzw. Aktivität von Enzymen zeigen, die an der Häm Biosynthese beteiligt sind, erfolgt eine raschere Umwandlung zu PPIX. Durch die in den Gliomzellen vorliegenden höheren Spiegel an PPIX leuchten sie bei Bestrahlung mit blauem Licht der Wellenlänge 400-410 nm intensiv rot, wohingegen das umliegende gesunde Hirngewebe blau erscheint (20, 21). Klinische Wirksamkeit In einer randomisierten Phase III Studie wurde bei 349 Patienten mit Verdacht auf ein resektierbares malignes Gliom entweder mit 5-Amino-4-oxopentansäure unter blauem Licht oder konventionell unter Weißlicht die Resektion vorgenommen. Beim anschließenden Hirnscan zeigten 64 % der unter Sichtbarkeitsverbesserung operierten Patienten keinen erkennbaren Tumor gegenüber 38 % in der Kontrollgruppe. Nach sechs Monaten überlebten 20,5 % der FluoreszenzGruppe gegenüber 11 % ereignisfrei. Es zeigt sich also, dass mit Hilfe von 5Amino-4-oxopentansäure die Sichtbarkeit des Tumors deutlicher ist und auf diese Weise eine präzisere Resektion vorgenommen werden kann (19, 21). Pharmakokinetik Bei der oralen Einnahme von 20 mg/kg KG 5-Amino-4oxopentansäure erreicht der Plasmaspiegel nach 0,5 bis 2 Stunden die maximale Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 223 - Konzentration. Die Aufnahme erfolgt vor allem in die Leber, die Nieren, die Endothelzellen und die Haut sowie durch die malignen Gliome, wobei die höchsten PPIX Plasmaspiegel nach 4 Stunden erreicht werden, was eine Gabe 2-4 Stunden vor der OP anzeigt. Der Kontrast bleibt über 9 Stunden klar sichtbar. Die Elimination erfolgt mit einer Halbwertszeit von 1-3 Stunden, wobei 30 % innerhalb von 12 Stunden unverändert über den Urin ausgeschieden werden (19). Unerwünschte Wirkungen ergeben sich hauptsächlich aus dem Verfahren selbst. Als wirkstoffspezifische Nebenwirkungen werden gelegentlich Hypotonie, Übelkeit und Photosensitivitätsreaktion sowie Lichtdermatose genannt (19). Fazit 5-Amino-4-oxopentansäure wird als Arzneimittel für seltene Leiden eingestuft (Orphan Drug). Der Einsatz ermöglicht die präzise Entfernung von Tumorgewebe unter größtmöglicher Schonung des umliegenden Hirngewebes und verdoppelt die Überlebensrate in den ersten sechs Monaten nach der Resektion des Tumorgewebes. Die Autorin Frau Stephanie Kumpf, geboren 1981 in Essen, Schulabschluss 2000 in Heiligenhaus, 2001-2006 Studium der Chemie und der Biomedizinischen Chemie in Düsseldorf und Mainz, seit 2006 Pharmaziestudium an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, seit Oktober 2002 tätig am Insitiut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie des Universitätsklinikums Düsseldorf. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:208-224 Neue Zytostatika - 224 - Weblinks 1) Kojda, G. Behandlung von Tumorerkrankungen mit Zytostatika http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/apothekenmagazin/Fortbildungsartikel/2002-09.pdf 2) TNM-Klassifikation http://www.krebsinformationsdienst.de/themen/untersuchung/tnm.php 3) TNM-Klassifikation http://www.uicc.org/index.phpoption=com_content&task=view&id=1429 8&Itemid=224 4) Übersichtsartikel zur kontroversen Diskussion des PSA-Werts http://content.nejm.org/cgi/content/full/360/13/1351 4) Online Lehrbuch der Urologie: Diagnose und Therapie der urologischen Krankheiten http://www.urologielehrbuch.de/ 5) Neue Arzneistoffe: Cepecitabin http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=2683 6) Einteilung und Behandlung von Gliomen http://www.ma.uni-heidelberg.de/inst/nch/html/gliom.html Literatur (1) Robert-Koch-Institut: Krebs in Deutschland 2003-2004,Häufigkeiten und Trends. 6. überarbeitete Auflage 2008 (2) Thews, Mutschler, Vaupel: Anatomie, Physiologie, Pathophysiologie des Menschen. 5. 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