Altersdepression: Arznei essen Seele auf Wenn Depressionen mit

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Altersdepression: Arznei essen Seele auf
Wenn Depressionen mit fortschreitendem Alter zunehmen, sollen oft
Antidepressiva Abhilfe schaffen. Doch pharmakokinetische und -genetische
Veränderungen im Alter machen eine Therapie mit Psychopharmaka zu einer
Herausforderung.
Depressionen im Alter nehmen zu, ebenso wie die Verschreibung
von Antidepressiva. Wie eine Studie von Luppa et al. zeigen konnte, liegen die
hohen Prävalenzzahlen depressiver Erkrankungen bei über 75-Jährigen bei 7,2
Prozent für eine Major Depression sowie bei 17,1 Prozent für depressive Störungen
insgesamt. Die S-3-Leitlinie „Unipolare Depression“ sieht eine Wirksamkeit von
Antidepressiva auch für ältere Patienten als belegt an. Diese sollten daher in
gleicher Weise behandelt werden wie jüngere. Im Vergleich zu jüngeren Patienten
sei das Nebenwirkungsprofil bzw. die Verträglichkeit noch stärker zu beachten, so
die Leitlinienautoren. Wirksamkeitsunterschiede zwischen den beiden großen
Antidepressivagruppen TZA (Trizyklisches Antidepressivum) und SSRI (Selektive
Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer), aber auch zu anderen bzw. neueren
Antidepressiva (z. B. Moclobemid, Venlafaxin, Mirtazapin) wurden bislang nicht
nachgewiesen. Die Leitlinie rät dazu, „bei älteren Patienten sollte eine Behandlung
mit TZA in einer erniedrigten Anfangsdosis begonnen werden.“
SSRI nicht immer geeignet
Veränderte Ausscheidungsverhältnisse, Begleiterkrankungen und insbesondere
kardialeKomorbidität beeinflussen die Auswahl der Psychopharmaka im Alter. SSRI
und TZA unterscheiden sich grundlegend im Nebenwirkungsprofil. SSRI werden bei
vermeintlich besserem Risikoprofil im höheren Lebensalter zunehmend häufiger
verordnet, aber auch die Verschreibungszahlen von trizyklischen Antidepressiva
zeigen sich konstant. 2011 warnte die Food and Drug Administration (FDA) in den
USA davor, dass das SSRI Citalopram dosisabhängig zu einer Störung
desReizleitungssystems des Herzens führen kann. Die Folge ist eine Verlängerung
der QTc-Zeit und die damit verbundene Gefahr von ventrikulären Arrhythmien, vor
allem Torsades de pointes.
In Deutschland warnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
(BfArM) gemeinsam mit den Herstellern in einem Rote-Hand-Brief vor dieser
Nebenwirkung bei Senioren. Die zugelassene Höchstdosis wurde von 60 mg auf 40
mg reduziert. Für betagte Patienten wurde die Menge noch weiter reduziert.
Patienten über 60 Jahre dürfen maximal 20 mg statt 40 mg einnehmen. Vor der
gemeinsamen Gabe von anderen potenziell QTc-Zeit verlängernden Medikamenten
wird gewarnt. Auch für das strukturverwandte Escitalopram wurden entsprechende
Warnhinweise ausgesprochen.
Gut gelaunt gestürzt
In einer Studie von Sterke et al. wurde über die dosisabhängige Zunahme von
Sturzereignissen unter Behandlung mit SSRI, bei gleichzeitig
an Demenz erkrankten Patienten berichtet. Eine erhöhte Sturzneigung ist allerdings
auch unter TZA beschrieben.
SSRI doch bessere Alternative?
In der Priscus-Liste hingegen werden SSRI als Therapiealternative zu TZA
genannt. LediglichFluoxetin wird hier ausgeklammert. „Die neueren SSRI sind in
der Regel besser verträglich und weniger toxisch als die älteren TZA, die im
Vergleich zu anderen Antidepressiva eine gleiche Wirksamkeit aufweisen.
Andererseits liegen zu den älteren Präparaten meist umfassendere Erfahrungen
bezüglich seltener Nebenwirkungen und zur Höhe therapeutisch wirksamer
Plasmaspiegel vor“, so die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie
und Nervenheilkunde (DGPPN) in ihrer Leitlinie.
SSRI erhöhen das Risiko von Blutungskomplikationen. Unter Kombinationen
mitThrombozytenaggregationshemmern wie ASS oder Clopidogrel steigt dieses
Risiko zusätzlich an. Viele ältere Patienten erhalten Diuretika. Unter SSRI steigt bei
einer Kombitherapie das Risiko einerHyponatriämie. Auch auf Calcium haben SSRI
einen Einfluss. Die Knochendichte kann unter der Therapie abnehmen und das
Risiko einer Osteoporose ansteigen.
Mirtazapin wird neben den meisten SSRI als mögliche Alternative zu TZA in der
Priscus-Liste genannt. Wie auch viele TZA kann das Pharmakon zu einer Appetitund Gewichtszunahme führen. Bei Diabetikern und Adipösen sollte eine Therapie
überdacht werden.
TZA nicht für Demente
Laut Empfehlungen der DGPPN sollen TZA bei Patienten mit koronarer
Herzerkrankung nicht verordnet werden. Generell wird keine Kombination mit
anderen, potenziell QTc-Zeit verlängernden Medikamenten empfohlen. Auch vom
Einsatz bei demenziellen Erkrankungen wird aufgrund der anticholinergen
Wirkkomponente mit Gefahr der Delirentwicklung beziehungsweise
Verschlechterung der kognitiven Funktionen abgeraten. TZA haben eine geringe
therapeutische Breite, bei Patienten mit Suizidgedanken muss eine strenge NutzenRisiko-Relation erwogen werden. Ein Blick in die Priscus-Liste erleichtert die
Auswahl der Psychopharmaka. Nortriptylinscheint bei älteren Menschen weniger zu
orthostatischen Reaktionen zu führen und wird nicht in der Liste aufgeführt. In den
DGPPN-Leitlinien wird empfohlen, die Anfangsdosis zu halbieren und
gegebenenfalls langsam aufzudosieren und den Plasmaspiegel zu kontrollieren.
Erst testen, dann schlucken
Unabhängig vom Alter des Patienten ist bekannt, dass die Pharmakogenetik einen
teilweise erheblichen Einfluss auf die Wirkung und Nebenwirkung von einigen
Pharmaka haben kann. Für einige wenige Arzneistoffe ist valide nachgewiesen,
dass pharmakogenetische Parameter tatsächlich klinisch bedeutsam sind, u. a.
für Tamoxifen, Clopidogrel, Statine, Phenprocoumon und eben Psychopharmaka.
Für den Metabolismus vieler Antidepressiva sind die beiden Cytochrom P450Enzyme CYP2C19 undCYP2D6 zuständig. Jeder Zweite besitzt eine funktionell
auffällige Variante in einem der beiden Gene. Trotz gleicher Dosierung ergeben
sich teilweise erhebliche Unterschiede im Blutspiegel. Bei einem Patienten bedeutet
dies keine Wirkung, für den anderen erhebliche Nebenwirkungen.
Folgende Metabolisierer-Typen existieren:

Langsamer Metabolisierer (poor metabolizer, Abk. PM): kein funktionsfähiges
Enzym

Intermediärer Metabolisierer (intermediate metabolizer, Abk. IM): intermediäre
Menge an funktionsfähigem Enzym

Extensiver Metabolisierer (extensive metabolizer, Abk. EM): „normale“ Menge
an funktionsfähigem Enzym

Ultra-schneller Metabolisierer (ultra-rapid metabolizer, Abk. UM):
überschüssige Menge an funktionsfähigem Enzym
Gentest macht Therapie sicherer
Neuroleptika wie
beispielsweise Amitriptylin, Imipramin, Risperidon, Haloperidol oder Aripiprazolwerd
en durch das Cytochrom-P450-Enzym CYP2D6 verstoffwechselt. Acht Prozent der
europäischen Bevölkerung verfügt nicht über ein aktives Enzym, ein Prozent weist
eine extrem hohe Aktivität auf. Über CYP2C9 werden u. a. Doxepin und Fluoxetin
metabolisiert. Bei den selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmern und den
selektiven Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern (SSNRI) spielen
pharmakokinetische Effekte durch eine veränderte Enzymausstattung nur eine
geringe Rolle.
Der Generikakonzern Stada bietet derzeit vier DNA-Tests (Clopidogrel, Statine,
Tamoxifen, Antidepressiva) an. Auch bio.logis ist seit 2012 in Apotheken mit DNATests vertreten. Einen kompletten Fingerabdruck erstellt Humatrix.
Molekulardiagnostische Testsysteme können vorhersagen, welches
Antidepressivum in welcher Dosierung für den jeweiligen Patienten am besten
geeignet ist. Berücksichtigt werden derzeit insgesamt 16 häufig eingesetzte
Substanzen aus den Wirkstoffklassen SSRI, SSNRI, Trizyklika und Tetrazyklika.
Bei Antidepressiva mit gut untersuchter Pharmakokinetik lässt dies einen
Rückschluss auf die individuelle Wirksamkeit zu. Der Test lässt keine Aussage
darüber zu, ob das Psychopharmakon zur Diagnose passt. Er sagt voraus, welchen
Einfluss die Pharmakogenetik des Patienten auf den Blutspiegel des Pharmakons
ausübt. Anhand des ausführlichen Wirkprofils kann der Arzt eine
patientenorientierte Therapie einleiten.
Genetik nicht ohne Monetik
Im Rahmen einer Erprobungsregelung übernimmt die Brandenburgische BKK die
Kosten für den Statin-Test bei bestimmten Versicherten. Mittlerweile haben sich
rund 20 Patienten testen lassen, ein halbes Dutzend Ärzte unterstützt das Projekt.
Bei der Kasse ist man trotz der geringen Teilnehmerzahlen zufrieden. Die Tests
sind in ausgewählten Apotheken verfügbar und kosten inklusive Laboruntersuchung
rund 260 Euro. Dazu kommen die Kosten für den behandelnden Arzt, der die
Blutprobe entnimmt und an die Firma Humatrix einschickt. Die Tests erfüllten die
Vorgabe des Gendiagnostik-Gesetzes.
Die Techniker-Krankenkasse (TK) sieht das ganz kritisch: „selten gibt es nur richtigpositive und richtig-negative Ergebnisse“. Patienten, die wegen einer BiomarkerDiagnose von einer Therapie ausgeschlossen würden, werde eventuell eine
Therapie vorenthalten. „Personalisierte Medizin“ und „individualisierte Medizin“
seien Bezeichnungen, die falsche Hoffnungen weckten. Laut TK sind prospektive
Studiendesigns notwendig, um festzustellen, wer von den Analysen profitiert.
Nicht für alle Wirkstoffgruppen relevant
Eine Studie von Wang et al. untersuchte, wie praxisrelevant der Hinweis auf
pharmakogenetische Veränderungen in der Fachinformation wirklich ist. Lediglich
bei 18 von 119 untersuchten pharmakogenetischen Empfehlungen fand sich
tatsächlich eine ausreichende Evidenz dafür, dass der Einsatz der Biomarker das
klinische Ergebnis in relevantem Ausmaß beeinflusst.
In der offenen Datenbank PharmGKB sind fast 800 Substanzen dokumentiert, bei
denen pharmakogenetische Aspekte die Wirkung beeinflussen. In mehreren
Fachinformationen wird eine pharmakogenetische Testung vor einer Therapie
empfohlen. Auch wenn die Relevanz der Gentests auch aus monetären Aspekten
nicht für jeden Patienten sinnvoll ist, ermöglicht dieses Verfahren eine
personalisierte Pharmakotherapie. Besonders bei kritischen Arzneistoffen erscheint
das innovative Vortestverfahren sinnvoll. Es ist zu hoffen, dass die Kostenträger
sich hinsichtlich der Kostenübernahme kulanter zeigen.
Artikel vonMatthias Bastigkeit
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