1.2 Kälteanwendung in der Lebensmittelproduktion

Werbung
1 Einleitung
ein Wert von 38,2 kg/Kopf erwartet. Damit liegt Deutschland in Europa nur im
Mittelfeld. Spitzenreiter bilden heute Großbritannien mit 47,6 kg/Kopf und Schweden
mit 44,6 kg/Kopf. Knapp 35 % der in der Bundesrepublik hergestellten Tiefkühlkost
sind Pizzas, Brötchen und Baguettes, 38 % Teilgerichte und 22 % Komplettgerichte,
Eintöpfe und Suppen. 5 % der Tiefkühlkost machen Speiseeis und sonstige Produkte
aus.
Parallel zur Herstellung tiefgefrorener Lebensmittel entwickelte sich in den vergangenen 20 Jahren eine neue Produktpalette gekühlter Lebensmittel (engl. chilled foods),
Produkte, die entweder in essfertiger Form oder als Fertiggerichte zum Aufwärmen
angeboten werden und eine Haltbarkeit von mehreren Tagen oder Wochen haben. Es
handelt sich dabei vorwiegend um Milch-. Fleisch- und Fischprodukte sowie um
Fertiggerichte, Backwaren und Salate. Diese finden ein wachsendes Interesse sowohl
beim Endverbraucher als auch im Bereich von Restaurants und Gemeinschaftsverpflegungseinrichungen.
1.2
Kälteanwendung in der Lebensmittelproduktion
Es gibt in der Lebensmittelproduktion mehrere Aufgaben für die Kälteanwendung:
a.) Abkühlen von Rohstoffen auf eine Lagertemperatur oberhalb der Gefriertemperatur (z. B. Rohmilch, Rohei oder rohes Fleisch),
b.) Abkühlen von Produkten während einer Bearbeitung, bei der Wärme entsteht (z.
B. Kaltmahlen oder Kuttern),
c.) Abkühlen von Produkten nach einer Bearbeitung, bei der Wärme zugeführt wurde (z. B. blanchiertes Gemüse, pasteurisierte Trinkmilch, sterilisierte Dosen oder
gebackenes Brot),
d.) Abkühlen von Produkten zur Beeinflussung von Prozessparametern (z. B. Weinkühlung zur Verringerung der Löslichkeit von Weinsäuresalzen, Gefrierkonzentrieren von Säften oder Gefriertrocknen von Kaffeeextrakt)
e.) Abkühlen von Produkten zur Verbesserung der Haltbarkeit (z. B. Herstellung von
gekühlten oder tiefgefrorenen Lebensmitteln),
f.) Abkühlen und Kalthalten von Lagerräumen für Rohstoffe, Zwischen- oder Fertigprodukte (z. B. Räume zur Rohwurstreifung),
g.) Abkühlen und Kalthalten von Transportfahrzeugen (z. B. Transport von gekühlten oder tiefgefrorenen Lebensmitteln).
Je nach Endtemperaturbereich der Kälteanwendung unterscheidet man:
a.) Kühlen und Kühllagern (Temperatur: –1 bis +8 °C), Produkt enthält kein Eis.
b.) Gefrieren (Temperatur: –18 bis 0 °C), Produkt enthält Eis.
c.) Tiefgefrieren und Tiefgefrierlagern(Temperatur: –25 bis –18 °C), Produkt enthält
Eis.
14
Behr’s Verlag, Hamburg
1.3 Verderben von Lebensmitteln
Das wesentliche Ziel der Anwendung tiefer Temperaturen beim Kühlen und Tiefgefrieren ist es, die Haltbarkeit von Lebensmitteln zu verbessern. Dabei liegt die technologische Aufgabe zum einen darin, die Prozessbedingungen so auszuwählen, dass
ein Verlust an Produktqualität durch chemische, enzymatische oder mikrobielle Aktivität weitestgehend minimiert wird. Zum anderen gilt es, beim Entwurf oder Betrieb
von Anlagen sicherzustellen, dass die notwendigen Prozessbedingungen mit möglichst
geringen Kosten realisiert werden. Innerhalb des letzteren Aspektes spielt der Wärmetransport normalerweise die größte Rolle. Wärme muss sowohl beim Kühlen als
auch beim Tiefgefrieren dem Produkt entzogen werden. Anschließend ist dafür zu
sorgen, dass bei der Kühl- und Tiefgefrierlagerung das Produkt bei konstanter Temperatur gehalten wird, ohne dass wieder Wärme hinzutritt. Eine weitere technologische
Aufgabenstellung besteht darin, bei unverpackten Produkten zu verhindern, dass
Wasser durch Verdunstung verloren geht.
Unter den Verfahren zur Langzeit-Haltbarmachung von Lebensmittel bildet die Kälteanwendung eine Besonderheit. Während Sterilisieren und Trocknen die Eigenschaften
des Produkts stark ändern, erhält das Kühlen die Produktqualität so, dass sie vom
Frischzustand kaum abweicht. Auch das Tiefgefrieren und die Tiefgefrierlagerung
kann unter sorgfältig kontrollierten Bedingungen so gestaltet werden, dass der Verlust
der erwünschten Produktqualität nur klein ist. Eine andere Möglichkeit wäre das
Bestrahlen mit ionisierenden Strahlen, das ähnliche Produktqualitäten erzielt wie
Kühlen und Tiefgefrieren. Da viele Verbraucher dieses Verfahren zur Lebensmittelkonservierung aber aus irrationalen Gründen ablehnen, wird es vor allem in den
Industrieländen kaum die Kälteanwendung ersetzen können.
1.3
Verderben von Lebensmitteln
Nahezu 50 % aller Lebensmittel vor allem deren pflanzliche und tierische Rohstoffe
sind aufgrund ihres hohen Wassergehaltes verderblich. Unter Verderb versteht man
eine unerwünschte, nicht durch den Menschen absichtlich herbei geführte Qualitätsverschlechterung eines Lebensmittels. Diese reicht von der Wertminderung infolge
einer Zerstörung lebenswichtiger Nährstoffe (Vitamine, essentielle Amino- und Fettsäuren) über das Auftreten abweichender Geschmacks- und Geruchsnoten bis zur
völligen Genussuntauglichkeit infolge der Bildung toxischer Verbindungen. Der Verderb von nicht konservierten Lebensmitteln setzt meistens spontan ein und verläuft
je nach Anfangs- und Umgebungsbedingungen unterschiedlich schnell. Dabei spielen
die Zusammensetzung des Lebensmittels, die Umgebung (Licht, Temperatur, pH-Wert,
Luftfeuchte, Sauerstoffpartialdruck) und die Anwesenheit verderbnisfördernder oder
verderbnishemmender Substanzen eine Rolle [1].
Kühlen und Gefrieren von Lebensmitteln
15
1 Einleitung
Der spontane Verderb hat folgende Ursachen:
a.) Aktivität von Mikroorganismen
b.) enzymkatalysierte chemische Reaktionen
c.) Oxidative chemische Reaktionen
Die Aktivität schädlicher Mikroorganismen, insbes. von Bakterien, Hefen und Schimmelpilzen führt zum mikrobiellen Verderb. Dieser hat gesundheitsschädliche Folgen,
insbes. wenn die Mikroorganismen pathogen (d. h. krankheitserregend) sind oder
Toxine (d. h. Giftstoffe) bilden. Voraussetzung für diese Art des Verderbs ist das
Vorliegen geeigneter Lebensbedingungen für die schädlichen Mikroorganismen. Dazu gehören [1]:
a.) ausreichend hohe Wasseraktivität (d. h. das Vorhandensein von nicht durch Zucker,
Salz, Säure oder Alkohol gebundenem Wasser, das damit für die Organismen
verwertbar ist),
b.) gemäßigte pH-Werte in der Nähe des Neutralpunktes oder schwach sauer,
c.) gemäßigte Temperaturen (Die optimalen Lebensbedingungen von Schadbakterien
sind sehr unterschiedlich: Es gibt sowohl kälteliebende (kryophile) als auch wärmeliebende (thermophile) Arten. Für die Abtötung vegetativer Formen reicht
eine Erhitzung auf 70 bis 80 °C. Die wesentlich hitzeresistenteren Sporen benötigen zur vollständigen Abtötung erheblich höhere Temperaturen. Auch zu tiefe
Temperaturen können schädlich sein. Viele Gemüse und Früchte werden durch
zu tiefe Temperaturen geschwächt oder abgetötet und beginnen danach zu verderben.)
d.) artgemäße Sauerstoffanwesenheit (Die Anwesenheit von Sauerstoff ist nur für
aerobe Mikroorganismen (z. B. Schimmelpilze) erforderlich. Anaerobe Arten
(z. B. Salmonellen) wünschen keine Sauerstoffanwesenheit. Fakultativ anaerobe
Arten (z. B. Hefepilze) benötigen keinen Sauerstoff, können aber auch bei Anwesenheit von Sauerstoff leben.)
e.) Abwesenheit von Hemmstoffen (Es gibt spezifische Hemmstoffe (Konservierungsstoffe), die das Wachstum von Mikroorganismen verhindern.)
Enzymkatalysierte chemische Reaktionen führen zum enzymatischen Verderb. Ursache sind die in jeder lebenden Zelle vorhandenen Enzyme, durch deren katalytische
Wirkung alle Stoffwechselvorgänge in der Zelle geordnet gesteuert werden. Diese
Enzyme sind nicht nur in lebenden Zellen aktiv, sondern wirken auch nach dem
Absterben der Zelle weiter, führen dann aber zu mehr oder weniger ungeordneten
Reaktionsabläufen. Damit können in allen biologischen Lebensmittelrohstoffen qualitätsmindernde enzymatische Reaktionen solange auftreten, bis die Eigenenzyme
durch Erhitzen oder auf andere Weise inaktiviert werden. Da die Enzyme in den
Zellen nicht frei vorliegen, sondern von ihren natürlichen Substraten durch Membranen getrennt sind, werden sie erst nach deren Zerstörung durch mechanische oder
chemische Einflüsse voll wirksam. Daher ist der enzymatische Abbau von Lebensmittelinhaltsstoffen nach der Gewinnung von Rohstoffen in der Anfangsphase noch
16
Behr’s Verlag, Hamburg
1.4 Wirkung von Kälte auf die Haltbarkeit von Lebensmitteln
kein unerwünschter Verderbnisprozess, sondern kann auch ein erwünschter Reifungsbzw. Veredelungsprozess sein. Enzymatisch katalysierte Veränderungen begünstigen
aber auch die anderen Verderbsursachen. Wie der mikrobielle Verderb hängt auch
der enzymatische Verderb von Wassergehalt, pH-Wert und Temperatur ab [1].
Der oxidative Verderb beruht auf einer rein chemischen Reaktion zwischen sauerstoffempfindlichen Lebensmittelbestandteilen und dem Sauerstoff der Umgebungsluft.
Da diese Reaktion selbstständig beginnt, wird sie Autoxidation genannt. Oxidiert
werden vor allem ungesättigte Fettsäuren und die Vitamine A, C, E und Provitamin
A. Dabei kommt es nicht nur zu einer Zerstörung dieser Stoffe, sondern auch zur
Bildung toxischer Fettoxidationsprodukte. Die Oxidationsvorgänge können durch Lipoxigenase, Ascorbinsäureoxidase oder Peroxidasen auch enzymatisch hervorgerufen
werden. Der Start der Autoxidation wird durch Energiezufuhr in Form von Licht und
Wärme gefördert. Sobald sie einmal gestartet wurde, wird sie auch bei Kälte fortgesetzt. Die Autoxidation der Fette wird durch die Anwesenheit von Prooxidantien (z. B.
Schwermetallionen) gefördert und durch Antioxidantien sowie durch Synergisten und
Metallfänger (Komplexbildner) gehemmt [1].
1.4
Wirkung von Kälte auf die Haltbarkeit
von Lebensmitteln
Die Verlängerung der Haltbarkeit von Lebensmitteln bei tieferen Temperaturen beruht
auf der Verlangsamung aller enzymatischen und chemischen Reaktionen und folglich
auch der Stoffwechseltätigkeit von Mikroorganismen durch Temperaturabsenkung. Je
niedriger die Temperatur, desto länger wird die Haltbarkeit, wobei eine ungefähr
exponentielle Relation zwischen Haltbarkeitsdauer und angewandter Temperatur besteht (vergl. Abb. 1.1).
Wie andere Verfahren der Lebensmittelkonservierung richten sich Kälteanwendungen
in erster Linie gegen den mikrobiellen Verderb. Da sich jeder Mikroorganismus nur
innerhalb für ihn spezifische begrenzter Temperaturbereiche vermehren kann, wirkt
Kälte zunächst vermehrungsverzögernd und bei noch tieferen Temperaturen vermehrungshemmend (vergl. Abb. 1.2). Außer bei den kryophilen Mikroorganismen hört
die Vermehrung schon oberhalb der Gefriertemperatur von Wasser auf. Beim Gefriervorgang stirbt ein Teil der Mikroorganismen im Temperaturbereich zwischen –2,5
und –10 °C ab, wobei die Absterbequote um so höher ist, je langsamer dieser Bereich
durchlaufen wird. Da die Kälteempfindlichkeit einzelner Arten unterschiedlich ist,
tritt in diesem Temperaturbereich eine Selektion bestimmter Arten ein. So sterben
z. B. gramnegative Bakterien schneller ab als Sporen und grampositive Bakterien.
Unterhalb von –10 °C verlangsamt sich die Absterbegeschwindigkeit wieder [3]. Leider lässt sich die Empfindlichkeit von Mikroorganismen im Temperaturbereich zwi-
Kühlen und Gefrieren von Lebensmitteln
17
Herunterladen