ZU DEN FUNKTIONEN VON HABEN IM DEUTSCHEN

Werbung
ZU DEN FUNKTIONEN VON HABEN IM DEUTSCHEN
Bogdana CÎRTILĂ
Äußerungen wie z.B.: er hat einen Wagen, er hat eine Schwester, er hat Mut,
er hat Fieber enthalten alle das Verb haben und eine humane Entität als Subjekt.
Ihre abstrakte Tiefenstruktur ist identisch, trotzdem liegen die Sätze semantisch
weit auseinander. So wird in der ersten Äußerung dem Subjekt ein materieller
Gegenstand als Besitz zugeschrieben, in der zweiten steht das Subjekt in einer
bestimmten Verwandtschaftsrelation zu einer anderen humanen Entität, in der
dritten kommt eine Charaktereigenschaft des Subjekts zum Ausdruck und in der
vierten wird schließlich assertiert, dass ein Wesen sich in einem bestimmten
temporären Zustand befindet. Solche Beispiele zeugen eindeutig von einem sehr
weiten Bedeutungsspektrum und von einer stark ausgeprägten Polyfunktionalität
des Verbs haben in der deutschen Gegenwartssprache. Wie sich im Folgenden
zeigen wird, ist haben eher ein Relationsverb, das eine Vielzahl von Relationen
zwischen zwei Entitäten ausdrücken kann, prototypischerweise eine Possessivrelation. Der vorliegende Bericht nimmt sich eine systematische und anschauliche
Darstellung der lexikalischen Funktionen vom Verb haben sowie eine integrative
Behandlung seiner Gebrauchsparadigmen vor.
Das Verb haben hat in der Gegenwartssprache Deutsch eine herausragende
Stellung wegen seiner unvergleichbaren Funktionsweite. Es ist ein Fall
konventionalisierter Grammatikalisierung und deswegen in jeder Grammatik gleich
zweimal zu finden. Zum einen kann es die semantische Relation der Possessivität
ausdrücken und fungiert dabei als Vollverb, worauf hier ausführlicher eingegangen
wird. Zum anderen übt haben auch mehrere grammatische Funktionen aus, was als
eine Hilfsverbverwendung zu vereindeutlichen ist. Hier sei an erster Stelle sein
Gebrauch als Tempusauxiliar zur Bildung des analytischen Perfekts / Plusquamperfekts / Futurperfekts erwähnt: haben + Partizip II: er hat / hatte gelesen / wird
gelesen haben. Syntaktisch homonym mit dem haben-Perfekt ist das haben-Passiv
oder Dativ-Zustandspassiv, das das Zustandspassiv eines bekommen-Passivs
ausdrückt: die Kirchen haben die Fenster gestrichen, mit der Bedeutung „die
Fenster der Kirchen sind gestrichen“. Als Modalitätsverb dient haben + zu +
Infinitiv zum Ausdruck der Notwendigkeit: ich habe das auswendig zu lernen,
seltener zum Ausdruck der Möglichkeit: was hast du zu berichten?.
Grammatisch feste Verbindungen liegen bei den Funktionsverbgefügen:
unter Kontrolle haben, zur Folge haben, zum Ergebnis haben, Ahnung haben oder
bei den zahlreichen haben-Kollokationen vor: eine Wirkung haben, die Absicht
haben, Bedeutung haben, einen Nutzen haben. Alle diese sind Kombinationen aus
inhaltsstärkeren, abstrakten Substantiven und dem semantisch neutralisierten
haben. Stilistisch sind solche Fügungen zumeist bestimmten Funktionsstile (z.B.
dem der Verwaltung) vorbehalten, in denen die kommunikative und sprachliche
Genauigkeit und Ökonomie vor Prinzipien der sprachlichen Differenzierung und
Variation rangieren (Sowinski 1991: 226). Im Gegenwartsdeutsch kommt das Verb
haben auch in vielen idiomatischen Wendungen vor, in denen es eine geschwächte
Bedeutung aufweist: etwas hat Hand und Fuß, er hat Köpfchen, einen Kater haben,
der hat aber einen Bart!, es in sich haben, ich habe den grünen Daumen, Schwein
gehabt, sie hat ein großes Herz, er hat Flausen im Kopf.
Das Vollverb haben ist ein transitives, nicht-passivfähiges1 (daher pseudotransitives) zweiwertiges Zustandsverb, das keine Verlaufsform aufweist (*ich bin
am Haben). Semantisch gesehen ist haben das wichtigste und häufigste possessive
Verb des Deutschen. Wir haben es hier mit einem hochgradig ambigen und
unscharfen Verb zu tun, bei dessen Interpretation vielfältige Möglichkeiten
gegeben sind. Das Lexem haben ist sehr vielseitig einsetzbar bei humanem,
belebtem oder unbelebtem Possessor, wie bei konkretem oder abstraktem
Possessum. Wie es sich im Folgenden zeigen wird, dient es zum Ausdruck der
verschiedensten Typen sowohl alienabler (typischerweise) als auch inalienabler
Possession (unter bestimmten Bedingungen) und ragt auch weiter über die Domäne
der Possession hinaus (Existenz, örtliches Befinden).
Das Verb haben etabliert prototypischerweise eine Besitz-Relation bei
humanem Possessor und materiellem Possessum. Der Possessor tritt als Satzsubjekt
und Prädikationsbasis bzw. Thema und das indefinite, nicht-relationale und nichtbelebte Possessum als Akkusativobjekt bzw. Rhema auf: ich habe einen neuen
Wagen, seine Frau hat sehr kostbare Sachen. Bei dieser permanenten alienablen
Possession ist das Ersetzen des possessiven Verbs durch besitzen möglich, ja sogar
erwünscht zur eindeutigen Klärung der Possessivverhältnisse als Eigentum: ich
besitze einen neuen Wagen.
Mithilfe von haben wird oft ebenfalls bei humanem Possessor und
gegenständlichem Possessum ein bloßes temporäres Nutzungsverhältnis etabliert:
er hat einen Wagen, er hat ein Zimmer im Wohnheim, Müllers haben ein Haus zur
Miete. In diesem Fall ist die Paraphrase von haben mit dem Verb besitzen
ausgeschlossen: er hat ein Auto, aber er besitzt es nicht, es gehört nicht ihm, es ist
nur ein Betriebswagen.
In Äußerungen wie: hast du den Schlüssel?, hast du Feuer?, ich habe genug
Geld dabei geht es um eine rein zufällige momentane und physische Beziehung
zwischen einem Menschen und einem Gegenstand. Das Possessum wird nicht dem
Possessor zugeschrieben, sondern eher lokal mit ihm assoziiert. Mit der Frage hast
du den Schlüssel? wird nicht danach gefragt, ob jemand einen Schlüssel besitzt,
sondern ob jemand einen gewissen Schlüssel in der gegebenen Diskurssituation bei
sich hat. Zum noch expliziteren Ausdruck steht hier oft eine präpositionale Fügung:
ich habe den Schlüssel dabei / mit dabei / bei mir mit der Bedeutung „der Schlüssel
ist bei mir“. Diese lokale Fügung wandelt einen Ausdruck des permanenten
Besitzes, der übrigens die prototypische Possessivrelation schlechthin ist, in einen
Ausdruck, der eher marginal mit Possession assoziiert wird (Heine 1997: 220). Die
syntaktisch komplexere Konstruktion vermittelt, dass ein Possessum, das nicht
inhärent zu einem humanen Possessor gehört und auch nicht notwendigerweise
dessen Besitztum ist, sich eher rein zufällig und momentan „an” diesem befindet.
Die Lokalität des Possessors stimmt vorübergehend mit der des Possessums
überein. An dieser Stelle soll noch darauf hingewiesen werden, dass ein
Definitartikel beim Possessum steht. So ist z.B. sie hat ein Auto als Ausdruck eines
Besitzverhältnisses zu verstehen im Sinne von „sie besitzt ein Auto”, wobei sie hat
das Auto als akzidentielle, physische Beziehung gedeutet wird im Sinne von „das
Auto befindet sich bei ihr”. Zu den Verben der akzidentiellen Possession sind
neben der entsprechenden Lesart von haben auch verbale Fügungen wie: über
etwas verfügen, zur Verfügung haben zu zählen: sie hat das Auto zur Verfügung.
Zu all den bisher besprochenen Gebrauchssituationen des Verbs haben muss
noch gesagt werden, dass eine Unterscheidung von Besitz im engen Sinne,
Verfügung und akzidentieller Possession nicht ohne weiter ergänzenden Kontext
möglich ist: er hat Geld („er ist reich”) vs. er hat Geld („er hat Geld zur
Verfügung”).
Bei einem Abstraktum mit Nullartikel als Possessum drückt haben
temporäre physische: er hat Hunger / Durst / Angst / Fieber / Schnupfen oder
psychisch-mentale Zustände aus: er hat Probleme / Glück / Langeweile / Freude /
Spaß. Hier geht es nicht um die Zuschreibung eines Besitzes an einen Possessor.
Solche Konstruktionen besagen eher, dass sich eine Entität in einem gewissen
Zustand befindet, weshalb sie nicht von allen Linguisten zur Possession gezählt
werden (Herslund/Baron 2001: 3). Es ist eine abstrakte Possession, in der der
Possessor zugleich auch als Experiencer fungiert. Dass wir uns mit diesen
Äußerungen an der Peripherie der Domäne der Possession befinden, beweist auch
die hier oft mögliche Umschreibung mit sein und einem vom abstraktem Nomen
abgeleiteten Adjektiv: er ist durstig / ängstlich / glücklich / gelangweilt.
Das Gebrauchsfeld des Verbs haben beschränkt sich im Deutschen nicht nur
auf die alienable Possession. Alienable und inalienable haben-Prädikationen
weisen dieselbe Struktur auf, wobei der wesentliche Unterschied in der internen
Struktur des Possesum–Nomens liegt. Hier fällt der Zugriff auf den weiteren
Kontext zur Disambiguierung der possessiven Beziehung aus, da das relationale
Possessum-Nomen den nötigen Hinweis dafür darstellt.
Ist der Possessor belebt, lässt er sowohl belebte als auch unbelebte Possessa
zu. Wenn diesem Possessor ein humanes Possessum zugeschrieben wird, drückt
der Satz fakultative Verwandtschaftsbeziehungen: er hat eine Tochter / eine
Schwester oder soziale zwischenmenschliche Beziehungen aus: er hat einen
Freund / einen netten Arbeitskollegen. Falls der Possessor ein unbelebtes
Konkretum ist und ihm auch ein unbelebtes Konkretum als Possessum
zugeschrieben wird, drückt der Satz eine Teil-Ganzes-: das Auto hat ein Airbag,
der Tisch hat vier Beine oder eine Zugehörigkeitsrelation aus: das Haus hat einen
Balkon. Der Hund hat eine Hundehütte zeigt eine possessive Relation bei einem
nicht-humanen aber belebten Possessor. Hat der Possessor das semantische
Merkmal [+INSTITUTION], drückt der Satz die Zugehörigkeitsrelation aus,
unabhängig davon, ob das Possessum belebt ist: unsere Stadt hat über 300.000
Einwohner oder nicht: unsere Stadt hat ein historisches Museum.
Äußerungen mit dem Verb haben und einem relationalen Nomen wie z. B.:
jeder Mensch hat einen Vater und eine Mutter, ein Haus hat eine Tür, ein Vogel
hat zwei Flügel, ein Kilo hat 1000 Gramm können als All-Aussagen oder prinzipien interpretiert werden, wenn der Possessor indefinit ist. Ist das Subjekt der
haben-Konstruktion eine Maßeinheit, muss das Objekt auch eine sein wie im
letzten Beispiel (Clasen 1981: 28). In diesem Fall werden diese All-Aussagen oder
-prinzipien immer im Präsens ausgedrückt.
Obwohl in der Regel dem Ganzen nicht ein Teil dessen durch haben
zugeschrieben werden kann, ist das durchaus möglich, wenn der Teil über spezielle
Eigenschaften in der Form eines adjektivischen Attributs verfügt: *der Wagen hat
Türen vs. der Wagen hat zwei / rote / beschädigte Türen, *er hat eine Zunge vs. er
hat eine scharfe / lose / böse Zunge.
Ein abstraktes Possessum kann sowohl bei einem belebten: er hat Mut, die
Studierenden haben solide Kenntnisse als auch bei einem unbelebten Possessor
auftreten: dieses Buch hat ein Alter von über 100 Jahren (Heine 1997: 155). In
solchen Äußerungen wird das Possessum eher als permanentes eigenes Merkmal
des Possessors und weniger als dessen Possession gedeutet. Das Referenzobjekt ist
oft ein Derivat eines Adjektivs: Größe, Höhe, Fläche.
Dasselbe Lexem haben wird im Deutschen auch für den Sonderfall
Verfügung bei thematischem Subjekt mit lokalem Rahmen verwendet. Die
Umschreibung mit es gibt oder sein ist für alle Beispielsätze möglich: hast du Gift
in deinem Laboratorium? („gibt es Gift in deinem Laboratorium?”), er hat einen
Pickel im Gesicht / ein Muttermal am rechten Oberarm, wir haben viele Hasen in
der Gegend. Solche Äußerungen mit haben und einer obligatorischen
präpositionalen Lokalergänzung sind in der Regel keine Possessivkonstruktionen
(Gerstl 1994: 61). Sie vermitteln primär eine räumliche Relation zwischen dem
direkten Objekt und der Lokalergänzung. Nur sekundär wird auch eine
Possessivrelation ausgedrückt. Dies ist jedoch im allgemeinen sehr stark von
kontextuellen Faktoren abhängig. Umgangssprachlich kann noch der Infinitiv von
stehen, liegen, sitzen hinzutreten: wir haben den neuen Teppich im Flur liegen, wo
habt ihr das Auto stehen?, er hat das Kind bei sich auf den Schultern sitzen. Das
Verb haben ermöglicht hier eine syntaktische Struktur mit einem belebten Wesen
als Subjekt, obwohl der Sachverhalt selbst sich auf die statische räumliche
Positionierung eines Gegenstandes bezieht. Das possessive Verb tritt in seiner
Funktion als sein-Substitutor auf. Eine Behauptung über einen Gegenstand, der in
ein Zugehörigkeitsverhältnis zu einer Person steht, wird in eine haben-Äußerung
umformuliert mit dem Possessor in topikalisierter Subjektsposition. Haben wird zu
einem sprachlichen Mittel, das dem Ausdruck der Personenprominenz in den
europäischen Sprachen und auch im Deutschen dient, in mehr oder weniger
grammatikalisierten Strukturen, was noch ein zusätzliches Argument für die
anthropozentrische Perspektivierung im europäischen Sprachraum ist.
Zahlreiche unterschiedliche haben-Kollokationen eher umgangssprachlichen
Charakters bezeichnen eine Relation zwischen Menschen und für sie relevante
Situationen, z. B. bei Temporal- und Wetterangaben: wir haben schönes Wetter,
35°, Dauerregen, Sturm, Weihnachten, den 11. April, 11 Uhr usw. Oft wird hier
die Existenz in einem temporalen Rahmen ausgedrückt, daher auch die mögliche
Paraphrasierung mit sein. In einer typischen Existenzprädikation fungiert das
unpersönliche es (es ist, es gibt) als grammatisches Subjekt. In einer habenKonstruktion zum Ausdruck der Existenz aber steht ein persönliches, humanes
Nomen oder Pronomen in der Position und Rolle des Satzsubjekts. Hier ist
wiederum die Tendenz des Deutschen zu erkennen, der empathischen Entität in
einer Äußerung die syntaktische Funktion des Subjekts und die Rolle der
Prädikationsbasis zuzuweisen.
Im süddeutschen Sprachraum kann das grammatikalisierte unpersönliche
haben eine Existenzprädikation ausdrücken: es hat mit der Bedeutung „es ist, es
gibt”: es hat Regen / 20 Grad, in der Schweiz hat es hohe Berge, am Berg hat’s
Schnee.
Ebenfalls außerhalb der Domäne der Possession befindet sich der eindeutig
umgangssprachliche, aber häufige Gebrauch von haben zum Ausdruck einer
Aufforderung: kann ich bitte noch einen Kaffee haben?, kann ich den auch in weiß
haben?, ich möchte das Bier kalt haben, ich brauche dieses Wörterbuch nicht
mehr, aber du kannst es gerne haben, im Sinne von „ich möchte”, „ich bekomme”.
Diese möglicherweise noch nicht einmal vollständige Aufzählung der
wichtigsten Gebrauchsparadigmen von haben verdeutlicht aber eindeutig, welch
hoher Grad an Ambiguität und Unschärfe in einem so häufig verwendeten Verb
steckt (Herslund/Baron 2001: 3, Bach 1967: 476f).
Eben wegen dieser stark ausgeprägten Polyfunktionalität des Verbs haben
gehen die Meinungen der Linguisten dazu weit auseinander. Es ist noch nicht klar
festgelegt worden, ob es sich um eine lexikalische Einheit oder eher um ein
funktionales Element handelt. Oder welches die gemeinsame semantische Basis für
die unterschiedlichen possessiven und nicht-posessiven (existentiellen, lokativen,
perfektiven, modalen) haben-Konstruktionen ist. Der Ausdruck der Possession auf
Satzebene ist schon lange nicht der einzige Anwendungsbereich von haben. Nur zu
behaupten, dass es ein transitives Verb wie jedes andere ist, das den zwei
Partizipanten die thematischen Rollen eines Possessors und eines Possessums
zuordnet, wäre stark vereinfachend.
Mit so einem „universalen” haben-Verb kann man im Deutschen von
einem Abbauprozess hinsichtlich der Differenzierung der Possessionsarten
sprechen. Die anderen possessiven Verben sind von der Gebrauchsfrequenz her
ziemlich selten, verfügen aber dafür über ein enges, sehr spezialisiertes
Bedeutungsspektrum und werden immer mehr von haben verdrängt. Es zeigt sich
somit eine eindeutige Tendenz zur Reduktion der Vielfalt der possessiven Verben
und eine Generalisierung des Gebrauchs von haben. Dieses weist das breiteste
Distributionsspektrum unter den Possessionrelatoren auf und ist ein semantisch
leeres Verb, das ein undefiniertes possessives Verhältnis zwischen zwei Entitäten
herstellt.
Das ursprüngliche Tätigkeitsverb mit der Bedeutung „halten, anfassen,
nehmen” dient dem Ausdruck der Possession, also einem Zustand. Daher „pseudo-
transitiv” oder, moderner ausgedrückt, es stellt kein prototypisches transitives Verb
dar. Haben tritt in einer Agens-Patiens syntaktischen Konfiguration auf. Eine
prototypische transitive Situation setzt folgendes voraus: ein Agens, das eine
gezielte, aktive und kontrollierte Handlung an einem Patiens ausübt und ein
Patiens, das von der Handlung des Agens affiziert ist. Hier kann sehr deutlich ein
Ikonizitätsprinzip erkannt werden: weder semantisch noch syntaktisch ist haben ein
prototypisches Transitivverb. Eine nicht-prototypische Konzeptualisierung als
transitives Verb, das den Partizipanten die semantischen Rollen Possessor und
Possessum zuweist und eine statische Relation zwischen zwei Nomen ausdrückt,
geht mit einem nicht-prototypischen syntaktischen Verhalten einher. Eine
syntaktische Transitivität kann im Falle von haben schon festgestellt werden: es
gibt ein Subjekt und ein Akkusativobjekt, allerdings ist die Passivtransformation
blockiert. Von semantischer Transitivität kann hier keine Spur erkannt werden. In
eine allgegenwärtige, unmarkierte syntaktische Transitivstruktur wird ein völlig
untypischer semantischer Inhalt „eingequetscht”.
NOTE
1
Haben ist nicht passivfähig, weil es ein umgekehrtes sein ist. Hier wird das Subjekt und nicht das
Objekt effiziert. Nur in der Sekundärbedeutung „dominieren, beherrschen” kann man sagen:
er ist von seiner Eifersucht / der Arbeit besessen, er ist ein Besessener.
BIBLIOGRAPHIE
Bach, Emon, Have and Be in English Syntax, in Language 43, 1967, S. 462-85.
(Bach 1967)
Clark, Eve, Locationals: Existential, Locative and Possessive Constructions, in
Universals of Human Language, Greenberg, Joseph H. (ed.), vol. 4 Syntax,
Stanford University Press, California, 1978, S. 85-126.
Clasen, Bernd, Inhärenz und Etablierung, akup 41, Köln, Institut für
Sprachwissenschaft, 1981. (Clasen 1981)
Gerstl,
Peter,
Die
Berechnung
von
Wortbedeutung
in
Sprachverarbeitungsprozessen – Possessivkonstruktionen als Vermittler
konzeptueller Information, Dissertationsschrift, 1994. (Gerstl 1994)
Heine, Bernd, Possession. Cognitive Sources, Forces, and Grammaticalization,
Cambridge University Press, 1997. (Heine 1997)
Herslund, Michael, Baron, Irène, Dimensions of Possession, in Baron, I., Herslund,
M., Sorensen, F. (ed.), Dimensions of Possession, Amsterdam / Philadelphia,
John Benjamins Publishing Company, Typological Studies in Language, vol.
47, 2001, S. 1-25. (Herslund/Baron 2001)
Koch, Peter, Haben und Sein im romanisch-deutschen und im innerromanischen
Sprachvergleich, in Studien zum romanisch-deutschen Sprachvergleich,
Rovere, G. / Wotjak, G. (Hrsg.), Tübingen, Niemeyer, Linguistische
Arbeiten 297, 1993, S. 177-189.
Lehmann, Christian, Possession in Yucatec Maya. Structures – Functions –
Typology, second, revised edition, Arbeitspapiere des Seminars für
Sprachwissenschaft der Universität Erfurt (ASSidUE, 10), 2002.
Schumacher, Helmut (Hrsg.), Verben in Feldern. Valenzwörterbuch zur Syntax und
Semantik deutscher Verben, Berlin / New York, W. de Gruyter, 1986.
Seiler, Hansjakob, Possession as an Operational Dimension of Language,
Tübingen, G. Narr, Language Universals Series, volume 2, 1983.
Sowinski, Bernhard, Deutsche Stilistik. Beobachtungen zur Sprachverwendung und
Sprachgestaltung im Deutschen, Frankfurt am Main, Fischer, 1991.
(Sowinski 1991)
ABSTRACT
The goal of this article is to give a detailed description of the lexical
functions of the verb haben in present-day German. The semantic analysis points
out numerous and quite different uses, ranging from alienable to inalienable
possession, but also covering non-possessive cognitive domains such as existence
and location. The verb proves to establish ultimately a relationship between two
discourse participants. Syntactically, it is a transitive, but non-agentive structure, in
which the human being is coded in topical position as the grammatical subject of
the sentence.
Key words: haben, predicative possession, atypical transitive structure
Herunterladen