Sprache kann etwas Eindeutiges bezeichnen, Musik dagegen ist

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01 dieter kaufmann KLANGZEICHEN
Sprache kann etwas Eindeutiges bezeichnen, Musik dagegen ist eine »schöne Stumme mit Augen voll Sinn«,
wie es Jean Paul Sartre in seinem Vorwort zu »L’artiste et sa conscience« von René Leibowitz 1950 ausgedrückt hat. Er unterscheidet damit zwischen Sinn und Bedeutung, wenn er Musik und Sprache vergleicht.
Etwa zur gleichen Zeit stellte in Paris Pierre Schaeffer in sogenannten Lärmkonzerten/Geräuschkonzerten
[»concerts de bruit«] erstmals seine »musique concrète« vor. 1968 bis 1970 hatte ich das Glück, durch diese »Schule
des Hörens« zu gehen und mit einem Schatz neuer Klangerfahrungen nach Wien zurückzukehren.
Das »Klangobjekt« als neues Baumaterial der Komposition hat seitdem die traditionellen Bausteine der Musik
(Ton, Akkord, Motiv etc.) weitgehend vereinnahmt. Es bezeichnet einen vom Komponisten ausgewählten Ausschnitt aus dem »klingenden Universum«. Alles, was klingt, kann Musik werden, also der Lärm der Straße
oder das Brüllen einer Kuh ebenso wie ein Fragment aus dem Mozart-Requiem.
Das schafft neue Assoziationen, erzählt neue Geschichten, Anekdoten, die nichts außer sich selbst bedeuten, aber in der Zusammenstellung [com-position] ihrer Klangobjekte Sinn besitzen. Es sind Klangzeichen, Abbildungen unserer akustischen Wirklichkeit, die durch die elektroakustische Reproduktion zu einer neuen
Kunstform werden, der sogenannten »akusmatischen Musik«.
Wenn Esther Dischereit von dem Verschwinden der jüdischen Bürger Dülmens spricht, von ihrer einstigen
Präsenz im Stadtgeschehen, die vergangen und verloren ist, so versuche ich, diese Texte in unser aktuelles
akustisches und kulturelles Umfeld zu stellen. Dabei kann sich der Verkehrslärm, der den Eichengrün-Platz
umgibt, mit harmonischen oder geräuschhaften Sequenzen mischen, die aus dem Lautsprecher kommen.
Manchmal habe ich diese Mischung zwischen Maschinenlärm und Instrumentalmusik auch selbst hergestellt,
wie im Klangzeichen »Maschinentraum«, in dem die Geräte und Werkzeuge einer aufgelassenen Manufaktur
von ihrer früheren Funktionalität träumen und so mit der berühmten »Air« von J. S. Bach zu wetteifern beginnen.
»Jeder hat das Recht auf...«. So beginnen die ersten Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte,
die vor 60 Jahren formuliert wurden. Wir können jeden Einzelnen als vollwertig erkennen und anerkennen,
gleichgültig aus welchem gemeinschaftlichen Kontext er kommt. Wir können der Ausgrenzung von »Anderem« und »Anderen« entgegenwirken und der monokulturellen Einfalt eine Vielheit entgegenstellen.
In der Klangzeichnung wird eine Möglichkeit der Abbildung von Realität vorgestellt, eine Möglichkeit, die in
der zu Gehör kommenden Gegenwart sich als die »andere« zeigt. Sie ist selbst eine Möglichkeit unter vielen,
mit der die akustische Landschaft des Platzes mit seiner neuen Bestimmung einen Dialog beginnen kann.
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