11 Kapitel 11 ENDOKRINOLOGIE 11.1 Jodstoffwechsel und Schilddrüse W. Zechmann 1. Einleitung Die Schilddrüsenhormone Thyroxin und Trijodthyronin sind für den regelrechten Ablauf der meisten Stoffwechselprozesse sowie für Wachstum und Entwicklung unerlässlich, sie sind lebensnotwendig. Das dritte in der Schilddrüse gebildete Hormon, das Calcitonin, wird nicht in den Thyreozyten sondern in den zwischen den Schilddrüsenfollikeln liegenden C-Zellen gebildet und greift in den Kalziumstoffwechsel ein. Es hat für die Schilddrüse selbst nur dann eine Bedeutung, wenn sich ein Karzinom daraus entwickelt (Medulläres Schilddrüsenkarzinom). Das eigentlich biologisch wirksame Molekül Trijodthyronin entsteht durch Abspaltung eines Jodatoms aus Thyroxin. Ein für die Hormonwirkung essentieller Bestandteil dieser Hormone ist das Spurenelement Jod in einer ganz bestimmten sterischen Konfiguration. Solche thyroxinähnlichen, jodhältigen Verbindungen sind schon sehr früh in der Evolution vertreten z. B. Manteltiere (tunicatae) vor 500 Millionen Jahren (Dillmann, 1989). Als die Lebewesen, aus dem Meer kommend, das Land eroberten, war Jod nicht mehr in ausreichender Menge und zu jeder Zeit verfügbar, so dass sich ein Organ entwickeln musste, dass sowohl Jod als auch das bereits gebildete Schilddrüsenhormon auf Vorrat speichern konnte. Jod wird mit der Nahrung aufgenommen. Aus anfänglich im oberen Verdauungstrakt verstreuten thyroxinbildenden Buch 1.indb 133 Zellen entwickelte sich letztlich die menschliche Schilddrüse. In Landstrichen, die während der Eiszeit vergletschert waren (Inlandeis und Gebirgsregionen), wurde durch die Eisschmelze das Jod aus den Böden ausgewaschen. In diesen Gebieten ist nicht genug Nahrungsjod vorhanden, es treten dort vermehrt Jodmangelerkrankungen auf. Wenn mehr als 10 % der Bevölkerung betroffen sind, nennt man diese Landstriche Endemiegebiete. Der Jodmangel ist ein weltweites Problem und wurde in vielen Ländern (z. B. auch Schweiz und Österreich) durch eine gesetzlich geregelte Speisesalzjodierung behoben. In Deutschland wird nur die freiwillige Verwendung von Jodsalz empfohlen. Aber auch ein Zuviel an Jod ist nicht günstig, bei manchen Schilddrüsenerkrankungen sollte eine zu hohe Jodaufnahme vermieden werden. Selen und Eisen sind ebenfalls wichtige Spurenelemente für die Thyroxinsynthese. Sie sind Bestandteil einiger dafür notwendiger Enzyme. 2. Mikroanatomie der Schilddrüse Die Schilddrüsenzellen (Thyreozyten, Follikelzellen) bilden mikroskopisch kleine, einschichtige Hohlkugeln (Durchmesser ca. 50 µm). Man nennt sie Follikel. Sie liegen durch zarte Bindegewebsbündel getrennt aneinander und bilden größere Läppchen. Die Thyreozyten schließen mit der basalen Zellmembran unmittelbar an 15.10.2009 11:11:25 Kap. 11.1 W. Zechmann Abb. 1. Schematische Darstellung des Jodstoffwechsels, der Thyroxinsynthese und der Thyroxininkretion die Blutkapillaren an, mit der apikalen Zellmembran umschließen sie den Hohlraum des Follikels, in dem sich eine eiweißreiche Flüssigkeit, das Kolloid befindet. Darin werden die Schilddrüsenhormone und Jodid, an Thyreoglobulin gebunden, gespeichert. Zwischen den Schilddrüsenfollikeln liegen die Calcitonin produzierenden C-Zellen. Sie haben mit der endokrinen Schilddrüsenfunktion nichts zu tun. 3. Steuerung der Synthese und Sekretion der Schilddrüsenhormone Das im Hypothalamus gebildete ThyreotropinReleasing Hormon (TRH) stimuliert die Ausschüttung von Thyreotropin (Thyreoidea stimulierendes Hormon, TSH) aus dem Hypophysenvorderlappen. Das TSH wird an den TSHRezeptoren der Thyreozyten gebunden und stimuliert dadurch die Jodaufnahme und die Thyroxinproduktion sowie die Freisetzung des im Thyreoglobulin gespeicherten Thyroxins. Über eine Rückkoppelung wird die Ausschüttung von TSH und TRH durch den Schilddrü- senhormonspiegel und die Jodidkonzentration kontrolliert. 4. Jodstoffwechsel und Schilddrüsenhormonsynthese (siehe Abb. 1, oberer Teil) Jodverbindungen werden mit der Nahrung aufgenommen, Jodate werden zu Jodiden reduziert. Jodid wird rasch und nahezu vollständig aus dem Dünndarm resorbiert. Nur wenig Jodid wird mit dem Stuhl direkt ausgeschieden. Jodid wird über einen aktiven Transportmechanismus, den Natrium/Jodid-Symporter (NIS), ein Transportprotein der basalen Zellmembran, gegen einen elektrochemischen Gradienten in die Schilddrüsenzellen aufgenommen (Trapping). TSH stimuliert, Nitrate hemmen die Jodaufnahme über den NIS. Das überschüssige Jodid wird über die Nieren ausgeschieden (Jodurie) . Die Bestimmung dieses Harnjods wird zur Beurteilung einer ausreichenden alimentären Jodversorgung herangezogen (Tabelle 1). Das in die Thyreozyten aufgenommene Jod wird oxidiert (Jodination) . Das sehr reagible ele- 134 Buch 1.indb 134 15.10.2009 11:11:26 Jodstoffwechsel und Schilddrüse Schweregrad des Jodmangels nach WHO Jod pro Gramm Kreatinin im Urin Jodkonzentration im Urin Überversorgung Kein Jodmangel Jodaufnahme/Tag > 500 µg > 150 µg/g > 10 µg/dl 300 – 500 µg Jodmangel Grad 0 100 –150 µg/g > 10 µg/dl 150 – 300 µg Jodmangel Grad I 50 –100 µg/g 5 –10 µg/dl 75 –100 µg Jodmangel Grad II 25 –100 µg/g 2 – 5 µg/dl 30 –75 µg Jodmangel Grad III < 25 µg/g < 2 µg/dl < 30 µg mentare Jod wird rasch in die Aminosäure Tyrosin am Thyreoglobulin eingebaut (Jodisation). Dies findet mittels Katalyse durch die Schilddrüsenperoxidase (TPO) statt. Die freiwerdenden Radikale (H2O2) werden durch eine Selenoenzym (Glutathion-Peroxidase) unschädlich gemacht. Thyreoglobulin (Tg) ist ein Glykoprotein mit einem Molekulargewicht von etwa 66 0000 D. Es wird von den Thyreozyten in großer Menge gebildet. Jedes Molekül enthält 140 Tyrosilreste, davon können 25 % Jod aufnehmen. Die im Tg jodierten Tyrosilreste, Monojodtyrosin und Dijodtyrosin werden nun gekoppelt, es entsteht Thyroxin (Tetrajodthyronin, L-Thyroxin, Levothyroxin, T4) und Trijodthyronin (T3) im Verhältnis 10 :1. Bei Jodmangel wird relativ mehr T3 gebildet. Diese jodierten Tg-Moleküle werden im Follikellumen gespeichert. Diese extrazelluläre Hormonspeicherung im Kolloid ist eine Anpassung an die unregelmäßige alimentäre Jodzufuhr. Der Vorrat reicht für etwa 2 – 3 Monate. 5. Schilddrüsenhormonsekretion (siehe Abb. 1, unterer Teil) Bei Bedarf wird, ebenfalls stimuliert durch TSH, jodiertes Tg, durch Endozytose von Kolloidvesikeln in die Thyreozyten aufgenommen, durch Proteinasen und Peptidasen T4 und T3 abgespalten. Die Konversion von T4 zu T3 erfolgt mit Hilfe einer 5-Dejodase, das frei werdende Jodid Tabelle 1. WHO – Einteilung des Schweregrades des Jodmangels nach der Jodurie (Hotze et al., 2003) wird zur Synthese wiederverwendet bzw. in die Blutbahn zusammen mit T4 und T3 abgegeben. Auch im Blut und auch noch in den Zielzellen erfolgt die Konversion von T4 zu dem eigentlich wirksamen T3 mit Hilfe einer 5-Dejodase. Eisen ist ein Bestandteil der Thyreoidalen Peroxidase, Selen ist in den Dejodasen und in der Glutathion-Peroxidase enthalten. Neben Jod sind daher auch die Spurenelemente Selen und Eisen für die Schilddrüsenhormonsynthese wichtig (Gärtner, 2007). 6. Stoffwechselwirkungen der Schilddrüsenhormone Trijodthyronin (T3) ist das eigentlich wirksame Hormon, Thyroxin (T4) ist das vorwiegend von den Thyreozyten gebildete Prohormon. Die Hormone gelangen durch Diffusion in die Zielzelle, das T3 bindet an Rezeptoren des Zellkerns, induziert die Transkription bestimmter Gene, fördert die Synthese spezifischer Proteine und vermittelt so die Stoffwechselwirkung. Die T3Bindung an Rezeptoren der Mitochondrien stellt die notwendige Energieversorgung sicher. Der Sauerstoffverbrauch und die Wärmeproduktion werden damit erhöht (siehe Abb. 1, links unten). Die Schilddrüsenhormone führen so zu einer Aktivierung fast aller Stoffwechselprozesse. Sie sind Voraussetzung für den normalen Ablauf physiologischer Vorgänge im gesamten Organismus und für Wachstum und Entwicklung des 135 Buch 1.indb 135 15.10.2009 11:11:26 Kap. 11.1 W. Zechmann Kohlenhydratstoff- Beschleunigung der intestinalen Resorption wechsel Steigerung der Glukoneogenese Steigerung des Kohlenhydratabbaus Stimulation der Glykogensynthese und Glykogenolyse Verstärkung der Insulinwirkung und des -abbaus, Insulinbedarf steigt Fettstoffwechsel Tabelle 2. Stoffwechselwirkungen der Schilddrüsenhormone Steigerung der Fettmobilisierung Abbau von Speicherfetten Eiweißstoffwechsel Anabole Wirkung bei Euthyreose Katabole Wirkung bei Hyperthyreose Knochenstoffwechsel Erhöhung des Knochenumsatzes mit Aktivierung von Osteoblasten und Osteoklasten Myokard Steigerung der Kontraktilität und Erregbarkeit Zunahme der Blutdruckamplitude Zunahme von Schlagvolumen und Schlagfrequenz Erhöhung des Sauerstoffverbrauches der Herzmuskelzellen Nervensystem Neuromuskuläre Übertragung, Psyche Fötus. Thyroxin ist z. B. auch unentbehrlich für die Metamorphose der Amphibien. In Tabelle 2 sind die wichtigsten Wirkungen der Schilddrüsenhormone dargestellt. 7. Ernährungsbedingte Schilddrüsenerkrankungen Selen und Eisen sind wichtige Spurenelemente um eine adäquate Schilddrüsenhormonsynthese zu gewährleisten, spielen aber in der Pathogenese von Schilddrüsenerkrankungen nur eine geringe Rolle. Sie sind notwendige Spurenelemente in einigen wichtigen Enzymen (siehe Abb. 1). Das für die Hormonproduktion essentielle Spurenelement ist aber das Jod, das nicht in jedem Lebensraum in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Etwa 20 Millionen Menschen weltweit leben unter Jodmangelbedingungen. Dadurch bedingte Erkrankungen sind die häufigsten endokrinen Störungen. Durch einfache und kostengünstige Maßnahmen ließe sich ein Großteil vermeiden. 7.1. Jodmangel 7.1.1. Definition Ein Erwachsener benötigt täglich ca. 150 µg Jod. Die Schilddrüse kann bei guter Jodversorgung 10 mg als Vorrat, also eine Menge, die für 3 Monate reicht, als Vorrat halten. Die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen Tagesdosen an Jod sind in Tabelle 3 angeführt (Deutsche Gesellschaft für Ernährung, 2003) 7.1.2. Jodmangelerkrankungen Bei nur geringem Jodmangel kommt es zunächst kaum zu klinisch relevanten Störungen. Die Schilddrüsenvolumina in Gegenden mit geringem Jodmangel sind etwas größer, ohne dass es zu einer Funktionsstörung kommt. Bei längerem Bestehen des geringen Jodmangels wird die Vermehrung der Thyreozyten stimuliert, es kommt zur Hyperplasie, zuerst diffus, dann knotig (Endemischer Kropf, Jodmangelstruma). Etwa 10 Prozent der Thyreozyten sind funktionell autonom, das heißt sie produzieren unabhängig vom TSH-Stimulus Thyroxin. Wenn 136 Buch 1.indb 136 15.10.2009 11:11:27 Jodstoffwechsel und Schilddrüse Tabelle 3. Empfehlungen für die tägliche Jod-Zufuhr (DACH, 2000) Nicht in der Schilddrüse aufgenommenes Jod wird über die Nieren ausgeschieden. Die ausgeschiedene Menge im Urin ist ein Maß für die Jodversorgung des Organismus. Der Sollwert beträgt nach Empfehlungen der DGE 150 µg Jod/g Kreatinin (siehe Tabelle 1) Tabelle 4. Jodurie bei Würzburger Probanden 2005 (Luster, 2006) nicht vorbehandelte Probanden n = 466 Optimale Jodversorgung: 41,8 % Jodmangel Grad I 32,5 % 40 – 80 µg/Tag Jodmangel Grad II: 17,9 % Kinder bis zum 9.Lebensjahr 100 –140 µg/Tag Jodmangel Grad III: 5,2 % Jugendliche und Erwachsene 180 – 200 µg/Tag Überversorgung: 2,6 % Säuglinge Schwangere Frauen 230 µg/Tag Stillende Mütter 260 µg/Tag Knoten aus diesen autonomen Zellen entstehen, bilden sich funktionell autonome Adenome. In der Folge kann das im Verlauf zu einer Hyperthyreose führen. Autonome Adenome können aber auch als echte follikuläre Neoplasie ohne Jodmangel entstehen. Diese Knoten werden oft regressiv zystisch umgewandelt und können in der Folge auch verkalken. In ausgeprägten Jodmangelstrumen (endemische Struma) findet man oft ein buntes Nebeneinander verschiedenster Veränderungen. Jodmangelstrumen können aufgrund ihrer Größe ein mechanisches Problem darstellen und müssen dann operiert werden, vor allem dann, wenn der Verdacht besteht, dass ein Knoten bösartig ist. In Jodmangelstrumen entstehen eher follikuläre Karzinome, bei ausreichender Jodversorgung verschiebt sich die Relation zu papillären Karzinomen (Hofstätter, 1980). Die sonst gute Prognose der Schilddrüsenmalignome ist in Endemiegebieten schlechter, weil die Tumoren, in einer multinodösen Knotenstruma versteckt, erst in einem späteren Stadium erkannt werden. Bei sehr starkem Jodmangel kommt es zur manifesten Hypothyreose, bei Schwangerschaften drohen Fehlgeburten und vor allem kindliche Missbildungen mit zerebralen Entwicklungsstörungen bis hin zum Kretinismus. Da in Europa kaum noch ausschließlich regional produzierte Produkte verzehrt werden und die meisten Länder Maßnahmen zur Verbesserung der Jodversorgung getroffen haben, sind diese extremen Auswirkungen in Europa verschwunden, spielen aber in Entwicklungsländern noch eine Rolle. 7.1.3. Vorbeugung Ziel ist ein adäquates Jodangebot in der Nahrung. In der Regel wird es durch Jodierung der Nahrung erreicht. In der Schweiz und in Österreich ist Kochsalz und das in der Nahrungsmittelindustrie verwendete Salz jodiert. In Österreich wird Speisesalz seit 1963 jodiert (Bundesgesetzblatt der Republik Österreich, 1963). 1989/1990 wurde die Jodierung auf 20 mg Kaliumjodid (neuerdings Kaliumjodat) pro kg Vollsalz verdoppelt (Bundesgesetzblatt der Republik Österreich, 1990). Das Viehsalz wird in Österreich mit 75 mg Kaliumjodid/kg Salz jodiert. Unjodiertes Salz darf nur auf besonderes Verlangen abgegeben werden und nicht frei zugänglich im Regal stehen. Auf den Packungen muss die Jodierung angeführt sein. In Deutschland steht Jodsalz seit 1959 zur Verfügung, die Verwendung ist aber freiwillig. Seit 1989 darf Jodsalz auch bei der Lebensmittelverarbeitung, in Großküchen und in der Gastronomie verwendet werden. Erst dadurch wurde die Jodversorgung in Deutschland verbessert. Der Jodmangel in Österreich ist praktisch behoben (Buchinger et al., 2006). In Deutschland 137 Buch 1.indb 137 15.10.2009 11:11:27 Kap. 11.1 W. Zechmann Nahrungsmittel mit weniger als 20 µg Jod/100 g Nahrungsmittel mit mehr als 20 µg Jod/100 g (in Klammer Jodgehalt in µg/100 g) Karotten, Kartoffel, Salat, Tomate Apfel, Birne, Kiwi, Weintrauben Reis (poliert),Teigwaren Brot, Kornflakes Butter, Vollmilch Fleisch, Wurstwaren, Eier Fischstäbchen, Scholle, Süßwasserfische Speiseöle, Marmeladen Camembert (63), Edamer (29), Emmentaler (33), Schafkäse (114) Meeresfische: Sardinen (25). Seelachs (40), Thunfisch in Öl (72) Vollmilchschokolade (29) Getränke mit weniger als 20 µg Jod/1000 ml Getränke mit mehr als 20 µg Jod/1000 ml Tee, Kaffee Fruchtsäfte, Wein, Bier, Eistee, Limonaden Bestimmte Mineralwässer (z. B. Alpquell, Gasteiner, Römerquelle …) Nur bestimmte Mineralwässer (µg/1000 ml): Güssinger (50) Radenska (57) Bestimmte Mineralwässer (z. B. Peterquelle (182), Sicheldorfer (1320)) ist nach wie vor ein Teil der Bevölkerung mit Jod unterversorgt (Luster, 2006; siehe Tabelle 4). Tabelle 5. Jodgehalt verschiedener Nahrungsmittel und Getränke (Langsteger, 2003) Eisen ist das Zentralatom der Thyreoidalen Peroxidase (TPO). Bei extremem Eisenmangel kann es sehr selten zu einer Hypothyreose kommen (Gärtner, 2007). Schweiz ist der Großteil der Bevölkerung durch die gesetzliche Jodsalzprophylaxe und Jodierung des Viehsalzes ausreichend mit Jod versorgt. Alleine durch jodreiche Ernährung (Tabelle 5) kann in Deutschland eine ausreichende Jodversorgung nicht erreicht werden, weshalb auf die Verwendung jodierten Salzes im Privathaushalt geachtet werden muss. Meersalz ist, wenn es nicht künstlich jodiert ist, jodfrei! Meeresfische und Meeresfrüchte sind stärker jodhaltig, auch viele Molkereiprodukte (vor allem Käse) enthalten mehr Jod als Gemüse, Obst und Getreideprodukte. Besonders jodhaltig sind manche Mineralwässer (herausragend „Sicheldorfer“ mit 1320 µg Jod/1000 ml). Fertiggerichte enthalten ebenfalls mehr Jod als frisch zubereitete Gerichte. Einen Auszug aus einer neueren Jodtabelle zeigt Tabelle 5 (Langsteger, 2003) Die folgenden Ernährungsempfehlungen gelten in erster Linie für den deutschen Raum. 8. Ernährungsempfehlungen r 8.1. Jod r 7.2. Selenmangel Selen ist ein wichtiger Bestandteil der Glutathionperoxidase (GPx) (Abb. 1). Bei Selenmangel wird durch verminderte Aktivität der GPx das für die Jodisation notwendige Wasserstoffperoxid nicht gebunden und triggert so bei genetischer Disposition die Entwicklung der HashimotoThyreoiditis (Gärtner et al., 2002). Auch in den Dejodasen ist Selen enthalten, die Konversion von T4 zu T3 wird bei Selenmangel reduziert. 7.3. Eisenmangel Wie kann eine ausreichende Jodzufuhr erreicht werden? Die pro Tag empfohlene Jodaufnahme ist in Tabelle 3 angeführt. In Österreich und der 1– 2 Meeresfischmahlzeiten pro Woche, Milch und Milchprodukte täglich Verzehr von Produkten, die mit Jodsalz hergestellt sind (Wurst, Brot, Käse, Fertigprodukte) 138 Buch 1.indb 138 15.10.2009 11:11:27 Jodstoffwechsel und Schilddrüse r r Verwendung von Jodsalz privat, in Großküchen, Gastronomie und Lebensmittelerzeugung Nur in Zeiten erhöhten Jodbedarfes (Schwangerschaft, Stillzeit, Pubertät) nach Rücksprache mit dem Arzt zusätzlich Jodidtabletten Da Nitrate in höherer Konzentration die Jodidaufnahme durch den Natrium/Jodid Symporter hemmen (siehe Abb. 1) kann durch übermäßigen Verzehr von stark nitratbelastetem Gemüse eine Hypothyreose verstärkt werden. 8.2. Selen Die Böden in Mitteleuropa sind selenarm. In der mitteleuropäischen Nahrungskette ist daher oft zu wenig Selen enthalten. Personen, die wenig Fleisch und Fisch essen, können daher einen Selenmangel aufweisen. Stark selenhaltig sind Nüsse, vor allem wenn sie aus Südamerika kommen (z. B. Paranüsse). Der Genuss von täglich 2 Paranüssen kann einem Selenmangel vorbeugen. 9. Schilddrüsenerkrankungen, bei denen die Jodzufuhr vermindert werden sollte 9.1. Funktionelle Schilddrüsenautonomie, Autoimmunhyperthyreose Wenn eine Autoimmunhyperthyreose oder eine Knotenstruma mit funktionell autonomen Adenomen vorliegt, ist eine zusätzlich Jodzufuhr zu vermeiden. Es dürfen keine stark jodhältigen Nahrungsergänzungsmittel auf Meeresalgenbasis eingenommen werden, da durch die zusätzliche hohe Jodidzufuhr eine latente in eine manifeste Hyperthyreose umschlagen kann. Das normale Jodsalz spielt hier nur eine geringe Rolle. Die Erhöhung der Speisesalzjodierung in Österreich von 10 mg auf 20 mg Kaliumjodid/kg Vollsalz im Jahre 1989/90 hat nur zu einer geringen und nur vorübergehenden Zu- nahme von Hyperthyreosen geführt (Mostbeck et al., 1998). 9.2. Struma maligna Nach Operation einer Struma maligna wird in den meisten Fällen eine Ausschaltung eventuell vorhandenen Schilddrüsenrestgewebes mittels radioaktiven Jods (131J-NaJ) durchgeführt. Wenn jodspeichernde Metastasen auftreten, können diese ebenfalls mit Radiojod behandelt werden. In diesen Fällen ist es notwendig, einige Wochen vorher auf Nahrungsmittel oder Getränke mit höherem Jodgehalt zu verzichten. Wenn möglich, sollte in dieser Zeit auch nur unjodiertes Salz verwendet werden. Neben Fertiggerichten und Jodsalz sollten auch Milchprodukte (vor allem Käse) gemieden werden. Literatur Buchinger W, Fritzsche H, Kresnik E, Haas J, Rainer F, Dudczak R, Aigner R, Zettinig G (2006) Aktuelle Jodversorgung der Österreichischen Schulkinder – Vergleich mit der Situation vor 10 Jahren. Arzt&Praxis 60/911 Bundesgesetzblatt der Republik Österreich (Nr. 112/1963) Bundesgesetz über den Verkehr mit Speisesalz. BGBl. 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