Das 8 Schritte Modell (Neuhaus, 2009) Das Modell gründet auf philosophischen Theorien der Werteethik (Siep, 2004), der Situationsethik (Dreyfus, Dreyfus & Benner, 1996), der Individuationsethik (Steiner, 1894) und klinischer Pflegeerfahrung. Die Schritte des Modells: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Situation beschreiben Einflussfaktoren aufzeigen Ethische Aspekte bezeichnen Entscheidungsperson/en bestimmen Handlungsmöglichkeiten beschreiben Entscheidung durchführen Handlung reflektieren Konsequenzen ableiten Eine ethische Entscheidung in der Pflegepraxis ist komplex und fordert Zielsetzungen, um Massnahmen für die bestmögliche Lösung der Situation zu finden. Massnahmen sind meist gute Handlungen, diese • entwickeln sich schrittweise, sind motivgeleitetes Tun und beinhalten moralische Absichten (Steiner, 1985; Heckhausen, 1989; Benner, 1984; Dreyfus, Dreyfus & Benner, 1996; Siep, 2004), • sind Teil einer Situation und erfassbar durch Erzählungen der Betroffenen (Strub, 1998), • integrieren Erfahrungen und eine praktische Klugheit (Flyvbjerg, 2001). Der Entscheidungsfindungsprozess integriert unterschiedliche philosophische Denkrichtungen der Ethik: Pflicht, Nutzen, Verantwortung, Care. Eine ethische Entscheidungsfindung Ausgangslage Die Betreuung von Patienten mit Demenz ist eine komplexe Herausforderung, welche aufmerksame und individuelle Pflege erfordert. Dabei müssen die Pflegenden vor allem Faktoren beachten, welche die Gesundheit, die Sicherheit, die Würde und die Lebensqualität der Patienten unterstützen (Weiner et al., 2003). Bei alten Menschen mit Demenz werden häufiger als bei andern Patienten Freiheitsbeschränkende Massnahmen angewendet, obwohl diverse physiologische und psychologische Nachteile in deren Anwendung nachgewiesen werden konnten. Oft erachten die Pflegefachpersonen die Zwangsmassnahmen als unabdingbar, um das Verhalten der Patienten mit Demenz zu kontrollieren, um Stürze zu verhindern und um Patienten und Personal zu schützen (Evans & Cotter, 2008) (Karlsson, Bucht, Rasmussen & Sandman, 2000). Ziel Anhand des Modells werden die ethischen Aspekte der Patientensituation benannt, um in der Folge eine ethisch geleitete Entscheidung zu treffen. Reflexion der Situation anhand des 8 Schritte Modells 1 Situation beschreiben Herr Mächler (Name geändert) ist 80 jährig, verwitwet und leidet an einer fortgeschrittenen Demenz Stufe 3. Er lebt seit 2 Jahren auf der Demenzstation eines Pflegeheimes. Seine Tochter besucht ihn häufig und engagiert sich sehr für ihren Vater. Bevor bei ihm die Diagnose eines Hautkarzinoms am Kopf gestellt wurde, kratzte er sich die Kopfhaut wund und blutig. Das Karzinom wird operativ entfernt und Herr Mächler wird kurz nach der Operation wieder auf die Demenzstation zurückverlegt. Das Kratzen geht aber weiter. Verschiedene Versuche, den Juckreiz zu lindern, scheitern; selbst die Sedation bringt wenig Besserung. Nachts reisst er sich die Schaumstoffplatte regelmässig ab und kratzt sich blutig. Es folgen drei Hauttransplantationen. Die Wunde lässt sich aber nie ganz schliessen. Beim letzten Spitalaufenthalt wird er mit dem multi resistenten Staphilokokus aureus, MSRA, infiziert und muss auf der Demenzstation isoliert werden. 2 Einflussfaktoren aufzeigen Hilflosigkeit aller Beteiligten, Juckreiz, verbotene Freiheitsbeschränkende Massnahmen und keine Alternativen dazu, drohender Schaden durch Wundinfekt MSRA, Personalmangel, fehlende Abklärung der Diagnose Hautkarzinom, fehlendes Wissen über Biografie (Demenz), Schuldzuweisung der Tochter. 3 Ethische Aspekte bezeichnen Das Prinzip des Nicht Schadens bei der Wundheilung steht der Autonomie von Herrn Mächler gegenüber. Es geht um die Schadensbegrenzung. Nicht Schaden bedeutet, dass die Wunde heilen soll. Die Wunde kann heilen, wenn er nicht kratzt. Er kratzt nicht, wenn er angebunden ist. Wenn er angebunden ist, verliert er seine Freiheit und die Pflegenden Schaden ihm, weil die Integrität des Patienten verletzt wird. 4 Entscheidungsperson bestimmen Die Ärzte entscheiden bezüglich der medizinischen Behandlung und des Juckreizes. Der Pflegedienst entscheidet bezüglich der pflegerischen Belange und zieht die Tochter als wichtigste Bezugsperson mit ein. 5 Handlungsmöglichkeiten beschreiben Die interdisziplinäre Entscheidungsgruppe sucht nach verschiedenen Massnahmen. Sie wägt die Vor- und Nachteile ab und entscheidet sich für die bestmögliche Lösung in der Situation. Es wird ein Gespräch am Runden Tisch mit allen Entscheidungsträgern durchgeführt, um die nächsten Schritte zu planen. 6-8 Entscheidung durchführen, reflektieren und Konsequenzen ableiten Am Runden Tisch wurde entschieden kurz- und mittelfristige Massnahmen durchzuführen, wie zum Beispiel den Patienten in den nächsten 3 Tagen zu sedieren, Baumwollhandschuhe anzuziehen und ihn zu fixieren. Eine Sitzwache für die Nacht wird organisiert. Kontinuierliche Gespräche mit der Tochter sind geplant, um den mutmasslichen Willen des Patienten miteinbeziehen zu können. Es wird Expertenwissen geholt, bezüglich Juckreiz und Wundheilung, Reduktion der Sedation und gradueller Reduktion der Fixierung. Fazit Trotz schwieriger Situation mit keiner überzeugenden Lösung konnten im strukturierten Ablauf des Modells die nächsten Massnahmen auf den Ebenen Patient und Angehörige, medizinisches und pflegerisches Fachwissen und der Organisation gemeinsam gefunden werden. Eine ethische Entscheidung zeigt sich meist im Prozess und ermöglicht, dass die bestmögliche Lösung sich in der Handlung zeigen kann. AUTORINNEN Herr Mächler geht es besser und auch seine Wunde konnte letztendlich heilen. Hedi Hofmann, MNS, EdN, RN, St. Gallen Ursa Neuhaus, Liz. phil., EdN, RN, Bern Literatur kann bei der Kontaktperson bestellt werden. Käthi Koblet, BscN, Höfa1, Zürich KONTAKT: Ursa Neuhaus| [email protected]