MITTWOCH, 11. JANUAR 2017 / 1,50 EURO NR. 9 / 2. WOCHE / 69

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Mittwoch, 11. Januar 2017
MITTWOCH, 11. JANUAR 2017 / 1,50 EURO
THEMA
Sonderausgabe zur Eröffnung der Elbphilharmonie
Hamburger Abendblatt
NR. 9 / 2. WOCHE / 69. JAHRGANG
Die Vollendete
DÄNEMARK 16,00DKR / C3390A
30002
4 190339 001505
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ELBPHILHARMONIE
HamburgerAbendblatt
Mittwoch, 11. Januar 2017
EDITORIAL
Liebe Leserinnen,
liebe Leser
LARS HAIDER
:: Man sollte mit der Bezeichnung
historischer Tag vorsichtig sein, aber der
heutige 11. Januar ist tatsächlich so
einer. Die Elbphilharmonie wird eröffnet, nach einer Vorgeschichte, die mindestens so einmalig ist wie das Gebäude
selbst. Das Konzerthaus am Hafen hat
Hamburg bereits verändert und wird es
weiter tun. Selten waren so viele Blicke
auf unsere Stadt gerichtet, selten haben
so viele Zeitungen auf der ganzen Welt
ihren Lesern empfohlen, „dieses Hamburg“ doch einmal zu besuchen.
Das Tor zu Welt, es steht weit offen.
Das Hamburger Abendblatt erscheint zur offiziellen Eröffnung der
Elbphilharmonie, zu der unter anderem
Bundeskanzlerin Angela Merkel und
Bundespräsident Joachim Gauck erwartet werden, in einer besonderen Form.
Der erste Teil, die ersten 20 Seiten,
beschäftigt sich nur mit der Elbphilharmonie. Er kann getrennt vom Rest der
Zeitung als Erinnerung an diesen 11.
Januar 2017 aufbewahrt werden. Im
zweiten Teil des Hamburger Abendblatts geben wir dann einen zusammenfassenden Überblick über das, was in
Hamburg, Deutschland und der Welt
noch geschah. Informationen aus den
Regionalseiten finden sie in dieser Sonderausgabe ausnahmsweise auf jeweils
einer Seite.
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
„die Elbphilharmonie ist ein Statement und ist ein Einspruch gegen eine
Zeit, die aus den Fugen geraten ist. Die
Elbphilharmonie wird die Menschen
zusammenführen und vereinen, indem
sie diese lockt und einfängt in die Welt
eines gemeinsamen geistigen und sinnlichen Erlebens.“ Diese Zitat ist nicht
von mir. Es stammt aus dem beeindruckenden Text, den Hamburgs Generalmusikdirektor Kent Nagano für diese
Sonderausgabe geschrieben hat. Besser
kann man die Hoffnung, die wir mit der
Elbphilharmonie verbinden sollten,
nicht zusammenfassen. Ich wünsche
Ihnen viel Spaß beim Lesen,
Der Große Saal fasst etwa 2100 Besu­
cher – wobei kein Sitzplatz weiter als
30 Meter vom Dirigenten entfernt ist
HamburgMusik/Iwan Baan
Die
Ihr
Der Große Saal aus der Perspektive der
Bühne. Der Reflektor an der Decke
ist für die Klangqualität entscheidend
InMemoriam
Säle
Sie sind mit den dazugehörigen Foyers das Herzstück
der Elbphilharmonie: 2100 Besucher fasst der Große Saal
mit seiner zentralen Bühne. Maximal 550 Gäste können
im Kleinen Saal sitzen. Die Foyers bieten mit ihren
geschwungenen Treppen und offenen Baustrukturen
den Musikliebhabern viele interessante Perspektiven
Marcelo Hernandez
Barbara Kisseler
* 8.9.1949 –
= 7.10.2016
Die geschwungene
Treppe führt von der
Plaza hinauf zum
Großen Saal und in die
Foyers Marcelo Hernandez
Andreas Laible
ELBPHILHARMONIE
Die Säle, die Räume, die Plaza
Der Bürgermeister
Das erste Stück
Der Intendant
Die Chronik
Der Generalmusikdirektor
Die Architekten
Der Wegbereiter
Die Besonderheiten
Das Orchester
Der Chefdirigent
Die Mäzene
Das Wahrzeichen
Der Blick ins Innere
2–5
6–7
8
9
10
11
12 – 13
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ABENDBLATT.DE
So sind Sie live dabei
Von der Eröffnung der Elbphilharmonie
berichtet abendblatt.de den ganzen Tag
über mit Videos, Bilderstrecken, aktuellen Texten und Hintergründen. Wir zeigen ab 13 Uhr die Pressekonferenz live.
Von 18.30 Uhr an übernehmen wir die
Liveübertragung des NDR von der Zeremonie sowie vom Konzert. Dazu bieten
wir aktuelle Video-Interviews mit Gästen sowie erste Eindrücke von der Video-Lichtinstallation von außen. Auf
www.abendblatt.de/ecard können Sie
außerdem an Freunde eine digitale Postkarte mit den besten Motiven mit Kommentar versenden.
Das „Helmut und Hannelore Greve
Foyer“ im 13. Stock mit Bar für die
Pausen Marcelo Hernandez
ELBPHILHARMONIE
Mittwoch, 11. Januar 2017
HamburgerAbendblatt
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Auch der Aufenthaltsbereich für
Künstler neben dem Großen Saal
bietet beeindruckende Aussichten
Marcelo Hernandez
Selbst die Figuren der Piktogramme auf
den Hinweisschildern zu den Toiletten
sind elegant gekleidet Marcelo Hernandez
Die Orgel im Großen Saal erstreckt
sich über mehrere Stockwerke. Auf
der unteren Ebene erkennt man den
Spieltisch Michael Zapf
Der Kleine Saal der Elbphilharmonie: Er kann für maximal etwa 550 Besucher be­
stuhlt werden – je nach Bedarf. Der Saal soll nicht nur für Konzerte, sondern auch
für Empfänge und andere Veranstaltungen dienen. Die welligen Holzpanäle dienen
der Schallreflexion HamburgMusik/Michael Zapf
Durchblicke bei den Aufgängen zu den
Rängen des Großen Saals
Marcelo Hernandez
Konzertpause mit Ausblick auf den Hafen: ein Balkon
im Foyerbereich des Großen Saals Marcelo Hernandez
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HamburgerAbendblatt
Das „Störtebeker“ bietet mit Bar, Restaurant, Shop und Bierverkostung 220 Plätze
auf drei Ebenen – hier werden 20 unterschiedliche Biersorten vom Fass und nordi­
sche Spezialitäten geboten Marcelo Hernandez
ELBPHILHARMONIE
Eine der zwölf, jeweils 61 Quadratmeter großen Panorama­Suiten im Hotel Westin
Hamburg: Vom Bett aus blicken die Gäste über HafenCity und Innenstadt. Die
Vorhänge lassen sich per Knopfdruck öffnen picture alliance/Bodo Marks
Mittwoch, 11. Januar 2017
Das Schwimmbad im Westin Hamburg ist mit 20 Metern einer der längsten
Hotel­Pools in der Hansestadt. Der Spabereich im 6. Stockwerk des ehemaligen
Kaispeichers ist rund 1300 Quadratmeter groß The Westin Hamburg/Matteo Barro
Ein Blick in eine der
44 Wohnungen, die
zwischen 120 und
400 Quadratmeter
groß sind. Dieses
Esszimmer befindet
sich in der Muster­
wohnung von Engel
& Völkers, die die
Wohnungen verkau­
fen. Exklusivität hat
ihren Preis: Die teu­
erste Wohnung – das
Penthouse in 110
Metern Höhe – soll
11,9 Millionen Euro
kosten
Skyliving/Michael Zapf
Fast schon ein Kunstwerk für sich: die
spindelförmige Auffahrt im Parkhaus der
Elbphilharmonie Roland Magunia
Die
Räume
Die Elbphilharmonie ist
nicht nur Konzerthaus:
Mit dem Westin gibt
es dort auch ein Fünf­
Sterne­Hotel mit 205
Zimmern und 39 Suiten.
220 Sitzplätze bieten Bar
und Restaurant im
„Störtebeker“. Und wer
noch länger bleiben will,
zieht gleich komplett ein –
in eine der 44 exklusiven
Wohnungen
Die vier jeweils zweistöckigen
Maisonette­Suiten mit einer Größe von
92 Quadratmetern im Westin Hamburg
bieten einen Wohnbereich und auf der
oberen Ebene ein Schlafzimmer. Die
Übernachtung kostet hier ab 1400 Euro
(ohne Frühstück). Insgesamt hat das
Westin 39 Suiten – so viele wie sonst
kein Hotel in Hamburg
picture alliance/Bodo Marks
ELBPHILHARMONIE
Mittwoch, 11. Januar 2017
Die
Plaza
Nach der zweiten, nur 21 Meter langen,
Rolltreppe sowie 18 lang gezogenen
Stufen gelangt man endlich auf die
Plaza Marcelo Hernandez
HamburgerAbendblatt
Er ist fast so groß wie
der Rathausmarkt –
Hamburgs höchster Platz
bietet in 37 Metern Höhe
einen überragenden Blick auf
Stadt und Hafen
Die gläsernen, bis zu sechs Meter hohen Windschotts füh­
ren an zwei Stellen auf den Außenbereich der Plaza. Die in
Wellenform geschwungenen Glaswände sind aus Sicher­
heitsglas. Je nach Wetterlage können an beiden Seiten drei
drehbare Glasschotts als Durchgang geöffnet werden
Marcelo Hernandez
Rundumblick über Stadt, Elbe
und Hafen in 37 Metern Höhe:
582 Leuchten sorgen draußen
für das rechte Licht. Insge­
samt 188.000 rote Ziegel
wurden auf der gesamten
Plaza als Bodenbelag verlegt
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In der Mitte der
Plaza befinden
sich die Aufgänge
zum Kleinen und
zum Großen Saal.
89 Stufen auf der
Freitreppe sind es
bis in den
Großen Saal
Marcelo Hernandez
Marcelo Hernandez
Die Wände an beiden Rolltreppen sind
mit 7900 Glaspailletten bestückt. Auf
der Plaza verschmelzen architektonisch
Alt und Neu des Gebäudes – zweckmä­
ßiger Kaispeicher und schillernder
Glasbau Marcelo Hernandez
Der spektakuläre Blick nach exakt zwei
Minuten und 30 Sekunden Auffahrt
mit der Tube: das Panoramafenster
im 6. Obergeschoss Marcelo Hernandez
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WIE NICHTS ZUVOR.
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Als Basis für die Verbrauchsermittlung gilt der ECE-Fahrzyklus. Abbildung zeigt Sonderausstattungen.
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HamburgerAbendblatt
ELBPHILHARMONIE
Mittwoch, 11. Januar 2017
Der
Bürgermeister
Olaf Scholz erzählt, wie er
als Kind Oboe spielte und
wie ihm die Probleme mit
der Elbphilharmonie den
Schlaf raubten. Und er
spricht über seinen ersten
Besuch im Großen Saal,
der allein schon all den
Ärger wert war
MAIKE SCHILLER
ANDREAS DEY
JOACHIM MISCHKE
N
ach beschwerlichen
Tagen im Amt kann
man als Olaf Scholz
nichts Aufbauenderes tun, als sich eine
Fahrt auf der Tube,
der zentralen Rolltreppe der Elbphilharmonie, zu gönnen. Großes Hallo und
Staunen, Erinnerungsfotos von der anderen Rolltreppen-Spur und begeisterte
Kommentare über die Architektur des
neuen Konzerthauses gibt es reichlich.
Die reine Bürgermeister-Seelenmassage
also. Sein Vorvorgänger Ole von Beust
(CDU) ging als Gründungsbürgermeister in die Annalen des Projekts ein, der
SPD-Regierungschef Scholz kann sich
nun als Klärungs- und Eröffnungsbürgermeister fühlen. Die Genugtuung darüber deutet er nur an, das zu betonen
überlässt er anderen. Doch die Begeisterung, mit der der Erste Bürgermeister
nach Ende dieses Interviews im Großen
Saal in die Orgel steigt, um sich Details erklären zu lassen,
spricht Bände.
der von Orten und Gebäuden zu erstellen, die noch gar nicht existieren. Doch
es war etwas völlig anderes, die Ausstrahlung des fertigen Saales zu spüren.
Das hat mich berührt. Ein fast sakrales
Gefühl, im positiven Sinne. Ähnlich war
es, als ich dort zum ersten Mal Musik hören konnte, bei der ersten Probe des
NDR Elbphilharmonie Orchesters – für
mich wirklich ein Erlebnis, das ich nicht
so schnell vergessen werde. Schließlich
steht und fällt ja mit der Akustik des
Großen Saals das Ansehen, das sich die
Elbphilharmonie als kulturelle Stätte erobern kann.
Wie haben Sie diese erste Probe erlebt?
Als ich kam, hatte das Orchester gerade
eine Pause, die Musiker kamen mir entgegen, und ihre Gesichter waren nicht
nur freundlich, was mich schon sehr erleichtert hätte. Die Musiker wirkten regelrecht erleuchtet. Als ich nach der
Pause dann die Probe mit Musik von
Brahms hören konnte, habe ich den sicheren Eindruck gewonnen, dass sich alles das verwirklichen wird, was wir uns
vom Saal und dem Gebäude versprochen
haben. Ich bin herumgegangen, habe
mich auf unterschiedliche Plätze gesetzt, auch ganz oben. Die Akustik auf
diesen preiswerten Plätzen ist auf keinen Fall schlechter und die Sicht ist auch
sehr gut.
Kommt dann bei Ihnen eine Kategorie wie
Stolz ins Spiel oder eher bürgermeisterliche
Befriedigung?
Dass wir das Gebäude trotz aller Schwierigkeiten fertig bekommen haben, freut
mich wirklich, weil das mit so vielen Anstrengungen verbunden war, so vielen
harten Verhandlungen und so vielen
Zweifeln. Jetzt zu sehen, dass alles funktioniert, erzeugt schon eine gewisse Genugtuung. Und ein wenig empfinde ich
auch, was die meisten Hamburgerinnen
und Hamburger fühlen, wenn sie allein
oder mit Bekannten hierherkommen – den hanseatischen Stolz auf
dieses neue Wahrzeichen.
Hamburger
Abendblatt:
Beginnt für Hamburg
heute eine neue Zeitrechnung – eingeteilt in die
Man darf sich Hamburgs
Kultur spielt
Zeit vor der ElbphilharErsten Bürgermeister derfür die
monie und die Zeit mit
zeit also als einen glückliihr?
chen Menschen vorstellen?
Perspektiven
Olaf Scholz: ZeitrechEindeutig ja.
Hamburgs
nung, das ist immer ein
großes Wort. Trotzdem
Welche Rolle spielt die
eine sehr große
glaube ich, dass sich in
Musik für Ihr eigenes LeHamburg etwas veränben?
Rolle
dern wird. Weil die MuIch höre regelmäßig Musik eine noch größere
Olaf Scholz
sik, gehe mit meiner
Rolle im Leben der Stadt
Frau in ganz unterund hoffentlich aller
schiedliche Konzerte.
Bürgerinnen und Bürger spielen wird.
Ich würde nicht sagen, dass sie heute
Gleichzeitig wird die Elbphilharmonie
eine zentrale Rolle spielt, obwohl ich in
Hamburg als Musikstadt und als Stadt
meiner Jugend Instrumente gespielt und
der Kultur ebenso positionieren, wie sie
im Lauf der Jahrzehnte zu spielen verals erfolgreiche Industrie- und Handelslernt habe – zuerst Blockflöte wie alle
stadt, als Stadt der Medien längst posiKinder, später Oboe, im Schulorchester.
tioniert ist.
Das mit der Oboe ist ja geradezu propheSchon die Eröffnung der Plaza im Novemtisch für Ihren Posten: Die Oboe gibt dem
ber war von einem internationalen Hype beOrchester das A und damit die Stimmung
gleitet, wie ihn sich selbst große Optimisten
vor, nach der sich alle anderen beim genicht ausgemalt hatten. Rechnen Sie jetzt
meinsamen Spielen zu richten haben. Wurtrotzdem mit einer weiteren Steigerung?
de da der Keim für größere berufliche AufGanz sicher wird die internationale
gaben gelegt?
Wahrnehmung der Elbphilharmonie und
Das war der reine Zufall. Mir wurde dader Stadt noch einmal steigen. Das gemals dieses Instrument vorgeschlagen,
schieht im Selbstlauf, durch die gelungeund ich bewundere alle, die es wirklich
ne Architektur und natürlich durch die
gut spielen können.
Musik.
Wann haben Sie Ihre Oboe das letzte Mal in
Erinnern Sie sich an Ihren persönlichen ersder Hand gehalten?
ten Moment der Überwältigung?
Zum Ende der Schulzeit. Das Instrument
Für mich war es ein großer Moment, das
gehörte dem Schulverein.
erste Mal im fertiggestellten Großen
Saal zu stehen. Ich habe ihn ja gekannt,
Sie haben sich in den vergangenen Jahren
weil ich mich viel mit dem Gebäude bewegen der Elbphilharmonie viel mit Kultur
schäftigt und die endgültigen Verträge
beschäftigt. Inwiefern hat das Ihr Verhältverhandelt hatte. Es gab von allem, was
nis zu diesem Thema verändert?
hier entstand, natürlich auch Bilder. Die
Ich bin ganz sicher, dass die Elbphilharmoderne Technik ermöglicht es ja, Bilmonie die lange musikalische Tradition
der Stadt, die vielen gar nicht so bewusst
ist, auch in der Zukunft fortsetzen wird.
Das gilt für die ganze Bandbreite der MuOben: Bürgermeister und Bürger fahren
sik, die wir in dieser Stadt haben, nicht
bei der Eröffnung der Plaza in der
nur für die Klassik. Das geht bis zum
Tube hinauf. Unten: Olaf Scholz wagt
Reeperbahn Festival, das wichtigste
einen Blick über die Brüstung in die
Pop-Event in Deutschland, das sicher
beeindruckenden Foyers
auch vom Nimbus der Stadt und vom
Roland Magunia/Marcelo Hernandez
Nimbus der Reeperbahn lebt.
Der Bürgermeister und die Orgelpfeifen: Nach dem Interview fachsimpelte Olaf
Scholz intensiv mit Bernd Reinartz von der Orgelbaufirma Klais Marcelo Hernandez
Es gibt den schönen Satz, dass jeder in die
Kultur investierte Euro anderthalbfach zurückkommt. War es insofern geradezu genial, so viel Geld für die Elbphilharmonie
auszugeben?
Ich bezweifle, dass man das so rechnen
kann. Investitionen in Kultur haben Effekte, die man oft gar nicht beziffern
kann. Sie lohnen sich in jedem Fall.
Trotzdem ist es sinnvoll, nur so viel Geld
auszugeben wie nötig und nicht 200 bis
300 Millionen Euro zu viel, weil man –
wie bei der Elbphilharmonie – losbaut,
ohne vollständige Pläne zu haben.
Ist Kultur jetzt für die Stadt der wichtigste
Wachstumsmotor, vor allen anderen, härteren Sparten?
Die wechselnden Vorstellungen, was jeweils das neueste Wichtigste sein solle,
mache ich nicht mit. Aber Kultur spielt
für die Perspektiven Hamburgs eine sehr
große Rolle. Nicht nur in Bezug auf wirtschaftliche Aspekte oder wegen des damit verbundenen Tourismus, sondern
auch, weil sie die Lebensqualität der
Stadt verbessert. Sie spielt außerdem
eine Rolle für das internationale Renommee.
Hat so etwas Herausragendes wie die Elbphilharmonie Hamburg gefehlt?
Ja, hat es. Und wir würden sie jetzt nicht
mehr missen wollen. Auch am anderen
Ende der Bandbreite, beim Reeperbahn
Festival, haben wir sehr konstant unseren Beitrag zur Unterstützung geleistet.
Inzwischen ist es eine etablierte Veranstaltung, die auch aus sich heraus funktioniert. Auf dieser Seite des Spektrums
haben wir nun die Elbphilharmonie –
und diese Bandbreite ist etwas Besonderes.
Beim Richtfest 2010 hatte Generalintendant
Christoph Lieben-Seutter gesagt: „Ohne ein
bisschen Größenwahn entstehen die besonderen Wahrzeichen nicht.“ Richtig?
Weiß ich nicht. Es geht auch ohne. Nun
ist es da ...
Einer Ihrer Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert, Amandus Abendroth, meinte damals: „In Hamburg fängt alles, wie die Erfahrung mit glücklichem Erfolg zeigt, mit
Privatpersonen an.“ Der Umkehrschluss:
Mit großen Ideen haben wir es im Rathaus
nicht so. Das private Anschieben großer
Kulturprojekte hat Tradition, und die Politik lässt sich zum Jagen tragen – warum?
Wenn man bei Herrn Abendroth anfängt, dann ist das ein sehr langer Zeitraum, den wir betrachten. Seine treffende Einschätzung sollten wir aber festhalten: dass wir hier sehr oft auf privates
Engagement zurückgreifen können, und
das ist gut.
Wem gebührt eigentlich der größte Dank für
die Elbphilharmonie?
Am Ende den Steuerzahlern. Hier sind
etwa 800 Millionen Euro an Steuergeldern hineingeflossen, das sollte man
nicht außer Acht lassen. Das ist eine große Investition in die Zukunft der Stadt
und ihre Lebensqualität. Es ist ein Gesamtkunstwerk geworden. Viele haben
dazu beigetragen – die Architekten, die
Initiatoren und unterschiedliche politische Kräfte.
Wäre es besser gewesen, wenn das Ganze ein
privat finanziertes Projekt geblieben wäre,
wie ursprünglich gedacht?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in
Deutschland private Investoren gibt, die
ein Projekt dieser Größenordnung stemmen wollen und können. Man darf aber
annehmen, dass bei privaten Projekten
mehr aufs Geld geachtet wird, als es hier
zwischenzeitlich der Fall war. Das wäre
gut gewesen.
Wann hatten Sie Ihre erste schlaflose Nacht
wegen der Elbphilharmonie und wann die
letzte?
Die Entscheidung über die Vertragsneuordnung Ende 2012 war für mich der
schwierigste Moment. Da hatte ich wirklich eine schlaflose Nacht. Die letzten
Zusagen kamen ja noch im allerletzten
Moment. Mein wichtigstes Vorhaben bei
diesen harten Verhandlungen war, dass
es die letzten sein sollten, keine weiteren Runden, kein Baustillstand. So ist es
dann auch gekommen. Die Dimension
der Entscheidung war mir in jeder Hinsicht immer sehr klar. Hätten wir uns
nicht verständigt, mit durchaus harten
Bedingungen für das Bauunternehmen,
hätten wir am Ende einen großen Teil
der Projektbeteiligten wegschicken und
neu anfangen müssen. Das hätte auch zu
einem jahrelangen Baustillstand führen
können. Ich glaube, die schlaflose Nacht
hat sich gelohnt und ich habe mich richtig entschieden.
Gab es je den Moment, in dem Sie dachten,
womöglich wird dieser Bau tatsächlich niemals fertiggestellt?
Dafür bin ich zu optimistisch veranlagt.
Aber das Risiko habe ich immer gesehen.
Hier ist an einigen Stellen an der Grenze
dessen gebaut worden, was technisch
möglich ist. Es handelt sich um eine große, hoch komplizierte Anlage, in der alles in jeder Situation funktionieren
muss. Man darf die Komplexität dieses
Gebäudes nicht unterschätzen.
ELBPHILHARMONIE
Mittwoch, 11. Januar 2017
HamburgerAbendblatt
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Olaf Scholz im Großen Saal der Elbphilharmonie: „Als ich dort zum ersten Mal Musik hören konnte, war das für mich wirklich ein Erlebnis, das ich nicht so schnell vergessen werde“ Marcelo Hernandez
Im Herbst 2012, als es so hoch herging, haben Sie öffentlich immer den Eindruck erweckt, dass die Stadt in Eigenregie weiterbauen wird, wenn Hochtief nicht einlenkt.
War das, mit einigen Jahren Abstand betrachtet, eine gute Schauspiel-Performance,
um den Druck auf den Baukonzern zum
Einlenken zu erhöhen?
Wir hatten die Variante, dass wir selbst
weiterbauen, bis ins letzte Detail vorbereitet. Ich habe das damals nicht nur so
dahingesagt.
Aber ganz wohl war Ihnen nicht dabei?
Nein. Ganz wohl konnte einem bei keiner der beiden Möglichkeiten sein.
Waren Sie schon Fan und Befürworter, als
das Projekt 2003 vorgestellt wurde?
„Was soll das denn?“ habe ich nicht gedacht. Ob ich sofort begeistert war, weiß
ich nicht mehr.
Sie haben das Thema gar nicht unmittelbar
wahrgenommen?
Doch. Aber Architekturzeichnungen von
Dingen, die man in Hamburg mal machen könnte, werden in dieser Stadt
ziemlich oft publiziert.
2005 wurden die Kosten für die Stadt auf 77
Millionen Euro geschätzt, jetzt sind Sie bei
789 Millionen gelandet. Erklären Sie uns
bitte in kurzen Sätzen – warum ist die Elbphilharmonie eigentlich so teuer?
Die Stadt baut das CCH um, für etwa
200 Millionen Euro. Auch keine einfache
Architektur, aber verglichen mit diesem
Gebäude eine überschaubare Aufgabe.
Wir haben aus der Elbphilharmonie gelernt und über 13 Millionen Euro in die
Planung investiert, bevor wir uns zum
Bau entschlossen und harte Verträge
aufgesetzt haben. Wenn man einen Teil
des CCH für 200 Millionen baut, ist die
Vorstellung, für 77 oder auch für zweihundertundetwas Millionen die Elbphilharmonie bauen zu können, zu keinem
Zeitpunkt in der Nähe der Wahrheit gewesen.
Sondern?
Selbst wenn man alles richtig macht, ist
dieses Gebäude für weniger als 500 bis
600 Millionen Euro nicht zu errichten.
Man hätte sich die Differenz zum Endpreis gespart, wenn man am Anfang
sorgfältig geplant hätte. Man hätte bestimmt einen hohen zweistelligen Millionenbetrag für die Planung ausgeben
müssen, bevor man bei einem so ehrgeizigen Projekt loslegt. Als ich 2011 Bürgermeister wurde, waren die Architekturpläne noch nicht endgültig fertig, obwohl seit vier Jahren gebaut wurde. Ich
habe dafür gesorgt, dass sie dann ein
Jahr später fertig wurden.
Sie tänzeln wie ein Neumeier-Ballettstar
um bestimmte Namen und Parteien und vor
allem um die Schuldzuweisung herum ...
... Ich bin der Bürgermeister ...
Eine klarere Ansage ist von Ihnen in diesem
Punkt also nicht zu haben?
Alle wissen, wie es war. Und ich finde es
wichtig zu sagen, was passiert ist: Es ist
nicht ordentlich geplant worden, das
Projekt ist zunächst nicht richtig beherrscht worden, anfangs haben sich zu
wenige damit beschäftigt. Die Herausforderungen sind immer unterschätzt
worden.
Niemand ist dafür juristisch zur Verantwortung gezogen worden. Ist das richtig
oder ist es auch gerecht?
Der eine oder andere hätte jedenfalls gut
daran getan, wenn er seinen eigenen Beitrag zu den Kostensteigerungen etwas
demütiger kommentiert hätte. Es gibt
außerdem einen Bericht des Untersuchungsausschusses, der das sehr präzise
darstellt. Es ist dilettantisch gehandelt
worden. Ein gewissenhafter Umgang mit
der übertragenen Verantwortung für das
Wohl der Stadt sieht bestimmt anders
aus. Das kann in einer Demokratie bewertet werden. Die Wählerinnen und
Wähler haben es dann am Ende ja auch
bewertet.
Was haben Sie gedacht, als Sie sich 2011 als
neuer Bürgermeister erstmals intensiv mit
der Elbphilharmonie beschäftigt haben?
Das Problem wurde größer und größer.
Auf eine verfahrene und schwierige Sache war ich eingestellt. Wie verfahren
und schwierig sie tatsächlich war, hat
sich mir erst im Amt erschlossen. Aber
ich wurde gewählt, um Probleme zu lösen, auch dieses.
Einige Monate haben Sie es zunächst auf die
harte Tour versucht. „Keine Spielchen
mehr, Hochtief“, warnte Ihre Kultursenatorin Barbara Kisseler damals in der Bürgerschaft. Dann kam der Baustillstand, und es
wurde noch kniffliger. Aus heutiger Sicht:
War das der Holzweg?
Nein. Das war der Holzhammer, und der
war auch notwendig. Wenn die Stadt
nicht in der Lage gewesen wäre, sich klar
aufzustellen und mit der notwendigen
Härte vorzugehen, wäre das Projekt auch
nicht fertig geworden.
Am Ende stand die Neuordnung, die Sie mit
dem damals neuen Hochtief-Chef Marcelino
Fernández Verdes aushandelten. Ist die
Wende zum Guten also das Ergebnis einer
sich anbahnenden Männerfreundschaft?
Irgendwie ja. Da haben zwei miteinander
verhandelt, die es für ihre Aufgabe hielten, dass das Gebäude fertig wird. Anders als mit Leadership geht das nicht.
Sie erzählen das so gelassen, als hätten Sie
nie den Bereich Ihres Ruhepulses verlassen.
Ich verhandle oft und viel. Neulich habe
ich mich morgens um 3.30 Uhr mit der
Bundeskanzlerin über die Neuregelung
der Bund-Länder-Finanzen verständigt.
Da ging es um viele Milliarden, und ich
glaube, ich bin zu jedem Zeitpunkt ruhig
geblieben.
Welche Rolle hat die im Oktober verstorbene
Kultursenatorin Barbara Kisseler für die
Elbphilharmonie gespielt?
Wir haben immer zusammen agiert und
uns eng abgestimmt. Sie hat sich in das
Projekt vertieft und wir waren immer
einer Meinung: Das Problem muss gelöst
werden, das wollen wir hinbekommen.
Und im Übrigen hatte sie zu keiner Zeit
Zweifel am musikalischen Impuls für die
Stadt, der von diesem Konzerthaus ausgehen wird. Dass sie bei der Eröffnung
nicht dabei sein kann, macht mich sehr
traurig.
Sprechen wir über den Inhalt des Gebäudes,
die Musik und ihre Bedeutung für die Stadt.
Zum Einstieg ein Quiz: Welcher Hamburger
Ehrenbürger hat einmal geschrieben: „Die
Hamburger sind antimusikalisch“? Sie können wählen zwischen John Neumeier, Johannes Brahms oder Helmut Schmidt.
Brahms oder Schmidt...?
Sie sind eine Runde weiter...
Ich ziehe den Joker...
O. k., es war Brahms. Auch Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter
hat, als er sich 2006 im Rathaus als der
Neue aus der Musikstadt Wien vorstellte,
gesagt: „Hamburg ist keine Musikstadt, ich
würde nie wagen, das zu behaupten.“ Hatten die beiden recht?
Ich glaube, dass Hamburg
nicht nur in der historischen
Perspektive eine lange Musiktradition hat. Musik wird
auch künftig eine wichtige
Rolle spielen. Mein großer
Zur Fertigstellung
Ende Oktober bekam
Olaf Scholz einen
Backstein mit
entsprechendem
Schriftzug Marcelo Hernandez
Wunsch ist, dass dieses Gebäude dazu
beiträgt, dass die Bürgerinnen und Bürger ihnen bisher unbekannte Varianten
von Musik zumindest einmal ausprobieren.
nanzierung
kam,
haben
wir
beispielsweise für andere Musik-Ensembles und Privattheater zusätzliche
Mittel bereitgestellt. Diese Geste ist gut
verstanden worden.
jetzt sechs Monate lang ständig dort hingehen. Aber das ist mit meinem Terminkalender nicht vereinbar, und außerdem
gibt es ja noch viele andere attraktive
Kulturinstitutionen in der Stadt.
Sind Sie zuversichtlich, dass die Erwartungen an die Elbphilharmonie, die inzwischen
wahnsinnig hoch sind, auch erfüllt werden
können?
Ja, sie kann das leisten.
Generalmusikdirektor Kent Nagano hat
prophezeit: „Die ganze Welt wird kommen.“
Sind Sie sicher, dass die Stadt darauf vorbereitet ist?
Ja.
Ein Mantra des Senats lautet, dass es anderen Kulturinstitutionen nicht schlechter gehen soll, weil es jetzt die Elbphilharmonie
gibt. Können Sie das durchhalten, bei den
Sparzwängen, die Sie jetzt umzingeln?
Ja.
Im Spielbetriebskonzept klingt die Annahme
an, dass die Elbphilharmonie auf längere
Sicht mit eher weniger Zuschüssen auskommen müsste. Teilen Sie diese Einstellung?
Es ist nicht geplant, den zugesagten festen Zuschuss zu reduzieren. Aber ich will
den Verantwortlichen auch nicht die
Motivation nehmen, für eine höhere
Kostendeckung zu sorgen. Dass wir mit
der Elbphilharmonie Überschüsse erzielen, ist aber unrealistisch. Wir subventionieren die Unterhaltungskosten des
Gebäudes, die Plaza und einen Teil des
Spielbetriebs. Damit das Gebäude Gewinne macht, müsste es Einnahmen von
mehr als 15 Millionen Euro erbringen.
Das ist unrealistisch.
Müssten Sie nicht beim Rest der Kulturlandschaft aufstocken, um ihn nicht zu verärgern?
Ich glaube, dass die Kulturlandschaft
sich über die Elbphilharmonie genauso
freut wie die, die noch nie ein klassisches Konzert gehört, das
Haus aber bereits adoptiert
haben. Und in dem Haushalt, mit dem der beginnende Betrieb der Elbphilharmonie in die Fi-
Haben Sie für die Abende nach der Eröffnung eigentlich eine Bürgermeister-Flatrate
in die Elbphilharmonie? Dürfen und können
Sie jedes Konzert, auf das Sie Lust haben,
besuchen?
Ich habe mir schon einige Konzerte ausgesucht, vor allem am
Anfang. Und wenn ich noch
einen Wunsch hätte, hoffe
ich, dass er erfüllbar
ist. Mit ganz viel
Zeit würde man
Dann gibt es demnächst Nachschlag beim
Kulturhaushalt?
Der Kulturhaushalt erfährt von allen die
notwendige Aufmerksamkeit.
Der Zufall
Als Olaf Scholz 2011 Bürgermeister
wurde, war die Elbphilharmonie als
„Chaosbaustelle“ verschrien; der Bau um Jahre in
Verzug, die Stadt, die Architekten Herzog & de Meuron
(HdM) und der Baukonzern Hochtief heillos zerstritten.
Scholz machte zunächst Hochtief als bösen Buben aus und
fuhr einen harten Kurs. Doch der Konzern beharrte auf
Nachforderungen in dreistelliger Millionenhöhe und legte
die Baustelle still. Scholz drohte Hochtief zwar mit Rauswurf,
musste aber erkennen: Das Problem liegt tiefer, und es betrifft
alle Beteiligten. Schließlich half der Zufall: Mit Marcelino Fer­
nández Verdes wurde 2012 ein alter Weggefährte von
HdM­Partner David Koch neuer Hochtief­Chef.
Koch brachte Scholz und den Spanier zusam­
men, und plötzlich stimmte die Chemie. Statt
Schuldzuweisungen dominierte die
Suche nach einer Lösung, und die war
so einfach wie komplex: Aus zwei
getrennten Verträgen mit HdM und
Hochtief wurde einer, in dem der Bau­
konzern die alleinige Verantwortung,
aber auch alle Risiken übernahm.
Dafür gab es auch mehr Geld. Aber
fortan lief es, und die Elbphilharmonie
wurde doch noch fertig. (dey)
Woher kommt diese Sicherheit?
Wir sind schon immer eine weltweit vernetzte Stadt gewesen. Wir haben die Kapazitäten ständig ausgeweitet, um viele
Gäste aufnehmen zu können. Wir sind
auf eine offene Welt eingestellt, so ist
unsere Mentalität.
Gegen Größenwahn-Vorwürfe kommen Sie
aber auch mit den tollsten Konzerten nicht
an. Die wird es weiter geben.
Ja. Ich habe mir diese Ansicht aber in
keiner Phase zu eigen gemacht. Ich glaube, dass die Stadt auch städtebaulich
einen klugen Weg gewählt hat; dass dieses Gebäude nichts ist, was man sich aus
Prestigegründen leistet, sondern dass es
mit der Stadt verzahnt ist. Es gibt auch
keinen besseren Ort dafür, mitten in der
HafenCity, mit dem industriellen Hafen
auf der einen und der gewachsenen
Stadt auf der anderen Seite. Für mich ist
auch wichtig, dass wir meine Ankündigung umsetzen, dass jedes Schulkind
wenigstens einmal die Elbphilharmonie
besuchen kann.
Der Rathaus-Architekt Martin Haller stellte
zum Thema Prestige-Architektur die rhetorische Frage: „Was verdankt München, was
Paris seinen Gebäuden, seinen großartigen
Anlagen und seinen Kunstwerken?“ Also:
Was wird Hamburg der Elbphilharmonie
verdanken?
Man spürt es fast jetzt schon: Hamburg
und die Elbphilharmonie werden eins,
und sie werden auch international zusammen wahrgenommen werden. Das
Konzerthaus nützt der Stadt und umgekehrt. So wie der Hafen der Stadt nützt
und umgekehrt. Oder die Reeperbahn.
Die Elbphilharmonie wird viele für Hamburg begeistern und vielleicht ist dies
einer der kleinen Schritte, die gelingen
müssen, damit die Stadt auch international anders wahrgenommen wird als bisher. Es gibt in der Welt noch Menschen,
die nicht wissen, wo in Deutschland
Hamburg liegt. Das wird sich wahrscheinlich ändern.
Also: Es hat sich in jeder Hinsicht gelohnt?
Ja.
ELBPHILHARMONIE
Mittwoch, 11. Januar 2017
Mit einer Uraufführung
von Wolfgang Rihm
beginnt heute das
Konzert im Großen Saal
der Elbphilharmonie.
Ein Interview über Musik,
Hans Henny Jahnn
und den Rest der Welt
Das erste
P
JOACHIM MISCHKE
er Fax bitte, die Antworten kommen handgeschrieben über Nacht
aus Karlsruhe, wo er
lebt, lehrt und arbeitet.
Ein
Frage-AntwortSpiel mit Wolfgang
Rihm ist trotz der leicht
antiquierten Methode voller Überraschungen. Das hat dieser Dialog mit seiner Musik gemeinsam, seit Jahrzehnten
gehört Rihm zu den populärsten und
fleißigsten Zeitgenossen der Musikwelt.
Für die Eröffnung der Elbphilharmonie
erhielt der Vielgebuchte einen Kompositionsauftrag vom NDR.
HamburgerAbendblatt
Stück
Ist von Ihnen und einige Jahre alt, wie finden Sie diese Einschätzung, gilt die noch?
Es geschieht oft im inzestuösen Getriebe
von Interviews, dass einem jahrealte Äußerungen präsentiert werden. Trotz der
fehlenden Zusammenhänge habe ich
meist das Gefühl: Ja, das kann man so sagen. So auch hier.
„Nichts an Musik ist normal. Musik ist
überhaupt nie Normalfall. Sie ist immer etwas Herausgehobenes, etwas Ereignisartiges, von den menschlichen Leidenschaften
Kündendes.“ Auch von Ihnen. Ihr Leben besteht also aus permanentem Ausnahmezustand. Was macht das mit und aus einem?
Einen glücklicheren Menschen oder nur
einen überarbeiteten?
Schon wieder ein Zitat. Auch hier: Ja.
Und eigentlich völlig normal, dass nichts
an Musik normal ist. Was würde uns
sonst an ihr interessieren!? Solche
Erkenntnis wirkt eher entspannend als
überanstrengend.
Eine historisch bewährte und durchaus legitimierte Praxis ist das Selbstzitat. Wie halten Sie es damit?
Ich habe manchmal die Technik der
Doppelbelichtung, der Übermalung, der
Überschreibung praktiziert: wo ein Text
auf einen bereits bestehenden Text,
einen Prä-Text, geschrieben wird. Dann
wird der neu entstandene Text seinerseits „beschriftet“ und sofort – ad infinitum denkbar als Genese einer virtuell
unendlichen Musik. Aber das ist im
eigentlichen Sinn kein Selbstzitat.
Hamburger Abendblatt: Wann haben Sie
erstmals von der Elbphilharmonie gehört –
und wie schlimm stand es damals? Und warum haben Sie zugesagt, ausgerechnet für
diesen Anlass, etwas zu komponieren? Dennoch oder gerade deswegen?
Wolfgang Rihm: Vor über zehn Jahren?
Schon damals wurde ich gefragt, ob ich
nicht ein Stück zur Einweihung schreiben wolle. Was meinen Sie mit
„schlimm“? Dass der Bau nicht billig
wurde? Danach fragt später niemand,
wenn das Wahrzeichen dasteht und
Identität stiftet. Ich machte mir also
Gedanken, etwas zu schaffen, das eine
Art hamburgischen Kern – einen geistigen Kern – in sich trägt.
Sie schreiben noch per Hand. Wie muss ich
mir so ein Autograf vorstellen? Genial aufgeräumt wie bei Mozart oder ein beethovensches Schlachtfeld, bei dem nur das Stärkste
überlebt?
Am besten, Sie stellen sich ein aufgeräumtes Schlachtfeld vor. Außerdem finde ich die Formulierung geradezu rührend: „noch“ mit der Hand …! Ja womit
denn sonst? Mit dem Finger?
Mit welchen Suchtmitteln bekommen Sie
sich aus einer Schaffenskrise?
Suchtmittel würden gar nichts erreichen, außer nebulösen Vorstellungen
von Schaffen und Krise Vorschub leisten. Schaffen und Krise gehören zusammen und wollen beide ausgehalten sein.
Wie kam die Idee für das Werk zustande?
Hatten Sie Carte blanche, war der Bezug zu
Jahnn Ihre Idee?
Selbstverständlich war ich frei in meiner
Wahl. Meine Gedanken folgten einander
in etwa so: Einen Jubelchor oder Einweihungstusch kann ich nicht schreiben,
das können andere trefflicher. Ein solches Ereignis braucht in sich eine Art
Memento – eine Art ernsten Stein, ein
„et ego“ im arkadischen Taumel. Die
größte und zugleich dunkelste Gestalt,
die ich aus Hamburg kenne, ist Hans
Henny Jahnn. Für die meisten heute –
auch für Hamburger – keine geläufige
Figur. Er muss erscheinen, wenn das
bedeutende Haus eröffnet wird, das wie
ein Schiff und ein Kathedralbau zugleich
anmutet.
Sie verwenden auch Texte aus Jahnns
„Fluss ohne Ufer“, einem vielschichtigen
Opus magnum über die Spannung zwischen
Kunst und Wirklichkeit, einem Komponisten und dem Rest der Welt. Was hat Sie
daran gereizt, wie nah ist Ihnen Jahnns
Gedankenwelt?
Das einer rätselhaften Tiefenspannung
entstammende Phantasmagorische von
Jahnns Welt empfinde ich als Ausdruck
von Widerspruch und Aufgehobenheit
zugleich: Widerspruch gegen Normierung und Aufgehobenheit in schützender Körperlichkeit. Kampf und Wärme
schaffen eine Art geistigen Naturzustand. Wir bedürfen seiner, um
nicht kleinmütig zu werden.
8
Wer wie Sie bei Stockhausen gelernt hat,
den kann nichts mehr erschüttern?
Jeder gute Lehrer lehrt das Erschüttertwerden-Können.
Wie viel Ihres Werkkatalogs ist mittlerweile
ästhetisch verjährt?
Das kann ich nicht beantworten, weil
immer wieder Phasen einsetzen, wo gerade frühere Stadien meiner Arbeit
plötzlich enorm geschätzt werden und
die Erschütterten und Verzweifelten
Chöre deklamieren derart: „Wir wussten
ja gar nicht, wie gut das alles ist!“
Der Komponist
Wolfgang Rihm im
Rolf­Liebermann­
Studio des NDR
Roland Magunia
Wo finden Sie Ihre Inspirationen, und wie
wichtig ist guter Whisky?
Alles zu seiner Zeit. Ein furchtbarer Satz
– aber leider wahr. Trotzdem ein Tipp:
Inspiration kommt immer aus der Sache
selbst, nie von außen.
der Literatur, überhaupt. Wie Joyce, Musil, Brod, Doderer natürlich ohne
Nobelpreis-Chance.
Jahnn war nicht nur Autor, sondern auch
Orgelbauer. Keine alltägliche Berufungskombination. Wie nutzen Sie die Orgel im
Großen Saal, um diesen Aspekt aufzugreifen
und auf ihn anzuspielen?
Welche Bedeutung hat die KonstellaIch nutze die Orgel wirklich nur als Antion der Texte, gibt es einen dramaspielung, und auch nur im zweiten Satz
turgischen Kern? Worauf spielt der
mit dem Jahnn-Text: wie eine Art
Titel an?
Schwall flüssigen Metalls, oder einmal
Wolfgang Rihms Vita
„Reminiszenz“ ist ein Text,
wie ein abstraktes Gespinst. Die Orgel
den Jahnn um ein Eigenzitat
Die Karriere begann früh: Kurz
gibt eine Art Jahnn-Echo ins Klangherumschrieb: um eine Benachdem Wolfgang Rihm im Sommer
geschehen hinein, ohne im genennung des Todes, die er
1972 sein Abitur hatte, legte er in seiner Geburts­
ringsten Jahnns Orgelmusikseinem riesigen „Fluss ohstadt Karlsruhe bereits sein Staatsexamen in Komposi­
Ideal zu entsprechen. Ihr Klang
ne Ufer“ entnahm. Die
tion und Musiktheorie ab. Bevor Rihm wenig später bei
steht „quer“ im Orchester. VielWahl der zitierten Stelle ist
Karlheinz Stockhausen als Schüler angenommen wurde,
leicht doch eine poetologische
also Jahnns eigene. Dieses
warnte der ihn: „Wenn Sie mit mir arbeiten wollen, so muss es
Jahnn-Entsprechung?
Textstück steht in der Mitklar sein, dass Sie wenigstens zwei Jahre nichts anderes
te. Triptychonartig wird es
vorhaben. Sonst gehen Sie besser woanders oder nirgendwo
Wie viele solcher Widmungsstücke
umgeben von den zwei
hin.“ Rihm, wild entschlossen, ging das Risiko ein, blieb aller­
haben Sie bereits geschrieben?
Gedichten, die Peter Hudings nur zwei Semester in Stockhausens Klang­Kosmos. Mit
Manchmal widme ich ein Stück
chel, ein Freund Jahnns,
dem eigenen Schaffen ging es nach ersten Erfolgen u. a. bei
einem Menschen oder seiner Erdiesem gewidmet hat: eines
den Donaueschinger Musiktagen 1974 steil bergauf. Rihm
innerung. Hier ist es Hans Hendem lebenden und eines
profilierte sich weltweit und übernahm Lehraufträge, sein
ny Jahnn, den ich persönlich nadem toten Jahnn. Am
Werkkatalog umfasst Hunderte Stücke aus allen Genres.
türlich nie getroffen habe.
Schluss steht ein Vierzeiler,
An der Hamburgischen Staatsoper hatte 1979 seine Büch­
den Jahnn einer Dichtung
ner­Vertonung „Jakob Lenz“ ihre erste Premiere. 1992 wurde
Ist die Wertigkeit einer solchen
seines Freundes Walter
die Oper „Die Eroberung von Mexiko“ an der Dammtor­
Auftragsarbeit eine andere als für
Muschg entnahm und den
straße uraufgeführt. 2016 übernahm er die künstleri­
„absolute“ Musik?
er gern als Grabschrift
sche Leitung der Lucerne Festival Academy. Für die Eröff­
Nein. Denn „Auftrag“ heißt in
gehabt hätte. Dazu kam es
nungskonzerte der Elbphilharmonie bestellte der NDR ein
der Musik, dass ein Veranstalter
nicht, aber wir rufen es ja
Stück für Tenor und Orchester bei Rihm. Er entschied sich für
das Recht zur Uraufführung
nun nach …
eine Vertonung u. a. von Texten des Hamburger Autors Hans
eines meiner Werke erwirbt. So
Henny Jahnn und gab dem Werk den Titel „Triptychon und
gesehen sind alle Werke AufWas bedeutet Jahnn als Autor
Spruch in memoriam Hans Henny Jahnn“. Rihm lebt und
tragswerke. Ich habe in jedem
für Sie?
arbeitet in Karlsruhe und Berlin. (jomi)
Fall freie Hand. Das einzig
Eine der größten Gestalten
Schwierige im bindenden Sinne
sind Terminzusagen. Aber das ist in diesem Fall ja gelöst.
Wann haben Sie damit begonnen, wie lange
waren Sie zuvor gedanklich schwanger, und
wann war es fertig?
Schwanger bin ich immer, lange vor der
Konzeption. Fertig war ich ziemlich
früh: am 27. Februar 2016.
Hatten Sie Gelegenheit, sich den Großen
Saal anzusehen, für den Sie komponiert haben? Oder lief die Inspiration über Handauflegen auf Computergrafiken?
Ich habe ein Werk geschaffen, das in diesem Saal – den ich nicht kenne – erklingen wird. Es ist für einen geistigen Raum
geschaffen und kann, wie jede andere
Musik auch, an vielen denkbaren Orten
interpretiert werden.
Sie werden zur Uraufführung sicher vor
Ort sein. Ist Lampenfieber ein Thema?
Ich bin gerne bei Stück-Geburten dabei.
Wie jeder Vater oder jede Mutter in liebender Sorge ums Kind.
Am 11. Januar stehen Sie auf dem Spielplan,
zwei Tage später folgt Ihr ehemaliger Schüler Jörg Widmann mit einer Uraufführung
durch Kent Nagano und die Philharmoniker. Haben Sie sich darüber ausgetauscht –
oder gerade ausdrücklich nicht? Spürt der
Lehrer in solchen Momenten den heißen
Atem des Juniors in seinem Nacken und
passiert ihnen das öfter?
Ich erfahre davon durch Ihre Frage und
wünsche Jörg alles Gute und viel Erfolg!
Wie junge Komponisten und Komponistinnen atmen, wenn sie hinter mir stehen, entzieht sich meiner Erfahrung.
Ist man jemals mit einer Komposition fertig,
oder wäre das ein Luxus, den Sie als Vielgebuchter sich längst nicht mehr leisten können?
Fertig zu sein ist das Vorrecht des
Erschöpften. So gesehen bin ich oft fertig. Im Übrigen ist alle entstehende
Musik immer wie ein Ausschnitt aus
einem großen Entstehen, das wie eine
Vor-Schrift das Kommende enthält.
„Kunst ist nicht so, dass sie aufgrund von
Abmachungen entsteht“, haben Sie mir vor
einigen Jahren gesagt. Wie schafft man
trotzdem Kunst?
Eben. Mit Abmachungen sind Vorwegnahmen gemeint. Kunst entsteht aus
dem Glück des Moments: Sie kann glücken. Wir kennen sie nicht.
„Wenn Kunst in einer Gesellschaft entsteht,
wird sie mit ihrem Überleben konfrontiert.
Wir unterhalten uns ja nicht über Gerichtsakten oder Getreidepreise, wenn wir über
gesellschaftliche Zeiten sprechen. Sondern
über deren Kunst. Kunst nützt der Gesellschaft, indem sie deren Erinnerung sichert.“
„Das Komponieren ist nicht einfach für
mich. Ich schreibe nicht schnell, aber gleichmäßig.“ Wie genau komponieren Sie, ganz
generell betrachtet – à la Strauss, „wie die
Kuh Milch gibt“; als Schubtäter, den es nach
Tagen der Verzweiflung herausbrechend ereilt; oder mit täglichem Ringen, pünklich beginnend und pünktlich endend?
Wieder kann es helfen, dass Sie sich eine
Mischung aus all dem vorstellen. Es ist
sowieso jedes Mal anders. Außerdem: Ist
es wichtig?
Welche Aufträge warten derzeit in Ihrem
Kalender, bis wann wissen Sie bereits jetzt,
was Sie liefern müssen?
Die Anfragen erstrecken sich über weit
mehr als ein Jahrzehnt in die Zukunft …
Wo bleibt da die künstlerische Freiheit?
Für die bin ja ich zuständig. Ich bringe
sie ins Spiel. Von außen kommt sie nicht.
Welches Stück eines Kollegen hätten Sie liebend gern komponiert?
Weiß ich nicht. Das „liebend gern“ lässt
praktisch nur eine Antwort zu: irgendein
Klavierkonzert von Mozart, egal, welches.
Welche Musik hört der Komponist Wolfgang Rihm zur Entspannung? Geht das,
oder springt sofort das Analytikerhirn an?
Hätte ich ein sogenanntes Analytikerhirn, käme ich doch gar nicht zum Komponieren. Und zur Entspannung höre ich
eigentlich: Stille.
Pavol Breslik singt die Tenorpartie in
Rihms „Reminiszenz“ imago stock&people
Wie endet für Sie der Satz: „Die Musikstadt
Hamburg ist für mich ...“?
„… wie ein Hafen: Ankunft und Ausfahrt ...“
9
ELBPHILHARMONIE
HamburgerAbendblatt
Der
Seit 2007 ist der Wiener
Christoph Lieben­Seutter
Chef der Elbphilharmonie.
Lange war er der tragische
Hausherr ohne Haus.
Nun wünschen sich alle
von ihm nur eines: Karten
D
JOACHIM MISCHKE
iesen bombigen Ausblick vor den Bürofenstern, den müsste ihm die Stadt
eigentlich vom Lohn
abziehen. Zehnter
Stock, die SüdwestEcke der Elbphilharmonie, unverbaubare Fototapete, den
Hafentrubel unmittelbar vor der Nase,
rechts geht’s zu den Landungsbrücken
raus. Und vor seinem Schreibtisch ragen
sehr dekorativ sehr schräge Säulen ins
Amtszimmer, eine kleine Anspielung auf
das extravagante Styling der Plaza des
Konzerthauses, zwei Etagen tiefer.
Im vergangenen Jahrzehnt hat sich
Christoph Lieben-Seutter, je nach Stand
oder Stillstand der Krisenbaustelle Elbphilharmonie, mehrfach neu eingerichtet: am Valentinskamp, im BrahmsQuartier und natürlich auch oben hinten
im klitzekleinen Verwaltungstrakt der
Laeiszhalle. Jetzt aber ist der Wiener
auch leibhaftig dort, wo der damalige
Chef des Wiener Konzerthauses immer
hinwollte, als er 2006 zusagte und 2007
mit Frau und Töchtern in Hamburg ankam. Platz der Deutschen Einheit, HafenCity. Nicht ganz oben im Gebäude,
denn dort, ein Dutzend Stockwerke höher, residieren die Inhaber der Luxuswohnungen, aber ganz oben in der Hierarchie des spektakulärsten Konzerthauses, das man für Geld, für viel mehr Geld
als einmal gedacht bauen konnte.
Gäbe es einen Balkon, könnte Lieben-Seutter dort den DiCaprio machen
und die „König der Welt“-Szene aus „Titanic“ nachspielen. Sähe blöd aus, klar,
aber wer sollte ihn hier aufhalten? Doch
so scheint der Generalintendant von
Elbphilharmonie und Laeiszhalle dann
doch nicht zu ticken. Er freut sich offenkundig mehr nach innen, über die Verantwortung, die Aufgaben, die Möglichkeiten, die Perspektiven. Und diesen
Ausblick gibt’s gratis dazu. Der Legende
nach kann in Wien jeder Taxifahrer die
Stabreime von Wagners „Ring“ rückwärts aufsagen, an der Elbe schimpfen
manche eher und immer noch sehr pauschal über den „Prachtbau“, in dem Lieben-Seutter nun den Ton angibt.
Sein derzeitiger Vertrag läuft bis
Sommer 2021. Restsehnsucht nach
Wien, der wirklich klassischen Musikstadt, der ohne die skeptischen Wenns
und Abers? Nö, gar nicht, antwortet Lieben-Seutter, ohne zu zögern. „Die war
nie da, höchstens musikalisch, an die
Dichte des Angebots“, meint er. „Wenn
man die Lobby vom Hotel Imperial betritt und einem vier Weltklasse-Dirigenten gleichzeitig entgegenkommen, das
war in Hamburg nie so und ist das Einzige, was mir hin und wieder gefehlt hat.
Ansonsten gehen mir hier noch die Berge am Horizont ab. Alles andere ist mir
sehr schnell ans Herz gewachsen.“
Warten hat schon
ganz andere mürbe gemacht
Obwohl am Kaiserkai ein kleines Kaffeehaus auf Alt-Wien macht, hat LiebenSeutter es dorthin noch nicht oft geschafft. Die eigene Sozialisation beim
Kleinen Braunen ist schon lange her,
während der Schulzeit war das anders.
Selbstverordnete Freistunden im Cafe
Krugerhof, gegenüber im Kino liefen
vormittags James-Bond-Filme. Nach
dem Abitur arbeitete er in der Computerbranche und wurde die rechte Hand
des umtriebigen Kulturmanagers Alexander Pereira in Wien und Zürich, bevor er selbst die Leitung des Wiener
Konzerthauses übernahm, das in der
Nachbarschaft des Musikvereins-Gebäudes steht.
Vor gut einem Jahrzehnt hätte man
bei der Erwähnung seines Namens in
Christoph Lieben­Seutter in seinem
Büro im zehnten Stock Roland Magunia
Mittwoch, 11. Januar 2017
Intendant
Hamburg auch von vielen Musikfreunden nur ein erstauntes „Lieben wer!?“ zu
hören bekommen. Das hat sich geändert.
Jetzt kennt praktisch jeder den hochgewachsenen Mann mit der Brille, und
wenn schon nicht namentlich, dann zumindest wegen seines tragischen Schicksals. Jahrelang war er hier: der in der
Warteschleife. Der Hausherr ohne Haus.
Der Pechvogel. Alles, was dazu zu sagen
war in den vergangenen Jahren, ist
längst und mehrfach gesagt. Auch von
ihm, in allen Stimmungsabstufungen.
Als Lieben-Seutter ganz frisch war hier,
hatte er als der Neue von außen Hamburg zum Einstand abgesprochen, Musikstadt zu sein; das kam nicht so gut an.
Als es gerade mal wieder finster stand
um sein Projekt, frustete es den Begriff
„Lachnummer“ aus ihm heraus.
Kann man alles verstehen. Warten
hat schon ganz andere mürbe gemacht.
Obwohl er als Konzerthaus-Chef ja nicht
zum Nichtstun verdammt war. Er hatte
die Laeiszhalle zu leiten und vorzubereiten, und ein anderes Gebäude musste er
wahr werden lassen, im Rahmen seiner
Möglichkeiten. Er hat neue Konzertkonzepte ausprobiert und manche sogar
etabliert, hat kleinere und größere Festivals ins Sortiment gestellt, als wäre das
Hamburger Musikleben eine Versuchsküche, in der man durch verspieltes
Würzen und energisches Umrühren
ganz viele Menschen mal eben auf ganz
neue Geschmacksrichtungen bringen
könnte. Sofort hat das nicht geklappt,
immer auch nicht. Doch in den vergangenen Spielzeiten immer öfter. Die Wartezeit, unter der Lieben-Seutter litt, war
sein Nachteil, der schließlich doch noch
zum Vorteil wurde.
Keinen Teil seines Wechsels von der
Donau an die Elbe hat er bereut. „Die
Zeit am Wiener Konzerthaus war großartig, trotzdem musste ich nach zehn
Jahren weiterziehen“, sagt er, „und bin
zum spannendsten Projekt gegangen,
das meine Branche zu bieten hat, auch
wenn es dann länger als erwartet gedauert hat und nicht immer erfreulich war.
Ausgezahlt hat es sich in jedem Fall.“
Nun scheint alles ganz einfach. Die
Karten für alles und jeden in den ersten
elbphilharmonischen Monaten wurden
ihm buchstäblich aus den Händen gerissen. Für die erste vollständige Elbphilharmonie-Saison, deren Programm im
Frühjahr präsentiert werden wird, dürfte
es ähnlich weitergehen. Beim Orakeln
über kommende Attraktionen bleibt Lieben-Seutter, wenig überraschend, so vage wie nötig: „Es ist klar, dass wir die
Grundkonzeption so weiterführen. Die
wirklich spannende Aufgabe ist, den Rie-
senansturm nicht einfach nur für den
Kartenverkauf zu nutzen, sondern Geschichten über Musik zu erzählen. Und
damit den Zigtausenden Besuchern eine
Welt zu erschließen, die über den ersten
und einmaligen Besuch dieses Konzerthauses hinausgeht.“
Dass jetzt, von heute an, die Hamburger Schonfrist an ihr letztes Ende
kommt, ist für Lieben-Seutter kein Problem. Liefern? Kein Thema. „Super. Dafür sind wir da, das ist eine große Chance
und eine große Verantwortung.“ Die Elbphilharmonie wird sich nie rechnen,
aber immer rentieren? „Das stimmt sicher. Sie ist unbezahlbar, weil sie eine
Wirkung für Hamburg und darüber hinaus hat, die nachhaltig sein und viele
Jahre anhalten wird. Deswegen ist verglichen damit jede finanzielle Kalkulation irrelevant.“
Ob die Eröffnung das Erlebnis
der ersten Probe toppen wird?
Jetzt gilt es, die ersten Konzertmonate
oberhalb vom Kaispeicher A möglichst
reibungsfrei über die Bühnen zu bringen.
Falls nicht alles komplett seinen Privatgeschmack trifft, wäre ja mal interessant, was er wirklich liebend gern im
neuen Konzerthaus erleben würde. „Musik, mit der ich groß geworden bin, und
die spielt sich vor allem im 20. Jahrhundert ab: Messiaens Oper ,Saint François‘,
Nonos ,Prometeo‘, große StockhausenWerke, die Vierte von Ives – da gibt’s
Dinge, nach denen schreit der Saal. Auf
die freue ich mich.“
Als Konzerthaus-Chef in Wien hatte
er eine große Baustelle unter sich, als
Hoffnungsträger in Hamburg eine
monströs große vor sich. Was kann da
im Lebenslauf noch kommen? „Keine
Baustelle mehr“, flachst er zurück. „Das
war eine interessante Erfahrung, denn
mir hat das Wissen von der ersten Baustelle bei der zweiten kaum genutzt,
außer, um etwas Kassandra zu spielen“,
erinnert er sich. „Viele Fehler sind hier
wiederholt worden, die ich schon im
Konzerthaus erlebt habe. Aber hier war
ich nicht der Bauverantwortliche. Und
nur weil dieser für die Musik zuständige
Intendant eine Meinung zu Bauthemen
hat, heißt das noch lange nicht, dass die
Fachleute auch zuhören. Das hat mir
eine Zeit lang zu denken gegeben. Hätte
ich mehr sagen müssen, hätte ich anders
auf den Tisch hauen sollen? Doch wenn
so ein Dampfer in eine Richtung fährt,
kann ein Einzelner nicht so leicht den
Kurs ändern.“
Vor einigen Monaten hat LiebenSeutter, Vorgesetzter von mittlerweile
rund 49 Mitarbeitern bei der HamburgMusik gGmbH, eingestanden: „Mein
Fehler ist, ich lobe zu wenig.“ „Ja, aber
ich gelobe Besserung“, sagt er jetzt zu
seiner Verteidigung. „Ich glaube, hier in
der Elbphilharmonie habe ich schon ausführlich gelobt. Denn was mein Team bei
der Vorbereitung, beim Einzug und danach geleistet hat, ist ganz fantastisch.“
Und wenn es dennoch hakt und klemmt,
ist er nicht der Cheftyp, den man noch
im geschlossenen Fahrstuhl toben hört.
„Ich werde leise und werfe höchstens
mal mit zynischen Sprüchen um mich.“
Mit Lampenfieber am Abend der Eröffnung, vor den vielen Prominenten
und den Kameras kann Lieben-Seutter
nur bedingt dienen. Das mit dem Reden
liege ihm zwar nicht so, meint er, „aber
ich habe es in den letzten 20 Jahren
gründlich gelernt, und es bringt mich
auch gar nicht mehr aus der Ruhe. Allerdings überlege ich mir blöderweise immer erst in der letzten halben Stunde
vor dem Auftritt, was ich eigentlich sagen will. Und das ist manchmal Stress.“
Einen sehr speziellen Stress der letzten
Monate hat er gut verarbeitet, denn die
vielen freundlichen Kontakte und Mails
wegen Karten für die Eröffnungsgalas
prallten an ihm ab. Kaufen konnte man
die Tickets ohnehin nicht, deswegen
dachten sich manche interessante Begründungen aus, warum ausgerechnet
sie vom Intendanten in den kleinen
Kreis der 4200 Ehrengäste aufzunehmen
wären. Verweise auf die eigene Wichtig-
Intendant Christoph Lieben­
Seutter im Foyer des Kleinen
Saals der Elbphilharmonie –
hier hat man einen Blick
auf ein anderes Hamburger
Wahrzeichen Roland Magunia
keit gab es reichlich. Viele hatten freundlich angefragt, ob es nicht doch noch irgendeine kleine Chance auf Karten in
den ersten Wochen gebe. Und besonders
hübsch war der Verweis auf den 50.
Hochzeitstag, am 11. Januar 2017.
„Dann bin ich heiser und hab Kreuzweh“, prophezeit Lieben-Seutter seinen
körperlichen Zustand für die Stunden
nach dem Ende des ersten Eröffnungskonzerts. „Ich bin gespannt, ob die Eröffnung das Erlebnis der ersten Orchesterprobe und der Feier mit den Projektbeteiligten noch toppen kann. Da waren
knapp 1000 Menschen, von denen ganz
viele viel Herzblut ins Projekt gesteckt
haben. Manche waren zu Tränen gerührt, es schien für sie fast so, als ob sie
ihr Kind aussetzen müssten. In einer
kurzen Ansprache habe ich versichert,
dass wir sehr auf ihr Haus aufpassen
würden. Das macht einen irgendwie demütig. Es ist fantastisch geworden, viel
besser, als ich erwartet habe – und das
waren all diese Leute.“
Obwohl wahrscheinlich jeder gut
sortierte Künstler-Agent und jedes große Orchester der Musikwelt in den letzten Monaten in Lieben-Seutters Leitung
oder Mail-Eingang auftauchte: Hollywood hat noch nicht angerufen, um Tom
Cruise hier eine Runde auf der Glasfassade klettern zu lassen. „Bislang war
es mehr die deutsche Til-Schweiger-Liga“, sagt der Neubau-Hausherr amüsiert.
„Aber ich gehe davon aus, dass so etwas
noch kommt.“
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ELBPHILHARMONIE
HamburgerAbendblatt
Die
2000
Investoren planen
am Standort des Kaispeichers A den Media
City Port – ein 100 Meter
hoher Büroturm, der aus
dem Speicher herauswächst.
23.
September 2001
CDU, FDP und die SchillPartei gewinnen die Bürgerschaftswahl, Ole von
Beust wird Bürgermeister.
Die SPD muss nach 44
Jahren die Macht
abgeben.
21. Dezember
2001
In Basel trifft Alexander
31. Oktober 2001
Gérard die Architekten
Die Investoren AlexanJacques Herzog und Pierre
der Gérard und Patrick
de Meuron. Sie skizzieren
Taylor schlagen Bürgermeiseinen ersten Entwurf –
ter Ole von Beust in einem
die Geburtsstunde der
Brief den Umbau des KaiWelle.
speichers A zu einem
Konzerthaus vor.
Chronik
2000
März 2003
Alexander Gérard beauftragt Herzog & de Meuron mit einer Projektstudie
und einer Visualisierung.
Der Auftrag wird als
„Projektnummer 230“
angenommen.
5. Dezember
2003
Der Senat beruft
Hartmut Wegener
zum Projektkoordinator.
Die Bürgerschaft
macht den Weg frei
für die Ausschreibung des Bauprojekts.
3.
November 2004
Symbolische
Grundsteinlegung
mit Bürgermeister
Ole von Beust und
offizieller Baubeginn.
8.
Januar 2010
Neujahrsempfang
des Hamburger Abendblattes auf der Baustelle der Elbphilharmonie.
Der Streit zwischen
Baukonzern und Stadt
eskaliert: Hochtief
stellt den Weiterbau
komplett ein.
2005
24.
August 2005
Die Hamburger Mäzene Hannelore und Hel8.
mut Greve kündigen an,
Dezember 2005
30 Millionen Euro für den
Das NDR SinfonieBau der Elbphilharmoorchester wird per Vernie zu spenden.
tragsunterzeichnung
zum Residenzorchester
der Elbphilharmonie.
18. Dezember
2006
2. April 2007
20.
September 2011
2004
Die Hansestadt Hamburg kauft die Investoren
Alexander Gérard und
Dieter Becken aus dem
Architektenvertrag
heraus.
26. Oktober
2005
16.
Dezember 2009
Das erste Element
der Glasfassade
wird eingesetzt.
Die Verträge zwischen der
städtischen Realisierungsgesellschaft ReGe und
Hochtief werden unterschrieben. Baukosten:
241 Millionen Euro.
28.
September 2005
Michael Otto spendet
10 Millionen Euro
für die Elbphilharmonie.
6. November
2006
Die Kulturbehörde fordert
diverse Planungsänderungen, unter anderem einen 3.
Saal, der nach Schätzung
von Hochtief zu Mehrkosten in Millionenhöhe führt.
2008
2000
6. Juni
2003
Das Hamburger
Abendblatt berichtet erstmals über
die Pläne.
26. Juni 2003
Alexander Gérard
und Jana Marko stellen
ihr Projekt mit Pierre
de Meuron im Studio E
der Musikhalle der
Öffentlichkeit
vor.
29. Februar 2004
Die CDU erreicht bei
16.
den Bürgerschaftswahlen
Dezember 2003
die absolute Mehrheit.
Der Senat entscheidet,
Bürgermeister Ole von
das Projekt ElbphilharBeust ernennt wenig
monie weiterzuverfolspäter Karin von Welck
gen. Preisprognose: 91
zur Kultursenabis 96 Millionen
torin.
Euro.
22. April 2005
Die Architekten
beziffern die Kosten für den Bau:
196,7 Millionen
Euro.
24. Februar
2005
Die europaweite
Ausschreibung des
Investorenwettbewerbs beginnt.
4. März
2009
Die Bürgerschaft beschließt gegen die Stimmen von SPD und Linke
den „Nachtrag 4“ – 200
Millionen Euro mehr
Baukosten.
2010
18. Mai 2005
Die ReGe testet mit
einem 7er BMW die Eignung des Kaispeichers als
Parkhaus, und Chef Hartmut
Wegener kommt zu der Er12. Juli
kenntnis: „Das geht nicht.“
2005
Der Speicher muss
Der Senat nennt die
entkernt werden.
Gesamtkosten: 186,7
Millionen Euro. Davon
sollen die Steuerzahler
77 Millionen Euro
tragen.
6. Juni 2006
Der bisherige Chef
des Wiener Konzerthauses, Christoph LiebenSeutter, wird im Hamburger
Rathaus zum Intendanten
von Elbphilharmonie
und Laeiszhalle
ernannt.
April 2006
Abgabefrist für die
Angebote der Bauunternehmen. Das Angebot
von Hochtief beläuft
sich auf 274 Millionen Euro.
20.
Februar 2011
Die SPD erreicht bei
der Bürgerschaftswahl
die absolute Mehrheit.
Olaf Scholz wird Erster
Bürgermeister.
16 Jahre von der ersten Idee
bis zur feierlichen Eröffnung:
die wechselvolle Geschichte
der Elbphilharmonie in
60 ausgewählten Daten
Der Masterplan
HafenCity wird
vorgestellt.
15.
September 2006
2007
Die Architekten verkünden, dass weder die
Baukosten von 186 noch
von 196 Millionen Euro zu
halten sind. Es sollen
nun 228 Millionen
Dezember 2007
Euro werden.
Bereits ein Dreivierteljahr nach Baubeginn ist
der Streit zwischen ReGe
17. September
und Hochtief über Mehrfor24. Februar 2008
2008
derungen und BauändeDie CDU verliert bei der
Ole von Beust legt
rungen entbrannt. Die
Bürgerschaftswahl die
ReGe-Chef Hartmut
ReGe schaltet Anabsolute Mehrheit. Ole von
Wegener den Rücktritt
wälte ein.
Beust bildet erstmals in der
nahe. Nachfolger wird
Bundesrepublik eine
Heribert Leutner.
schwarz-grüne Koalition auf Länder19. Juli 2010
ebene.
Ole von Beust kündigt nach einem Volksentscheid über die Schul5. Mai 2010
reform seinen Rücktritt
Die Bürgerschaft
an. Auch Kultursenatosetzt den ersten
rin Karin von Welck
Parlamentarischen
geht.
Untersuchungsausschuss ein
19. April 2011
2011
29. August 2012
2.
Februar 2012
Ole von Beust
sagt im Untersuchungsausschuss aus.
April 2013
15.
Februar 2014
Der Untersuchungsausschuss legt seinen
724 Seiten starken
Abschlussbericht
vor.
2.
September 2016
Erste technische
Probe des NDR Elbphilharmonie
Orchesters im
Großen Saal.
Der zweite parlamentarische Untersuchungsausschuss
Elbphilharmonie
wird eingesetzt.
5. Juli
2012
Stadt und Hochtief
vereinbaren neue Eckpunkte der Zusammenarbeit. Doch die Einigung hat keinen
Bestand.
23. November
2012
7. Oktober
2016
Hamburgs Kultursenatorin Barbara
Kisseler stirbt.
19. Juni 2013
Die SPD-Mehrheit
in derBürgerschaft
stimmt dem Nachtrag 5
zu. CDU, Grüne und
Linke stimmen dagegen, die FDP
enthält sich.
2014
2015
15.
August 2014
Das Dach mit 6000
weißen Pailletten
ist dicht.
31. Oktober
2016
Hochtief übergibt
das Gebäude offiziell an die Stadt.
23.
März 2011
Barbara Kisseler
wird Kultursenatorin.
2012
2013
Erstmals nennt die
Stadt die vollen Kosten
des Bauwerks: 865 Millionen Euro. Davon
trägt die Stadt 789
Millionen
Der Kartenvorverkauf für die Elbphilharmonie
beginnt.
2006
2009
Bürgermeister Olaf
Scholz trifft sich erstmals mit
dem neuen Hochtief-Chef Marcelino Fernández Verdes. Zwischen beiden stimmt die Chemie,
und sie verbindet ein Ziel: Die
Elbphilharmonie endlich fertig
bauen – das ist die Grundlage
für die Neuordnung der
Verträge.
20. Juni
2016
2002
2003
Ole von Beust verkündet im Gästehaus des
Senats, die Stadt spreche
sich für ein Konzerthaus
auf dem Kaispeicher
A aus.
17. Mai 2004
2001
10
3. Juli 2013
Die Dachkonstruktion
wurde erfolgreich abgesenkt.
Das 2000 Tonnen schwere
Saaldach ruht nun nicht mehr
auf sieben Stützpfeilern,
sondern auf den Wänden
über dem Großen
Konzertsaal.
Kultursenatorin
Barbara Kisseler präsentiert mit Architekten und Baukonzern
den Neustart auf
der Baustelle.
13.
Dezember 2013
15. Dezember
2012
In einer Sondersitzung
entscheidet der Senat, mit
Hochtief weiterzubauen und
die Verträge völlig neu zu ordnen – der Nachtrag 5. Olaf
Scholz bekennt, er habe
vorher eine schlaflose
Nacht gehabt.
Die Montage der
Weißen Haut im
Großen Saal
beginnt.
Michael Zapf, Andreas Laible, dpa, Marcelo Hernandez
Mittwoch, 11. Januar 2017
7. Januar
2013
ReGe-Chef
Heribert Leutner
tritt zurück.
31. Januar
2014
Das letzte Element
der Glasfassade
wird angebracht.
12. Januar 2015
2016
2017
Bürgermeister
Scholz verkündet
den Eröffnungstermin: 11. Januar
2017.
14. Juli
2015
Der letzte Baukran wird abgebaut.
4.
November 2016
Hochtief-Chef Marcelino Fernández Verdes
und Bürgermeister
Scholz eröffnen die
Plaza.
11. Januar
2017
Feierliche Eröffnung der Elbphilharmonie.
11
ELBPHILHARMONIE
HamburgerAbendblatt
Mittwoch, 11. Januar 2017
Der
Generalmusikdirektor
Die ganze Welt soll die
Freude über die fertige
Elbphilharmonie mit
Hamburg teilen. Das
wünscht sich Kent Nagano,
der musikalische Leiter
der Staatsoper und
des Philharmonischen
Staatsorchesters
nämlich hat als Kultursenatorin in dem,
wie und was sie dachte, und vor allem,
was sie tat, eine schöpferische Kulturarbeit vertreten und unermüdlich inspiriert, deren Wert sie stets als eine gesellschaftliche und menschenbezogene
Kondition erkannt und entsprechend
auch in ihrer Praxis als Kulturpolitikerin
verfolgt hat.
Die Elbphilharmonie ist geboren
worden aus dem Willen, der Stadt Hamburg und seinen Traditionen als weltoffener Handelsstadt, aber auch als immer
wieder gewichtiges Zentrum bedeutender künstlerischer Leistungen, eine
neue, zukunftsbezogene Perspektive zu
geben sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bürger zu mobilisieren.
Handel und Kultur stehen seit urdenklichen Zeiten in engem Verhältnis
zueinander. Und große Handelsstädte
zeichnen sich immer dadurch aus, dass
sie es zu kulturellen Blütezeiten gebracht haben, dass sie für Offenheit, Begegnung und Austausch stehen und darin eine bedeutende Repräsentanz entfalten. An der besonderen, so
ausgesprochen symbolträchtigen Architektur von Hamburgs Elbphilharmonie
kommt man nicht vorbei. Sie ist zeichenhafter „Ausdruck“, sie ist markant und
vereint in sich kompakte Geschlossenheit mit einer wunderbaren Spiegeltransparenz sowie im Inneren mit einer
räumlichen Melodik aus weiten Schwingungen und harmonischem Maß!
D
KENT NAGANO
er Bau ist fertig, das
Haus vollendet! Es
kann bezogen und
bewohnt werden! Ja,
es ist wahr! Die
Hamburger dürfen
sich freuen, und besonders die, denen
die Musik am Herzen liegt, die ohne das
live erlebte Konzert nicht leben können,
weil das Erleben von Musik, von musikalischen Kunstwerken und „großer“ Musik zu ihrem Leben dazugehört – nicht
nur einfach so, sondern als etwas, was
dem Leben Sinn und Form gibt. Alle
Hamburger, alle und auch ihre Gäste aus
nah und fern sind herzlich willkommen,
an diesem Erleben teilzunehmen und
unsere Freude mit uns zu teilen.
Dass wir in Hamburg uns freuen
dürfen und nun mit Spannung und natürlich hochgestimmten Erwartungen
der musikalisch-kulturellen Entwicklung
in der Elbmetropole entgegenblicken, ist
nicht so selbstverständlich. Baustellen
können zur Belastung werden, die
schwer auszuhalten sind, die zermürben
und oft am Ende nicht nur politischen,
sondern auch gesellschaftlichen Sprengstoff in sich bergen. Das gilt insbesondere für solche Prestigeprojekte, die das
Mittelmaß an ästhetischer Faszination
vorziehen und denen letztlich die wahrhaft künstlerische und gesellschaftsbezogene Inspiration, der perspektivische
Entwurf für eine neue gesellschaftlichkulturelle Realität fehlt.
Barbara Kisseler war die
Ermöglicherin der Kunst
Die Elbphilharmonie ist ein
Meisterwerk der Fantasie
Der Dirigent Kent Nagano auf dem
Gelände des Hamburger Hafenmu­
seums: Der Amerikaner ist seit
2015 Hamburger
Generalmusikdirektor Roland Magunia
Dass es Barbara Kisseler nicht vergönnt ist, das mitzuerleben, ist tief bedauerlich; für das Philharmonische
Staatsorchester und mich als dessen
Chefdirigenten insbesondere – war sie es
doch, die unsere Verbindung gestiftet
und mir jenes Vertrauen vermittelt hat,
auf dessen Basis eine derart große und
verantwortungsvolle Aufgabe wie Oper
und Philharmonisches Konzert in Hamburg nur sinnvoll zu erfüllen ist. Dieser
besonderen Frau, Barbara Kisseler, sei
hier aufrichtig gedankt und gedacht. Sie
Mag sein, dass da die demokratischen
Verhältnisse eher hemmend als förderlich sind, weil die Sorge um die Mehrheiten des Wählervolks und um deren Stimme für die Politik mehr zählt als das gewagte Besondere, das Ausgefallene, das
Zukunftsträchtige und auf kommendes
und künftiges Leben Verweisende. Kultur aber, die mehr ist als übertragene
Verwaltung, die getragen wird vom Willen und Drang zur Kreativität und zur
Gestaltung von Lebensrealitäten, bedeutet immer Wagnis und Mut,
Durchsetzung und doch auch zugleich Verantwortung – Verantwortung für ein Leben in Zukunft.
Dass die Elbphilharmonie
trotz einer ungewollten GeneKent Nagano
ralpause, die fast zum Desaster und Spielabbruch geführt
Kosmopolit mit Wurzeln
hätte, doch dann noch in
in Kalifornien, so könnte
einem akzeptablen Zeitrahman Kent Naganos Biografie zusam­
men fertiggestellt werden
menfassen. Seine Karriere als Dirigent
konnte, das ist der Politik
begann bescheiden in Boston. Steil bergauf
hoch anzurechnen, insbesonging es durch die Zusammenarbeit mit dem
dere jener couragierten BarbaKomponisten Olivier Messiaen, die in der
ra Kisseler, die als KultursenaAufführung von dessen Oper „Saint Fran­
torin,
als
Ermöglicherin
çois d’Assise“ 1998 bei den Salzburger
künstlerischer Initiativen und
Festspielen gipfelte. Wenig später wurde
zugleich als Vertreterin der
Nagano musikalischer Leiter der Oper von
Politik sehr schnell bei ihrem
Lyon. Es folgten Chefposten in Manchester
Amtsantritt vor fünfeinhalb
und beim DSO in Berlin. Von 2006 bis 2013
Jahren merkte und in vollem
war Nagano, der mit der Pianistin Mari
Umfang begriff, was da für
Kodama verheiratet ist, Generalmusik­
Hamburg auf dem Spiel stand.
direktor der Staatsoper in München. Er
Ihrem mutigen Anpacken und
ist neben seinem Job in Hamburg auch
diplomatischen Geschick ist
Music Director beim Orchestre sympho­
es zu danken, dass die Elbphilnique de Montreal und Erster Gastdirigent in
harmonie direkt zu Beginn des
Göteborg. Seine Gedanken über die Auf­
neuen Jahres 2017 den öffentgaben von Musik hat er in dem Buch „Erwar­
lichen Spielbetrieb aufnehmen
ten Sie Wunder!“ festgehalten. (jomi)
kann.
Dieses „Haus“ lässt uns staunen und fordert Bewunderung. Jeder Schritt und jeder Blick schafft Erlebnisse – bis hinein
in die landschaftsähnliche Wunderwelt
des Großen Saals. Dort wird bald unser
Herz zu schlagen und zu singen beginnen im Zusammenspiel und im übereinstimmenden Klang zwischen uns Musikern und dem Publikum. Die Elbphilharmonie ist ein Meisterwerk aus
kreativer und inspirierender Fantasie.
Auch wenn sie teuer war, dieser Fantasie
wird die Stadt bald nur mehr dankbar
sein. Denn sie trägt ein hohes Maß an
Verantwortung und an Herausforderung
in sich. Ihre Verantwortung – das ist der
gesellschaftliche und darin eben der
„philharmonische“ Wert dieses Konzerthauses.
Die Elbphilharmonie ist ein Statement und ist ein Einspruch gegen eine
Zeit, die „aus den Fugen geraten“ ist. Die
Elbphilharmonie wird die Menschen zusammenführen und vereinen, indem sie
diese lockt und einfängt in die Welt
eines gemeinsamen geistigen und sinnlichen Erlebens. Verantwortung bedeutet dieses neue Konzerthaus aber auch
darin, dass es an erster Stelle der großen
europäischen Musikkultur dienen wird
und ein Forum sein will, in dem diese
Kultur und ihre Traditionen sich den Bedürfnissen, den Erwartungen und den
modernen Forderungen der Besucher
stellen müssen; wo, zugespitzt gesagt,
die Zukunft und Zukunftsfähigkeit unserer Musikkultur auf dem Prüfstand stehen werden.
Darin freilich liegt auch die besondere Herausforderung, die sich mit diesem Konzerthaus verbindet und die uns
Musiker letztlich an erster Stelle meint.
Wir werden diesem fantastischen Haus
gerecht werden, also denen jenes besondere Erlebnisglück schenken müssen,
die aus der Besonderheit und sichtlich
erkennbaren Einzigartigkeit dieser Elbphilharmonie Hoffnungen und Erwartungen auf besondere musikalische Erlebnisse ableiten. Auch das ist ihr volles
Recht. Wir als Musiker, die zukünftig
dieses Konzerthaus mit klingendem „Inhalt“ füllen, wissen um diese Aufgabe.
Diese Aufgabe ist verpflichtend und anspruchsvoll, sie wird viel Kraft und Energie verlangen; doch sie bedeutet die große Chance, im Verbund mit dem neuen
„Haus“ unserer musikalischen Kultur,
ihrer Zukunft und ihrer Entwicklung ein
„neues Leben“ zu schaffen.
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12
HamburgerAbendblatt
ELBPHILHARMONIE
Mittwoch, 11. Januar 2017
Die
Architekten
Für die Schweizer
Jacques Herzog und
Pierre de Meuron war
die Elbphilharmonie,
ihr Projekt Nr. 230,
eine Herausforderung.
Für Hamburg ist sie eine
Riesenchance, sagen sie
A
JOACHIM MISCHKE
ls das Thema Elbphilharmonie noch
in den Startblöcken
stand und nicht klar
war, ob, wie, für welchen Endpreis und
bis wann das Projekt
Wirklichkeit werden
könnte, wurde Jacques Herzogs Sohn geboren. Das war 2001. Inzwischen ist er
ein Teenager. Das Gebäude wurde am 31.
Oktober 2016, nach dramatischen Aufund Abschwüngen, feierlich an die Stadt
Hamburg übergeben, und die Plaza entwickelte sich umgehend zu einer Touristenattraktion. Heute, endlich, wird das
erste Eröffnungskonzert gespielt. Ein
idealer Zeitpunkt, um in einem exklusiven Interview mit den drei wichtigsten
Architekten der Elbphilharmonie über
vieles der vergangenen 15 Jahre zu sprechen. Jacques Herzog, Pierre de Meuron
und Ascan Mergenthaler werfen einen
Blick zurück ohne Zorn – aber auch in
die kulturelle Zukunft der Stadt und auf
andere städtebauliche Möglichkeiten.
Hamburger Abendblatt: Was
haben Sie von der wechselvollen
Geschichte dieses Baus gelernt? Demut?
Pierre
de
Meuron:
einen Konzertaal auf dem Kaispeicher zu
erstellen, mit Hotel und Wohnungen als
Mantelnutzungen. Das hat sich nicht geändert. Dazu kam als weiteres zentrales
Element die öffentlich zugängliche Plaza
an der Schnittstelle zwischen altem Kaispeicher und dem Neubau.
Herzog: Wir haben das vor 15 Jahren
konzipiert, heute würde man das nicht
mehr so entwerfen. Es ist Zeit vergangen. Die Stimmung in den Städten hat
sich gewandelt. Wir leben heute in einer
Zeit des Populismus, mit der Schwierigkeit, einer Öffentlichkeit solche großen
Kulturprojekte zu verkaufen. Jede Zeit
prägt eine Stadt mit Gebäuden. Dieses
Gebäude ist jetzt ein Teil des Denkens
zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Aufbruch und HafenCity – das macht hier
Sinn, und wir stehen voll dahinter. Wenn
es „bescheidener“ geworden wäre, wäre
es trotzdem teuer geworden. Doch heutzutage geht man Projekte anders an.
Vielleicht wäre es gar nie auf den Kaispeicher gesetzt worden, und man hätte
einen Saal in den Speicher hineingebaut?
Aber das alles ist rein hypothetisch. Was
man konkret sagen kann: Architektur ist
Ausdruck einer Zeit und reflektiert den
Geist einer Stadt in einem gewissen
Moment. Die Elbphilharmonie wird
Hamburg prägen, über Jahrhunderte
vielleicht.
Der Hamburger an sich hat es ja gern konkret und verbindlich, also: Was wird die
Stadt konkret von der Elbphilharmonie
haben?
De Meuron: Das Gebäude steht in der
Mitte, zwischen der Nord- und der Südstadt. So nahe beim Hafengeschehen
kann man nirgendwo sonst sein. Was
Hamburg wirtschaftlich ausmacht, ist
hier direkt erlebbar. Die Elbphilharmonie soll zu einem öffentlichen Anziehungspunkt werden, ein urbaner Ort
für Kulturinteressierte, Musikliebhaber, Geschäftsleute,
Die
Touristen.
Elbphilharmonie
Schwierig, dafür nur ein
Die Erwartungen und der
Wort zu finden. Geduld?
Hype waren seit der Plazaöffnet die Tür,
Durchhaltevermögen?
Eröffnung immens, man
damit Hamburg
Jacques Herzog: Hochkönnte glauben, das Gemut wäre eh nicht angebäude, dem Sie die Opusans Wasser
messen in unserem Bezahl 230 gaben, kann übers
kommt
ruf und ist auch sonst
Wasser der Elbe wandeln
nicht zu empfehlen, wie
und die Stadt von jetzt auf
wir wissen. Nein, die
Jacques Herzog,
gleich in eine WeltmetropoLehren sind ganz andeElbphilharmonie­Architekt
le verwandeln.
rer Natur. ArchitekturDe Meuron: Diese Erwarprojekte dieser Größentung hatten wir nie, sie
ordnung werden immer komplexer, und
war nie ein Teil des Programms. Die Elbdeshalb ist eine klare Ordnung der Verphilharmonie ist ein Konzerthaus mit
trags- und Organisationsstrukturen
hoher öffentlicher Attraktivität, und sie
noch wichtiger, als sie es früher schon
steht an der richtigen Stelle.
war.
Sie werden nach diesem Ihrem Projekt 230
Die Fehler sind verjährt, und die Aufgabenbestimmt den einen oder anderen Auftrag
Neuordnung im Jahr 2013 ist bereits
bekommen – oder nicht bekommen – haben,
Geschichte, jetzt können Sie es ja sagen: Ab
weil ihre Hamburger Philharmonie-Passion
welchem Punkt haben Sie gemerkt, dass auf
an der Elbe so hohe Wellen der Empörung
dieser Baustelle etwas mächtig schieflaufen
geschlagen hat.
wird?
De Meuron: So direkt habe ich das nie
De Meuron: Das war eher ein schleierfahren. Wir haben immer proaktiv
chender, recht früh einsetzender Prodarüber informiert, was in Hamburg los
zess: Als die Verträge unterschrieben
war.
wurden, und als klar wurde, dass ausgeschrieben werden soll. Damals haben wir
In einem „Spiegel“-Interview haben Sie
mündlich und Gott sei Dank auch
gesagt, dass Sie Architektur nicht als Exzess
schriftlich mitgeteilt: Das kann so nicht
verstehen. Steht man vor der Elbphilharmogut gehen.
nie, muss man sich gedanklich schon sehr
verrenken, um sie nicht als wuchtig und
Alexander Gérard, einer der Initiatoren, hat
mächtig, ja: übermächtig zu empfinden. Wie
berichtet, dass deren erstes Elbphilharmogeht das mit Ihrer Ansage zusammen?
nie-Konzept „sehr viel einfacher und karHerzog: Exzess und Größe sind doch
ger“ gewesen sei. Ist es letztlich gut, dass es
nicht das Gleiche! Exzess lehnen wir ab,
weniger einfach und weniger karg kam?
aber die große Dimension der ArchitekDe Meuron: Ich sehe es nicht so, dass es
tur scheint uns hier richtig, weil sie sich
karger oder üppiger oder wie auch imzu einem großen Raum hin öffnet, und
mer geriet. Es ist so geworden, wie es
die neue HafenCity ist nun mal ein andewerden musste. Die Vorgaben waren:
rer Raum als die Alster. Das mit dem
Exzess wiederum meinte etwas anderes.
Das Projekt war eine politische Entscheidung, und wir haben sie umgesetzt.
Zwei Schweizer mit Elbblick: die
Im Konkreten haben wir nirgendwo rieArchitekten Pierre de Meuron (l.)
sige Maßstäbe angewendet, bei denen
und Jacques Herzog aus Basel auf
der Einzelne klein wirken müsste. Es
einem Elbphilharmonie­Balkon
gibt auch sehr intime Raumfolgen. Es ist
Marcelo Hernandez
wechselhaft, und das ist entscheidend.
Beim Begriff „Exzess“ geht es aber um
die Frage: Wie eklektisch, wie versponnen, wie wahnsinnig soll Architektur
noch sein? Neue Architektur in den
Golfstaaten ist oft so, und das hat uns
nie interessiert. Natürlich sind unsere
Gebäude auch ikonisch, dort, wo sie
Sinn machen. Das Stadion in Peking ist
spektakulär und wurde so zu einem
wichtigen, identitätsstiftenden Bestandteil der Stadt. Auch dort war es uns wichtig, etwas zu machen, das die Leute gern
haben und es auch später gern benutzen,
und das nicht bloß als Logo für ein kurzes Sportevent taugt. Das ist doch die
Kernfrage: Funktioniert eine Architektur
mit den Menschen, oder ist sie nur ein
Monument für das Ego eines Architekten? Architektur, die von den Menschen
nicht akzeptiert ist, wird meistens über
kurz oder lang weggeputzt, quasi wie
faule Zähne in einem Gebiss.
„Architektenprügeln ist Volkssport, das
hilft, die übrigen Verantwortlichen zu entlasten“, schrieb der „Tagesanzeiger“ aus
Zürich. Wie nah ist Ihnen persönlich das
Hauen und Stechen beim Hamburger Baustellen-Elend der finsteren Jahre gegangen?
De Meuron: Wenn man so etwas persönlich nimmt, geht man zugrunde. Es ging
immer um das Gebäude, weil wir davon
überzeugt waren, haben wir es mit allen
Mitteln zum Gelingen gebracht und mit
der größtmöglichen Überzeugung.
Erwarteten Sie dafür persönlichen Dank
von der Stadt oder ist das in der letzten Rate
eingepreist?
De Meuron: Der größte Dank ist es,
wenn das Gebäude sein eigenes Leben
aufnimmt, wenn es funktioniert. Dann
erst ist unser Job beendet.
Gibt es für Sie Lieblingsstellen in der Elbphilharmonie?
Herzog: Es ist zunächst – wenn ein Bau
noch frisch, kaum fertig ist – eher umgekehrt: Man sieht leider eher das Schlechte als das Gute. Das, was nicht passt,
sticht dem Architekten, der ja Autor ist,
regelrecht ins Auge. Hier gab es aber
weniges, das uns nicht passte, auch
wenn wir es eben zum ersten Mal ohne
Gerüst sahen. Das Foyer hatten wir noch
nie so gesehen wie am Tag der Plaza-Eröffnung, komplett ausgerüstet, das war
ein tolles Erlebnis.
Wer bei Ihnen etwas bestellt, möchte praktisch automatisch, auch wenn es so forsch
vielleicht nicht immer gesagt wird, bitte
auch gleich ein Wahrzeichen. Ist dieser
Zwang zur Wahrzeichenlieferung Fluch
oder Segen? Sie können nicht mehr einfach
nur einen Supermarkt auf die grüne Wiese
stellen, alles wird sofort durchdebattiert.
Herzog: Stimmt, aber manches, was wir
machen, sieht offenbar aus wie ein
Supermarkt ...
... Wie die neue Nationalgalerie für Berlin,
deren Entwurf man sofort eine plumpe
Scheunenhaftigkeit vorwarf ...
Herzog: ... das waren vielleicht kritisch
gemeinte Kommentare – aber in Wirklichkeit ist es gar nicht so falsch, unseren
Berliner Entwurf mit einer Scheune oder
einem Hangar, einem Bahnhof oder
einem Tempel zu assoziieren. Wir selbst
möchten ja, dass ein Museum des 20.
und 21. Jahrhunderts Vielfalt, Flexibilität
und Offenheit ausdrückt und dass Kunst
von den Menschen wahrgenommen wird
als etwas, das für alle zugänglich ist und
Teil ihres Alltags wird. Und nicht nur für
die besinnliche Stunde am Sonntagmorgen.
Gerade für Hamburg kann man sich lebhaft
vorstellen, dass erst ein Architektenbüro von
außerhalb kommen musste, weil hiesige
Architekten viel zu nahe am Charakter der
Stadt gewesen wären. Für Sie als Schweizer
endet die Stadt nicht am Nordufer der Elbe.
Herzog: Ein Blick von außen ist immer
gut, aber die konkrete Alltagswirklichkeit ist entscheidend, und da sieht man
doch, dass Hamburg den eigentlichen
Schritt zur Elbe ja noch gar nicht
ELBPHILHARMONIE
Mittwoch, 11. Januar 2017
gemacht hat. Es gibt immer noch diese
autobahnähnliche Straße bei den Landungsbrücken, die die Stadt vom Wasser
trennt. Da fehlen Wohnhäuser, Geschäfte, urbanes Alltagsleben. Das sollte
näher zur Elbe. Erst dann wird dieser
Teil der Stadt belebt und auch in
Beschlag genommen. Dann wird auch
der Sockel der Elbphilharmonie auf dem
Stadtboden zu stehen kommen. Jetzt
steht er quasi noch halb im Wasser, und
obendrauf spielt sich das Leben der
Stadt ab. Wenn das einmal soweit ist,
wird das Leben der Stadt auch auf dem
Boden bunter sein. Das Projekt Elbphilharmonie öffnet die Tür, damit Hamburg ans Wasser kommt. Mir wurde nie
so sehr bewusst wie am Tag der PlazaEröffnung, dass Hamburg noch gar nicht
ans Wasser gebaut ist und dass Hamburg
diese städtebauliche Transformation
erst bevorsteht. Die HafenCity reicht
dazu nicht aus. Die „alte“ Stadt daneben,
der Anstieg hinauf zur Reeperbahn und
damit dieser ganze Stadtteil ist vom
Wasser getrennt! Hier schlummert ein
großes städtebauliches Potenzial, Hamburg mit der Elbe zu verbinden.
Mit dem Londoner Museum Tate Modern
und dem vor einigen Monaten eröffneten
Erweiterungsbau haben Sie am Ufer der
Themse erlebt, was mit einer Stadt passieren kann, wenn Sie etwas Außergewöhnliches einbringen. Welches Potenzial an
Selbsterkenntnis und Selbstveränderung
steckt in der Elbphilharmonie?
Herzog: London ist London. Die Stadt
zieht Investoren aus der ganzen Welt an.
Das geht beinahe wie von selbst. In
Hamburg wird der urbane Transformationsprozess durch die Elbphilharmonie
sicher beschleunigt. Es ist auch politisch
smart, dass die HafenCity als Quartier
ein kulturelles Highlight bekommt. Das
ist der große Nutzen des Projekts, Architektur hin oder hier. Das ist Alexander
Gérards Verdienst, dem solltet ihr ein
Denkmal bauen.
Würden Sie in Hamburg ein zweites Mal
bauen wollen? Genügt ein Gebäude von
Ihnen pro Stadt? London, Hongkong, New
York – es gibt etliche Metropolen, die mehrere HdM-Projekte haben.
Herzog: Hamburg ist eine sehr schöne
Stadt. Vielleicht ergibt sich ja wieder einmal eine Gelegenheit, hierher zurückzukommen.
Sie haben so etwas wie eine ästhetische
Splitterbombe in den hiesigen Stadtplan
geworfen. Nun könnten Sie sich entspannt
aus der Entfernung ansehen, wie die Folgen
aussehen.
De Meuron: Ich hätte mit einem zweiten
Projekt in Hamburg überhaupt kein
Problem. Ich glaube, wir sind dann – um
den Begriff von vorhin aufzugreifen –
wieder demütig genug, um zu begreifen,
was das Gebäude auslöst und in Zukunft
sein wird. Es gibt nie nur eine Antwort
im Leben. Es könnte also auch das totale
Gegenteil sein, etwas fast Unsichtbares.
Ist die Elbphilharmonie wert, was sie gekostet hat?
De Meuron: Der „Wert“ der Elbphilharmonie wird erst in Zukunft abschätzbar
sein – als Ort der Kultur, als Ort der
Architektur, als Aufenthaltsort für die
Bevölkerung und als touristischer Magnet für die Stadt Hamburg. Erst dann
kann das Projekt als vollendet betrachtet
werden. Selbstverständlich waren die
Kostensteigerungen der Vergangenheit
schmerzhaft für alle und das Projekt
stand auf der Kippe. Aber die Elbphilharmonie hat allen Schwierigkeiten getrotzt
– das allein ist sehr positiv.
Gleich Ihr erstes Konzerthaus und dann
diese Historie. Jetzt lassen sie bis auf weiteres die Finger von diesem Genre, weil der
nächste Saal nur schlechter werden kann?
Herzog: Wir sind gerade daran, ein neues Konzerthaus zu planen...
Für München, wo man seit Jahren nicht vorankommt mit dem Wunsch?
HamburgerAbendblatt
Miami heiß: Beim Parkhaus 1111 Lincoln Road haben die Architekten
von Herzog & de Meuron komplett auf Außenmauern verzichtet.
Teil des Konzepts sind auch Geschäfte und Restaurants
Die Allianz Arena in München leuchtet je nach Spiel in unterschiedlichen
Farben. Als FußballFans haben sich die ElbphilharmonieErbauer von der
Zuschauernähe dort für den Konzertsaal in Hamburg inspirieren lassen
Hufton & Crow and MBEACH1, LLLP
Allianz Arena München Stadion GmbH
Herzog: München ist ein öffentlicher
Wettbewerb. Wir werden daran teilnehmen. Jedes Projekt ist anders: anderer
Ort, andere Zeit, andere Bauherrschaft.
Man darf also mehr als nur einen Konzertsaal bauen in seinem Architektenleben! Wir haben ja auch mehrere Fußball-
stadien gemacht. Die Allianz Arena in
München war ein tolles Projekt und wurde von Fans und Vereinen sehr gut angenommen, aber auch in Bordeaux und
Basel entstanden neue Stadien, welche
in ihren Städten zu wichtigen öffentlichen Orten wurden. Jetzt in Chelsea
sind die Voraussetzungen wieder ganz
anders. Das reizt uns sehr, dafür arbeiten
wir.
Wann war Ihnen bewusst, dass dieses Projekt Nummer 230 in Ihrem an Spezialitäten
nicht armen Werkkatalog etwas ganz Spezielles wird, eben kein Schwarzbrot, eben
kein Durchschnitt?
Die
Initiatoren
Jana Marko und
Alexander Gérard
hatten die Idee für
die Elbphilharmonie.
2004 wurden sie von
der Stadt aus den
Verträgen herausgekauft
D
as
Elbphilharmonie-PrototypModell von damals haben sie natürlich noch, und natürlich geben
Jana Marko und Alexander Gérard es
nicht her. Denn obwohl diese Miniaturausgabe – genau so groß, dass sie maßstabsgetreu am Ende des Kaiserkais in
das HafenCity-Stadtmodell im Kesselhaus in der Speicherstadt passen würde
– nur eine feine Bastelarbeit aus Holz
und Kunststoff ist, ist sie gleichzeitig
auch das erste Dokument für die Zeitgeschichte, das sagt: Wir waren das, niemand sonst. Die Idee hatten wir. Das
kann uns niemand nehmen.
Im Kesselhaus durften die beiden
am 26. Juni 2003 ihre Vision eines Konzertsaal-Gebäudes oberhalb vom Kaispeicher A nicht präsentieren, also fand
die erste öffentliche Erklärung einer
Idee namens Elbphilharmonie im unscheinbaren Studio E der Laeiszhalle
statt. Im Souterrain des Konzerthauses,
wie ein Kellerkind. Doch von da an ging’s
voran und steil bergauf.
Die Kunsthistorikerin und der Projektentwickler finden in der langen und
wechselvollen Vita der Elbphilharmonie
unter der Bezeichnung „die Initiatoren“
statt. Sie waren es, die den guten Draht
zu den Basler Weltklasse-Architekten
Jacques Herzog und Pierre de Meuron
hatten, weil Gérard sie noch vom Architekturstudium her kannte.
Sie waren es auch, die als „emotionale Hausierer“ (Marko) in der Anfangsphase jahrelang erst diskret hinter, dann
nachdrücklich vor den Kulissen für ihr
Konzept warben, dem die Basler mit der
genialen Idee einer gläsernen DiademWelle hoch über den Wellen der Elbe
eine ebenso provokante wie griffige
Form gaben. Und: „Das Glück war auf
unserer Seite“, erinnerte sich Marko. Die
Idee begann zu fliegen, trotz oder eher
auch gerade wegen des anfänglichen
Gegenwinds aus vielen Richtungen.
Das Initiatoren-Paar hatte für sich
beschlossen, dass der Stadt für die Entwicklung in Richtung Hafen „etwas Wesentliches fehlte – ein kulturelles und
soziales Zeichen, um einen Stadtteil entweder zu entwickeln oder ihn an die
Stadt heranzuführen“. Die Debatte um
die Nutzung – oder besser: Nichtnutzung des historischen Kaispeichers A an
einer zentralen Adresse ärgerte sie, erinnert sich Gérard, „dagegen wollten wir
etwas unternehmen“.
Marko und Gérard wollten kein
Wahrzeichen um seiner selbst willen
bauen, um lediglich den WahrzeichenFundus der Hansestadt aufzufüllen. Sie
wollten vor allem eine kulturpolitische
Misere beenden. Denn keine andere
Stadt der Größe Hamburgs hat nur einen
einzigen Konzertsaal, in dem sich alles
ballte und gleichzeitig auch nichts zur
programmatischen Profilierung passierte, weil es der damaligen Kulturpolitik
hier offenkundig wurst war. Denn sonst
hätte sie ja in die Laeiszhalle als Spielstätte investiert und sie nicht nur ver-
Die Elbphilharmonie­Initiatoren Alexan­
der Gérard und Jana Marko Roland Magunia
Herzog: Der Entstehungsprozess war
schon einmalig: Gérards unerwarteter
Besuch in Basel, die spontanen, frühen
Ideen für eine Architektur auf dem Kaispeicher, die Computer-Animation, die
von den Medien gehypt wurde, die Energie der Leute, die den Entwurf realisieren wollten....
Ascan Mergenthaler: Ihre Titelseite, im
Hamburger Abendblatt – „Wir wollen
sie“. Das war wirklich unglaublich. Das
erwähnen wir bei jedem Vortrag.
De Meuron: In seiner Dramatik ist dieses
Projekt unglaublich, mit keinem anderen
vergleichbar.
Es ist ewig her, dass Architektur in der Stadt
derartige Debatten ausgelöst hat, und derartige Emotionen. In der Frühphase wurden die Kosten der Elbphilharmonie von
ihren Kritikern in Kita-Plätze umgerechnet,
heute in Flüchtlingsunterkünfte. Wie gehen
walten lassen. Nicht alle Aspekte des ursprünglichen Konzepts schafften es
letztlich bis in die Wirklichkeit.
Die reale Elbphilharmonie mit ihren
vielen unterschiedlichen Bereichen und
Nutzungen ist noch voller, noch komplexer und weniger karg als zunächst entworfen. Markos Idee einer kleinen kreativen Handelsfreizone im Inneren des
Kallmorgen-Quaders („eine Art geistige
Hafenarbeiter-Kantine“) wurde im Lauf
der Jahre weggeplant.
Der Abschied aus dem Projekt war
hart, nicht ganz freiwillig und durchaus
schmerzhaft: Im November 2004 unterschrieben Gérard und Marko die Übertragungsvereinbarung. Die Stadt übernahm den Vertrag mit Herzog & de Meuron. In den Jahren danach komplizierte
sich praktisch alles.
Insbesondere dank einer verhängnisvollen Vertragskonstruktion und unzureichender Planungstiefe explodierten
die Kosten, und die Fertigstellung verzögerte sich mehrmals. Und Gérard und
Marko waren draußen vor und erlebten
alles mit, wie einen dieser tragisch
schlimmen Unfälle, bei denen man unwillkürlich nicht wegsehen kann, obwohl
man weiß, dass es einem ganz und gar
nicht guttut. „Jedes Mal, wenn wir in der
HafenCity waren oder von der Elbphilharmonie hörten“, sagte Marko über
diese Zeit, „waren wir wieder mittendrin.“
Die vergangenen 13 Jahre seien auch
„ein Abschied auf Raten gewesen. Irgendwann im Laufe dieser Jahre ist das
Gefühl gekippt, und aus dem Abschied
ist ein Willkommen geworden“, erklärte
sie rückblickend. Jana Marko: „Wir freuen uns einfach, dass dieses überwältigende Gebäude jetzt da ist. Jemand Berufeneres als wir hat einmal gesagt:
Wenn man etwas gegen die Elbphilharmonie hat, sollte man tunlichst nicht hineingehen.
Nach wie vor, auch jenseits aller finanziellen Katastrophen, ist sie etwas,
das Hamburg braucht. Jetzt sind andere
dafür da, dieses Gebäude mit dem Inhalt
zu füllen, der dazu führen möge, dass
Hamburg tatsächlich die Musikstadt
wird, als die sie sich neuerdings sieht.“
(jomi)
13
Sie damit um, mit sozialen Themen in einen
Topf geworfen zu werden und sich rechtfertigen zu müssen?
Mergenthaler: Beides ist total wichtig
für eine Stadt. Eine Stadt funktioniert
nur mit Kitas, sozialem Wohnungsbau
und Flüchtlingseinrichtungen, aber die
öffentlichen kulturellen Gebäude für
jedermann gehören ebenso dazu. Eine
Stadt ist ein Organismus von all dem
zusammen.
De Meuron: Es ist heute sogar schwierig,
Wohnungsbau für Mittelstand zu einem
architektonischen Thema zu machen.
Nach dem Krieg war das umgekehrt. Die
großen Wohnungsbauprojekte waren
Schauplätze der Architektur.
Mergenthaler: Ein Projekt wie die Elbphilharmonie hat viel gekostet, generiert
aber auch extrem hohe Einnahmen für
die Stadt. Dieses Geld kann sie dann ja
auch wieder investieren.
Haben Sie einen ästhetisch-pädagogischen
Ansatz? Soll und kann Architektur eine
Stadtgemeinschaft zum Besseren verändern?
Herzog: Gute Architektur ist schöner als
nicht gute. So einfach ist das eigentlich.
Kunst schaut man an oder nicht, Architektur steht einem in der Stadt quasi im
Weg. Ein schöner Ort spricht Menschen
eher an, als einer, der nicht einladend ist
oder sonstige Mängel hat. Solche „hässlichen“ Orte werden eher vernachlässigt
und vandalisiert. Wir engagieren uns
sehr dafür, Architektur zugänglich und
öffentlich zu machen. Das tönt vielleicht
selbstverständlich, ist aber der schwierigste Teil eines Entwurfs.
Und jetzt erkennt man dank Ihres Entwurfs
der Elbhpilharmonie noch deutlicher, wie
der Rest der HafenCity aussieht.
Herzog: Wichtig ist, dass der Transformationsprozess weiter gedacht wird und
das angrenzende Stadtgebiet eingebunden wird und wirklich bis zum Wasser
reicht. Heute empfinde ich die HafenCity noch als abgegrenzt vom Rest der
Stadt. Die Elbphilharmonie kann dies
ändern, wie ein Magnet wirken. Große
Kulturprojekte sollten eine Stadt öffentlicher machen, zugänglicher für alle...
De Meuron: ... und lebendiger. Man
muss der Stadt aber auch Zeit geben. Es
ist bei Neubauten solcher Quartiere wie
der HafenCity noch nie passiert, dass die
von Tag ein an funktioniert haben.
Wie werden Sie sich wohl heute Abend fühlen, am Abend des ersten Konzerts im Großen Saal der Elbphilharmonie?
De Meuron: Sicher ganz gespannt. Ich
möchte die Musik dort im Saal hören.
Was empfinde ich dabei? Und was empfinden die Menschen um mich herum?
Was haben Sie gedacht, als Sie erfuhren,
dass ausgerechnet die „Einstürzenden Neubauten“ wenige Tage nach der Einweihung
hier auftreten?
De Meuron: Das ist gut. Auch für so
etwas ist dieser Saal ja vorgesehen.
Der Architekt Ascan Mergenthaler bei
der feierlichen Übergabe der Plaza am
4. November 2016. Er ist Partner bei
Herzog & de Meuron Marcelo Hernandez
14
ELBPHILHARMONIE
HamburgerAbendblatt
Mittwoch, 11. Januar 2017
Ein entscheidender
Moment: Der japanische
Akustik­Guru Yasuhisa
Toyota besichtigt „seine“
Weiße Haut im Großen
Saal der Elbphilharmonie
Bertold Fabricius
Die Ingenieure von
Hochtief und der
weltberühmte Akustiker
Yasuhisa Toyota schufen
etwas Einzigartiges.
Fast jedes Detail in
der Elbphilharmonie
ist ein Unikat
D
JAN HAARMEYER
as Ritual wiederholte sich, unbemerkt
von der Öffentlichkeit, in regelmäßigen Abständen. Yasuhisa Toyota, der
Mann, der die Elbphilharmonie
zu
einem weltweiten Klangwunder machen
soll, inspizierte höchstpersönlich alle
paar Monate vor Ort die baulichen Fortschritte in „seinem“ Großen Saal. Und
die ausführenden Ingenieure vom Baukonzern Hochtief harrten dann jedes
Mal voller Spannung aus: Ist auch alles
so umgesetzt worden, wie vom weltberühmten japanischen Akustiker gewünscht und in Auftrag gegeben? Oder
muss wieder nachgebessert werden, weil
der Klang-Meister noch nicht zufrieden
ist? Geht der Daumen hoch oder runter?
Der Große Saal ist das Herzstück der
Elbphilharmonie. Ein Bauwerk, in dem
es im Grunde nichts gibt, was aus dem
Produktkatalog
eines
Herstellers
kommt. Anders gesagt: Alles schon Dagewesene ist diesem Gebäude völlig
fremd. Rechte Winkel? Serienfertigung?
Standardlösungen? Fehlanzeige! Nahezu
jedes Detail musste in mühevoller Zusammenarbeit zwischen Architekten
und Ingenieuren völlig neu entwickelt
werden.
Hochtief-Projektleiter Dirk Rehaag
hat mit seinem Team in elf Jahren Einzigartiges erbaut. Vieles bleibt unsichtbar. Wie die kilometerlangen Lüftungskanäle, die sich hinter den komplexen
Metallgerüsten, an dem die Wandelemente im Großen Saal befestigt sind, so
millimetergenau winden und verzweigen, dass sie unter jedem der 2100 Sitze
Frischluft spenden. Oder die gesamte
Technik mit Elektrik, Heizung, Belüftung und Entrauchung über dem Saaldach mit einem Gesamtgewicht von
8000 Tonnen – was dem Startgewicht
von 14 Airbus A 380 entspricht.
Anderes ist aus allen Himmelsrichtungen sichtbar. Eine kolossale Dachkonstruktion mit rund 6000 betretbaren
Aluminium-Pailletten, die das 200.000
Tonnen schwere Gebäude mit ihrer Wellenform schon aus kilometerweiter Entfernung sozusagen zum Schwingen
bringt. Oder die gläserne Fassade mit
rund 1100 Glaselementen aus etwa 2200
planen und gebogenen Scheiben.
Wieder anderes begreift der Besucher im Wortsinn erst bei hautnaher Betrachtung. Wie den 12.500 Tonnen
schweren aufgehängten Konzertsaal für
2100 Besucher, der auf 362 gewaltigen
Stahlfedern ruht und damit vom restlichen Gebäude akustisch komplett entkoppelt ist. In dem kein Zuhörer weiter
als 30 Meter vom Dirigenten entfernt
sitzt, und jeder das gleiche Klangerlebnis
genießt, weil 10.000 individuell gefräste
Gipsfaserplatten mit insgesamt 999.987
ungleichen Wellentälern den Schall gezielt in alle Winkel streuen. Die leichtesten Platten wiegen 30, die schwersten
125 Kilogramm.
Als bei einer Begehung Yasuhisa Toyota mit den Klängen noch nicht zufrieden gewesen ist, weil die geplanten
Dichtbänder zwischen den Gipselementen für die optimale Schallreflexion
nicht ausreichten, hat Hochtief-Ingenieur Werner Kuhn in tagelanger Tüftelei eine Spritztechnik erfunden, mit der
die Wand- und Deckenelemente neu verfugt wurden. Sodass sich nun der Schall
in 40.000 Kubikmeter Raumvolumen
ideal verteilt.
All das wurde erstmals komplett geplant in 3-D-Modellen. Ohne dieses virtuelle Planen, bei dem mehrere Tausend
Konflikte gefunden und gelöst wurden,
Die
Besonderheiten
bevor sie in der Praxis zum Problem
werden konnten, hätte die Elbphilharmonie nie gebaut werden können, sagt
Hochtief-Geschäftsführer Dirk Schaper,
Experte für virtuelles Bauen.
„Dieses Projekt hat alles Bisherige
übertroffen“, sagt Dirk Rehaag. „Technische Herausforderungen, Komplexität
des Gebäudes, öffentliches Interesse,
Professionalität der Beteiligten. Wir haben in Planung und Bau die Grenzen des
Machbaren neu definiert.“
Schon der Start ins Gebäude garantiert ein einzigartiges Erlebnis. Die Bogenrolltreppen der Elbphilharmonie
sind weltweit einmalig in Form und
Technik. Sie sind mit 82 Metern die
längsten Anlagen Westeuropas. Seit Anfang November 2016 befördern sie das
Publikum durch eine Röhre, die Tube,
zur Plaza in 37 Metern Höhe hinauf. Weil
ihre Neigung von 26,5 Grad zu Beginn
auf acht Grad am Ende hin abnimmt,
können die Besucher während der Fahrt
nicht von einem zum anderen Ende sediese Plazarolltreppen nur mit 17,25
hen – ganz gleich, ob sie nach vorne oder
Grad geneigt. Das macht auch sie zur
zurückschauen. Heller Putz, 7900 irisieSonderkonstruktion: Führungen, Balustrende Glaspailletten, die je nach Perraden und Sockel mussten speziell angespektive in anderen Farben erscheinen,
fertigt werden.
und die Lichteinfälle von den Enden her
Die Plaza ist der zentrale Platz der
setzen die Tube in Szene. Oben bietet
Elbphilharmonie: Sie ist Aussichtsplattsich durch ein riesiges Panorama-Fensform und zugleich Verteilerebene, von
ter ein faszinierender Blick auf Hamder aus man die Konzertsäle, das Hotel
burg, den Hafen
und die Wohnunund die Elbe.
gen, aber auch die
Von der ZwiRestaurants, Cafés
schenebene führt
und den Shop erein weiteres Rollreicht.
treppenpaar (LänBereits 2007
ge 21,10 Meter,
hatte die Firma
Förderhöhe 4,32
Kone,
nachdem
Meter) die Besusich ein Wettbecher durch eine
werber zurückgezweite Röhre, die
zogen hatte, den
kleine Tube, bis
Auftrag für den
fast zur Plaza.
Hochtief­Projektleiter Dirk Rehaag:
Bau der BogenrollStatt mit den übli„Dieses Projekt hat alles Bisherige
treppen bekomchen 30 Grad sind
übertroffen“ Andreas Laible
men. Ein Team
unter Leitung von Heiner Zeiger entwarf
innerhalb eines knappen Jahres die Anlagen, die weltweit ohne Vorbild sind. Vor
der Installation wurde ein 1:1-Modell erstellt, um Konstruktionsdetails auf ihre
Praxistauglichkeit hin zu klären.
Für die Rolltreppen wurde eine notwendige Gesamtleistung von 60 Kilowatt errechnet – das 7,5-Fache einer typischen „Kaufhausrolltreppe“. Es gibt
nicht wie sonst üblich einen Antrieb,
sondern vier. Bereits im Normalbetrieb
muss jede Anlage enorme Lasten bewältigen: Steht auf jeder der knapp 200 Stufen ein Erwachsener, bewegen die Antriebe 15 Tonnen. Ausgelegt wurde die
Anlage jedoch für 120 Kilogramm pro
Stufe, also 23 Tonnen Gesamtlast. Die
Anlagen laufen mit 0,5 Meter pro Sekunde im Tagbetrieb und mit 0,63 Meter pro
Sekunde nach Konzertende, wenn die
Besucher zügig nach Hause wollen.
Dann werden beide Rolltreppenpaare
abwärts geschaltet.
Die Rolltreppe in der Röhre, die sogenannte Tube, ist mit 82 Metern die längste
Westeuropas – und weltweit die einzige in Bogenform
Von den rund 2200 Glasscheiben wurden 595 bei 600 Grad Celsius gebogen.
Das Isolierglas hat eine Wärmeschutzbeschichtung und ein Punktmuster
Marcelo Hernandez
dpa/Marcus Brandt
Thomas Möller, ehemaliger Hochtief-Chef Norddeutschland, hat das Projekt achteinhalb Jahre gelenkt. Schon
der Beginn, sagt er, habe alles in den
Schatten gestellt. Anderthalb Jahre dauerte es, ein schlagkräftiges Konsortium
aus völlig unterschiedlichen Firmen zusammenzustellen. Man braucht Hunderte von hochkarätigen Ingenieuren, die
sich in der Lage sahen, sämtliche Architekten-Ideen umzusetzen. Und seien sie
auch noch so verwegen. Gläserne Fassade, gebogene Rolltreppe, stählerne Federpakete, Weiße Haut – wer kann das
liefern, und vor allem zu welchem Preis?
„Es klingt banal“, sagt Möller, „aber am
Abgabetag bestand die größte Sorge tatsächlich darin, das Angebot rechtzeitig
zur städtischen ReGe nach Harburg zu
bringen.“
Groß war die Erleichterung, dass sie
es am 15. September 2006 pünktlich bis
zwölf Uhr mittags geschafft haben. Zur
Sicherheit hatte Hochtief zwei Autos auf
unterschiedlichen Wegen, jeweils bepackt mit fünf Aktenordnern, von Bramfeld nach Harburg geschickt. Genauso
groß aber war das Aufatmen bei der
Stadt – denn es gab kein weiteres Angebot. Kein anderes Unternehmen sah sich
in der Lage, den Architekten-Traum an
der Elbe Wirklichkeit werden zu lassen.
Am Ende, als aus dem kühnen Versprechen wirklich eine grandiose Klangwelt geworden ist, konnte auch ein zufriedener Yasuhisa Toyota lächelnd
einen Daumen nach oben heben. Es war
der 2. September 2016, ein Freitagmorgen um 10 Uhr, als der erste Ton im Großen Saal erklang. Die 1. Sinfonie von Johannes Brahms, c-Moll, fast 140 Jahre
nach der Uraufführung in Karlsruhe.
„Ein unglaublicher Moment, wir wussten mit dem ersten Paukenschlag: Das
wird fantastisch“, hat NDR-Chefdirigent
Thomas Hengelbrock hinterher gesagt.
Die Weiße Haut hatte alle Erwartungen
übertroffen. Am Schluss, sagt Hengelbrock, seien jedem im Raum die Tränen
gekommen. „Wirklich jedem.“
Mittwoch, 11. Januar 2017
Ole von Beust und die
Elbphilharmonie, das sind
zwei Geschichten: Als
Bürgermeister hat er den
Bau angeschoben, aber
die Probleme nicht in den
Griff bekommen. Eine
Rückkehr an den „Tatort“
H
ANDREAS DEY
ELBPHILHARMONIE
HamburgerAbendblatt
15
Der
Wegbereiter
allo, Herr von
Beust, schön Sie zu
sehen!“ Es ist das
x-te Mal, dass Ole
von Beust auf seinem
Rundgang
durch die Elbphilharmonie
angesprochen wird. Dieses Mal sind es zwei
ältere Damen, die gerade den milden
Herbst auf der Plaza genießen wollen, als
sie plötzlich dem früheren Bürgermeister gegenüberstehen. „Und, Sie sind
stolz, nicht?“, fragt die eine. „Ach, stolz
ist vielleicht das falsche Wort ...“, setzt
von Beust zu einer Antwort an. Da fährt
ihm die Dame ins Wort: „Aber Sie haben
es angefangen!“ Gestik und Mimik ergänzen eindeutig: Und das war gut so!
So geht das die ganze Zeit. Von
Beust wird erkannt, die Menschen zücken ihre Handys und Kameras, sie grüßen freundlich. „Da kommt der Bauherr“, ruft fröhlich ein Zauselbart aus
einer vierköpfigen Männergruppe, die
auf der Außenplaza den Blick über die
Elbe genießt. „Toll geworden“, meint ein
anderer anerkennend. Von Beust hält
sich eine Hand vor den Mund und raunt:
„War ja auch teuer genug.“ Darauf der
Zauselbart: „Na, da sprechen Sie ein
Thema an ...“ Gelächter. Damit ist doch
alles gesagt. „Schönen Tag noch.“
Ole von Beust und die Elbphilharmonie, das ist eine Geschichte für sich.
Das heißt, eigentlich sind es zwei Geschichten. „Ich hatte die Verantwortung,
im Guten wie im Schlechten“, hat der 61Jährige beide Seiten der Medaille mal in
einem Satz zusammengefasst. Aber bei
seinem Rundgang über die Plaza wird
der Mann, der Hamburg von 2001 bis
2010 regiert hatte, fast nur auf den erOle von Beust auf der Plaza der Elbphilharmonie. Für das Abendblatt ist er mehr als sechs Jahre nach seinem Rücktritt vom Amt des Ersten Bürgermeisters erstmals in das Gebäude zurückgekehrt
freulicheren Teil der Geschichte angesprochen. Es war Ole von Beust, der
2003 die Chance erkannte, die sich da
Um 12 Uhr hat die Schranke ein Einden Bau gelegt, sondern auch für die
für Hamburg auftat, und der mit der ihm
sehen, durch die Tube geht es aufwärts.
Probleme. Auf eine vertiefte Diskussion
eigenen Unbekümmertheit die Richtung
Ob er sich noch an den Ärger mit dieser
über die Gründe hat sich von Beust nie
vorgab: Wir wollen die Elbphilharmonie
Röhre erinnern kann, die so einmalig auf
eingelassen und immer darauf verwiehaben! Dabei war das, anders als später
der Welt ist wie die gebogene Rolltrepsen, er habe sich mit den Details nicht
oft dargestellt, weder eine Eingebung
pe, die durch sie verläuft? „Nein“, sagt
beschäftigt. Das habe er an Fachleute denoch war das Projekt seine Idee.
von Beust. An solche Details erinnere er
legiert, und denen habe er vertraut.
Es waren der Projektentwickler Alesich nicht. „Aber so ist das, wenn StarPunkt, aus. Selbst der Parlamentarische
xander Gérard und seine Frau Jana Mararchitekten das Sagen haben.“ Er hat da
Untersuchungsausschuss (PUA) der
ko, die schon im März 2001 den genialen
ja so seine Erfahrungen gemacht. Am
Bürgerschaft biss bei ihm auf Granit und
Einfall hatten, das benötigte zweite KonEnde der Tube dann die Panoramafensentließ ihn im Februar 2012 schneller als
zerthaus in den leer stehenden Kaispeiter. „Oha“, sagt von Beust. Aber er meint
die meisten anderen Zeugen. Aber im
cher A zu bauen. Als Gérards Partner
nicht den Blick auf den Hafen, ihm ist etGegensatz zu manch anderem BeteiligPatrick Taylor im Herbst 2001 den
was anderes aufgefallen: „Die Scheiben
ten hat von Beust seine Hände niemals
frisch gewählten neuen
sind aber gut geputzt. Nicht wie bei mir
in Unschuld gewaschen.
Ersten Bürgermeister anzu Hause.“ Weiter geht’s mit der
„Ich übernehme die politische Verschrieb, war die Reaktion
zweiten Rolltreppe auf die Plaza.
antwortung für alles, was in meine Zeit
aus dem Rathaus alles
Backstein, schiefe Säulen, Trepals Bürgermeister fällt“, sagte er damals
andere als ermunternd:
pen, die in Schneckenhäuvor dem PUA und benannte die zwei aus
Das Grundstück sei leisern zu verschwinden
seiner Sicht größten Fehler: ohne fertige
der einem anderen Inscheinen.
„BeeindruPläne mit dem Bau zu beginnen, sei der
vestor anhand gegeben,
ckend“ findet von Beust.
eine gewesen. Den Bau seinem von ihm
Ich bin ja
hieß es. Dort sollte der
„Aber nicht kitschig.“
geschätzten Projektkoordinator HartMediaCityPort,
ein
Langsam
kommen
doch
mut Wegener anzuvertrauen und den
eigentlich ein
Hochhaus für die New
einige Erinnerungen zueinfach machen zu lassen, der andere.
Kulturbanause
Economy, entstehen.
rück. „Es gab die Sorge,
Manch einer hat das als den Versuch
Doch Gérard und
es könne hier oben zu zuinterpretiert, die Schuld auf Wegener,
Marko ließen nicht loOle von Beust,
gig sein. So ist man auf
einen SPD-Mann, abzuwälzen. Man kann
cker. Zwei Jahre lang
Erster Bürgermeister
diese großen Fensterelees aber auch als Eingeständnis der eigetrommelten sie für ihre
von 2001 bis 2010
mente gekommen.“
nen Schuld werten: Er als Bürgermeister
Idee und baten die
Heute bräuchte man
hat sich um das größte Prestigeprojekt
Schweizer Architekten
die nicht, das Wetter ist
der Stadt, das zudem untrennbar mit seiHerzog & de Meuron um einen Entwurf.
freundlich. 13 Grad, ein Mix aus Sonne
nem Namen verbunden war, nicht genüErst als der im Juni 2003 präsentiert
und Wolken. Auf der Elbe, 40 Meter weigend gekümmert, sondern sich auf andewurde und die Stadt in Begeisterung verter unten, stampft dröhnend ein Binnenre verlassen. Das ist keine Kleinigkeit.
setzte, wurde auch von Beust wieder aufschiff vorbei. Plötzlich fällt von Beust
Ole von Beust neigt trotz seiner lomerksam. Als ihn kurz darauf promineneine Geschichte ein. Neulich habe er den
ckeren Art nicht zu großen Emotionen.
te Architekten in einem Brief geradezu
Düsseldorfer Oberbürgermeister getrofDoch es ist auch diese Vorgeschichte, die
anflehten, dieses Bauwerk zu realisieren,
fen. „Ein SPD-Mann“, so der Christdedazu beiträgt, dass er angesichts des ferwar auch der Bürgermeister überzeugt.
mokrat, und der habe ihm von der Sanietigen Konzerthauses nur von „verhalte„Wir brauchen ein Wahrzeichen der
rung der Oper erzählt. „Erst sollte das
ner Freude“ spricht. „Ich finde es unanStadt für das 21. Jahrhundert, das intereine Million kosten, am Ende waren es
gemessen, jetzt zu tirilieren“, sagt er. Er
nationale Ausstrahlung hat“, sagte er im
33 – weil ständig neue Wünsche kamen.“
freue sich, dass die Elbphilharmonie ferSeptember 2003 vor dem Übersee-Club.
Überall das Gleiche, soll das wohl
tig sei und von den Menschen begeistert
„Das kann eine Philharmonie auf dem
heißen. Eine Anspielung auf seine zweiangenommen werde. „Aber man darf die
Kaispeicher A sein.“
te, die weniger schöne Geschichte mit
Probleme, die es gab, nicht verdrängen.“
Mehr als 13 Jahre später steht von
der Elbphilharmonie. Die wird auch von
Bei der Eröffnung heute werde er
Beust vor der Elbphilharmonie. Offenes,
zwei Zahlen geprägt. Nicht 1 und 33, sondabei sein. Weitere Konzertkarten hat er
gestreiftes Hemd, dunkelgrauer Wolldern 77 und 789. Es war im Sommer
aber nicht. „Ich bin ja eigentlich ein Kulmantel – stilvoll und lässig wie eh und je.
2005, als der Senat mitteilte, das Konturbanause“, sagt der bekennende CoUnsere Tickets für die Plaza sind ab
zerthaus werde die Stadt „bis zu 77 Milmic-Fan. Sich Monate im Voraus auf
12.00 Uhr gültig, die Uhr auf der Einlasslionen“ Euro kosten, und von Beust sich
einen Termin festlegen und dann stunschranke zeigt 11.58 Uhr. Zwei Minuten
zu dem verhängnisvollen Satz hinreißen
denlang still sitzen zu müssen, das sei
für eine Frage: Wann waren Sie eigentließ, das sei noch „pessimistisch genicht so sein Ding, sagt von Beust und
lich zuletzt hier? Von Beust überlegt
schätzt“. Gekostet hat sie die Steuerzahlässt den Blick über die Stadt schweifen.
kurz. „Ich glaube, beim Richtfest. Oder
ler 789 Millionen.
Da drüben, an der Deichstraße, habe
beim Neujahrsempfang des Abendblatts,
Und obwohl es sein Nachfolger Olaf
er mal gewohnt, in einem abgesackten,
wann war das noch?“ Im Januar 2010.
Scholz war, der den letzten Batzen obenziemlich schiefen Altbau. „Der Fußbo„Dann beim Richtfest.“ Das war im Mai
drauf legte, damit der Bau fertig wird,
den im Wohnzimmer hatte acht Zenti2010. Drei Monate später ist er zurücksind die Skandale und Kostensteigerung
meter Gefälle.“ Schräg, charmant, ungegetreten. Jetzt, sechseinhalb Jahre spädoch vor allem mit dem Namen Ole von
wöhnlich – ein bisschen wie die Elbphilter, kehrt er zurück an einen der wichBeust verbunden. Denn in seiner Amtsharmonie.
tigsten Orte seiner Amtszeit.
zeit wurde nicht nur der Grundstein für
Nur nicht so teuer.
Marcelo Hernandez
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16
ELBPHILHARMONIE
HamburgerAbendblatt
Mittwoch, 11. Januar 2017
Das NDR Elbphilharmonie Orchester im Großen Saal: Etwa 100 fest angestellte Musiker gehören zum Ensemble. Dazu kommen bei jedem Projekt Aushilfen. Die Geiger stellen mit 30 Musikern die größte Instrumentengruppe NDR/Michael Zapf
Das
D Orchester
Der Dirigent sagt, wo’s lang geht, und jede Gruppe hat ihren Stimmführer. Doch
as NDR Elbphilharder Unterschied zu den Maestri vom
monie
Orchester
Schrot und Korn eines Karajan oder
wird
ResidenzorFurtwängler liegt in der Art der Verstänchester des neuen
digung. Heutige Dirigenten inszenieren
Konzerthauses. Resich weniger als Halbgötter, sie sind nahsidenz, das klingt irbarer, kollegialer im Umgang. Viele von
gendwie
nach
ihnen sind geprägt von der basisdemoSchloss und gekrönkratisch wilden Zeit der 80er-Jahre, als
ten Häuptern. Passt nicht schlecht zu
sich Gruppen wie die Deutsche Kamdem Riesen-Edelstein, der da jetzt an
merphilharmonie Bremen oder das Freider Hafenkante funkelt.
burger Barockorchester gründeten. Die
Als das NDR Elbphilharmonie Orhaben mit ihrem Ungestüm Weltkarriere
chester Mitte November nach seinem
gemacht und nebenbei das Klima im MuMit Pauken und Trompeten, Flöten und Schlagzeug zogen die rund 100 Musiker
Einzug die ersten Besucher im Konzertsikbetrieb unumkehrbar verändert –
des NDR im vergangenen Herbst von der Laeiszhalle in die HafenCity.
haus empfing, da kannte das allseitige
spät genug, wenn man etwa an die 68erStaunen keine Grenzen. Staunen über
Bewegung denkt.
Die Elbphilharmonie ist für die kommenden zehn Jahre ihr musikalisches Zuhause
die Großzügigkeit und Helligkeit nicht
Beim NDR Elbphilharmonie Ornur des Großen Saals, sondern auch der
chester ist dieser frische Wind erst mit
zahlreichen Zweckräume drumherum.
Verzögerung angekommen. Die BiograWer hat schon einen derart prominensondern vom NDR getragen wird und für
Für die Residenz zahlt das NDR Elb„Zurzeit ist sehr viel Energie zu spüren“,
fie des Orchesters reicht zurück bis in
ten Arbeitsplatz? Der Blick aus dem
dessen gesamtes Sendegebiet zuständig
philharmonie Orchester schnöde Miete.
sagt die junge Cellistin Katharina Kühl.
die Wochen nach Ende des Zweiten
zehnten, elften, zwölften Obergeschoss
ist. Es hat Abonnementsreihen in Kiel
Über die Höhe schweigen sich die Betei„Es herrscht eine sehr wache, kreative
Weltkriegs. Gegründet auf Ruinen, ist es
über Stadt und Hafen ist wahrhaft maund Lübeck und konzertiert regelmäßig
ligten aus, aber man spricht seit dem
Atmosphäre. Viele bringen sich mit
kaum älter als die Bundesrepublik. Seine
jestätisch. Nur das Lager für die orchesin ganz Norddeutschland. Für das PhilVertragsschluss 2007 von einer GrößenIdeen ein, längst nicht nur musikalisch.“
Entwicklung spiegelt das mühevolle Ertereigenen Instrumente – das ist zum
harmonische Staatsorchester dagegen,
ordnung von 800.000 Euro pro Jahr, daNeben der Vorstandsarbeit, die ist
wachsenwerden der Nachkriegsgesellüberwiegenden Teil das enorme Arsenal
das seit mehr als 180 Jahren in Hamburg
rin eingeschlossen das Vorbuchungsin jedem Orchester unerlässlich, engaschaft.
an Schlagwerk – muss ohne Fenster ausbeheimatet ist, hat die damalige Intenrecht, das dem Orchester für Verhandgieren sich die Musiker für die OrchesDas hieß im Jahre 1945 zunächst einkommen.
dantin Simone Young den Hut gar nicht
lungen mit anderen Interessenten eine
terakademie wie Katharina Kühl oder
mal, mit der Hypothek der gerade unterMit der „Residenz“ des NDR Elberst in den Ring geworfen, als es um die
gewichtige Machtposition gewährt. Der
nehmen eins der vielen anderen Ehrengegangenen Diktatur fertig zu werden.
philharmonie Orchesters ist etwas andeResidenz ging.
Vertrag läuft über zehn Jahre ab Aufnahämter wahr. Jemand muss schließlich
Hans Schmidt-Isserstedt, Jahrgang 1900
res gemeint als ein herrschaftlicher
Das NDR Elbphilharmonie Orchesme des Spielbetriebs, dann wird neu verdas Archiv pflegen oder sich um Orchesund einigermaßen unkompromittiert
Wohnsitz in der ursprünglichen Bedeuter untersteht der Klangkörperchefin
handelt. Das gilt auch für die „Elbphilterfeste und andere gesellige Gelegendurch das Dritte Reich gekommen, suchtung des Wortes. Eine Residenz im
des NDR, Andrea Zietzschmann – noch,
harmonie“ im Namen, das Orchester
heiten kümmern. Rainer Castillon, Ehte im Auftrag der britischen Besatzungskünstlerischen Sinne ist kein Gebäude.
denn Zietzschmann ist auf dem Abheißt ja nicht Hohenzollern oder Hannorenmitglied des Orchesters und von 1974
macht für den Nordwestdeutschen
Sie bedeutet, dass jemand sein künstlerisprung zu den Berliner Philharmoniver oder was Deutschland sonst so an
bis 2010 als Bratscher dabei, hat noch
Rundfunk (NWDR) Musiker für ein neusches Tun über einen längeren Zeitraum
kern. Rund 100 Musiker gehören dem
Erbdynastien aufzubieten hat.
Jahre nach seiner Pensionierung an der
es Sinfonieorchester zusammen. Probte
mit einem Ort verbindet.
Orchester an. Dazu kommen bei jedem
Als Oligarchen wären die rund 100
Gestaltung des Backstagebereichs in der
mit den vom Krieg Gezeichneten, formte
„Die räumlichen und akustischen
Projekt Aushilfen. Sie springen im
Musiker ohnehin denkbar ungeeignet.
Elbphilharmonie mitgewirkt. Von ihm
sie zu einem Klangkörper, machte RundMöglichkeiten der Elbphilharmonie sind
Krankheitsfall ein, aber oft werden sie
Orchester sind andauernd mit der eigestammt unter anderem der Entwurf für
funkaufnahmen und wagte am 1. Nofür die weitere Entwicklung der Klangauch langfristig engagiert, wenn mehr
nen Willensbildung beschäftigt. Zu ausein neuartiges Regalsystem hinter der
vember 1945 den ersten Liveauftritt in
kultur des NDR Elbphilharmonie OrHarfen, Schlagwerker oder Hornisten
geprägt und zu unterschiedlich sind die
Bühne des Großen Saals, in dem die Muder Musikhalle, wie sie damals hieß.
chesters von entscheidender Bedeugebraucht werden, als das Orchester
Persönlichkeiten, die da versammelt
siker in der Konzertpause ihre Instru26 Jahre blieben der Gründervater
tung“, sagt der Chefdirigent Thomas
selbst hat, oder wenn Exoten wie das
sind, immer gilt es zwischen Neugierimente ablegen können.
und seine Musiker zusammen. Daheim
Hengelbrock. „Ich verspreche mir vom
elektronische Instrument Ondes Martegen und Bremsern zu vermitteln, da bilDie viel beschworene Aufbruchseumuteten sie ihrem Publikum unbekannGroßen Saal der Elbphilharmonie einen
not zum Einsatz kommen. Und selbst
det das NDR Elbphilharmonie Orchester
phorie einmal beiseite: Hier zeigt sich
tes Repertoire zu – Mahler! Strawinsky!
ähnlich positiven Einfluss auf das NDR
die gut 30 Geiger, die die größte Instrukeine Ausnahme. Nur der Umzug in die
eine neue Kultur der Teilhabe. Ein Sinfo– und trugen auf ihren Konzertreisen ein
Elbphilharmonie Orchester, wie ihn das
mentengruppe stellen, haben fast immer
Elbphilharmonie, den müsste noch der
nieorchester ist zwar auch im Jahre 2016
neues Bild von Deutschland in die Welt.
Concertgebouw in Amsterdam oder der
Gäste dabei.
verknöchertste Traditionalist begrüßen.
notwendig ein hierarchisches Gebilde.
Ähnlich tief und doch ganz anders hat
Goldene Saal im Wiener MusikGünter Wand in den 80er-Jahren
verein auf die dort residierendas Orchester geprägt und das
den Orchester gehabt haben.“
Hamburger Publikum gleich mit.
So elegant und zukunftsSeine Lesarten von Bruckner,
orientiert das Gebäude ist, feuBrahms und Beethoven haben die
dal soll es gerade nicht sein. Die
Wände im Saal der Laeiszhalle
Verantwortlichen im Rathaus
förmlich imprägniert. „Er war ein
werden nicht müde, darauf hingroßer Meister. Er konnte mit ganz
zuweisen, dass der Bau ein Konwenigen Mitteln einen Klang herzerthaus für alle sei, ein demovorzaubern“, erinnert sich Rainer
kratischer Ort. Wenn überhaupt
Castillon. „Bei ihm hatte man das
ist das Orchester nach diesen
Gefühl, dass eine Achte von BruckMaßstäben ein Repräsentant
ner in 20 Minuten vorbeiging. Da
der Hamburger, die den Bau
vergaß man, wie unangenehm und
schließlich mit vielen, vielen
exzentrisch er sein konnte.“
Steuermillionen bezahlt haben
Wands unkalkulierbare Lau– freilich mit der Fußnote, dass
Mit den riesigen Instrumenten­Bo­
Probt jetzt mit Aussicht: Stefan Wagner ist seit 1993 Erster
Im Backstage­Bereich gibt es num­
nen und die Kräche mit ihm sind
das Orchester selbst gar kein
xen geht das NDR Elbphilharmonie
Konzertmeister des Orchesters. Er spielt seit seinem sechsten
merierte Schließfächer für die
Legende. Aber Krach und vorzeitistädtischer Klangkörper ist,
Orchester auf Reisen Marcelo Hernandez
Lebensjahr Violine Marcelo Hernandez
Musiker Marcelo Hernandez
ge Abgänge konnten auch andere
VERENA FISCHER-ZERNIN
Chefs. Wands Vorgänger Klaus Tennstedt ließ das Orchester während einer
Konzerttournee im Stich, mit dem englischen Originalklangexperten John Eliot
Gardiner, der auf Wand folgte, wurde
man nicht warm, und Christoph von
Dohnányi ging im Streit mitten in der
Saison, sodass das Orchester bis zu Hengelbrocks Amtsantritt 2011 ein gutes
Jahr ohne Chefdirigent war.
Auch in der Beziehung mit ihm hat
es Höhen und Tiefen gegeben. Wie in
einer Ehe, könnte man sagen, hatte doch
bei seinem Amtsantritt die Metapher
von der Liebesheirat in vielen Spielarten
Konjunktur. „Konflikte bergen aber auch
die Chance, sich weiterzuentwickeln“,
sagt Katharina Kühl dazu. „Bei uns passiert gerade so viel Neues.“
Man hört es. Unter Hengelbrock hat
das Orchester einen farbenreichen, nuancierten Klang entwickelt, es spielt immens lebendig und stilistisch variabel.
Der Unterschied zu Dohnányi könnte
kaum größer sein. „Dohnányi hat unglaublich präzise gearbeitet“, sagt der
Hornist Dave Claessen, „aber unter ihm
wurde vielleicht nicht so gelöst musiziert wie unter Hengelbrock.“
Seit Günter Wands Weggang 1991
befinde das Orchester sich in einer
Selbstfindungsphase, sagt Claessen aber
auch. Und die Außenwahrnehmung?
Rundfunkorchester haben es generell
schwerer mit dem Image, jedenfalls solange nicht „Bayerischer Rundfunk“
draufsteht. Das Verdikt „zweitrangig“ ist
unter Musikkritikern schnell bei der
Hand, aber das NDR Elbphilharmonie
Orchester hat von seinen Tourneen immer wieder hymnische Kritiken mitgebracht.
Wie es sich im Vergleich mit der
internationalen Spitze behauptet, das
wird die Akustik des Großen Saals zeigen. Klar sei sie, hört man von denen, die
sie bereits erlebt haben, und um einiges
weniger schmeichelhaft als die der
Laeiszhalle. „Die Chancen, dass sich
unser Orchester durch die Residenz in
der Elbphilharmonie in seiner Klangkultur noch weiter steigert und zu den großen Weltorchestern aufschließt, stehen
sehr gut“, hat Thomas Hengelbrock im
Frühjahr gesagt. Das Orchester ergreift
ja gerade erst Besitz von seiner Residenz.
Ein Zeichen hat es freilich schon viel
früher gesetzt. Im Juni 2005, die Pläne
für die Elbphilharmonie nahmen allmählich Gestalt an, feierte das NDR Sinfonieorchester sein 60-jähriges Bestehen
in einem leer stehenden Bürogebäude
am Sandtorkai. Der Ort war damals mit
Bedacht nahe am Kaispeicher gewählt.
Von dessen Dach aus, der heutigen Plaza, schickten NDR-Blechbläser eine Fanfare zu den versammelten Festgästen hinüber. Von Residenz sprach damals
noch keiner.
Mittwoch, 11. Januar 2017
Was bedeutet die
Elbphilharmonie für ihn?
Thomas Hengelbrock
verspürte tiefe Dankbarkeit
bei den ersten Tönen
im Großen Saal und lädt
die Hamburger ein: „Das
Haus gehört Ihnen allen!“
D
T H O M AS HE N G E L B R OCK
ie Elbphilharmonie
ist ein Wunderwerk
und sie ist ein Geschenk – für Hamburg, für das Publikum, für uns Musiker. Ein Geschenk?
Ein Geschenk, welches so unglaublich viel Geld gekostet
hat? Ein Geschenk, dieses Konzerthaus,
um dessen Bau es solche Verwerfungen
gegeben hat? Ich kann diejenigen sehr
gut verstehen, die jetzt diese Fragen stellen. Die drastischen Kostenüberschreitungen und die bisweilen schildbürgerlich anmutenden Begleitumstände haben auch mir in der Seele wehgetan.
Aber spätestens seit wir im September mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester die ersten Töne im Großen Saal
gespielt haben, ist bei mir aller Unmut
und Ärger einem großen Staunen und
einer tiefen Dankbarkeit gewichen, und
ich darf Ihnen versprechen: Wer einmal
seinen Fuß in dieses spektakuläre Gebäude gesetzt hat, wer nur einmal die
Tür zum wunderschönen Großen Saal
aufgemacht hat oder ein Konzert darin
hören wird, der wird von einem unbeschreiblichen Zauber umfangen.
Der versteht sofort, wie wichtig ein
solches kulturelles Kraftzentrum für
Hamburg ist. Der spürt, dass das Erleben
von Musik hier von einer ganz neuen Aura umgeben ist, die der Kultur in Hamburg endlich jene Bedeutung gibt, die sie
immer haben muss: Sie ist keine Nische
für ein paar Kenner, kein an den Rand
gedrängter Nebenschauplatz, nichts Museales. Nein, sie ist mittendrin in der Gesellschaft, sie passiert da, wo das Leben
pulsiert. Mitten im Hafen findet sie
statt, in jener geschäftigen Schlagader
der Hanse- und Kaufmannsstadt.
chen, farbigen, lebendigen Konzerten zu
Die symbolische Botschaft, die alerschwinglichen Preisen zu ermöglilein schon der Standort der Elbphilharchen.
monie vermittelt, ist doch fantastisch:
Alle Hamburger sollen die GelegenDie Kultur wird zum Zentrum der Geheit haben, ein Konzert in der Elbphilsellschaft, sie verleiht auch einem wirtharmonie zu besuchen. Darum habe ich
schaftlich geprägten Milieu, in dem sich
unter anderem die „Konzerte für Hamso viel ums schnelle Planen und Rechburg“ initiiert, eine Reihe von Stundennen dreht, menschliche Wärme, ja, eine
Konzerten zu günstigen Preisen, bei
Seele. Und diese Botschaft wird all die
denen wir mit dem NDR Elbphilharmoanderen Kulturinstitutionen in der Stadt
nie Orchester große Meisterwerke der
beflügeln, da bin ich mir ganz sicher.
Klassik in lockerer Atmosphäre auffühDenn das Wesentliche ist es doch,
ren. Wir hoffen dabei natürlich, viele
bewusst zu machen, dass die Kultur geMenschen für weitere Besuche der Elbrade in der heutigen Zeit mit ihren stänphilharmonie begeistern zu können.
dig wechselnden Trends, mit ihren gloDie Chance, über die Aufmerksambalen Bedrohungen, Ängsten und Sorkeit, die das Haus auch durch seine
gen, uns allen einen auf fundamentale
internationale Strahlkraft auf sich zieht,
humane Werte der Gesellschaft gestützganz viel neues und junges Publikum für
ten Rückhalt gibt. Musik verbindet die
Musik zu gewinnen, spornt uns in ganz
Menschen, über alle sozialen, religiösen,
besonderer Weise bei unseren Planunpolitischen Unterschiede hinaus. Sie
gen an. Bedauerlicherweise halten sich
kann in einem Moment Grenzen niederhartnäckig die Gerüchte, dass man sich
reißen. Sie ist als gemeinsame Erfahrung
als Normalbürger ein Konzert in der Elbdas große Gegengewicht zu all den Verphilharmonie nicht leisten könne. Beim
werfungen unserer Zeit.
NDR Elbphilharmonie Orchester beiSie schafft der emotionalen Verspielsweise kosten die günstigsten Tisenkung wie auch der geistigen Vertieckets zwischen sechs und zwölf Euro –
fung einen Raum, der heute immer seltevergleichen Sie das einmal mit Preisen in
ner wird, und kann in uns etwas zum
London oder Paris! Und natürlich ist
Klingen bringen, was wir sonst nicht
als Teil unserer Persönlichkeit
wahrnehmen würden. Nur ein starker kultureller Akzent vermag die
primär an ökonomischen InteDirigent, Geiger,
ressen ausgerichtete Dominanz
einer Wirtschaftsmetropole wie
Musikhistoriker
Hamburg zu lebenswertem
Gleichgewicht
Das Timing ist ideal für Thomas
auszubalancieren.
Hengelbrock: In den vergangenen
Und dass die ElbphilJahren seiner Amtszeit als NDR­
harmonie der Kultur in
Chefdirigent hat er sich und sein Orchester auf die
dieser Stadt einen ganz
Chance und Herausforderung Elbphilharmonie vorbe­
neuen Stellenwert verreitet. Seine Ausbildung als Geiger, der unter anderem in
leiht, das merken Sie
Harnoncourts Originalklang­Truppe Concentus musicus
schon jetzt: Die Nachfraden Reiz des Andersmachens lieben lernte, kommt ihm
ge ist überwältigend, landabei ebenso zugute wie die musikhistorisch informierte
ge Schlangen, um ein TiArbeit. Als Gründer des Balthasar­Neumann­Ensembles
cket für klassische Musik
und ­Chors weiß Hengelbrock, wie sich Fachkräfte im
zu ergattern – wann gab es
Musikmarkt als Spezialisten etablieren können. Auch zu
das zuletzt in Hamburg?
den Gründungsmitgliedern des Freiburger Barockorches­
Damit das nach der
ters zählte er. Geboren wurde Hengelbrock 1958
anfänglichen
Euphorie
in Wilhelmshaven. Seine Repertoire­Neugier hat ihn kreuz
auch langfristig so bleibt,
und quer durch die Musikwelt sufführen lassen. Eine
ist es mir ein großes AnlieStation war die Volksoper Wien, eine fürs Renom­
gen, dass die Elbphilharmee nicht unwichtige das Festspielhaus in Bayreuth
monie ein Ort der Begeg– ein „Tannhäuser“ 2011, von dem er sich allerdings schnell
nung für alle ist. Wir, das
verabschiedete, weil die Chemie mit der Institution Grüner
NDR Elbphilharmonie OrHügel nicht stimmte. Die Lebenspartnerschaft mit der
chester, wie auch die ElbSchauspielerin Johanna Wokalek endet nicht am Bühnen­
philharmonie als Veranrand: Schon mehrfach haben die beiden Musik­Theater­
stalter haben die Aufgabe,
Projekte erarbeitet oder Chorkonzerte entworfen, in denen
den Menschen die TeilhaWokalek Texte rezitierte. (jomi)
be an abwechslungsrei-
ELBPHILHARMONIE
HamburgerAbendblatt
17
Der
Chefdirigent
Ankommen und
festmachen: NDR­
Chefdirigent Thomas
Hengelbrock vor
der Elbphilharmonie
Andreas Laible
auch der NDR Partner dieses neuen
Konzerthauses: Durch Übertragungen
im Radio, im Fernsehen und online ist
Teilhabe überall auf der Welt möglich.
Das Publikum darf sich auf große Erlebnisse in der Elbphilharmonie freuen.
Der Saal ist ein Wunder. Seine einzigartige Architektur, das ganze Interieur,
die fantastische Beleuchtung vermitteln
eine warme, anheimelnde, geborgene Atmosphäre, in der man sich sofort wohlfühlt. Die phänomenale Akustik hat uns
in den ersten Proben Tränen der Rührung über die Wangen laufen lassen.
Und das Beste: Es gibt keine
schlechten Plätze. Bis in die obersten
Ränge hören Sie wie in einem altgriechischen Theater mit einer großen Transparenz, Deutlichkeit und Intensität. Sie
können von jedem Platz alles sehen, fühlen sich auf jedem Platz ganz dicht dran
am Orchester. Ein visuell und akustisch
intensives, wirklich teilnehmendes Konzerterlebnis ist also ganz unabhängig davon, wie viel Geld Sie ausgeben. Die Elbphilharmonie ist kein Elitetempel. Sie ist
ein Haus für alle.
Für uns Musiker ist der Umzug in
den neuen Konzertsaal künstlerisch ein
ganz großes Glück, ein Geschenk und
eine Verpflichtung zugleich. Wir kommen aus der Laeiszhalle, einem wunderbaren Konzertort mit einer guten Akustik für nicht zu groß besetzte Orchesterwerke. Mit der Elbphilharmonie haben
wir nun einen Konzertsaal des 21. Jahrhunderts, in dem darüber hinaus auch
die Musik des 20. Jahrhunderts ihren
Raum bekommt. Bei groß besetztem Orchesterrepertoire von Strauss und
Mahler bis Schostakowitsch und
Strawinsky werden nun ganz andere Differenzierungen und dynamische Tiefenstaffelungen erlebbar
sein. Der Konzertsaal ist der Resonanzkörper eines Orchesters, seine
Akustik, Platzanordnung und Atmosphäre sind von höchster Bedeutung für die Entwicklung des Orchesterklangs. Nicht umsonst sind
die besten Orchester in den besten
Sälen beheimatet. Die Elbphilharmonie nun schließt zu den ganz
großen Konzertsälen der Welt auf.
Man wird hier alle Qualitäten, die
das Orchester hat, ausspielen und
seine Klangkultur weiterentwickeln
können.
Seien Sie herzlich willkommen,
die Elbphilharmonie gehört Ihnen
allen! Und ich wünsche mir, dass
auch Sie in Zukunft sagen: Die Elbphilharmonie ist ein großes Geschenk.
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Meisterhafte Kompositionen.
Sogar in den Pausen.
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18
ELBPHILHARMONIE
HamburgerAbendblatt
Mittwoch, 11. Januar 2017
Die Dachterrasse auf
der Elbphilharmonie
mit Blick über den Hafen
wurde nach den Mäzen
Klaus­Michael und
Christine Kühne benannt
HamburgMusik/Iwan Baan
Eine gewaltige Welle der
Spendenbereitschaft hat
die Elbphilharmonie erst
ermöglicht. Im Gebäude
gibt es Stufen­, Stuhl­
und Säulenpatenschaften
D
Die Mäzene
eine Stuhlpatenschaft übernommen.
Ihre Namensplaketten sind für die
ominik Winterling
nächsten fünf Jahre angebracht worden.
kniet sich auf eine
„Die Welle der Unterstützung in der
der 52 hölzernen
Stadt für die Elbphilharmonie ist überTreppenstufen, die
wältigend“, sagt Dominik Winterling.
in einer leichten
Der 37-Jährige kommt aus Viechtach in
Linkskurve von der
Niederbayern. Er sang als Kind bei den
Plaza zum Großen
Regensburger Domspatzen und sagt, der
Saal hinaufführen,
damalige Chorleiter und Papstbruder
und zeigt dann mit dem Finger auf den
Georg Ratzinger habe ihn mit seinen
rechten unteren Rand. „Sehen Sie, hier
musikalischen und theologischen Fähigsind die Namen der Stufenpaten angekeiten maßgeblich geprägt.
bracht“, sagt der Geschäftsführer der
Neben dem Klavierstudium in
Stiftung Elbphilharmonie. Für eine
Mannheim hat Dominik Winterling auch
10.000-Euro-Spende bekommt man
noch ein Studium der Betriebswirteine Foyerstufen-Patenschaft, das Naschaftslehre abgeschlossen und sich damensschild bleibt zehn Jahre lang an
nach fast zehn Jahre lang um die künstdieser Stelle und für alle
lerischen und kaufmännischen Belange
Besucher sichtbar.
beim renommierten Musikfestival
Ein paar Meter weiter
„Heidelberger Frühling“ gekümoben prangen an der gromert. Bis im Sommer 2014 der
ßen Spenderwand die
Anruf aus Hamburg kam.
Namen derer, die den
Und nun soll der
Bau dieses spektakuläKonzertpianist
und DipDieses Projekt
ren Gebäudes durch
lom-Kaufmann an der
wird Geschichte
ihre großzügigen ZuElbe dafür sorgen, dass
wendungen erst mit ersich Kunst und Komschreiben
möglicht haben. In der
merz nicht ausschlieoberen Reihe sind in
ßen, sondern im Bestfall
zehn Zentimeter großen
Dominik Winterling,
eine wunderbare BezieBuchstaben aus handgeGeschäftsführer
hung miteinander einschliffenem Edelstahl
Stiftung
gehen.
die Mäzene verewigt,
Elbphilharmonie
Was ihn an der Aufdie mehr als eine Milgabe vor allem reizt?
lion Euro gegeben ha„Als ich hier angefangen
ben. Darunter stehen in
habe, hatte Bürgermeiszwei Reihen die „Platin-Spender“ (ab
ter Olaf Scholz gerade den Hamburgern
100.000 Euro). Diese Namensreihen
versprochen, dass das Konzerthaus im
bleiben für immer an der Wand.
Januar 2017 eröffnet wird“, sagt WinterAuf den großen Säulen im Innenling, der aus der Ferne immer ein großer
raum der Plaza werden ebenfalls SpenFan der Elbphilharmonie-Vision gewedernamen verewigt. 50.000 Euro beträgt
sen ist. „Und nun bietet sich mir die
die Spende für das Schild – für einen
Chance, ein Projekt mitzugestalten, das
Zeitraum von zehn Jahren. Und für rund
Geschichte schreiben und zu etwas Ein800 der insgesamt 2100 bequemen Sitze
zigartigem werden wird.“
mit jeweils zwei Armlehnen im Großen
Der Anspruch sei klar: Weltklasse.
Saal haben bereits Spender für 1000
Aber für alle. „Nicht nur für die oberen
(oberere Ränge) oder 2000 Euro (unten)
Zehntausend.“
JAN HAARMEYER
Dafür legt er sich mit seinem kleinen Team von fünf Mitarbeitern mächtig
ins Zeug. „Ich habe, als ich in Hamburg
angefangen habe, eine sehr gut aufgestellte Stiftung vorgefunden“, sagt Winterling, der außerdem als sogenannter
Leiter Development auch Ansprechpartner für Sponsoren ist, die sich die Elbphilharmonie als passende Bühne für ihr
Unternehmen vorstellen können. Mit ihnen entwirft und verhandelt er über
mögliche Partnerschaften, in deren Rahmen Firmen die Elbphilharmonie als
Plattform und das Engagement für die
Unternehmenskommunikation nutzen
können.
Als die Stiftung im Oktober 2005
von der Warburg-Melchior-OleariusStiftung und der HSH Nordbank AG ins
Leben gerufen wurde, ging es um drei
Förderbereiche. „Das künstlerische Programm, die Musikvermittlung sowie
Ausstattung und Instrumente“, sagt
Winterling. Jeder Stifter kann selbst bestimmen, für welchen Bereich seine Zuwendung sein soll.
Am Anfang allerdings ging es bei den
Mäzenen zunächst einmal um sehr erhebliche Mittel für den Bau des Konzerthauses. Die drei größten Spender sind
Hannelore Greve und ihr verstorbener
Mann Helmut (30 Millionen Euro) sowie
Michael Otto und die Hermann Reemtsma Stiftung (je zehn Millionen Euro).
Viele Großspender folgten, darunter
Klaus-Michael Kühne, Milena und Hermann Ebel, die Körber Stiftung mit jeweils deutlich mehr als einer Million
Euro oder Barbara und Ian Karan mit
mehreren Hunderttausend Euro. Auch
zahlreiche bekannte Hamburger Firmen
befinden sich unter den Spendern: die
Berenberg Bank ebenso wie die Warburg
Bank, das Handelsunternehmen Gebr.
Heinemann, das Schuhhaus Ludwig
Görtz oder Barkassen-Meyer, um nur einige wenige zu nennen. Sämtliche Spender, von einem Euro über Bronze (ab
5000 Euro), Silber (ab 10.000), Gold (ab
50.000) und Platin bis hin zu den Mäzenen sind auf der Unterstützerliste der
Stiftung im Internet aufgeführt. In nur
anderthalb Jahren wurden 67 Millionen
Euro für Bau und Betrieb eingesammelt.
Zwei Millionen Euro spendete das Ehepaar Elke und Peter Möhrle für den Bau
der Orgel. Große und kleine Spender,
diese Unterscheidung bezieht sich nur
auf die Summe – nicht aber auf die Leidenschaft für das Jahrhundertbauwerk.
Dominik Winterling sagt, er habe bei allen Spendern nicht nur die Freude auf
das, was kommt, gespürt. Sondern auch
einen großen Stolz, dass ihre Stadt es
trotz aller Schwierigkeiten letzten Endes
hinbekommen habe, etwas Einzigartiges
zu schaffen.
„Musik hat eine verbindende Kraft,
denn sie berührt Jung und Alt, fördert
die Kreativität und das soziale Miteinander, sie gibt Halt und stärkt“, hat Hamburgs Ehrenbürger Michael Otto sein
Engagement für das Konzerthaus begründet. Als Musikliebhaber freue er
sich auf das neue Wahrzeichen. „Und auf
alles Verbindende, was sich von nun an
für uns alle auftut.“
Genau das ist die Aufgabe für Dominik Winterling und sein Team: ein Gebäude zum Leben zu erwecken, in dem
die Hamburger nicht nur Musik konsumieren, sondern selbst entstehen lassen.
Das aktuelle Stiftungskapital beträgt
rund 21 Millionen Euro. Aus dessen Erträgen wird auch der musikalische Betrieb finanziert. Besonders am Herzen
liegt nicht nur Winterling dabei der Bereich der Musikvermittlung, der sich vor
allem an Kinder und Jugendliche richtet.
„Wir haben ja auch einen politischen
Auftrag“, sagt Winterling, „schließlich
gilt das Wort von Bürgermeister Olaf
Scholz, dass jedes Kind aus Hamburg
während seiner Schulzeit mindestens
einmal in der Elbphilharmonie gewesen
sein soll.“
Dazu passen auch die Funkel- und
Babykonzerte, die Kinder von null bis 14
Hannelore und Helmut Greve,
der im Juli 2016 verstorben ist
Hamburgs Ehrenbürger und Musiklieb­
haber Michael Otto
Marcelo Hernandez (2)
Peter und Elke Möhrle stifteten die
Orgel für die Elbphilharmonie B. Fabricius
Jahren dazu einladen, auf verschiedenste Art und Weise mit Musik in Kontakt
zu treten. Das geht von Mitmachkonzerten bis hin zu Musiktheater-Performances. Bei den „Elfi-Babykonzerten“
können sich die Teilnehmer frei zwischen Kissen und Decken im Publikum
bewegen oder werden aktiv in das Bühnengeschehen eingebunden. „Anfassen
ist hier nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht.“
Aus den Stiftungsmitteln, sagt Winterling, seien viele der rund 1500 Veranstaltungen mit Kindern und Jugendlichen finanziert worden, die in jeder
Saison in der Elbphilharmonie und in
Hamburger Stadtteilen stattfinden werden. Dabei arbeite man eng mit der
Schulbehörde und der Jugendmusikschule, mit Bürgerzentren und Stadtteilkulturhäusern, mit dem Hamburger
Konservatorium und den The Young
ClassX zusammen. Es wird Workshops
in den Kaistudios der Elbphilharmonie
geben oder auch Treffen zwischen
Künstlern und Jugendlichen. Das Schulprogramm der Elbphilharmonie soll
jährlich bis zu 40.000 Kinder und Jugendliche aus Hamburg erreichen.
„Mach mit!“ ist das Motto. Etwa bei
der Langen Nacht des Singens, wenn die
Elbphilharmonie am 1. Juli 2017 ganz
viele Chöre aus Hamburg und Umgebung einlädt. Oder wenn man selbst im
semiprofessionellen Publikumsorchester musizieren will. Oder als Laienmusiker im Familienorchester. Oder auch im
Kreativorchester, das für alle ist, die
noch keine praktischen Erfahrungen mit
Musik gesammelt haben. Ob Opas alte
Geige oder der rostige Kochtopf – alles,
was Musik oder Geräusche macht, darf
als Instrument mitgebracht werden. Für
diejenigen, die in die Klangwelten Südostasiens eintauchen möchten, ist das
Gamelan Ensemble die richtige Anlaufstelle.
Und was ist, wenn mit den Jahren
das Interesse an Hamburgs neuem
Wahrzeichen langsam schwindet? „Der
Ball liegt bei uns“, sagt Dominik Winterling. „Wir müssen die Inhalte liefern, damit dieses Gebäude zum spannendsten
Ort in der Stadt wird.“ Zur buchstäblichen Spielwiese. Zum verbindenden
Treffpunkt, der weiterhin auch durch die
Unterstützung der Hamburger lebendig
bleibt.
Noch ist genügend Platz für weitere
Namen an Wänden und Stühlen, an Säulen und Stufen.
ELBPHILHARMONIE
Mittwoch, 11. Januar 2017
HamburgerAbendblatt
19
Das neue
Wahrzeichen?
Elbphilharmonie versus Michel: Hauptpastor Alexander Röder sieht der Konkurrenz durch das Konzerthaus
gelassen entgegen. Doch der markante Neubau hat das Potenzial, zu einem internationalen Symbol für die
Hansestadt zu werden, meint der Wissenschaftler Wolfgang Maennig
B
MATTHIAS IKEN
is eben war eine Sache
in Hamburg unumstritten: Der Michel ist
das Wahrzeichen der
Stadt – allgegenwärtig,
erhaben, hanseatisch.
Zwar gab es einige
Versuche, dem Gotteshaus ein Menschenwerk an die Seite zu
stellen – etwa den Heinrich-Hertz-Turm
oder die Köhlbrandbrücke, aber alle Versuche, sie mit dem Rubrum „Wahrzeichen“ zu adeln, verfingen nicht.
Mit der Eröffnung der Elbphilharmonie hat die Stadt sich ein neues Wahrzeichen gesetzt. Und was für eins. Oberbaudirektor Jörn Walter brachte es im
Gespräch mit dem Abendblatt schon
2012 auf den Punkt: „Die Elbphilharmonie ist das Schlüsselbauwerk für den
Stadtteil Hafencity, die ,Kathedrale‘. Bei
der letzten großen Stadterweiterung von
der Altstadt zur Neustadt haben die
Hamburger den Michel gebaut, heute
bauen sie ein Konzerthaus.“
Die neue Konkurrenz sorgt schon
lange in Hamburg für Gesprächsstoff –
degradiert die Landmarke Elbphilharmonie den Michel zu einer Randmarke?
„Ich tue mich damit schwer“, sagte unlängst auch der ehemalige Bürgermeister
Ole von Beust, ohne den es das Konzerthaus nie gegeben hätte. „Für mich bleibt
der Michel das Wahrzeichen der Stadt.“
Dort gibt man sich entspannt. Zwar
zu ersetzen – mit Erfolg. Die Konkurrenz
ärgern sich einige Protestanten über den
zum Konzerthaus ist ihm zu konstruiert.
Hochmut der Architekten, aber der Mi„Die Elbphilharmonie und der Michel
chel-Pastor sieht den Glasbau zu Hamharmonieren wunderbar. Beide brauburg entspannt: „Der Michel freut sich
chen Menschen, und beide faszinieren
über und auf die Elbphilharmonie“, sagt
Menschen“, meint der Hauptpastor.
Alexander Röder. Er hat
International dürfte das Wahrzeischon im Jahr 2005 bei der
chen Elbphilharmonie deutlich weiter
Kampagne für das Konstrahlen als der Michel: Spätestens
zerthaus
mitgemacht,
seit Bilbao gelten Kulturtempel als
mit dem Bauhelm
letzter Schrei der Stadtentunter dem Arm vor der
wicklung. Die heruntergeDie
großen Michel-Orgel.
kommene baskische In„Mein Telefon stand
dustriemetropole hatte
Elbphilharmonie
nach der Plakatierung
1993 den Stararchitekten
nicht still“, erzählt RöFrank Gehry verpflichtet,
und der Michel
der. Der Tenor war imdas dortige Guggenheimharmonieren
mer der gleiche: „Wie
Museum zu bauen. Und
können Sie nur! Den
seine silbrig-glänzende
wunderbar
Michel so verraten,
Ikone zauberte das spaniklein machen und verHauptpastor
sche Aschenputtel auf die
kaufen, derart unser
Alexander Röder
Weltkarte des TourisWahrzeichen in den
mus. Bilbao war nicht die
Schmutz treten!“
erste Stadt, die sich mitRöder ließ sich
hilfe eines spektakulären
nicht beirren. „Ich war einer von 1, 7 MilNeubaus neu erfand, aber sie prägte
lionen Bauherren geworden und lernte
einen Begriff, den Bilbao-Effekt. Damit
schnell, dass man es nie allen 1,7 Milliowird nun die nachhaltige Aufwertung
nen Hamburgern recht machen kann“,
einer Stadt zur Weltstadt beschrieben.
so der Michel-Pastor. Kritisch-konstrukZuvor hatten Sydney mit dem Operntiv mischte er sich in die Diskussion ein.
haus oder Paris mit dem Centre PompiDie damalige Kultursenatorin Karin von
dou sich ein Wahrzeichen erschaffen.
Welck stellte ihm 2005 den angedachten
Doch nicht in jeder Stadt funktioSlogan „Hamburg baut das neue Wahrniert das – der Hamburger Stadtökonom
zeichen“ vor. Röder riet, den bestimmWolfgang Maennig hat den Bilbao-Effekt
ten durch einen unbestimmten Artikel
wissenschaftlich untersucht. „Ich hab
lange geglaubt, dass man mit einem
spektakulären Bauwerk eine Stadt neu
positionieren kann“, sagt Maennig. „Das
Problem ist inzwischen: Jeder Bürgermeister versucht das. 500 Bilbaos aber
funktionieren nicht.“ Hätte Hamburg
die Elbphilharmonie vor 25 Jahren errichtet, wäre es leichter gewesen. Heute
wetteiferten viele Metropolen mit ausgefallener Architektur um die Gunst der
Touristen. Maennig hat Kriterien formuliert, die ein solches Wahrzeichen erfüllen muss: Wichtig ist die zentrale Lage,
die Nähe zum Wasser, innovative Architektur mit provokativer Wirkung. Fast
alles für eine Architektur-Ikone sieht
Maennig erfüllt – nur mit dem Kriterium
der mutigen, provokanten Architektur
hadert der Wirtschaftsprofessor. „Vielleicht ist der Bau zu gefällig, zu wenig
umstritten. Er eckt nur wenig an.“
Inzwischen, so Maennig, habe die
Kostenexplosion der Elbphilharmonie
sogar ein Gutes – sie habe das weltweite
Interesse an dem Bau gesteigert. Die
Elbphilharmonie könne zu einem Symbol für die Hansestadt werden. Auch
Hauptpastor Röder wünscht von Wahrzeichen zu Wahrzeichen alles Gute: „Für
die Kultur ist das ein ganz großer Wurf“,
sagt der Kirchenmusikbeauftragte der
Evangelischen Kirche. Nur eine Warnung schickt er hinterher: „Zu unserem
Weihnachtsoratorium sollte die Elbphilharmonie lieber nicht in Konkurrenz
treten – da ist der Michel unschlagbar!“
Die beiden Hamburger
Wahrzeichen:
die Hauptkirche
St. Michaelis und
die Elbphilharmonie
Marcelo Hernandez
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Es geschehen noch Wahrzeichen und Wunder.
Die Otto Group beglückwünscht alle Hamburgerinnen und Hamburger zu ihrer Elbphilharmonie.
Als Unterstützer dieses einzigartigen Juwels der Kultur freuen wir uns auf die Strahlkraft, die von
diesem Wahrzeichen in alle Welt ausgehen wird.
20
ELBPHILHARMONIE
HamburgerAbendblatt
Der
Mittwoch, 11. Januar 2017
Blick ins Innere
1 DER KAISPEICHER Der alte Kaispei-
cher A mit seiner roten Backsteinfassade bildet das Fundament der Elbphilharmonie. Zu Beginn der Bauarbeiten
wurde das ehemalige Lagerhaus für Kakao, Tee und Tabak komplett entkernt.
2 DIE FASSADE Die Glasfassade be-
steht aus 1096 Fensterelementen, zum
Teil aufwendig gebogen und mit einem
Raster aus grauen Chrompunkten individuell bedruckt. Die gesamte Fassade
entspricht der Fläche von zwei Fußballfeldern.
3 DIE TUBE Am Ende einer nach oben
gewölbten, 82 Meter langen Rolltreppe
erwartet die Besucher ein Panoramafenster mit Hafenblick. Eine weitere 21
Meter lange Rolltreppe führt auf die
Plaza.
4 DIE PLAZA Die zentrale Plattform
auf 37 Metern Höhe ist als öffentlicher
Raum frei zugänglich. Der Außenrundgang um das ganze Haus bietet fantastische Ausblicke auf den Hafen und das
Stadtpanorama. Die Gesamtfläche der
Plaza ist mit 4000 Quadratmetern etwa so groß wie der Hamburger Rathausmarkt.
5 DER GROSSE SAAL Das Herzstück
der Elbphilharmonie: Der große Konzertsaal mit 2100 Plätzen ist nach dem
Weinberg-Prinzip gebaut, mit einer
Bühne in der Mitte, die von terrassenförmigen Publikumsrängen umgeben
ist.
6 DER KLANGREFLEKTOR Aufge-
hängt in der Mitte des zeltförmigen Deckengewölbes, sorgt ein großer Klangreflektor für die exzellente Akustik des
Saals. Der aufsteigende Klang wird dadurch gleichmäßig im Raum verteilt.
Die Elbphilharmonie ist mehr
als ein Konzerthaus – in dieser
Illustration sehen Sie, was sich
alles hinter der Fassade
aus Glas und Backstein verbirgt
7 DIE ORGEL Eine viermanualige Orgel
mit 65 Registern sowie weiteren Registern im Reflektor unter der Saaldecke
vervollständigt den Großen Saal.
gen reichenden musikpädagogischen
Angebots des Hauses. Teil dessen ist
auch das Klingende Museum, das hier
eine neue Heimat findet.
8 DER KLEINE SAAL Auf der Ostseite
10 FOYER­BAR Die Foyer-Bar im
des Gebäudes entsteht der kleine Konzertsaal mit flexibler Podesttechnik
und Bestuhlung für bis zu 550 Besucher.
9 DAS KAISTUDIO Das Kaistudio im
Sockelbau (mit 150 Plätzen) wird ein
Raum für experimentelle Musik, Vorträge und Workshops. Vor allem aber
ist es das Zentrum des über zwei Eta-
15. Obergeschoss ist das gastronomische Zentrum des Konzertbereichs.
Weitere Barbereiche laden zum Verweilen in den Pausen ein.
11 DAS HOTEL Im Ostteil des Gebäu-
des befindet sich das Hotel Westin auf
14 Ebenen mit 244 Zimmern, Wellnessund Konferenzbereich.
12 DIE WOHNUNGEN Im einzigen pri-
vaten Bereich des Gebäudes gibt es 44
luxuriöse Appartements. Verglaste
Fronten und Balkone bieten spektakuläre Ausblicke auf Hafen und Stadt.
13 DAS PARKHAUS Über eine Zufahrt
auf der Ostseite des Gebäudes führt
eine Spindel in das siebengeschossige
Parkhaus im Sockelbau mit Parkflächen für 521 Fahrzeuge.
Grafik: Herzog & de Meuron/
Elbphilharmonie und Laeiszhalle GmbH/
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