Mittwoch, 11. Januar 2017 MITTWOCH, 11. JANUAR 2017 / 1,50 EURO THEMA Sonderausgabe zur Eröffnung der Elbphilharmonie Hamburger Abendblatt NR. 9 / 2. WOCHE / 69. JAHRGANG Die Vollendete DÄNEMARK 16,00DKR / C3390A 30002 4 190339 001505 1 2 ELBPHILHARMONIE HamburgerAbendblatt Mittwoch, 11. Januar 2017 EDITORIAL Liebe Leserinnen, liebe Leser LARS HAIDER :: Man sollte mit der Bezeichnung historischer Tag vorsichtig sein, aber der heutige 11. Januar ist tatsächlich so einer. Die Elbphilharmonie wird eröffnet, nach einer Vorgeschichte, die mindestens so einmalig ist wie das Gebäude selbst. Das Konzerthaus am Hafen hat Hamburg bereits verändert und wird es weiter tun. Selten waren so viele Blicke auf unsere Stadt gerichtet, selten haben so viele Zeitungen auf der ganzen Welt ihren Lesern empfohlen, „dieses Hamburg“ doch einmal zu besuchen. Das Tor zu Welt, es steht weit offen. Das Hamburger Abendblatt erscheint zur offiziellen Eröffnung der Elbphilharmonie, zu der unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck erwartet werden, in einer besonderen Form. Der erste Teil, die ersten 20 Seiten, beschäftigt sich nur mit der Elbphilharmonie. Er kann getrennt vom Rest der Zeitung als Erinnerung an diesen 11. Januar 2017 aufbewahrt werden. Im zweiten Teil des Hamburger Abendblatts geben wir dann einen zusammenfassenden Überblick über das, was in Hamburg, Deutschland und der Welt noch geschah. Informationen aus den Regionalseiten finden sie in dieser Sonderausgabe ausnahmsweise auf jeweils einer Seite. Liebe Leserinnen, liebe Leser, „die Elbphilharmonie ist ein Statement und ist ein Einspruch gegen eine Zeit, die aus den Fugen geraten ist. Die Elbphilharmonie wird die Menschen zusammenführen und vereinen, indem sie diese lockt und einfängt in die Welt eines gemeinsamen geistigen und sinnlichen Erlebens.“ Diese Zitat ist nicht von mir. Es stammt aus dem beeindruckenden Text, den Hamburgs Generalmusikdirektor Kent Nagano für diese Sonderausgabe geschrieben hat. Besser kann man die Hoffnung, die wir mit der Elbphilharmonie verbinden sollten, nicht zusammenfassen. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen, Der Große Saal fasst etwa 2100 Besu­ cher – wobei kein Sitzplatz weiter als 30 Meter vom Dirigenten entfernt ist HamburgMusik/Iwan Baan Die Ihr Der Große Saal aus der Perspektive der Bühne. Der Reflektor an der Decke ist für die Klangqualität entscheidend InMemoriam Säle Sie sind mit den dazugehörigen Foyers das Herzstück der Elbphilharmonie: 2100 Besucher fasst der Große Saal mit seiner zentralen Bühne. Maximal 550 Gäste können im Kleinen Saal sitzen. Die Foyers bieten mit ihren geschwungenen Treppen und offenen Baustrukturen den Musikliebhabern viele interessante Perspektiven Marcelo Hernandez Barbara Kisseler * 8.9.1949 – = 7.10.2016 Die geschwungene Treppe führt von der Plaza hinauf zum Großen Saal und in die Foyers Marcelo Hernandez Andreas Laible ELBPHILHARMONIE Die Säle, die Räume, die Plaza Der Bürgermeister Das erste Stück Der Intendant Die Chronik Der Generalmusikdirektor Die Architekten Der Wegbereiter Die Besonderheiten Das Orchester Der Chefdirigent Die Mäzene Das Wahrzeichen Der Blick ins Innere 2–5 6–7 8 9 10 11 12 – 13 14 15 16 17 18 19 20 ABENDBLATT.DE So sind Sie live dabei Von der Eröffnung der Elbphilharmonie berichtet abendblatt.de den ganzen Tag über mit Videos, Bilderstrecken, aktuellen Texten und Hintergründen. Wir zeigen ab 13 Uhr die Pressekonferenz live. Von 18.30 Uhr an übernehmen wir die Liveübertragung des NDR von der Zeremonie sowie vom Konzert. Dazu bieten wir aktuelle Video-Interviews mit Gästen sowie erste Eindrücke von der Video-Lichtinstallation von außen. Auf www.abendblatt.de/ecard können Sie außerdem an Freunde eine digitale Postkarte mit den besten Motiven mit Kommentar versenden. Das „Helmut und Hannelore Greve Foyer“ im 13. Stock mit Bar für die Pausen Marcelo Hernandez ELBPHILHARMONIE Mittwoch, 11. Januar 2017 HamburgerAbendblatt 3 Auch der Aufenthaltsbereich für Künstler neben dem Großen Saal bietet beeindruckende Aussichten Marcelo Hernandez Selbst die Figuren der Piktogramme auf den Hinweisschildern zu den Toiletten sind elegant gekleidet Marcelo Hernandez Die Orgel im Großen Saal erstreckt sich über mehrere Stockwerke. Auf der unteren Ebene erkennt man den Spieltisch Michael Zapf Der Kleine Saal der Elbphilharmonie: Er kann für maximal etwa 550 Besucher be­ stuhlt werden – je nach Bedarf. Der Saal soll nicht nur für Konzerte, sondern auch für Empfänge und andere Veranstaltungen dienen. Die welligen Holzpanäle dienen der Schallreflexion HamburgMusik/Michael Zapf Durchblicke bei den Aufgängen zu den Rängen des Großen Saals Marcelo Hernandez Konzertpause mit Ausblick auf den Hafen: ein Balkon im Foyerbereich des Großen Saals Marcelo Hernandez 4 HamburgerAbendblatt Das „Störtebeker“ bietet mit Bar, Restaurant, Shop und Bierverkostung 220 Plätze auf drei Ebenen – hier werden 20 unterschiedliche Biersorten vom Fass und nordi­ sche Spezialitäten geboten Marcelo Hernandez ELBPHILHARMONIE Eine der zwölf, jeweils 61 Quadratmeter großen Panorama­Suiten im Hotel Westin Hamburg: Vom Bett aus blicken die Gäste über HafenCity und Innenstadt. Die Vorhänge lassen sich per Knopfdruck öffnen picture alliance/Bodo Marks Mittwoch, 11. Januar 2017 Das Schwimmbad im Westin Hamburg ist mit 20 Metern einer der längsten Hotel­Pools in der Hansestadt. Der Spabereich im 6. Stockwerk des ehemaligen Kaispeichers ist rund 1300 Quadratmeter groß The Westin Hamburg/Matteo Barro Ein Blick in eine der 44 Wohnungen, die zwischen 120 und 400 Quadratmeter groß sind. Dieses Esszimmer befindet sich in der Muster­ wohnung von Engel & Völkers, die die Wohnungen verkau­ fen. Exklusivität hat ihren Preis: Die teu­ erste Wohnung – das Penthouse in 110 Metern Höhe – soll 11,9 Millionen Euro kosten Skyliving/Michael Zapf Fast schon ein Kunstwerk für sich: die spindelförmige Auffahrt im Parkhaus der Elbphilharmonie Roland Magunia Die Räume Die Elbphilharmonie ist nicht nur Konzerthaus: Mit dem Westin gibt es dort auch ein Fünf­ Sterne­Hotel mit 205 Zimmern und 39 Suiten. 220 Sitzplätze bieten Bar und Restaurant im „Störtebeker“. Und wer noch länger bleiben will, zieht gleich komplett ein – in eine der 44 exklusiven Wohnungen Die vier jeweils zweistöckigen Maisonette­Suiten mit einer Größe von 92 Quadratmetern im Westin Hamburg bieten einen Wohnbereich und auf der oberen Ebene ein Schlafzimmer. Die Übernachtung kostet hier ab 1400 Euro (ohne Frühstück). Insgesamt hat das Westin 39 Suiten – so viele wie sonst kein Hotel in Hamburg picture alliance/Bodo Marks ELBPHILHARMONIE Mittwoch, 11. Januar 2017 Die Plaza Nach der zweiten, nur 21 Meter langen, Rolltreppe sowie 18 lang gezogenen Stufen gelangt man endlich auf die Plaza Marcelo Hernandez HamburgerAbendblatt Er ist fast so groß wie der Rathausmarkt – Hamburgs höchster Platz bietet in 37 Metern Höhe einen überragenden Blick auf Stadt und Hafen Die gläsernen, bis zu sechs Meter hohen Windschotts füh­ ren an zwei Stellen auf den Außenbereich der Plaza. Die in Wellenform geschwungenen Glaswände sind aus Sicher­ heitsglas. Je nach Wetterlage können an beiden Seiten drei drehbare Glasschotts als Durchgang geöffnet werden Marcelo Hernandez Rundumblick über Stadt, Elbe und Hafen in 37 Metern Höhe: 582 Leuchten sorgen draußen für das rechte Licht. Insge­ samt 188.000 rote Ziegel wurden auf der gesamten Plaza als Bodenbelag verlegt 5 In der Mitte der Plaza befinden sich die Aufgänge zum Kleinen und zum Großen Saal. 89 Stufen auf der Freitreppe sind es bis in den Großen Saal Marcelo Hernandez Marcelo Hernandez Die Wände an beiden Rolltreppen sind mit 7900 Glaspailletten bestückt. Auf der Plaza verschmelzen architektonisch Alt und Neu des Gebäudes – zweckmä­ ßiger Kaispeicher und schillernder Glasbau Marcelo Hernandez Der spektakuläre Blick nach exakt zwei Minuten und 30 Sekunden Auffahrt mit der Tube: das Panoramafenster im 6. Obergeschoss Marcelo Hernandez ANZEIGE freude am fahren WIE NICHTS ZUVOR. BMW IST STOlZER PaRTNER dER ElBPHIlHaRMONIE UNd fREUT SICH aUf UNVERgESSlICHE MOMENTE. BMW M760Li xDrive V12 Excellence: Kraftstoffverbrauch in l/100 km (innerorts/außerorts/kombiniert): 18,4/9,6/12,8. CO2-Emission in g/km (kombiniert): 294. Als Basis für die Verbrauchsermittlung gilt der ECE-Fahrzyklus. Abbildung zeigt Sonderausstattungen. 6 HamburgerAbendblatt ELBPHILHARMONIE Mittwoch, 11. Januar 2017 Der Bürgermeister Olaf Scholz erzählt, wie er als Kind Oboe spielte und wie ihm die Probleme mit der Elbphilharmonie den Schlaf raubten. Und er spricht über seinen ersten Besuch im Großen Saal, der allein schon all den Ärger wert war MAIKE SCHILLER ANDREAS DEY JOACHIM MISCHKE N ach beschwerlichen Tagen im Amt kann man als Olaf Scholz nichts Aufbauenderes tun, als sich eine Fahrt auf der Tube, der zentralen Rolltreppe der Elbphilharmonie, zu gönnen. Großes Hallo und Staunen, Erinnerungsfotos von der anderen Rolltreppen-Spur und begeisterte Kommentare über die Architektur des neuen Konzerthauses gibt es reichlich. Die reine Bürgermeister-Seelenmassage also. Sein Vorvorgänger Ole von Beust (CDU) ging als Gründungsbürgermeister in die Annalen des Projekts ein, der SPD-Regierungschef Scholz kann sich nun als Klärungs- und Eröffnungsbürgermeister fühlen. Die Genugtuung darüber deutet er nur an, das zu betonen überlässt er anderen. Doch die Begeisterung, mit der der Erste Bürgermeister nach Ende dieses Interviews im Großen Saal in die Orgel steigt, um sich Details erklären zu lassen, spricht Bände. der von Orten und Gebäuden zu erstellen, die noch gar nicht existieren. Doch es war etwas völlig anderes, die Ausstrahlung des fertigen Saales zu spüren. Das hat mich berührt. Ein fast sakrales Gefühl, im positiven Sinne. Ähnlich war es, als ich dort zum ersten Mal Musik hören konnte, bei der ersten Probe des NDR Elbphilharmonie Orchesters – für mich wirklich ein Erlebnis, das ich nicht so schnell vergessen werde. Schließlich steht und fällt ja mit der Akustik des Großen Saals das Ansehen, das sich die Elbphilharmonie als kulturelle Stätte erobern kann. Wie haben Sie diese erste Probe erlebt? Als ich kam, hatte das Orchester gerade eine Pause, die Musiker kamen mir entgegen, und ihre Gesichter waren nicht nur freundlich, was mich schon sehr erleichtert hätte. Die Musiker wirkten regelrecht erleuchtet. Als ich nach der Pause dann die Probe mit Musik von Brahms hören konnte, habe ich den sicheren Eindruck gewonnen, dass sich alles das verwirklichen wird, was wir uns vom Saal und dem Gebäude versprochen haben. Ich bin herumgegangen, habe mich auf unterschiedliche Plätze gesetzt, auch ganz oben. Die Akustik auf diesen preiswerten Plätzen ist auf keinen Fall schlechter und die Sicht ist auch sehr gut. Kommt dann bei Ihnen eine Kategorie wie Stolz ins Spiel oder eher bürgermeisterliche Befriedigung? Dass wir das Gebäude trotz aller Schwierigkeiten fertig bekommen haben, freut mich wirklich, weil das mit so vielen Anstrengungen verbunden war, so vielen harten Verhandlungen und so vielen Zweifeln. Jetzt zu sehen, dass alles funktioniert, erzeugt schon eine gewisse Genugtuung. Und ein wenig empfinde ich auch, was die meisten Hamburgerinnen und Hamburger fühlen, wenn sie allein oder mit Bekannten hierherkommen – den hanseatischen Stolz auf dieses neue Wahrzeichen. Hamburger Abendblatt: Beginnt für Hamburg heute eine neue Zeitrechnung – eingeteilt in die Man darf sich Hamburgs Kultur spielt Zeit vor der ElbphilharErsten Bürgermeister derfür die monie und die Zeit mit zeit also als einen glückliihr? chen Menschen vorstellen? Perspektiven Olaf Scholz: ZeitrechEindeutig ja. Hamburgs nung, das ist immer ein großes Wort. Trotzdem Welche Rolle spielt die eine sehr große glaube ich, dass sich in Musik für Ihr eigenes LeHamburg etwas veränben? Rolle dern wird. Weil die MuIch höre regelmäßig Musik eine noch größere Olaf Scholz sik, gehe mit meiner Rolle im Leben der Stadt Frau in ganz unterund hoffentlich aller schiedliche Konzerte. Bürgerinnen und Bürger spielen wird. Ich würde nicht sagen, dass sie heute Gleichzeitig wird die Elbphilharmonie eine zentrale Rolle spielt, obwohl ich in Hamburg als Musikstadt und als Stadt meiner Jugend Instrumente gespielt und der Kultur ebenso positionieren, wie sie im Lauf der Jahrzehnte zu spielen verals erfolgreiche Industrie- und Handelslernt habe – zuerst Blockflöte wie alle stadt, als Stadt der Medien längst posiKinder, später Oboe, im Schulorchester. tioniert ist. Das mit der Oboe ist ja geradezu propheSchon die Eröffnung der Plaza im Novemtisch für Ihren Posten: Die Oboe gibt dem ber war von einem internationalen Hype beOrchester das A und damit die Stimmung gleitet, wie ihn sich selbst große Optimisten vor, nach der sich alle anderen beim genicht ausgemalt hatten. Rechnen Sie jetzt meinsamen Spielen zu richten haben. Wurtrotzdem mit einer weiteren Steigerung? de da der Keim für größere berufliche AufGanz sicher wird die internationale gaben gelegt? Wahrnehmung der Elbphilharmonie und Das war der reine Zufall. Mir wurde dader Stadt noch einmal steigen. Das gemals dieses Instrument vorgeschlagen, schieht im Selbstlauf, durch die gelungeund ich bewundere alle, die es wirklich ne Architektur und natürlich durch die gut spielen können. Musik. Wann haben Sie Ihre Oboe das letzte Mal in Erinnern Sie sich an Ihren persönlichen ersder Hand gehalten? ten Moment der Überwältigung? Zum Ende der Schulzeit. Das Instrument Für mich war es ein großer Moment, das gehörte dem Schulverein. erste Mal im fertiggestellten Großen Saal zu stehen. Ich habe ihn ja gekannt, Sie haben sich in den vergangenen Jahren weil ich mich viel mit dem Gebäude bewegen der Elbphilharmonie viel mit Kultur schäftigt und die endgültigen Verträge beschäftigt. Inwiefern hat das Ihr Verhältverhandelt hatte. Es gab von allem, was nis zu diesem Thema verändert? hier entstand, natürlich auch Bilder. Die Ich bin ganz sicher, dass die Elbphilharmoderne Technik ermöglicht es ja, Bilmonie die lange musikalische Tradition der Stadt, die vielen gar nicht so bewusst ist, auch in der Zukunft fortsetzen wird. Das gilt für die ganze Bandbreite der MuOben: Bürgermeister und Bürger fahren sik, die wir in dieser Stadt haben, nicht bei der Eröffnung der Plaza in der nur für die Klassik. Das geht bis zum Tube hinauf. Unten: Olaf Scholz wagt Reeperbahn Festival, das wichtigste einen Blick über die Brüstung in die Pop-Event in Deutschland, das sicher beeindruckenden Foyers auch vom Nimbus der Stadt und vom Roland Magunia/Marcelo Hernandez Nimbus der Reeperbahn lebt. Der Bürgermeister und die Orgelpfeifen: Nach dem Interview fachsimpelte Olaf Scholz intensiv mit Bernd Reinartz von der Orgelbaufirma Klais Marcelo Hernandez Es gibt den schönen Satz, dass jeder in die Kultur investierte Euro anderthalbfach zurückkommt. War es insofern geradezu genial, so viel Geld für die Elbphilharmonie auszugeben? Ich bezweifle, dass man das so rechnen kann. Investitionen in Kultur haben Effekte, die man oft gar nicht beziffern kann. Sie lohnen sich in jedem Fall. Trotzdem ist es sinnvoll, nur so viel Geld auszugeben wie nötig und nicht 200 bis 300 Millionen Euro zu viel, weil man – wie bei der Elbphilharmonie – losbaut, ohne vollständige Pläne zu haben. Ist Kultur jetzt für die Stadt der wichtigste Wachstumsmotor, vor allen anderen, härteren Sparten? Die wechselnden Vorstellungen, was jeweils das neueste Wichtigste sein solle, mache ich nicht mit. Aber Kultur spielt für die Perspektiven Hamburgs eine sehr große Rolle. Nicht nur in Bezug auf wirtschaftliche Aspekte oder wegen des damit verbundenen Tourismus, sondern auch, weil sie die Lebensqualität der Stadt verbessert. Sie spielt außerdem eine Rolle für das internationale Renommee. Hat so etwas Herausragendes wie die Elbphilharmonie Hamburg gefehlt? Ja, hat es. Und wir würden sie jetzt nicht mehr missen wollen. Auch am anderen Ende der Bandbreite, beim Reeperbahn Festival, haben wir sehr konstant unseren Beitrag zur Unterstützung geleistet. Inzwischen ist es eine etablierte Veranstaltung, die auch aus sich heraus funktioniert. Auf dieser Seite des Spektrums haben wir nun die Elbphilharmonie – und diese Bandbreite ist etwas Besonderes. Beim Richtfest 2010 hatte Generalintendant Christoph Lieben-Seutter gesagt: „Ohne ein bisschen Größenwahn entstehen die besonderen Wahrzeichen nicht.“ Richtig? Weiß ich nicht. Es geht auch ohne. Nun ist es da ... Einer Ihrer Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert, Amandus Abendroth, meinte damals: „In Hamburg fängt alles, wie die Erfahrung mit glücklichem Erfolg zeigt, mit Privatpersonen an.“ Der Umkehrschluss: Mit großen Ideen haben wir es im Rathaus nicht so. Das private Anschieben großer Kulturprojekte hat Tradition, und die Politik lässt sich zum Jagen tragen – warum? Wenn man bei Herrn Abendroth anfängt, dann ist das ein sehr langer Zeitraum, den wir betrachten. Seine treffende Einschätzung sollten wir aber festhalten: dass wir hier sehr oft auf privates Engagement zurückgreifen können, und das ist gut. Wem gebührt eigentlich der größte Dank für die Elbphilharmonie? Am Ende den Steuerzahlern. Hier sind etwa 800 Millionen Euro an Steuergeldern hineingeflossen, das sollte man nicht außer Acht lassen. Das ist eine große Investition in die Zukunft der Stadt und ihre Lebensqualität. Es ist ein Gesamtkunstwerk geworden. Viele haben dazu beigetragen – die Architekten, die Initiatoren und unterschiedliche politische Kräfte. Wäre es besser gewesen, wenn das Ganze ein privat finanziertes Projekt geblieben wäre, wie ursprünglich gedacht? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Deutschland private Investoren gibt, die ein Projekt dieser Größenordnung stemmen wollen und können. Man darf aber annehmen, dass bei privaten Projekten mehr aufs Geld geachtet wird, als es hier zwischenzeitlich der Fall war. Das wäre gut gewesen. Wann hatten Sie Ihre erste schlaflose Nacht wegen der Elbphilharmonie und wann die letzte? Die Entscheidung über die Vertragsneuordnung Ende 2012 war für mich der schwierigste Moment. Da hatte ich wirklich eine schlaflose Nacht. Die letzten Zusagen kamen ja noch im allerletzten Moment. Mein wichtigstes Vorhaben bei diesen harten Verhandlungen war, dass es die letzten sein sollten, keine weiteren Runden, kein Baustillstand. So ist es dann auch gekommen. Die Dimension der Entscheidung war mir in jeder Hinsicht immer sehr klar. Hätten wir uns nicht verständigt, mit durchaus harten Bedingungen für das Bauunternehmen, hätten wir am Ende einen großen Teil der Projektbeteiligten wegschicken und neu anfangen müssen. Das hätte auch zu einem jahrelangen Baustillstand führen können. Ich glaube, die schlaflose Nacht hat sich gelohnt und ich habe mich richtig entschieden. Gab es je den Moment, in dem Sie dachten, womöglich wird dieser Bau tatsächlich niemals fertiggestellt? Dafür bin ich zu optimistisch veranlagt. Aber das Risiko habe ich immer gesehen. Hier ist an einigen Stellen an der Grenze dessen gebaut worden, was technisch möglich ist. Es handelt sich um eine große, hoch komplizierte Anlage, in der alles in jeder Situation funktionieren muss. Man darf die Komplexität dieses Gebäudes nicht unterschätzen. ELBPHILHARMONIE Mittwoch, 11. Januar 2017 HamburgerAbendblatt 7 Olaf Scholz im Großen Saal der Elbphilharmonie: „Als ich dort zum ersten Mal Musik hören konnte, war das für mich wirklich ein Erlebnis, das ich nicht so schnell vergessen werde“ Marcelo Hernandez Im Herbst 2012, als es so hoch herging, haben Sie öffentlich immer den Eindruck erweckt, dass die Stadt in Eigenregie weiterbauen wird, wenn Hochtief nicht einlenkt. War das, mit einigen Jahren Abstand betrachtet, eine gute Schauspiel-Performance, um den Druck auf den Baukonzern zum Einlenken zu erhöhen? Wir hatten die Variante, dass wir selbst weiterbauen, bis ins letzte Detail vorbereitet. Ich habe das damals nicht nur so dahingesagt. Aber ganz wohl war Ihnen nicht dabei? Nein. Ganz wohl konnte einem bei keiner der beiden Möglichkeiten sein. Waren Sie schon Fan und Befürworter, als das Projekt 2003 vorgestellt wurde? „Was soll das denn?“ habe ich nicht gedacht. Ob ich sofort begeistert war, weiß ich nicht mehr. Sie haben das Thema gar nicht unmittelbar wahrgenommen? Doch. Aber Architekturzeichnungen von Dingen, die man in Hamburg mal machen könnte, werden in dieser Stadt ziemlich oft publiziert. 2005 wurden die Kosten für die Stadt auf 77 Millionen Euro geschätzt, jetzt sind Sie bei 789 Millionen gelandet. Erklären Sie uns bitte in kurzen Sätzen – warum ist die Elbphilharmonie eigentlich so teuer? Die Stadt baut das CCH um, für etwa 200 Millionen Euro. Auch keine einfache Architektur, aber verglichen mit diesem Gebäude eine überschaubare Aufgabe. Wir haben aus der Elbphilharmonie gelernt und über 13 Millionen Euro in die Planung investiert, bevor wir uns zum Bau entschlossen und harte Verträge aufgesetzt haben. Wenn man einen Teil des CCH für 200 Millionen baut, ist die Vorstellung, für 77 oder auch für zweihundertundetwas Millionen die Elbphilharmonie bauen zu können, zu keinem Zeitpunkt in der Nähe der Wahrheit gewesen. Sondern? Selbst wenn man alles richtig macht, ist dieses Gebäude für weniger als 500 bis 600 Millionen Euro nicht zu errichten. Man hätte sich die Differenz zum Endpreis gespart, wenn man am Anfang sorgfältig geplant hätte. Man hätte bestimmt einen hohen zweistelligen Millionenbetrag für die Planung ausgeben müssen, bevor man bei einem so ehrgeizigen Projekt loslegt. Als ich 2011 Bürgermeister wurde, waren die Architekturpläne noch nicht endgültig fertig, obwohl seit vier Jahren gebaut wurde. Ich habe dafür gesorgt, dass sie dann ein Jahr später fertig wurden. Sie tänzeln wie ein Neumeier-Ballettstar um bestimmte Namen und Parteien und vor allem um die Schuldzuweisung herum ... ... Ich bin der Bürgermeister ... Eine klarere Ansage ist von Ihnen in diesem Punkt also nicht zu haben? Alle wissen, wie es war. Und ich finde es wichtig zu sagen, was passiert ist: Es ist nicht ordentlich geplant worden, das Projekt ist zunächst nicht richtig beherrscht worden, anfangs haben sich zu wenige damit beschäftigt. Die Herausforderungen sind immer unterschätzt worden. Niemand ist dafür juristisch zur Verantwortung gezogen worden. Ist das richtig oder ist es auch gerecht? Der eine oder andere hätte jedenfalls gut daran getan, wenn er seinen eigenen Beitrag zu den Kostensteigerungen etwas demütiger kommentiert hätte. Es gibt außerdem einen Bericht des Untersuchungsausschusses, der das sehr präzise darstellt. Es ist dilettantisch gehandelt worden. Ein gewissenhafter Umgang mit der übertragenen Verantwortung für das Wohl der Stadt sieht bestimmt anders aus. Das kann in einer Demokratie bewertet werden. Die Wählerinnen und Wähler haben es dann am Ende ja auch bewertet. Was haben Sie gedacht, als Sie sich 2011 als neuer Bürgermeister erstmals intensiv mit der Elbphilharmonie beschäftigt haben? Das Problem wurde größer und größer. Auf eine verfahrene und schwierige Sache war ich eingestellt. Wie verfahren und schwierig sie tatsächlich war, hat sich mir erst im Amt erschlossen. Aber ich wurde gewählt, um Probleme zu lösen, auch dieses. Einige Monate haben Sie es zunächst auf die harte Tour versucht. „Keine Spielchen mehr, Hochtief“, warnte Ihre Kultursenatorin Barbara Kisseler damals in der Bürgerschaft. Dann kam der Baustillstand, und es wurde noch kniffliger. Aus heutiger Sicht: War das der Holzweg? Nein. Das war der Holzhammer, und der war auch notwendig. Wenn die Stadt nicht in der Lage gewesen wäre, sich klar aufzustellen und mit der notwendigen Härte vorzugehen, wäre das Projekt auch nicht fertig geworden. Am Ende stand die Neuordnung, die Sie mit dem damals neuen Hochtief-Chef Marcelino Fernández Verdes aushandelten. Ist die Wende zum Guten also das Ergebnis einer sich anbahnenden Männerfreundschaft? Irgendwie ja. Da haben zwei miteinander verhandelt, die es für ihre Aufgabe hielten, dass das Gebäude fertig wird. Anders als mit Leadership geht das nicht. Sie erzählen das so gelassen, als hätten Sie nie den Bereich Ihres Ruhepulses verlassen. Ich verhandle oft und viel. Neulich habe ich mich morgens um 3.30 Uhr mit der Bundeskanzlerin über die Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen verständigt. Da ging es um viele Milliarden, und ich glaube, ich bin zu jedem Zeitpunkt ruhig geblieben. Welche Rolle hat die im Oktober verstorbene Kultursenatorin Barbara Kisseler für die Elbphilharmonie gespielt? Wir haben immer zusammen agiert und uns eng abgestimmt. Sie hat sich in das Projekt vertieft und wir waren immer einer Meinung: Das Problem muss gelöst werden, das wollen wir hinbekommen. Und im Übrigen hatte sie zu keiner Zeit Zweifel am musikalischen Impuls für die Stadt, der von diesem Konzerthaus ausgehen wird. Dass sie bei der Eröffnung nicht dabei sein kann, macht mich sehr traurig. Sprechen wir über den Inhalt des Gebäudes, die Musik und ihre Bedeutung für die Stadt. Zum Einstieg ein Quiz: Welcher Hamburger Ehrenbürger hat einmal geschrieben: „Die Hamburger sind antimusikalisch“? Sie können wählen zwischen John Neumeier, Johannes Brahms oder Helmut Schmidt. Brahms oder Schmidt...? Sie sind eine Runde weiter... Ich ziehe den Joker... O. k., es war Brahms. Auch Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter hat, als er sich 2006 im Rathaus als der Neue aus der Musikstadt Wien vorstellte, gesagt: „Hamburg ist keine Musikstadt, ich würde nie wagen, das zu behaupten.“ Hatten die beiden recht? Ich glaube, dass Hamburg nicht nur in der historischen Perspektive eine lange Musiktradition hat. Musik wird auch künftig eine wichtige Rolle spielen. Mein großer Zur Fertigstellung Ende Oktober bekam Olaf Scholz einen Backstein mit entsprechendem Schriftzug Marcelo Hernandez Wunsch ist, dass dieses Gebäude dazu beiträgt, dass die Bürgerinnen und Bürger ihnen bisher unbekannte Varianten von Musik zumindest einmal ausprobieren. nanzierung kam, haben wir beispielsweise für andere Musik-Ensembles und Privattheater zusätzliche Mittel bereitgestellt. Diese Geste ist gut verstanden worden. jetzt sechs Monate lang ständig dort hingehen. Aber das ist mit meinem Terminkalender nicht vereinbar, und außerdem gibt es ja noch viele andere attraktive Kulturinstitutionen in der Stadt. Sind Sie zuversichtlich, dass die Erwartungen an die Elbphilharmonie, die inzwischen wahnsinnig hoch sind, auch erfüllt werden können? Ja, sie kann das leisten. Generalmusikdirektor Kent Nagano hat prophezeit: „Die ganze Welt wird kommen.“ Sind Sie sicher, dass die Stadt darauf vorbereitet ist? Ja. Ein Mantra des Senats lautet, dass es anderen Kulturinstitutionen nicht schlechter gehen soll, weil es jetzt die Elbphilharmonie gibt. Können Sie das durchhalten, bei den Sparzwängen, die Sie jetzt umzingeln? Ja. Im Spielbetriebskonzept klingt die Annahme an, dass die Elbphilharmonie auf längere Sicht mit eher weniger Zuschüssen auskommen müsste. Teilen Sie diese Einstellung? Es ist nicht geplant, den zugesagten festen Zuschuss zu reduzieren. Aber ich will den Verantwortlichen auch nicht die Motivation nehmen, für eine höhere Kostendeckung zu sorgen. Dass wir mit der Elbphilharmonie Überschüsse erzielen, ist aber unrealistisch. Wir subventionieren die Unterhaltungskosten des Gebäudes, die Plaza und einen Teil des Spielbetriebs. Damit das Gebäude Gewinne macht, müsste es Einnahmen von mehr als 15 Millionen Euro erbringen. Das ist unrealistisch. Müssten Sie nicht beim Rest der Kulturlandschaft aufstocken, um ihn nicht zu verärgern? Ich glaube, dass die Kulturlandschaft sich über die Elbphilharmonie genauso freut wie die, die noch nie ein klassisches Konzert gehört, das Haus aber bereits adoptiert haben. Und in dem Haushalt, mit dem der beginnende Betrieb der Elbphilharmonie in die Fi- Haben Sie für die Abende nach der Eröffnung eigentlich eine Bürgermeister-Flatrate in die Elbphilharmonie? Dürfen und können Sie jedes Konzert, auf das Sie Lust haben, besuchen? Ich habe mir schon einige Konzerte ausgesucht, vor allem am Anfang. Und wenn ich noch einen Wunsch hätte, hoffe ich, dass er erfüllbar ist. Mit ganz viel Zeit würde man Dann gibt es demnächst Nachschlag beim Kulturhaushalt? Der Kulturhaushalt erfährt von allen die notwendige Aufmerksamkeit. Der Zufall Als Olaf Scholz 2011 Bürgermeister wurde, war die Elbphilharmonie als „Chaosbaustelle“ verschrien; der Bau um Jahre in Verzug, die Stadt, die Architekten Herzog & de Meuron (HdM) und der Baukonzern Hochtief heillos zerstritten. Scholz machte zunächst Hochtief als bösen Buben aus und fuhr einen harten Kurs. Doch der Konzern beharrte auf Nachforderungen in dreistelliger Millionenhöhe und legte die Baustelle still. Scholz drohte Hochtief zwar mit Rauswurf, musste aber erkennen: Das Problem liegt tiefer, und es betrifft alle Beteiligten. Schließlich half der Zufall: Mit Marcelino Fer­ nández Verdes wurde 2012 ein alter Weggefährte von HdM­Partner David Koch neuer Hochtief­Chef. Koch brachte Scholz und den Spanier zusam­ men, und plötzlich stimmte die Chemie. Statt Schuldzuweisungen dominierte die Suche nach einer Lösung, und die war so einfach wie komplex: Aus zwei getrennten Verträgen mit HdM und Hochtief wurde einer, in dem der Bau­ konzern die alleinige Verantwortung, aber auch alle Risiken übernahm. Dafür gab es auch mehr Geld. Aber fortan lief es, und die Elbphilharmonie wurde doch noch fertig. (dey) Woher kommt diese Sicherheit? Wir sind schon immer eine weltweit vernetzte Stadt gewesen. Wir haben die Kapazitäten ständig ausgeweitet, um viele Gäste aufnehmen zu können. Wir sind auf eine offene Welt eingestellt, so ist unsere Mentalität. Gegen Größenwahn-Vorwürfe kommen Sie aber auch mit den tollsten Konzerten nicht an. Die wird es weiter geben. Ja. Ich habe mir diese Ansicht aber in keiner Phase zu eigen gemacht. Ich glaube, dass die Stadt auch städtebaulich einen klugen Weg gewählt hat; dass dieses Gebäude nichts ist, was man sich aus Prestigegründen leistet, sondern dass es mit der Stadt verzahnt ist. Es gibt auch keinen besseren Ort dafür, mitten in der HafenCity, mit dem industriellen Hafen auf der einen und der gewachsenen Stadt auf der anderen Seite. Für mich ist auch wichtig, dass wir meine Ankündigung umsetzen, dass jedes Schulkind wenigstens einmal die Elbphilharmonie besuchen kann. Der Rathaus-Architekt Martin Haller stellte zum Thema Prestige-Architektur die rhetorische Frage: „Was verdankt München, was Paris seinen Gebäuden, seinen großartigen Anlagen und seinen Kunstwerken?“ Also: Was wird Hamburg der Elbphilharmonie verdanken? Man spürt es fast jetzt schon: Hamburg und die Elbphilharmonie werden eins, und sie werden auch international zusammen wahrgenommen werden. Das Konzerthaus nützt der Stadt und umgekehrt. So wie der Hafen der Stadt nützt und umgekehrt. Oder die Reeperbahn. Die Elbphilharmonie wird viele für Hamburg begeistern und vielleicht ist dies einer der kleinen Schritte, die gelingen müssen, damit die Stadt auch international anders wahrgenommen wird als bisher. Es gibt in der Welt noch Menschen, die nicht wissen, wo in Deutschland Hamburg liegt. Das wird sich wahrscheinlich ändern. Also: Es hat sich in jeder Hinsicht gelohnt? Ja. ELBPHILHARMONIE Mittwoch, 11. Januar 2017 Mit einer Uraufführung von Wolfgang Rihm beginnt heute das Konzert im Großen Saal der Elbphilharmonie. Ein Interview über Musik, Hans Henny Jahnn und den Rest der Welt Das erste P JOACHIM MISCHKE er Fax bitte, die Antworten kommen handgeschrieben über Nacht aus Karlsruhe, wo er lebt, lehrt und arbeitet. Ein Frage-AntwortSpiel mit Wolfgang Rihm ist trotz der leicht antiquierten Methode voller Überraschungen. Das hat dieser Dialog mit seiner Musik gemeinsam, seit Jahrzehnten gehört Rihm zu den populärsten und fleißigsten Zeitgenossen der Musikwelt. Für die Eröffnung der Elbphilharmonie erhielt der Vielgebuchte einen Kompositionsauftrag vom NDR. HamburgerAbendblatt Stück Ist von Ihnen und einige Jahre alt, wie finden Sie diese Einschätzung, gilt die noch? Es geschieht oft im inzestuösen Getriebe von Interviews, dass einem jahrealte Äußerungen präsentiert werden. Trotz der fehlenden Zusammenhänge habe ich meist das Gefühl: Ja, das kann man so sagen. So auch hier. „Nichts an Musik ist normal. Musik ist überhaupt nie Normalfall. Sie ist immer etwas Herausgehobenes, etwas Ereignisartiges, von den menschlichen Leidenschaften Kündendes.“ Auch von Ihnen. Ihr Leben besteht also aus permanentem Ausnahmezustand. Was macht das mit und aus einem? Einen glücklicheren Menschen oder nur einen überarbeiteten? Schon wieder ein Zitat. Auch hier: Ja. Und eigentlich völlig normal, dass nichts an Musik normal ist. Was würde uns sonst an ihr interessieren!? Solche Erkenntnis wirkt eher entspannend als überanstrengend. Eine historisch bewährte und durchaus legitimierte Praxis ist das Selbstzitat. Wie halten Sie es damit? Ich habe manchmal die Technik der Doppelbelichtung, der Übermalung, der Überschreibung praktiziert: wo ein Text auf einen bereits bestehenden Text, einen Prä-Text, geschrieben wird. Dann wird der neu entstandene Text seinerseits „beschriftet“ und sofort – ad infinitum denkbar als Genese einer virtuell unendlichen Musik. Aber das ist im eigentlichen Sinn kein Selbstzitat. Hamburger Abendblatt: Wann haben Sie erstmals von der Elbphilharmonie gehört – und wie schlimm stand es damals? Und warum haben Sie zugesagt, ausgerechnet für diesen Anlass, etwas zu komponieren? Dennoch oder gerade deswegen? Wolfgang Rihm: Vor über zehn Jahren? Schon damals wurde ich gefragt, ob ich nicht ein Stück zur Einweihung schreiben wolle. Was meinen Sie mit „schlimm“? Dass der Bau nicht billig wurde? Danach fragt später niemand, wenn das Wahrzeichen dasteht und Identität stiftet. Ich machte mir also Gedanken, etwas zu schaffen, das eine Art hamburgischen Kern – einen geistigen Kern – in sich trägt. Sie schreiben noch per Hand. Wie muss ich mir so ein Autograf vorstellen? Genial aufgeräumt wie bei Mozart oder ein beethovensches Schlachtfeld, bei dem nur das Stärkste überlebt? Am besten, Sie stellen sich ein aufgeräumtes Schlachtfeld vor. Außerdem finde ich die Formulierung geradezu rührend: „noch“ mit der Hand …! Ja womit denn sonst? Mit dem Finger? Mit welchen Suchtmitteln bekommen Sie sich aus einer Schaffenskrise? Suchtmittel würden gar nichts erreichen, außer nebulösen Vorstellungen von Schaffen und Krise Vorschub leisten. Schaffen und Krise gehören zusammen und wollen beide ausgehalten sein. Wie kam die Idee für das Werk zustande? Hatten Sie Carte blanche, war der Bezug zu Jahnn Ihre Idee? Selbstverständlich war ich frei in meiner Wahl. Meine Gedanken folgten einander in etwa so: Einen Jubelchor oder Einweihungstusch kann ich nicht schreiben, das können andere trefflicher. Ein solches Ereignis braucht in sich eine Art Memento – eine Art ernsten Stein, ein „et ego“ im arkadischen Taumel. Die größte und zugleich dunkelste Gestalt, die ich aus Hamburg kenne, ist Hans Henny Jahnn. Für die meisten heute – auch für Hamburger – keine geläufige Figur. Er muss erscheinen, wenn das bedeutende Haus eröffnet wird, das wie ein Schiff und ein Kathedralbau zugleich anmutet. Sie verwenden auch Texte aus Jahnns „Fluss ohne Ufer“, einem vielschichtigen Opus magnum über die Spannung zwischen Kunst und Wirklichkeit, einem Komponisten und dem Rest der Welt. Was hat Sie daran gereizt, wie nah ist Ihnen Jahnns Gedankenwelt? Das einer rätselhaften Tiefenspannung entstammende Phantasmagorische von Jahnns Welt empfinde ich als Ausdruck von Widerspruch und Aufgehobenheit zugleich: Widerspruch gegen Normierung und Aufgehobenheit in schützender Körperlichkeit. Kampf und Wärme schaffen eine Art geistigen Naturzustand. Wir bedürfen seiner, um nicht kleinmütig zu werden. 8 Wer wie Sie bei Stockhausen gelernt hat, den kann nichts mehr erschüttern? Jeder gute Lehrer lehrt das Erschüttertwerden-Können. Wie viel Ihres Werkkatalogs ist mittlerweile ästhetisch verjährt? Das kann ich nicht beantworten, weil immer wieder Phasen einsetzen, wo gerade frühere Stadien meiner Arbeit plötzlich enorm geschätzt werden und die Erschütterten und Verzweifelten Chöre deklamieren derart: „Wir wussten ja gar nicht, wie gut das alles ist!“ Der Komponist Wolfgang Rihm im Rolf­Liebermann­ Studio des NDR Roland Magunia Wo finden Sie Ihre Inspirationen, und wie wichtig ist guter Whisky? Alles zu seiner Zeit. Ein furchtbarer Satz – aber leider wahr. Trotzdem ein Tipp: Inspiration kommt immer aus der Sache selbst, nie von außen. der Literatur, überhaupt. Wie Joyce, Musil, Brod, Doderer natürlich ohne Nobelpreis-Chance. Jahnn war nicht nur Autor, sondern auch Orgelbauer. Keine alltägliche Berufungskombination. Wie nutzen Sie die Orgel im Großen Saal, um diesen Aspekt aufzugreifen und auf ihn anzuspielen? Welche Bedeutung hat die KonstellaIch nutze die Orgel wirklich nur als Antion der Texte, gibt es einen dramaspielung, und auch nur im zweiten Satz turgischen Kern? Worauf spielt der mit dem Jahnn-Text: wie eine Art Titel an? Schwall flüssigen Metalls, oder einmal Wolfgang Rihms Vita „Reminiszenz“ ist ein Text, wie ein abstraktes Gespinst. Die Orgel den Jahnn um ein Eigenzitat Die Karriere begann früh: Kurz gibt eine Art Jahnn-Echo ins Klangherumschrieb: um eine Benachdem Wolfgang Rihm im Sommer geschehen hinein, ohne im genennung des Todes, die er 1972 sein Abitur hatte, legte er in seiner Geburts­ ringsten Jahnns Orgelmusikseinem riesigen „Fluss ohstadt Karlsruhe bereits sein Staatsexamen in Komposi­ Ideal zu entsprechen. Ihr Klang ne Ufer“ entnahm. Die tion und Musiktheorie ab. Bevor Rihm wenig später bei steht „quer“ im Orchester. VielWahl der zitierten Stelle ist Karlheinz Stockhausen als Schüler angenommen wurde, leicht doch eine poetologische also Jahnns eigene. Dieses warnte der ihn: „Wenn Sie mit mir arbeiten wollen, so muss es Jahnn-Entsprechung? Textstück steht in der Mitklar sein, dass Sie wenigstens zwei Jahre nichts anderes te. Triptychonartig wird es vorhaben. Sonst gehen Sie besser woanders oder nirgendwo Wie viele solcher Widmungsstücke umgeben von den zwei hin.“ Rihm, wild entschlossen, ging das Risiko ein, blieb aller­ haben Sie bereits geschrieben? Gedichten, die Peter Hudings nur zwei Semester in Stockhausens Klang­Kosmos. Mit Manchmal widme ich ein Stück chel, ein Freund Jahnns, dem eigenen Schaffen ging es nach ersten Erfolgen u. a. bei einem Menschen oder seiner Erdiesem gewidmet hat: eines den Donaueschinger Musiktagen 1974 steil bergauf. Rihm innerung. Hier ist es Hans Hendem lebenden und eines profilierte sich weltweit und übernahm Lehraufträge, sein ny Jahnn, den ich persönlich nadem toten Jahnn. Am Werkkatalog umfasst Hunderte Stücke aus allen Genres. türlich nie getroffen habe. Schluss steht ein Vierzeiler, An der Hamburgischen Staatsoper hatte 1979 seine Büch­ den Jahnn einer Dichtung ner­Vertonung „Jakob Lenz“ ihre erste Premiere. 1992 wurde Ist die Wertigkeit einer solchen seines Freundes Walter die Oper „Die Eroberung von Mexiko“ an der Dammtor­ Auftragsarbeit eine andere als für Muschg entnahm und den straße uraufgeführt. 2016 übernahm er die künstleri­ „absolute“ Musik? er gern als Grabschrift sche Leitung der Lucerne Festival Academy. Für die Eröff­ Nein. Denn „Auftrag“ heißt in gehabt hätte. Dazu kam es nungskonzerte der Elbphilharmonie bestellte der NDR ein der Musik, dass ein Veranstalter nicht, aber wir rufen es ja Stück für Tenor und Orchester bei Rihm. Er entschied sich für das Recht zur Uraufführung nun nach … eine Vertonung u. a. von Texten des Hamburger Autors Hans eines meiner Werke erwirbt. So Henny Jahnn und gab dem Werk den Titel „Triptychon und gesehen sind alle Werke AufWas bedeutet Jahnn als Autor Spruch in memoriam Hans Henny Jahnn“. Rihm lebt und tragswerke. Ich habe in jedem für Sie? arbeitet in Karlsruhe und Berlin. (jomi) Fall freie Hand. Das einzig Eine der größten Gestalten Schwierige im bindenden Sinne sind Terminzusagen. Aber das ist in diesem Fall ja gelöst. Wann haben Sie damit begonnen, wie lange waren Sie zuvor gedanklich schwanger, und wann war es fertig? Schwanger bin ich immer, lange vor der Konzeption. Fertig war ich ziemlich früh: am 27. Februar 2016. Hatten Sie Gelegenheit, sich den Großen Saal anzusehen, für den Sie komponiert haben? Oder lief die Inspiration über Handauflegen auf Computergrafiken? Ich habe ein Werk geschaffen, das in diesem Saal – den ich nicht kenne – erklingen wird. Es ist für einen geistigen Raum geschaffen und kann, wie jede andere Musik auch, an vielen denkbaren Orten interpretiert werden. Sie werden zur Uraufführung sicher vor Ort sein. Ist Lampenfieber ein Thema? Ich bin gerne bei Stück-Geburten dabei. Wie jeder Vater oder jede Mutter in liebender Sorge ums Kind. Am 11. Januar stehen Sie auf dem Spielplan, zwei Tage später folgt Ihr ehemaliger Schüler Jörg Widmann mit einer Uraufführung durch Kent Nagano und die Philharmoniker. Haben Sie sich darüber ausgetauscht – oder gerade ausdrücklich nicht? Spürt der Lehrer in solchen Momenten den heißen Atem des Juniors in seinem Nacken und passiert ihnen das öfter? Ich erfahre davon durch Ihre Frage und wünsche Jörg alles Gute und viel Erfolg! Wie junge Komponisten und Komponistinnen atmen, wenn sie hinter mir stehen, entzieht sich meiner Erfahrung. Ist man jemals mit einer Komposition fertig, oder wäre das ein Luxus, den Sie als Vielgebuchter sich längst nicht mehr leisten können? Fertig zu sein ist das Vorrecht des Erschöpften. So gesehen bin ich oft fertig. Im Übrigen ist alle entstehende Musik immer wie ein Ausschnitt aus einem großen Entstehen, das wie eine Vor-Schrift das Kommende enthält. „Kunst ist nicht so, dass sie aufgrund von Abmachungen entsteht“, haben Sie mir vor einigen Jahren gesagt. Wie schafft man trotzdem Kunst? Eben. Mit Abmachungen sind Vorwegnahmen gemeint. Kunst entsteht aus dem Glück des Moments: Sie kann glücken. Wir kennen sie nicht. „Wenn Kunst in einer Gesellschaft entsteht, wird sie mit ihrem Überleben konfrontiert. Wir unterhalten uns ja nicht über Gerichtsakten oder Getreidepreise, wenn wir über gesellschaftliche Zeiten sprechen. Sondern über deren Kunst. Kunst nützt der Gesellschaft, indem sie deren Erinnerung sichert.“ „Das Komponieren ist nicht einfach für mich. Ich schreibe nicht schnell, aber gleichmäßig.“ Wie genau komponieren Sie, ganz generell betrachtet – à la Strauss, „wie die Kuh Milch gibt“; als Schubtäter, den es nach Tagen der Verzweiflung herausbrechend ereilt; oder mit täglichem Ringen, pünklich beginnend und pünktlich endend? Wieder kann es helfen, dass Sie sich eine Mischung aus all dem vorstellen. Es ist sowieso jedes Mal anders. Außerdem: Ist es wichtig? Welche Aufträge warten derzeit in Ihrem Kalender, bis wann wissen Sie bereits jetzt, was Sie liefern müssen? Die Anfragen erstrecken sich über weit mehr als ein Jahrzehnt in die Zukunft … Wo bleibt da die künstlerische Freiheit? Für die bin ja ich zuständig. Ich bringe sie ins Spiel. Von außen kommt sie nicht. Welches Stück eines Kollegen hätten Sie liebend gern komponiert? Weiß ich nicht. Das „liebend gern“ lässt praktisch nur eine Antwort zu: irgendein Klavierkonzert von Mozart, egal, welches. Welche Musik hört der Komponist Wolfgang Rihm zur Entspannung? Geht das, oder springt sofort das Analytikerhirn an? Hätte ich ein sogenanntes Analytikerhirn, käme ich doch gar nicht zum Komponieren. Und zur Entspannung höre ich eigentlich: Stille. Pavol Breslik singt die Tenorpartie in Rihms „Reminiszenz“ imago stock&people Wie endet für Sie der Satz: „Die Musikstadt Hamburg ist für mich ...“? „… wie ein Hafen: Ankunft und Ausfahrt ...“ 9 ELBPHILHARMONIE HamburgerAbendblatt Der Seit 2007 ist der Wiener Christoph Lieben­Seutter Chef der Elbphilharmonie. Lange war er der tragische Hausherr ohne Haus. Nun wünschen sich alle von ihm nur eines: Karten D JOACHIM MISCHKE iesen bombigen Ausblick vor den Bürofenstern, den müsste ihm die Stadt eigentlich vom Lohn abziehen. Zehnter Stock, die SüdwestEcke der Elbphilharmonie, unverbaubare Fototapete, den Hafentrubel unmittelbar vor der Nase, rechts geht’s zu den Landungsbrücken raus. Und vor seinem Schreibtisch ragen sehr dekorativ sehr schräge Säulen ins Amtszimmer, eine kleine Anspielung auf das extravagante Styling der Plaza des Konzerthauses, zwei Etagen tiefer. Im vergangenen Jahrzehnt hat sich Christoph Lieben-Seutter, je nach Stand oder Stillstand der Krisenbaustelle Elbphilharmonie, mehrfach neu eingerichtet: am Valentinskamp, im BrahmsQuartier und natürlich auch oben hinten im klitzekleinen Verwaltungstrakt der Laeiszhalle. Jetzt aber ist der Wiener auch leibhaftig dort, wo der damalige Chef des Wiener Konzerthauses immer hinwollte, als er 2006 zusagte und 2007 mit Frau und Töchtern in Hamburg ankam. Platz der Deutschen Einheit, HafenCity. Nicht ganz oben im Gebäude, denn dort, ein Dutzend Stockwerke höher, residieren die Inhaber der Luxuswohnungen, aber ganz oben in der Hierarchie des spektakulärsten Konzerthauses, das man für Geld, für viel mehr Geld als einmal gedacht bauen konnte. Gäbe es einen Balkon, könnte Lieben-Seutter dort den DiCaprio machen und die „König der Welt“-Szene aus „Titanic“ nachspielen. Sähe blöd aus, klar, aber wer sollte ihn hier aufhalten? Doch so scheint der Generalintendant von Elbphilharmonie und Laeiszhalle dann doch nicht zu ticken. Er freut sich offenkundig mehr nach innen, über die Verantwortung, die Aufgaben, die Möglichkeiten, die Perspektiven. Und diesen Ausblick gibt’s gratis dazu. Der Legende nach kann in Wien jeder Taxifahrer die Stabreime von Wagners „Ring“ rückwärts aufsagen, an der Elbe schimpfen manche eher und immer noch sehr pauschal über den „Prachtbau“, in dem Lieben-Seutter nun den Ton angibt. Sein derzeitiger Vertrag läuft bis Sommer 2021. Restsehnsucht nach Wien, der wirklich klassischen Musikstadt, der ohne die skeptischen Wenns und Abers? Nö, gar nicht, antwortet Lieben-Seutter, ohne zu zögern. „Die war nie da, höchstens musikalisch, an die Dichte des Angebots“, meint er. „Wenn man die Lobby vom Hotel Imperial betritt und einem vier Weltklasse-Dirigenten gleichzeitig entgegenkommen, das war in Hamburg nie so und ist das Einzige, was mir hin und wieder gefehlt hat. Ansonsten gehen mir hier noch die Berge am Horizont ab. Alles andere ist mir sehr schnell ans Herz gewachsen.“ Warten hat schon ganz andere mürbe gemacht Obwohl am Kaiserkai ein kleines Kaffeehaus auf Alt-Wien macht, hat LiebenSeutter es dorthin noch nicht oft geschafft. Die eigene Sozialisation beim Kleinen Braunen ist schon lange her, während der Schulzeit war das anders. Selbstverordnete Freistunden im Cafe Krugerhof, gegenüber im Kino liefen vormittags James-Bond-Filme. Nach dem Abitur arbeitete er in der Computerbranche und wurde die rechte Hand des umtriebigen Kulturmanagers Alexander Pereira in Wien und Zürich, bevor er selbst die Leitung des Wiener Konzerthauses übernahm, das in der Nachbarschaft des Musikvereins-Gebäudes steht. Vor gut einem Jahrzehnt hätte man bei der Erwähnung seines Namens in Christoph Lieben­Seutter in seinem Büro im zehnten Stock Roland Magunia Mittwoch, 11. Januar 2017 Intendant Hamburg auch von vielen Musikfreunden nur ein erstauntes „Lieben wer!?“ zu hören bekommen. Das hat sich geändert. Jetzt kennt praktisch jeder den hochgewachsenen Mann mit der Brille, und wenn schon nicht namentlich, dann zumindest wegen seines tragischen Schicksals. Jahrelang war er hier: der in der Warteschleife. Der Hausherr ohne Haus. Der Pechvogel. Alles, was dazu zu sagen war in den vergangenen Jahren, ist längst und mehrfach gesagt. Auch von ihm, in allen Stimmungsabstufungen. Als Lieben-Seutter ganz frisch war hier, hatte er als der Neue von außen Hamburg zum Einstand abgesprochen, Musikstadt zu sein; das kam nicht so gut an. Als es gerade mal wieder finster stand um sein Projekt, frustete es den Begriff „Lachnummer“ aus ihm heraus. Kann man alles verstehen. Warten hat schon ganz andere mürbe gemacht. Obwohl er als Konzerthaus-Chef ja nicht zum Nichtstun verdammt war. Er hatte die Laeiszhalle zu leiten und vorzubereiten, und ein anderes Gebäude musste er wahr werden lassen, im Rahmen seiner Möglichkeiten. Er hat neue Konzertkonzepte ausprobiert und manche sogar etabliert, hat kleinere und größere Festivals ins Sortiment gestellt, als wäre das Hamburger Musikleben eine Versuchsküche, in der man durch verspieltes Würzen und energisches Umrühren ganz viele Menschen mal eben auf ganz neue Geschmacksrichtungen bringen könnte. Sofort hat das nicht geklappt, immer auch nicht. Doch in den vergangenen Spielzeiten immer öfter. Die Wartezeit, unter der Lieben-Seutter litt, war sein Nachteil, der schließlich doch noch zum Vorteil wurde. Keinen Teil seines Wechsels von der Donau an die Elbe hat er bereut. „Die Zeit am Wiener Konzerthaus war großartig, trotzdem musste ich nach zehn Jahren weiterziehen“, sagt er, „und bin zum spannendsten Projekt gegangen, das meine Branche zu bieten hat, auch wenn es dann länger als erwartet gedauert hat und nicht immer erfreulich war. Ausgezahlt hat es sich in jedem Fall.“ Nun scheint alles ganz einfach. Die Karten für alles und jeden in den ersten elbphilharmonischen Monaten wurden ihm buchstäblich aus den Händen gerissen. Für die erste vollständige Elbphilharmonie-Saison, deren Programm im Frühjahr präsentiert werden wird, dürfte es ähnlich weitergehen. Beim Orakeln über kommende Attraktionen bleibt Lieben-Seutter, wenig überraschend, so vage wie nötig: „Es ist klar, dass wir die Grundkonzeption so weiterführen. Die wirklich spannende Aufgabe ist, den Rie- senansturm nicht einfach nur für den Kartenverkauf zu nutzen, sondern Geschichten über Musik zu erzählen. Und damit den Zigtausenden Besuchern eine Welt zu erschließen, die über den ersten und einmaligen Besuch dieses Konzerthauses hinausgeht.“ Dass jetzt, von heute an, die Hamburger Schonfrist an ihr letztes Ende kommt, ist für Lieben-Seutter kein Problem. Liefern? Kein Thema. „Super. Dafür sind wir da, das ist eine große Chance und eine große Verantwortung.“ Die Elbphilharmonie wird sich nie rechnen, aber immer rentieren? „Das stimmt sicher. Sie ist unbezahlbar, weil sie eine Wirkung für Hamburg und darüber hinaus hat, die nachhaltig sein und viele Jahre anhalten wird. Deswegen ist verglichen damit jede finanzielle Kalkulation irrelevant.“ Ob die Eröffnung das Erlebnis der ersten Probe toppen wird? Jetzt gilt es, die ersten Konzertmonate oberhalb vom Kaispeicher A möglichst reibungsfrei über die Bühnen zu bringen. Falls nicht alles komplett seinen Privatgeschmack trifft, wäre ja mal interessant, was er wirklich liebend gern im neuen Konzerthaus erleben würde. „Musik, mit der ich groß geworden bin, und die spielt sich vor allem im 20. Jahrhundert ab: Messiaens Oper ,Saint François‘, Nonos ,Prometeo‘, große StockhausenWerke, die Vierte von Ives – da gibt’s Dinge, nach denen schreit der Saal. Auf die freue ich mich.“ Als Konzerthaus-Chef in Wien hatte er eine große Baustelle unter sich, als Hoffnungsträger in Hamburg eine monströs große vor sich. Was kann da im Lebenslauf noch kommen? „Keine Baustelle mehr“, flachst er zurück. „Das war eine interessante Erfahrung, denn mir hat das Wissen von der ersten Baustelle bei der zweiten kaum genutzt, außer, um etwas Kassandra zu spielen“, erinnert er sich. „Viele Fehler sind hier wiederholt worden, die ich schon im Konzerthaus erlebt habe. Aber hier war ich nicht der Bauverantwortliche. Und nur weil dieser für die Musik zuständige Intendant eine Meinung zu Bauthemen hat, heißt das noch lange nicht, dass die Fachleute auch zuhören. Das hat mir eine Zeit lang zu denken gegeben. Hätte ich mehr sagen müssen, hätte ich anders auf den Tisch hauen sollen? Doch wenn so ein Dampfer in eine Richtung fährt, kann ein Einzelner nicht so leicht den Kurs ändern.“ Vor einigen Monaten hat LiebenSeutter, Vorgesetzter von mittlerweile rund 49 Mitarbeitern bei der HamburgMusik gGmbH, eingestanden: „Mein Fehler ist, ich lobe zu wenig.“ „Ja, aber ich gelobe Besserung“, sagt er jetzt zu seiner Verteidigung. „Ich glaube, hier in der Elbphilharmonie habe ich schon ausführlich gelobt. Denn was mein Team bei der Vorbereitung, beim Einzug und danach geleistet hat, ist ganz fantastisch.“ Und wenn es dennoch hakt und klemmt, ist er nicht der Cheftyp, den man noch im geschlossenen Fahrstuhl toben hört. „Ich werde leise und werfe höchstens mal mit zynischen Sprüchen um mich.“ Mit Lampenfieber am Abend der Eröffnung, vor den vielen Prominenten und den Kameras kann Lieben-Seutter nur bedingt dienen. Das mit dem Reden liege ihm zwar nicht so, meint er, „aber ich habe es in den letzten 20 Jahren gründlich gelernt, und es bringt mich auch gar nicht mehr aus der Ruhe. Allerdings überlege ich mir blöderweise immer erst in der letzten halben Stunde vor dem Auftritt, was ich eigentlich sagen will. Und das ist manchmal Stress.“ Einen sehr speziellen Stress der letzten Monate hat er gut verarbeitet, denn die vielen freundlichen Kontakte und Mails wegen Karten für die Eröffnungsgalas prallten an ihm ab. Kaufen konnte man die Tickets ohnehin nicht, deswegen dachten sich manche interessante Begründungen aus, warum ausgerechnet sie vom Intendanten in den kleinen Kreis der 4200 Ehrengäste aufzunehmen wären. Verweise auf die eigene Wichtig- Intendant Christoph Lieben­ Seutter im Foyer des Kleinen Saals der Elbphilharmonie – hier hat man einen Blick auf ein anderes Hamburger Wahrzeichen Roland Magunia keit gab es reichlich. Viele hatten freundlich angefragt, ob es nicht doch noch irgendeine kleine Chance auf Karten in den ersten Wochen gebe. Und besonders hübsch war der Verweis auf den 50. Hochzeitstag, am 11. Januar 2017. „Dann bin ich heiser und hab Kreuzweh“, prophezeit Lieben-Seutter seinen körperlichen Zustand für die Stunden nach dem Ende des ersten Eröffnungskonzerts. „Ich bin gespannt, ob die Eröffnung das Erlebnis der ersten Orchesterprobe und der Feier mit den Projektbeteiligten noch toppen kann. Da waren knapp 1000 Menschen, von denen ganz viele viel Herzblut ins Projekt gesteckt haben. Manche waren zu Tränen gerührt, es schien für sie fast so, als ob sie ihr Kind aussetzen müssten. In einer kurzen Ansprache habe ich versichert, dass wir sehr auf ihr Haus aufpassen würden. Das macht einen irgendwie demütig. Es ist fantastisch geworden, viel besser, als ich erwartet habe – und das waren all diese Leute.“ Obwohl wahrscheinlich jeder gut sortierte Künstler-Agent und jedes große Orchester der Musikwelt in den letzten Monaten in Lieben-Seutters Leitung oder Mail-Eingang auftauchte: Hollywood hat noch nicht angerufen, um Tom Cruise hier eine Runde auf der Glasfassade klettern zu lassen. „Bislang war es mehr die deutsche Til-Schweiger-Liga“, sagt der Neubau-Hausherr amüsiert. „Aber ich gehe davon aus, dass so etwas noch kommt.“ ANZEIGE Sofalandschaft MONTFORT nur 1.990,- ELBPHILHARMONIE HamburgerAbendblatt Die 2000 Investoren planen am Standort des Kaispeichers A den Media City Port – ein 100 Meter hoher Büroturm, der aus dem Speicher herauswächst. 23. September 2001 CDU, FDP und die SchillPartei gewinnen die Bürgerschaftswahl, Ole von Beust wird Bürgermeister. Die SPD muss nach 44 Jahren die Macht abgeben. 21. Dezember 2001 In Basel trifft Alexander 31. Oktober 2001 Gérard die Architekten Die Investoren AlexanJacques Herzog und Pierre der Gérard und Patrick de Meuron. Sie skizzieren Taylor schlagen Bürgermeiseinen ersten Entwurf – ter Ole von Beust in einem die Geburtsstunde der Brief den Umbau des KaiWelle. speichers A zu einem Konzerthaus vor. Chronik 2000 März 2003 Alexander Gérard beauftragt Herzog & de Meuron mit einer Projektstudie und einer Visualisierung. Der Auftrag wird als „Projektnummer 230“ angenommen. 5. Dezember 2003 Der Senat beruft Hartmut Wegener zum Projektkoordinator. Die Bürgerschaft macht den Weg frei für die Ausschreibung des Bauprojekts. 3. November 2004 Symbolische Grundsteinlegung mit Bürgermeister Ole von Beust und offizieller Baubeginn. 8. Januar 2010 Neujahrsempfang des Hamburger Abendblattes auf der Baustelle der Elbphilharmonie. Der Streit zwischen Baukonzern und Stadt eskaliert: Hochtief stellt den Weiterbau komplett ein. 2005 24. August 2005 Die Hamburger Mäzene Hannelore und Hel8. mut Greve kündigen an, Dezember 2005 30 Millionen Euro für den Das NDR SinfonieBau der Elbphilharmoorchester wird per Vernie zu spenden. tragsunterzeichnung zum Residenzorchester der Elbphilharmonie. 18. Dezember 2006 2. April 2007 20. September 2011 2004 Die Hansestadt Hamburg kauft die Investoren Alexander Gérard und Dieter Becken aus dem Architektenvertrag heraus. 26. Oktober 2005 16. Dezember 2009 Das erste Element der Glasfassade wird eingesetzt. Die Verträge zwischen der städtischen Realisierungsgesellschaft ReGe und Hochtief werden unterschrieben. Baukosten: 241 Millionen Euro. 28. September 2005 Michael Otto spendet 10 Millionen Euro für die Elbphilharmonie. 6. November 2006 Die Kulturbehörde fordert diverse Planungsänderungen, unter anderem einen 3. Saal, der nach Schätzung von Hochtief zu Mehrkosten in Millionenhöhe führt. 2008 2000 6. Juni 2003 Das Hamburger Abendblatt berichtet erstmals über die Pläne. 26. Juni 2003 Alexander Gérard und Jana Marko stellen ihr Projekt mit Pierre de Meuron im Studio E der Musikhalle der Öffentlichkeit vor. 29. Februar 2004 Die CDU erreicht bei 16. den Bürgerschaftswahlen Dezember 2003 die absolute Mehrheit. Der Senat entscheidet, Bürgermeister Ole von das Projekt ElbphilharBeust ernennt wenig monie weiterzuverfolspäter Karin von Welck gen. Preisprognose: 91 zur Kultursenabis 96 Millionen torin. Euro. 22. April 2005 Die Architekten beziffern die Kosten für den Bau: 196,7 Millionen Euro. 24. Februar 2005 Die europaweite Ausschreibung des Investorenwettbewerbs beginnt. 4. März 2009 Die Bürgerschaft beschließt gegen die Stimmen von SPD und Linke den „Nachtrag 4“ – 200 Millionen Euro mehr Baukosten. 2010 18. Mai 2005 Die ReGe testet mit einem 7er BMW die Eignung des Kaispeichers als Parkhaus, und Chef Hartmut Wegener kommt zu der Er12. Juli kenntnis: „Das geht nicht.“ 2005 Der Speicher muss Der Senat nennt die entkernt werden. Gesamtkosten: 186,7 Millionen Euro. Davon sollen die Steuerzahler 77 Millionen Euro tragen. 6. Juni 2006 Der bisherige Chef des Wiener Konzerthauses, Christoph LiebenSeutter, wird im Hamburger Rathaus zum Intendanten von Elbphilharmonie und Laeiszhalle ernannt. April 2006 Abgabefrist für die Angebote der Bauunternehmen. Das Angebot von Hochtief beläuft sich auf 274 Millionen Euro. 20. Februar 2011 Die SPD erreicht bei der Bürgerschaftswahl die absolute Mehrheit. Olaf Scholz wird Erster Bürgermeister. 16 Jahre von der ersten Idee bis zur feierlichen Eröffnung: die wechselvolle Geschichte der Elbphilharmonie in 60 ausgewählten Daten Der Masterplan HafenCity wird vorgestellt. 15. September 2006 2007 Die Architekten verkünden, dass weder die Baukosten von 186 noch von 196 Millionen Euro zu halten sind. Es sollen nun 228 Millionen Dezember 2007 Euro werden. Bereits ein Dreivierteljahr nach Baubeginn ist der Streit zwischen ReGe 17. September und Hochtief über Mehrfor24. Februar 2008 2008 derungen und BauändeDie CDU verliert bei der Ole von Beust legt rungen entbrannt. Die Bürgerschaftswahl die ReGe-Chef Hartmut ReGe schaltet Anabsolute Mehrheit. Ole von Wegener den Rücktritt wälte ein. Beust bildet erstmals in der nahe. Nachfolger wird Bundesrepublik eine Heribert Leutner. schwarz-grüne Koalition auf Länder19. Juli 2010 ebene. Ole von Beust kündigt nach einem Volksentscheid über die Schul5. Mai 2010 reform seinen Rücktritt Die Bürgerschaft an. Auch Kultursenatosetzt den ersten rin Karin von Welck Parlamentarischen geht. Untersuchungsausschuss ein 19. April 2011 2011 29. August 2012 2. Februar 2012 Ole von Beust sagt im Untersuchungsausschuss aus. April 2013 15. Februar 2014 Der Untersuchungsausschuss legt seinen 724 Seiten starken Abschlussbericht vor. 2. September 2016 Erste technische Probe des NDR Elbphilharmonie Orchesters im Großen Saal. Der zweite parlamentarische Untersuchungsausschuss Elbphilharmonie wird eingesetzt. 5. Juli 2012 Stadt und Hochtief vereinbaren neue Eckpunkte der Zusammenarbeit. Doch die Einigung hat keinen Bestand. 23. November 2012 7. Oktober 2016 Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler stirbt. 19. Juni 2013 Die SPD-Mehrheit in derBürgerschaft stimmt dem Nachtrag 5 zu. CDU, Grüne und Linke stimmen dagegen, die FDP enthält sich. 2014 2015 15. August 2014 Das Dach mit 6000 weißen Pailletten ist dicht. 31. Oktober 2016 Hochtief übergibt das Gebäude offiziell an die Stadt. 23. März 2011 Barbara Kisseler wird Kultursenatorin. 2012 2013 Erstmals nennt die Stadt die vollen Kosten des Bauwerks: 865 Millionen Euro. Davon trägt die Stadt 789 Millionen Der Kartenvorverkauf für die Elbphilharmonie beginnt. 2006 2009 Bürgermeister Olaf Scholz trifft sich erstmals mit dem neuen Hochtief-Chef Marcelino Fernández Verdes. Zwischen beiden stimmt die Chemie, und sie verbindet ein Ziel: Die Elbphilharmonie endlich fertig bauen – das ist die Grundlage für die Neuordnung der Verträge. 20. Juni 2016 2002 2003 Ole von Beust verkündet im Gästehaus des Senats, die Stadt spreche sich für ein Konzerthaus auf dem Kaispeicher A aus. 17. Mai 2004 2001 10 3. Juli 2013 Die Dachkonstruktion wurde erfolgreich abgesenkt. Das 2000 Tonnen schwere Saaldach ruht nun nicht mehr auf sieben Stützpfeilern, sondern auf den Wänden über dem Großen Konzertsaal. Kultursenatorin Barbara Kisseler präsentiert mit Architekten und Baukonzern den Neustart auf der Baustelle. 13. Dezember 2013 15. Dezember 2012 In einer Sondersitzung entscheidet der Senat, mit Hochtief weiterzubauen und die Verträge völlig neu zu ordnen – der Nachtrag 5. Olaf Scholz bekennt, er habe vorher eine schlaflose Nacht gehabt. Die Montage der Weißen Haut im Großen Saal beginnt. Michael Zapf, Andreas Laible, dpa, Marcelo Hernandez Mittwoch, 11. Januar 2017 7. Januar 2013 ReGe-Chef Heribert Leutner tritt zurück. 31. Januar 2014 Das letzte Element der Glasfassade wird angebracht. 12. Januar 2015 2016 2017 Bürgermeister Scholz verkündet den Eröffnungstermin: 11. Januar 2017. 14. Juli 2015 Der letzte Baukran wird abgebaut. 4. November 2016 Hochtief-Chef Marcelino Fernández Verdes und Bürgermeister Scholz eröffnen die Plaza. 11. Januar 2017 Feierliche Eröffnung der Elbphilharmonie. 11 ELBPHILHARMONIE HamburgerAbendblatt Mittwoch, 11. Januar 2017 Der Generalmusikdirektor Die ganze Welt soll die Freude über die fertige Elbphilharmonie mit Hamburg teilen. Das wünscht sich Kent Nagano, der musikalische Leiter der Staatsoper und des Philharmonischen Staatsorchesters nämlich hat als Kultursenatorin in dem, wie und was sie dachte, und vor allem, was sie tat, eine schöpferische Kulturarbeit vertreten und unermüdlich inspiriert, deren Wert sie stets als eine gesellschaftliche und menschenbezogene Kondition erkannt und entsprechend auch in ihrer Praxis als Kulturpolitikerin verfolgt hat. Die Elbphilharmonie ist geboren worden aus dem Willen, der Stadt Hamburg und seinen Traditionen als weltoffener Handelsstadt, aber auch als immer wieder gewichtiges Zentrum bedeutender künstlerischer Leistungen, eine neue, zukunftsbezogene Perspektive zu geben sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bürger zu mobilisieren. Handel und Kultur stehen seit urdenklichen Zeiten in engem Verhältnis zueinander. Und große Handelsstädte zeichnen sich immer dadurch aus, dass sie es zu kulturellen Blütezeiten gebracht haben, dass sie für Offenheit, Begegnung und Austausch stehen und darin eine bedeutende Repräsentanz entfalten. An der besonderen, so ausgesprochen symbolträchtigen Architektur von Hamburgs Elbphilharmonie kommt man nicht vorbei. Sie ist zeichenhafter „Ausdruck“, sie ist markant und vereint in sich kompakte Geschlossenheit mit einer wunderbaren Spiegeltransparenz sowie im Inneren mit einer räumlichen Melodik aus weiten Schwingungen und harmonischem Maß! D KENT NAGANO er Bau ist fertig, das Haus vollendet! Es kann bezogen und bewohnt werden! Ja, es ist wahr! Die Hamburger dürfen sich freuen, und besonders die, denen die Musik am Herzen liegt, die ohne das live erlebte Konzert nicht leben können, weil das Erleben von Musik, von musikalischen Kunstwerken und „großer“ Musik zu ihrem Leben dazugehört – nicht nur einfach so, sondern als etwas, was dem Leben Sinn und Form gibt. Alle Hamburger, alle und auch ihre Gäste aus nah und fern sind herzlich willkommen, an diesem Erleben teilzunehmen und unsere Freude mit uns zu teilen. Dass wir in Hamburg uns freuen dürfen und nun mit Spannung und natürlich hochgestimmten Erwartungen der musikalisch-kulturellen Entwicklung in der Elbmetropole entgegenblicken, ist nicht so selbstverständlich. Baustellen können zur Belastung werden, die schwer auszuhalten sind, die zermürben und oft am Ende nicht nur politischen, sondern auch gesellschaftlichen Sprengstoff in sich bergen. Das gilt insbesondere für solche Prestigeprojekte, die das Mittelmaß an ästhetischer Faszination vorziehen und denen letztlich die wahrhaft künstlerische und gesellschaftsbezogene Inspiration, der perspektivische Entwurf für eine neue gesellschaftlichkulturelle Realität fehlt. Barbara Kisseler war die Ermöglicherin der Kunst Die Elbphilharmonie ist ein Meisterwerk der Fantasie Der Dirigent Kent Nagano auf dem Gelände des Hamburger Hafenmu­ seums: Der Amerikaner ist seit 2015 Hamburger Generalmusikdirektor Roland Magunia Dass es Barbara Kisseler nicht vergönnt ist, das mitzuerleben, ist tief bedauerlich; für das Philharmonische Staatsorchester und mich als dessen Chefdirigenten insbesondere – war sie es doch, die unsere Verbindung gestiftet und mir jenes Vertrauen vermittelt hat, auf dessen Basis eine derart große und verantwortungsvolle Aufgabe wie Oper und Philharmonisches Konzert in Hamburg nur sinnvoll zu erfüllen ist. Dieser besonderen Frau, Barbara Kisseler, sei hier aufrichtig gedankt und gedacht. Sie Mag sein, dass da die demokratischen Verhältnisse eher hemmend als förderlich sind, weil die Sorge um die Mehrheiten des Wählervolks und um deren Stimme für die Politik mehr zählt als das gewagte Besondere, das Ausgefallene, das Zukunftsträchtige und auf kommendes und künftiges Leben Verweisende. Kultur aber, die mehr ist als übertragene Verwaltung, die getragen wird vom Willen und Drang zur Kreativität und zur Gestaltung von Lebensrealitäten, bedeutet immer Wagnis und Mut, Durchsetzung und doch auch zugleich Verantwortung – Verantwortung für ein Leben in Zukunft. Dass die Elbphilharmonie trotz einer ungewollten GeneKent Nagano ralpause, die fast zum Desaster und Spielabbruch geführt Kosmopolit mit Wurzeln hätte, doch dann noch in in Kalifornien, so könnte einem akzeptablen Zeitrahman Kent Naganos Biografie zusam­ men fertiggestellt werden menfassen. Seine Karriere als Dirigent konnte, das ist der Politik begann bescheiden in Boston. Steil bergauf hoch anzurechnen, insbesonging es durch die Zusammenarbeit mit dem dere jener couragierten BarbaKomponisten Olivier Messiaen, die in der ra Kisseler, die als KultursenaAufführung von dessen Oper „Saint Fran­ torin, als Ermöglicherin çois d’Assise“ 1998 bei den Salzburger künstlerischer Initiativen und Festspielen gipfelte. Wenig später wurde zugleich als Vertreterin der Nagano musikalischer Leiter der Oper von Politik sehr schnell bei ihrem Lyon. Es folgten Chefposten in Manchester Amtsantritt vor fünfeinhalb und beim DSO in Berlin. Von 2006 bis 2013 Jahren merkte und in vollem war Nagano, der mit der Pianistin Mari Umfang begriff, was da für Kodama verheiratet ist, Generalmusik­ Hamburg auf dem Spiel stand. direktor der Staatsoper in München. Er Ihrem mutigen Anpacken und ist neben seinem Job in Hamburg auch diplomatischen Geschick ist Music Director beim Orchestre sympho­ es zu danken, dass die Elbphilnique de Montreal und Erster Gastdirigent in harmonie direkt zu Beginn des Göteborg. Seine Gedanken über die Auf­ neuen Jahres 2017 den öffentgaben von Musik hat er in dem Buch „Erwar­ lichen Spielbetrieb aufnehmen ten Sie Wunder!“ festgehalten. (jomi) kann. Dieses „Haus“ lässt uns staunen und fordert Bewunderung. Jeder Schritt und jeder Blick schafft Erlebnisse – bis hinein in die landschaftsähnliche Wunderwelt des Großen Saals. Dort wird bald unser Herz zu schlagen und zu singen beginnen im Zusammenspiel und im übereinstimmenden Klang zwischen uns Musikern und dem Publikum. Die Elbphilharmonie ist ein Meisterwerk aus kreativer und inspirierender Fantasie. Auch wenn sie teuer war, dieser Fantasie wird die Stadt bald nur mehr dankbar sein. Denn sie trägt ein hohes Maß an Verantwortung und an Herausforderung in sich. Ihre Verantwortung – das ist der gesellschaftliche und darin eben der „philharmonische“ Wert dieses Konzerthauses. Die Elbphilharmonie ist ein Statement und ist ein Einspruch gegen eine Zeit, die „aus den Fugen geraten“ ist. Die Elbphilharmonie wird die Menschen zusammenführen und vereinen, indem sie diese lockt und einfängt in die Welt eines gemeinsamen geistigen und sinnlichen Erlebens. Verantwortung bedeutet dieses neue Konzerthaus aber auch darin, dass es an erster Stelle der großen europäischen Musikkultur dienen wird und ein Forum sein will, in dem diese Kultur und ihre Traditionen sich den Bedürfnissen, den Erwartungen und den modernen Forderungen der Besucher stellen müssen; wo, zugespitzt gesagt, die Zukunft und Zukunftsfähigkeit unserer Musikkultur auf dem Prüfstand stehen werden. Darin freilich liegt auch die besondere Herausforderung, die sich mit diesem Konzerthaus verbindet und die uns Musiker letztlich an erster Stelle meint. Wir werden diesem fantastischen Haus gerecht werden, also denen jenes besondere Erlebnisglück schenken müssen, die aus der Besonderheit und sichtlich erkennbaren Einzigartigkeit dieser Elbphilharmonie Hoffnungen und Erwartungen auf besondere musikalische Erlebnisse ableiten. Auch das ist ihr volles Recht. Wir als Musiker, die zukünftig dieses Konzerthaus mit klingendem „Inhalt“ füllen, wissen um diese Aufgabe. Diese Aufgabe ist verpflichtend und anspruchsvoll, sie wird viel Kraft und Energie verlangen; doch sie bedeutet die große Chance, im Verbund mit dem neuen „Haus“ unserer musikalischen Kultur, ihrer Zukunft und ihrer Entwicklung ein „neues Leben“ zu schaffen. ANZEIGE AUCH BEI UNS BRAUCHT BESTES ETWAS LÄNGER ... Die loft Küche ist die moderne Landhausküche für den kochbegeisterten Holzliebhaber. Wir gratulieren ,, ung! ,,Elphi zur Eröffn Denn die Produktionszeit unserer Küchen beträgt 85 Jahre. Die ersten 84 davon finden allerdings im Wald statt. DIE KÜCHENKÖNNER AUS HAMBURG Lübecker Straße 126, 22087 Hamburg, Mo.–Fr. 10–19 Uhr, Sa. 10–17 Uhr, www.hansa-kuechen.de 12 HamburgerAbendblatt ELBPHILHARMONIE Mittwoch, 11. Januar 2017 Die Architekten Für die Schweizer Jacques Herzog und Pierre de Meuron war die Elbphilharmonie, ihr Projekt Nr. 230, eine Herausforderung. Für Hamburg ist sie eine Riesenchance, sagen sie A JOACHIM MISCHKE ls das Thema Elbphilharmonie noch in den Startblöcken stand und nicht klar war, ob, wie, für welchen Endpreis und bis wann das Projekt Wirklichkeit werden könnte, wurde Jacques Herzogs Sohn geboren. Das war 2001. Inzwischen ist er ein Teenager. Das Gebäude wurde am 31. Oktober 2016, nach dramatischen Aufund Abschwüngen, feierlich an die Stadt Hamburg übergeben, und die Plaza entwickelte sich umgehend zu einer Touristenattraktion. Heute, endlich, wird das erste Eröffnungskonzert gespielt. Ein idealer Zeitpunkt, um in einem exklusiven Interview mit den drei wichtigsten Architekten der Elbphilharmonie über vieles der vergangenen 15 Jahre zu sprechen. Jacques Herzog, Pierre de Meuron und Ascan Mergenthaler werfen einen Blick zurück ohne Zorn – aber auch in die kulturelle Zukunft der Stadt und auf andere städtebauliche Möglichkeiten. Hamburger Abendblatt: Was haben Sie von der wechselvollen Geschichte dieses Baus gelernt? Demut? Pierre de Meuron: einen Konzertaal auf dem Kaispeicher zu erstellen, mit Hotel und Wohnungen als Mantelnutzungen. Das hat sich nicht geändert. Dazu kam als weiteres zentrales Element die öffentlich zugängliche Plaza an der Schnittstelle zwischen altem Kaispeicher und dem Neubau. Herzog: Wir haben das vor 15 Jahren konzipiert, heute würde man das nicht mehr so entwerfen. Es ist Zeit vergangen. Die Stimmung in den Städten hat sich gewandelt. Wir leben heute in einer Zeit des Populismus, mit der Schwierigkeit, einer Öffentlichkeit solche großen Kulturprojekte zu verkaufen. Jede Zeit prägt eine Stadt mit Gebäuden. Dieses Gebäude ist jetzt ein Teil des Denkens zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Aufbruch und HafenCity – das macht hier Sinn, und wir stehen voll dahinter. Wenn es „bescheidener“ geworden wäre, wäre es trotzdem teuer geworden. Doch heutzutage geht man Projekte anders an. Vielleicht wäre es gar nie auf den Kaispeicher gesetzt worden, und man hätte einen Saal in den Speicher hineingebaut? Aber das alles ist rein hypothetisch. Was man konkret sagen kann: Architektur ist Ausdruck einer Zeit und reflektiert den Geist einer Stadt in einem gewissen Moment. Die Elbphilharmonie wird Hamburg prägen, über Jahrhunderte vielleicht. Der Hamburger an sich hat es ja gern konkret und verbindlich, also: Was wird die Stadt konkret von der Elbphilharmonie haben? De Meuron: Das Gebäude steht in der Mitte, zwischen der Nord- und der Südstadt. So nahe beim Hafengeschehen kann man nirgendwo sonst sein. Was Hamburg wirtschaftlich ausmacht, ist hier direkt erlebbar. Die Elbphilharmonie soll zu einem öffentlichen Anziehungspunkt werden, ein urbaner Ort für Kulturinteressierte, Musikliebhaber, Geschäftsleute, Die Touristen. Elbphilharmonie Schwierig, dafür nur ein Die Erwartungen und der Wort zu finden. Geduld? Hype waren seit der Plazaöffnet die Tür, Durchhaltevermögen? Eröffnung immens, man damit Hamburg Jacques Herzog: Hochkönnte glauben, das Gemut wäre eh nicht angebäude, dem Sie die Opusans Wasser messen in unserem Bezahl 230 gaben, kann übers kommt ruf und ist auch sonst Wasser der Elbe wandeln nicht zu empfehlen, wie und die Stadt von jetzt auf wir wissen. Nein, die Jacques Herzog, gleich in eine WeltmetropoLehren sind ganz andeElbphilharmonie­Architekt le verwandeln. rer Natur. ArchitekturDe Meuron: Diese Erwarprojekte dieser Größentung hatten wir nie, sie ordnung werden immer komplexer, und war nie ein Teil des Programms. Die Elbdeshalb ist eine klare Ordnung der Verphilharmonie ist ein Konzerthaus mit trags- und Organisationsstrukturen hoher öffentlicher Attraktivität, und sie noch wichtiger, als sie es früher schon steht an der richtigen Stelle. war. Sie werden nach diesem Ihrem Projekt 230 Die Fehler sind verjährt, und die Aufgabenbestimmt den einen oder anderen Auftrag Neuordnung im Jahr 2013 ist bereits bekommen – oder nicht bekommen – haben, Geschichte, jetzt können Sie es ja sagen: Ab weil ihre Hamburger Philharmonie-Passion welchem Punkt haben Sie gemerkt, dass auf an der Elbe so hohe Wellen der Empörung dieser Baustelle etwas mächtig schieflaufen geschlagen hat. wird? De Meuron: So direkt habe ich das nie De Meuron: Das war eher ein schleierfahren. Wir haben immer proaktiv chender, recht früh einsetzender Prodarüber informiert, was in Hamburg los zess: Als die Verträge unterschrieben war. wurden, und als klar wurde, dass ausgeschrieben werden soll. Damals haben wir In einem „Spiegel“-Interview haben Sie mündlich und Gott sei Dank auch gesagt, dass Sie Architektur nicht als Exzess schriftlich mitgeteilt: Das kann so nicht verstehen. Steht man vor der Elbphilharmogut gehen. nie, muss man sich gedanklich schon sehr verrenken, um sie nicht als wuchtig und Alexander Gérard, einer der Initiatoren, hat mächtig, ja: übermächtig zu empfinden. Wie berichtet, dass deren erstes Elbphilharmogeht das mit Ihrer Ansage zusammen? nie-Konzept „sehr viel einfacher und karHerzog: Exzess und Größe sind doch ger“ gewesen sei. Ist es letztlich gut, dass es nicht das Gleiche! Exzess lehnen wir ab, weniger einfach und weniger karg kam? aber die große Dimension der ArchitekDe Meuron: Ich sehe es nicht so, dass es tur scheint uns hier richtig, weil sie sich karger oder üppiger oder wie auch imzu einem großen Raum hin öffnet, und mer geriet. Es ist so geworden, wie es die neue HafenCity ist nun mal ein andewerden musste. Die Vorgaben waren: rer Raum als die Alster. Das mit dem Exzess wiederum meinte etwas anderes. Das Projekt war eine politische Entscheidung, und wir haben sie umgesetzt. Zwei Schweizer mit Elbblick: die Im Konkreten haben wir nirgendwo rieArchitekten Pierre de Meuron (l.) sige Maßstäbe angewendet, bei denen und Jacques Herzog aus Basel auf der Einzelne klein wirken müsste. Es einem Elbphilharmonie­Balkon gibt auch sehr intime Raumfolgen. Es ist Marcelo Hernandez wechselhaft, und das ist entscheidend. Beim Begriff „Exzess“ geht es aber um die Frage: Wie eklektisch, wie versponnen, wie wahnsinnig soll Architektur noch sein? Neue Architektur in den Golfstaaten ist oft so, und das hat uns nie interessiert. Natürlich sind unsere Gebäude auch ikonisch, dort, wo sie Sinn machen. Das Stadion in Peking ist spektakulär und wurde so zu einem wichtigen, identitätsstiftenden Bestandteil der Stadt. Auch dort war es uns wichtig, etwas zu machen, das die Leute gern haben und es auch später gern benutzen, und das nicht bloß als Logo für ein kurzes Sportevent taugt. Das ist doch die Kernfrage: Funktioniert eine Architektur mit den Menschen, oder ist sie nur ein Monument für das Ego eines Architekten? Architektur, die von den Menschen nicht akzeptiert ist, wird meistens über kurz oder lang weggeputzt, quasi wie faule Zähne in einem Gebiss. „Architektenprügeln ist Volkssport, das hilft, die übrigen Verantwortlichen zu entlasten“, schrieb der „Tagesanzeiger“ aus Zürich. Wie nah ist Ihnen persönlich das Hauen und Stechen beim Hamburger Baustellen-Elend der finsteren Jahre gegangen? De Meuron: Wenn man so etwas persönlich nimmt, geht man zugrunde. Es ging immer um das Gebäude, weil wir davon überzeugt waren, haben wir es mit allen Mitteln zum Gelingen gebracht und mit der größtmöglichen Überzeugung. Erwarteten Sie dafür persönlichen Dank von der Stadt oder ist das in der letzten Rate eingepreist? De Meuron: Der größte Dank ist es, wenn das Gebäude sein eigenes Leben aufnimmt, wenn es funktioniert. Dann erst ist unser Job beendet. Gibt es für Sie Lieblingsstellen in der Elbphilharmonie? Herzog: Es ist zunächst – wenn ein Bau noch frisch, kaum fertig ist – eher umgekehrt: Man sieht leider eher das Schlechte als das Gute. Das, was nicht passt, sticht dem Architekten, der ja Autor ist, regelrecht ins Auge. Hier gab es aber weniges, das uns nicht passte, auch wenn wir es eben zum ersten Mal ohne Gerüst sahen. Das Foyer hatten wir noch nie so gesehen wie am Tag der Plaza-Eröffnung, komplett ausgerüstet, das war ein tolles Erlebnis. Wer bei Ihnen etwas bestellt, möchte praktisch automatisch, auch wenn es so forsch vielleicht nicht immer gesagt wird, bitte auch gleich ein Wahrzeichen. Ist dieser Zwang zur Wahrzeichenlieferung Fluch oder Segen? Sie können nicht mehr einfach nur einen Supermarkt auf die grüne Wiese stellen, alles wird sofort durchdebattiert. Herzog: Stimmt, aber manches, was wir machen, sieht offenbar aus wie ein Supermarkt ... ... Wie die neue Nationalgalerie für Berlin, deren Entwurf man sofort eine plumpe Scheunenhaftigkeit vorwarf ... Herzog: ... das waren vielleicht kritisch gemeinte Kommentare – aber in Wirklichkeit ist es gar nicht so falsch, unseren Berliner Entwurf mit einer Scheune oder einem Hangar, einem Bahnhof oder einem Tempel zu assoziieren. Wir selbst möchten ja, dass ein Museum des 20. und 21. Jahrhunderts Vielfalt, Flexibilität und Offenheit ausdrückt und dass Kunst von den Menschen wahrgenommen wird als etwas, das für alle zugänglich ist und Teil ihres Alltags wird. Und nicht nur für die besinnliche Stunde am Sonntagmorgen. Gerade für Hamburg kann man sich lebhaft vorstellen, dass erst ein Architektenbüro von außerhalb kommen musste, weil hiesige Architekten viel zu nahe am Charakter der Stadt gewesen wären. Für Sie als Schweizer endet die Stadt nicht am Nordufer der Elbe. Herzog: Ein Blick von außen ist immer gut, aber die konkrete Alltagswirklichkeit ist entscheidend, und da sieht man doch, dass Hamburg den eigentlichen Schritt zur Elbe ja noch gar nicht ELBPHILHARMONIE Mittwoch, 11. Januar 2017 gemacht hat. Es gibt immer noch diese autobahnähnliche Straße bei den Landungsbrücken, die die Stadt vom Wasser trennt. Da fehlen Wohnhäuser, Geschäfte, urbanes Alltagsleben. Das sollte näher zur Elbe. Erst dann wird dieser Teil der Stadt belebt und auch in Beschlag genommen. Dann wird auch der Sockel der Elbphilharmonie auf dem Stadtboden zu stehen kommen. Jetzt steht er quasi noch halb im Wasser, und obendrauf spielt sich das Leben der Stadt ab. Wenn das einmal soweit ist, wird das Leben der Stadt auch auf dem Boden bunter sein. Das Projekt Elbphilharmonie öffnet die Tür, damit Hamburg ans Wasser kommt. Mir wurde nie so sehr bewusst wie am Tag der PlazaEröffnung, dass Hamburg noch gar nicht ans Wasser gebaut ist und dass Hamburg diese städtebauliche Transformation erst bevorsteht. Die HafenCity reicht dazu nicht aus. Die „alte“ Stadt daneben, der Anstieg hinauf zur Reeperbahn und damit dieser ganze Stadtteil ist vom Wasser getrennt! Hier schlummert ein großes städtebauliches Potenzial, Hamburg mit der Elbe zu verbinden. Mit dem Londoner Museum Tate Modern und dem vor einigen Monaten eröffneten Erweiterungsbau haben Sie am Ufer der Themse erlebt, was mit einer Stadt passieren kann, wenn Sie etwas Außergewöhnliches einbringen. Welches Potenzial an Selbsterkenntnis und Selbstveränderung steckt in der Elbphilharmonie? Herzog: London ist London. Die Stadt zieht Investoren aus der ganzen Welt an. Das geht beinahe wie von selbst. In Hamburg wird der urbane Transformationsprozess durch die Elbphilharmonie sicher beschleunigt. Es ist auch politisch smart, dass die HafenCity als Quartier ein kulturelles Highlight bekommt. Das ist der große Nutzen des Projekts, Architektur hin oder hier. Das ist Alexander Gérards Verdienst, dem solltet ihr ein Denkmal bauen. Würden Sie in Hamburg ein zweites Mal bauen wollen? Genügt ein Gebäude von Ihnen pro Stadt? London, Hongkong, New York – es gibt etliche Metropolen, die mehrere HdM-Projekte haben. Herzog: Hamburg ist eine sehr schöne Stadt. Vielleicht ergibt sich ja wieder einmal eine Gelegenheit, hierher zurückzukommen. Sie haben so etwas wie eine ästhetische Splitterbombe in den hiesigen Stadtplan geworfen. Nun könnten Sie sich entspannt aus der Entfernung ansehen, wie die Folgen aussehen. De Meuron: Ich hätte mit einem zweiten Projekt in Hamburg überhaupt kein Problem. Ich glaube, wir sind dann – um den Begriff von vorhin aufzugreifen – wieder demütig genug, um zu begreifen, was das Gebäude auslöst und in Zukunft sein wird. Es gibt nie nur eine Antwort im Leben. Es könnte also auch das totale Gegenteil sein, etwas fast Unsichtbares. Ist die Elbphilharmonie wert, was sie gekostet hat? De Meuron: Der „Wert“ der Elbphilharmonie wird erst in Zukunft abschätzbar sein – als Ort der Kultur, als Ort der Architektur, als Aufenthaltsort für die Bevölkerung und als touristischer Magnet für die Stadt Hamburg. Erst dann kann das Projekt als vollendet betrachtet werden. Selbstverständlich waren die Kostensteigerungen der Vergangenheit schmerzhaft für alle und das Projekt stand auf der Kippe. Aber die Elbphilharmonie hat allen Schwierigkeiten getrotzt – das allein ist sehr positiv. Gleich Ihr erstes Konzerthaus und dann diese Historie. Jetzt lassen sie bis auf weiteres die Finger von diesem Genre, weil der nächste Saal nur schlechter werden kann? Herzog: Wir sind gerade daran, ein neues Konzerthaus zu planen... Für München, wo man seit Jahren nicht vorankommt mit dem Wunsch? HamburgerAbendblatt Miami heiß: Beim Parkhaus 1111 Lincoln Road haben die Architekten von Herzog & de Meuron komplett auf Außenmauern verzichtet. Teil des Konzepts sind auch Geschäfte und Restaurants Die Allianz Arena in München leuchtet je nach Spiel in unterschiedlichen Farben. Als FußballFans haben sich die ElbphilharmonieErbauer von der Zuschauernähe dort für den Konzertsaal in Hamburg inspirieren lassen Hufton & Crow and MBEACH1, LLLP Allianz Arena München Stadion GmbH Herzog: München ist ein öffentlicher Wettbewerb. Wir werden daran teilnehmen. Jedes Projekt ist anders: anderer Ort, andere Zeit, andere Bauherrschaft. Man darf also mehr als nur einen Konzertsaal bauen in seinem Architektenleben! Wir haben ja auch mehrere Fußball- stadien gemacht. Die Allianz Arena in München war ein tolles Projekt und wurde von Fans und Vereinen sehr gut angenommen, aber auch in Bordeaux und Basel entstanden neue Stadien, welche in ihren Städten zu wichtigen öffentlichen Orten wurden. Jetzt in Chelsea sind die Voraussetzungen wieder ganz anders. Das reizt uns sehr, dafür arbeiten wir. Wann war Ihnen bewusst, dass dieses Projekt Nummer 230 in Ihrem an Spezialitäten nicht armen Werkkatalog etwas ganz Spezielles wird, eben kein Schwarzbrot, eben kein Durchschnitt? Die Initiatoren Jana Marko und Alexander Gérard hatten die Idee für die Elbphilharmonie. 2004 wurden sie von der Stadt aus den Verträgen herausgekauft D as Elbphilharmonie-PrototypModell von damals haben sie natürlich noch, und natürlich geben Jana Marko und Alexander Gérard es nicht her. Denn obwohl diese Miniaturausgabe – genau so groß, dass sie maßstabsgetreu am Ende des Kaiserkais in das HafenCity-Stadtmodell im Kesselhaus in der Speicherstadt passen würde – nur eine feine Bastelarbeit aus Holz und Kunststoff ist, ist sie gleichzeitig auch das erste Dokument für die Zeitgeschichte, das sagt: Wir waren das, niemand sonst. Die Idee hatten wir. Das kann uns niemand nehmen. Im Kesselhaus durften die beiden am 26. Juni 2003 ihre Vision eines Konzertsaal-Gebäudes oberhalb vom Kaispeicher A nicht präsentieren, also fand die erste öffentliche Erklärung einer Idee namens Elbphilharmonie im unscheinbaren Studio E der Laeiszhalle statt. Im Souterrain des Konzerthauses, wie ein Kellerkind. Doch von da an ging’s voran und steil bergauf. Die Kunsthistorikerin und der Projektentwickler finden in der langen und wechselvollen Vita der Elbphilharmonie unter der Bezeichnung „die Initiatoren“ statt. Sie waren es, die den guten Draht zu den Basler Weltklasse-Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron hatten, weil Gérard sie noch vom Architekturstudium her kannte. Sie waren es auch, die als „emotionale Hausierer“ (Marko) in der Anfangsphase jahrelang erst diskret hinter, dann nachdrücklich vor den Kulissen für ihr Konzept warben, dem die Basler mit der genialen Idee einer gläsernen DiademWelle hoch über den Wellen der Elbe eine ebenso provokante wie griffige Form gaben. Und: „Das Glück war auf unserer Seite“, erinnerte sich Marko. Die Idee begann zu fliegen, trotz oder eher auch gerade wegen des anfänglichen Gegenwinds aus vielen Richtungen. Das Initiatoren-Paar hatte für sich beschlossen, dass der Stadt für die Entwicklung in Richtung Hafen „etwas Wesentliches fehlte – ein kulturelles und soziales Zeichen, um einen Stadtteil entweder zu entwickeln oder ihn an die Stadt heranzuführen“. Die Debatte um die Nutzung – oder besser: Nichtnutzung des historischen Kaispeichers A an einer zentralen Adresse ärgerte sie, erinnert sich Gérard, „dagegen wollten wir etwas unternehmen“. Marko und Gérard wollten kein Wahrzeichen um seiner selbst willen bauen, um lediglich den WahrzeichenFundus der Hansestadt aufzufüllen. Sie wollten vor allem eine kulturpolitische Misere beenden. Denn keine andere Stadt der Größe Hamburgs hat nur einen einzigen Konzertsaal, in dem sich alles ballte und gleichzeitig auch nichts zur programmatischen Profilierung passierte, weil es der damaligen Kulturpolitik hier offenkundig wurst war. Denn sonst hätte sie ja in die Laeiszhalle als Spielstätte investiert und sie nicht nur ver- Die Elbphilharmonie­Initiatoren Alexan­ der Gérard und Jana Marko Roland Magunia Herzog: Der Entstehungsprozess war schon einmalig: Gérards unerwarteter Besuch in Basel, die spontanen, frühen Ideen für eine Architektur auf dem Kaispeicher, die Computer-Animation, die von den Medien gehypt wurde, die Energie der Leute, die den Entwurf realisieren wollten.... Ascan Mergenthaler: Ihre Titelseite, im Hamburger Abendblatt – „Wir wollen sie“. Das war wirklich unglaublich. Das erwähnen wir bei jedem Vortrag. De Meuron: In seiner Dramatik ist dieses Projekt unglaublich, mit keinem anderen vergleichbar. Es ist ewig her, dass Architektur in der Stadt derartige Debatten ausgelöst hat, und derartige Emotionen. In der Frühphase wurden die Kosten der Elbphilharmonie von ihren Kritikern in Kita-Plätze umgerechnet, heute in Flüchtlingsunterkünfte. Wie gehen walten lassen. Nicht alle Aspekte des ursprünglichen Konzepts schafften es letztlich bis in die Wirklichkeit. Die reale Elbphilharmonie mit ihren vielen unterschiedlichen Bereichen und Nutzungen ist noch voller, noch komplexer und weniger karg als zunächst entworfen. Markos Idee einer kleinen kreativen Handelsfreizone im Inneren des Kallmorgen-Quaders („eine Art geistige Hafenarbeiter-Kantine“) wurde im Lauf der Jahre weggeplant. Der Abschied aus dem Projekt war hart, nicht ganz freiwillig und durchaus schmerzhaft: Im November 2004 unterschrieben Gérard und Marko die Übertragungsvereinbarung. Die Stadt übernahm den Vertrag mit Herzog & de Meuron. In den Jahren danach komplizierte sich praktisch alles. Insbesondere dank einer verhängnisvollen Vertragskonstruktion und unzureichender Planungstiefe explodierten die Kosten, und die Fertigstellung verzögerte sich mehrmals. Und Gérard und Marko waren draußen vor und erlebten alles mit, wie einen dieser tragisch schlimmen Unfälle, bei denen man unwillkürlich nicht wegsehen kann, obwohl man weiß, dass es einem ganz und gar nicht guttut. „Jedes Mal, wenn wir in der HafenCity waren oder von der Elbphilharmonie hörten“, sagte Marko über diese Zeit, „waren wir wieder mittendrin.“ Die vergangenen 13 Jahre seien auch „ein Abschied auf Raten gewesen. Irgendwann im Laufe dieser Jahre ist das Gefühl gekippt, und aus dem Abschied ist ein Willkommen geworden“, erklärte sie rückblickend. Jana Marko: „Wir freuen uns einfach, dass dieses überwältigende Gebäude jetzt da ist. Jemand Berufeneres als wir hat einmal gesagt: Wenn man etwas gegen die Elbphilharmonie hat, sollte man tunlichst nicht hineingehen. Nach wie vor, auch jenseits aller finanziellen Katastrophen, ist sie etwas, das Hamburg braucht. Jetzt sind andere dafür da, dieses Gebäude mit dem Inhalt zu füllen, der dazu führen möge, dass Hamburg tatsächlich die Musikstadt wird, als die sie sich neuerdings sieht.“ (jomi) 13 Sie damit um, mit sozialen Themen in einen Topf geworfen zu werden und sich rechtfertigen zu müssen? Mergenthaler: Beides ist total wichtig für eine Stadt. Eine Stadt funktioniert nur mit Kitas, sozialem Wohnungsbau und Flüchtlingseinrichtungen, aber die öffentlichen kulturellen Gebäude für jedermann gehören ebenso dazu. Eine Stadt ist ein Organismus von all dem zusammen. De Meuron: Es ist heute sogar schwierig, Wohnungsbau für Mittelstand zu einem architektonischen Thema zu machen. Nach dem Krieg war das umgekehrt. Die großen Wohnungsbauprojekte waren Schauplätze der Architektur. Mergenthaler: Ein Projekt wie die Elbphilharmonie hat viel gekostet, generiert aber auch extrem hohe Einnahmen für die Stadt. Dieses Geld kann sie dann ja auch wieder investieren. Haben Sie einen ästhetisch-pädagogischen Ansatz? Soll und kann Architektur eine Stadtgemeinschaft zum Besseren verändern? Herzog: Gute Architektur ist schöner als nicht gute. So einfach ist das eigentlich. Kunst schaut man an oder nicht, Architektur steht einem in der Stadt quasi im Weg. Ein schöner Ort spricht Menschen eher an, als einer, der nicht einladend ist oder sonstige Mängel hat. Solche „hässlichen“ Orte werden eher vernachlässigt und vandalisiert. Wir engagieren uns sehr dafür, Architektur zugänglich und öffentlich zu machen. Das tönt vielleicht selbstverständlich, ist aber der schwierigste Teil eines Entwurfs. Und jetzt erkennt man dank Ihres Entwurfs der Elbhpilharmonie noch deutlicher, wie der Rest der HafenCity aussieht. Herzog: Wichtig ist, dass der Transformationsprozess weiter gedacht wird und das angrenzende Stadtgebiet eingebunden wird und wirklich bis zum Wasser reicht. Heute empfinde ich die HafenCity noch als abgegrenzt vom Rest der Stadt. Die Elbphilharmonie kann dies ändern, wie ein Magnet wirken. Große Kulturprojekte sollten eine Stadt öffentlicher machen, zugänglicher für alle... De Meuron: ... und lebendiger. Man muss der Stadt aber auch Zeit geben. Es ist bei Neubauten solcher Quartiere wie der HafenCity noch nie passiert, dass die von Tag ein an funktioniert haben. Wie werden Sie sich wohl heute Abend fühlen, am Abend des ersten Konzerts im Großen Saal der Elbphilharmonie? De Meuron: Sicher ganz gespannt. Ich möchte die Musik dort im Saal hören. Was empfinde ich dabei? Und was empfinden die Menschen um mich herum? Was haben Sie gedacht, als Sie erfuhren, dass ausgerechnet die „Einstürzenden Neubauten“ wenige Tage nach der Einweihung hier auftreten? De Meuron: Das ist gut. Auch für so etwas ist dieser Saal ja vorgesehen. Der Architekt Ascan Mergenthaler bei der feierlichen Übergabe der Plaza am 4. November 2016. Er ist Partner bei Herzog & de Meuron Marcelo Hernandez 14 ELBPHILHARMONIE HamburgerAbendblatt Mittwoch, 11. Januar 2017 Ein entscheidender Moment: Der japanische Akustik­Guru Yasuhisa Toyota besichtigt „seine“ Weiße Haut im Großen Saal der Elbphilharmonie Bertold Fabricius Die Ingenieure von Hochtief und der weltberühmte Akustiker Yasuhisa Toyota schufen etwas Einzigartiges. Fast jedes Detail in der Elbphilharmonie ist ein Unikat D JAN HAARMEYER as Ritual wiederholte sich, unbemerkt von der Öffentlichkeit, in regelmäßigen Abständen. Yasuhisa Toyota, der Mann, der die Elbphilharmonie zu einem weltweiten Klangwunder machen soll, inspizierte höchstpersönlich alle paar Monate vor Ort die baulichen Fortschritte in „seinem“ Großen Saal. Und die ausführenden Ingenieure vom Baukonzern Hochtief harrten dann jedes Mal voller Spannung aus: Ist auch alles so umgesetzt worden, wie vom weltberühmten japanischen Akustiker gewünscht und in Auftrag gegeben? Oder muss wieder nachgebessert werden, weil der Klang-Meister noch nicht zufrieden ist? Geht der Daumen hoch oder runter? Der Große Saal ist das Herzstück der Elbphilharmonie. Ein Bauwerk, in dem es im Grunde nichts gibt, was aus dem Produktkatalog eines Herstellers kommt. Anders gesagt: Alles schon Dagewesene ist diesem Gebäude völlig fremd. Rechte Winkel? Serienfertigung? Standardlösungen? Fehlanzeige! Nahezu jedes Detail musste in mühevoller Zusammenarbeit zwischen Architekten und Ingenieuren völlig neu entwickelt werden. Hochtief-Projektleiter Dirk Rehaag hat mit seinem Team in elf Jahren Einzigartiges erbaut. Vieles bleibt unsichtbar. Wie die kilometerlangen Lüftungskanäle, die sich hinter den komplexen Metallgerüsten, an dem die Wandelemente im Großen Saal befestigt sind, so millimetergenau winden und verzweigen, dass sie unter jedem der 2100 Sitze Frischluft spenden. Oder die gesamte Technik mit Elektrik, Heizung, Belüftung und Entrauchung über dem Saaldach mit einem Gesamtgewicht von 8000 Tonnen – was dem Startgewicht von 14 Airbus A 380 entspricht. Anderes ist aus allen Himmelsrichtungen sichtbar. Eine kolossale Dachkonstruktion mit rund 6000 betretbaren Aluminium-Pailletten, die das 200.000 Tonnen schwere Gebäude mit ihrer Wellenform schon aus kilometerweiter Entfernung sozusagen zum Schwingen bringt. Oder die gläserne Fassade mit rund 1100 Glaselementen aus etwa 2200 planen und gebogenen Scheiben. Wieder anderes begreift der Besucher im Wortsinn erst bei hautnaher Betrachtung. Wie den 12.500 Tonnen schweren aufgehängten Konzertsaal für 2100 Besucher, der auf 362 gewaltigen Stahlfedern ruht und damit vom restlichen Gebäude akustisch komplett entkoppelt ist. In dem kein Zuhörer weiter als 30 Meter vom Dirigenten entfernt sitzt, und jeder das gleiche Klangerlebnis genießt, weil 10.000 individuell gefräste Gipsfaserplatten mit insgesamt 999.987 ungleichen Wellentälern den Schall gezielt in alle Winkel streuen. Die leichtesten Platten wiegen 30, die schwersten 125 Kilogramm. Als bei einer Begehung Yasuhisa Toyota mit den Klängen noch nicht zufrieden gewesen ist, weil die geplanten Dichtbänder zwischen den Gipselementen für die optimale Schallreflexion nicht ausreichten, hat Hochtief-Ingenieur Werner Kuhn in tagelanger Tüftelei eine Spritztechnik erfunden, mit der die Wand- und Deckenelemente neu verfugt wurden. Sodass sich nun der Schall in 40.000 Kubikmeter Raumvolumen ideal verteilt. All das wurde erstmals komplett geplant in 3-D-Modellen. Ohne dieses virtuelle Planen, bei dem mehrere Tausend Konflikte gefunden und gelöst wurden, Die Besonderheiten bevor sie in der Praxis zum Problem werden konnten, hätte die Elbphilharmonie nie gebaut werden können, sagt Hochtief-Geschäftsführer Dirk Schaper, Experte für virtuelles Bauen. „Dieses Projekt hat alles Bisherige übertroffen“, sagt Dirk Rehaag. „Technische Herausforderungen, Komplexität des Gebäudes, öffentliches Interesse, Professionalität der Beteiligten. Wir haben in Planung und Bau die Grenzen des Machbaren neu definiert.“ Schon der Start ins Gebäude garantiert ein einzigartiges Erlebnis. Die Bogenrolltreppen der Elbphilharmonie sind weltweit einmalig in Form und Technik. Sie sind mit 82 Metern die längsten Anlagen Westeuropas. Seit Anfang November 2016 befördern sie das Publikum durch eine Röhre, die Tube, zur Plaza in 37 Metern Höhe hinauf. Weil ihre Neigung von 26,5 Grad zu Beginn auf acht Grad am Ende hin abnimmt, können die Besucher während der Fahrt nicht von einem zum anderen Ende sediese Plazarolltreppen nur mit 17,25 hen – ganz gleich, ob sie nach vorne oder Grad geneigt. Das macht auch sie zur zurückschauen. Heller Putz, 7900 irisieSonderkonstruktion: Führungen, Balustrende Glaspailletten, die je nach Perraden und Sockel mussten speziell angespektive in anderen Farben erscheinen, fertigt werden. und die Lichteinfälle von den Enden her Die Plaza ist der zentrale Platz der setzen die Tube in Szene. Oben bietet Elbphilharmonie: Sie ist Aussichtsplattsich durch ein riesiges Panorama-Fensform und zugleich Verteilerebene, von ter ein faszinierender Blick auf Hamder aus man die Konzertsäle, das Hotel burg, den Hafen und die Wohnunund die Elbe. gen, aber auch die Von der ZwiRestaurants, Cafés schenebene führt und den Shop erein weiteres Rollreicht. treppenpaar (LänBereits 2007 ge 21,10 Meter, hatte die Firma Förderhöhe 4,32 Kone, nachdem Meter) die Besusich ein Wettbecher durch eine werber zurückgezweite Röhre, die zogen hatte, den kleine Tube, bis Auftrag für den fast zur Plaza. Hochtief­Projektleiter Dirk Rehaag: Bau der BogenrollStatt mit den übli„Dieses Projekt hat alles Bisherige treppen bekomchen 30 Grad sind übertroffen“ Andreas Laible men. Ein Team unter Leitung von Heiner Zeiger entwarf innerhalb eines knappen Jahres die Anlagen, die weltweit ohne Vorbild sind. Vor der Installation wurde ein 1:1-Modell erstellt, um Konstruktionsdetails auf ihre Praxistauglichkeit hin zu klären. Für die Rolltreppen wurde eine notwendige Gesamtleistung von 60 Kilowatt errechnet – das 7,5-Fache einer typischen „Kaufhausrolltreppe“. Es gibt nicht wie sonst üblich einen Antrieb, sondern vier. Bereits im Normalbetrieb muss jede Anlage enorme Lasten bewältigen: Steht auf jeder der knapp 200 Stufen ein Erwachsener, bewegen die Antriebe 15 Tonnen. Ausgelegt wurde die Anlage jedoch für 120 Kilogramm pro Stufe, also 23 Tonnen Gesamtlast. Die Anlagen laufen mit 0,5 Meter pro Sekunde im Tagbetrieb und mit 0,63 Meter pro Sekunde nach Konzertende, wenn die Besucher zügig nach Hause wollen. Dann werden beide Rolltreppenpaare abwärts geschaltet. Die Rolltreppe in der Röhre, die sogenannte Tube, ist mit 82 Metern die längste Westeuropas – und weltweit die einzige in Bogenform Von den rund 2200 Glasscheiben wurden 595 bei 600 Grad Celsius gebogen. Das Isolierglas hat eine Wärmeschutzbeschichtung und ein Punktmuster Marcelo Hernandez dpa/Marcus Brandt Thomas Möller, ehemaliger Hochtief-Chef Norddeutschland, hat das Projekt achteinhalb Jahre gelenkt. Schon der Beginn, sagt er, habe alles in den Schatten gestellt. Anderthalb Jahre dauerte es, ein schlagkräftiges Konsortium aus völlig unterschiedlichen Firmen zusammenzustellen. Man braucht Hunderte von hochkarätigen Ingenieuren, die sich in der Lage sahen, sämtliche Architekten-Ideen umzusetzen. Und seien sie auch noch so verwegen. Gläserne Fassade, gebogene Rolltreppe, stählerne Federpakete, Weiße Haut – wer kann das liefern, und vor allem zu welchem Preis? „Es klingt banal“, sagt Möller, „aber am Abgabetag bestand die größte Sorge tatsächlich darin, das Angebot rechtzeitig zur städtischen ReGe nach Harburg zu bringen.“ Groß war die Erleichterung, dass sie es am 15. September 2006 pünktlich bis zwölf Uhr mittags geschafft haben. Zur Sicherheit hatte Hochtief zwei Autos auf unterschiedlichen Wegen, jeweils bepackt mit fünf Aktenordnern, von Bramfeld nach Harburg geschickt. Genauso groß aber war das Aufatmen bei der Stadt – denn es gab kein weiteres Angebot. Kein anderes Unternehmen sah sich in der Lage, den Architekten-Traum an der Elbe Wirklichkeit werden zu lassen. Am Ende, als aus dem kühnen Versprechen wirklich eine grandiose Klangwelt geworden ist, konnte auch ein zufriedener Yasuhisa Toyota lächelnd einen Daumen nach oben heben. Es war der 2. September 2016, ein Freitagmorgen um 10 Uhr, als der erste Ton im Großen Saal erklang. Die 1. Sinfonie von Johannes Brahms, c-Moll, fast 140 Jahre nach der Uraufführung in Karlsruhe. „Ein unglaublicher Moment, wir wussten mit dem ersten Paukenschlag: Das wird fantastisch“, hat NDR-Chefdirigent Thomas Hengelbrock hinterher gesagt. Die Weiße Haut hatte alle Erwartungen übertroffen. Am Schluss, sagt Hengelbrock, seien jedem im Raum die Tränen gekommen. „Wirklich jedem.“ Mittwoch, 11. Januar 2017 Ole von Beust und die Elbphilharmonie, das sind zwei Geschichten: Als Bürgermeister hat er den Bau angeschoben, aber die Probleme nicht in den Griff bekommen. Eine Rückkehr an den „Tatort“ H ANDREAS DEY ELBPHILHARMONIE HamburgerAbendblatt 15 Der Wegbereiter allo, Herr von Beust, schön Sie zu sehen!“ Es ist das x-te Mal, dass Ole von Beust auf seinem Rundgang durch die Elbphilharmonie angesprochen wird. Dieses Mal sind es zwei ältere Damen, die gerade den milden Herbst auf der Plaza genießen wollen, als sie plötzlich dem früheren Bürgermeister gegenüberstehen. „Und, Sie sind stolz, nicht?“, fragt die eine. „Ach, stolz ist vielleicht das falsche Wort ...“, setzt von Beust zu einer Antwort an. Da fährt ihm die Dame ins Wort: „Aber Sie haben es angefangen!“ Gestik und Mimik ergänzen eindeutig: Und das war gut so! So geht das die ganze Zeit. Von Beust wird erkannt, die Menschen zücken ihre Handys und Kameras, sie grüßen freundlich. „Da kommt der Bauherr“, ruft fröhlich ein Zauselbart aus einer vierköpfigen Männergruppe, die auf der Außenplaza den Blick über die Elbe genießt. „Toll geworden“, meint ein anderer anerkennend. Von Beust hält sich eine Hand vor den Mund und raunt: „War ja auch teuer genug.“ Darauf der Zauselbart: „Na, da sprechen Sie ein Thema an ...“ Gelächter. Damit ist doch alles gesagt. „Schönen Tag noch.“ Ole von Beust und die Elbphilharmonie, das ist eine Geschichte für sich. Das heißt, eigentlich sind es zwei Geschichten. „Ich hatte die Verantwortung, im Guten wie im Schlechten“, hat der 61Jährige beide Seiten der Medaille mal in einem Satz zusammengefasst. Aber bei seinem Rundgang über die Plaza wird der Mann, der Hamburg von 2001 bis 2010 regiert hatte, fast nur auf den erOle von Beust auf der Plaza der Elbphilharmonie. Für das Abendblatt ist er mehr als sechs Jahre nach seinem Rücktritt vom Amt des Ersten Bürgermeisters erstmals in das Gebäude zurückgekehrt freulicheren Teil der Geschichte angesprochen. Es war Ole von Beust, der 2003 die Chance erkannte, die sich da Um 12 Uhr hat die Schranke ein Einden Bau gelegt, sondern auch für die für Hamburg auftat, und der mit der ihm sehen, durch die Tube geht es aufwärts. Probleme. Auf eine vertiefte Diskussion eigenen Unbekümmertheit die Richtung Ob er sich noch an den Ärger mit dieser über die Gründe hat sich von Beust nie vorgab: Wir wollen die Elbphilharmonie Röhre erinnern kann, die so einmalig auf eingelassen und immer darauf verwiehaben! Dabei war das, anders als später der Welt ist wie die gebogene Rolltrepsen, er habe sich mit den Details nicht oft dargestellt, weder eine Eingebung pe, die durch sie verläuft? „Nein“, sagt beschäftigt. Das habe er an Fachleute denoch war das Projekt seine Idee. von Beust. An solche Details erinnere er legiert, und denen habe er vertraut. Es waren der Projektentwickler Alesich nicht. „Aber so ist das, wenn StarPunkt, aus. Selbst der Parlamentarische xander Gérard und seine Frau Jana Mararchitekten das Sagen haben.“ Er hat da Untersuchungsausschuss (PUA) der ko, die schon im März 2001 den genialen ja so seine Erfahrungen gemacht. Am Bürgerschaft biss bei ihm auf Granit und Einfall hatten, das benötigte zweite KonEnde der Tube dann die Panoramafensentließ ihn im Februar 2012 schneller als zerthaus in den leer stehenden Kaispeiter. „Oha“, sagt von Beust. Aber er meint die meisten anderen Zeugen. Aber im cher A zu bauen. Als Gérards Partner nicht den Blick auf den Hafen, ihm ist etGegensatz zu manch anderem BeteiligPatrick Taylor im Herbst 2001 den was anderes aufgefallen: „Die Scheiben ten hat von Beust seine Hände niemals frisch gewählten neuen sind aber gut geputzt. Nicht wie bei mir in Unschuld gewaschen. Ersten Bürgermeister anzu Hause.“ Weiter geht’s mit der „Ich übernehme die politische Verschrieb, war die Reaktion zweiten Rolltreppe auf die Plaza. antwortung für alles, was in meine Zeit aus dem Rathaus alles Backstein, schiefe Säulen, Trepals Bürgermeister fällt“, sagte er damals andere als ermunternd: pen, die in Schneckenhäuvor dem PUA und benannte die zwei aus Das Grundstück sei leisern zu verschwinden seiner Sicht größten Fehler: ohne fertige der einem anderen Inscheinen. „BeeindruPläne mit dem Bau zu beginnen, sei der vestor anhand gegeben, ckend“ findet von Beust. eine gewesen. Den Bau seinem von ihm Ich bin ja hieß es. Dort sollte der „Aber nicht kitschig.“ geschätzten Projektkoordinator HartMediaCityPort, ein Langsam kommen doch mut Wegener anzuvertrauen und den eigentlich ein Hochhaus für die New einige Erinnerungen zueinfach machen zu lassen, der andere. Kulturbanause Economy, entstehen. rück. „Es gab die Sorge, Manch einer hat das als den Versuch Doch Gérard und es könne hier oben zu zuinterpretiert, die Schuld auf Wegener, Marko ließen nicht loOle von Beust, gig sein. So ist man auf einen SPD-Mann, abzuwälzen. Man kann cker. Zwei Jahre lang Erster Bürgermeister diese großen Fensterelees aber auch als Eingeständnis der eigetrommelten sie für ihre von 2001 bis 2010 mente gekommen.“ nen Schuld werten: Er als Bürgermeister Idee und baten die Heute bräuchte man hat sich um das größte Prestigeprojekt Schweizer Architekten die nicht, das Wetter ist der Stadt, das zudem untrennbar mit seiHerzog & de Meuron um einen Entwurf. freundlich. 13 Grad, ein Mix aus Sonne nem Namen verbunden war, nicht genüErst als der im Juni 2003 präsentiert und Wolken. Auf der Elbe, 40 Meter weigend gekümmert, sondern sich auf andewurde und die Stadt in Begeisterung verter unten, stampft dröhnend ein Binnenre verlassen. Das ist keine Kleinigkeit. setzte, wurde auch von Beust wieder aufschiff vorbei. Plötzlich fällt von Beust Ole von Beust neigt trotz seiner lomerksam. Als ihn kurz darauf promineneine Geschichte ein. Neulich habe er den ckeren Art nicht zu großen Emotionen. te Architekten in einem Brief geradezu Düsseldorfer Oberbürgermeister getrofDoch es ist auch diese Vorgeschichte, die anflehten, dieses Bauwerk zu realisieren, fen. „Ein SPD-Mann“, so der Christdedazu beiträgt, dass er angesichts des ferwar auch der Bürgermeister überzeugt. mokrat, und der habe ihm von der Sanietigen Konzerthauses nur von „verhalte„Wir brauchen ein Wahrzeichen der rung der Oper erzählt. „Erst sollte das ner Freude“ spricht. „Ich finde es unanStadt für das 21. Jahrhundert, das intereine Million kosten, am Ende waren es gemessen, jetzt zu tirilieren“, sagt er. Er nationale Ausstrahlung hat“, sagte er im 33 – weil ständig neue Wünsche kamen.“ freue sich, dass die Elbphilharmonie ferSeptember 2003 vor dem Übersee-Club. Überall das Gleiche, soll das wohl tig sei und von den Menschen begeistert „Das kann eine Philharmonie auf dem heißen. Eine Anspielung auf seine zweiangenommen werde. „Aber man darf die Kaispeicher A sein.“ te, die weniger schöne Geschichte mit Probleme, die es gab, nicht verdrängen.“ Mehr als 13 Jahre später steht von der Elbphilharmonie. Die wird auch von Bei der Eröffnung heute werde er Beust vor der Elbphilharmonie. Offenes, zwei Zahlen geprägt. Nicht 1 und 33, sondabei sein. Weitere Konzertkarten hat er gestreiftes Hemd, dunkelgrauer Wolldern 77 und 789. Es war im Sommer aber nicht. „Ich bin ja eigentlich ein Kulmantel – stilvoll und lässig wie eh und je. 2005, als der Senat mitteilte, das Konturbanause“, sagt der bekennende CoUnsere Tickets für die Plaza sind ab zerthaus werde die Stadt „bis zu 77 Milmic-Fan. Sich Monate im Voraus auf 12.00 Uhr gültig, die Uhr auf der Einlasslionen“ Euro kosten, und von Beust sich einen Termin festlegen und dann stunschranke zeigt 11.58 Uhr. Zwei Minuten zu dem verhängnisvollen Satz hinreißen denlang still sitzen zu müssen, das sei für eine Frage: Wann waren Sie eigentließ, das sei noch „pessimistisch genicht so sein Ding, sagt von Beust und lich zuletzt hier? Von Beust überlegt schätzt“. Gekostet hat sie die Steuerzahlässt den Blick über die Stadt schweifen. kurz. „Ich glaube, beim Richtfest. Oder ler 789 Millionen. Da drüben, an der Deichstraße, habe beim Neujahrsempfang des Abendblatts, Und obwohl es sein Nachfolger Olaf er mal gewohnt, in einem abgesackten, wann war das noch?“ Im Januar 2010. Scholz war, der den letzten Batzen obenziemlich schiefen Altbau. „Der Fußbo„Dann beim Richtfest.“ Das war im Mai drauf legte, damit der Bau fertig wird, den im Wohnzimmer hatte acht Zenti2010. Drei Monate später ist er zurücksind die Skandale und Kostensteigerung meter Gefälle.“ Schräg, charmant, ungegetreten. Jetzt, sechseinhalb Jahre spädoch vor allem mit dem Namen Ole von wöhnlich – ein bisschen wie die Elbphilter, kehrt er zurück an einen der wichBeust verbunden. Denn in seiner Amtsharmonie. tigsten Orte seiner Amtszeit. zeit wurde nicht nur der Grundstein für Nur nicht so teuer. Marcelo Hernandez ANZEIGE 16 ELBPHILHARMONIE HamburgerAbendblatt Mittwoch, 11. Januar 2017 Das NDR Elbphilharmonie Orchester im Großen Saal: Etwa 100 fest angestellte Musiker gehören zum Ensemble. Dazu kommen bei jedem Projekt Aushilfen. Die Geiger stellen mit 30 Musikern die größte Instrumentengruppe NDR/Michael Zapf Das D Orchester Der Dirigent sagt, wo’s lang geht, und jede Gruppe hat ihren Stimmführer. Doch as NDR Elbphilharder Unterschied zu den Maestri vom monie Orchester Schrot und Korn eines Karajan oder wird ResidenzorFurtwängler liegt in der Art der Verstänchester des neuen digung. Heutige Dirigenten inszenieren Konzerthauses. Resich weniger als Halbgötter, sie sind nahsidenz, das klingt irbarer, kollegialer im Umgang. Viele von gendwie nach ihnen sind geprägt von der basisdemoSchloss und gekrönkratisch wilden Zeit der 80er-Jahre, als ten Häuptern. Passt nicht schlecht zu sich Gruppen wie die Deutsche Kamdem Riesen-Edelstein, der da jetzt an merphilharmonie Bremen oder das Freider Hafenkante funkelt. burger Barockorchester gründeten. Die Als das NDR Elbphilharmonie Orhaben mit ihrem Ungestüm Weltkarriere chester Mitte November nach seinem gemacht und nebenbei das Klima im MuMit Pauken und Trompeten, Flöten und Schlagzeug zogen die rund 100 Musiker Einzug die ersten Besucher im Konzertsikbetrieb unumkehrbar verändert – des NDR im vergangenen Herbst von der Laeiszhalle in die HafenCity. haus empfing, da kannte das allseitige spät genug, wenn man etwa an die 68erStaunen keine Grenzen. Staunen über Bewegung denkt. Die Elbphilharmonie ist für die kommenden zehn Jahre ihr musikalisches Zuhause die Großzügigkeit und Helligkeit nicht Beim NDR Elbphilharmonie Ornur des Großen Saals, sondern auch der chester ist dieser frische Wind erst mit zahlreichen Zweckräume drumherum. Verzögerung angekommen. Die BiograWer hat schon einen derart prominensondern vom NDR getragen wird und für Für die Residenz zahlt das NDR Elb„Zurzeit ist sehr viel Energie zu spüren“, fie des Orchesters reicht zurück bis in ten Arbeitsplatz? Der Blick aus dem dessen gesamtes Sendegebiet zuständig philharmonie Orchester schnöde Miete. sagt die junge Cellistin Katharina Kühl. die Wochen nach Ende des Zweiten zehnten, elften, zwölften Obergeschoss ist. Es hat Abonnementsreihen in Kiel Über die Höhe schweigen sich die Betei„Es herrscht eine sehr wache, kreative Weltkriegs. Gegründet auf Ruinen, ist es über Stadt und Hafen ist wahrhaft maund Lübeck und konzertiert regelmäßig ligten aus, aber man spricht seit dem Atmosphäre. Viele bringen sich mit kaum älter als die Bundesrepublik. Seine jestätisch. Nur das Lager für die orchesin ganz Norddeutschland. Für das PhilVertragsschluss 2007 von einer GrößenIdeen ein, längst nicht nur musikalisch.“ Entwicklung spiegelt das mühevolle Ertereigenen Instrumente – das ist zum harmonische Staatsorchester dagegen, ordnung von 800.000 Euro pro Jahr, daNeben der Vorstandsarbeit, die ist wachsenwerden der Nachkriegsgesellüberwiegenden Teil das enorme Arsenal das seit mehr als 180 Jahren in Hamburg rin eingeschlossen das Vorbuchungsin jedem Orchester unerlässlich, engaschaft. an Schlagwerk – muss ohne Fenster ausbeheimatet ist, hat die damalige Intenrecht, das dem Orchester für Verhandgieren sich die Musiker für die OrchesDas hieß im Jahre 1945 zunächst einkommen. dantin Simone Young den Hut gar nicht lungen mit anderen Interessenten eine terakademie wie Katharina Kühl oder mal, mit der Hypothek der gerade unterMit der „Residenz“ des NDR Elberst in den Ring geworfen, als es um die gewichtige Machtposition gewährt. Der nehmen eins der vielen anderen Ehrengegangenen Diktatur fertig zu werden. philharmonie Orchesters ist etwas andeResidenz ging. Vertrag läuft über zehn Jahre ab Aufnahämter wahr. Jemand muss schließlich Hans Schmidt-Isserstedt, Jahrgang 1900 res gemeint als ein herrschaftlicher Das NDR Elbphilharmonie Orchesme des Spielbetriebs, dann wird neu verdas Archiv pflegen oder sich um Orchesund einigermaßen unkompromittiert Wohnsitz in der ursprünglichen Bedeuter untersteht der Klangkörperchefin handelt. Das gilt auch für die „Elbphilterfeste und andere gesellige Gelegendurch das Dritte Reich gekommen, suchtung des Wortes. Eine Residenz im des NDR, Andrea Zietzschmann – noch, harmonie“ im Namen, das Orchester heiten kümmern. Rainer Castillon, Ehte im Auftrag der britischen Besatzungskünstlerischen Sinne ist kein Gebäude. denn Zietzschmann ist auf dem Abheißt ja nicht Hohenzollern oder Hannorenmitglied des Orchesters und von 1974 macht für den Nordwestdeutschen Sie bedeutet, dass jemand sein künstlerisprung zu den Berliner Philharmoniver oder was Deutschland sonst so an bis 2010 als Bratscher dabei, hat noch Rundfunk (NWDR) Musiker für ein neusches Tun über einen längeren Zeitraum kern. Rund 100 Musiker gehören dem Erbdynastien aufzubieten hat. Jahre nach seiner Pensionierung an der es Sinfonieorchester zusammen. Probte mit einem Ort verbindet. Orchester an. Dazu kommen bei jedem Als Oligarchen wären die rund 100 Gestaltung des Backstagebereichs in der mit den vom Krieg Gezeichneten, formte „Die räumlichen und akustischen Projekt Aushilfen. Sie springen im Musiker ohnehin denkbar ungeeignet. Elbphilharmonie mitgewirkt. Von ihm sie zu einem Klangkörper, machte RundMöglichkeiten der Elbphilharmonie sind Krankheitsfall ein, aber oft werden sie Orchester sind andauernd mit der eigestammt unter anderem der Entwurf für funkaufnahmen und wagte am 1. Nofür die weitere Entwicklung der Klangauch langfristig engagiert, wenn mehr nen Willensbildung beschäftigt. Zu ausein neuartiges Regalsystem hinter der vember 1945 den ersten Liveauftritt in kultur des NDR Elbphilharmonie OrHarfen, Schlagwerker oder Hornisten geprägt und zu unterschiedlich sind die Bühne des Großen Saals, in dem die Muder Musikhalle, wie sie damals hieß. chesters von entscheidender Bedeugebraucht werden, als das Orchester Persönlichkeiten, die da versammelt siker in der Konzertpause ihre Instru26 Jahre blieben der Gründervater tung“, sagt der Chefdirigent Thomas selbst hat, oder wenn Exoten wie das sind, immer gilt es zwischen Neugierimente ablegen können. und seine Musiker zusammen. Daheim Hengelbrock. „Ich verspreche mir vom elektronische Instrument Ondes Martegen und Bremsern zu vermitteln, da bilDie viel beschworene Aufbruchseumuteten sie ihrem Publikum unbekannGroßen Saal der Elbphilharmonie einen not zum Einsatz kommen. Und selbst det das NDR Elbphilharmonie Orchester phorie einmal beiseite: Hier zeigt sich tes Repertoire zu – Mahler! Strawinsky! ähnlich positiven Einfluss auf das NDR die gut 30 Geiger, die die größte Instrukeine Ausnahme. Nur der Umzug in die eine neue Kultur der Teilhabe. Ein Sinfo– und trugen auf ihren Konzertreisen ein Elbphilharmonie Orchester, wie ihn das mentengruppe stellen, haben fast immer Elbphilharmonie, den müsste noch der nieorchester ist zwar auch im Jahre 2016 neues Bild von Deutschland in die Welt. Concertgebouw in Amsterdam oder der Gäste dabei. verknöchertste Traditionalist begrüßen. notwendig ein hierarchisches Gebilde. Ähnlich tief und doch ganz anders hat Goldene Saal im Wiener MusikGünter Wand in den 80er-Jahren verein auf die dort residierendas Orchester geprägt und das den Orchester gehabt haben.“ Hamburger Publikum gleich mit. So elegant und zukunftsSeine Lesarten von Bruckner, orientiert das Gebäude ist, feuBrahms und Beethoven haben die dal soll es gerade nicht sein. Die Wände im Saal der Laeiszhalle Verantwortlichen im Rathaus förmlich imprägniert. „Er war ein werden nicht müde, darauf hingroßer Meister. Er konnte mit ganz zuweisen, dass der Bau ein Konwenigen Mitteln einen Klang herzerthaus für alle sei, ein demovorzaubern“, erinnert sich Rainer kratischer Ort. Wenn überhaupt Castillon. „Bei ihm hatte man das ist das Orchester nach diesen Gefühl, dass eine Achte von BruckMaßstäben ein Repräsentant ner in 20 Minuten vorbeiging. Da der Hamburger, die den Bau vergaß man, wie unangenehm und schließlich mit vielen, vielen exzentrisch er sein konnte.“ Steuermillionen bezahlt haben Wands unkalkulierbare Lau– freilich mit der Fußnote, dass Mit den riesigen Instrumenten­Bo­ Probt jetzt mit Aussicht: Stefan Wagner ist seit 1993 Erster Im Backstage­Bereich gibt es num­ nen und die Kräche mit ihm sind das Orchester selbst gar kein xen geht das NDR Elbphilharmonie Konzertmeister des Orchesters. Er spielt seit seinem sechsten merierte Schließfächer für die Legende. Aber Krach und vorzeitistädtischer Klangkörper ist, Orchester auf Reisen Marcelo Hernandez Lebensjahr Violine Marcelo Hernandez Musiker Marcelo Hernandez ge Abgänge konnten auch andere VERENA FISCHER-ZERNIN Chefs. Wands Vorgänger Klaus Tennstedt ließ das Orchester während einer Konzerttournee im Stich, mit dem englischen Originalklangexperten John Eliot Gardiner, der auf Wand folgte, wurde man nicht warm, und Christoph von Dohnányi ging im Streit mitten in der Saison, sodass das Orchester bis zu Hengelbrocks Amtsantritt 2011 ein gutes Jahr ohne Chefdirigent war. Auch in der Beziehung mit ihm hat es Höhen und Tiefen gegeben. Wie in einer Ehe, könnte man sagen, hatte doch bei seinem Amtsantritt die Metapher von der Liebesheirat in vielen Spielarten Konjunktur. „Konflikte bergen aber auch die Chance, sich weiterzuentwickeln“, sagt Katharina Kühl dazu. „Bei uns passiert gerade so viel Neues.“ Man hört es. Unter Hengelbrock hat das Orchester einen farbenreichen, nuancierten Klang entwickelt, es spielt immens lebendig und stilistisch variabel. Der Unterschied zu Dohnányi könnte kaum größer sein. „Dohnányi hat unglaublich präzise gearbeitet“, sagt der Hornist Dave Claessen, „aber unter ihm wurde vielleicht nicht so gelöst musiziert wie unter Hengelbrock.“ Seit Günter Wands Weggang 1991 befinde das Orchester sich in einer Selbstfindungsphase, sagt Claessen aber auch. Und die Außenwahrnehmung? Rundfunkorchester haben es generell schwerer mit dem Image, jedenfalls solange nicht „Bayerischer Rundfunk“ draufsteht. Das Verdikt „zweitrangig“ ist unter Musikkritikern schnell bei der Hand, aber das NDR Elbphilharmonie Orchester hat von seinen Tourneen immer wieder hymnische Kritiken mitgebracht. Wie es sich im Vergleich mit der internationalen Spitze behauptet, das wird die Akustik des Großen Saals zeigen. Klar sei sie, hört man von denen, die sie bereits erlebt haben, und um einiges weniger schmeichelhaft als die der Laeiszhalle. „Die Chancen, dass sich unser Orchester durch die Residenz in der Elbphilharmonie in seiner Klangkultur noch weiter steigert und zu den großen Weltorchestern aufschließt, stehen sehr gut“, hat Thomas Hengelbrock im Frühjahr gesagt. Das Orchester ergreift ja gerade erst Besitz von seiner Residenz. Ein Zeichen hat es freilich schon viel früher gesetzt. Im Juni 2005, die Pläne für die Elbphilharmonie nahmen allmählich Gestalt an, feierte das NDR Sinfonieorchester sein 60-jähriges Bestehen in einem leer stehenden Bürogebäude am Sandtorkai. Der Ort war damals mit Bedacht nahe am Kaispeicher gewählt. Von dessen Dach aus, der heutigen Plaza, schickten NDR-Blechbläser eine Fanfare zu den versammelten Festgästen hinüber. Von Residenz sprach damals noch keiner. Mittwoch, 11. Januar 2017 Was bedeutet die Elbphilharmonie für ihn? Thomas Hengelbrock verspürte tiefe Dankbarkeit bei den ersten Tönen im Großen Saal und lädt die Hamburger ein: „Das Haus gehört Ihnen allen!“ D T H O M AS HE N G E L B R OCK ie Elbphilharmonie ist ein Wunderwerk und sie ist ein Geschenk – für Hamburg, für das Publikum, für uns Musiker. Ein Geschenk? Ein Geschenk, welches so unglaublich viel Geld gekostet hat? Ein Geschenk, dieses Konzerthaus, um dessen Bau es solche Verwerfungen gegeben hat? Ich kann diejenigen sehr gut verstehen, die jetzt diese Fragen stellen. Die drastischen Kostenüberschreitungen und die bisweilen schildbürgerlich anmutenden Begleitumstände haben auch mir in der Seele wehgetan. Aber spätestens seit wir im September mit dem NDR Elbphilharmonie Orchester die ersten Töne im Großen Saal gespielt haben, ist bei mir aller Unmut und Ärger einem großen Staunen und einer tiefen Dankbarkeit gewichen, und ich darf Ihnen versprechen: Wer einmal seinen Fuß in dieses spektakuläre Gebäude gesetzt hat, wer nur einmal die Tür zum wunderschönen Großen Saal aufgemacht hat oder ein Konzert darin hören wird, der wird von einem unbeschreiblichen Zauber umfangen. Der versteht sofort, wie wichtig ein solches kulturelles Kraftzentrum für Hamburg ist. Der spürt, dass das Erleben von Musik hier von einer ganz neuen Aura umgeben ist, die der Kultur in Hamburg endlich jene Bedeutung gibt, die sie immer haben muss: Sie ist keine Nische für ein paar Kenner, kein an den Rand gedrängter Nebenschauplatz, nichts Museales. Nein, sie ist mittendrin in der Gesellschaft, sie passiert da, wo das Leben pulsiert. Mitten im Hafen findet sie statt, in jener geschäftigen Schlagader der Hanse- und Kaufmannsstadt. chen, farbigen, lebendigen Konzerten zu Die symbolische Botschaft, die alerschwinglichen Preisen zu ermöglilein schon der Standort der Elbphilharchen. monie vermittelt, ist doch fantastisch: Alle Hamburger sollen die GelegenDie Kultur wird zum Zentrum der Geheit haben, ein Konzert in der Elbphilsellschaft, sie verleiht auch einem wirtharmonie zu besuchen. Darum habe ich schaftlich geprägten Milieu, in dem sich unter anderem die „Konzerte für Hamso viel ums schnelle Planen und Rechburg“ initiiert, eine Reihe von Stundennen dreht, menschliche Wärme, ja, eine Konzerten zu günstigen Preisen, bei Seele. Und diese Botschaft wird all die denen wir mit dem NDR Elbphilharmoanderen Kulturinstitutionen in der Stadt nie Orchester große Meisterwerke der beflügeln, da bin ich mir ganz sicher. Klassik in lockerer Atmosphäre auffühDenn das Wesentliche ist es doch, ren. Wir hoffen dabei natürlich, viele bewusst zu machen, dass die Kultur geMenschen für weitere Besuche der Elbrade in der heutigen Zeit mit ihren stänphilharmonie begeistern zu können. dig wechselnden Trends, mit ihren gloDie Chance, über die Aufmerksambalen Bedrohungen, Ängsten und Sorkeit, die das Haus auch durch seine gen, uns allen einen auf fundamentale internationale Strahlkraft auf sich zieht, humane Werte der Gesellschaft gestützganz viel neues und junges Publikum für ten Rückhalt gibt. Musik verbindet die Musik zu gewinnen, spornt uns in ganz Menschen, über alle sozialen, religiösen, besonderer Weise bei unseren Planunpolitischen Unterschiede hinaus. Sie gen an. Bedauerlicherweise halten sich kann in einem Moment Grenzen niederhartnäckig die Gerüchte, dass man sich reißen. Sie ist als gemeinsame Erfahrung als Normalbürger ein Konzert in der Elbdas große Gegengewicht zu all den Verphilharmonie nicht leisten könne. Beim werfungen unserer Zeit. NDR Elbphilharmonie Orchester beiSie schafft der emotionalen Verspielsweise kosten die günstigsten Tisenkung wie auch der geistigen Vertieckets zwischen sechs und zwölf Euro – fung einen Raum, der heute immer seltevergleichen Sie das einmal mit Preisen in ner wird, und kann in uns etwas zum London oder Paris! Und natürlich ist Klingen bringen, was wir sonst nicht als Teil unserer Persönlichkeit wahrnehmen würden. Nur ein starker kultureller Akzent vermag die primär an ökonomischen InteDirigent, Geiger, ressen ausgerichtete Dominanz einer Wirtschaftsmetropole wie Musikhistoriker Hamburg zu lebenswertem Gleichgewicht Das Timing ist ideal für Thomas auszubalancieren. Hengelbrock: In den vergangenen Und dass die ElbphilJahren seiner Amtszeit als NDR­ harmonie der Kultur in Chefdirigent hat er sich und sein Orchester auf die dieser Stadt einen ganz Chance und Herausforderung Elbphilharmonie vorbe­ neuen Stellenwert verreitet. Seine Ausbildung als Geiger, der unter anderem in leiht, das merken Sie Harnoncourts Originalklang­Truppe Concentus musicus schon jetzt: Die Nachfraden Reiz des Andersmachens lieben lernte, kommt ihm ge ist überwältigend, landabei ebenso zugute wie die musikhistorisch informierte ge Schlangen, um ein TiArbeit. Als Gründer des Balthasar­Neumann­Ensembles cket für klassische Musik und ­Chors weiß Hengelbrock, wie sich Fachkräfte im zu ergattern – wann gab es Musikmarkt als Spezialisten etablieren können. Auch zu das zuletzt in Hamburg? den Gründungsmitgliedern des Freiburger Barockorches­ Damit das nach der ters zählte er. Geboren wurde Hengelbrock 1958 anfänglichen Euphorie in Wilhelmshaven. Seine Repertoire­Neugier hat ihn kreuz auch langfristig so bleibt, und quer durch die Musikwelt sufführen lassen. Eine ist es mir ein großes AnlieStation war die Volksoper Wien, eine fürs Renom­ gen, dass die Elbphilharmee nicht unwichtige das Festspielhaus in Bayreuth monie ein Ort der Begeg– ein „Tannhäuser“ 2011, von dem er sich allerdings schnell nung für alle ist. Wir, das verabschiedete, weil die Chemie mit der Institution Grüner NDR Elbphilharmonie OrHügel nicht stimmte. Die Lebenspartnerschaft mit der chester, wie auch die ElbSchauspielerin Johanna Wokalek endet nicht am Bühnen­ philharmonie als Veranrand: Schon mehrfach haben die beiden Musik­Theater­ stalter haben die Aufgabe, Projekte erarbeitet oder Chorkonzerte entworfen, in denen den Menschen die TeilhaWokalek Texte rezitierte. (jomi) be an abwechslungsrei- ELBPHILHARMONIE HamburgerAbendblatt 17 Der Chefdirigent Ankommen und festmachen: NDR­ Chefdirigent Thomas Hengelbrock vor der Elbphilharmonie Andreas Laible auch der NDR Partner dieses neuen Konzerthauses: Durch Übertragungen im Radio, im Fernsehen und online ist Teilhabe überall auf der Welt möglich. Das Publikum darf sich auf große Erlebnisse in der Elbphilharmonie freuen. Der Saal ist ein Wunder. Seine einzigartige Architektur, das ganze Interieur, die fantastische Beleuchtung vermitteln eine warme, anheimelnde, geborgene Atmosphäre, in der man sich sofort wohlfühlt. Die phänomenale Akustik hat uns in den ersten Proben Tränen der Rührung über die Wangen laufen lassen. Und das Beste: Es gibt keine schlechten Plätze. Bis in die obersten Ränge hören Sie wie in einem altgriechischen Theater mit einer großen Transparenz, Deutlichkeit und Intensität. Sie können von jedem Platz alles sehen, fühlen sich auf jedem Platz ganz dicht dran am Orchester. Ein visuell und akustisch intensives, wirklich teilnehmendes Konzerterlebnis ist also ganz unabhängig davon, wie viel Geld Sie ausgeben. Die Elbphilharmonie ist kein Elitetempel. Sie ist ein Haus für alle. Für uns Musiker ist der Umzug in den neuen Konzertsaal künstlerisch ein ganz großes Glück, ein Geschenk und eine Verpflichtung zugleich. Wir kommen aus der Laeiszhalle, einem wunderbaren Konzertort mit einer guten Akustik für nicht zu groß besetzte Orchesterwerke. Mit der Elbphilharmonie haben wir nun einen Konzertsaal des 21. Jahrhunderts, in dem darüber hinaus auch die Musik des 20. Jahrhunderts ihren Raum bekommt. Bei groß besetztem Orchesterrepertoire von Strauss und Mahler bis Schostakowitsch und Strawinsky werden nun ganz andere Differenzierungen und dynamische Tiefenstaffelungen erlebbar sein. Der Konzertsaal ist der Resonanzkörper eines Orchesters, seine Akustik, Platzanordnung und Atmosphäre sind von höchster Bedeutung für die Entwicklung des Orchesterklangs. Nicht umsonst sind die besten Orchester in den besten Sälen beheimatet. Die Elbphilharmonie nun schließt zu den ganz großen Konzertsälen der Welt auf. Man wird hier alle Qualitäten, die das Orchester hat, ausspielen und seine Klangkultur weiterentwickeln können. Seien Sie herzlich willkommen, die Elbphilharmonie gehört Ihnen allen! Und ich wünsche mir, dass auch Sie in Zukunft sagen: Die Elbphilharmonie ist ein großes Geschenk. ANZEIGE Meisterhafte Kompositionen. Sogar in den Pausen. Meßmer ist offizieller Tee-Lieferant der Elbphilharmonie. Besuchen Sie uns auch im Meßmer MOMENTUM. In unmittelbarer Nähe zur Elbphilharmonie (500 m). 18 ELBPHILHARMONIE HamburgerAbendblatt Mittwoch, 11. Januar 2017 Die Dachterrasse auf der Elbphilharmonie mit Blick über den Hafen wurde nach den Mäzen Klaus­Michael und Christine Kühne benannt HamburgMusik/Iwan Baan Eine gewaltige Welle der Spendenbereitschaft hat die Elbphilharmonie erst ermöglicht. Im Gebäude gibt es Stufen­, Stuhl­ und Säulenpatenschaften D Die Mäzene eine Stuhlpatenschaft übernommen. Ihre Namensplaketten sind für die ominik Winterling nächsten fünf Jahre angebracht worden. kniet sich auf eine „Die Welle der Unterstützung in der der 52 hölzernen Stadt für die Elbphilharmonie ist überTreppenstufen, die wältigend“, sagt Dominik Winterling. in einer leichten Der 37-Jährige kommt aus Viechtach in Linkskurve von der Niederbayern. Er sang als Kind bei den Plaza zum Großen Regensburger Domspatzen und sagt, der Saal hinaufführen, damalige Chorleiter und Papstbruder und zeigt dann mit dem Finger auf den Georg Ratzinger habe ihn mit seinen rechten unteren Rand. „Sehen Sie, hier musikalischen und theologischen Fähigsind die Namen der Stufenpaten angekeiten maßgeblich geprägt. bracht“, sagt der Geschäftsführer der Neben dem Klavierstudium in Stiftung Elbphilharmonie. Für eine Mannheim hat Dominik Winterling auch 10.000-Euro-Spende bekommt man noch ein Studium der Betriebswirteine Foyerstufen-Patenschaft, das Naschaftslehre abgeschlossen und sich damensschild bleibt zehn Jahre lang an nach fast zehn Jahre lang um die künstdieser Stelle und für alle lerischen und kaufmännischen Belange Besucher sichtbar. beim renommierten Musikfestival Ein paar Meter weiter „Heidelberger Frühling“ gekümoben prangen an der gromert. Bis im Sommer 2014 der ßen Spenderwand die Anruf aus Hamburg kam. Namen derer, die den Und nun soll der Bau dieses spektakuläKonzertpianist und DipDieses Projekt ren Gebäudes durch lom-Kaufmann an der wird Geschichte ihre großzügigen ZuElbe dafür sorgen, dass wendungen erst mit ersich Kunst und Komschreiben möglicht haben. In der merz nicht ausschlieoberen Reihe sind in ßen, sondern im Bestfall zehn Zentimeter großen Dominik Winterling, eine wunderbare BezieBuchstaben aus handgeGeschäftsführer hung miteinander einschliffenem Edelstahl Stiftung gehen. die Mäzene verewigt, Elbphilharmonie Was ihn an der Aufdie mehr als eine Milgabe vor allem reizt? lion Euro gegeben ha„Als ich hier angefangen ben. Darunter stehen in habe, hatte Bürgermeiszwei Reihen die „Platin-Spender“ (ab ter Olaf Scholz gerade den Hamburgern 100.000 Euro). Diese Namensreihen versprochen, dass das Konzerthaus im bleiben für immer an der Wand. Januar 2017 eröffnet wird“, sagt WinterAuf den großen Säulen im Innenling, der aus der Ferne immer ein großer raum der Plaza werden ebenfalls SpenFan der Elbphilharmonie-Vision gewedernamen verewigt. 50.000 Euro beträgt sen ist. „Und nun bietet sich mir die die Spende für das Schild – für einen Chance, ein Projekt mitzugestalten, das Zeitraum von zehn Jahren. Und für rund Geschichte schreiben und zu etwas Ein800 der insgesamt 2100 bequemen Sitze zigartigem werden wird.“ mit jeweils zwei Armlehnen im Großen Der Anspruch sei klar: Weltklasse. Saal haben bereits Spender für 1000 Aber für alle. „Nicht nur für die oberen (oberere Ränge) oder 2000 Euro (unten) Zehntausend.“ JAN HAARMEYER Dafür legt er sich mit seinem kleinen Team von fünf Mitarbeitern mächtig ins Zeug. „Ich habe, als ich in Hamburg angefangen habe, eine sehr gut aufgestellte Stiftung vorgefunden“, sagt Winterling, der außerdem als sogenannter Leiter Development auch Ansprechpartner für Sponsoren ist, die sich die Elbphilharmonie als passende Bühne für ihr Unternehmen vorstellen können. Mit ihnen entwirft und verhandelt er über mögliche Partnerschaften, in deren Rahmen Firmen die Elbphilharmonie als Plattform und das Engagement für die Unternehmenskommunikation nutzen können. Als die Stiftung im Oktober 2005 von der Warburg-Melchior-OleariusStiftung und der HSH Nordbank AG ins Leben gerufen wurde, ging es um drei Förderbereiche. „Das künstlerische Programm, die Musikvermittlung sowie Ausstattung und Instrumente“, sagt Winterling. Jeder Stifter kann selbst bestimmen, für welchen Bereich seine Zuwendung sein soll. Am Anfang allerdings ging es bei den Mäzenen zunächst einmal um sehr erhebliche Mittel für den Bau des Konzerthauses. Die drei größten Spender sind Hannelore Greve und ihr verstorbener Mann Helmut (30 Millionen Euro) sowie Michael Otto und die Hermann Reemtsma Stiftung (je zehn Millionen Euro). Viele Großspender folgten, darunter Klaus-Michael Kühne, Milena und Hermann Ebel, die Körber Stiftung mit jeweils deutlich mehr als einer Million Euro oder Barbara und Ian Karan mit mehreren Hunderttausend Euro. Auch zahlreiche bekannte Hamburger Firmen befinden sich unter den Spendern: die Berenberg Bank ebenso wie die Warburg Bank, das Handelsunternehmen Gebr. Heinemann, das Schuhhaus Ludwig Görtz oder Barkassen-Meyer, um nur einige wenige zu nennen. Sämtliche Spender, von einem Euro über Bronze (ab 5000 Euro), Silber (ab 10.000), Gold (ab 50.000) und Platin bis hin zu den Mäzenen sind auf der Unterstützerliste der Stiftung im Internet aufgeführt. In nur anderthalb Jahren wurden 67 Millionen Euro für Bau und Betrieb eingesammelt. Zwei Millionen Euro spendete das Ehepaar Elke und Peter Möhrle für den Bau der Orgel. Große und kleine Spender, diese Unterscheidung bezieht sich nur auf die Summe – nicht aber auf die Leidenschaft für das Jahrhundertbauwerk. Dominik Winterling sagt, er habe bei allen Spendern nicht nur die Freude auf das, was kommt, gespürt. Sondern auch einen großen Stolz, dass ihre Stadt es trotz aller Schwierigkeiten letzten Endes hinbekommen habe, etwas Einzigartiges zu schaffen. „Musik hat eine verbindende Kraft, denn sie berührt Jung und Alt, fördert die Kreativität und das soziale Miteinander, sie gibt Halt und stärkt“, hat Hamburgs Ehrenbürger Michael Otto sein Engagement für das Konzerthaus begründet. Als Musikliebhaber freue er sich auf das neue Wahrzeichen. „Und auf alles Verbindende, was sich von nun an für uns alle auftut.“ Genau das ist die Aufgabe für Dominik Winterling und sein Team: ein Gebäude zum Leben zu erwecken, in dem die Hamburger nicht nur Musik konsumieren, sondern selbst entstehen lassen. Das aktuelle Stiftungskapital beträgt rund 21 Millionen Euro. Aus dessen Erträgen wird auch der musikalische Betrieb finanziert. Besonders am Herzen liegt nicht nur Winterling dabei der Bereich der Musikvermittlung, der sich vor allem an Kinder und Jugendliche richtet. „Wir haben ja auch einen politischen Auftrag“, sagt Winterling, „schließlich gilt das Wort von Bürgermeister Olaf Scholz, dass jedes Kind aus Hamburg während seiner Schulzeit mindestens einmal in der Elbphilharmonie gewesen sein soll.“ Dazu passen auch die Funkel- und Babykonzerte, die Kinder von null bis 14 Hannelore und Helmut Greve, der im Juli 2016 verstorben ist Hamburgs Ehrenbürger und Musiklieb­ haber Michael Otto Marcelo Hernandez (2) Peter und Elke Möhrle stifteten die Orgel für die Elbphilharmonie B. Fabricius Jahren dazu einladen, auf verschiedenste Art und Weise mit Musik in Kontakt zu treten. Das geht von Mitmachkonzerten bis hin zu Musiktheater-Performances. Bei den „Elfi-Babykonzerten“ können sich die Teilnehmer frei zwischen Kissen und Decken im Publikum bewegen oder werden aktiv in das Bühnengeschehen eingebunden. „Anfassen ist hier nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht.“ Aus den Stiftungsmitteln, sagt Winterling, seien viele der rund 1500 Veranstaltungen mit Kindern und Jugendlichen finanziert worden, die in jeder Saison in der Elbphilharmonie und in Hamburger Stadtteilen stattfinden werden. Dabei arbeite man eng mit der Schulbehörde und der Jugendmusikschule, mit Bürgerzentren und Stadtteilkulturhäusern, mit dem Hamburger Konservatorium und den The Young ClassX zusammen. Es wird Workshops in den Kaistudios der Elbphilharmonie geben oder auch Treffen zwischen Künstlern und Jugendlichen. Das Schulprogramm der Elbphilharmonie soll jährlich bis zu 40.000 Kinder und Jugendliche aus Hamburg erreichen. „Mach mit!“ ist das Motto. Etwa bei der Langen Nacht des Singens, wenn die Elbphilharmonie am 1. Juli 2017 ganz viele Chöre aus Hamburg und Umgebung einlädt. Oder wenn man selbst im semiprofessionellen Publikumsorchester musizieren will. Oder als Laienmusiker im Familienorchester. Oder auch im Kreativorchester, das für alle ist, die noch keine praktischen Erfahrungen mit Musik gesammelt haben. Ob Opas alte Geige oder der rostige Kochtopf – alles, was Musik oder Geräusche macht, darf als Instrument mitgebracht werden. Für diejenigen, die in die Klangwelten Südostasiens eintauchen möchten, ist das Gamelan Ensemble die richtige Anlaufstelle. Und was ist, wenn mit den Jahren das Interesse an Hamburgs neuem Wahrzeichen langsam schwindet? „Der Ball liegt bei uns“, sagt Dominik Winterling. „Wir müssen die Inhalte liefern, damit dieses Gebäude zum spannendsten Ort in der Stadt wird.“ Zur buchstäblichen Spielwiese. Zum verbindenden Treffpunkt, der weiterhin auch durch die Unterstützung der Hamburger lebendig bleibt. Noch ist genügend Platz für weitere Namen an Wänden und Stühlen, an Säulen und Stufen. ELBPHILHARMONIE Mittwoch, 11. Januar 2017 HamburgerAbendblatt 19 Das neue Wahrzeichen? Elbphilharmonie versus Michel: Hauptpastor Alexander Röder sieht der Konkurrenz durch das Konzerthaus gelassen entgegen. Doch der markante Neubau hat das Potenzial, zu einem internationalen Symbol für die Hansestadt zu werden, meint der Wissenschaftler Wolfgang Maennig B MATTHIAS IKEN is eben war eine Sache in Hamburg unumstritten: Der Michel ist das Wahrzeichen der Stadt – allgegenwärtig, erhaben, hanseatisch. Zwar gab es einige Versuche, dem Gotteshaus ein Menschenwerk an die Seite zu stellen – etwa den Heinrich-Hertz-Turm oder die Köhlbrandbrücke, aber alle Versuche, sie mit dem Rubrum „Wahrzeichen“ zu adeln, verfingen nicht. Mit der Eröffnung der Elbphilharmonie hat die Stadt sich ein neues Wahrzeichen gesetzt. Und was für eins. Oberbaudirektor Jörn Walter brachte es im Gespräch mit dem Abendblatt schon 2012 auf den Punkt: „Die Elbphilharmonie ist das Schlüsselbauwerk für den Stadtteil Hafencity, die ,Kathedrale‘. Bei der letzten großen Stadterweiterung von der Altstadt zur Neustadt haben die Hamburger den Michel gebaut, heute bauen sie ein Konzerthaus.“ Die neue Konkurrenz sorgt schon lange in Hamburg für Gesprächsstoff – degradiert die Landmarke Elbphilharmonie den Michel zu einer Randmarke? „Ich tue mich damit schwer“, sagte unlängst auch der ehemalige Bürgermeister Ole von Beust, ohne den es das Konzerthaus nie gegeben hätte. „Für mich bleibt der Michel das Wahrzeichen der Stadt.“ Dort gibt man sich entspannt. Zwar zu ersetzen – mit Erfolg. Die Konkurrenz ärgern sich einige Protestanten über den zum Konzerthaus ist ihm zu konstruiert. Hochmut der Architekten, aber der Mi„Die Elbphilharmonie und der Michel chel-Pastor sieht den Glasbau zu Hamharmonieren wunderbar. Beide brauburg entspannt: „Der Michel freut sich chen Menschen, und beide faszinieren über und auf die Elbphilharmonie“, sagt Menschen“, meint der Hauptpastor. Alexander Röder. Er hat International dürfte das Wahrzeischon im Jahr 2005 bei der chen Elbphilharmonie deutlich weiter Kampagne für das Konstrahlen als der Michel: Spätestens zerthaus mitgemacht, seit Bilbao gelten Kulturtempel als mit dem Bauhelm letzter Schrei der Stadtentunter dem Arm vor der wicklung. Die heruntergeDie großen Michel-Orgel. kommene baskische In„Mein Telefon stand dustriemetropole hatte Elbphilharmonie nach der Plakatierung 1993 den Stararchitekten nicht still“, erzählt RöFrank Gehry verpflichtet, und der Michel der. Der Tenor war imdas dortige Guggenheimharmonieren mer der gleiche: „Wie Museum zu bauen. Und können Sie nur! Den seine silbrig-glänzende wunderbar Michel so verraten, Ikone zauberte das spaniklein machen und verHauptpastor sche Aschenputtel auf die kaufen, derart unser Alexander Röder Weltkarte des TourisWahrzeichen in den mus. Bilbao war nicht die Schmutz treten!“ erste Stadt, die sich mitRöder ließ sich hilfe eines spektakulären nicht beirren. „Ich war einer von 1, 7 MilNeubaus neu erfand, aber sie prägte lionen Bauherren geworden und lernte einen Begriff, den Bilbao-Effekt. Damit schnell, dass man es nie allen 1,7 Milliowird nun die nachhaltige Aufwertung nen Hamburgern recht machen kann“, einer Stadt zur Weltstadt beschrieben. so der Michel-Pastor. Kritisch-konstrukZuvor hatten Sydney mit dem Operntiv mischte er sich in die Diskussion ein. haus oder Paris mit dem Centre PompiDie damalige Kultursenatorin Karin von dou sich ein Wahrzeichen erschaffen. Welck stellte ihm 2005 den angedachten Doch nicht in jeder Stadt funktioSlogan „Hamburg baut das neue Wahrniert das – der Hamburger Stadtökonom zeichen“ vor. Röder riet, den bestimmWolfgang Maennig hat den Bilbao-Effekt ten durch einen unbestimmten Artikel wissenschaftlich untersucht. „Ich hab lange geglaubt, dass man mit einem spektakulären Bauwerk eine Stadt neu positionieren kann“, sagt Maennig. „Das Problem ist inzwischen: Jeder Bürgermeister versucht das. 500 Bilbaos aber funktionieren nicht.“ Hätte Hamburg die Elbphilharmonie vor 25 Jahren errichtet, wäre es leichter gewesen. Heute wetteiferten viele Metropolen mit ausgefallener Architektur um die Gunst der Touristen. Maennig hat Kriterien formuliert, die ein solches Wahrzeichen erfüllen muss: Wichtig ist die zentrale Lage, die Nähe zum Wasser, innovative Architektur mit provokativer Wirkung. Fast alles für eine Architektur-Ikone sieht Maennig erfüllt – nur mit dem Kriterium der mutigen, provokanten Architektur hadert der Wirtschaftsprofessor. „Vielleicht ist der Bau zu gefällig, zu wenig umstritten. Er eckt nur wenig an.“ Inzwischen, so Maennig, habe die Kostenexplosion der Elbphilharmonie sogar ein Gutes – sie habe das weltweite Interesse an dem Bau gesteigert. Die Elbphilharmonie könne zu einem Symbol für die Hansestadt werden. Auch Hauptpastor Röder wünscht von Wahrzeichen zu Wahrzeichen alles Gute: „Für die Kultur ist das ein ganz großer Wurf“, sagt der Kirchenmusikbeauftragte der Evangelischen Kirche. Nur eine Warnung schickt er hinterher: „Zu unserem Weihnachtsoratorium sollte die Elbphilharmonie lieber nicht in Konkurrenz treten – da ist der Michel unschlagbar!“ Die beiden Hamburger Wahrzeichen: die Hauptkirche St. Michaelis und die Elbphilharmonie Marcelo Hernandez ANZEIGE Es geschehen noch Wahrzeichen und Wunder. Die Otto Group beglückwünscht alle Hamburgerinnen und Hamburger zu ihrer Elbphilharmonie. Als Unterstützer dieses einzigartigen Juwels der Kultur freuen wir uns auf die Strahlkraft, die von diesem Wahrzeichen in alle Welt ausgehen wird. 20 ELBPHILHARMONIE HamburgerAbendblatt Der Mittwoch, 11. Januar 2017 Blick ins Innere 1 DER KAISPEICHER Der alte Kaispei- cher A mit seiner roten Backsteinfassade bildet das Fundament der Elbphilharmonie. Zu Beginn der Bauarbeiten wurde das ehemalige Lagerhaus für Kakao, Tee und Tabak komplett entkernt. 2 DIE FASSADE Die Glasfassade be- steht aus 1096 Fensterelementen, zum Teil aufwendig gebogen und mit einem Raster aus grauen Chrompunkten individuell bedruckt. Die gesamte Fassade entspricht der Fläche von zwei Fußballfeldern. 3 DIE TUBE Am Ende einer nach oben gewölbten, 82 Meter langen Rolltreppe erwartet die Besucher ein Panoramafenster mit Hafenblick. Eine weitere 21 Meter lange Rolltreppe führt auf die Plaza. 4 DIE PLAZA Die zentrale Plattform auf 37 Metern Höhe ist als öffentlicher Raum frei zugänglich. Der Außenrundgang um das ganze Haus bietet fantastische Ausblicke auf den Hafen und das Stadtpanorama. Die Gesamtfläche der Plaza ist mit 4000 Quadratmetern etwa so groß wie der Hamburger Rathausmarkt. 5 DER GROSSE SAAL Das Herzstück der Elbphilharmonie: Der große Konzertsaal mit 2100 Plätzen ist nach dem Weinberg-Prinzip gebaut, mit einer Bühne in der Mitte, die von terrassenförmigen Publikumsrängen umgeben ist. 6 DER KLANGREFLEKTOR Aufge- hängt in der Mitte des zeltförmigen Deckengewölbes, sorgt ein großer Klangreflektor für die exzellente Akustik des Saals. Der aufsteigende Klang wird dadurch gleichmäßig im Raum verteilt. Die Elbphilharmonie ist mehr als ein Konzerthaus – in dieser Illustration sehen Sie, was sich alles hinter der Fassade aus Glas und Backstein verbirgt 7 DIE ORGEL Eine viermanualige Orgel mit 65 Registern sowie weiteren Registern im Reflektor unter der Saaldecke vervollständigt den Großen Saal. gen reichenden musikpädagogischen Angebots des Hauses. Teil dessen ist auch das Klingende Museum, das hier eine neue Heimat findet. 8 DER KLEINE SAAL Auf der Ostseite 10 FOYER­BAR Die Foyer-Bar im des Gebäudes entsteht der kleine Konzertsaal mit flexibler Podesttechnik und Bestuhlung für bis zu 550 Besucher. 9 DAS KAISTUDIO Das Kaistudio im Sockelbau (mit 150 Plätzen) wird ein Raum für experimentelle Musik, Vorträge und Workshops. Vor allem aber ist es das Zentrum des über zwei Eta- 15. Obergeschoss ist das gastronomische Zentrum des Konzertbereichs. Weitere Barbereiche laden zum Verweilen in den Pausen ein. 11 DAS HOTEL Im Ostteil des Gebäu- des befindet sich das Hotel Westin auf 14 Ebenen mit 244 Zimmern, Wellnessund Konferenzbereich. 12 DIE WOHNUNGEN Im einzigen pri- vaten Bereich des Gebäudes gibt es 44 luxuriöse Appartements. Verglaste Fronten und Balkone bieten spektakuläre Ausblicke auf Hafen und Stadt. 13 DAS PARKHAUS Über eine Zufahrt auf der Ostseite des Gebäudes führt eine Spindel in das siebengeschossige Parkhaus im Sockelbau mit Parkflächen für 521 Fahrzeuge. Grafik: Herzog & de Meuron/ Elbphilharmonie und Laeiszhalle GmbH/ boomimages 2 7 6 11 12 10 5 8 4 1 3 13 9