Werkstofftechnik Prof. Dr. B. Lödding Dipl. Ing. H. Uphoff Praktikums-Versuch Nr. 5 „Rasterelektronenmikroskopie - REM“ WT-Praktikum-Verbundstudium-Versuch05-REM Einleitung Die Rasterelektronenmikroskopie ist ein unentbehrliches Hilfsmittel für die mikromorphologische Untersuchung von Oberflächen. Außer einer Oberflächenabbildung großer Schärfentiefe und einem Auflösungsvermögen von bis zu 0.6 nm besteht unter anderem die Möglichkeit in integrierten Halbleiterschaltungen Kontraste durch elektrische Potentiale oder bei ferromagnetischen Proben durch magnetische Streufelder zu erhalten. Neben der reinen Betrachtung der Oberfläche können auch analytische Methoden ausgenutzt werden. Der Anstieg der Rückstreukoeffizienten mit wachsender Ordnungszahl erlaubt eine Materialdifferenzierung. Mit Channelling-Diagrammen kann eine Orientierungsbestimmung und Kristallidentifizierung von 1 µm großen Bereichen durchgeführt werden. Zusätzlich ermöglichen die emittierten Röntgenquanten und Augerelektronen eine ortsaufgelöste Materialanalyse, und es können durch Kathodolumineszenz ausgelöste Lichtquanten zur Bilderzeugung ausgenutzt werden. 1 Funktionsweise und Aufbau eines Rasterelektronenmikroskops Im Elektronenmikroskop erfolgt der Elektronenaustritt aus der Kathode in das Vakuum durch thermische Emission oder Feldemission. Die Elektronen werden durch eine zwischen Kathode und Anode angelegte Spannung von 100-30000 V beschleunigt. Durch Blenden und magnetische Linsen wird der -10 -12 Durchmesser des Elektronenstrahls bei einer Stromstärke von 10 -10 A auf 1-20 nm verkleinert -8 -9 und auf der Probe fokussiert. Für Anwendungen, die eine höhere Stromstärke von 10 -10 A benötigen, steigt der Strahldurchmesser auf 0.1-1 µm an. Ein Rastergenerator sorgt für die zeilenförmige Abrasterung der Probe und einer synchronen Darstellung des verstärkten Detektorsignals auf einer Bildröhre. Die Vergrößerung erfolgt durch Verkleinerung des abgerasterten Bereichs auf der Probe bei gleichbleibender Größe des Bildes auf dem Monitor. Abb. 1 Prinzipieller Aufbau und Wirkungsweise eines Rasterelektronenmikroskops. (SEM: scanning electron microscope) 1 Werkstofftechnik Prof. Dr. B. Lödding Dipl. Ing. H. Uphoff 2 Praktikums-Versuch Nr. 5 „Rasterelektronenmikroskopie - REM“ Wechselwirkung Elektron - Materie Beim Eindringen der Primärelektronen in die Probe werden diese elastisch (ohne Energieverlust) und unelastisch (mit Energieverlust) gestreut. Durch die unelastische Streuung treten bevorzugt Energieverluste von wenigen eV auf, welche die Reichweite des Elektronenstrahls beschränken. Die Reichweite der Elektronen steigt mit sinkender Ordnungszahl und steigender Energie des einfallenden Strahls. Die elastische Streuung verursacht nur eine Richtungsänderung der Elektronen. Gelangen die Elektronen mit einer Energie von mehr als 50 eV zur Oberfläche zurück, so bezeichnet man diese als Rückstreuelektronen (RE oder BSE backscattered electrons). Die Anzahl der rückgestreuten Elektronen ist abhängig von der Materialzusammensetzung, der Primärenergie und dem Einfallswinkel des Elektronenstrahls. Der Primärelektronenstrahl erzeugt beim Durchgang durch die Probe eine Vielzahl von Sekundärelektronen mit einer Energie von wenigen eV. Aufgrund der geringen Reichweite dieser Elektronen von t = 1-10 nm führen diese zur Hochauflösung des Rasterelektronenmikroskops, da ihr Austrittsgebiet durch t und den Durchmesser des Primärstrahls bestimmt ist. Der Anteil der Sekundärelektronen, die durch rückgestreute Elektronen in der Nähe der Oberfläche innerhalb eines größeren Gebietes entstehen, ist deutlich geringer und führt zu einer Untergrundstrahlung. Entstehung von Röntgenstrahlung Das kontinuierliche Bremsstrahlungsspektrum entsteht durch Abbremsen von Elektronen im Coulombfeld eines Targetatomskerns. Durch Herausschlagen eines Elektrons aus einer tieferen Schale entsteht durch Nachrücken eines Elektrons aus einer höheren Schale entweder ein für dieses Element charakteristisches Röntgenquant oder durch Übertragung der Energiedifferenz auf ein weiteres Elektron des Atoms ein Augerelektron. In der Elektronenstrahl- Mikroanalyse (ESMA) wird die Emission der elementspezifischen charakteristischen Röntgenlinien zur Analyse der Elementzusammensetzung in Mikrobereichen in einem Rasterelektronenmikroskop neben der Abbildung der Probenstelle genutzt. 3 Detektoren 3.1 Szintillator-Photomultipier-Kombination Der auf Everhart und Thornley (1960) zurückgehende Sekundärelektronen-Detektor aus einer Kombination aus Szintillator und Photomultiplier ist in Abb. 2 schematisch dargestellt. Abb. 2 Schematischer Aufbau der Szintillator-Photomultiplier-Kombination Die von den Primärelektronen ausgelösten SE werden vom Netz des Kollektors auf positivem Potential angesaugt. Bei negativem Potential werden die SE zurückgehalten. Die schnellen RE können in beiden Fällen das Netz passieren. Hinter dem Netz stehen die Elektronen unter dem Einfluß des starken elektrischen Feldes zwischen dem Netz und der ca. 50 nm dicken Metallschicht auf der Oberfläche des Plastik-Szintillators, an welcher eine Spannung von +10 kV liegt. Die nachbeschleunigten Elektronen erzeugen im Szintillatormaterial ca. 3000 Elektron-Loch Paare. 2 Werkstofftechnik Prof. Dr. B. Lödding Dipl. Ing. H. Uphoff Praktikums-Versuch Nr. 5 „Rasterelektronenmikroskopie - REM“ Nur ca. 1-3 % werden in Lichtquanten umgesetzt, welche durch Totalreflexionen die photoelektrische Schicht des Multipliers erreichen. Dort lösen die Lichtquanten Elektronen aus, welche durch 6 sukzessive Beschleunigung und Vervielfachung ca. 10 -fach verstärkt wird. 3.2 Halbleiter-Detektoren Halbleiterdetektoren mit einer Oberflächensperrschicht sind besonders gut für die Untersuchung von rückgestreuten Elektronen geeignet. Auf p-leitendes Si (ca. 1000 µm) wird ein p-n-Übergang durch epitaktisches Aufwachsen oder Eindiffussion erzeugt. Abb. 3 Prinzipieller Aufbau eines Halbleiterdetektors. Eindringende Rückstreuelektronen erzeugen innerhalb des Halbleiters Elektron-Loch-Paare. Diese werden zum Teil im ca. 10 µm unterhalb der Oberfläche liegenden Potentialgefälle des p-nÜberganges getrennt und induzieren damit einen Strom. Der Elektronenstrom wird insgesamt innerhalb des Detektors um den Faktor 1000 verstärkt. Der Nachteil der geringen Verstärkung gegenüber einer Szintillator-Multiplier-Kombination wird dadurch aufgehoben, daß die Si-Detektoren klein und plan sind und in unmittelbarer Nähe der Probe angebracht werden können. Speziell oberhalb der Probe wird ein wesentlich größerer Raumwinkel erfaßt. 4 Abbildung mit Sekundär- und Rückstreuelektronen, Röntgenmikroanalyse 4.1 Oberflächentopographie Der plastische Eindruck der rasterelektronenmikroskopischen Bilder resultiert aus einer lichtoptischen Analogie, bei der die Beleuchtung aus der Richtung des Kollektors und die Betrachtung in Richtung der Einfallsrichtung des Elektronenstrahls erfolgt. Die im Schatten zum Detektor ausgelösten Sekundärelektronen können den Detektor aufgrund einer angelegten Saugspannung erreichen, welches in Analogie zur lichtoptischen Betrachtungsweise einer diffusen Beleuchtung entspricht, während man bei der Verwendung eines Detektors für BSE ohne Saugspannung auskommt und dadurch eine besserer Abschattungskontrast erreicht wird. Bei niedrigen Vergrößerungen bis etwa 1000 führt dies dazu, daß BSE- Bilder einen wesentlich besseren plastischen Eindruck des Objektes vermitteln. Die Überlegenheit des SE-Bildes macht sich erst bei höheren Vergrößerungen bemerkbar, wenn Objekteinzelheiten aufgelöst werden sollen die kleiner als das Austrittsgebiet der BSE sind. Der übertrieben hohe Intensitätsanstieg bei starken Neigungswinkeln sowie die erhöhte Emission von Elektronen an scharfen Kanten hat keine Analogie zur Lichtoptik. 4.2 Materialkontrast Zusätzlich zum Topographiekontrast tritt aufgrund der Z-Abhängigkeit des Rückstreukoeffizienten im BSE-Bild ein Materialkontrast auf, der allerdings nur bei ebenen Proben eindeutig ausgenutzt werden kann. Eine Erhöhung der Primärenergie bewirkt eine höhere Reichweite der Elektronen und ermöglicht somit sogar in die Probe „hineinzuschauen“. Wenn in tieferen Bereichen der Probe sich zum Beispiel Material mit einem höheren Rückstreukoeffizient befindet erfolgt eine höhere Emission an Rückstreuelektronen ab einer bestimmten Primärenergie. Die Ausbeute der SE ist hingegen keine eindeutige Funktion des Materials und außerdem sehr abhängig von Kontaminationsschichten. 3 Werkstofftechnik Prof. Dr. B. Lödding Dipl. Ing. H. Uphoff 4.3 Praktikums-Versuch Nr. 5 „Rasterelektronenmikroskopie - REM“ Röntgenmikroanalyse Wie unter 2 bereits einführend erläutert, entstehen in einem REM beim Auftreffen des Elektronenstrahles auf die Probenoberfläche auch Röntgenstrahlen, die charakteristisch für die an der Stelle vorkommenden Elemente sind. Mit der Detektion und spektralen Analyse dieser Röntgenstrahlung ist damit eine mikroskopische Elementanalyse auf einer Größenskala von ca 1 µm möglich, die dadurch eine große Bedeutung bei der Identifizierung von Mikrostrukturen und bei Schadensfallanalysen erlangt hat. Als Detektoren haben sich vor allem sog. EDX- Detektoren (= Energy Dispersive X-ray analysis) bewährt, die die einfallenden Röntgenquanten proportional zu ihrer Energie registrieren. Als Detektor dient dazu ein Si(Li)- Halbleiter- Kristall (mit Lithium dotierter Silizium- Halbleiter), indem ähnlich wie beim BSE-Detektor Elektron-Loch-Paare erzeugt werden (siehe Abb. 3). Die Detektion erfolgt simultan; die erhaltenen Peak-Intensitäten lassen sich auch in quantifizierbare Konzentrationswerte umrechnen. Abb. 3 Prinzip des Si(Li)- Detektors für die EDX- Röntgenmikroanalyse 5 Objektveränderungen durch Elektronenbeschuß Aufgrund des Elektronenbeschusses kann es zu Veränderungen an der Probenoberfläche kommen, die bei der Untersuchung und der Interpretation in Betracht zu ziehen sind. 5.1 Kontamination Im Restvakuum sind durch das Öl der Drehschieberpumpen, Gummidichtungen und Verunreinigungen der Probenkammer durch Fingerabdrücke verschiedene Kohlenwasserstoffe und Silikonöle vorhanden. Diese werden auf der Probe absorbiert und unter Elektronenbeschuß wachsen Kontaminationsschichten aus gekrackten und vernetzten Kohlenwasserstoffen und Si-Verbindungen auf, wobei die Wasserstoffatome größtenteils herausgeschlagen werden. Wegen der geringeren SEAusbeute erscheinen kontaminierte Flächen in der Regel dunkler. 5.2 Objekterwärmung Die Strahlenergie, welche nicht die Probe durch Emission von Elektronen oder Röntgenlicht verläßt, führt zu einer Objekterwärmung. Die eingestrahlte Energie ist proportional zur Spannung und zum Strom. Die Temperaturerhöhung hängt jedoch zusätzlich von der Wärmeleitfähigkeit der Probe ab. Bei Metallen liegt die Temperaturerhöhung im Bereich von mK und darunter. Bei Kunststoffen mit schlechter Wärmeleitfähigkeit liegt der Temperaturanstieg deutlich höher und kann sogar im Extremfall zum lokalen Aufschmelzen der Probe führen. 4 Werkstofftechnik Prof. Dr. B. Lödding Dipl. Ing. H. Uphoff 5.3 Praktikums-Versuch Nr. 5 „Rasterelektronenmikroskopie - REM“ Strahlenschäden Der Elektronenbeschuß verursacht Ionisationsprozesse in organischen Substanzen. Dies führt zu irreversiblen Strahlenschäden, indem Bindungen aufgerissen werden und kleinere Radikalgruppen freigesetzt werden. In kompaktem Material kann diese Gasbildung unter Umständen durch eine Mitwirkung der Objekterwärmung zu einer Blasenbildung führen. In Kettenmolekülen benachbart entstandene Kohlenstoffdoppelbindungen können zur Vernetzung führen und es bleibt schließlich ein Kohlenstoffpolymerisat übrig. 5.4 Aufladung Bei elektrisch nichtleitenden Proben und Verunreinigungen treten typische Abbildungsartefakte durch Aufladung auf. Sobald ein isolierendes Objekt vom Elektronenstrahl getroffen wird lädt es sich negativ auf. Die Folge ist eine erhöhte Emission von Sekundärelektronen. In der leitenden Umgebung des Objekts entsteht eine entgegengesetzte Feldstärke, welche die Emission von Sekundärelektronen unterdrückt. Bei hochisolierenden Objekten kann die Aufladung 30-90 % der Beschleunigungsspannung erreichen. Dann werden auch die Bahnen der Primär- und Rückstreuelektronen beeinflußt, besonders in der Nähe von aufgeladenen Bereichen. Wählt man die Energie der Primärelektronen in der Art, daß die Anzahl der emittierten gleich der einfallenden Elektronen ist, entsteht keine Aufladung. Dünne SiO2-Schichten, wie sie in der Halbleiterindustrie verwendet werden, werden durch den Elektronenbeschuß lokal leitend und die entstandenen Ladungsträger können abfließen. Voraussetzung ist allerdings, daß die Diffussionswolke der Elektronen die SiO2-Schicht durchdringt. 6 Präparation Um eine Oberfläche im SEM abzubilden, muß diese im Wesentlichen sauber (frei von Belegungen), hochvakuumbeständig (kein Verändern der Form und kein Ausgasen) und elektrisch leitend sein. Falls diese Bedingungen nicht erfüllt sind, müssen geeignete präparative Maßnahmen ergriffen werden. Die Reinigung der Proben erfolgt entweder durch Abblasen mit Druckluft oder durch Ultraschallanwendung in Flüssigkeit. Eine Hochvakuumbeständigkeit läßt sich in vielen Fällen durch eine Gefriertrocknung erreichen, so daß der Dampfdruck der Probe sinkt. Die elektrische Oberflächenleitfähigkeit wird durch eine etwa 10 nm dünne metallische Sputter- oder Aufdampfschicht erreicht. Für elektronenmikroskopische Untersuchungen hat sich eine Au/Pd- Legierung (80/20) bewährt, weil sie eine hohe Emission an SE bei geringer Austrittstiefe erzeugt und sich in einer gleichmäßigen Schicht auf der Probe verteilt. Bei Röntgenspektroskopischen Untersuchungen empfiehlt sich eine Kohlenstoffverdampfung um eine geringe Beeinflussung des Spektrums zu erreichen. 7 Versuche • Einweisung in die Funktion und Bedienung eines Rasterelektronenmikroskops • Demonstration von der Sekundär- und Rückstreuelektronenabbildung an ausgewählten Beispiel-Proben • Präparation und Besputterung typischer Proben aus der werkstoffanalytischen Praxis; anschließende Untersuchung im Rasterelektronenmikroskop und Dokumentation der Ergebnisse • Demonstration der Elektronenstrahl- Mikroanalyse (EDX- Verfahren) • Programm zur Simulation von Elektronenbahnen (optional) Das Programm berechnet Elektronenbahnen nach der Monte-Carlo-Methode. In der Demonstration wird der Einfluß des Materials, der Probengeometrie, der Elektronenenergie und des Einfallswinkels simuliert • eigene Probe der Studenten Bei bestehendem Interesse können eigene Proben mitgebracht werden, welche unter dem REM angeschaut werden. Die Ausmaße der Proben sollten maximal im Bereich von wenigen cm liegen oder sich zerteilen lassen. 5 Werkstofftechnik Prof. Dr. B. Lödding Dipl. Ing. H. Uphoff Praktikums-Versuch Nr. 5 „Rasterelektronenmikroskopie - REM“ 6 Beispiele rasterelektronenmikroskopischer Untersuchungen: Al2O3 / Fe2O3 – Keramik, getempert bei 1250 °C, Vergr.: 50.000 : 1 (SE- Abbildung) Lasergebohrte Spinndüse in Keramik 100 :1 (SE- Abbildung) Querschnitt durch eine Fehlstelle in einer Lackschicht (links: SE-Abb., rechts: Materialkontrast BSEAbb.) Vergr.: 700 : 1