versenkt und wieder an die Oberfläche befördert worden. Die scheinbar unveränderbare und stumme Bergwelt hat die Erinnerung an diese dramatischen Ereignisse bewahrt, hinter der Schönheit ihrer Mineral- und Gesteinslandschaften verstecken sich fantastische Geschichten. Wie das Matterhorn aus Afrika zu uns kam, ist nur eine davon. Michel Marthaler promovierte 1983 zum Doktor der Geologie. Er entdeckte in den Walliser Alpen Spuren von fossilem Plankton, und fortan erstreckten sich seine Forschungen über den gesamten Alpenbogen. Er arbeitete als Professor an der Universität Lausanne (Institut für Geografie und Geologie) und er hat alpine Geologie an den Universitäten Genf und Chambéry unterrichtet. «Ein wesentliches Buch für alle an Wissenschaft und Natur Interessierten.» Arthur Escher Marthaler Die Geschichte der Alpenbildung ist ein unvorstellbar langes, reiches und komplexes Abenteuer. Michel Marthalers Buch lädt dazu ein, diese grossartige Geschichte kennenzulernen. Dazu müssen wir erst einmal eine Reise in die Vergangenheit machen, als die ersten Dinosaurier unterwegs waren. Wir erfahren, dass zu dieser Zeit, vor 250 Millionen Jahren, ein Grossteil der Landmassen auf der Erde zu einem einzigen Kontinent zusammengefügt ist, und wir verfolgen, wie dieser «Superkontinent» sich langsam in kleinere Platten auflöst, die wie Flösse auf der Erdkugel schwimmen und manchmal miteinander kollidieren. Durch eine solche Kollision – zwischen Afrika und Europa – sind auch die Alpen entstanden. In unfassbar langsamem Tempo, über Millionen von Jahren, haben sich dabei Meere und Ozeane geöffnet und wieder geschlossen, haben sich Gesteinsmassen über- und untereinander geschoben, sind tief ins Erdinnere Das Matterhorn aus Afrika Michel Marthaler Das Matterhorn aus Afrika Die Entstehung der Alpen in der Erdgeschichte 5 Einleitung zur 1. Auflage von Claude Nicollier Die Berge sind mit meinen ältesten Kindheitserinnerungen verbunden. Wir verbrachten mit meiner Familie alle unsere Sommer in der Gegend der Ormonts, am Fuss der «DiableretsDecke», wie Michel Marthaler sie nennt. Die Schönheit des Ortes ist unbeschreibbar. Die wunderbaren Steilwände der Waadtländer Alpen lenkten schon damals die Blicke von uns Kindern und Jugendlichen zum klaren und vom Licht menschlicher Siedlungen ungestörten Himmel. Später habe ich in der Sternwarte des Gornergrates meine ersten astronomischen Beobachtungen gemacht. Diese Landschaft ist über allem erhaben. Gerade gegenüber ein Bergspitz aus Stein und Eis, das Matterhorn, prachtvoll und einsam, gegrüsst von Gipfeln, die manchmal höher sind, vielleicht schwieriger zu besteigen, aber unvergleichbar mit der strengen Pracht des Herrn der Alpen. Darüber der weiteste und klarste Himmel von ganz Mitteleuropa. Und das alles war einmal, wie es der Autor dieses Buches sagt, von den Fluten eines afrikanischen Ozeans überspült, aus dem das Floss «Matterhorn» auftauchte: Wunder einer Entwicklung zur heutigen Reife gekommen, voll von strahlender Harmonie. Die Anziehungskraft der Berge auf uns ist in mehrfacher Hinsicht mit derjenigen des Weltraums vergleichbar. Beide verlangen einen vollkommenen Einsatz und eine ständige Disziplin. Man lässt sich auf eine heikle Besteigung oder eine Weltraumfahrt nur nach einem umfassenden Training ein – und dies auch nur mit einer allen stets möglichen Extremfällen bestmöglichst angepassten Ausrüstung. Dabei hat eine ununterbrochene Aufmerksamkeit für jegliche mögliche Veränderung höchste Priorität. Mein Kollege Jeff Hoffman und ich wollten diese Ähnlichkeit hervorheben, indem wir nach zwei unserer Reisen im Weltraum in Begleitung von Angehörigen und Freunden das Matterhorn bestiegen und so die wohlschmeckende Frucht der Anstrengung und Selbstüberwindung kosteten. Bis jetzt konnte ich die Alpen während meinen Weltraumreisen nie überfliegen. Hingegen hatte ich – wegen unserer leicht geneigten Umlaufbahn – die Gelegenheit, den Himalaja 6 Einleitung zur 1. Auflage von Claude Nicollier und besonders den Mount Everest zu beobachten, der wie eine eindrucksvolle weisse Pyramide inmitten eines fantastischen Flechtwerkes von Tälern und Bergketten steht, scheinbar auf ewig erstarrt. Dies ist gewiss eine der spektakulärsten Ansichten der Erde, die man vom Weltraum aus haben kann. Bei der Betrachtung des Weltraums von einem Raumschiff auf der Erdumlaufbahn aus erwartete ich als Astronom den grössten Eindruck meines Lebens. Ich wurde nicht enttäuscht: Das Schwarz des tiefen Weltraums und der Glanz und die Klarheit der Sterne zählen zu den schönsten Belohnungen für jemanden, der sich zum ersten Mal von den irdischen Einengungen befreit hat. Aber der Blaue Planet – die Erde, die wir in einer Höhe von 300 bis 600 Kilometern beinahe streifen und die der Star unseres inneren Films in dauernder Nahaufnahme ist – diese Erde bleibt die Perle des Kosmos und der Ausdruck reiner Schönheit, unendlich zart und empfindlich. Wie aus dem Buch von Michel Marthaler gut hervorgeht, verändert sich dieses Gestirn ständig unter dem Zeiteinfluss sowie mehr und mehr auch durch den Eingriff seiner Bewohner. Besiedlung heisst nicht Zerstörung: Die Erde, deren vergängliche Mieter wir sind, soll allen Lebensarten die Möglichkeit geben, auf dem Weg ihrer Evolution bleiben zu dürfen. Dies ist eine der Lehren, die ich aus meiner Weltraumerfahrung gezogen habe und die ich mit den Lesern dieses wunderschönen Buches teilen möchte. Claude Nicollier, Astronaut ESA (Europäische Weltraumorganisation) 7 Vorwort zur 1. Auflage von Arthur Escher Die Alpen sind vor allen anderen die zuerst und am besten untersuchte Gebirgskette unseres Planeten. Ihr komplexer Aufbau wurde durch die Arbeiten von mehreren Generationen von Alpengeologen entschlüsselt. Dabei wurden mit den Deckenüberschiebungen erstmalig grosse Gesteinsverbände entdeckt, die über grosse Entfernungen transportiert worden sind. Ebenfalls in den Alpen wurden die Grundzüge einer schlüssigen paläogeographischen Rekonstruktion entwickelt. Trotz der aussergewöhnlichen Vielschichtigkeit der geologischen Einzelheiten wurde ein zufriedenstellendes Verständnis von der Entstehung der Alpen erst dank der Fortschritte in Geophysik und Meeresgeologie möglich. Diese beiden Disziplinen haben durch die Theorie der Plattentektonik in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine weltweite Erklärung für die Entstehungsgeschichte von Gebirgsketten geliefert. Auch wenn nunmehr eine Rekonstruktion der geologischen und topographischen Entwicklungsgeschichte der Alpen möglich geworden ist, so bleibt es dennoch sehr schwer, dies auf einer begrenzten Anzahl von Seiten und mit relativ einfachen Worten zu tun. Doch dieser Gewaltakt ist Michel Marthaler im vorliegenden Werk geglückt. Sein Text ist voller Begeisterung geschrieben und durch wunderschöne Panoramabilder, zahlreiche Zeichnungen, Karten und Schemas ergänzt. Er erzählt die Geburt und das allmähliche Verschwinden von Ozeanen und Kontinenten, die zur Entstehung der Alpen beigetragen haben. Trotz eines relativ einfach gehaltenen Textes ist es dem Autor gelungen, genaue und dem heutigen Kenntnisstand entsprechende Erklärungen zu liefern. Darüber hinaus wird es dem Leser erleichtert, durch Vergleiche und durch Verweise auf heute in anderen Gebieten der Erde auftretende Phänomene diejenigen Vorgänge besser zu verstehen, die der Bildung einer Gebirgsregion wie unserer Alpen vorausgegangen sind und deren Entstehung kontrolliert haben. Dieses Buch schlägt also eine Brücke zwischen regionaler und weltweiter geologischer Betrachtungsweise. Die Verwendung von wissenschaftlichen Begriffen wurde weitmöglichst eingeschränkt – und dort, wo dies nicht möglich war, werden die geologischen Fachbegriffe 8 Vorwort zur 1. Auflage von Arthur Escher in einem separaten Glossar verständlich erklärt. Die inhaltliche Einheit von Text und Abbildungen spricht auch für das pädagogische Einfühlungsvermögen von Herausgeber und Autor. Verdienst gebührt schliesslich dem Letzteren, die relative Langsamkeit geologischer Zeitläufe und die unglaublich lange Dauer der Entstehungsgeschichte der Alpen im Vergleich mit der stressbeladenen Geschwindigkeit des heutigen Lebens in ein positives Licht zu rücken. Es handelt sich daher um ein wesentliches Werk sowohl für Unterrichtende als auch für Studierende der Naturwissenschaften, für mit der Alpengeologie nur wenig vertraute Geologen und natürlich für alle an Wissenschaft und Natur Interessierten, sofern sie mehr über Entstehung, Entwicklung und Abtragung einer Gebirgskette wie der Alpen erfahren möchten. Dieses Buch wendet sich auch an alle diejenigen, welche die Alpen schätzen, erwandern oder bewohnen und denen es ein Anliegen ist, die faszinierende Geschichte der Landschaft und der Gesteine unter ihren Füssen kennen zu lernen. Arthur Escher Emeritus der Universitäten Lausanne und Genf 9 Zum besseren Verständnis beim Lesen dieses Buches Die Geschichte vom geologischen Aufbau der Alpen ist kompliziert. Zahlreiche Begriffe und wissenschaftliche Fachausdrücke sind zur Erklärung der vielfältigen geologischen Vorgänge nötig. Dieses Buch will darauf in Form eines Berichts oder Theaterstücks Antwort geben. Denn es ist in der Tat so, dass zahlreiche «Akteure» sich vorne auf der Bühne streiten, als ob sie einen Schatten auf das Matterhorn werfen wollten. Der geologisch nicht vorbelastete Leser wird sich mit einer ganzen Reihe von Namen vertraut machen müssen, unter anderen derjenigen der am Aufbau der Alpen beteiligten Akteure. Keine Angst vor den zahlreichen, oft fremdartig klingenden Begriffen wie Briançonnais-Schwelle, PiemontOzean, Walliser Trog; dank des blau hinterlegten Lexikons und dank der Abbildungen und ihrer Erklärungen (auf gelbem Hintergrund) können sich alle nach und nach mit diesem Gedankengebäude aus kleineren Teilen von Kontinenten und kleinen ozeanischen Becken vertraut machen. Die Abbildungen auf gelbem Hintergrund sind entweder Karten oder geologische Schnitte und stellen die verschiedenen Etappen bei der Entstehung der Alpen dar. Über den gesamten Berichtszeitraum hinweg trifft man diese Abbildungen in richtiger zeitlicher Abfolge wieder an; am Ende sind sie noch einmal zusammengestellt, um in einer Art Zusammenfassung einen Gesamtüberblick des Ablaufs der geologischen Geschichte zu ermöglichen. Nach einer Einführung, die das unglaubliche Gedächtnis der Erde zum Gegenstand hat, welches in den Landschaften und den einzelnen Gesteinstypen des Gebirges gleichsam eingeprägt ist, werden im ersten Kapitel die bedeutenden geologischen Phänomene behandelt, die heute das Geschehen auf unserem Planeten bestimmen und die Erde eigentlich schon seit Anbeginn beeinflussen: Vulkane, Erdbeben, Verschiebungen (nicht nur der Kontinente sondern insbesondere auch der Ozeane). Der Leser wird sich mit einigen Grundbegriffen anfreunden müssen: so z. B. der Unterscheidung zwischen einem aktiven und einem passiven Rand, was anhand eines Schnitts durch die Erde auf S. 20 erklärt wird. Dieser fundamentale Unterschied wird anschliessend mit Hilfe von Karten der zwei grossen Ozeane unseres Planeten (Atlantik und Pazifik) veranschaulicht. Bei diesem grossangelegten Spaziergang durch unsere Erdgeschichte wird die Leserin auch versuchen müssen, einige der stets auf blauem Hintergrund erscheinenden grundlegenden geologischen Begriffe zu ver- 10 Zum besseren Verständnis beim Lesen dieses Buches innerlichen. Das ermöglicht ihr einen besseren Einstieg in das eigentlich Interessante: nämlich in die abenteuerlichen Ereignisse, die durch die Öffnung und das anschliessende Verschwinden eines ganzen Ozeans (der Tethys) das aus afrikanischem Gestein aufgebaute Matterhorn nach Europa verfrachtet haben. Da sich die gesamte Geschichte dieses Buches über 250 Millionen Jahre, vom Ende des Paläozoikums (Erdaltertum) bis zum heute andauernden Quartär, erstreckt, wird die Einführung mit einer Abbildung abgeschlossen, in der das geologische Zeitgeschehen gleich einem Film abläuft. Diese Abbildung wird in verschiedenen Kapiteln des Buches wiederaufgenommen; es wird so dem Leser helfen, sich in den fünf grossen, in den Kapiteln II bis VI behandelten Abschnitten der Entwicklungsgeschichte unseres Planeten zurechtzufinden, die zur Bildung der Alpen geführt haben. So bleibt nur noch, den Leserinnen und Lesern eine spannende Raum- und Zeitreise auf unserem Planeten zu wünschen! Hinweis zur zitierten Literatur Der Haupttext des Buches enthält kleine Zahlen, die auf die am Buchende aufgeführte Literatur verweisen. Es handelt sich dabei aber eher um eine Orientierungshilfe als um vollständige Angaben. Denn etwas mehr als 100 Literaturhinweise in einem Buch zur Geologie und Geodynamik der Alpen ist gleichermassen zu wenig und zu viel. Zu viel deshalb, weil das nicht spezialisierte Publikum sich mit der Aufzählung der Bücher und einiger «populärwissenschaftlicher» Broschüren zufrieden geben würde (Zitierweise: Erscheinungsjahr nach dem Verlag), da die wissenschaftlichen Artikel (Zitierweise: Erscheinungsjahr nach den Autoren) meist zu speziell sind. Zu wenig deshalb, weil die geologische Fachwelt die Literaturhinweise als unvollständig erachten wird. Man hätte etwa 1000 Veröffentlichungen aufführen müssen … Man möge mir daher eine oft persönliche Auswahl aus der grossen Vielzahl an Publikationen verzeihen. Allerdings sei der Hinweis erlaubt, dass einige der zitierten Artikel mit Synthesecharakter (Abschlussbericht des NFP 20, Deep Structures of the Swiss Alps, Schweizer Nationalfonds, ECORS, Frankreich und CROP, Italien) sowie die Erläuterungen der geologischen Karten des Bundesamtes für Wasser und Geologie eine Fülle an zusätzlichen Literaturzitaten enthalten. 11 Inhaltsverzeichnis Einführung Das grossartige Gedächtnis unserer Erde . . . . Erdgeschichte im Zeitraffer . . . . . . . . . . . . . . Ein Abstecher nach Indonesien . . . . . . . . . . . Panoramabilder eines Abtauchspektakels . . . 13 17 I. Die grossen Wanderungen der Kontinente und Ozeane . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine riesige Wärmemaschine . . . . . . . . . . . . Plattenförmige Flösse . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ozeanverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . Die Methoden und Disziplinen der Geologie . 19 19 21 25 26 II. Der grosse Bruch von Pangäa . . . . . . . . . . Sehr alte rosa Quarze . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Strand voll von kleinen Dinosauriern . . . Der Zerfall Pangäas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brekzien als Zeugen des Rifting . . . . . . . . . . Die Geburt eines neuen Ozeans . . . . . . . . . . Atlantik und Tethys als Zwillinge . . . . . . . . . 29 29 31 33 35 36 38 III. Die Tethys und ihre ozeanischen Geschwister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Island – ein auseinandergerissenes Stück Land mitten im Meer . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kissenlava am Meeresboden und im Gebirge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Europa und Nordafrika unter Wasser . . . . . . Die Erinnerung an das Meer im Gebirge . . . . Wenn die Zeit ihre Aufzeichnung vergisst . . . Die Briançonnais-Schwelle, eine abdriftende «Insel» mitten im Meer . . . . Provence, Jura und Burgund – Strände und Riffe in Bewegung . . . . . . . . . . . IV. Die Subduktion oder das Versinken der Ozeane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Auftritt der Iberischen Platte . . . . . . . . . Das Matterhorn verliert den Anschluss an Afrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 42 42 46 46 48 52 V. Die Kollision: ein langsamer und tiefer Zusammenprall . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Matterhorn und seine ozeanische Unterlage werden europäisch . . . . . . . . . . . . Die Fortsetzung des Abtauchspektakels . . . . . Tiefseegräben und Inseln – alles, nur keine Berge! . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Akkretionskeil wächst mit seiner Unterlage und vergrössert sich laufend . . . . . Der Widerstand gegen die Subduktion organisiert sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . In der Tiefe gebildete Falten und Decken . . . . Endlich richtige Berge! . . . . . . . . . . . . . . . . . Und auch viel Sand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Menschen, Gletscher und die Alpen von heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Afrika kommt erneut zu Ehren . . . . . . . . . . . Der Mythos vom Alter des Juras . . . . . . . . . Kristalle und Zerrklüfte . . . . . . . . . . . . . . . . Der Aufbau der Alpen: eine Welt in vier Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Eis hat das heutige Landschaftsbild geformt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Vorstoss und der Eindruck vom Rückzug der Gletscher . . . . . . . . . . . . . . . . . Seen, Flüsse und Blockgletscher . . . . . . . . . . Die Zerstörung von Gebirgen: plötzliche Katastrophen und langsame Prozesse . . . . . . Und als Epilog noch ein paar Fragen … . . . . . 59 61 65 66 70 71 74 76 79 82 84 87 87 89 89 91 99 101 104 105 107 52 55 55 57 Anhang Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 Zusammenfassung in Bildern . . . . . . . . . Beilage Hinter der unbeschreiblichen Schönheit einer mineralischen Landschaft versteckt sich eine sagenhafte Geschichte. Einführung Das grossartige Gedächtnis unserer Erde Haben Sie es gewusst? Unser schöner blauer Planet hat ein aussergewöhnliches Gedächtnis! Denn seine ganze, lange Geschichte steht in den Gesteinen geschrieben; heutzutage sind diese allerdings allzu oft durch den Deckmantel des Pflanzenkleides oder durch menschliche Überprägung verhüllt. In den Bergen oder Wüsten verlieren die Gesteine schliesslich ihre Scheu. Nackt und bloss liegen sie da, sind der Beobachtung frei zugänglich, aber leider nicht sehr gesprächig. Der Reisende stellt gelegentlich fest, dass sich hinter der scheinbar stummen Eis und Schnee bedecken an den Nordwänden von Mönch (links) und Jungfrau kalkige Sedimente, die vor etwa 150 bis 100 Millionen Jahren in einem warmen und tropischen Meer abgelagert wurden. 14 Einführung Kontinent Ozean Die Felspyramide des Matterhorns (hier in Nordansicht) ist ein kleines Kontinental-Floss, das auf marinen Sedimenten eines heute verschwundenen Ozeans gestrandet ist. Die Ozean-/Kontinent-Grenze ist gelb hervorgehoben. Diese vor 80 Millionen Jahren bewegliche, aber unter einem Kontinent versteckte Grenze ist heute sichtbar und in der Felswand des Berges verewigt. Einführung 15 Schönheit einer Mineral- und Gesteinslandschaft phantastische Geschichten verstecken: Die vereisten Nordwände von Eiger, Mönch und Jungfrau bestehen aus kalkigen Sedimenten, die sich in einem warmen, tropischen Meer während der Jura- und der Kreidezeit vor etwa 150 bis 100 Millonen Jahren abgelagert haben. Die Gesteine der Matterhorn-Pyramide kamen als «Import aus Afrika» hierher – und zwar lange bevor der Berg seine berühmte und symbol- Ausschnitt aus der durch Emile Argand erstellten geologischen Karte (1908)1. Massstab 1:85 000 Die Kontinentalgneise afrikanischen Ursprungs sind in Rot-Orange, die ozeanischen Sedimente in Blau und die Unterwasserlaven in Grün. Obwohl Gletscher und ihre Moränen die Gesteine teilweise überdecken, ist dank des hinzugefügten gelben Striches deutlich sichtbar, wo die Grenze zwischen kontinentalen und ozeanischen Gesteinen verläuft. Jura: Mittlerer Abschnitt des Mesozoikums (Erdmittelalter). Dauer: 210–145 Millionen Jahre vor heute. Dieser Zeitabschnitt ist u. a. durch seine Hinterlassenschaft zahlreicher fossiler Reste von Dinosauriern bekannt und wird seinerseits in drei Teile gegliedert, welche aufeinanderfolgend als Lias, Dogger und Malm bezeichnet werden. Kreide: Jüngster Abschnitt des Mesozoikums (Erdmittelalter). Dauer: 145–65 Millionen Jahre vor heute. Das Ende der Kreidezeit ist durch eines der grössten Massensterben unseres Planeten charakterisiert. Bekannt ist insbesondere das Aussterben der Dinosaurier auf dem Festland und das der Ammoniten in den Ozeanen. 16 Einführung kräftige Form erhielt. Der Schweizer Geologe Emile Argand1 hat als Erster diesen scheinbaren Widerspruch erkannt und erklärt. Die von Bergsteigern erkletterten Felsen sind nämlich mehrere 100 Millionen Jahre alte Gneise, die entgegen jeglicher zeitlichen Logik auf viel weicheren Gesteinen auflagern, welche ihrerseits die Überreste eines am Ende der Kreidezeit (vor nur 60–80 Millionen Jahren) verschwundenen viel jüngeren Ozeans darstellen. Die scheinbar unveränderbar erscheinende Bergwelt hat uns also phantastische Geschichten zu erzählen: Für den Geologen ist das Meer nicht hinter, sondern in den Bergen! Hinter der einen Landschaft verbirgt sich also eine andere – und dies nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich. Ebenso sind die einfachen Steine (und nicht nur die schönen Kristalle) wertvolle Zeitzeugen der eindrücklichen Geschichte unserer Erde, die uns in der Geodynamik und in der Paläogeographie erschlossen wird. Gneise (hier ein Besipiel aus dem Turtmanntal) sind Gesteine, welche die Spuren der aufeinanderfolgenden Deformationphasen sehr alter Gebirgsketten aus der Zeit des Paläozoikums (vor 500 bis 300 Millionen Jahren) bewahrt haben. Die gefältelten, hellen Bänder bestehen aus Quarz und Feldspat. Die dunkelgrünen Teilbereiche sind reich an Amphibolen. Gneis: Metamorphes Gestein mit gebändertem Aussehen und spiegelnden Oberflächen als Folge einer bevorzugten Einregelung von Mineralien. Dabei handelt es sich bei den hellen Bändern meist um Quarz und verschiedene Feldspäte, während die dunklen Bänder reich an Glimmer und Amphibolen sind. Quarz (SiO2): Gewöhnliches hartes Mineral, siliziumreich, grau bis durchscheinend. Bildet bei guter Kristallisation hexagonale Pyramiden. Der bei uns bekannteste Quarzvertreter ist der «Bergkristall». Feldspat: Helles Mineral, sehr häufig in magmatischen und metamorphen Gesteinen. Glimmer: Plättchenförmiges Mineral, schwarz-glänzend oder silbern. Amphibole: Dunkles, oft stäbchen- oder nadelförmiges Mineral. Geodynamik: Disziplin der Erdwissenschaften; Lehre von den Kräften, den Bewegungen und den Veränderungen, denen die Erde insbesondere an der Oberfläche ausgesetzt ist: Kontinentalverschiebung, Öffnung und Schliessung der Ozeane, Ausbildung neuer Reliefs. Paläogeographie: Disziplin der Erdwissenschaften, welche die Formen und Bewegungen der Kontinente, Meere und Ozeane im Verlauf der Erdgeschichte zu rekonstruieren versucht.