Bericht zur Konferenz "Politischer Islam als ein Faktor der EU

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Konferenzbericht
Politischer Islam als ein Faktor der
EU-Außenbeziehungen
Hanns Bühler
Konferenz der Hanns-Seidel-Stiftung
am 16. November 2009
Datei eingestellt am 26. November 2009 unter
www.hss.de/download/Berichte/091126_KB_Islam.pdf
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Politischer Islam als ein Faktor der EU-Außenbeziehungen
Seit dem 11. September wird verstärkt auf eine präventive Dialogstrategie als
Alternative zu konfrontativen Ansätzen bei der Gestaltung der Beziehungen
zwischen Europa und der islamischen Welt gesetzt. In zahlreichen EUStrategiepapieren wird der Dialog mit moderaten Islamisten, die sich zur
Gewaltfreiheit bekennen, gefordert. Im Mittelpunkt früherer Überlegungen stand die
Frage, ob es angemessen sei, mit Reformbewegungen Gespräche zu führen. Aus
dem Ob ist ein Wie geworden. Die Notwendigkeit eines umfassenden Dialogs mit
politischen Bewegungen des islamischen Raums wird heute von niemandem
bestritten. Gleichwohl fehlt es bislang an einer einheitlichen europäischen Strategie
im Umgang mit pragmatischen Islamisten. Zum Thema: Der Politische Islam als ein
Faktor der EU-Außenbeziehungen veranstaltete die Verbindungsstelle Brüssel der
Hanns-Seidel-Stiftung am 16. November 2009 eine Konferenz, an der knapp 100
Vertreter europäischer Institutionen und Organisationen teilnahmen. Leitfragen der
Veranstaltung waren die Prinzipien des Dialogs mit Islamisten, die praktische
Realisierung der Gesprächsforen sowie die Schwierigkeiten und Grenzen des
Dialogs. Das Podium war besetzt mit Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering, MdEP,
ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments, Prof. Dr. Reinhard Bettzuege,
deutscher Botschafter im Königreich Belgien, Merete Bilde, persönliche Beraterin
des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik in Fragen
des politischen Islam, Dr. Michael Köhler, Kabinettschef und Mitglied der
Arbeitsgruppe Politischer Islam in der Europäischen Kommission, sowie Prof. Dr.
Alaya Allani, Islamismusexperte an der Universität Tunesien.
Heute erstreckt sich der Islam von Indonesien nach Marokko und von Kasachstan
bis zum Senegal. Seit Jahren beobachtet der Westen irritiert den Vormarsch der
dynamisch auftretenden Religion. Untersuchungen und Recherchen in Europa
ebenso wie im Mittleren-Osten und den nordafrikanischen Ländern brachten zu
Tage, dass der politische Islam keine fixe Ideologie mit klar identifizierbaren
Werten und Zielen sei, sondern eher ein fließendes Phänomen, das eine Anzahl
von Bewegungen mit unterschiedlichen Philosophien, Prinzipen und Agenden
umfasse.
Botschafter Bettzuege wies in seinen einleitenden Worten auf die Instrumentarien
hin, die der EU für den Dialog mit der islamischen Welt zur Verfügung stünden. Der
Barcelona-Prozess, die Nachbarschaftspolitik und die Europa-Mittelmeer
Partnerschaft öffneten neue Kanäle für den Dialog, die aktiv genutzt werden
sollten. Über die Hälfte der islamischen Bevölkerung sei unter 25 Jahre alt. Dies
treffe insbesondere auf den arabischen Raum zu. Zielgruppe des Dialogs müsse
daher die junge Generation sein, da es maßgeblich von ihr abhänge, ob die
Interaktion mit dem Westen auf friedlicher Grundlage basiere oder nicht.
Pragmatische islamistische Bewegungen, so Prof. Dr. Alaya Allani, könnten als
Organisationen und Parteien definiert werden, die versuchten, am politischen
Alltag teilzunehmen, und die sich öffentlich zur Gewaltfreiheit bekannten, um ihre
Ziele auf nationaler Ebene zu erreichen. Die systemimmanente politische Tätigkeit
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sei auch ein Merkmal in denjenigen Ländern, in denen die Bewegungen
diskriminiert und unterdrückt würden. Die erläuterte Definition umfasse somit
Gruppen und Parteien wie z.B. die muslimische Brüderschaft in Ägypten und
Jordanien, die Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) in Marokko und die
Islamische Aktionsfront (IAF) in Algerien.
Gewaltfrei operierende islamische Bewegungen seien im sozialen und kulturellen
Gefüge der islamischen Welt fest verwurzelt. Sie verfügten laut Prof. Allani über ein
großes Potential, um auf breiter Ebene Bündnisse zur Herbeiführung eines
politischen Wandels einzugehen. Der Islamismusexperte präsentierte einen
Überblick über die unterschiedliche Behandlung von islamistischen Organisationen
und Parteien im Maghreb. In Tunesien habe der Präsident Ben Ali in der zweiten
Hälfte der 80er Jahre die islamische Partei des Erwachens (Nahdha) verboten und
dieses Verbot bis heute nicht aufgehoben. In Ägypten sei die muslimische
Bruderschaft weiter von der politischen Bühne ausgeschlossen und des Öfteren
repressiven Maßnahmen durch die Mubarak-Regierung ausgesetzt. In Marokko
und Jordanien hingegen seien Tendenzen einer teilweisen politischen Integration
der Islamisten zu beobachten. Eine ähnliche Feststellung gelte für Kuwait und den
Jemen. Diese Länder stellten insofern eine Ausnahme in der arabischen Welt dar.
Prof. Allani vertrat die Meinung, der Ausschluss gewaltfreier Islamisten aus dem
politischen Geschehen schränke die Chance demokratischen Wandels in der
Region stark ein und spiele den radikalen Kräften, beispielsweise den Salafisten, in
die Hände.
Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering, MdEP und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Mittlerer
Osten, brachte seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass die von Samuel P.
Huntington vertretene These eines Kampfes der Kulturen, sofern es denn dazu
käme, eine Tragödie für die Menschheit bedeute. Vielmehr müssten alle
Anstrengungen unternommen werden, um eine Radikalisierung des Islam zu
vermeiden. Er verwies darauf, dass Demokratie das Recht für oppositionelle
Strömungen beinhalte, sich politisch zu betätigen und wahrgenommen zu werden.
In der Region Naher Osten und Nordafrika seien regierungskritische Bewegungen
in der Regel islamistisch ausgerichtet. Der ehemalige Präsident des Europäischen
Parlaments machte unmissverständlich deutlich, dass in einer Demokratie ein
breiter Dialog auch mit Vertretern anderer Meinungen möglich sei und sich eine
Politik der kalten Schulter noch nie als erfolgreich erwiesen habe. Mit der
Gründung der Arbeitsgruppe Mittlerer Osten und dem Dialog innerhalb der
Parlamentarischen Versammlung der Europäischen Mittelmeerunion hätten die
Abgeordneten des Europäische Parlaments gezeigt, dass sie eine zusätzliche
Perspektive in der Ausweitung der Dialogstrukturen mit der islamischen Welt
sähen, zumal die Abgeordneten außerhalb der diplomatischen Kanäle agieren
könnten. Abschließend betonte Prof. Pöttering die große Bedeutung von Bildung
und Bildungsprojekten, mit deren Hilfe einer Radikalisierung entgegengewirkt
werden könne.
Im zweiten Teil der Konferenz verlagerte sich der Akzent auf die politischen
Strategien des Westens im Umgang mit islamischen Bewegungen. Merete Bilde,
Beraterin des Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik,
führte die veränderte westliche Strategie, jetzt auch Islamisten in Dialogprozesse
einzubinden, auf zwei Faktoren zurück. Zum einen herrsche heute weitgehend
Konsens darüber, dass eine Stigmatisierung aller islamistischen Bewegungen oder
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Reformbewegungen nach dem 11. September als irrationale Fanatiker nicht die
Realität widerspiegele. Zum anderen stimme man darin überein, dass eine
operationelle Unterscheidung zwischen radikalen und gemäßigten Akteuren
unabdingbare Vorraussetzung für jeglichen Dialog sei. Trennscheide sei die Haltung
zur Gewalt bzw. das Bekenntnis zur Gewaltfreiheit. Jede islamistische Bewegung,
Partei und Organisation müsse einzeln analysiert und betrachtet werden. Im
Mittelpunkt der Analyse stünden die Mitgliederstruktur und die politischen Ziele. Der
EU, die es entweder mit herrschenden Eliten oder schwachen liberalen islamischen
Oppositionsführern zu tun habe, bleibe keine andere Wahl, als zu versuchen, mit
anderen Kräften zusammenzuarbeiten. Nur so könne die EU ernsthaft auf einen
Wandel in der Region Naher Osten und Nordafrika hoffen.
Für Merete Bilde seien Indonesien, Malaysia und Türkei Beispiele für
funktionierende partizipative Demokratien in einem muslimischen Kontext. Wahlen
in Indonesien, Marokko, aber auch im Libanon, wo möglicherweise der „ObamaFaktor“ eine Rolle gespielt haben könne, hätten gezeigt, dass islamistische
Bewegungen selten ein ausgereiftes Programm vorweisen könnten und nicht über
die 10%-Marke kämen. Die Politikberaterin unterstrich die Notwendigkeit seitens der
EU, mit einer Stimme zu sprechen. Diese europäische Stimme müsse ehrlich sein
und dürfe keine doppelten Standards anlegen, wenn es um die Verurteilung der
Verletzung von Menschenrechten oder um die Einschränkung der Versammlungs-,
Meinungs- oder Pressefreiheit gehe. Es fördere nicht die Glaubwürdigkeit, wenn
man die Verhaftung einzelner liberaler Persönlichkeiten verurteile, jedoch staatliche
Übergriffe auf Islamisten verschweige. Ferner sei es schwierig darzustellen, warum
ein Verhandeln mit der Hamas öffentlich ausgeschlossen werde, sich der Westen
jedoch gegenüber der kriegerischen Taliban dialogbereit zeige. Diese europäischen
Doppelstandards seien in der islamischen Welt seit langem Anlass zu Kritik und
erschwerten einen konstruktiven, ehrlichen Dialog.
Gegen Ende ihrer Ausführungen regte Merete Bilde veränderte Formen des
interkulturellen und interreligiösen Dialogs innerhalb Europas an. Sie sah vor allem
in politisch aktiven gläubigen Muslimen eine bislang weitgehend ungenutzte
Ressource. Muslimische Abgeordnete in europäischen Parlamenten könnten als
hervorragende Mittler in der Kommunikation mit der islamischen Welt fungieren.
Zugleich rief sie europäische politische Stiftungen zu großem Engagement im
Rahmen der europäisch-islamischen Beziehungen auf, um in Ergänzung zu
amerikanischen Organisationen in diesem wichtigen außenpolitischen Feld präsent
zu sein.
Dr. Köhler begründete anhand von fünf Punkten die Notwendigkeit des Dialogs
zwischen Akteuren der europäischen Union und islamistischen Bewegungen.
Erstens könne man nur im Gespräch Strategien für das Verhältnis zwischen
Okzident und Orient erarbeiten und regional- bzw. länderspezifische Entwicklungen
verstehen. Informationsgewinnung und Analyse nähmen bei der Formulierung
staatlicher Sicherheitspolitik seit Jahren an Bedeutung zu. Zweitens könnten nur
durch direkte Kontakte islamistische Bewegungen treffend analysiert und bewertet
werden. Um aktuelle Prozesse innerhalb des politischen Islam nachzuvollziehen,
bedürfe es einer direkten Auseinandersetzung mit den jeweiligen Organisationen,
Bewegungen und Parteien. Drittens werde Wandel niemals durch Ausschluss
erreicht. Die Integration von Islamisten ins politische Leben und ihre Konfrontation
mit den Herausforderungen im Umgang mit einer modernen Gesellschaft verändere
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soziale und kulturelle Einstellungen und könne mittelfristig zu einem moderneren
Bild über die Rolle der Frau in der Öffentlichkeit und den Status von Minderheiten
führen. Das mittelalterliche Sharia-System werde letztlich an die moderne
Gesellschaft herangeführt. Viertens genüge es nicht, illiberale Ansätze der
Islamisten zu verurteilen, um damit Reformprozesse in Gang zu setzen. Der
Umgang mit demokratisch orientierten Islamisten berge zweifellos Risiken. Dem
stünden jedoch Chancen gegenüber, die sich in deren Popularität und
Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung begründeten. Da die immer pragmatischer
agierenden Reformbewegungen zu wichtig seien, um ignoriert zu werden, gebe es
keine andere Möglichkeit, als sie in den Dialog mit einzubeziehen und
Zwischenevaluierungen anhand der Methode von Versuch und Irrtum vorzunehmen.
Fünftens und letztens seien Islamisten Teil der islamischen Gesellschaft, was von
nationalen und europäischen Entscheidungsträgern nicht ausgeblendet werden
dürfe. Schließlich könnten islamistische Führer zu den wesentlichen
Ansprechpartnern des Westens werden, wenn islamistische Parteien bei einem
tiefgreifenden politischen Wandlungsprozess und durch legitime Wahlen an Einfluss
gewännen.
Übereinstimmung auf dem Podium bestand darin, dass pragmatische Islamisten
sich im Denken und Handeln an demokratische Standards annäherten, ohne jedoch
westliche Begriffe wie säkular oder Pluralismus zu verwenden. Diese Kräfte hätten
zwar ihr Politikverständnis revidiert und stufenweise durchzuführende Reformen als
einzig möglichen Weg zur Veränderung der arabischen Realität anerkannt. Ihre
Erklärungen zu sozialen und kulturellen Rechten blieben jedoch weiterhin
größtenteils befremdlich, insbesondere wenn es um die Behandlung der Frau und
die Stellung von Minderheiten gehe. Merete Bilde und Dr. Michael Köhler schlossen
nicht aus, dass gerade bei einem ernsthaft geführten Dialog und dem Einbeziehen
von Islamisten ins politische Leben eine allmähliche Veränderung der strittigen,
wenig liberalen Aspekte ihrer Positionen eintreten könnte. Der Einfluss der
Europäischen Union bei der Initiierung eines politischen Wandels sollte jedoch nicht
überschätzt werden, so die realistischen Worte von Merete Bilde. Es handle sich um
einen vorsichtigen Dialog, der von beiden Seiten schrittweise geführt werde, zumal
etliche islamistische Bewegungen noch im unklaren seien über die politischen Ziele
des Westens, wie sich nicht zuletzt an der Mittelmeerunion zeige.
Weniger umstritten, so der Tenor der beiden EU-Referenten, seien konkrete
Projekte, die in der ersten Phase der Zusammenarbeit auf lokaler Ebene
angesiedelt seien. Vertrauensfördernde Maßnahmen wie in der politischen
Bildungsarbeit sowie Programme zur Gleichstellung der Frau und des Aufbaus
lokaler Kapazitäten seien grundsätzlich leichter realisierbar. Positive Beispiele seien
die Förderung von Ausbildungsaktivitäten für Mitglieder islamistischer Parteien in
Jordanien oder Marokko. Im Gegensatz zur Zusammenarbeit mit islamistischen
Bewegungen erfordere die Einbindung islamischer Parteien ein größeres Maß an
normativer Konvergenz zwischen deren politischen Leitvorstellungen und den Zielen
des Westens.
In der Auffassung aller Konferenzteilnehmer bleibe die Lösung des israelischpalästinensischen Konflikts entscheidend für das Verhältnis zur islamischen Welt.
Prof. Pöttering forderte eine rasche Umsetzung des Zwei-Staaten-Konzepts, das auf
einem Staat Israel innerhalb sicherer und international anerkannter Grenzen in
friedlicher Koexistenz mit einem freien, souveränen, demokratischen und
lebensfähigen Staat Palästina basiere. Ferner wurde in der abschließenden
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Diskussion das Verhältnis der Europäischen Union zur Türkei thematisiert. Merete
Bilde betonte die Vermittler- und Brückenkopfrolle, die die Türkei in der Gestaltung
der Beziehungen zur islamischen Welt allgemein und gegenüber Syrien, dem Iran
und islamistischen Parteien und Bewegungen konkret übernehmen könne. In
diesem Zusammenhang sei es interessant, dass die AKP offensichtlich bereits
Ulamas (islamische Kleriker) beauftragt habe, wie Elemente des Sharia-Rechts mit
den Erfordernissen einer modernen Gesellschaft in Einklang zu bringen seien.
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