Inklusion/Exklusion - Entwicklungen und Probleme einer

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InldusionjExklusion
Sina Farzin (M.A.) ist Fellow an der Graduate School of Social Sciences,
Bremen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Sozialtheorie,
Gesellschaftstheorie und Systemtheorie.
SrNA FARZIN
Inklusion/Exklusion
Entwicklungen und Probleme einer
systemtheoretischen Unterscheidung
[transcript]
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Inhalt
Einleitung .. ................................ .. ... ... ........................... ....................
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I. Psychische und soziale Systeme ..............................................
1. Autopoiesis und Sinn: gemeinsame Grundlage
psychischer und sozialer Systeme ............................ ................
2. Strukturelle Kopplung und Interpenetration .........................
3. Inklusion/Exklusion ...................................................................
4. Individuum und Gesellschaft ....................................................
5. Polykontexturale Adressen und Individualisierung
durch Inklusion ...........................................................................
6. Zusammenfassung ......................................................................
13
II. InklusionjExklusion in der modernen Gesellschaft ..........
1. Inklusion und funktionale Differenzierung ............................
2. Exklusion und funktionale Differenzierung ...........................
3. Funktionale Differenzierung und soziale Ungleichheit ........
4. Inklusionsvermittlung und funktionale Differenzierung .....
5. Inklusion/Exklusion in der Weltgesellschaft ..........................
6. Zusammenfassung ......................................................................
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111. Die Form Inklusion ..................................................................
1. Der Begriff der Form ...................................................................
2. Die Asymmetrie der Form Inklusion .......................................
3. Implizite und explizite Exklusion .............................................
4. Inklusion/Exklusion in sozialen Systemen .............................
5. Der Mensch in sozialen Systemen ............................................
6. Zusammenfassung ......................................................................
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Abschließende Betrachtung .......................................................... 109
Literaturverzeichnis ........................................................................ 115
Einleitung
>>Inklusion bedeutet, daß alle Funktionskontexte für alle Teilnehmer des
gesellschaftlichen Lebens zugänglich gemacht werden[ ... ].<<
Evolution und Geschichte, 1975
>>Inklusion liegt [... ] immer dann vor, wenn ein autopoietisches psychisches System, das auf der Basis von Bewußtheit operiert, seine Eigenkomplexität zum Aufbau sozialer Systeme zur Verfügung stellt.<<
Individuum, Individualität, Individualismus, 1989
»Inklusion (und entsprechend Exklusion) kann sich nur auf die Art und
Weise beziehen, in der im Kommunikationszusammenhang Menschen
bezeichnet, also für relevant gehalten werden.<<
Inklusion und Exklusion, 1995
Drei Zitate aus drei Aufsätzen Niklas Luhmanns spannen das
Feld auf, das im Folgenden untersucht werden soll. Es wird um
die Bestimmung der Differenz Inklusion/Exklusion innerhalb der
hier verhandelten Form der soziologischen Systemtheorie gehen.
Dabei, und soviel wird schon in diesen kurzen Auszügen deutlich,
kann nicht von einer kontinuierlichen und geschlossenen Begriffsentwicklung gesprochen werden. Je nach thematischem Fokus
und theoretischem Interesse ergeben sich in der über 20-jährigen
Geschichte der Ausarbeitung des Inklusions-/Exklusionskonzepts
unterschiedliche Definitionen und Verwendungen. Die vorliegende Arbeit begibt sich auf die Spuren dieser Bedeutungs- und Begriffsverschiebungen innerhalb der Theorie sozialer Systeme. Und
sie unternimmt dies vor dem Hintergrund einer immer weiter
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ausufernden Debatte über die analytische Verwendbarkeit der Begriffe innerhalb und außerhalb des sozialwissenschaftliehen Diskurses in den letzten Jahren.
Ist in der soziologischen Systemtheorie von Inklusion/Exklusion die Rede, wird einer der am kontroversesten diskutierten Theoriebereiche berührt. Es geht, je nach eher system- oder gesellschaftstheoretischem Kontext, um das Verhältnis von psychischen
und sozialen Systemen, von Individuum und Gesellschaft. Innerhalb eines Theorierahmens, der dafür berüchtigt ist, psychische
Systeme außerhalb von Gesellschaft zu verorten und den Menschen am liebsten als Überbleibsel einer überholten Ganzheitsvorstellung zumindest als wissenschaftliche Kategorie zu umgehen,
mag die Anstrengung überraschen, die unternommen wird, diesen Bereich theoretisch auszuarbeiten. Aber die scharfe Unterscheidung zwischen psychischen und sozialen Systemen, häufig
vorgetragen in provokativen Semantiken1, ist nur der erste Schritt
auf einem theoretischen Weg zu einer genaueren Fassung des
schwierigen Spannungsverhältnisses zwischen Individuum und
Gesellschaft (am Ende dieses Weges wird uns auch der Mensch
wieder begegnen, allerdings unter neuen theoretischen Vorzeichen). Inklusion/Exklusion beginnt eine entscheidende Rolle zu
spielen ab dem Punkt, an dem durch die Umstellung auf einen autopoietischen Systembegriff die Abhängigkeitsverhältnisse zwischen psychischen und sozialen Systemen neu gefasst werden
müssen. Von hier aus wird die Unterscheidung auf verschiedenen
Ebenen der Theoriearchitektur eingeführt und, teilweise parallel,
in verschiedenen Deutungen verwendet. Das führt in den auf
Luhmanns Ausarbeitungen aufbauenden Weiterentwicklungen
der Inklusions-/Exklusionsthematik zu unterschiedlichen Ansätzen, welche die verschiedenen Bedeutungskontexte der Differenz
nicht immer erwägen.
Diese Diffusion wird sowohl aus theorieinternen als auch -externen Gründen noch angefeuert. Innerhalb der Arbeiten Luhmanns
kommt der Inklusions-/Exklusionsthematik besonders in den späten Schriften eine zentrale Stellung zu. Vor dem Hintergrund eigener Aufenthalte in den Favelas Brasiliens formuliert Luhmann
1 I Vgl. das anscheinend in keiner Einführung zu umgehende Zitat:
>>Der Mensch kann nicht kommunizieren; nur die Kommunikation kann
kommunizieren. << Luhmann, Niklas: Die Wissenschaft der Gesellschaft,
FrankfurtjM.: Suhrkamp 1990, S. 30.
EINLEITUNG
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theoretische Entwürfe, welche die biographische Erschütterung
auch sprachlich widerspiegeln.2 Zudem treten in diesen Abhandlungen Kategorien in den Vordergrund, die bis dahin in der Systemtheorie gegen wesentliche Widerstände aus anderen theoretischen Richtungen als unerheblich betrachtet wurden. Die Rede ist
von Raum und Menschen, deren Wiedereinzug in das Vokabular
der Systemtheorie sich in dieser späten Phase in Luhmanns Schriften vollzieht.3 Neben diesen Irritationen, die sich aus dem Rahmen der soziologischen Systemtheorie ableiten, gewinnt die Thematik auch vor einem weiteren, zunächst außerwissenschaftlichen
Hintergrund an Brisanz. In Frankreich wird Mitte der 1970er Jahre
im sozialpolitischen Zusammenhang der Exklusionsbegriff in die
öffentliche Debatte eingeführt und besetzt dort sehr erfolgreich
die Funktion einer neuen Sammelkategorie für sozial als problematisch angesehene Existenzweisen. 4 Der Erfolg des Terminus
Exklusion liegt dabei sicherlich auch in der Radikalität suggerierenden Semantik begründet: nicht mehr arm, nicht mehr am Rande der Gesellschaft, nicht mehr der Unterschicht angehörig, sondern exkludiert, ausgeschlossen, unsichtbar. Aus dem öffentlichen
Diskurs wird der Begriff dann übernommen in die soziologische
Forschung, zunächst in Frankreich, später dann auch in Deutsch-
2 I Vgl. zur Analyse der literarischen Ausdrucksform in Luhmanns
Aufsatz Jenseits von Barbarei: Balke, Friedrich: Tristes Tropiques. Systems
Theory and the Literary Scene, in Sozial Systeme 8 (2002), S. 27-37.
3 I Was von Kritikern der Theorie nicht ohne Genugtuung kommentiert wurde. Vgl. Esser, Hartmut: Inklusion und Exklusion- oder:
die unvermutete Entdeckung der leibhaftigen Menschen und der Not in
der Welt durch die soziologische Systemtheorie, in: Oskar Niedermeyer/Bettina Westle (Hg.): Demokratie und Partizipation, Wiesbaden:
Westdeutscher Verlag 2000, S. 407-416.
4 I Als exkludiert charakterisiert werden bspw. Arme, körperlich
Behinderte, psychisch Kranke, alleinerziehende Eltern. Zu weiteren Beispielen und zur Begriffsgeschichte allgemein Stichweh, Rudolf: Inklusion/Exklusion, funktionale Differenzierung und die Theorie der Weltgesellschaft, in: Soziale Systeme 3 (1997), S. 123-136, hier S. 123-125. Für
eine Abgrenzung dieser französischen Begriffstradition gegen das in
Aspekten korrespondierende angelsächsische Konzept der >>underclass<< siehe Bude, Heinz: Das Phänomen der Exklusion. Der Widerstreit
zwischen gesellschaftlicher Erfahrung und soziologischer Rekonstruktion, in: Mittelweg 36, H. 4 (2004), S. 3-15, hier S. 7-9.
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INKLUSION/EXKLUSION
land.s In den systemtheoretischen Arbeiten, die an diese Debatte
anschließen, vermengen sich dabei häufig die schon an sich nicht
kohärenten Begriffssetzungen innerhalb der eigenen, durch Luhmann geprägten Theorie und die vielfältigen inner- und außersoziologischen Auseinandersetzungen.
Um diese Verwirrungen aufzuheben, sollen im Verlauf der
Argumentation die drei zentralen Lesarten der Differenz Inklusion/Exklusion in ihrer Beziehung zur gesamten Theorie nachgezeichnet werden. Unterschieden wird dabei in drei Einheiten, die
jeweils andere theoretische Schwerpunkte bilden: die systemtheoretische, die differenzierungstheoretische und die kommunikationstheoretische Ausarbeitung von Inklusion und Exklusion. 6 Diese drei Theorieebenen bestimmen die Definition der Differenz Inklusion/Exklusion zu verschiedenen Zeitpunkten ihrer Entwicklung verschieden stark, werden aber von Luhmann selbst nie systematisch unterschieden. Sie greifen ineinander, werden teilweise
parallel ausgeführt und stützen oder widersprechen sich dabei.
Die hier verfolgte Trennung ist also eine analytische, die Textzusammenhänge unterbricht und Argumentationslinien über lange
Ausarbeitungsphasen konturiert, um die unterschiedlichen Bedeutungshorizonte zu entfalten.
Zunächst soll in Hinsicht auf die >>autopoietische Wende<<, die
Luhmann 1984 mit Veröffentlichung des Bandes Soziale Systeme
vollzieht, aufgezeigt werden, wie die grundlegenden systemtheoretischen Annahmen zu einer Reformulierung des Verhältnisses
zwischen psychischen und sozialen Systemen führen, in deren
Folge die Unterscheidung Inklusion/Exklusion in die Theorie eingeführt wird. Mit dem Konzept der Exklusionsindividualität, das
daraufhin näher bestimmt wird, vollzieht sich der Übergang zu
5 I Besonders ausführlich in der über mehrere Ausgaben geführten
Debatte in der Zeitschrift Mittelweg 36, die sich an einen Artikel Robert
Casteis anschloss. Vgl. Castel, Robert: Die Fallstricke des Exklusionsbegriffs, in: Mittelweg 36, H. 3 (2000), S. 11-25.
6 I Diese Einteilung baut auf die Unterteilung bei Markus Göbel/Johannes F.K. Schmidt in eine sinntheoretische, eine gesellschaftstheoretische und eine differenztheoretische Fassung auf. Die hier gewählten Bezeichnungen ergeben sich aus dem Versuch, die Einbindung
in die gesamte Theorie unter den verschiedenen Aspekten herauszustellen. Vgl. Göbel, Markus/Schmidt, Johannes F.K.: Inklusion/ Exklusion.
Karriere, Probleme und Differenzierungen eines systemtheoretischen
Begriffspaars, in: Soziale Systeme 4 (1998), S. 87-118.
EINLEITUNG
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einer Neufassung des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft. Im zweiten Kapitel ändert sich dann die Blickrichtung auf
das Verhältnis zwischen Inklusion/ Exklusion und der Differenzierungsform der Gesellschaft. Dabei wird es zunächst um den
Begriff der Inklusion gehen, den Luhmann von Parsons übernimmt und in seinen Überlegungen zur gesellschaftlichen Evolution funktionaler Differenzierung zunächst differenzlos verwendet. Erst mit Blick auf Phänomene massenhaften Elends in der
modernen Gesellschaft beginnt Luhmann in seinem Spätwerk die
Ausarbeitung von Exklusion als Gegenbegriff. Im Fokus der Analyse steht dann das Verhältnis von Differenzierungstheorie und
Ansätzen der soziologischen Ungleichheitsforschung, ein Bereich
also, dem bis dahin kein zentrales systemtheoretisches Interesse
zukam. Damit betritt die Systemtheorie das weite Feld der soziologischen Diskussion um Ausmaß und Qualität sozialer Ungleichheiten oder Ausgrenzungen unter den Bedingungen fortschreitender Modernisierung. Inwiefern es gelingt, die Unterscheidung
Inklusion/Exklusion zur Erklärung von sozialer Marginalisierung
anzuwenden und welche theorieimmanenten Probleme dabei entstehen, soll hier dargelegt werden. Während dieser Diskussionszusammenhang in den letzten Jahren intensiv ausgearbeitet wurde, beschäftigt sich das dritte Kapitel mit einer innerhalb der Systemtheorie sehr jungen Debatte um die Unterscheidung Inklusion/Exklusion als Form. Hier steht die Differenz selbst in ihrer
Qualität als Differenz im Zentrum der Überlegungen. Inklusion
oder Exklusion kann systemtheoretisch nur als kommunikative
Operation formuliert werden, was die Frage nach den besonderen
Eigenschaften inkludierender oder exkludierender Kommunikationen in den unterschiedlichen Arten sozialer Systeme aufwirft.
Abschließend wird dann dargelegt werden, unter welchen Bedingungen sich an dieser Theoriestelle der Wiedereintritt des Menschen in das Theorievokabular vollzieht.
Am Ende der Argumentation soll also deutlich sein, welche
Entwicklungen die Begriffsgeschichte von Inklusion und Exklusion in der soziologischen Systemtheorie vollzieht. Grundlage sind
dabei die verschiedenen Ansätze innerhalb der Arbeiten Luhmanns und ihre Weiterentwicklung innerhalb des systemtheoretischen Forschungsprogramms. Auf die zahlreichen weiteren soziologischen Ansätze, die den Gegenstand der sozialen Inklusion
und Exklusion bearbeiten, kann im Rahmen der hier verhandelten
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