Uni Forschung Wie viel Mensch verkraftet die Erde Der Freiburger Rüdiger Glaser über sein Buch »Global Change – das neue Gesicht der Erde« R üdiger Glaser hat mit eigenen Augen gesehen, welche Spuren die globale Erwärmung auf der Erde hinterlässt. Als Geograph ist er ein Kosmopolit und oft auf Forschungsreisen in die entlegensten Winkel dieser Welt unterwegs. Seit Jahrzehnten schon. „Vermutlich muss man einmal in der Sahara das Vorrücken der Wüste gesehen haben oder die Stauseen im Südwesten der USA, die mehr und mehr austrocknen, um davon überzeugt zu sein, dass der Klimawandel stattfindet“, sagt der Geschäftsführende Direktor des Instituts für Physische Geographie an der Universität Freiburg. In seinem neuen Buch „Global Change – Das neue Gesicht der Erde“ zeigt der Geographieprofessor, was alles mit hineinspielt in den globalen Wandel: Die rasante Entwicklung der Bevölkerungszahl, die veränderten Stoffkreisläufe, der Umgang mit Ressourcen, der stetig wachsende Konsum oder die zunehmende Technisierung sind Faktoren, die vom Menschen ausgelöst wurden und in einem Maße auf das System Erde zurückwirken, das noch keiner abschätzen kann. Wie viele solcher Belastungen aber, fragt Glaser, verkraftet die Erde? Ein Bewusstsein dafür, dass sein Verhalten auch Konsequenzen hat, hat der Mensch schon sehr lange. Als die Jäger und Sammler sesshaft wurden, erlebten sie, wie sich die Landschaft veränderte, wenn sie die Bäume für Häuser und Ackerflächen rodeten. Die Übernutzung von Ressourcen machte sich sofort bemerkbar, und es konnten bei Bedarf Gegenmaßnahmen ergriffen werden. „Dieses Verursacherprinzip greift heute nicht mehr“, sagt Glaser. „Die Folgen globaler Veränderungen sind manchmal für den Verursacher gar nicht spürbar, in zeitlicher und räumlicher Distanz haben sie allerdings gravierende Folgen.“ Heißt: Was wir in Europa heute an Treibhausgasen in die Atmosphäre schicken, wird sich in zwei Generationen unter anderem in Bangladesch auswirken. Dort liegt mehr als die Hälfte der Städte keine drei Meter über dem Meeresspiegel. Und wenn der steigt, wird abstrakt schnell konkret. Doch nicht alles, was der Mensch macht, sei negativ, sagt Rüdiger Glaser. Wenn er erkennt, wo er Raubbau betreibt, indem er einzelne Systeme besser versteht, kann er gegensteuern und tut das auch. Streuobstwiesen zum Beispiel waren im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts von landschaftsprägender Bedeutung. Dass sie auch eine wichtige ökologische Funktion als Biotop hatten, wurde erst erkannt, als sie zugunsten von Landwirtschaft und Bauwesen immer mehr verdrängt wurden. Doch besser spät als nie: Seit den 80er-Jahren werden wieder neue angepflanzt. Auch das Ozonloch sei ein Beispiel dafür, dass der Mensch durchaus zur Einsicht fähig ist und sein Verhalten revidieren kann. Wie sieht es nun aus, das neue Gesicht der Erde? Die Prognosen, die Glaser wagt, sind nicht unbedingt rosig: Megastädte in wirtschaftlich schwachen Staaten, die immer weiter wachsen und in der Folge auch verslumen, der nach wie vor zunehmende Konsum, neue Handlungsströme, Krankheiten, Kriege, Flüchtlingsströme, das alles prägt die Erde und gefährdet die Existenzgrundlage. Bis ins Jahr 2050 hinein wird der Druck auf unseren Planeten und seine Ressourcen steigen. Dann werden etwa elf Milliarden Menschen auf der Erde leben. Danach sinkt die Bevölkerungszahl voraussichtlich wieder. Der Weg dorthin aber, sagt Glaser, sei höchst dramatisch: „Ich will hier allerdings gar keine apokalyptischen Bilder zeichnen, denn welches Szenario tatsächlich eintreffen wird, darüber entscheiden viele verschiedene Faktoren, manche davon kennen wir noch gar nicht.“ Foto: © DLR-DFD Elf Milliarden Menschen im Jahr 2050 12 CHILLI Februar 2015 Uni Meldungen Massive Entwicklung in nur 200 Jahren: Der Stickstoffeintrag auf die Erde infolge menschlicher Aktivitäten. Illustration: © Bild Galloway et al 2004 Foto: © privat Rüdiger Glaser: „Signal vom Rauschen trennen.“ Arktisches Eis auf dem Rückzug: 2000 und 2010 (unten). Fotos: © MES MyOcean So habe es in der prognostizierten Klimaentwicklung plötzlich ein Plateau gegeben und die Temperatur sei in den vergangenen fünf Jahren nicht so stark gestiegen, wie Wissenschaftler das errechnet hätten. „Aber warum nicht, das ist die Frage. Haben das vielleicht die Ozeane geregelt? Und wer sagt denn, dass die Erde nicht jetzt schon mit Veränderungen auf die menschlichen Einflüsse reagiert, die wir noch gar nicht sehen?“ Zudem müsse man im Hinterkopf haben, dass die Erde ein variables System sei, das sich seit seinem Bestehen immer wieder dynamisch wandle. Nicht jede Veränderung, die passiert, ist also zwangsläufig eine vom Menschen gemachte. „Hier ist es wichtig, das Signal vom Rauschen zu trennen“, sagt Glaser. Glaser setzt statt auf Fatalismus auf den Menschen als denkendes und handelndes Wesen. „Nahezu jeder weiß heute, welchen Wasserverbrauch die Jeans verursacht hat, die er anhat, und wie man seinen ökologischen Fußabdruck berechnet“, sagt Glaser. Doch der Einfluss des Einzelnen genügt nicht, auch die Politik muss aktiv werden. Ein Ausgleichssystem, das über Staats- und Ländergrenzen hinweg zum Beispiel über eine Art Nutzungsentgelt funktioniere, könnte Glaser zufolge eine Lösung sein. So könnten die Gemeinschaftsgüter weltweit nachhaltig geregelt werden. „Und wir würden einen Ausgleich schaffen zwischen Verursachern und Betroffenen sowie den Begünstigten und den Benachteiligten einer Entwicklung.“ Das ist jedoch Zukunftsmusik. Bis dahin plädiert Glaser für einen ökologisch halbwegs vernünftigen Lebensstil. „Das heißt nicht, dass man ein lustloses Leben führen und auf alles verzichten soll. Aber ein wenig Bewusstsein dafür, dass es besser für die Umwelt ist, regional und saisonale Produkte zu kaufen und Rad und Bahn statt das Auto zu benutzen, das ist immerhin ein erster Schritt, den jeder gehen sollte.“ Claudia Füßler Rüdiger Glaser Global Change. Das neue Gesicht der Erde. 206 Seiten Primus Verlag, Darmstadt 2014 49,90 Euro 100.000 Euro für die Pharmazie Der emeritierte Professor Kurt H. Bauer stiftet der Pharmazie an der Uni Freiburg 100.000 Euro. Der 85-Jährige war von 1977 bis 1998 Lehrstuhlbeauftragter für Pharmazeutische Technologie an der Universität Freiburg. Das Geld der Kurt H. Bauer Pharma-Technologie-Stiftung stammt aus den Erlösen eines 2008 erteilten Patentes, an dem Bauer mitgearbeitet hat. Künftig sollen die Zinsen des Kapitals (geschätzt: 3000 Euro jährlich) Stipendien, wissenschaftliche Arbeiten von Studierenden und besondere Projekte der Pharmazie ermöglichen. Baur erhofft sich davon ein „Ausgangssignal für weitere Unterstützungen der Studierenden, der Forschung und der Wissenschaft“. Mikrosystemanalyse-Institut Freiburg bekommt ein Forschungsinstitut für Mikrosystemanalyse. Die Landesregierung bewilligt 1,5 Millionen Euro für das Institut der Hahn-Schickard-Gesellschaft (HSG), das in der Nähe der technischen Fakultät angesiedelt werden soll. Bisher betreibt die HSG in Villingen-Schwenningen und Freiburg das Institut für Mikro- und Informationstechnik, durch die bewilligten Mittel wird derFreiburger Standort mit seinen rund 40 Mitarbeitern eigenständig. Zentrum für Nachhaltigkeit 7,2 Millionen Euro für die Nachhaltigkeitsforschung: Das Land Baden-Württemberg und die Fraunhofer-Gesellschaft investieren in zwölf Pilotprojekte zum Aufbau eines Freiburger „Leistungszentrum Nachhaltigkeit“. Die dreijährigen Projekte befassen sich etwa mit nachhaltiger LED-Beleuchtung, der Speicherung erneuerbarer Energien oder der Erfassung von Umweltdaten. An dem Zentrum sollen Wissenschaftler der Uni und der Freiburger Fraunhofer-Institute gemeinsam forschen. sora/tbr Februar 2015 CHILLI 13