Wiesbaden, 17. Mai 2010 Interview 1 "Kreativität und Gesundheit in der Büroarbeit" Privatdozent Dr. Jürgen Glaser und Dr. Britta Herbig über die Bedeutung von Kreativität für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und den Zusammenhang von Kreativitäts- und Gesundheitsförderung in der betrieblichen Praxis. buero-forum: Herr Dr. Glaser, Frau Dr. Herbig, Sie beschäftigen sich schon seit Längerem mit dem Thema "Kreativität und Gesundheit bei der Arbeit". Was gab den Ausschlag? Glaser: Folgen einer mangelhaften Arbeitsgestaltung für die Gesundheit, wie zum Beispiel psychischer Stress und Burnout, sind für mich seit Langem ein Thema. Neuerdings richtet die Psychologie ihren Blick verstärkt auf positive Folgen guter Arbeit, z. B. Engagement oder Kreativität. Ein besonderer Reiz liegt darin, diese Perspektiven miteinander zu verknüpfen. Herbig: Mich hat seit Längerem die Frage beschäftigt, wie Erfahrungswissen von Mitarbeitern in Leistung und betriebliche Innovationen umgesetzt wird. Die Projektförderung des BMAS mit fachlicher Begleitung durch die BAuA gab uns die Chance, solche personenbezogenen Treiber für Innovation mit arbeitsgestalterischen Aspekten der Gesundheit zu verknüpfen. buero-forum: Was müssen wir uns eigentlich unter "kreativem Arbeiten" vorstellen? -2- Herbig: Kreativität entsteht in den Köpfen der Mitarbeiter. Sie ist Voraussetzung für Innovation. Dafür wichtig sind etwa Expertise und Arbeitsmotivation. Wenn diese fehlen, können auch keine neuartigen, für den Betrieb nützlichen Ideen entstehen. Innovation umfasst nicht nur neue Produkte, sondern auch Prozessverbesserungen im Betrieb. Glaser: Hierfür spielt die Arbeitsgestaltung eine zentrale Rolle. Arbeitsmotivation kann zwar unter bestimmten Bedingungen auch durch äußere Anreize, z. B. Prämien, begünstigt werden. Wirksamer und andauernder ist aber das motivationale Potenzial der Arbeitsaufgaben und ihrer psychologischen Gestaltung. Sie sollten etwa abwechslungsreich und lernförderlich sein. buero-forum: Kann jeder kreativ sein? Herbig: Bis vor einigen Jahren hat sich die Kreativitätsforschung fast ausschließlich mit Merkmalen der Person befasst. Konsequenz war die fast ausschließliche Bemühung, kreative Menschen in der Personalauswahl zu erkennen und an den Betrieb zu binden. Heute wissen wir, dass jeder Mitarbeiter kreativ sein kann, wenn das Unternehmen dies zulässt und fördert. buero-forum: Muss künftig jeder kreativ sein? Glaser: In der heutigen Dienstleistungsarbeit geht es um die Lösung von Problemen. Geistig anforderungsarme Aufgaben, wie die Fertigung von Werkstücken, erledigen Maschinen oder Mitarbeiter an kostengünstigeren Standorten im Ausland. Denkanforderungen sind erheblich gestiegen, wie auch der Druck auf Unternehmen, innovativ zu sein. Wettbewerbsvorteile resultieren dabei vor allem aus der Nutzung und Förderung von Humanressourcen. -3- buero-forum: Sie arbeiten in Ihrem Projekt "create!health" eng mit Unternehmen unterschiedlicher Branchen und Größen zusammen. Wie ist es in der Praxis um die Kreativitätsförderung bestellt? Glaser: Wir müssen leider feststellen, dass viele Humanpotenziale in Unternehmen noch ungenutzt schlummern. Eine häufige, wenig kreative Strategie besteht darin, Mitarbeitern immer noch mehr, aber gleichartige Aufgaben zu übertragen. Dies führt oft zu Überforderung. Lerngelegenheiten und neue Wege der Problemlösung lassen sich so kaum erschließen. buero-forum: Was hindert Organisationen und Menschen daran, kreativ zu sein? Herbig: Hier gibt es viele Beispiele. Schlechte Führung, ungünstige Zusammensetzung und Kooperation in Arbeitsgruppen oder die Vernachlässigung psychologischer Aspekte der Arbeitsaufgaben, z. B. mangelnde Anforderungsvielfalt, geringe Tätigkeitsspielräume oder übermäßiger Zeitdruck zählen dazu. buero-forum: Herr Dr. Glaser, Frau Dr. Herbig, Sie betonen in Ihrer Forschung den Zusammenhang von Kreativität und Gesundheit. Warum? Glaser: Weil es ein grober Fehler wäre, die Wirkung zunehmender Kreativitätsanforderungen auf die Mitarbeitergesundheit nicht im Blick zu behalten. Was hilft es den Unternehmen, wenn Mitarbeiter über einen gewissen Zeitraum kreative Höchstleistungen erbringen, hierbei aber ihre Erholungsfähigkeit einbüßen und am langen Ende chronisch erkranken? -4- Herbig: Zudem gibt es bisher auch international nur ganz wenige wissenschaftliche Studien, in denen Zusammenhänge zwischen Kreativität und Gesundheit systematisch untersucht wurden. buero-forum: Gibt es "Stellschrauben" zur Förderung von Kreativität und Gesundheit? Herbig: Wenn man die unzähligen Befunde zu Arbeitsbedingungen und Gesundheit und die sich erst allmählich mehrenden Ergebnisse zu Arbeitsbedingungen und Kreativität vergleicht, dann kristallisieren sich gemeinsame Treiber für Kreativität und Gesundheit heraus. Das sind vor allem Anforderungsvielfalt, Kreativanforderungen und Spielräume in der Arbeit. buero-forum: Gelten die für alle Unternehmensformen und Unternehmensbereiche? Glaser: Ja, was sich unterscheidet, ist die Ausgestaltung. In der Produktion lassen sich Anforderungsvielfalt und Spielraum durch Gruppenarbeit realisieren. Ich meine damit nicht, japanische Konzepte unkritisch zu übernehmen, weil mit den sogenannten Verschwendungsanteilen meist auch psychologisch wichtige Spielräume verloren gehen. Besser sind teilautonome Arbeitsgruppen. Im Unterschied dazu bestehen in F&EAbteilungen bereits hohe Denk- und Planungsanforderungen, aber nicht zwingend Anforderungsvielfalt. buero-forum: Frau Dr. Herbig, in der gerade erschienenen Fachschrift des buero-forum findet sich auch ein Kapitel zum Thema "Unterstützung durch Gestaltung des Arbeitsplatzes". Dass die Möblierung einen Einfluss auf die Gesundheit der Nutzer hat, -5- leuchtet ein, aber kann sie tatsächlich auch die Kreativität beeinflussen? Herbig: Sicher nicht auf direktem Weg. Ebenso wenig können Büromöbel und Merkmale der Arbeitsumgebung die zuvor genannten Treiber ersetzen. Es ist aber anzunehmen, dass Mitarbeiter, die sich an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen – und dazu tragen ergonomische, ästhetische oder territoriale Aspekte bei – mehr und ggf. auch kreativere Leistungen erzielen. buero-forum: Gibt es neben Aspekten des Wohlbefindens andere Faktoren der Büroraumgestaltung, die einen positiven Einfluss auf kreative Leistungen haben oder die den positiven Einfluss inhaltlicher Gestaltungsdimensionen verstärken können? Glaser: Verschiedene Büroraumkonzepte haben ihre jeweiligen Vor- und Nachteile. In Einzelbüros ist konzentrierte Denkarbeit besser möglich, während in Gruppenbüros Kommunikation und spontaner Ideenaustausch begünstigt wird. Am besten dürfte eine Kombination sein. Vorab sollte man sich aber stets die Arbeitsaufgaben in den Abteilungen genau ansehen, damit Gestaltungslösungen diese angemessen unterstützen. Herbig: Wissenschaftlich ist bislang wenig zu den Wirkungen der Büroraumgestaltung auf kreative Arbeitsleistungen bekannt. Wenn man sich aber die zum Teil spielerischen Gestaltungslösungen erfolgreicher Unternehmen der Softwarebranche ansieht, dann entsteht der Eindruck, dass neuartige Gestaltungsansätze zumindest einhergehen mit kreativer Leistung und Erfolg – möglicherweise gerade über diese spielerischen Freiräume vermittelt. Ursache und Wirkung müssten in experimentellen Studien noch genauer untersucht werden. -6- buero-forum: An anderer Stelle dieser Fachschrift verweisen Sie auf die sogenannten Sozialisations- und Selektionseffekte. Was ist damit gemeint? Herbig: Ebenso wie durch Elternhaus und Schule werden wir durch Inhalte und Umstände unserer Arbeit verändert und geprägt. Man spricht hierbei von beruflicher Sozialisation. Hingegen meint Selektion, dass sich Menschen – entsprechend ihres jeweiligen Naturells und ihrer Möglichkeiten – in unterschiedliche Situationen begeben, d. h. auch in bestimmte Berufe und Unternehmen. Glaser: Für die Schaffung von Kreativität im Betrieb ergeben sich daraus zwei Wege: kreative Mitarbeiter anzuwerben oder Mitarbeiter in ihrer Kreativität zu fördern. Diese Wege können sich idealerweise gut ergänzen. Angesichts der demografischen Entwicklung und des schon jetzt spürbaren Mangels an qualifizierten Fachkräften in bestimmten Bereichen, dürfte der erste Weg jedoch bald zur Sackgasse, der zweite noch mehr zum Königsweg nachhaltigen Erfolgs werden. buero-forum: Was würden Sie einem Unternehmen raten, das auf die Kreativität seiner Mitarbeiter angewiesen ist? Herbig: Kreativität lässt sich am besten mit einem umfassenden Gestaltungsansatz auf allen Ebenen des Unternehmens erzeugen. Merkmale der Person, der Arbeitsaufgaben, der Arbeitsgruppe und der Führung sollten bei Personalentwicklung und Arbeitsgestaltung gemeinsam betrachtet werden, anstatt nur auf Einzellösungen zu bauen. Unterstützt werden diese Bemühungen durch eine darauf abgestimmte Gestaltung der Arbeitsumgebung. Glaser: Betriebe sollten Mitarbeiterorientierung nicht nur im Leitbild haben, sondern sich daran messen. Da in -7- Unternehmensbilanzen Büromöbel als Werte, Mitarbeiter hingegen als Kosten verbucht sind, ist ersichtlich, dass gängige ökonomische Sichtweisen ein nachhaltiges Innovationsmanagement eher beeinträchtigen als begünstigen. Förderung von Kreativität und Gesundheit in der Arbeit reicht weit über den Zeithorizont von Quartalsabschlüssen hinaus. Wer nicht so weit blickt, wird langfristig – auch ökonomisch – verlieren. buero-forum: Frau Dr. Herbig, Herr Dr. Glaser, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Die Psychologen PD Dr. Jürgen Glaser und Dr. Britta Herbig forschen und unterrichten seit über 10 Jahren unter anderem zu Themen der Abeitsgestaltung im Betreib und ihren Wirkungen für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten. Beide sind Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft AG Angewandte Medizin und Psychologie in der Arbeit, Institut und Polyklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, WHO Collaborating Centre for Occupational Health, des Klinikum der Universität München. Im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) erforschen sie unter dem Titel "create!health" Möglichkeiten einer kreativitätsförderlichen Arbeitsgestaltung. Als Autoren der zehnten Fachschrift des buero-forum bündelten sie Erkenntnisse aus diesem und früheren Projekten zur Beantwortung der Frage, wie Büroarbeit gleichzeitig kreativitätsund gesundheitsförderlich gestaltet werden kann. -8- Das buero-forum publiziert im Auftrag des buero-forum Verband Büro-, Sitz- und Objektmöbel, Wiesbaden, Informationen zur Gestaltung von Büroarbeitsplätzen. Die buero-forum Fachschrift Nr. 10 mit dem Titel "Kreativität und Gesundheit – Bessere Arbeitsgestaltung fördert Innovation und Leistung im Büro" kann kostenlos unter www.buero-forum.de bestellt werden.