Schreiben nach Musik

Schreiben nach Musik
Ein fächerübergreifendes
Projekt in der Sekundarstufe I
Pädagogische Staatsexamensarbeit
Studienseminar Saarbrücken
September 2001 - Verena Helde
Inhalt
A: Theorie
–
–
–
–
–
Thema und Ziele
Aufsatzdidaktische Entwicklungen
Kreativitätsbegriff
Kreatives Schreiben
Schreiben nach Musik
B: Praxis
– Schreiben nach Musik in Klasse 6
– Schreiben nach Musik in Klasse 9
A: Theorie
Thema und Ziele
• Musik als Inspirationsquelle kreativer
Schreibaufgaben
• „Übersetzung“ des Ausdrucksgehaltes
der Musik in Schriftsprache
Anregung der geistigen Eigenaktivität
und Imagination
 Entfaltung von Schreibpotenzial
 Auditive Wahrnehmungserziehung
Aufsatzdidaktische Entwicklungen
(ab ~1980)
• Freies Schreiben
– spontanes Aufschreiben von Gefühlen,
Wünschen und Bedürfnissen (Expressivität)
• Personales Schreiben
– Suchbewegung des Schreibers „auf dem Weg
zur eigenen Identität“
• Schreiben als Prozess
– Prozess des Schreibens (Teilhandlungen) im
Vordergrund; Suchen und Erproben
Wandel
des Kreativitätsbegriffs
• 70er: „divergentes Denken“  kreatives
Ausbrechen aus gewohnten Bahnen;
Auffinden innovativer, eigener Wege
• 80er: Subjektivierung  Kreativität als
Selbstausdruck und Selbsterfahrung
• 90er: Kreativität als Neuartigkeit von Weg,
Produkt und Wahrnehmung
„Kreativität“ (Kruse 1997)
Spontaneität
Originalität
Sensibilität
Innovativität
Intuition
Kreativität
Generativität
Inspiration
Produktivität
Fantasie
Genialität
Prinzipien
des kreativen Schreibens
• Imagination: Aktivierung einer neuen
Sichtweise oder neuer Vorstellungen
• Irritation: Durchbrechen eingeschliffener
Vorstellungsmuster und Routinen
• Expression: Ausdruck von Subjektivität
und Authentizität
Schreiben nach Musik
als Sonderform des kreativen Schreibens
• Musik als Stimulus zur Initiierung oder
Begleitung von Schreibprozessen
 Erregung außermusikalischer Gefühle,
Assoziationen, Bilder, ...
 Ziel: „der durch ein Musikstück
hervorgerufenen inneren Bewegtheit
[sprachliche] Gestalt geben.“ (Böttcher 1999)
• Grundlage: Wechselverhältnis der beiden
Kommunikationssysteme Musik und Literatur
B: Praxis
Auswahl der Musikbeispiele
• Generell: Musikbeispiel sollte relativ
eindeutige Grundstimmung oder
nachvollziehbare Entwicklung
enthalten
• Unterstufe: bes. Programmmusik
• Mittelstufe: Programmmusik und
absolute Musik
• Oberstufe: bes. absolute Musik
Schreiben nach Musik
in Klasse 6
Programmmusik
• Instrumentale „Nachzeichnung“ eines
außermusikalischen Inhalts
• Tonmalerei und Tonsymbolik
– Was hat der Komponist wie und
warum nachgeahmt?
– Kommunikationsbrücke durch
programmatische Bezüge
HB: „Die Geschichte von Babar“
(Francis Poulenc)
• Wechsel überschaubarer Abschnitte von Text
und Musik
• Methode: Weglassen der Zwischentexte
spontane Assoziationen der Schüler
Erfinden eigener Zwischentexte
• Kontrolle/Beleg durch Bestimmen der
musikalischen Gestaltungsmittel
Kreative Schreibübungen
• Vorübung: „Puzzle“: verschiedene
Zwischentexte der Musik begründet zuordnen
• Cluster als „Ideenbörse“ entwerfen
• Zwischentexte erfinden
• Träume/Gedanken der Personen aufschreiben
• Vorgeschichte/Fortsetzung schreiben
• Parallel- oder Gegengeschichte verfassen
• Perspektive wechseln
• Liedtext dichten
• u. v. m.
„Lernerfolgskontrolle“:
Vertonen einer Bildergeschichte
• Schritt 1: Umformen der statischen Bilder
in eine dynamische Geschichte
• Schritt 2: Vertonen der Geschichte
– Ausdrucksbilder/Gefühle
– Bewegungscharaktere
e.o. plauen: Die Reißzwecke
Schülerergebnis, Klasse 6
(Beispiel: 3. Bild)
Schreiben nach Musik in
Klasse 9
Konkrete Musik (Musique concrète)
• Hauptvertreter: Pierre Schaeffer (1910-1984)
– Aufnahme von Naturklängen u. – geräuschen
– Elektronische Umformung (Mischpult, Filter
u.ä.)
– Integration des ‚konkreten Klangmaterials‘
in klassische und populäre Musik
HB: Pink Floyd (Ummagumma 1969)
• Teil 1: Grantchester Meadows
 Darstellung einer realistischen
Naturszene (konkrete Vogelstimmen,
Biene, Mensch)
• Teil 2: Several species of small fury
animals gathered together in a cave
and grooving with a pict.
 Surrealistische, dämonische Szene
Erfinde einen Zeitungsartikel!
(Schülerergebnisse, Klasse 9)
S 1: Sind Unschuldige noch sicher?
Wieder einmal wurde aus einer vermeintlich ruhigen Situation eine
Eskalation der schlimmsten Art, die mit Aufständen, Chaos und Tod
endete.
So war Mickel Mücke (alle Namen zum Schutz geändert) mit seiner
Clique, der Peep-matz-Gäng, die sich noch nie etwas haben zu
Schulden kommen lassen, in ihrem Jugendtreff, der Zwitscherwiese.
Hier wurde der kleine Mickel zum letzten Mal lebend gesehen. Wie
Zeugen berichten, geriet er auf seinem Nachhauseweg unversehens in
ein fremdes Terrain, wo er das Opfer eines Radikalen wurde. So schlug
der Täter ohne Vorwarnung zu und tötete ihn nach vorheriger
Gefangennahme.
Da die Polizei nicht einschritt, versammelte sich heute die Tier-RA und
tagt derzeit noch in der Feldhöhle, um ihr weiteres Einschreiten zu
beraten. Flucht oder Rache? Wir halten Sie auf dem Laufenden.
• S 2: Die Rache der Tierwelt
Gestern Vormittag ereignete sich das größte Naturspektakel aller
Zeiten. Ein 55-jährige Mann lag zwei Stunden in einer Hängematte an
seinem Teich im Garten. Er lauschte dem Zwitschern der Vögel und
dem Plätschern des Teichs. Doch seine Ruhephase wurde von einer
hartnäckigen Hummel gestört. Kurz entschlossen lief er in die Küche,
um das lästige Insekt zu zerschlagen. Entspannt legte er sich wieder
hin und erfreute sich an der idyllischen Stimmung.
Plötzlich wurde er von einer riesigen Menge von Tieren jeder Art
überrascht, die die getötete Hummel rächen wollten. Alle Tiere der
Welt hatten sich zu einem Racheakt gegen die Menschheit
zusammengeschlossen und ließen ein Chaos in allen Erdteilen
ausbrechen. Die Situation eskalierte und ließ sich durch irdische Mittel
nicht mehr in Ordnung bringen. Doch plötzlich ließen die Tiere von der
Rache ab und zogen sich wieder in ihre Gebiete zurück. Die
Menschheit glaubt an einen überirdischen Befehl, der die Natur wieder
mäßigte. Nun glauben auch die größten Zweifler an Gott.
S 3: Tiere verwüsten Wohnhäuser
Schwere Verluste - Rätsel um das Geschehen
„Eine ganze Horde von Tieren der unterschiedlichsten Arten sind unter
lautem Gebrüll und Gekreische über uns hergefallen und haben alles
zerstört, was im Weg war!“, so die Aussage eines Augenzeugen.
Wissenschaftler, die sich mit den Gründen für dieses ungewöhnliche
Verhalten der hier heimischen Tiere beschäftigt haben, vermuten, dass es sich
um einen Racheakt gehandelt haben könnte. Die Möglichkeit ist nicht
auszuschließen, da die Gewalt und Rücksichtslosigkeit, mit der die
Menschen die Tiere und ihren Lebensraum behandeln, irgendwann von der
Natur nicht mehr akzeptiert werden konnte.
Hat nicht jeder von uns schon einmal eine Fliege oder Biene erschlagen und
dabei so etwas wie Spaß empfunden, obwohl er sie auf andere Weise aus
seinem Umfeld hätte entfernen können? Wir alle sollten uns ändern, damit
wir auch in Zukunft die Natur genießen können und die Tiere nicht wieder
dazu gezwungen sind, gegen uns Gewalt anzuwenden und uns zu schaden.
Absolute Musik
• ‚reine‘, von der Nachahmung
außermusikalischer Inhalte losgelöste
Musik
• Autonomie des musikalischen Formens
und Fügens
• „Auch in der abstraktesten musikalischen
Struktur kommt etwas zur Sprache, das an
den Ästhetiker den Anspruch des
Erkennens und Ansprechens stellt.“
(Riemann 1967)
HB: Villa-Lobos:
Bachiana Brasileira Nr.5
• Für 8 Violoncelli und Sopran
• Synthese europäischer Kunstmusik
und brasilianischer Folklore
• Intensität des Gefühls
Aufgabe: Clustering
(Schülerergebnis, Klasse 9)
Erfinde ein Gedicht!
(Schülerergebnisse, Klasse 9)
S 1: Wir spazierten über Wiesen, über Felder,
Immer waren wir zusammen,
Ich wusste, du erwiderst meine Liebe,
Doch du wurdest krank,
Immer schwächer
Mit Tränen in den Augen
Steh ich nun verlassen hier.
Meine Kleidung von Regen durchnässt,
Mein Herz vom Schmerz zerrissen.
Ich steh allein im Regen
Seit Tagen ist mein Leben ohne Sonne.
Nur noch in meinen Gedanken, meinen Träumen
Existiert dein treuer Blick.
S 2: Ich weiß, es wird ein Leben lang dauern
bis ich dich wieder sehen werde.
Aber wenn es soweit ist, werde ich bereit sein.
Nur die Erinnerung kann die Wand zerbrechen,
die uns voneinander trennt.
Wenn wir wieder von vorn beginnen könnten,
würdest du mit mir den Tod besiegen.
Doch nun hat der Tod diese Mauer errichtet,
die ohne den Tod unüberwindbar scheint.
Trotzdem werde ich kämpfen, um wieder bei dir zu stehen
mit allen Gedanken und mit allen Mitteln.
Selbst wenn das das Ende bedeutet.
S 3: Sag, warum hast du mir das angetan?
Du hast mir wirklich wehgetan.
Was hab ich denn nur falsch gemacht,
dass du mich jetzt überhaupt nicht mehr magst?
Ich liebe dich noch phänomenal,
das ist dir wohl nun egal.
Komm zurück zu mir,
denn du fehlst mir,
Ich bin zerflößt von Trauer.
Dein Blick wirkt auf mich immer rauer.
Ich tipp auf'm Handy ne SMS daher,
doch deine Karte ist ja angeblich leer.
Filmmusik
Allgemein: Intensivierung der Aussage
von Filmszenen durch Musik
• Funktionen der Filmmusik:
– Persuasive Funktion  Zuschauer durch
affektive Wirkung der Musik „überreden“
– Syntaktische Funktion  Einheit bringen,
z.B: durch Leitmotive
– Hermeneutische Funktion  Verständnisschwierigkeiten beheben
• „Mickey-Mousing“: Bildverdopplung durch
Musik
HB: E. Morricone:
„Spiel mir das Lied vom Tod“
• Mischung von Rock-Popelementen mit
klanglichen Elementen moderner
dissonanter Konzertmusik
• Brückenschlag zur klassischen
Westernmusik
• Methode: Hören der Filmmusik ohne Bild
 Erfinden eines passenden
Szenentextes
 Vergleich mit dem OriginalFilmausschnitt
Erfinde einen passenden Szenentext!
(Schülerergebnis, Klasse 9)
Der vom Krebs zerfressene Morton sieht nur noch einen Weg:
McBain muss aus dem Weg geräumt werden. Da Morton jedoch ein
fairer Sportsmann ist, vereinbart er ein Duell zwischen McBain
und sich selbst. Man sieht eine leere Straße, der Wind wirbelt den
Dreck auf. Die Einwohner der Stadt stehen an den Fenstern und
beobachten die beiden Akteure.
Nun sieht man die Schauspieler ganz nah. Man kann erkennen,
dass ihnen der Schweiß an der Stirn herunterläuft. Zuerst sieht
man das Geschehen aus der Sicht von Morton, dann aus McBains
Blickfeld. Beide sind dazu bereit die Waffe zu ziehen. Das Warten
auf den Glockenschlag, bei dem einer von beiden stirbt, ist
unerträglich.
Quellenverzeichnis (Auswahl)
1. Literaturverzeichnis
ABEGG, Werner: Programmusik im Unterricht. Regensburg: Gustav Bosse Verlag
1989.
BÖTTCHER, Ingrid (Hg.): Kreatives Schreiben. Grundlagen und Methoden. Berlin:
Cornelsen Scriptor 1999.
BOUEKE, Dietrich u. HOPSTER, Norbert (Hg.): Schreiben - Schreiben lernen.
Tübingen: Gunter Narr Verlag 1985.
BRODBECK, Karl-Heinz: Entscheidung zur Kreativität. Darmstadt 1995.
DE LA MOTTE-HABER, Helga (Hg.): Film und Musik. Mainz: Schott 1993.
DORN, Michael: Programmusik. Arbeitsheft für den Musikunterricht in der
Sekundarstufe I an allgemeinbildenden Schulen. Stuttgart: Ernst Klett Verlag
1995.
FRITZSCHE, Joachim: Schreibwerkstatt. Aufgaben - Übungen - Spiele. Stuttgart: Klett
1989.
FRITZSCHE, Joachim: Zur Didaktik und Methodik des Deutschunterrichts. Bd. 2:
Schriftliches Arbeiten. Stuttgart: Klett 1994.
HAAS, Gerhard, MENZEL, Wolfgang u. SPINNER, Kaspar H.: Handlungs- und
produktionsorientierter Literaturunterricht. Praxis Deutsch 123/1994, S.17-25.
HOLOUBEK, Helmut u. POMMERIN-GÖTZE, Gabriele: Kreatives Schreiben. Bamberg:
Lehrstuhl Didaktik der Deutschen Sprache und Literatur an der Univ. 1995.
KREBS, Charles T., BROWN, Jenny: Lernsprünge - Eine bahnbrechende Methode zur
Integration des Gehirns. Freiburg 1998.
KRUSE, Otto: Kreativität als Ressource für Veränderung und Wachstum. Bonn 1997.
OHSER, Erich (e. o. plauen): Vater und Sohn. 3 Bde. Konstanz: Südverlag 1982.
PETRI, Horst: Literatur und Musik. Form- und Strukturparallelen. Göttingen: Sachse &
Pohl Verlag 1964.
RICO, Gabriele L.: Garantiert schreiben lernen. Sprachliche Kreativität methodisch
entwickeln - ein Intensivkurs. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1984.
SCHER, Steven Paul (Hg.): Literatur und Musik. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis
eines komparatistischen Grenzgebietes. Berlin: Erich Schmidt Verlag 1984.
SCHÖPFEL, Joachim: Kreatives Schreiben. Frankfurt/Main: Verlag Peter Lang 1992.
SPIELPLÄNE 7/8 für den Musikunterricht an allgemein bildenden Schulen. Leipzig:
Klett 1997.
SPINNER, Kaspar H.: Kreatives Schreiben. In: Praxis Deutsch 119/1993 [a], S. 17-23.
SPINNER, Kaspar H.: Kreativität im Deutschunterricht. In: Tippelskirch, Ingrid von
(Hg.): Kreativität und Deutschunterricht. Saarländische Beiträge zur
Pädagogischen Praxis Bd. 16. Saarbrücken: LPM 1993 [b], S. 9-17.
SPINNER, Kaspar H. (Hg.): Neue Wege im Literaturunterricht. Hannover: Schroedel
1999.
TISCHLER, Björn u. MORODER-TISCHLER, Ruth: Musik aktiv erleben. Musikalische
Spielideen für die pädagogische, sonderpädagogische und therapeutische Praxis.
Frankfurt/Main: Diesterweg 1990.
WERDER, Lutz von: Lehrbuch des kreativen Schreibens. Berlin: Schibri-Verlag 31996.
WINNICOTT, D.W: Vom Spiel zur Kreativität. Stuttgart: Klett-Cotta 81995.
Internet
ABRAHAM, Ulf: Gibt es eigentlich „Kreatives Schreiben“ im Deutschunterricht, oder
Was tun mit Steinen? Einführungsartikel der ide (Informationen zur
Deutschdidaktik) 4/1998.
www.uni-klu.ac.at/users/wwinters/ide/aktuell/abraham.htm
FELLER, Meike u. LINNERTZ, Antje: Warum gehört kreatives Schreiben in die
Grundschule? Münster 07/1999.
www.deuserv.uni-muenster.de/StudentischesDiskussionsforum/Hausarbeiten/
hausarbe.htm
2. Diskografie
MORRICONE, Ennio: Original Filmmusik. Virgin Records Ltd. 1993.
PINK-FLOYD: Ummagumma 1969.
POULENC, Francis: Die Geschichte von Babar, dem kleinen Elefanten. Marcus von
Bock, Erzähler. Rundfunkorchester des NDR, Klauspeter Seibel, Dirigent.
Polydor International GmbH 1980.
VILLA-LOBOS, Heitor: Bachianas Brasileiras 1, 5 & 7. Barbara Hendricks, Sopran,
Eldon Fox, Violoncello Solo, 8 Violoncelli des Royal Philharmonic Orchestra,
Royal Philharmonic Orchestra, Enrique Bátiz, Dirigent. EMI Records Ltd. 1986.
Danke!
Herzlich danken möchte ich meiner
Kollegin Judith Schambil, die mir mit
Rat und Tat zur Seite stand!
Danke an die Schülerinnen und
Schüler der Klasse 6b und der
Klasse 9e des Robert-SchumanGymnasiums in Saarlouis (Schuljahr
2000/2001)!
Kontaktadresse
[email protected]