06 Juni 2016 Standing Ovation Pitchkultur: mehr nachhaltige Kreativität statt Abfall zum Nulltarif Längst haben wir die klassische Kreativwelt verlassen: Wir denken in Customer-Journeys und Touchpoints, wir wollen Nachhaltigkeit und Relevanz, wir konzipieren vernetzt und userorientiert. Aber unsere Pitchkultur funktioniert über weite Strecken noch wie im letzten Jahrtausend. Höchste Zeit für neue Ideen und Modelle. Guido Rumi, Creative Director beim Live-Kommunikations-Dienstleister Standing Ovation und ­Burning-Man-Fan, über Gegenwart und Zukunft des Pitchens. Text: Guido Rumi* Bild: Florian Kalotay Die Geschichte kennen Sie: Eine Pitchanfrage kommt ins Haus. Toller Brand, vielversprechender Kunde mit Potenzial. Super Sache. Los an die Arbeit? «Nein», sagten wir, «das kann es nicht sein.» Denn bei genauerem Hinschauen zeigte sich: unklare Aufgabe, ungenau definierte Pitchsituation, wenig Spielraum, fehlende Träume, Honorar gleich null. Einsteigen oder abwinken? Null-Honorar-Pitches haben Konjunktur. Immer mehr Auftraggeber vertrauen bei Pitch­ausschreibungen auf das Charisma ihrer Marke. Und auf den Überhang an Kreativangeboten auf dem Markt. Sie wollen deshalb bei Pitches möglichst alles für möglichst wenig Geld. Präsentiert werden soll nicht nur eine Big Idea, sondern auch gleich die Integration in die Markenstrategie sowie Kalkulation und Timing – und bitte beides verbindlich. So war das auch bei dieser vielversprechenden Anfrage. «Nein», sagten wir, «das kann es nicht sein.» Legen wir voll los und erarbeiten wir einen Big-Idea-Pitch, der unseren Massstäben entspricht, kostet uns das rund 40 000 Franken. Keine Kleinigkeit, auch für eine grössere Agentur. Die alte Rechnung stimmt nicht mehr Das Argument, mit dem Null-Honorar-Pitches gerne gerechtfertigt werden, ist so simpel wie Buchhaltung für Anfänger: «Betrachten Sie diesen Pitch doch als Invest- * Guido Rumi ist Creative Director beim Live-KommunikationsDienstleister Standing Ovation GmbH. 86 ment. Sollten Sie gewinnen, rechnet sich das allemal.» Die Antwort ist meist ebenso simpel: «Nein, tut es nicht.» Man kann dieses Nein aus Sicht der Buchhaltung sehen: Solche Pitches rechnen sich nicht, weil die Etats, die mit ihnen ins Haus kommen, in der Regel nicht so gross sind, wie sie zu sein versprechen. Als Kreativdienstleister sehen wir dieses Nein jedoch vor allem aus der Sicht der Kreation. Kreativarbeit ohne monetäre Wertschätzung macht sich nicht bezahlt. Projektpitches mögen ihre Berechtigung haben, Etat-Pitches sind hingegen kreativer Raubbau. Zeit, die Wegwerfmentalität wegzuwerfen Kreativität ist unser wertvollster Rohstoff. Es ist das, was uns auszeichnet, was uns antreibt, was uns beflügelt. Diesen Rohstoff in Grosspitches gratis zu verschleudern, wollen wir uns nicht leisten. Das herkömmliche Pitchmodell mag Entscheidungsgrundlagen liefern, wenn es beispielsweise um Standortentscheide oder um einen Kosten-NutzenVergleich geht, doch sobald Big Ideas gefordert sind, zeigt sich, wie antiquiert es ist. Pitchen vier Agenturen mit je zwei Ideen, landen sieben davon im Müll. Es ist wie Fischen mit Schleppnetz: viel Beifang, der dann achtlos über Bord geschmissen wird. Nachhaltigkeit sieht anders aus. Auf der Strecke bleibt das, was wir als Eventdienstleister brauchen, um unser Publikum zu verführen, zu verzaubern und zu verblüffen: Kreativität. Guido Rumi. Standing Ovation Pitchkultur: mehr nachhaltige Kreativität statt Abfall zum Nulltarif werbung Kreativität neu bewerten Mit Kreativität meine ich nicht das viel beschworene Zauberelixier der klassischen Kommunikationsära. Mir geht es um die Ressource Kreativität – «die wertvollste natürliche Ressource auf unserem Planeten» (Gottlieb Guntern). Wir müssen sie neu entdecken und neu bewerten – mit allem, was zu ihr gehört: Prozessdenken, Interdisziplinarität, aber auch Mut, zu träumen und nach den Sternen zu greifen. Es ist die Neubewertung der Ressource Kreativität, die uns beide weiterbringt: unsere Kunden und uns als Kreativdienstleister. Eine IBM-Studie, bei der 2100 Firmenchefs aus 60 Ländern und 23 Branchen befragt wurden, bringt es auf den Punkt: Auf die Frage, welches der wichtigste Faktor für den zukünftigen ökonomischen Erfolg ihres Unternehmens sei, antworteten die meisten: Kreativität. Gemeinsame Sache machen Hier Kreative, dort Kunde war gestern. Unsere Erfahrungen mit Co-Kreation, ModelThinking und Prototyping zeigen uns: Es funktioniert hervorragend, um komplexe Aufgabenstellungen Schritt für Schritt zu gestalten. So ist beispielsweise unser Messekonzept für Bauknecht entstanden. Das Resultat: keine Ideen für den Papierkorb, dafür nachhaltiger Content für die Markenkommunikation, und zwar weit über den Event hinaus. Nicht mitmachen, sondern mitgehen Kombinieren wir die Ressource Kreativität mit dem Community-Gedanken, sind wir auf guten Weg in die Zukunft: Die Kreativen werden zu Ideenfindern, die Kunden werden zu Impulsgebern und Kollaborateuren. Die Community zwischen Kunden und Kreativen garantiert dabei ebenso intensiven wie intuitiven Wissenstransfer: Man kennt sich, schätzt sich, inspiriert sich und involviert sich. Nur eins macht man nicht: servieren und konsumieren. Aufs Partizipieren kommt es an. Auch deshalb halten wir Pitches, bei denen man «mal mitmachen darf», für eine schlechte Option – weil wir oft viel zu wenig über den Kunden und seine Bedürfnisse in Erfahrung bringen können. Meine Erfahrung über die letzten Jahre: Wo der Kunde bereit ist, ein Stück des kreativen Weges mitzugehen, entsteht genau das richtige Klima für über- zeugende Live-Kommunikation, für Einzigartigkeit und Exzellenz. Die Zukunft sieht anders aus In unserem Arbeitsalltag gibt es immer weniger lineare Prozesse, dafür immer mehr komplexe Aufgabenstellungen. Als Experten für Live-Kommunikation bringen wir die unterschiedlichsten Kompetenzfelder zusammen. Dabei gibt es kein unten und oben, kein kreativ und nicht kreativ, sondern ein wir: eine gemeinsame Mission oder ein grosser Traum. Und genau das brauchen wir, um die Vielschichtigkeit heutiger Kreativaufgaben erfolgreich zu bewältigen. Live-Kommunikation, wie wir sie als Eventdienstleister verstehen, übernimmt wichtige Brandingaufgaben. Sie wird zum inhaltlichen Epizentrum für Kampagnen. Das temporäre Erlebnis entwickelt sich zum Content-Treiber und spielt deshalb in der Unternehmens- und Markenkommunikation eine prominente Rolle; wir werden zu Teamplayern in der Markenführung. Wir kreieren nicht nur Emotionen, wir konzipieren auch Kanäle, damit Emotionen geteilt werden können. Deshalb gehören Shared-Communication-Konzepte selbstverständlich auch zu unseren Aufgaben. alte Jeder-gegen-jeden-Mentalität? Warum müssen wir Agenturen immer nur gegen­ einander arbeiten? Wäre eine Öffnung nicht eine grosse Bereicherung? Ich könnte gut damit leben. Und die Kunden sicher auch: So hätten sie die Freiheit, zu entscheiden, wie sie unterschiedliche Akteure interdisziplinär miteinander arbeiten lassen, um zur besten Lösung zu kommen. Das Ziel: aus eins plus eins drei zu machen. Und dabei Kreativität und Innovation so zu verbinden – und zu leben –, dass ein deutliches Mehr an Qualität entsteht. Ich meine damit auch ein deutliches Mehr an Lebens- und Arbeitsqualität. Agile, offene Schaffensprozesse, CommunityDenken und nachhaltiger Umgang mit Ideen – so beginnen kreative Höhenflüge. «Man schafft niemals Veränderung, indem man das Bestehende bekämpft. Um etwas zu verändern, baut man neue Modelle, die das Alte überflüssig machen», meint Richard Buckminster Fuller. Ich bin überzeugt: Wer auf die Synergie von Wertschätzung und Wertschöpfung setzt, hat schon ziemlich viel von den alten Pitchritualen überflüssig gemacht. Und wer die Ressource Kreativität nachhaltiger nutzt, hat das neue Pitchmodell schon fast realisiert. Weiche Werte für harte Arbeit In meiner täglichen Auseinandersetzung mit Fachthemen stosse ich immer wieder auf Begriffe wie Vertrauen, Empathie, Ruhe oder auch Achtsamkeit als Voraussetzung für Kreativität. Klingt nach Pestalozzi-Pädagogik? Nein, nach Wertschöpfung: Wo komplexe Aufgaben zu lösen sind, wird das Miteinander entscheidend. Frederik Pferdt, zurzeit oberster Innovationschef von Google, definiert Kreativität als «erneuerbare Energie» – vorausgesetzt, man gehe richtig mit ihr um. Um ein «kreatives Spannungsfeld» aufzubauen, in dem Innovationen entstehen könnten, brauche es vor allem zwei Dinge: Vertrauen und Empathie. Ja, Herr Pferdt, das sehe ich genauso. Gegenseitige Wertschätzung ist eine notwendige Voraussetzung für Wertschöpfung. Standing Ovation Standing Ovation ist der führende Schweizer Dienstleister für Events, Kongresse und Shared Communication. Ihre mit Branchenpreisen ausgezeichneten Kreationen (zum Beispiel für Bauknecht und Lyreco) stellen Marken- und Unternehmenswer te ins Zentrum. Dabei werden Emotionen zu Content-Treibern für Marketing und Kommunikation. Als Famab Sustainable Company 2.0 räumt Standing Ovation der Nach­ haltigkeit einen hohen Stellenwer t ein: Überlegter Umgang mit Ressourcen schliesst dabei auch die Eins plus eins gleich drei Ressource Kreativität mit ein: auf Kunden- wie Suchen wir nach neuen Pitchmodellen, nach neuen Formen der Zusammenarbeit und Innovation, kommt es entscheidend auf solche Faktoren an. Wann entsorgen wir endlich die auf Agenturseite. www.standingovation.ch 87