Über Kreativität und den Wandel zur Wissenskunst – eine Gratwanderung Dr. habil. Gertrud Kamper, Berlin Dr. Gertrud Kamper: Prosem. Kreativität, WS 03/04 M. Teil der g esam ten We lt / System s se it Mitte 20 Jh dt. Reaktio n au f di e m ech anis che Seite de r Aufklä rung aktue lle Prob leml age? me nschl. Selbs torga nisa tion / Se lbsterzeugu ng d er Indivdu en = Bild ung Krea tivitä tspro blem im Bild ungs probl em un d um gekehrt Ze iten von Umb ruch / Kris en, raschen Ve rände runge n Rena issa nce K. univers ale Fähi gke it u nd Existenznotwe ndig kei t sp rungh afte Verwan dlun g in ne uen Zustand/Struktur Sel bste rze ugun g Au topo iese erh alte ndern euern de K. Mens che n Sel bsto rgani sati on Prozes se d er S. Päd agog ik = Praxis u. Theo rie jene r Prozess e system ischchaostheoretis che Betrac htungswe ise verschie dene Kul turen Verstä ndnis von K. Wi ssen sch aft (du alis tisch-hi erarchisch) a ls Teil des Proble ms (n ich t al s Lö sung ) Prob leme m it wis sens cha ftli che r K.forschung w ird w ann Them a? Verstä ndnis von K. KREATIVITÄT ers ter Übe rblick verschie dene hi stori sch e Ze iten Verstä ndnis von K. . verschie dene Betrach tung swinkel Prob leme mit Ve rwi ssen sch aftl ich ung von Bildu ng Physi k Reli gion en Bio logi e Phi loso phie In halte von Ve rände runge n Psycholo gie en twicklun gsps ychol ogis ch Zi ele vo n K. verschie dene Kün ste au sgeb lend et? ps ych. K.forschung ti efen psych olog ischps ychoa nalyti sch ethische Dime nsio n te st-ps ychol ogis ch Ve rände runge n de r Bewertung/Beurte ilun g/ Erwüns chtheit von K. bi ograp h. ü ber Berü hmth eite n (Howard Ga rdner u.a.) Bed ingu ngen , Vo rauss etzung en, Fl ow (Cziks entm ihal y u.a.) X so zi ale Aspe kte , Mechani smen (Te resa Amab ile u.a.) be reichs-sp ezifis che K. - g eschäftliche - m usikali sch e - m athe mati sch e - s prachliche - tech nische - s oziale /pol itis che - b ildn erische - e tc. pp. Fa kto ren von K. Niveau s von K. Päd agog ik Ratg eber-L it. - p rivat - Ki nderg arten - Schul e - Erw.b ildu ng - b etrie bl. Weit.b. kritis che Au sein ande rsetzun g (Hartm ut v. He ntig u.a.) Th eorie u.Pra xi s de r kre ativen Fel der (Olaf Burow u .a.) pä dago gische K. "k.förd ernde " Metho den (bra instormin g etc.) 2 Was ist mit „Kreativität“ gemeint? Wovon sprechen wir hier überhaupt? • Definitonen in den Wörterbüchern • Welche Auffassungen über Kreativität dominieren in der westlichabendländischen Kulturtradition? • Wieso sprechen wir gerade jetzt so häufig über Kreativität? 3 Zeitgebundenheit, Kontext, Wörterbücher • Caveat • genesis (griech.) • creatio (lat.) • Schöpfung, erschaffen (dt.) • „Kreativität“ aus dem anglo-amerikanischen creativity • creativity ursprüngl. Übersetzung für (griech.) poietis (= Urheber) • Grundbedeutung: • Etwas machen, erzeugen, entstehen lassen • Betonung auf dem Veranlassen des ersten Entstehens durch einen Gott / eine göttliche Kraft • Achtung: Stark dualistische und paternalistisch-dominierte Tradition der Wörterbücher – und zwar nicht reflektiert 4 Annahmen über Kreativität 1 Immanenz – die kreative Welt (älteste Auffassungen, vor-patriarchal) Transzendenz – der kreative Geist-Gott (Antike u. Christentum, paternalistisch-dominant) 5 Annahmen über Kreativität 2 Die Emanzipation des kreativen Menschen (Neuzeit, immer noch paternalistisch-dominant) Renaissance – Wissenschaft = 2. Schöpfung mit dem Verstande gemacht – Malerei = 2. Schöpfung mit der Phantasie gemacht – Erkennen als geistiges Nachvollziehen, Nachschöpfen Aufklärung u. Gegenbewegungen – Gott = unbewegter Beweger, göttl. Uhrmacher, ansonst mechan. Gesetze – Idealismus (kreativer absoluter Geist) – Sturm u. Drang, dt. Klassik, Romantik (göttlicher Funke im „Originalgenie“) Soziologische Perspektive (Hans Joas) – kreative Aspekte menschl. Handelns in Handlungstheorien Ausdruck (Herder), Produktion (Marx), revolution. Handeln (Marx), Leben (europ. Lebensphil., Schopenhauer, Nietzsche, Bergson, Simmel, Dilthey), situierte Kreativität (USA Pragmat. W. James, Charles Pierce, George Herbert Mead, John Dewey) Psychologische Kreativitätstheorien – oft synonym für Kreativitätsforschung – Leistungs- u. Produktivitätsaspekte dominieren – creativity als Ergänzung zu intelligence („IQ-Faktor“) – „Faktoren“, Ebenen, Stufen – Genie u. Wahnsinn – Tests und Trainings – psychoanalyt. Ansätze 6 Annahmen über Kreativität 3 Anything goes? – oder: Die aktuelle Übergangssituation Space Age und New Age – Raumfahrer u. EsoterikerInnen Schöpferkraft von „außen“ Chaos und System Kreativität als grundlegendes Systemprinzip „immanent“ Grenzwissenschaften – Naturwissenschaftler-Philosophen u. Kulturell Kreative neue kosmologische Entwürfe, Universum u. jedes einzelne Element kreativ 7 Zus.fassung: Annahmen zu Kreativität - Qualität ständiger Selbst-Erneuerung wie Selbstveränderung (Schaffung von Neuem) - Grundcharakteristikum der Welt (Mikro- bis Makro-Kosmos) - Vorstellungen einer allgemeinen Schöpfungskraft der Welt im westlich-abendländischen Denken (zumindest die meiste Zeit) - Im Dualismus allerdings in abstrakt-geistiger Weise (Transzendenz) - Aber auch, v.a. im trad.-wissenschaftl. Denken: Auffassung einer nicht-kreativen, linear-kausalen, materiellen Welt 8 Krisen, Chaos, Möglichkeiten, Stabilisierung http://www.kgs-leeste.de/deutsch/ags/chaos/haupt.html http://remote.science.uva.nl/~remco/EFChaos.html http://www.regiolog.de/manager/partner/gs/sem/evo/fraktal/feigenbaum.htm 9 Metapher für den „sensiblen Punkt“: Ein Schmetterling am Amazonas schlägt mit den Flügeln und in Honkong gibt es einen Taifun 10 http://www.the-bifurcation-point.com/ Die z.Zt. plausibelste Definition (dynamisch-systemisch und chaos-theoretisch inspiriert) : Kreativität – Bezeichnung für die Eigenschaft von Systemen, sich aus sich selbst heraus so zu verändern, daß etwas Neues entsteht • in Kontexten, in Wechselwirkung mit anderen, ebenfalls dynamischen Systemen – aber eben doch aus sich selbst heraus (Autopoiese) • ständige, kontinuierliche Veränderung – erhaltend-erneuernde Kreativität • wirklich Neues eher sprunghaft – aus Situationen der Bi- oder Polyfurkation • Kein Anhalten, kein Zurück, kein Aussteigen – welche Äste möglicher Entwicklung sind aktuell? 11 http://edj.net/vgallery/skb3_41.htm Bifurkation 12 Wieso Kreativität jetzt? Zeit des Umbruchs 20. Jhdt. und Beginn 21. Jhdt. allgemein als Zeit des Umbruchs, der beschleunigten Veränderung, der Krise erlebt von den Menschen des westlichen Zivilisationskreises – wie erleben das Angehörige anderer Kulturkreise? Vergleich mit der Renaissance Vergleich mit der neo-lithischen Revolution Das Ausmaß an relativer Verselbständigung der Menschen gegenüber der Natur wie das Ausmaß ihrer Manipulation läßt ein Überwinden der dualistischen Struktur notwendig und möglich erscheinen 13 Diskurse über menschliche Kreativität sind oft allgemein und meist geht es um Hoffnung – selten wird gefragt: • Inhalte von Veränderungen? • Ziele von Kreativität? • Ethische Dimension? • Wer soll / will was wozu und wohin warum kreieren? • Welche Auswirkungen hat menschliche Kreativität im Gesamtzusammenhang der verschiedenen, komplexen Systeme? Risiko-Diskurs, Verantwortungs-Diskurs 14 Plausible Annahme: Die häßlichen Seiten und Folgen (individuell wie global) der westlichen Art, das eigene Leben erfreulicher machen zu wollen, hängen direkt und indirekt mit der geistigen Orientierung unseres Handelns zusammen – und zwar wesentlich mit: Dualismus • die Struktur des Symbolsystems unserer „westlichen“ Zivilisation • also eine Voraussetzung unseres Denkens Wissenschaft • wesentlich dualistisch (Bacon & Descartes) • die säkulare Religion unserer Zivilisation 15 Dualismus Geist - Materie Mensch - Natur Kultur - Natur Mann - Frau Geist - Körper Herr - Knecht/Sklave Spiritualität - Sexualität zivilisiert - wild rein - befleckt seelisch - fleischlich licht - dunkel stark - schwach göttlich - irdisch etc. pp. Netz aufeinander bezogener und sich gegenseitig verstärkender Dualismen Nicht jede Unterscheidung, Dichotomie, Polarität etc. ist ein Dualismus – (Hierarchie) 16 Dualismus die Struktur des Symbolsystems einer hierarchisch organisierten Gesellschaft die Angehörigen der macht-habenden Gruppe setzen sich als Herren-und-Meister über alle Anderen und alles Andere nur „A“ zählt, alles Andere hat keine eigene Qualität, sondern ist nur „non-A“ alles Andere hat keinen eigenen Wert/ Existenzberechtigung, muß den „mastern“ nützen die beiden Pole schließen einander aus - es gibt keine kontinuierlichen Übergänge 17 Gertrud Kamper, Platon lesen, 1999 18 Wissenschaft • eine bestimmte Art und Weise, • Erkenntnisse zu gewinnen, Wissen zu erzeugen (auswählend, begrenzt) u.a. Methodenfragen • vielfältige Gesamtheit von Institutionen, die zu diesem Zweck unterhalten werden und von Personen, die sich zu diesem Zweck einem bestimmten Regelwerk unterwerfen u.a. Methodenfragen immer in Wechselwirkung mit / im Kontext von konkreten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, militärischen, technischen, religiösen, politischen Bedingungen 19 Wissenschaft vor ungefähr 400 Jahren entwickelt und politisch durchgesetzt nur „primäre“ Qualitäten (meßbar, mathematisierbar) gelten als „wissenschafts-würdig“ Erkenntnis und Urteil/Bedeutung, Wissen und Wert sollen nichts miteinander zu tun haben Wiss. vorgeblich wertfrei und unparteiisch nur Erkenntnisse, die als unabhängig von der Beziehung zwischen Erkennendem und Objekt der Erkenntnis gelten, seien verläßlich „objektiv“ u.a. Methodenfragen Eine drastische Reduktion der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten und -notwendigkeiten 20 Wissenschaft = zur Zeit das offizielle und dominierende Modell, die Welt zu betrachten, zu verstehen, zu interpretieren = extrem dualistisch-hierarchisch – wird absolut gesetzt, Monopol auf Wahrheit – Reduktion des ganzen Organismus auf „Körper“, Abwertung des Körpers als bloßer Träger von Informationen (Genen etc.) = unsere aktuelle „säkulare Religion“ als Handlungsorientierung mitverantwortlich für Konflikte und Krisen Nicht-wissenschaftl. Arten des Erkennens und Wissens – alltäglich, lebensweltlich, künstlerisch etc.– verschwanden nicht vollständig – aber sie wurden als un-wissenschaftlich bezeichnet - damit gleichzeitig abgewertet und wo möglich verwissenschaftlicht oder ersetzt. 21 Aufmüpfen gegen dualistischen und beschränkenden Charakter – Wieso jetzt? „Natur schlägt zurück“ wir leiden langsam selbst unter den von uns verursachten Veränderungen. z.B. Klima-Katastrophen, Waldsterben, BSE, Allergien etc. Viele Menschen leiden auch seelisch unter den Auswirkungen der wiss. Auffassung der Welt. z.B. Entfremdung, Sinnverlust etc. Die aktuellen Wissenschaften von der Komplexität der Welt (Quantentheorie, Chaos-forschung, Biologie etc.) widersprechen einer Weltsicht, die einem herkömmlich beschränkten, wissenschafts-orientierten Weltbild folgt, immer deutlicher. 22 Gertrud Kamper, Die Wissenschaft erhebt sich, 1999 23 Wirklich jetzt? • Kreativität ist heute ein oft angesprochenes Thema (auch außerhalb von Künstlern und Werbewirtschaft) • Angemessenheit herkömmlicher Wissenschaft und ihrer Methoden als Weise des Erkennens und der Orientierung wird in Frage gestellt (noch am Rande des Betriebs, aber hoch-karätig) Nähern wir uns einem sensiblen Punkt im Prozeß? Oder baut sich bereits das Chaos auf? Wie wirken die Schläge unserer 24 Eine Welt nach dem Dualismus? Welche Vorschläge, Ideen, Forderungen für eine nicht-dualistische Art und Weise, Erkenntnisse zu gewinnen und Wissen zu erzeugen liegen bereits vor? Wie und wohin könnte, möchte, sollte Wissenschaft weiter- oder zu etwas Neuem entwickelt werden? 25 Arbeitsstellen für „nicht-dualistische Erkenntnisgewinnung“ 1 Anarchistische oder dadaistische Erkenntnistheorie, demokratisch legitimierte Wissenschaft (Paul FE YERABEND) Erzählende Wissenschaft und neue Rationalität, das Kunstwerk als Symbol des Universums (Ilya PROGINE) Tugendethik und eine nicht-dualistische Vernunft (Val PLUMWOOD) Differenz statt Spaltung, Ordnung statt Gesetz, Respekt statt Herrschaft (Evelyn FOX KELLER) Wissenschaft der Qualitäten, raffinierte und subtile Partizipation (Brian GOODWIN) Vorschläge für eine neue Ethik - Eine ganzheitliche Ethik für die Natur (ANDREAS-GRIESEBACH) - Eine Ethik biosphärischer Systeme (Ervin LASZLO) GAIA - Die Erde ist ein Lebewesen (LOVELOCK/MARGULIS) - Wahrnehmen als radikale Partizipation (David ABRAM) - Tiefe Ökologie (HARDING/NAESS) - Öko-Psychologie (John SEED) 26 Arbeitsstellen für „nicht-dualistische Erkenntnisgewinnung“ 2 Eine leibphilosophische Perspektive Spüren und bildbewußtes Erkennen (Annegret STOPCZYK) Sinnliche oder affektive Wissenschaft, Balance der Traditionen (Morris BERMAN) Das weibliche Prinzip rückfordern die reduktionistische Wissenschaft überwinden (Vandana SHIVA) Erweiterte multikulturelle Wissenschaft (Susantha GOONATILAKE) Revolution des Wahrnehmens, der Imagination, der Vorstellungskraft (Lucy GOODISON) Für emotionale Vernunft - gegen Irrationalität (Carola MEIER-SEETHALER) Post-cartesianische Kunst, heilende Kunst (Suzi GABLIK) Der Leib, ökologische Naturästhetik und alternative Naturwissenschaften, ethikrelevante Wissenszugänge zur Natur (Gerhard BÖHME, Hartmut BÖHME u.a.) 27 Ein gemeinsames Muster in den Überlegungen zur Veränderung z. B. Natur, Mensch in Natur • neue Selbstpositionierung des Menschen IN und nicht gegenüber der Natur - Mensch als Teil des Ganzen • Menschen WIE Natur als abhängig UND frei, als determiniert UND unvorhersagbar, beide mit Subjektivität und Handlungsmächtigkeit • Natürlichkeit / Leiblichkeit des Menschen ganz selbstverständlich wesentliche Rolle der Sinne, Affekte, Emotionen • Leib als differenziertere und reichere Vorstellung denn der Körper aus dem Geist-Körper-Dualismus • Ko-Entwicklung der Menschen mit ihren Mit-Welten (nicht Umwelten) Anerkennung eigener Eingebundenheit in die Systeme Diskurse über Nicht-Wissen, Unsicherheit und Fehlertoleranzen Folgen für Methoden-Diskurse 28 Ein gemeinsames Muster in den Überlegungen zur Veränderung z. B. Erkenntnis • die große Illusion eines außer-weltlichen und außerkörperlichen Standpunkts, einer distanzierten und objektiven Erkenntnis aufgeben • partizipativen und subjektiven Charakter allen Erkennens anerkennen • Beteiligung der Welt an den menschlichen Erkenntnisprozessen anerkennen • Intuition, Leiblichkeit, Gefühle zu verläßlichen Methoden entwickeln • Qualitative Merkmale der Welt interessieren mindestens so sehr wie die quantitative Dimension • „Neue Vernunft“ - Rationalität und Emotionalität, nicht mehr polar und hierarchisch gegenübergestellt, verändern ihre Bedeutung Veränderung von Methoden 29 The Frontier between Art and Science http://www.mi.sanu.ac.yu/vismath/exhib/op.htm (Beograd 2000) z.B. Visuelle Mathematik 30 Auf welchen Begriff könnte die anzustrebende neue Art und Weise der Erkenntnisgewinnung und Wissenserzeugung gebracht werden? Bloß „andere, ganzheitliche etc. Wissenschaft“??? Vorschlag: WissensKUNST Ein eigener, ein wesentliches Merkmal treffender Name für eine neue Qualität ist sinnvoll (vgl. Dampfschiff oder Dampfer - und nicht „motorgetriebenes Schiff ohne Segel“) 31 Überlegung • Wissenschaft - selektive, beschränkende Reduktion der verschiedenen Merkmale ganzheitlicher menschlicher Erkenntnisprozesse • Kunst - übernahm verschiedene der anderen Merkmale (leiblich-mimetisch-sinnliche Ausrichtung, Betonung von Beziehung und Bedeutung, Intuitives, Emotionales, Einfühlung, Spannung zwischen dem Konkreten, Einzelnen und dem Allgemeinen etc.) • die Künste wurden auch reduziert/beschränkt, aber anders 32 Überlegung - Fortsetzung • Vieles von dem, was heute für die Veränderung von Wissenschaft angeregt/verlangt wird, entspricht dem, was damals bei der Trennung der Kunst zugeordnet wurde • Eine (Wieder)Verbindung von WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen könnte evtl. den Weg gangbar machen • Wissenschaft WIE Kunst würden sich beide in solchen Prozessen selbst laufend verändern • Eine bloße Addition beider würde allerdings einiges außen vor lassen - bspw. die ethische Seite und das veränderte Naturverständnis 33 Kreativität und Wissenskunst Versuch über eine Entwicklungsrichtung von Wissenschaft und deren Bedeutung für eine neue Pädagogik Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang 2003 Und auch unter: http:www.eugwiss.udkberlin.de/kamper kreativität und wissenskunst pdf-Dateien 34 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Gertrud Kamper, Gratwanderung 3, 2001 35 36 Immanenz – die kreative Welt (älteste Auffassungen, vor-patriarchal) • JägerInnen und SammlerInnen - Urvertrauen in die Welt - vermutl. magische Praktiken - vermutl. keine Götter etc. • Bauern und Bäuerinnen - aus Chaos, Unordnung, Urelementen - entstand Kosmos, Ordnung, Welt - Bilder des Gebärens, Eierlegens etc. - mit der Zeit Personifizierung der Kräfte 37 Ungefähre Proportionen der Entwicklungszeit • vor etwa 100 000 J. Jetztmenschen • vor etwa 10 000 J. Beginn Neolithikum • vor etwa 5 000 J. Durchsetz. Patriarchat • vor etwa 2 000 J. Beginn Christianis. • vor knapp 500 Jahren wissenschaftliche Revolution 38 Transzendenz – der kreative Geist-Gott (Antike u. Christentum, paternalistisch-dominant) • Verwalter u. Krieger, Sklavinnen u. Sklaven - creativity vs. The Creator - Gebären/Frauen nicht mehr als schöpferisch - Ideen, geistige Prinzipien jenseits der Welt - creatio ex nihilo - Kreative als Erneuerer u. Ruhestörer - rein geistiger, sprachgewaltiger Gott mit Autorität WEIL Schöpfer • Christen u. Christinnen - Verschärfung der Logos-Linie - rein lineare Vorstellung 39 Die Emanzipation des kreativen Menschen 1 (Neuzeit, immer noch paternalistisch-dominant) • Renaissance - Wissenschaft = 2. Schöpfung mit dem Verstande gemacht - Malerei = 2. Schöpfung mit der Phantasie gemacht - Erkennen als geistiges Nachvollziehen, Nachschöpfen • Aufklärung u. Gegenbewegungen - Gott als unbewegter Beweger, göttlicher Uhrmacher, ansonst mechanische Gesetze - Idealismus (kreativer absoluter Geist) - Sturm u. Drang, dt. Klassik, Romantik - göttlicher Funke im „Originalgenie“ 40 Die Emanzipation des kreativen Menschen 2 (Neuzeit, immer noch paternalistisch-dominant) •Soziologische Perspektive (Hans Joas) kreative Aspekte menschl. Handelns in Handlungstheorien - Ausdruck (Herder) - Produktion (Marx) - revolution. Handeln (Marx) - Leben (europ. Lebensphil., Schopenhauer, Nietzsche, Bergson, Simmel, Dilthey) - situierte Kreativität (USA Pragmat. - W. James, Charles Pierce, George Herbert Mead, John Dewey) • Psychologische Kreativitätstheorien - oft synonym für Kreativitätsforschung - Leistungs- u. Produktivitätsaspekte dominieren - creativity als Ergänzung zu intelligence („IQ-Faktor“) - „Faktoren“, Ebenen, Stufen - Tests und Trainings - Genie u. Wahnsinn - psychoanalyt. Ansätze 41 Anything goes? – oder: Die aktuelle Übergangssituation • Space Age und New Age – Raumfahrer u. EsoterikerInnen - Cybergodfather u. Cyborg vs. Kosmische Weisheit - cannibalizing vs. sacralizing - Schöpferkraft von „außen“ • Chaos und System Kreativität als grundlegendes Systemprinzip • Grenzwissenschaften – Naturwissenschaftler-Philoso-phen u. Kulturell Kreative - neue kosmologische Entwürfe - Universum u. jedes einzelne Element kreativ - Unterscheidung Materie - Geist verliert an Bedeutung 42 Dualismus – als Netz aufeinander bezogener und sich gegenseitig verstärkender Dualismen – ist die Struktur des Symbolsystems einer Gesellschaft, in der die Macht - die materielle wie die Definitions-Macht - bei einer relativ kleinen Gruppe liegt. Die Angehörigen dieser Gruppe setzen sich politisch, ökonomisch, militärisch, spirituell, intellektuell als Maß aller Dinge, als Herren-und-Meister (master) über alles Andere und alle Anderen. In diesen hierarchischen Beziehungen wird “das Andere” sowohl beherrscht und ausgebeutet als auch abgewertet, ausgegrenzt und einverleibt. 43 Innerhalb dieser Struktur, in dieser Wahrnehmung, in dem dadurch orientierten Handeln gilt es als vernünftig und richtig, daß das Andere als Unteres untertan, unterworfen und minderwertig sei: • Die Natur der Kultur • Die Frau dem Mann • Der Leib dem Intellekt, dem Geist • Die Primitiven den Zivilisierten (die Barbaren den Griechen) • Die Besiegten den Siegern (die Kolonisierten, die Sklaven „ihren“ Herren) Für die Selbstermächtigung „macht Euch die Erde untertan“ sind zu jeder Zeit auch wissenschaftliche Begründungen formuliert worden. 44 Wissenschaft = zur Zeit das offizielle und dominierende Modell, die Welt zu betrachten, zu verstehen, zu interpretieren = extrem dualistisch-hierarchisch – wird absolut gesetzt, Monopol auf Wahrheit – nichts hat eigenen Wert gegenüber der Wiss., das „Andere“ wird nach Belieben genutzt – Geist, Intellekt, Information getrennt von Materie, wet-ware, Trägersubstanz etc. – Information etc. wertvoller als „Körper“ etc. Reduktion des ganzen Organismus auf Körper, Reduktion des Körpers auf Informationen (Gene, Gehirnmuster etc.) = unsere aktuelle „säkulare Religion“ – als Handlungsorientierung mitverantwortlich für Konflikte und Krisen 45 Und der Rest? Nicht-wissenschaftliche Arten des Erkennens und Wissens - alltäglich, lebensweltlich, künstlerisch, ältere Traditionen heimischen Ursprungs und aus anderen Kulturen, Reformbewegungen etc. Aber dieses Erkennen und Wissen wurde als un-wissenschaftlich bezeichnet - damit gleichzeitig abgewertet verschwanden nicht vollständig und es wurde nach Möglichkeit verwissenschaftlicht oder ersetzt. Aberglaube ist der Glauben jener, die (an) etwas Anderes glauben als wir! 46 Aufmüpfen gegen dualistischen und beschränkenden Charakter – Wieso jetzt? „Natur schlägt zurück“ wir leiden langsam selbst unter den von uns verursachten Veränderungen. z.B. KlimaKatastrophen, Waldsterben, BSE, Allergien etc. Viele Menschen leiden auch seelisch unter den Auswirkungen der wissenschaftlichen Auffassung der Welt. z.B. Entfremdung, Sinnverlust etc. 47 Wieso jetzt? 2 Die aktuellen Wissenschaften von der Komplexität der Welt (Quantentheorie, Chaosforschung etc.) zeigen: Die herkömmlichen, wissenschaftlichen Grundannahmen treffen nur für einen sehr eng begrenzten Bereich zu (und nur, wenn man es nicht zu genau nimmt). Schritt für Schritt müssen die Grundannahmen bzw. die ursprünglich aufgestellten Regeln aufgegeben werden. Nähern wir uns einem sensiblen Punkt im Prozeß? Oder baut sich schon das Chaos auf? Wie wirken die Schläge unserer Schmetterlinsflügel? 48 Auf der Suche nach einem roten Faden Ein gemeinsames Muster in den Überlegungen zur Veränderung Zusammengefaßt geht es hauptsächlich um Veränderungen des • Selbstverständnisses von Wissenschaft • des Verständnisses von Erkennen • des Selbstverständnisses des Menschen • des Verständnisses von Ethik • der den Emotionen zugestandenen Bedeutung • des Verhältnisses von Kunst und Wissenschaft 49 z. B. Ethik • ALLE anderen Menschen UND die Natur (Mitwelt der Menschen) in die Lehre vom rechten Tun einbeziehen • Pflichtethik (orientiert an abstrakten Prinzipien) mit einer Tugendethik (Sorge und Rücksichtnahme als Bedürfnis von Menschen) ergänzen • Einfühlung, Mitgefühl, Empathie und Emotionen anerkennen und kultivieren • Die Illusion einer wertfreien Wissenschaft, der Trennung von Wissen und Bedeutung aufgeben • Wissensproduktion verantworten, Wissenszugänge zur Welt erarbeiten, für welche Ethik von Anfang an relevant ist 50