Wie nähere ich mich “dem Anderen” respektvoll? Dualistisch-hierarchische, wissenschaftliche Weltsicht und die Suche nach einer anderen, ganzheitlichen, wissenskünstlerischen Bildung Ein Annäherungsversuch an „Das Verbindende der Kulturen“ von Dr. habil. Gertrud Kamper (Berlin, vorher Wien) 1 Wo ist oben? Und warum? 2 Was hat das denn miteinander und mit dem Thema zu tun? • Wohin soll das Suchen nach dem Verbindenden zwischen Verschiedenen führen? ... Bereicherung? Koexistenz? Freundschaft? • für Beziehungen auf „gleicher Augenhöhe“ ist wechselseitiger Respekt notwendig • Die abendländisch-westliche Weltauffassung ist zutiefst dualistisch-hierarchisch = das „Andere“ ist immer in der unteren Position • Die säkulare Religion „Wissenschaft“ ist extrem dualistisch (zumindest in ihrem herkömmlichen Verständnis) 3 Bedürftig – der Klärung oder Vertiefung • Dualismus – Kontext oder Basis-Struktur? • Kultur – im Plural? Oder eher: was ist ihr Anderes? • Die Anderen – in welcher Perspektive? • Bildung – und Kreativität • Wissenskunst – als mögliche Perspektive 4 Dualismus Geist - Materie Mensch - Natur Kultur - Natur Mann - Frau Geist - Körper Herr - Knecht/Sklave Spiritualität - Sexualität zivilisiert - wild rein - befleckt seelisch - fleischlich licht - dunkel stark - schwach göttlich - irdisch etc. pp. Netz aufeinander bezogener und sich gegenseitig verstärkender Dualismen Nicht jede Unterscheidung, Dichotomie, Polarität etc. ist ein Dualismus – (Hierarchie) 5 Dualismus die Struktur des Symbolsystems einer hierarchisch organisierten Gesellschaft die Angehörigen der macht-habenden Gruppe setzen sich als Herren-und-Meister über alle Anderen und alles Andere nur „A“ zählt, alles Andere hat keine eigene Qualität, sondern ist nur „non-A“ alles Andere hat keinen eigenen Wert/ Existenzberechtigung, muß den mastern nützen die beiden Pole schließen einander aus - es gibt keine kontinuierlichen Übergänge 6 Dualismus – als Netz aufeinander bezogener und sich gegenseitig verstärkender Dualismen – ist die Struktur des Symbolsystems einer Gesellschaft, in der die Macht - die materielle wie die DefinitionsMacht - bei einer relativ kleinen Gruppe liegt. Die Angehörigen dieser Gruppe setzen sich politisch, ökonomisch, militärisch, spirituell, intellektuell als Maß aller Dinge, als Herren-und-Meister (master) über alles Andere und alle Anderen. In diesen hierarchischen Beziehungen wird “das Andere” sowohl beherrscht und ausgebeutet als auch abgewertet, ausgegrenzt und einverleibt. 7 Innerhalb dieser Struktur, in dieser Wahrnehmung, in dem dadurch orientierten Handeln gilt es als vernünftig und richtig, daß das Andere als Unteres untertan, unterworfen und minderwertig ist: •Die Natur der Kultur •Die Frau dem Mann •Der Leib dem Intellekt, dem Geist •Die Primitiven den Zivilisierten (die Barbaren den Griechen) •Alle Besiegten den Siegern (die Kolonisierten, die Sklaven „ihren“ Herren) Für die Selbstermächtigung „macht Euch die Erde untertan“ sind zu jeder Zeit auch wissenschaftliche Begründungen formuliert worden 8 9 Gertrud Kamper, Platon lesen, 1999 Kultur – ganz allgemein als Gesamtheit der Artefakte materieller wie ideeller Art •der Mensch als Gattung ist eine Primaten-Species •biologisch speichert und vererbt diese für einige ihrer ganz wesentlichen Gattungseigenschaften „nur” das Potential •die konkrete Ausprägung wichtiger Gattungs- eigenschaften wird in Produkten der eigenen Tätigkeiten und Interaktionen, außerhalb der einzelnen Organismen gespeichert, in Artefakten – in Werkzeugen, Sprachen & anderen Symbolsystemen, Institutionen, Umgangsformen etc. 10 Kultur – innerhalb von Dualismus als das, was auf der Seite von Vernunft steht •was die Herren-und-Meister haben, worin sie leben •alle anderen sind „nur“ Teil der Natur •Teil des Legitimationszusammenhangs für die Unterdrückung und Ausbeutung der/des Anderen •das „Geistige“ oder „Spirituelle“ gegenüber dem (dualistisch depravierten) Materiellen Problem: die Herren/master sind auch Natur, sind in sich dualistisch gespalten – ob sie ihre als geistlos aufgefaßten Körper als projizierte Idee (Platon) oder als mechanische Maschine (Descartes) verstehen, von ihren sexuellen Trieben ganz zu schweigen 11 Kulturen im Plural • nach Ländern, Zeiten, Tätigkeiten, Geschlecht unterschiedliche historisch-konkrete Ausformungen der • Gesamtheit materieller wie ideeller Artefakte • in welchen Menschen ihre Eigenschaften (Werkzeuggebrauch, Sprachen, Gesellschaftlichkeit etc.) vergegenständlichen • In der dualistischen Struktur ergibt ein Plural von Kultur keinen Sinn • zumindest nicht auf gleicher Augenhöhe • Nur was zu den Herren/mastern gehört, ist „wirkliche“ Kultur • Eine auf Christentum und Wissenschaft gegründete Gesellschaft will unterwerfen und missionieren – nicht anerkennen 12 Hybride Kulturen • Wir Menschen sind eine recht mobile Gattung • Gesellschaften mit unterschiedlichen Kulturen begegnen einander – immer schon • wechselseitige Beeinflussungen – unterschiedlich nach Art der Begegnungen • alle heutigen Kulturen sind Hybrid-Kulturen Beispiel: „Befruchtung“ der europäischen Kulturen durch die indischen – von Pyhtagoras Zeiten über die „arabischen“ Ziffern bis heute 13 Kulturen im Plural 2 • Von den abendländisch-westlichen Zivilisationen aus hat ein Dialog mit anderen Kulturen auf gleicher Augenhöhe eine Voraussetzung: • Auseinandersetzung und Überwindung ihrer dualistisch-hierarchischen Weltauffassung • Heute liegt deren Zentrum in der Orientierung an Wissenschaft Es wird nicht angenommen, daß alle anderen Kulturen oder alle anderen Gesellschaften egalitär strukturiert oder gar irgendwie idyllisch wären. Aber diese ist die zur Zeit dominante Weltauffassung – und unsere Hausaufgabe. 14 Exkurs: Die weitergehende Herausforderung • Der zentrale Knoten des dualistischen Netzes ist der Vernunft-Natur-Dualismus • Überwinden der hierarchischen Einstellung und Praxis gegenüber anderen Kulturen verlangt • Überwinden der hierarchischen Einstellung und Praxis gegenüber der Natur • Und damit gegenüber Frauen, nicht-weißen Völkern etc. pp. 15 Exkurs: Natur – ein Versuch, über das dualistische Modell hinauszugehen Die Menschen sind ein Teilsystem, das auf unterschiedlichsten Ebenen vielfach mit anderen Teilsystemen verbunden ist (Ko-Evolution). Das Teilsystem Menschen versucht, seine Position im Ganzen, im großen Konzert aller Teilsysteme, aber auch seine eigene Mitwirkung in den verschiedensten Wechselwirkungsprozessen zu bestimmen. Das Ganze aller dieser Teilsysteme ist eine Natur, welche sich von der „Natur“ aus dem dualistischen Modell einigermaßen unterscheidet – in ihrer Kreativität und Vernetztheit wie darin, daß sie die Menschen inklusive Geist und Kultur in sich enthält. Exkurs (Fortsetzung): Körper-UND-Geist oder menschliche Kreatürlichkeit Es bedarf auch einer Neubestimmung des Verhältnisses der Menschen (in Zivilisationen mit dualistischer Tradition) zu ihrer eigenen Natürlichkeit oder Kreatürlichkeit, zu ihrer „inneren“ Natur. Hier geht es darum, das gespaltene Verhältnis von Körper-UND-Geist zu überwinden – das dualistische Verständnis, der hierarchisch höherstehende belebende, beseelende Geist wohne im Gefäß oder gar Gefängnis eines toten oder mechanischen Körpers. Bildung • menschliche Individuen eignen sich ihre konkreten menschlichen Eigenschaften während ihres Heranwachsens an – im angemessenen Umgang mit den materiellen und ideellen Artefakten, mit der Kultur • Selbstorganisation / Selbsterzeugung der Individuen des jeweiligen Nachwuchses – in Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der Kreativität früherer Generationen – immer gesellschaftliche Einflüsse auf diese Prozesse • Bildung (in der deutschsprachigen Tradition) 18 Bildung / Pädagogik •Pädagogik = Praxis und Theorie jener Prozesse, in denen die Menschen umfassend jene Eigenschaften und Fähigkeiten ausbilden, die sie für die mehr oder minder erfolgreiche Bearbeitung der im Lebensvollzug anstehenden Aufgaben – der gesellschaftlichen wie der individuellen – benötigen • Dualismus - der paidagoge (griech.) war nicht bloß der Kinder-, sondern eigentlich der Knabenführer, - selbstverständlich nur für die Oberschicht - auch die bürgerliche Bildung war lange Zeit nur für männliche Kinder der bürgerlichen Schichten gemeint 19 Das Bildungssystem • hat Schwierigkeiten, sich mit den gesellschaftlichen Veränderungen auseinanderzusetzen und sich bzw. die durch es vermittelte Bildung den veränderten Bedingungen entsprechend neu zu gestalten „Bildungskrise“ u.ä. • anders: es mangelt diesem System an Kreativität • Der Dualismus, speziell die „Wissenschaftlichkeit“ ist Teil des Problems – nicht Lösung • Kontext: dynamische, die dominante westliche Zivilisation und die ganze Gattung ergreifende Prozesse des Sich-neu-organisierens , Umstrukturierens etc. – keineswegs harmonisch, durchaus krisenhaft 20 Bildungsproblem • Heranwachsende leiden unter dem ihnen zugemuteten Bildungsangebot • gesellschaftliche Instanzen beschweren sich über die unzureichende Bildung der AbsolventInnen Aber auch: PÄDAGOGISCHE KREATIVITÄT – in verschiedensten Ländern – innerhalb wie außerhalb von Schulen – Orientierung auf Sinnhaftigkeit, auf Subjektivität, auf Beziehung, auf Entscheiden und Verantworten, auf Kunst, auf Respekt vor Menschen und Natur etc. 21 Wissenschaft • eine bestimmte Art und Weise, Erkenntnisse zu gewinnen, Wissen zu erzeugen (auswählend, begrenzt) • vielfältige Gesamtheit von Institutionen, die zu diesem Zweck unterhalten werden und von Personen, die sich zu diesem Zweck einem bestimmten Regelwerk unterwerfen immer in Wechselwirkung mit / im Kontext von bestimmten gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, militärischen, technischen, religiösen, politischen Bedingungen 22 Wissenschaft vor ungefähr 400 Jahren entwickelt und politisch durchgesetzt nur primäre Qualitäten (meßbar, mathematisierbar) gelten als „wissenschafts-würdig“ Erkenntnis und Urteil/Bedeutung, Wissen und Wert sollen nichts miteinander zu tun haben Wiss. vorgeblich wertfrei und unparteiisch nur Erkenntnisse, die als unabhängig von der Beziehung zwischen Erkennendem und Objekt der Erkenntnis gelten, seien verläßlich „objektiv“ Eine drastische Reduktion der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten und -notwendigkeiten 23 Wissenschaft = zur Zeit das offizielle und dominierende Modell, die Welt zu betrachten, zu verstehen, zu interpretieren = extrem dualistisch-hierarchisch – wird absolut gesetzt, Monopol auf Wahrheit – nichts hat eigenen Wert gegenüber der Wiss., das „Andere“ wird nach Belieben genutzt – Geist, Intellekt, Information getrennt von Materie, wet-ware, Trägersubstanz etc. – Information etc. wertvoller als „Körper“ etc. Reduktion des ganzen Organismus auf Körper, Reduktion des Körpers auf Informationen (Gene, Gehirnmuster etc.) = unsere aktuelle „säkulare Religion“ – als Handlungsorientierung mitverantwortlich für Konflikte und Krisen 24 Und der Rest? Nicht-wissenschaftliche Arten des Erkennens und Wissens - alltäglich, lebensweltlich, künstlerisch, ältere Traditionen heimischen Ursprungs und aus anderen Kulturen, verschwanden nicht Reformbewegungen etc. vollständig Aber dieses Erkennen und Wissen wurde und es wurde als un-wissenschaftlich bezeichnet nach Möglichkeit verwissenschaftlicht - damit gleichzeitig abgewertet oder ersetzt. Aberglaube ist der Glauben jener, die (an) etwas Anderes glauben als wir! 25 26 Gertrud Kamper, DieWissenschaft erhebt sich, Aufmüpfen gegen dualistischen und beschränkenden Charakter – Wieso jetzt? „Natur schlägt zurück“ wir leiden langsam selbst unter den von uns verursachten Veränderungen. z.B. Klima-Katastrophen, Waldsterben, BSE, Allergien etc. Viele Menschen leiden auch seelisch unter den Auswirkungen der wissenschaftlichen Auffassung der Welt. z.B. Entfremdung, Sinnverlust etc. 27 Wieso jetzt? 2 Die aktuellen Wissenschaften von der Komplexität der Welt (Quantentheorie, Chaosforschung etc.) zeigen: Die wissenschaftlichen Grundannahmen treffen nur für einen sehr eng begrenzten Bereich zu (und nur, wenn man es nicht zu genau nimmt). Schritt für Schritt müssen die Grundannahmen bzw. die ursprünglich aufgestellten Regeln aufgegeben werden. 28 Eine Welt nach dem Dualismus? Welche Vorschläge, Ideen, Forderungen für eine nicht-dualistische Art und Weise, Erkenntnisse zu gewinnen und Wissen zu erzeugen liegen bereits vor? Wie und wohin könnte, möchte, sollte Wissenschaft weiter- oder zu etwas Neuem entwickelt werden? 29 Arbeitsstellen für „nicht-dualistische Erkenntnisgewinnung“ 1 Anarchistische oder dadaistische Erkenntnistheorie, demokratisch legitimierte Wissenschaft (Paul FE YERABEND) Erzählende Wissenschaft und neue Rationalität, das Kunstwerk als Symbol des Universums (Ilya PROGINE) Tugendethik und eine nicht-dualistische Vernunft (Val PLUMWOOD) Differenz statt Spaltung, Ordnung statt Gesetz, Respekt statt Herrschaft (Evelyn FOX KELLER) Wissenschaft der Qualitäten, raffinierte und subtile Partizipation (Brian GOODWIN) Vorschläge für eine neue Ethik - Eine ganzheitliche Ethik für die Natur (ANDREAS-GRIESEBACH) - Eine Ethik biosphärischer Systeme (Ervin LASZLO) GAIA - Die Erde ist ein Lebewesen (LOVELOCK/MARGULIS) - Wahrnehmen als radikale Partizipation (David ABRAM) - Tiefe Ökologie (HARDING/NAESS) - Öko-Psychologie (John SEED) 30 Arbeitsstellen für „nicht-dualistische Erkenntnisgewinnung“ 2 Eine leibphilosophische Perspektive Spüren und bildbewußtes Erkennen (Annegret STOPCZYK) Sinnliche oder affektive Wissenschaft, Balance der Traditionen (Morris BERMAN) Das weibliche Prinzip rückfordern die reduktionistische Wissenschaft überwinden (Vandana SHIVA) Erweiterte multikulturelle Wissenschaft (Susantha GOONATILAKE) Revolution des Wahrnehmens, der Imagination, der Vorstellungskraft (Lucy GOODISON) Für emotionale Vernunft - gegen Irrationalität (Carola MEIER-SEETHALER) Post-cartesianische Kunst, heilende Kunst (Suzi GABLIK) Der Leib, ökologische Naturästhetik und alternative Naturwissenschaften, ethikrelevante Wissenszugänge zur Natur (Gerhard BÖHME, Hartmut BÖHME u.a.) 31 Auf der Suche nach einem roten Faden Ein gemeinsames Muster in den Überlegungen zur Veränderung Zusammengefaßt geht es hauptsächlich um • Veränderungen des Selbstverständnisses von Wissenschaft, • des Verständnisses von Erkennen, • des Selbstverständnisses des Menschen, • des Verständnisses von Ethik, • der den Emotionen zugestandenen Bedeutung, • des Verhältnisses von Kunst und Wissenschaft. 32 Natur, Mensch in Natur • neue Selbstpositionierung des Menschen IN und nicht gegenüber der Natur Mensch als Teil des Ganzen • Menschen WIE Natur als abhängig UND frei, als determiniert UND unvorhersagbar, beide mit Subjektivität und Handlungsmächtigkeit • Natürlichkeit / Leiblichkeit des Menschen ganz selbstverständlich wesentliche Rolle der Sinne, Affekte, Emotionen • Leib als differenziertere und reichere Vorstellung denn der Körper aus dem Geist-Körper-Dualismus • Ko-Entwicklung der Menschen mit ihren Mit-Welten (nicht Um-Welten) 33 Erkenntnis • die große Illusion eines außerweltlichen und außerkörperlichen Standpunkts, einer distanzierten und objektiven Erkenntnis aufgeben • partizipativen und subjektiven Charakter allen Erkennens anerkennen • Beteiligung der Welt an den menschlichen Erkenntnisprozessen anerkennen • Intuition, Leiblichkeit, Gefühle zu verläßlichen Methoden entwickeln • Qualitative Merkmale der Welt interessieren mindestens so sehr wie die quantitative Dimension • „Neue Vernunft“ - Rationalität und Emotionalität, nicht mehr polar und hierarchisch gegenübergestellt, verändern ihre Bedeutung 34 Ethik • ALLE anderen Menschen UND die Natur (Mitwelt der Menschen) in die Lehre vom rechten Tun einbeziehen • Pflichtethik (orientiert an abstrakten Prinzipien) mit einer Tugendethik (Sorge und Rücksichtnahme als Bedürfnis von Menschen) ergänzen • Einfühlung, Mitgefühl, Empathie und Emotionen anerkennen und kultivieren • Die Illusion einer wertfreien Wissenschaft, der Trennung von Wissen und Bedeutung aufgeben • Wissensproduktion verantworten, Wissenszugänge zur Welt erarbeiten, für welche Ethik von Anfang an relevant ist 35 Theoretische Ressourcen für Veränderungen • Marginalisierte europäische Traditionslinien • Nicht-europäische Traditionen (z.B. buddhistische) • Innerwissenschaftliche Problematisierungen des (noch) dominanten Wissenschaftsverständnisses Warnungen vor einer auch möglichen Verschärfung des Geist-Körper-Dualismus • Warnungen vor Erlösungsphantasien, Vollendung „gesetzmäßiger“ Entwicklungen etc. • Pluralität im wissenschaftlichen Herangehen („Schulenbildung“) auch in den Naturwissenschaften • Veränderungen nicht rein intellektuell erreichbar, bedarf verleiblichter Praxis, Demokratie und Pluralismus 36 Möglichkeiten und Schwierigkeiten in Kontexten • Überwinden der dualistischen Struktur, insbesondere der cartesianisch geprägten Wissenschaft • braucht guten Willen, braucht Aufklärung - ABER • braucht auch Widerstände und Gegenwehr gegen verkörperte und institutionalisierte Selbstverständlichkeiten ... im eigenen Kopf, in der scientific community, in der Wissenschaftspolitik • Unsere Sprache ist weitgehend dualistisch geprägt • Gesellschaftliche Organisation und Praxis als Kontexte • Welche Veränderungen von Machtverhältnissen, Ökonomie, Politik, Technik, Beziehungen zur Natur ermöglichen eine Veränderung unserer dualistischen Vorstellungen? 37 Antriebe (warum überhaupt nach Auswegen aus dualistischen Strukturen, aus Wissenschaft suchen?) • Sorge um das Überleben - v.a. wegen Schädigung natürlicher Lebensbedingungen • Unzufriedenheit und Ärger - über Unterdrückung, Ausbeutung, Mißachtung (politische, ökonomische, kulturelle) - über sexistische, rassistische, euro-angloamerikanische Borniertheit • Leiden an der „inneren“ Unterdrückung, am Absterben eigener Lebendigkeit, an der Verarmung des Lebens • Schmerz, diffus empfundener Mangel, Sehnsucht nach „Heilung“, nach Versöhnung 38 Auf welchen Begriff könnte die anzustrebende neue Art und Weise der Erkenntnisgewinnung und Wissenserzeugung gebracht werden? Bloß „ andere, ganzheitliche etc. Wissenschaft“ ??? Vorschlag: WissensKUNST Ein eigener, ein wesentliches Merkmal treffender Name für eine neue Qualität ist sinnvoll (vgl. Dampfschiff oder Dampfer - und nicht „motorgetriebenes Schiff ohne Segel“) 39 Überlegung • Wissenschaft - selektive, beschränkende Reduktion der verschiedenen Merkmale ganzheitlicher menschlicher Erkenntnisprozesse • Kunst - übernahm verschiedene der anderen Merkmale (leiblich-mimetisch-sinnliche Ausrichtung, Betonung von Beziehung und Bedeutung, Intuitives, Emotionales, Einfühlung, Spannung zwischen dem Konkreten, Einzelnen und dem Allgemeinen etc.) • die Künste wurden auch reduziert/beschränkt, aber anders 40 Überlegung - Fortsetzung • Vieles von dem, was heute für die Veränderung von Wissenschaft angeregt/verlangt wird, entspricht dem, was damals bei der Trennung der Kunst zugeordnet wurde • Eine (Wieder)Verbindung von WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen könnte evtl. den Weg gangbar machen • Wissenschaft WIE Kunst würden sich beide in solchen Prozessen selbst laufend verändern • Eine bloße Addition beider würde allerdings einiges außen vor lassen - bspw. die ethische Seite und das veränderte Naturverständnis 41 Wissenskunst – Pädagogische Kreativität • verschiedenste Beispiele pädagogischer Kreativität aus vielen Ländern (und Kontinenten) • praktizieren auf ihre Weisen bereits einzelne oder mehrere Aspekte von Wissenskunst • Dabei laufen meist unverbunden parallel – diese praktischen und konzeptuellen Entwicklungen und – die Diskussionen um Dualismus- wie Wissenschaftskritik und einen Paradigmenwechsel, ja selbst – die meisten Stränge innerhalb dieser Bereiche Das ausformulierte Konzept einer Wissenskunst dort hinein „zurückzugeben”, könnte zu einem wichtigen Impuls werden für Reflexion, Vernetzung und Weiterentwicklung. 42 Kreativität und Wissenskunst Versuch über eine Entwicklungsrichtung von Wissenschaft und deren Bedeutung für eine neue Pädagogik Frankfurt/M. u.a.: Peter Lang 2003 Und auch unter: http:www.eugwiss.udkberlin.de/kamper kreativität und wissenskunst pdf-Dateien 43 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! 44 Gertrud Kamper, Gratwanderung 3, 2001