6. Jahrgang, 4. Ausgabe 2012, 109-126 - - - Rubrik Apothekenpraxis - - - Stellenwert der Jodsubstitution in der Selbstmedikation Jodversorgung in Deutschland Jodsubstitutionstherapie Physiologie des Jodhaushaltes Atomkraftwerkunfall Fukushima Jodmangelerkrankungen Beratung in der Apotheke Jodsubstitution in der Selbstmedikation - 110 - Stellenwert der Jodsubstitution in der Selbstmedikation Frau Farida Onali Kamrudin, Raihan Kadah*, Heinrich–Heine-Universität, Düsseldorf *Korrespondenzadresse: Raihan Kadah Fachbereich Pharmazie Universität Düsseldorf Moorenstraße 5 40225 Düsseldorf [email protected] Lektorat: Prof. Dr. Georg Kojda, Institut für Pharmakologie und Klinische Pharmakologie Universitätsklinik, Heinrich-Heine-Universität, Düsseldorf N.N. Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation Abstract Iodine is an essential microelement that plays an important role in the synthesis and production of thyroid hormones. A deficiency of the thyroid hormones thyroxine and triiodthyronine may influence vital physiological processes such as metabolism and growth. An insufficient supply of iodine can lead to the development of goiter and also induce hypothyroidism. In newborn babies and children iodine deficiency can cause retarded mental and physical development. The daily iodine requirement of an adult is approximately 200µg which can generally be met through the use of iodized salt and a balanced diet. A recent study shows that a sufficient iodine supply in Germany is nearly assured but yet at the bottom of the range of daily 100 µg to 200 µg iodine which is set by the WHO. Pregnant and breastfeeding women need a higher supply of iodine which cannot be met through a normal diet. In this case an iodine prophylaxis is recommended. Iodine is not only used as a prophylaxis but also in the therapy of goiter, often in combination with the therapeutic thyroid hormone levothyroxine. Before recommending iodine in the substitution therapy the pharmacist should give detailed advice and assess the possibility of the risks involved. This is especially important for the elderly since the risk of developing hyperthyroidism increases with age. In case of any uncertainty a physician should be consulted in order to avoid all possible complications. Abstrakt Jod ist ein essenzielles Spurenelement das eine entscheidende Rolle in der Synthese und Freisetzung von Schilddrüsenhormonen spielt. Ein Mangel an den Schilddrüsenhormonen Thyroxin und Trijodthyronin kann wichtige physiologische Prozesse wie Stoffwechsel und Wachstum beeinträchtigen. Eine Unterversorgung an Jod äußert sich durch Bildung eines Jodmangelkropfs und kann die Ursache einer Hypothyreose sein. Bei Neugeborenen und Kinder kann ein Mangel an Jod eine retardierte körperliche und geistige Entwicklung verursa- - 111 - chen. Der Jodbedarf eines Erwachsenen beträgt etwa 200 µg täglich und kann in der Regel durch Verwendung von jodiertem Speisesalz sowie einer ausgewogenen Ernährung noch gedeckt werden. Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Jodversorgung in Deutschland gerade noch gesichert ist, aber immer noch am unteren Ende der von der WHO festgelegten Spanne von täglich 100 µg bis 200 µg Jod liegt. Bei Schwangeren und Stillenden kann der erhöhte Jodbedarf durch Ernährung nur unzureichend gedeckt werden und es sollte eine Jodprophylaxe empfohlen werden. Jod wird nicht nur in der Prophylaxe sondern auch in der Therapie von Strumen eingesetzt, nicht selten in Kombination mit dem therapeutischen Schilddrüsenhormon Levothyroxin. In der Apotheke sollte vor allem bei Älteren vor Beginn einer Jodsubstitution eine ausführliche Beratung erfolgen um Nutzen und Risiken einzuschätzen, denn mit dem Alter steigt das Risiko einer jodinduzierten Hyperthyreose. Um mögliche Komplikationen auszuschließen, sollte bei Unsicherheit ein Arzt konsultiert werden. Einleitung Jod ist ein essenzielles Spurenelement für den Menschen, das sich in der siebten Hauptgruppe des periodischen Systems befindet und zu den Halogenen gehört. Es ist bei Raumtemperatur ein Feststoff mit einem metallischen Glanz und hoher Reaktionsfähigkeit. Die bisher bekannte Funktion von Jod im Menschen ist die Bildung der Schilddrüsenhormone Thyroxin und Triiodthyronin, die sich an wesentlichen physiologischen Funktionen wie Wachstum und Gesamtstoffwechsel des Körpers beteiligen. In den neunziger Jahren bestand in Deutschland ein deutlicher Jodmangel, der zu Schilddrüsenerkrankungen wie euthyreote Strumen (Kropfbildung) und Hypothyreose (Schilddrüsenunterfunktion) geführt hat. Die Verwendung von jodiertem Speisesalz in den letzten Jahren hat zu einer Verbesserung der Jodzufuhr geführt, dennoch besteht die Frage, ob in Deutschland eine ausreichende Jodversorgung gewährleistet ist. Die durchschnittliche Jodaufnahme eines Erwachsenen in Deutschland beträgt nahezu Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation 120 µg täglich, die dem empfohlenen täglichen Bedarf von etwa 200 µg an Jod deutlich unterschreitet. Bei Schwangeren und Stillenden ist das Risiko eines Jodmangels deutlich höher und vor allem birgt es Gefahren für Mutter und Kind. Wann eine zusätzliche Jodeinnahme erforderlich ist wird im Folgenden diskutiert (1) (Weblink 1, 2). Jodversorgung in Deutschland Durch Studien, die in den 70er und 80er Jahren durchgeführt wurden um die Jodversorgung in Deutschland zu untersuchen, wurde festgestellt, dass Deutschland ein Jodmangelgebiet ist. Das Ergebnis korrelierte auch mit der Häufigkeit der Strumen und Schilddrüsenknoten. Die Einführung eines Jodsalzprophylaxeprogramms mittels Jodierung von Speisesalz, effektiveren gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie Aufklärungskampagnen hat Anfang des 20. Jahrhunderts zu einer deutlichen Verbesserung der Jodversorgung geführt (2). Der aktuelle Stand der Jodversorgung in Deutschland wurde im Zeitraum von März 2001 bis März 2002 durch eine Jodmonitoring Studie im Rahmen eines Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS-Studie) vom Robert KochInstitut durchgeführt. Es wurden insgesamt 17.644 Kinder und Jugendliche (017 Jahren) unter Messung des Schilddrüsenvolumens und der Jodausscheidung im Urin (Jodurie) untersucht. Die Ergebnisse wurden nach Kriterien der WHO ausgewertet, die eine Beurteilung der Jodversorgung anhand der Jodurie ermöglichen. Die Ergebnisse der Joduriebestimmung zeigten einen mittleren Wert von 117µg/l, der am unteren Ende der von der WHO empfohlenen Spanne von 100 - 200µg/l lag. Der Anteil an Probanden deren Jodurie unter 100µg/l liegt, sollte kleiner als 50% sein und eine Jodurie unter 50µg/l sollten nicht mehr als 20 % der Probanden haben. Anhand Tab. 1 ist ersichtlich, dass diese Kriterien in dem Monitoring sehr knapp erfüllt wurden (3). Aus den Ergebnissen dieser Studie ist ersichtlich, dass Deutschland einen Fortschritt im Kampf gegen Jodmangel gemacht hat und es nicht mehr zu den - 112 - Jodmangelgebieten gehört. Allerdings ist die Jodversorgung der Bevölkerung trotz prophylaktischer Maßnahmen immer noch auf niedrigem Niveau und verbesserungsbedürftig (1, 3). Empfehlung der WHO KiGGSStudie Jodausscheidung im Urin 100-200 μg/l 117µg/l Anteil derjenigen unter 100 μg/l <50 % 40% Anteil derjenigen unter 50 μg/l <20 % 17 % Tab. 1: Ergebnisse der Joduriebestimmung im Rahmen der Jodmonitoring Studie. Die Vorgaben der WHO zur Beurteilung der Jodversorgung auf Bevölkerungsebene wurden knapp erfüllt (Zahlen aus (3)). Jodzufuhr Nach jodiertem Speisesalz sind Milch und Milchprodukte die wichtigste Jodquelle in Deutschland mit einer Aufnahme von etwa 40% (Abb. 1, Tab. 2). Eine exzessive Aufnahme von Jod bei normaler Ernährung ist ausgeschlossen, jedoch zeigen Laboranalysen von bestimmten Algenarten (z.B Laminaria) einen Jodgehalt bis zu 4000µg pro Gramm getrockneter Algenprodukten. Der Verzehr dieser Algenarten sollte daher vermieden werden (4). Nahrungsmittel Jod (µg pro 100g) Schellfisch roh 400 Schellfisch gekocht 74 Rotbarsch gekocht 65 Roggenbrot 9 Spinat 6 Käse 5 Vollmilch 4 Äpfel 4 Fleisch 3 Tab. 2: Jodgehalt in verschiedenen Nahrungsmitteln (modifiziert nach (1)) Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation Abb. 1: Beitrag der verschiedenen Lebensmittelgruppen zur Jodaufnahme (Zahlen aus (4)) Jodbedarf Der Jodbedarf ist nicht nur vom Alter abhängig auch bestimmte Lebenssituationen erfordern eine erhöhte Jodeinnahme (Tab. 3). Eine Jodprophylaxe ist beispielsweise bei Schwangeren und Stillenden sehr wichtig, denn nur über die Mutter kann die Jodversorgung des Kindes gesichert werden. Eine Studie im Jahre 2000 zeigte, dass eine zusätzliche Gabe von 50 µg Jod an schwangeren Frauen genügend ist, um die Mutter vor Kropfbildung zu schützen, jedoch ist die Gabe von 150 µg effektiver (5). Viele Frauen setzten die Jodprophylaxe nach der Schwangerschaft ab und erhöhen somit das Risiko eines Jodmangels sowohl für sich als auch für das Kind. Altersgruppe Säuglinge Jodbedarf [µg] 50 - 80 Kinder 100 - 140 Jugendliche und Erwachsene 180 - 200 Schwangere 230 Stillende Frauen 260 Tab. 3: Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für den täglichen Jodbedarf (Weblink 3). - 113 - Insgesamt läßt sich festhalten, dass in Deutschland durch jodiertes Speisesalz und andere Nahrungsmittel, die über einen befriedigenden Gehalt an Jod verfügen, eine ausreichende Einnahme von Jod heute meistens gesichert ist. Bei besonderen Gruppen mit erhöhtem Jodbedarf, ist eine ausreichende Zufuhr durch die normale Ernährung aber erschwert. Dazu zählen Schwangere, Stillende und auch Hochleistungssportler mit gesteigertem Gesammtstoffwechsel. Nicht zu vergessen sind aber auch Vegetarier und Veganer, dessen Essgewohnheiten eine ausreichende Versorgung mit Jod erschweren. Einige Medikamente und bestimmte Verbindungen, die in Nahrungsmittel enthalten sind, können die Jodaufnahme in die Schilddrüse verhindern (siehe Abschnitt Wechselwirkungen). In Soja und Kohlgemüse kommen diese Stoffe gehäuft vor wodurch vor allem Menschen mit streng vegetarischer Ernährung ein erhöhtes Risiko für Jodmangel haben. Raucher zählen auch zu den Risikogruppen, da Tabakrauch die Jodaufnahme blockieren kann. In Deutschland haben Untersuchungen gezeigt dass bei Rauchern Jodmangelerkrankungen doppelt so häufig auftreten als bei Nichtrauchern (Weblink 1). Physiologie des Jodhaushaltes Resorption Jod wird in mehreren Formen aufgenommen und im Magen und Duodenum annähernd komplett resorbiert. In jodiertem Speisesalz wird Kaliumjodat eingesetzt, das Jodat wird nach oraler Aufnahme zu Jodid reduziert und in dieser Form zu mehr als 90 % resorbiert. Gleicherweise wird auch Jod aus Jodpräparaten, das in Form von Kaliumjodid zugeführt wird, resorbiert (6). Stoffwechsel Jod ist essentiell in der Biosynthese von Schilddrüsenhormonen. Die funktionelle Einheit der Schilddrüse sind die bläschenartigen Follikel, in deren Inneren sich ein Lumen befindet der von Epithelzellen (Thyreozyten) umschlossen ist. Durch die Epithelzellen gelangt das Jodid aus dem Blut in das Kolloid. An der basolateralen Membran erfolgt mittels Na+/I--Symporter die sekundär aktive Aufnahme des Jodids in die Zelle. Von da Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation aus wird es durch Pendrin, einen I-Transporter, passiv ins Follikellumen transportiert. Durch H2O2 wird Jodid oxidiert und eine positiv polarisierte Jod– Spezies (I+) erzeugt. Das Enzym Thyreoperoxidase (TPO), das durch TSH aktiviert wird, katalysiert dann die Jodierung des Tyrosylrests von Thyreoglobulin zu Monojod-(MIT) und Dijodtyrosin (DIT). Anschließend erfolgt die Verknüpfung von MIT und DIT zu T3 (Trijodthyronin) bzw. von zwei DIT zu T4 (Thyroxin) (Abb. 2, 3) (7, 8, 9). Es wird im Durchschnitt zehnmal mehr T4 als das bioaktivere T3 gebildet. Nach erfolgter Biosynthese bleiben beide Schilddrüsenhormone im Thyreoglobulin eingebettet und werden in dieser Form als Kolloid gespeichert. Bei Bedarf wird Thyreoglobulin in den Lysosomen vollständig proteolytisch abgebaut in Aminosäuren und die Schilddrüsenhormone T3 und T4. Dabei werden auch die Zwischenmetabolite MIT und DIT freigesetzt, aus denen dann das Jod durch selenabhängige Deiodasen zurückgewonnen wird. Die Deiodase spielt auch eine Rolle bei der Umwandlung von T4 in das 5 mal potentere T3, das auch eine 10 mal höhere Affinität an den Hormonrezeptor aufweist. Weniger als 1% der Schilddrüsenhormone liegt in freier und somit bioaktiver Form im Blut vor, der größte - 114 - Teil ist an Thyroxin-bindendes Globulin (TBG), Thyroxin-bindendes Präalbumin (TBPA) und Albumin gebunden. Da das Transportprotein TBG die höchste Affinität zu Schilddrüsenhormone aufweist, hat seine Konzentration einen wesentlichen Einfluss auf die Gesamtkonzentration der Schilddrüsenhormone im Körper. Als Folge können einige Arzneistoffe durch Veränderung des Ausmaßes der Plasmaproteinbindung an Schilddrüsenhormone deren Wirkung verstärken oder abschwächen. Auch die Ergebnisse eines Schilddrüsenfunktionstest können dadurch verfälscht werden. Da die Hormone lipophil sind, passieren sie die Zellmembran der Zielzelle und binden anschließend an einen nucleären T3Rezeptor (ligandenaktivierter Transkriptionsfaktor) der in allen Organen vorkommt und durch Bindung an bestimmten Nukleotidsequenzen der DNA in der Lage ist die Transkription von Genen zu steuern. Bei Abwesenheit von T3 wird die Transkription des regulierten Gens verhindert indem ein Corepressor an den T3-Rezeptor bindet. Wenn T3 bindet, findet ein Austausch des Corepressors durch einen Coaktivator statt, der die Transkription des entsprechenden Gens auslöst (Abb. 2) (7,10,11). Abb. 2: Biosynthese von Thyroxin (T4) und Trijodthyronin (T3), MIT=Monojod- und DIT=Dijodtyrosin, TPO=Thyreoperoxidase, TG=Thyreoglobulin, TSH=ThyroidStimulierendes Hormon (Näheres siehe ab Abschnitt Stoffwechsel) Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation - 115 - oklasten) und vor allem für die normale Entwicklung des zentralen Nervensystems durch Förderung des Axonwachstums, der Dendritenbildung und der Myelinisierung. Sie regulieren auch die Synthese und Sekretion des Wachstumshormons. Die wichtigsten Wirkungen des Schilddrüsenhormons sind in Tab. 4 aufgeführt. Abb. 3: Struktur von Thyronin und die davon abgeleiteten Schilddrüsenhormone Trijodthyronin und Thyroxin. Regulation der Biosynthese Die Steuerung der Schilddrüsenhormonsynthese übernehmen konsekutiv der Hypothalamus und die Hypophyse. Bei Mangel an Schilddrüsenhormonen wird „Thyreoid releasing Hormon“ (TRH) aus dem Hypothalamus sezerniert, das den Hypophysenvorderlappen zur Produktion und Sekretion von „Thyroidstimulierendem Hormon“ (TSH) anregt. Das freigesetzte TSH gelangt über den Blutkreislauf zur Schilddrüse und stimuliert die Epithelzellen des Schilddrüsenfollikels zur vermehrten Jodaufnahme, Hormonsynthese und Sekretion von Schilddrüsenhormon in das Blut. Die freigesetzten Hormone T3 und T4 hemmen über eine negative Rückkopplung die Biosynthese von TRH und TSH und somit wird der Regelkreis geschlossen. Auch andere Faktoren können die TSH – Freisetzung aktivieren, wie beispielsweise Kälte, Stress und Jodmangel (Abb. 4) (10,12). Wirkung der Schilddrüsenhormone Ohne Schilddrüsenhormone ist ein Leben unmöglich, da sie für die Stoffwechselprozesse, sowie für Wachstum und Entwicklung Verantwortung tragen. Schon im Mutterleib sind physiologische Konzentrationen eine Voraussetzung für die Organreifung, ein normales Knochenwachstum (Differenzierung von Chondrozyten, Osteoblasten und Oste- Abb. 4: Regelmechanismus der Schilddrüse. Über eine negative Rückkopplung hemmen die freien Schilddrüsenhormone die Sekretion von TSH (Thyreoidstimulating hormon) und TRH (Thyreoidreleasing hormon) (modifiziert nach Weblink 4). Je nach Umweltbedingungen wird der Stoffwechsel durch Schilddrüsenhormone angepasst. Die Wirkung von Katecholaminen wird durch eine erhöhte Expression ß-adrenerger Rezeptoren verstärkt, wodurch sich das Herzzeitvolumen und somit der Blutdruck steigert. Zusätzlich wird das Atemzentrum stimuliert um den erhöhten Sauerstoffverbrauch der Organe zu decken. Die Schilddrüsenhormone steigern den Grundumsatz durch eine erhöhte Expression von Schlüsselenzy- Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation - 116 - Prozess Wirkungen der Schilddrüsenhormone Entwicklung Fördert Organreifung, ZNS- und Skelettentwicklung Grundumsatz • • ↑Grundumsatz ,↑O2-Verbrauch,↑Wärmeproduktion) Stimulation der Na+/K+-ATPase und Ca2+- ATPase Lipid-/KH-Metabolismus • • • • ↑ ↑ ↑ ↑ Kardiovaskulär • • • • β-adrenerge Stimulation bzw. α-adrenerge Hemmung: ↑ Herzfrequenz, ↑ HZV ↑ syst. Blutdruck ↑ Durchblutung der Organe (z.B. in Niere: ↑ GFR) Pulmonal Stimulation des Atemzentrums Gastrointestinal Stimulation der Darmmotilität (Stimulation der glatten Muskulatur) hepatische Glukoneogenese / Glykogenolyse intestinale Glukoseabsorption Cholesterin-Synthese und Abbau Lipolyse Tab. 4: Wirkungen der Schilddrüsenhormone auf verschiedene Prozesse im Organismus men die an der jeweiligen Reaktion der Energiespeicherung bzw. Energieverwertung beteiligt ist, u.a. Leberenzyme der Glykogenolyse und Gluconeogenese. Somit wird der Metabolismus von Kohlenhydraten, Proteinen, Lipiden, Vitaminen und Ionen beeinflusst. Um bei dem erhöhten Metabolismus den Na+Gradienten aufrechtzuerhalten, wird durch die Schilddrüsenhormone die Expression der Na+/K+-ATPase erhöht. Ebenso wird der Ca2+- Gradient bei der erhöhten Herzfrequenz durch eine gesteigerte Expression der Ca2+- ATPase erhalten. Die Wirkung der Schilddrüsenhormone zeigt sich auch in einer gesteigerten Wärmeproduktion (Thermogenese), hauptsächlich durch Hydrolyse von ATP, die einen Teil der Energie in Form von Wärme freisetzt. Außerdem wird durch T3 und T4 die Stimmung, die Konzentration und das körperliche und geistige Leistungsvermögen beeinflusst. In der Fortpflanzung spielen die Schilddrüsenhormone auch eine Rolle weil sie für die Fruchtbarkeit von Mann und Frau, als auch für den Schwangerschaftsverlauf von Bedeutung sind (10-14). Jodmangelerkrankungen Da die Schilddrüse bei chronischem Jodmangel nicht mehr in der Lage ist die Schilddrüsenhormone zu bilden, kann es bei entleertem Jodspeicher zu diversen gesundheitlichen Problemen kommen (Tab. 5). Strumen Ein typisches Symptom eines intrathyroidalen Jodmangels ist die Entwicklung eines Jodmangelkropfes (Struma) (Abb. 5). Abb. 5: Jodmangelkropf (Weblink 1) (Struma) Ein geringer Anteil des Jodids wird in Jodlactone eingebaut, die zur Schilddrüsenproliferation beitragen. Ein Jodmangel und somit auch Jodlactonmangel, hat eine Hochregulation bestimmter Wachstumsfaktoren zur Folge was sich in einer Schilddrüsenvergrößerung wiederspiegelt. Gleichzeitig wird über eine erhöhte TSH-Sekretion dem Schilddrüsenhormonmangel entgegengewirkt indem ein Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation Periode - 117 - Risiko Implantation Gestörte Fruchtbarkeit bei Mann und Frau Entwicklung im Mutterleib Kretinismus (geistige Störung mit Schwerhörigkeit) Anstieg der Rate von Missbildungen, Fehl- u. Totgeburten Neugeborenenkropf Störung der Gehirnreifung, des Wachstums und der geistigen Entwicklung Hördefekte Atemnotsyndrom Mangelhafte Reifung des Skelettsystems (Knochenreifung) Neugeborene Pubertät Jugendlicher Kropf Störung der Hirnentwicklung mit Lern- und Merkschwierigkeiten gesteigertes Risiko der Arteriosklerose Strukturveränderungen der Schilddrüse Struma mit oder ohne Knoten bzw. Funktionsstörungen Schilddrüsenunterfunktion Erwachsene Schilddrüsenüberfunktion bei Schilddrüsenautonomie Tab. 5: Jodmangelerkrankungen in verschiedenen Lebensphasen (Weblink 1) Zellwachstum induziert wird. Über diese Organvergrößerung versucht die Schilddrüse mehr Jod aufzunehmen (Abb. 6) (15). Die meist verbreitete Form von Strumen ist das euthyreote Struma, das durch normale T3- und T4-Spiegel charakterisiert wird (Latente Hypothyreose). Wird allerdings trotz Schilddrüsenvergrößerung nicht ausreichend Schilddrüsenhormon gebildet, kommt es zur Schilddrüsenunterfunktion (manifeste Hypothyreose). Von Hypothyreose betroffene leiden unter verschiedenen unspezifischen Symptomen, wodurch sie jahrelang unbemerkt bleibt und man eher durch Zufall die Diagnose stellt (13, 16). Daher ist es ratsam bei Auftreten folgender Symptome an eine mögliche Jodunterversorgung zu denken (17): • Müdigkeit • Antriebsarmut • Konzentrationsschwäche • Obstipation • Gewichtszunahme • Trockene Haut • Kälteintoleranz • Bradykardie • Menstruationsstörungen • Depression Eine mögliche Komplikation von länger bestehendem Kropf ist eine Veränderung des Schilddrüsengewebes und als Folge die Bildung von Knoten. In „kalten Knoten“ findet keine Schilddrüsenhormonsynthese mehr statt, selten kann es auch zu malignen Veränderungen kommen (Schilddrüsentumor). Können die Knoten noch ihrer Funktion nachgehen werden sie „heiße Knoten“ genannt. Allerdings erfolgt die Schilddrüsenhormonbildung in heißen Knoten unabhängig vom Hormonbedarf, weshalb sie auch als autonome Knoten bezeichnet werden. Autonome Knoten können daher Ursache einer Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose) sein. Schilddrüsenerkrankungen sind deutschlandweit sehr häufig zu finden. Untersuchungen zeigen, dass jeder 3. Erwachsene eine krankhafte Veränderungen der Schilddrüse hat von der er nichts wusste und jeder 4. Erwachsene einen Knoten in der Schilddrüse hat (13,18). Schwangerschaft und Stillzeit Besondere Aufmerksamkeit sollte der Jodversorgung in der Schwangerschaft wie in Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation der Stillzeit geschenkt werden. Östrogenbedingt geht ein großer Teil des Schilddrüsenhormons eine Bindung mit dem Transportprotein TBG ein, weil Östrogen die TBG Konzentration erhöht. Hierdurch verringert sich der Anteil des freien Schilddrüsenhormons. Durch die Hormon- und Stoffwechselveränderungen bei den Schwangeren, kommt es über eine veränderte Nierenfunktion zu einer erhöhten Jodausscheidung über den Urin. Nicht nur der erhöhte Jodverlust begünstigt einen Jodmangel sondern auch der erhöhte Jodbedarf in der Schwangerschaft. Bereits in den ersten 6 Schwangerschaftswochen steigt der Bedarf an Schilddrüsenhormonen etwa um ein Viertel und im Verlauf der Schwangerschaft insgesamt auf etwa 50 %. Um mögliche unerwünschte Folgen eines Schilddrüsenhormonmangels zu verhindern sollte deshalb in der Schwangerschaft auf eine erhöhte Jodaufnahme geachtet werden. Auch Stillende sollten für eine ausreichende Jodeinnahme sorgen, denn nur durch die Muttermilch kann der Jodbedarf des Neugeborenen gedeckt werden. Ein Jodmangel in der Schwangerschaft und Stillzeit kann der Entwicklung und der späteren neuropsychologischen Leistung der Kinder irreversible schaden und schlimmstenfalls zu einem Minderwuchs „Kretinismus“ führen. Nach Auswertung europäischer Publikationen geht man davon aus, dass bis zu 50 % der Schwangeren und Stillenden eine milden bis moderaten Jodmangel aufweisen. In Studien konnte belegt werden, dass Schulkinder in Regionen mit mildem Jodmangel (über- - 118 - wiegend ohne sichtbaren Kropf) ein erhöhtes Risiko haben ihre intellektuelle Leistungsfähigkeit nicht in vollem Umfang zu entwickeln (5, 14, 19, 20). Mögliche Folgen eines Jodmangels bzw. einer Hypothyreose bei Schwangeren ist ein erhöhtes Risiko für Fehl- und Frühgeburten Mammakarzinom Bisher wurde Jod nur im Zusammenhang mit der Schilddrüse gebracht. Allerdings deuten neue Forschungsergebnisse darauf hin, dass Erkrankungen der Brustdrüse durch Jod verhindert werden könnten. Analog zur Schilddrüse verhindert Jod durch Bildung von Jodlactonen die Proliferation der Brustdrüse. Durch In-vitro Untersuchungen konnte eine Hemmung der Poliferation an normalen Brustdrüsenzellen als auch an Mammakarzinomzelllinien durch Jod gezeigt werden. Die Häufigkeit eines Knotenstrumas infolge eines langjährigen Jodmangels ist bei Frauen mit Mammakarzinomen deutlich höher. Dagegen beobachtet man ein signifikant erniedrigtes Risiko bei Frauen mit hoher Jodzufuhr. Mehrere Untersuchungen zeigen einen Zusammenhang zwischen Jodmangel und dem Auftreten von Hyperplasien der Brustdrüse und Mammakarzinomen. Trotzdem sind prospektive, kontrollierte Studien unbedingt notwendig um sicher zu gehen, ob eine ausreichende Jodaufnahme eine prophylaktische Wirkung auf das Auftreten von Erkrankungen der Brustdrüse hat (15, 21, 22, 23,24,25). Abb. 6: Kropfbildung durch Einfluss von Jodmangel und TSH. Jodmangelzustände führen zu einer Zellvermehrung und der erhöhte TSH-Blutspiegel fördert ein Zellwachstum. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation - 119 - Diagnose von Schilddrüsenerkrankungen Bei Verdacht auf eine Schilddrüsenerkrankung sollte ein Ertasten vorgenommen werden, da nicht alle Vergrößerungen sichtbar sind. Aufschluss gibt eine Sonographie (Ultraschalluntersuchung), die auch Strukturveränderungen der Schilddrüse z.B. in Form von Knoten sichtbar macht. Falls Knoten erkannt werden, kann mittels einer Szintigraphie überprüft werden, ob diese Regionen ihre normale Funktion eingestellt haben (kalte Knoten) oder aber überdurchschnittlich arbeiten (heiße Knoten) (Abb. 7). Hier wird eine schwach radioaktive Substanz, die Gammastrahlen aussendet benutzt, als Maß zur Messung der Jodspeicherung. Die Funktion der Schilddrüse kann damit dargestellt werden. Bereiche mit erhöhtem Stoffwechsel (Durchblutung) reichern die radioaktiven Substanzen vermehrt an und zeigen deshalb im Szintigramm stärkere Gammastrahlung. Um die Schilddrüsenfunktion zu prüfen steht auch die labormedizinische Blutuntersuchung zur Verfügung (Schilddrüsenfunktionstest). In der Regel ist der TSH-Wert Hormon TSH Normalbereich Hyperthyreose in Kombination mit dem T3- und T4-Wert ausreichend um eine Schilddrüsenüberbzw. Schilddrüsenunterfunktion festzustellen (Tab. 6). Eine Einschränkung bei der Beurteilung der Schilddrüsenfunktion anhand dieser Werte ist deren Abhängigkeit von der Proteinbindung mit TBG, die u.a. durch Arzneistoffe beeinflusst werden kann (Weblinks 4, 5) (11,12,16). Jodsubstitutionstherapie Indikation Eine Jodsubstitution erfolgt ausschließlich zur Prophylaxe bzw. Therapie von Schilddrüsenerkrankungen (Tab. 7, 8). Bei geringer Erhöhung der Jodkonzentration im Plasma nimmt die Schilddrüsenhormonsynthese bis zu einem gewissen Grad zu. Ein stark erhöhter Jodspiegel führt aber zu einer Hemmung der Jodaufnahme und Hormonsynthese. Beruhend auf dieser Tatsache werden große Mengen an Jod zur Vorbereitung einer Operation bei Hyperthyreose eingesetzt - auch „Plummern“ genannt (27). Manifeste Hypothyreose Latente Hypothyreose (euthyreotes Struma) 0.4–4.5 mU/L erniedrigt erhöht erhöht freies T3 3.5–7.8 pmol/L erhöht erniedrigt normal freies T4 9.0–25 pmol/L erhöht erniedrigt normal Tab. 6: Hormonwerte im Blut bei einer gesunden im Vergleich zur erkrankten Schilddrüse (laborabhängig) (Zahlen aus Weblink 7) Abb. 7: Szintigramme bei unterschiedlicher Schilddrüsenaktivität: [1] Normalbefund; [2] Kalter Knoten, produziert kein Hormon z.B. Karzinom; [3] Heißer Knoten, produziert übermäßig viel Hormone, die die Hormonproduktion im umgebenden gesunden Gewebe durch negative Rückkopplung unterdrückt, z.B. autonomes Adenom (Weblink 6). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation - 120 - Präparat Dosierung pro Tablette Einnahme Jodetten® Henning Tabletten 100 μg/150 μg/200 μg Jod als Kaliumjodid 1 x täglich Jodetten® Henning 1×wöchentlich Tabletten 1,53 mg Jod als Kaliumjodid Jodthyrox® Tabletten L-Thyroxin-Natrium 100 μg 100 μg Jod als Kaliumjodid 1 x wöchentlich Kinder sollten die Tablette während einer Mahlzeit einnehmen 1 x täglich ½ Std. vor dem Frühstück Tab. 7 : Beispiele von jodhaltigen Präparaten zur Prophylaxe und Therapie von Jodmangelerkrankungen (Weblink 8) Ausgewählte Indikationen Dosis Dauer der Einnahme Säuglinge und Kinder: 50 – 100 µg/d Jod Prophylaxe eines Jodmangelstrumas Jugendliche und Erwachsene: 100 – 200 µg/d Jod über Jahre bzw. lebenslang Schwangere und Stillende: 200 µg/d Jod Euthyreotes Jodmangelstruma Neugeborene, Kinder und Jugendliche: 100 – 200 µg/d Jod 50 – 200 µg/d L-Thyroxin* meist 4 Wochen ausreichend Erwachsene: (300 – 500 µg/d Jod) 50 – 200 µg/d L-Thyroxin* 6-12 Monate oder länger *niedrige Initialdosis mit langsamer Steigerung, bei Säuglingen, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen kann Jod in Monotherapie ausreichen. Dosis von L-Thyroxin gilt als Richtlinie, die individuelle Dosis muss aber ermittelt werden Tab. 8: Indikationen von Jod in Mono- und Kombinationstherapie (Weblink 9) Ein nicht autonomer Jodmangelkropf wird durch Gabe von Jodid, L-Thyroxin (T4) oder eine Kombination aus beiden behandelt. Die Kombinationstherapie aus Jod und T4 ist allerdings bei jüngeren Patienten die Therapie der Wahl. Die Gabe von T4 senkt die TSH-Produktion und damit wird der Hypertrophie entgegnet. Ohne zusätzliche Gabe von Jod, würde man nach Absetzen des T4 wieder ein Struma entwickeln. Bei älteren Patienten ist bei der Jodgabe Vorsicht geboten, deshalb sollte eine Monotherapie mit T4 in Erwägung gezogen werden (Weblink 1). In einer aktuellen prospektiven, randomisierten, multizentrische, doppelblinden Studie wurde der Thera- pieerfolg unter verschiedenen medikamentösen Therapien bei 1024 Patienten, die von euthyreoten knotigen Strumen betroffen sind, verglichen. Zur Messung des Therapieerfolges mit T4, Jod und einer Kombination aus T4 und Jod verglichen mit Placebo wurde als Zielkriterium die Veränderung des Knoten- und Schilddrüsenvolumens ermittelt. Die Ergebnisse zeigten eine signifikante Überlegenheit der Kombinationstherapie (T4 + J) gegenüber der Monotherapie mit T4 oder Jod in der Verkleinerung der Knoten. Allerdings zeigt die Kombinationstherapie bei der Schilddrüsenverkleinerung nur im Vergleich mit Jod eine signifikante Verkleinerung, nicht aber Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation verglichen mit T4 (Abb. 8). Abschließend konnte man sagen dass eine Jahrestherapie mit T4 und Jod das Knotenvolumen wesentlich mehr reduzieren kann als die einzelnen Komponenten in Monotherapie (28). Risiken der Jodsubstitution Beim Einsatz von Jod als Monopräparat oder in Kombination mit Levothyroxin kann eine Reihe von Arzneimitteln eine Interaktion auslösen. Die wichtigsten Interaktionen sind in Tab. 8 zusammengefasst. Beim gesunden Erwachsenen ist die Aufnahme von über 1000 µg Jod täglich ohne unerwünschte Wirkungen noch tolerierbar. Ein Jodüberschuss wird im gesunden Organismus über die Niere ausgeschieden und stellt damit in diesen Mengen keine Gefahr dar. Um empfindliche Verbraucher, die noch unter Jodmangel leiden, zu schützen, hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung jedoch einen Grenzwert von 500 µg pro Tag empfohlen. Zu den empfindlichen Verbrauchern gehören Schwangere, Neugeborene, Kleinkinder und ältere Menschen, die in Jodmangelgebieten aufgewachsen sind (29). Es wird oft über eine Jodallergie bzw. Jodakne diskutiert, die aber nicht vom Jod selbst ausgelöst wird sondern von großmolekularen Verbindungen in denen Jod enthalten ist. - 121 - Diese Allergie ist durch jodhaltige Röntgenkontrastmittel, Wundbehandlungsmittel und Desinfektionsmittel möglich (Weblink 1). Bei Menschen mit einer Schilddrüsenautonomie kann die Gabe von hohen Joddosen in kurzem Zeitraum z.B. durch jodhaltige Medikamente oder Röntgenkontrastmittel eine jodinduzierte Hyperthyreose auslösen. Mit zunehmendem Alter nehmen die autonomen Bezirke der Schilddrüse zu und es besteht damit eine höhere Gefahr eine jodinduzierte Hyperthyreose zu entwickeln, die schlimmstenfalls zu einer lebensgefährlichen thyrotoxischen Krise führen kann (30, Weblink 14). Experten sind der Meinung, dass eine hohe Menge an Jod zu der Autoimmunerkrankung Hashimoto führen könnte. Hashimoto ist eine Erkrankung bei der Antikörper gegen das körpereigene Schilddrüsengewebe gebildet werden, die eine Entzündung der Schilddrüse mit Schilddrüsenunterfunktion zur Folge hat. Beim Ausbruch der Erkrankung seien aber auch ein Selenmangel, sowie eine genetische Disposition vorausgesetzt. Wenn eine Autoimmunhypothyreoditis bereits vorliegt, darf eine Jodgabe nur in der Schwangerschaft erfolgen (12, Weblink 1). Abb. 8: Veränderung des Knoten- (links) bzw. Schilddrüsenvolumens (rechts) in % bei verschiedenen Therapiegruppen ( modifiziert nach 18) Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation - 87 - Arzneimittel Erläuterung Interaktionen mit Jod Hohe Dosen von kaliumsparenden Diuretika z.B. Furosemid Hyperkaliämie infolge hoher Konzentrationen von Kalium im Blut bedingt durch Kaliumjodid Thyreostatika Verminderung des Thyreostatika-Effekts Amiodaron Hyperthyreose oder Hypothyreose bedingt durch hohe Dosen an Jod Lithium Hemmung des Einbaus von Jod durch Verhinderung der Aufnahme in die Zelle Interaktionen mit Levothyroxin Cumarinhaltige Antikoagulantien Verdrängung aus der Plasmaeiweißbindung Aluminiumhaltige Antazida Eisensalze Verminderte Wirkung durch Hemmung der Resorption von Levothyroxin Ionenaustauscher (Colestyramin, Colestipol) →zeitlich versetzte Gabe nötig Ciprofloxacin beispielsweise L-Thyroxin morgens und Antazida frühestens 2 h danach Sevelamer Herzglykoside Verminderung der Elimination führt zur verstärkten Wirkung der Herzglykoside Antidiabetika Verminderung der blutzuckersenkenden Wirkung führt zur Hyperglykämie Enzyminduktoren (z.B. Phenytoin, Carbamazepin, Rifampicin) Erhöhung des freien Anteils an Levothyroxin im Blut durch Verdrängung aus der Plasmaproteinbindung hohe Dosen von kaliumsparenden Diuretika (z.B. Furosemid) Vestärkte Wirkung von Levothyroxin durch Verdrängung aus der Plasmaeiweißbindung Estrogen (z.B. bei Kontrazeptiva und Hormonersatztherapie) Erniedrigung der Wirkung von Levothyroxin durch Erhöhung der Plasmaproteinbindung Tab. 8: Arzneimittelinteraktionen mit Levothyroxin und Jod (Daten aus Weblink 9-11) Atomkraftwerkunfall Fukushima Der Atomunfall im japanischen Atomkraftwerk Fukushima hat weltweit eine große Angst vor der schädlichen Wirkung der in die Umwelt freigesetzten radioaktiven Stoffen verbreitet. In den Apotheken in Deutschland ist kurz nach dem Unfall die Frage nach Jodtabletten sprunghaft angestiegen. Bei einer Exposition mit radioaktiver Strahlung spielt die Einnahme von hochdosiertem Jod eine erhebliche Rolle zum Schutz der Schilddrüse. Es wird in die Schilddrüse aufgenommen und blockiert dadurch die Aufnahme von radioaktivem Jod in kompetitiver Weise. Hiermit wird das Risiko der Entstehung von Schilddrüsentumoren möglichst gering gehalten. In Deutschland ist jedoch die Wahrscheinlichkeit einer Strahlenbelastung infolge des Atomwerkunfalls sehr niedrig und es Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation ist deshalb unnötig Jodtabletten einzunehmen. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände hat demnach vor der Einnahme von hochdosierten Jodtabletten abgeraten, denn diese kann das Risiko für schwerwiegende Schilddrüsenerkrankungen besonders bei Erwachsenen über 45 Jahren erhöhen (nach Weblink 12,13). Beratung in der Apotheke Die Nachfrage zur Notwendigkeit von Jodtabletten ist in der Apotheke kein seltener Fall. In der Regel ist die Jodversorgung eines gesunden Erwachsenen mit ausgewogener Ernährung ausreichend um den Jodbedarf zu decken. Die Einnahme von Jodtabletten ist in diesem Fall nicht empfehlenswert. Es sollte aber auf eine jodreiche Ernährung hingewiesen werden die vor allem durch den Verzehr von Fisch, Obst, Gemüse, Milch und Milchprodukten erfüllt wird. Da bei Vegetariern, Veganern und Menschen die unter Lactose- und/oder Fructoseintoleranz leiden wichtige Jodquellen wie Fleisch, Eier, Milch und Käse vom Speiseplan weggestrichen sind, erhöht sich bei Ihnen das Risiko eines Jodmangels. Sie müssen auf dieses Risiko aufmerksam gemacht werden und auf eine ausreichende Einnahme von Jod über andere Quellen hingewiesen werden. Personen die aus Gewohnheit oder auch aus gesundheitlichen Gründen salzarm speisen nehmen nur geringe Mengen an Jod zu sich, weil ein großer Teil des Jodbedarfs durch Jodsalz gedeckt wird. Eine Rücksprache mit dem Arzt ist in diesen Fällen zu empfehlen. Ein Sonderfall sind auch Hochleistungssportler, da durch den Anstieg des Gesamtstoffwechsels der Bedarf an Schilddrüsenhormonen und damit der Jodbedarf steigen. Deshalb sollten Sportler auf eine ausgewogene Ernährung achten und falls nötig nach Rücksprache mit dem Arzt Jodtabletten einnehmen. Ein besonderer Fall in der Beratung stellen Schwangere und Stillende dar. Jodtabletten zur Prophylaxe des Jodmangels während der Schwangerschaft werden heute von der Krankenkasse nicht mehr bezahlt und damit auch nicht - 123 - verordnet (Weblink 15). Frauen sollen darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Jodversorgung in der Schwangerschaft eine Eigenverantwortung ist. Damit werden schwerwiegende Folgen bezüglich der Entwicklung des Feten vermieden. Sofern keine Kontraindikation besteht sollte also jede Schwangere eine Jodsubstitution einnehmen. Es ist auch notwendig zu erwähnen, dass die Prophylaxe bei Stillenden nach der Schwangerschaft weiterhin eingenommen werden sollte. Bei Nachfrage nach Jodtabletten zur Prophylaxe sollte geklärt werden, ob vielleicht auch andere jodhaltige Multivitaminpräparate eingenommen werden, um eine exzessive Jodzufuhr zu vermeiden. Säuglinge können jodmangelbedingt auch Entwicklungsrückstände haben, weshalb auch hier eine ausführliche Beratung stattfinden sollte. Wenn sich der Säugling über die Muttermilch ernährt sollte auf eine ausreichende Jodzufuhr der stillenden Mutter geachtet werden. Für nicht gestillte Säuglinge ist die fertige Babynahrung eine ausreichende Jodquelle, da sie mit Jod angereichert ist. Jedoch sollte bei der Selbstvorbereitung der Mahlzeiten darauf geachtet werden, dass die Ausgangsstoffe genügend Jod enthalten, was selten der Fall ist. In diesem Fall kann eine Jodsubstitution überlegenswert sein. Eine Jodsubstitution bei Säuglingen kann für die Eltern problematisch werden, weil es Jod ausschließlich in Tablettenform gibt. Hier kann ein Hinweis die Tablette zu zerkleinern und der Milch oder anderer Nahrung beizufügen hilfreich sein. Jodtabletten sollten nach einer Mahlzeit mit ausreichend Flüssigkeit unzerkaut eingenommen werden. Vor einer Jodsubstitution sollte auf alle Fälle eine Schilddrüsenüberfunktion bzw. Hashimoto-Hypothyreoditis ausgeschlossen werden. Bei älteren Personen sollte sicherheitshalber vor einer Substitution ärztliche Rücksprache gehalten werden, da die Wahrscheinlichkeit einer latenten Schilddrüsenüberfunktion bei Personen älter als 45 Jahren hoch ist und somit das Risiko eine manifeste Hyperthyreose jodbedingt zum Ausbruch zu bringen erhöht ist. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation - 124 - Raihan Kadah wurde in Lüdenscheid geboren. Ihre Hochschulreife hat sie 2006 in der Vereinigten Arabischen Emirate erworben. Danach hat sie ein Pharmaziestudium an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf begonnen und befindet sich derzeit in der Abschlussphase. Farida Onali Kamrudin wurde in Kenia geboren. Sie hat ihre schulische Laufbahn 2002 mit kenianischer Abitur abgeschlossen und studiert seit Oktober 2009 Pharmazie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Weblinks 1) Arbeitskreis Jodmangel, Empfehlung zur Jodversorgung http://www.jodmangel.de/ 2) Ploner O. Mini Organ mit Maxi Wirkung. Pharmazeutische Zeitung Online http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=39203 3) Deutsche Gesellschaft für Ernährung – Die Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr http://www.dge.de/modules.php?name=Content&pa=showpage&pid=4&page=2 4) Internisten im Netz- Ihre experten für innere Medizin www.internisten-im-netz.de 5) Chirurgie Portal http://www.chirurgie-portal.de/ 6) Unterlagen für die Unterrichtsfächer Gynäkologie, Embryologie und Innere Medizin http://www.k-hoelter.de/ 7) Hypothyroidism Management www.cks.nhs.uk/hypothyroidism 8) Beispiele von jodhaltigen Präparaten https://www.rote-liste.de/Online/login 9) Fachinformation Stand April 2010 und September 2011 www.fachinfo.de 10)ABDA – Datenbank, Risikocheck mit CAVE, Arzneimittelmonographien, Nutzung kostenpflichtig www.pharmazie.de 11)Arzneimittelinteraktionen bei der Therapie mit Levothyroxin – Neu entdeckte Wechselwirkung mit Ciprofloxacin. Wissenschaftliches Editorial. Prof. Dr. Kojda http://www.uni-duesseldorf.de/kojdapharmalehrbuch/apothekenmagazin/Editorials/2005-07-08.pdf ) Fortbildungstelegramm Pharmazie 2012;6(4):109-126 Jodsubstitution in der Selbstmedikation - 125 - 12)Mende A. Atomunfall in Japan – Mögliche Folgen für die Gesundheit. Pharmazeutische Zeitung Online http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=37187 13)Internetseite des deutschen Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe http://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Downloads/BBK/DE/Gesetzestexte/Merkbl_J odtabletten.html 14)Bundesinstitut für Risikobewertung http://www.bfr.bund.de 15)Anlage I zum Abschnitt F der Arzneimittel-Richtlinie http://www.g-ba.de/downloads/83-691-257/AM-RL-I-OTC-2011-06-09.pdf Literaturverzeichnis 1. Hehrmann R. Jod in Nahrungsmittel – Aktueller Stand der Jodversorgung in Deutschland. Z. Allg. Med. 2005; 81:103–108 2. Völzke H., Thamm M. Epidemiologie von Schilddrüsenerkrankungen und Deutschland. Präv. Gesundheitsf. 2007; 2: 149–152 3. 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