Universität Würzburg Lehrstuhl für Moraltheologie Vorlesung WS 2015/16: Grundlagen theologischer Fundamentalethik mth Einleitung Aufgabe und Vorgehen der theologischen Fundamentalethik 1. Der Ausgangspunkt: Moralische Überzeugungen und Normen - Menschen werten ihr Handeln immer auch als: gut / böse, richtig / falsch, verantwortlich / unverantwortlich. - Zugrunde liegen Wertvorstellungen und ethische Überzeugungen → Ethos / Moral / Sitte. Werden durch Erziehung und Tradition weitergegeben und gebildet. - Ethos und Moral äußert sich auch in Regeln bzw. ethischen Normen. Normen sind präskriptive Sätze. Sie stabilisieren das Zusammenleben von Menschen. Sie haben für den einzelnen entlastende und identitätsfördernde Funktion. 2. Aufgabe der Ethik: Überprüfung und Begründung moralischer Überzeugungen - Faktisch gelebte Normen können in Frage gestellt werden durch den Wandel der gesellschaftlichen Wirklichkeit bzw. neue wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Möglichkeiten. - In solchen Situationen ist Ethik gefragt. Ethik = Wissenschaft vom richtigen und guten Handeln. Ethik bezieht sich auf das Ethos bzw. die Moral und fragt nach der Wahrheit oder Gültigkeit einzelner Handlungsoptionen. 3. Normative Ethik und Fundamentalethik: Begründung von Normen und von Normbegründungsverfahren - Wenn es zu keinem Konsens in der Normbegründung kommt, stellt sich die Frage, wie man überhaupt Normen angemessen begründen kann. Es geht dann nicht um die Begründung einzelner ethischer Normen, sondern um die Begründung des Normbegründungsverfahrens. - Mögliche Antworten auf die Frage nach dem angemessenen Normbegründungsverfahren: - Weitere Thematik der Fundamentalethik: Freiheit als Möglichkeit ethischen Handelns, Versagen und Schuld, Ermöglichung ethischen Handelns. 4. Theologische Fundamentalethik: Die Bedeutung des Glaubens für das ethische Handeln - Theologische Ethik: Normative Aussagen auf dem Hintergrund des christlichen Glaubens unter Einbeziehung der Heiligen Schrift, der Tradition der Kirche in Lehramt und Theologie. - Grundfrage: Gibt es spezifisch christliche Normen, deren Gültigkeit nur im Glauben erkannt werden kann? Frage nach dem Proprium der christlichen Ethik. - Dafür: Ethische Aussagen gehören immer schon zum christlichen Glauben hinzu. Im der Geschichte des Christentums gibt es immer auch eine christliche Morallehre. Es scheint spezifisch christliche Gebote zu geben. - Dagegen: Wie lässt sich ein solches Sonderethos in den gesellschaftlichen Dialog so einbringen, dass es nachvollziehbar ist. Christentum hat von Anfang an Normen und Argumente aus der philosophischen, vernunftbasierte Ethik übernommen. - Grundfrage der theologischen Fundamentalethik: Worin besteht die Bedeutung des christlichen Glaubens für das ethische Handeln? 1 Universität Würzburg Lehrstuhl für Moraltheologie Vorlesung WS 2015/16: Grundlagen theologischer Fundamentalethik mth 5. Modelle theologische Fundamentalethik: Autonome Moral und Glaubensethik - Autonome Moral: Alfons Auer (betonte die Autonomie ethischer Erkenntnis insbesondere gegenüber dem kirchlichen Lehramt); Franz Boeckle (Konzept einer theonom begründeten Autonomie). - Glaubensethik: Bernhard Stoeckle (Vernunft kann den Sinn menschlichen Lebens nicht durchschauen und keine unbedingte Gewissheit und Verpflichtung begründen). 6. Ansatz der theologische Fundamentalethik 6.1 Ausgangspunkt: Das Offenbarungsverständnis des Zweiten Vatikanums „Gott hat in seiner Güte und Weisheit beschlossen, sich selbst zu offenbaren und das Geheimnis seines Willens kundzutun (vgl. Eph 1,9): daß die Menschen durch Christus, das fleischgewordene Wort, im Heiligen Geist Zugang zum Vater haben und teilhaftig werden der göttlichen Natur (vgl. Eph 2,18; 2 Petr 1,4). In dieser Offenbarung redet der unsichtbare Gott (vgl. Kol 1,15; 1 Tim 1,17) aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde (vgl. Ex 33,11; Joh 15,14-15) und verkehrt mit ihnen (vgl. Bar 3,38), um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen.“ (Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung „Dei verbum“, Nr. 2) - Offenbarung wird hier als Selbstoffenbarung bzw. Selbstmitteilung Gottes verstanden. Gott teilt nicht einzelne Sätze mit, sondern gibt durch sein Wort und im Glauben Anteil an der Gemeinschaft der Liebe von Vater und Sohn. 6.2 Konsequenz: Offenbarung begründet nicht den ethischen Anspruch, sondern befreit dazu, ihm zu entsprechen - Offenbarung besteht nicht darin, einzelne ethische Normen mitzuteilen. Sie zu erkennen ist vielmehr Sache der Vernunft und Erfahrung. - Offenbarung schenkt ein neues Selbstverständnis des Menschen, das es ihm möglich macht, sich dem ethischen Anspruch zu stellen und ihm zu entsprechen. - Offenbarung setzt den ethischen Anspruch bereits als begründet voraus. Sie knüpft daran an und eröffnet einen Weg, wie man ihn wollen und erfüllen kann. - Theologische Ethik setzt damit den ethischen Anspruch als universalen und objektiv begründeten Anspruch voraus. Sonst verlieren Offenbarung und Glaube ihre Basis. 6.3 Weiterführung: Unterscheidung zwischen Erkennbarkeit und Erkennen-Wollen - Aber: Reicht die Vernunft wirklich zur Erkenntnis des ethischen Anspruchs aus? (Anliegen der Glaubensethik) - Wechselseitige Beeinflussung von Erkennen und Wollen. - Die mangelnde Erkenntnisfähigkeit der Vernunft ist nicht prinzipieller Art, sondern allenfalls faktisch gegeben. - Bedeutung des Glaubens: Keine neue Begründung normativer Inhalte, sondern Bereitschaft, sich der Vernunft in ihrer Autonomie zu stellen. - Parallel dazu: Unterscheidung zwischen dem geschichtlichen Prozess der Erkenntnis ethischer Normen und dem Grund ihrer Gültigkeit. - Christologische Struktur dieses Ansatzes der theologischen Fundamentalethik. 7. Aufbau der theologischen Fundamentalethik - Zwei Grundfragen: ● Wie kann man erkennen, worin das ethisch richtige und verantwortliche Handeln besteht? ● Wie kann man das ethisch richtige und verantwortliche Handeln auch wollen? 2