1/5 KONKRET Transkription in der aktuellen Musik Das Wort "konkret" bezeichnet auf Klang bezogen zuweilen zwei verschiedene Dinge. Zum einen ist damit der auf einem Medium fixierte, wiederholt abrufbare und dadurch in all seiner phänomenologischen Komplexität als Material verfügbare Klang gemeint. Umgangssprachlich meint man mit "konkreten Klängen" aber oft einfach solche, deren Quellen aus dem Alltag stammen - Klänge jenseits primär musikalischer Herkunft. Es soll hier um eine Kombination beider Bedeutungen gehen, um auf Tonträgern vorliegende Klänge, deren Quellen nicht zuerst musikalischer Natur sind. Nachdem das Geräusch und die Klangwelt des Alltags zunächst durch Luigi Russolo vor einhundert Jahren eingeführt, später durch die französische "Musique Concrète", John Cage und andere weiter behandelt worden war und spätestens in den letzten Dekaden des vergangenen Jahrhunderts zum festen Bestandteil der zeitgenössischen Musik geworden ist, bildete sich eine neue Technik zur Behandlung von solchem Material heraus. Die Rede ist von Transkription. Nun hat das Transkribieren in anderem Sinn durchaus eine sehr lange Tradition in der abendländischen Kunstmusik. Einerseits ist damit das Neu-Instrumentieren bereits vorhandener Musik gemeint, und auch das Niederschreiben gespielter bzw. improvisierter Musik kann als Transkription bezeichnet werden. Der Kunstgriff um den es hier gehen soll, ist aber das Übertragen aufgenommener Klänge aus dem Alltag in traditionelle Notation im Fünf-Linien-System. Diese Arbeitsweise wirft eine Menge Fragen auf und bringt einige gravierende ästhetische Konsequenzen mit sich. Die Rückbindung der Musik an einen konkreten und gegebenenfalls banalen Vorgang bedeutet immer ein verändertes Verhältnis der Musik zu ihrer eigenen Kontingenz. Der Schwarze Peter der Kontingenz wird teilwese an das zu Grunde liegende profane Klangmaterial bzw. die Situation seiner Entstehung weitergeschoben. Während ohne Transkription die ungeteilte Verantwortung für alles Geschriebene beim Komponisten oder der Komponistin liegt und er oder sie sich mit dem Problem der Beliebigkeitsvermeidung herumschlagen muss, ist bei transkribierten Klängen zunächst die Auswahl kontingent, die Struktur des ausgewählten Materials diktiert dann aber eine große Menge der Detailentscheidungen. Darüberhinaus lädt die Rückbindung den resynthetisierten Klang semantisch auf. “[...] es geht eben nie nur um das Hören [...] sondern es geht immer um ein Verhältnis von Hören und Wissen”, so der in Frankfurt lebende Komponist Hannes Seidl.1 In den letzten Jahren scheint das Interesse an dieser Form des Umgangs mit konkretem Material stark gewachsen zu sein. Die Möglichkeit des direkten Zugriffs auf Klangquellen und ihre Verwandlung in kompositorisches Material stellt eine große Versuchung dar, der zu erliegen uns Komponisten und unserer Musik aber nicht immer nur zum Vorteil gereicht. So genügt es keinesfalls, beispielsweise Rhythmen aus Youtube-Videos aus Kriegsgebieten abzuschreiben, um ernsthaft politische Kontexte in die Musik hineinzubringen und an die Aussenwelt anzudocken.2 Darüberhinaus gibt es aber eine Reihe von Komponisten, die die Konsequenzen der Arbeit mit Transkription durchaus ernst nehmen bzw. andersherum, die auf die Technik der Transkription als Konsequenz aus ihrem Arbeiten und Denken gestoßen sind. Ganz allgemein gesprochen meint Transkription das Übertragen von einer Schrift in eine andere, man könnte auch sagen, von einem Medium in ein anderes. Die abendländische Kulturgeschichte ist voll von solchen Übertragungen oder Abbildungen. In der jüngeren Vergangenheit haben 1 Im Gespräch mit dem Autor, Frankfurt a.M., 17.12.2012 2 Ebensowenig wird man glamourös indem man sich “Glamour” auf sein T-Shirt druckt. 2/5 Künstler wie Hiroshi Sugimoto, Liu Bolin, Desiree Palmen, Thomas Demand und viele andere mit der Transkription vergleichbare Techniken benutzt. Die musikalische Anwendung bildet insofern einen Sonderfall, als dass ein echter Mediensprung notwendig ist und immer wieder die Rückführung in das ursprüngliche Medium erfolgt: Klang wird aufgezeichnet, in Schrift übertragen und am Ende wieder in Klang zurück geführt. Da es kein rein mechanisches Verfahren gibt, das die Übertragung von Musik bewerkstelligt – wie zum Beispiel im Gegensatz zur bildenden Kunst mit den Techniken des Abdrucks oder der Fotografie – öffnet sich mit der Verschriftlichung ein zusätzlicher Möglichkeitsraum für Entscheidungen. Man könnte zwar durchaus argumentieren, dass bereits mit der digitalen Klangaufzeichnung eine Art von Schrift vorliegt, doch ist diese Schriftform zu weit weg von musikalischer Notation und zu nah am physikalischen Phänomen Schall, als dass sie sich für die kompositorische Arbeit eignen würde. Die durch Transkriptionsvorgänge erzeugte Musik kann als eine Fortführung der Programmmusik des 19.Jhds begriffen werden, hin und wieder wird sie denn auch als “Programmmusik 2.0” geschmäht. Tatsächlich aber passiert durch die Übertragung eines konkreten Klangverlaufs etwas völlig anderes als bei der onomatopoetischen Musik. Beispielsweise hat es den bellenden Hund, den Vivaldi in seinen “Vier Jahreszeiten” darstellt als konkreten Klang wahrscheinlich nie gegeben. Und selbst wenn, es spielt keine Rolle: Die klangliche Morphologie des Bellens - ob eines konkreten Hundes oder nur der Idee davon sei dahin gestellt – geht verloren, weil sie einem hierarchischen Kunst-Regelsystem untergeordnet wird. E-Dur gewinnt. Einen Zwischenbereich markiert Olivier Messiaen, mit seinen – nicht zuletzt auch religiös motivierten – Transkriptionen von Vogelstimmen. Es gibt durchaus Vogelarten, deren Individuen sich anhand ihrer Lautäußerungen durch das menschliche Ohr kaum unterscheiden lassen. Viele Singvögel haben jedoch sehr individuelle Melodien. Wenn Messiaen also den “Graubackigen Bulbul”, einen vom Aussterben bedrohten indonesischen Singvogel, transkribiert, so bewegt er sich zwischen den konkreten Individuen, die ihm als Vorlage gedient haben mögen einerseits und einer Repräsentation der gesamten Spezies andererseits, was eher einem onomatopoetischen Ansatz entspräche. Der wesentliche Unterschied zwischen onomatopoetischer Musik und transkribierten Klängen liegt im Verhältnis von Original und Reproduktion. Im Fall der Lautmalerei ist das Verhältnis koinzident und darstellend, bei der Transkription ist es kausal und reproduzierend. Die Möglichkeit, in der Musik eine ganz konkrete Begebenheit, einen ganz bestimmten klanglichen Verlauf, der auf seine spezifische Art und nicht anders an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit stattgefunden hat, mit all seiner Komplexität als Material zu benutzen hat bereits die Komponisten zB. der Musique Concrète fasziniert. Solch konkretes Material zum Ausgangspunkt für Instrumentalmusik zu machen und Klangverläufe aus der nichtinstrumentalmusikalischen Welt von traditionellen Instrumenten spielen zu lassen, kann nun einen neuartigen Umgang mit den Beziehungen von Klang, seiner Bedeutung und damit dem Verhältnis von Musik und ihrer Umwelt nach sich ziehen. Neben Werken in denen er sich auf andere Art und Weise um das Einbeziehen akustischer Alltagserfahrungen bemüht, schrieb Peter Ablinger eine beträchtliche Menge an Stücken, die aus d i re k t e n Tr a n s k r i p t i o n e n v o n a u f g e n o m m e n e n K l a n g v e r l ä u f e n b e s t e h e n . D e r Transkriptionsvorgang selbst wird dabei sehr distanziert und kühl betrachtet und von einer Software nach dem Justieren einiger Analyseparameter automatisch erledigt. Die Resultate zeugen dann ebenfalls von einer gewissen Distanz, zuweilen scheint die Musik die zu Grunde liegenden Klänge recht technisch abzutasten, beispielsweise wenn Ablinger das sich verändernde Spektrum von Straßengeräuschen in regelmäßigen Abständen durch Instrumente dem Originalklang hinzu-skandiert, wie in seinem Stück “Quadraturen IV”. 3/5 Das technische Verfahren zur akustischen Spektralanalyse unterteilt einen Klangverlauf in kleine Häppchen gleicher Dauer und betrachtet den Klang jedes dieser sogenannten “Fenster“ als einen statischen Klang, den es dann einer Frequenzanalyse unterzieht. Schnell genug hintereinander abgespielt können diese Analysescheiben den ursprünglichen Klang recht deutlich nachbilden. In Ablingers “Quadraturen IV”, spielt ein Instrumentalensemble einzelne Analysefenster aber in vergleichsweise großen Abständen zu der Originalaufnahme dazu. Hier verschwindet das Technische des technischen Verfahrens, indem es mit der Satzstruktur des Stückes zusammenfällt. Vergleichbar mit dem als Raster vorgeführten Abtasten des Berliner Straßenlärms durch die Analyse und die instrumentale Zuspielung zur Originalaufnahme, tastet das Hören in Ablingers Stück die Spektren des Instrumentalensembles vergleichend ab und fokussiert dabei zwangsläufig einen bestimmten Aspekt des Hörens, nämlich den des vertikalen Zusammenklangs. Mustererkennung in Bezug auf akustische Einzelphänomene im Straßenklang oder instrumentale Rollenverteilungen im Sinne eines Verfolgens von einzelnen Klangquellen finden im Stück nicht statt. Auch wenn Ablinger nicht direkt bestimmte Verläufe markiert oder Filtrierungen des ursprünglichen Materials vornimmt wird das Hören zugespitzt auf eine bestimmte vom Autor festgesetzte Lesart. So ist “ein Aspekt von Lesung [...] auf jeden Fall vorhanden. Auf jeden Fall [...] wird mir eigentlich durch diese Arbeit klar, dass es sozusagen ein nicht-interpretierendes, nichtlesendes Ausstellen gar nicht gibt.”3 Die explizite Hörbarmachung des Rasters ist für Ablinger schließlich eine Metapher für den Wahrnehmungsapparat, der ebenfalls gerastert operiert. “Aber abgesehen von den physiologischen Eigenschaften sind vielleicht dann mindestens genau so wichtig auch die individuellen psychologischen, sozialen, kulturellen Eigenschaften, dass wir Dinge gelernt haben müssen.” (Ablinger) Diese individuelle Konstitution ist es aber, die Ablinger an sich selbst in seiner Arbeit wenig interessiert. Es geht ihm nicht so sehr darum, seine eigene subjektive Wahrnehmung von Klängen zu thematisieren, sondern eher darum durch den Übersetzungsvorgang Zwischenbereiche zu schaffen, in denen der Hörer selbst in seiner Wahrnehmung herausgefordert wird. Natürlich ist er aber in seiner Materialauswahl und in der Einstellung der Analyseparameter durchaus subjektiv am Prozeß beteiligt, wenn auch nicht an den unmittelbaren Entscheidungen darüber welche Note gesetzt wird und welche nicht. Diese Detailarbeit und letztlich auch die damit verbundene Verantwortung wird an die Technologie abgegeben und die resultierenden Ergebnisse werden entsprechend auch nicht mehr ergänzt oder korrigiert. Ein wesentlicher Punkt der Arbeit mit der Übertragung von konkreten Klängen auf Instrumente ist die Tatsache, dass nicht primär musikalische Klangverläufe und mitunter sogar recht banale Vorgänge durch Hochkulturerzeugnisse hörbar gemacht werden, nämlich durch das klassische abendländische Kunstmusikinstrumentarium. Es entsteht nicht nur eine Differenz zwischen Original und Reproduktion, sondern auch eine Reibung zwischen dem Material mit seinen gegebenenfalls profanen Quellen und der Darreichungsform mit den Mitteln der traditionellen Musik. Ablinger spricht in diesem Zusammenhang davon, dass banale Materialien mit Hilfe kultureller Rahmungen auf höhere Ebenen gehoben werden. Dahinter steht in erster Linie die Aufforderung den vermeintlich bekannten Klängen zum Beispiel von Verkehr, eine Aufmerksamkeit und Offenheit des Hörens entgegen zu bringen, die der Rezeption traditioneller Hochkulturmusik entspricht. Gleichzeitig steckt darin aber selbstverständlich auch eine Form von Institutionskritik, die einen Teil des Reizes dieser Arbeitsweise ausmacht. 3 Dieses und alle weiteren Zitate von Peter Ablinger aus einem Gespräch mit dem Autor, Berlin, 14.12.2012 4/5 Näher an die Maschine, näher an den mechanischen Übersetzungsvorgang ist Ablinger mit einigen Stücken für ein Computerklavier gekommen, das am Insitut für Elektronische Musik in Graz entwickelt wurde. Die automatischen Transkriptionen werden hier nun von einem Computer resynthetisiert, der selbst Klavier spielt. Kein menschlicher Interpret ist der Rückführung von Analyse in Klang zwischengeschaltet. Aber selbst in diesem Fall spielt die Reibung mit dem Instrument wieder eine Rolle. Es ist durchaus wichtig, dass es sich um ein Klavier handelt, um das “Uralt-Monster klassischer Repräsentationskunst” (Ablinger). In den angesprochenen Stücken behandelt Ablinger zumeist gesprochene Sprache, ein Material, welches an sich einen Sonderfall darstellt, weil es uns nicht gelingt, Sprache als bedeutungslose Klangfolgen zu hören. Durch die Reproduktion des automatischen Klaviers wird ein Bereich zwischen Sprachverständlichkeit und musikalischem Hören aufgebrochen, der vorführt, wie sehr die Wahrnehmung davon abhängig ist in bekannte Modi einzurasten und sich auf bestimmte Aspekte zu fokussieren. Mehr noch: Kennt man den Text der zu Grunde liegenden Sprachaufnahme, so kommt einem das Verstehen des sprechenden Klaviers sehr natürlich vor. Fehlt jedoch die Kenntnis der Textgrundlage, so kippt das Hören in Richtung gelernter musikalischer Wahr nehmungsmodi und bleibt in einem Graubereich zwischen Sprachwahrnehmung und Musikhören. Eine Erkenntnis dieses Aufbaus ist, dass wir nur hören was wir wissen: Wir projizieren den gelesenen oder gehörten Text auf den Klavierklang. Somit ist dies ein weiteres Beispiel für die Rasterform der Wahrnehmung, die nur in bestimmten (gelernten) Modi operieren kann. Wenn die Wahrnehmung selbst ein Raster vorgibt, sei es ganz direkt durch ein Hören in diskreten Stufen, durch bestimmte Beschränkungen des Wissens, oder insofern, dass wir permanent Wahrnehmungsmodi einnehmen, aus denen heraus wir die Welt betrachten, so ist es dieses Raster, bzw. unser Verhältnis zu unseren Wahrnehmungsperspektiven, das sich durch Transkription thematisieren und untersuchen lässt. Man kann das Arbeiten mit Transkription einteilen in drei Bereiche: Eine Datenerfassung, ein Analysestadium und die Resynthese. Der Beginn des Prozesses ist in jedem Fall eine Selektion, keine Setzung. Es wird etwas als Material ausgewählt, nicht ausgedacht. In diesem Sinne ist diese Arbeitsweise eine Alternative zu dem traditionellen und akademischen Komponieren, das auf Setzungen basiert und die Erfindungsgabe und die handwerkliche Wendigkeit des Komponisten in den Mittelpunkt stellt. Im Gegensatz dazu beginnt hier die Arbeit mit einer Rahmung, mit einer Reaktion auf Vorgefundenes. Es handelt sich nicht um einen Top-Down-Ansatz, ein Verfahren, das zuerst die Makrostruktur festlegt und von dort aus in Details sich verzweigt, sondern um einen Bottom-Up-Prozess, bei dem zuerst konkrete Details vorliegen und von dort aus die gröberen Verläufe bestimmt werden. Hier besteht eine Parallele zu einer Technik, die der Surrealist Max Ernst im August 1925 fand, der “Frottage”. Dabei wird ein Blatt Papier auf eine reliefartig strukturierte Oberfläche, zum Beispiel auf ein Holzbrett, gelegt und die Struktur der Oberfläche mithilfe zB. eines Blei- oder Kohlestifts auf das Papier übertragen. Die so erzeugten Formen dienten ihm zur Steigerung seiner, wie er es nannte, “halluzinatorischen Fähigkeiten”, der künstlerischen Konfrontation mit Phänomenen, deren Entstehung jenseits subjektiver Beurteilung lag. Er schrieb dazu: “Das Durchreibe-Verfahren beruht folglich auf nichts anderem als der Intensivierung der Reizbarkeit geistiger Fähigkeiten mit geeigneten technischen Mitteln. Es schließt jede bewusste menschliche Steuerung (Vernunft, Geschmack, Moral) aus und beschränkt den aktiven Anteil dessen, den man bisher den 'Autor' des Werks nannte, aufs äußerste.”4 Die Arbeit die sich auf das Reagieren auf vorgefundene Klangverläufe beschränkt, ist immer eine 4 Max Ernst: Halluzination oder Die Entstehung der Frottage, in ders.: Schnabelmax und Nachtigall, S. 94-100, hier: S. 99, Hamburg, 2006 5/5 Form von Lesung der subjektiven Wirklichkeit, ein Unternehmen, das die Wahrnehmung des Subjekts einerseits schärft und herausfordert, andererseits auch direkt thematisieren kann. Das Übertragen von konkretem Klang in Notentext und in Instrumentalmusik kann damit als kompositorischer Eingriff verstanden werden, in dem der oder die Komponierende Filtrierungen des Ausgangsmaterials vornimmt, bestimmte Aspekte oder Eigenschaften betont und andere als nicht signifikant vernachlässigt. Dabei geht es zunächst gar nicht so sehr darum, in den Klang etwas “hineinzuhören”, analog zu den Halluzinationsvorgängen zu denen Max Ernst die “Frottage” verwendete. Vielmehr besteht die Aufgabe darin, interessante Fokussierungen in Bezug auf ein Material zu finden, herauszuarbeiten was für den Autor am jeweiligen Klangverlauf den eigentlichen Reiz ausmacht, und daraufhin zu entscheiden welche Schichten der Originalaufnahme letztlich zu übertragen sind. Der Spielraum den die jeweilige Aufnahme bietet, kann dabei stark schwanken und hängt von der Dichte der akustischen Informationen ab. Je komplizierter das Ausgangsmaterial ist, desto größer wird der Entscheidungshorizont für das subjektive Wahrnehmen. Am Umgang mit diesem Entscheidungshorizont nun lassen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten verschiedener Positionen gut beobachten. Dabei steht die Lesung des Materials immer an einem zentralen Punkt, ob es nun darum geht, etwas in das Material hineinzuhören oder nicht. Der in Köln lebende Komponist Roman Pfeifer arbeitet bereits seit vielen Jahren mit Transkriptionstechniken, was durch das bloße Hören seiner Musik aber nicht immer direkt erkennbar ist. In seiner Beschäftigung geht es nicht um die Reibung zwischen profaner Klangquelle und traditionsreichem Hochkulturinstrument, die profane Quelle selbst interessiert ihn eher weniger. Stattdessen untersucht Pfeifer gezielt einzelne Bewegungsformen, um Schreibweisen zu lernen, die er in sein Schreiben integriert. Nicht im Sinne einer Form von Sampling, sondern als Anreicherung von musikalischen Figuren und Strecken mit Beobachtungen aus körperlichen und anderen nicht primär musikalischen Verläufen, wie sie beispielsweise in der Sprache auftreten. Der konkrete Klang selbst mag im jeweiligen Stück letztlich gar nicht mehr vorkommen, ein direktes Abgleichen von Original und Reproduktion ist für den Hörer nicht mehr möglich. Stattdessen löst sich der konkrete Klangverlauf mit seinen spezifischen Bewegungen gewissermaßen in der Musik auf. Er ist zunächst das Objekt genauer Untersuchungen. Trotz eines expliziten Interesses an der Idee des “halbautomatischen Beginns” ist die Automatisierung des Transkriptionsprozesses dabei keine Option. Weil es ihm um Mustererkennung geht, um das Untersuchen spezifischer Folgen und die Übersetzung in “musikalisierte Verläufe” ist das manuelle Schreiben hier so wichtig. Die vermeintliche Präzision der detailierten Computeranalyse verkehrt sich ins Gegenteil und erst im scheinbar Groben der musikalisierten Schrift kann eine Präzision der übertragenen Bewegungen erfolgen. “Es gibt fast immer eine Art Rohtext, wo die Daten so wie ich sie einfach vorfinde in ungeordneter Weise übernommen werden. [...] das zweite ist, dass ich dann die Sachen einerseits schriftlich vergröbere, andererseits lesbar und damit eigentlich genauer mache. Weil ich interpretiere.”5 5 Roman Pfeifer im Gespräch mit dem Autor, Köln, 28.11.2012