Skript zur Vorlesung „Klinisch-Psychologische

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Skript zur Vorlesung
Klinisch-Psychologische Intervention I
WS 2008
Inhaltsverzeichnis:
1. VORLESUNG AM 21.10.2008................................................................................................................................................ 3
6. VORLESUNG AM 25.11.2008: BERATUNG: GRUNDLAGEN, PROZESS UND TECHNIK II .................................................. 4
Philosophische Grundlagen kognitiver Therapieansätze ..................................................................................................................................4
Rational-emotive Therapie (Ellis, 1958) .........................................................................................................................................................4
Kognitive Therapie (Beck, 1961)....................................................................................................................................................................5
BERATUNG .............................................................................................................................................................................. 7
Das Erstgespräch ...........................................................................................................................................................................................7
Empirische Überprüfung: Was bringt Beratung? .............................................................................................................................................8
7. VORLESUNG AM 02.12.2008: BERATUNG
KRISENINTERVENTION NACH TRAUMATISIERUNG ................................... 8
Allgemeines zu Traumata...............................................................................................................................................................................8
Folgen von Traumata ...................................................................................................................................................................................10
Verlauf der PTSD ........................................................................................................................................................................................11
Theorien zur Ätiologie .................................................................................................................................................................................12
Interventionsansätze und Diagnostische Verfahren........................................................................................................................................12
Prävention von Traumatisierungen nach Großschadensereignissen ................................................................................................................13
Interventionen bei akuten Belastungsreaktionen: Erste Maßnahmen...............................................................................................................13
Critical Incident Stress Management (CISM)................................................................................................................................................13
8. VORLESUNG AM 09.12.2008: SUIZIDALITÄT .................................................................................................................... 15
Was sind Krisen?.........................................................................................................................................................................................15
Ätiologische Modelle...................................................................................................................................................................................16
Kriseninterventionen: Ablauf .......................................................................................................................................................................17
Anpassungsstörung nach DSM-IV................................................................................................................................................................17
Suizidalität ..................................................................................................................................................................................................18
9. VORLESUNG AM 16.12.2008: PROBLEMLÖSETRAINING................................................................................................. 21
Was sind Problemlösetrainings? ...................................................................................................................................................................21
Struktur des Problemlösens ..........................................................................................................................................................................21
Permanente Krisen: Persönlichkeitsstörungen des Cluster B ( dramatisch )...................................................................................................23
Training in Emotionsregulation (Bohus & Steil, 2006) ..................................................................................................................................25
10. VORLESUNG AM 06.01.2009: INTERKULTURELLE FAKTOREN IN BERATUNG UND THERAPIE.................................. 26
Kulturunterschiede.......................................................................................................................................................................................26
Migration ....................................................................................................................................................................................................28
Besonderheiten von Untergruppen von Migranten.........................................................................................................................................29
Interkulturelle Aspekte der Psychotherapie ...................................................................................................................................................30
Flüchtlinge ..................................................................................................................................................................................................31
11. VORLESUNG AM 13.01.2008: INTERVENTIONEN IM FORENSISCHEN BEREICH........................................................... 32
Einführung ..................................................................................................................................................................................................32
Stalking (engl.: "auf die Pirsch gehen ) ........................................................................................................................................................32
Psychotherapie mit Straftätern......................................................................................................................................................................34
Delinquenz und psychische Störungen..........................................................................................................................................................36
1
1. Antisoziales Verhalten .............................................................................................................................................................................36
2. Impulskontrollstörungen und Aggression ..................................................................................................................................................38
3. Sexuelle Devianz, Paraphilien ( Perversion )............................................................................................................................................39
4. Andere psychische Störungen im Zusammenhang mit Delinquenz .............................................................................................................41
12. VORLESUNG AM 20.11.2009: BERATUNG UND PSYCHOTHERAPIE IM ARBEITS- UND ORGANISATIONSBEREICH .. 42
Mobbing......................................................................................................................................................................................................44
Coaching .....................................................................................................................................................................................................46
Spezielle Beratungsinterventionen bei Stress am Arbeitsplatz........................................................................................................................47
13. VORLESUNG AM 27.11.2009: BURNOUT + ETHIK IN BERATUNG UND PSYCHOTHERAPIE ......................................... 48
Burnout .......................................................................................................................................................................................................48
Moral und Ethik...........................................................................................................................................................................................50
Werte in der Psychotherapie.........................................................................................................................................................................52
14. VORLESUNG AM 03.02.2009: AUSBILDUNG UND BERUFSPERSPEKTIVEN ................................................................. 54
Rechtliche Rahmenbedingungen von Psychotherapie ....................................................................................................................................54
Arbeitsmarkt-Information der Bundesagentur für Arbeit................................................................................................................................55
Bedarf an Psychotherapie.............................................................................................................................................................................56
Psychotherapievereinbarungen .....................................................................................................................................................................57
Therapieformen ...........................................................................................................................................................................................57
Behandlungsbedarf ......................................................................................................................................................................................58
2
1. Vorlesung am 21.10.2008
- PD Dr. Grosse Holtforth ist nur Vertretungsprofessor. Der Lehrstuhl wird höchstwahrscheinlich im nächsten Semester neu besetzt werden,
mittlerweile ist eine Berufungsliste erstellt und die Verhandlungen laufen demnächst an.
o --> Er wird nicht die Prüfung abnehmen
- Generell: Die meisten Inhalte stehen auf den Vorlesungsfolien, deshalb nicht alles mitgeschrieben.
Themen der Vorlesung im WS 2008/09
Definition und Systematik Klinisch-psychologischer Intervention
- Definition: Klinisch-psychologische Intervention soll das Verhalten und Erleben verändern.
o Siehe auch Vorlesungsfolien
Ziele psychologischer Interventionen (Folien S. 16)
- Ziel von Interventionen ist zwar einerseits die Problem- und Störungsbeseitigung. Dieses bloße Vermeidungs-Ziel ist aber nicht so wirksam
wie ein Annäherungsziel, das einen positiveren Fokus setzt. Nicht nur die Beseitigung des Problems sollte also im Mittelpunkt stehen, sondern auch, was man anschließend tun kann und die zu erwartenden neuen Freiheiten.
- Zieldimensionen:
o Psychologisch, z.B. ein besseres Selbstwertgefühl oder weniger Trauer
o Somatisch, z.B. besser mit Krebsdiagnose umgehen können oder mit somatischen und somatoformen Störungen
- Zeilperspektive:
o Nahziele / Mikroziele, z.B. Suizidalität abwenden
o Fernziele / Makroziele, z.B. wieder ein erfüllendes Sozialleben haben
- Abstraktionsgrad der Formulierung von Zielen
o Hoch / theoretische Begriffe,
z.B. sich besser selbst verwirklichen können
o Mittel / dispositionale Konstrukte,
z.B. ein besseres Selbstwertgefühl haben
o Niedrig / Beobachtungsbegriffe,
o Dienen um die hoch- und mittel-abstrakte Ziele zu konkretisieren. Therapieziele sollten immer so konkret wie möglich formuliert werden.
Ebenen, auf denen klinisch-psychologische Interventionen ansetzen (Folien S. 17)
- Psychische Funktionen, z.B. Tests der Aufmerksamkeit oder der Gedächtnisfunktion
3
- Funktionsmuster
- Störung interpersoneller Systeme, z .B. Interventionen in Familien oder Betrieben und Organisationen (ABO-Psychologie)
Theoretische Fundierung
- Wissenschaftliche Theorien sind z.B. Psychoanalyse, empirische oder humanistische Psychologie
o Theorien leiten bei der Ursachensuche, schränken allerdings auch den Blickwinkel ein
- Die empirische Fundierung ist die heilige Kuh der akademischen Psychologie und bedient sich der bekannten Methodik: Hypothesenbildung, Testung, Validierung, Replikation zusätzlich soll das Kosten-Nusten-Verhältnis optimal, d.h. die Effizienz hoch, sein.
Prävention (Folien S. 23)
- Definitionen
o Primäre Prävention: Schrotschüsse
§ Erfolgt in der Gesamtbevölkerung, z.B. das Warnen vor den Gefahren von ungeschütztem Sex oder Alkoholkonsum
o Sekundäre Prävention
§ Nach der Identifikation bestimmter Risikogruppen erfolgt die Intervention gezielt innerhalb dieser Gruppen. Der Übergang zur Behandlung ist oft fließend, z.B. wenn man Raucher anspricht, um aufzuhören.
o Tertiäre Prävention: Verhinderung von Rückfällen
§ Beispielsweise die Mindfulness-based cognitive therapy (achtsamkeitsbasierte Therapie), die das Zurückrutschen in den Teufelskreis der Depression verhindern soll.
6. Vorlesung am 25.11.2008: Beratung: Grundlagen, Prozess und Technik II
Philosophische Grundlagen kognitiver Therapieansätze
Sokrates
-
Eine Grundlage kognitiver Therapieansätze ist die Fragetechnik des Sokrates, die sogenannte Maieutik (Hebammenkunst). Dabei geht es
darum, durch Hinterfragen zum Denken anzuregen.
-
Begriffsbildung und Denken sind Mittel zur Erforschung der Wirklichkeit
-
Auf diesen Grundlagen ruht die kognitive Therapie nach Beck.
Stoiker
-
Epiktet: Nicht die Dinge an sich beunruhigen den Menschen, sondern seine Sicht der Dinge.
-
Die Vernunft solle Herrschen (siehe auch Kant).
-
Auf diesen Grundlagen ruht die rational-emotive Therapie nach Ellis.
Rational-emotive Therapie (Ellis, 1958)
-
In diesem Therapieansatz fordert Ellis die Veränderungen irrationaler Denkmuster durch die Vermittlung einer rationalen
Lebensführung . Gleichzeitig macht man sich die Emotionen des Klienten zu Nutze.
-
Zu den verwendeten rationalen Techniken, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll, gehören die Disputation und der sokratische Dialog.
-
Zu den emotiven Techniken gehören Humor, Selbsöffnung, Provokation oder shame attack (siehe Vertiefungsseminar: mit aus der Hose
hängendem Klopapier durch die Stadt laufen.
Kernstück von Ellis Ansatz ist die so genannte ABC-Theorie: Ein aktivierendes Element ruft im Individuum einen Glauben hervor, der
wiederum mit Verhaltens- und Erlebenskonsequenzen einhergeht:
4
Kognitive Therapie (Beck, 1961)
Grundidee
-
Ein weiterer kognitiver Ansatz ist die kognitive Therapie nach Beck.
Sie basiert auf folgenden Annahmen:
-
Kognitionen (Denkprozesse, Bewertungen, Aufmerksamkeit,
Gedächtnis) steuern Emotionen u. Verhalten.
-
Sie sind außerdem verantwortlich für Assoziation von Verhalten und
Konsequenz.
-
Psychische Störungen sind insofern die Folge dysfunktionaler
Verarbeitungsweisen (negativer kognitiver Schemata).
Grundmodell
-
Dysfuntionale Schemata betreffen die eigenen Reaktionen auf Situationen.
-
Automatische Gedanken sind meistens verzerrt und absolutistisch ( Mich mag
sowie so keiner , aus mir wird sowieso nie etwas ).
-
Beispiel: Man hat das dysfunktionale Schema, dass andere einen nicht mögen,
da man unangenehm riecht. Entsprechend wird man sich im vollen Vorlesungssaal unwohl fühlen und glauben, das eigene Deo hätte versagt. Dieses Schema
kann sich zum Beispiel im Kindesalter etabliert haben, wo die Mutter das Kind
vielleicht oft gescholten hat.
-
Dies ist das Grundmodell der kognitiven Therapie, wie es laut seinen Vertretern auf praktisch jede Störung anwendbar ist.
Vermittelt über automatische Gedanken, die durch bestimmte Ereignisse und verschiedene interne und externe Auslöser evoziert werden,
können diese dysfunktionalen Schemata und negativ verzerrte Grundüberzeugungen zu depressiven Symptomen führen.
Kognitive Triade bei Depression
-
Die dysfunktionalen Schemata führen also dazu, dass man die eigene Person, die eigene Zukunft sowie auch die eigene Umwelt negativ
ansieht [siehe rechte Grafik]. Diese Annahmen tragen zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Depressionen bei (automatische Gedanken).
-
Solche automatischen Gedanken sind implizite kognitive Prozesse. Sie laufen also sehr schnell, reflexartig und vorbewusst ab. Man merkt
erst das Outcome, nämlich dass man sich schlecht fühlt.
-
Beispiel: Als eine Person einen Seminaraum betrifft, in dem eine Gruppe von Personen ist, die aber kaum ein Wort sagt, bezieht diese
Person dies automatisch auf sich und fühlt sich schlecht, weil sie glaubt, das betretene Schweigen läge an ihr.
-
Der Person erscheinen diese Gedanken dann in der jeweiligen Situation als angemessen und plausibel.
Die Gedanken drücken sich nicht nur in Gefühlen aus, sondern auch in Gedanken man könnte ergänzen: Worten und Werken. Es kommt
z.B. auch zu Selbstgesprächen.
Techniken der kognitiven Umstrukturierung
-
Die kognitive Therapie versucht nun, diesen automatischen Gedanken an den Hals zu gehen :
-
Identifikation dysfunktionaler Kognitionen: Dazu muss das Implizite um Ersten Schritt expliziert werden. Es muss sprachlich zugänglich gemacht werden und dem Arbeitsgedächtnis zur Verfügung gestellt werden.
-
Dieser Prozess der Explikation geschieht zum Beispiel im sokratischen Dialog.
-
Formulierung einer realistischen Bewertung ( rationale Antowrt ): Nach dieser Explikation wird versucht, eine realistischere Bewertung für die Situation zu finden.
-
Beispiel: Man kommt im Gespräch mit dem Therapeuten dazu, dass es eine verzerrte Bewertung ist, dass die Gruppe aus dem obigen Beispiel aufgrund des Eintretens der eigenen Person in den Seminarraum schwieg (und nicht etwa, weil sie müde war oder gelangweilt usw.).
-
Einüben der Überprüfung von Kognitionen: Anschließend muss der Klient üben, sich und seine Welt auf die neue , rationale Art und
Weise (und nicht in seinen dysfunktionalen Schemata, die erst zur Entstehung der Störung geführt haben) zu sehen.
5
-
Dabei kann man sich zum Beispiel ein Mehrspaltenprotokoll ( Tagebuch ) zur Hilfe nehmen, in denen der Patient einträgt, was er erlebte
und dabei fühlte/dachte (Genaueres siehe unten).
-
Der Klient lernt auch die Selbstinstruktion in kritischen Situationen wie er sich also zu verhalten hat und welchen Gedankengängen er
folgen muss, um nicht wieder in die alten dysfunktionalen Schemata abzudriften.
Erkennen dysfunktionaler automatischer Gedanken
-
Wie erkennt an dysfunktionale automatische Gedanken?
-
Ein wichtiger Indikator ist ein plötzlicher Stimmungsumschwung während der Schilderung durch den Klienten. Solche Stimmungsumschwünge oder emotionalen Reaktionen signalisieren dem Therapeuten, dass er an dieser Stelle weiter explorieren muss.
-
Die Exploration kann dann z.B. mit imaginativen Techniken geschehen. Der Klient soll sich Ereignisse und die einhergehenden Gefühle
und Gedanken vorstellen.
-
Beispiel: Wie sah der Seminarraum aus, als sie eintraten? Was fühlten Sie, als sie die Gruppe sahen?
-
Wichtig ist auch die Selbstbeobachtung des Klienten außerhalb des therapeutischen Kontexts. Hierzu können Tagesprotokolle negativer
Gedanken hilfreich sein [siehe Grafik].
-
Durch prozessuale Aktivierung (z.B. Rollenspiele) können automatische dysfunktionale Gedanken ebenfalls identifiziert werden.
Schilderungen kurz zurückliegender Ereignisse: Man muss von ganz konkreten Ereignissen und Situationen aus. Der Klient/Patient
schildert dem Therapeuten Situationen, in denen er sich schlecht fühlte und versucht, seine Gedanken in dieser Situation möglichst präzise
zu rekapitulieren.
Ferner kann die Konfrontation des Patienten mit den unangenehmen Situationen und eine Analyse der darin ablaufenden Kognitionen und
Emotionen für Identifikation negativer Gedanken genutzt werden.
Tagessprotokoll negativer Gedanken
-
Oft hilft es dem Patienten, die Kognitionen
mithilfe der 3-Spalten-Technik [siehe
Grafik] zu systematisieren.
Sokratischer Dialog
-
Ziel des sokratischen Dialogs ist es, die
vorliegenden Belege für die
dysfunktionalen Überzeugungen zu
überprüfen. Es handelt sich um ein
geleitetes Entdecken .
-
Dies tut man, indem man die von dem Patienten geäußerten Gedanken in einer Ressourcen aktivierenden, nicht aggressiven Weise hinterfragt.
-
Beispiele für sokratische Fragen: Welche Bedeutung hat das für Sie? , Was spricht dafür, was spricht dagegen? , Was wäre daran das
Schlimmste? , Wie würde jemand anderes dies sehen? , Gibt es alternative Sichtweisen? , Welche Auswirkungen hat diese Sichtweise
auf Ihr Leben? ;
-
Als Therapeut bleibt man neutral. Man wertet nicht, gibt nichts vor und beschränkt sich auf das Fragen, mit denen man die Bearbeitungsweise steuert.
-
Die Schlussfolgerung aber muss der Klient selbst aufgrund der eigener Erfahrungen treffen.
Dahinter steht der Grundgedanke des sokratischen Fragens, dass der Patient die Wahrheit längst implizit kennt und sie sich nur explizit
vor Augen führen muss.
-
Genaues Vorgehen::
-
Sammeln von Anhaltspunkten (Beweisen ), die für das Zutreffen der Überzeugung sprechen
-
Aufdecken systematischer Verzerrungen des Denkens ( Logische Fehler )
-
Sammeln von Gegenargumenten ( Gegenbeweisen )
-
Formulierung einer angemessenen Bewertung ( rationale Sichtweise / rationale Antwort )
Kognitive Verzerrungen nach Beck
-
In der kognitiven Therapie nach Beck wurden bereits einige typische kognitive Verzerrungen systematisiert, die er immer wieder bei Patienten bzw. Klienten beobachtet hatte.
-
Alles-oder-nichts-denken ( Ich mache nie etwas richtig )
-
Überstarke Verallgemeinerung
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Voreilige Schlussfolgerung
6
-
Beispiel: Gedankenlesen ( Der denkt bestimmt, dass ich inkompetent bin ) oder wahrsagen ( Dass die Kollegen tuscheln bedeutet ganz
sicher, dass ich jetzt bald entlassen werde. Oder: Meine Chefin wird ganz sicher sagen, dass ich inkompetent bin, wenn sie das sieht. )
-
Übertreibung und Untertreibung
-
Emotionale Beweisführung
-
Beispiel: Ich bin ganz sicher, dass das so ist ich fühle es einfach.
-
Personalisieren
-
Beispiel: Das passiert doch nur mir , Dass ich das nicht schaffe, muss an mir liegen .
Kognitives Neubenennens
-
Durch die Aufdeckung der kognitiven Verzerrungen (z.B. im sokratischen Dialog) will man letztlich ein kognitives Neubenennen der
Gedanken erreichen:
-
Im ersten Schritt erfolgt ein Realitätstest der automatischen Gedanken ( Stimmt das denn so? )
-
Diese werden dann reattribuiert ( Woher kommt das? )
-
Man findet rationale Alternativen (Wie könnte man es anders sehen? )
Beratung
Das Erstgespräch
Nutzen des Erstgesprächs
-
Das Erstgespräch hat zwei Zwecke:
o Informationsgewinnung
o Sicherstellung, dass ein Zweitgespräch stattfindet
-
Zunächst wir der Anlass für das Aufsuchen der Beratung eruiert.
Anschließend wird schnell zur Problemanalyse übergegangen.
o
o
o
o
Aktuelles Problem
Entstehung und Verlauf
Lebenssituation
Wichtig ist die Abklärung von Indikationen für andere Behandlungen (z.B. Psychotherapie, s.u.)
-
Daran sollte sich die Klärung von Erwartungen des Klienten an Beratung sowie der organisatorischen Rahmenbedingungen anschließen
-
Nach einer Zusammenfassung und vorläufigen Problemdefinition sollte man konkrete Beratungsziele erarbeiten.
Indikationen für weiterführende Behandlung
-
Wie oben erwähnt, muss am besten im Erstgespräch geklärt werden, ob eine klinisch relevante psychische Störung (nach DSM-IV)
vorliegt, die eine Behandlung durch einen Psychotherapeuten vorliegt. In diesem Fall sollte der Klient an einen Psychotherapeuten weiter
verwiesen werden.
-
Analog sollte der Klient im Falle einer somatischen Störung, die eine Behandlung durch einen Facharzt notwendig macht, vom Therapeuten an eine entsprechende Stelle weiter verwiesen werden.
-
Bei akuter Suizidalität oder lebensbedrohlichem Drogenkonsum ist eine stationäre psychiatrische Unterbringung indiziert.
Bei Selbst- oder Fremdgefährdung (Person schlägt Familie) endet die therapeutische Schweigepflicht und der Therapeut ist verpflichtet,
die Polizei zu informieren bzw. die stationäre Unterbringung in die Wege zu leiten.
o Straftaten, die nicht das Leben des Patienten oder das Leben Dritter gefährden (wie z.B. Diebstahl) sind hingegen nicht anzeigepflichtig.
Strukturiereung der Beratungssitzung
-
Es empfiehlt sich, Beratungssitzungen zu strukturieren:
o Rückblick: Bilanzierung von Hausaufgaben, Auswertung von Tests etc.
o Planung Tagesordnung für die aktuelle Sitzung
o Intervention: Informationsvermittlung, Klärung (Interpretieren, Konfrontieren), Kognitive Umstrukturierung. Verhaltensübungen, Katharsis
o Abschluss: Geben neuer Hausaufgaben sowie abschließende Zusammenfassung des in der Sitzung Besprochenen und Erreichten.
7
Empirische Überprüfung: Was bringt Beratung?
Metaanalyse von Mullen et al. (1997)
-
Beratung (hier: Patientenedukation) im Gesundheitsbereich hat, wie diese Metaanalyse mit randomisierten und nicht-randomisierten kontrollierten Studien zeigt, mittlere Effekte (zum Beispiel .61 bei Rauchen/Alkohol, .51 bei Ernährung/Gewichtsproblemen, .56 bei anderen
Verhaltensweisen).
-
Als effektiv erwiesen sich dabei vor allem verhaltenstherapeutische Technik, insbesondere die Selbstbeobachtung. Wirkungsvoll war
ferner die Verwendung mehrerer Kommunikationsmittel (z.B. Medien plus persönliches Gespräch).
Metaanalyse von Bower et al. (2003)
-
In dieser Metaanalyse über 6 randomisierte, kontrollierte Studien wurden die Effekte von Beratung jenen der üblichen ärztlichen Primärversorgung gegenübergestellt:
o Bei klinisch relevanten psychischen Störungen hat Beratung bessere Effekte als eine ärztliche Primärversorgung. Diese Vorteile nehmen aber mit der Zeit ab; Beratung ist einer ärztlichen Primärversorgung nur in den ersten 6 Monaten überlegen
o Der Effekt auf die Symptomatik ist nur moderat, hinsichtlich der sozialen Beeinträchtigungen findet sich keinerlei Besserung.
o Die eingeschränkte Wirksamkeit von Beratung, die in der Studie gefunden wurde, kommt jedoch nicht zuletzt durch die kurze Dauer
der Beratungen (4-7 Sitzungen), den Einschluss von subklinischen Störungen und das Fehlen einer effektiven Kontrollbedingungen zustande (Primärversorgung umfasst ja Beratung und Medikamente).
-
Nachfrage: Gibt es auch Evaluationen für subklinische Störungen, z.B. für Familienprobleme?
o Antwort: es ist soeben eine aktuelle Metaanalyse erschienen, deren Ergebnisse Dr. Grosse-Holtforth jedoch noch nicht kennt.
7. Vorlesung am 02.12.2008: Beratung
Krisenintervention nach Traumatisierung
Allgemeines zu Traumata
Definition von Trauma
-
Schon Freud (1920) beschrieb die wichtigsten Charakteristika von Traumata. Er beschreibt sie als Situationen, die aufgrund übermäßiger
Stimulation, mangelnder Abreaktion und Vorbereitung zu einem Versagen des Reizschutzes führen.
-
Im DSM-3R (1987) war die Definition insofern pragmatischer als heute, als Traumata einfach als Ereignisse definiert wurden, die außerhalb der normalen menschlichen Erfahrungen liegen.
o Diese weit gefasste Definition ist jedoch sehr ungenau: Eine Wahl zur Kanzlerin beispielsweise ist zwar außerhalb der normalen
menschlichen Erfahrung, sie hinterlässt jedoch wohl kaum ein Trauma und zwar deswegen, weil die Person ja darauf vorbereitet war
und das Geschehnis sogar Ziel ihrer Handlungen war.
-
DSM-IV (1994): In der Überarbeitung des DSM wurde präzisiert, was mit traumatischen Ereignissen gemeint ist, nämlich Ereignisse, bei
denen...
o eine Konfrontation mit Tod, Lebensgefahr, starke Körperverletzung oder körperliche Unversehrtheit von sich oder anderen vorlag
o die Person mit intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen reagierte
-
Die Präzisierung erfolgte also in zweierlei Hinsicht: Einerseits hinsichtlich des Stimulus (droht körperlicher Schaden?) und hinsichtlich der
Quelle; man muss die Situation nicht selbst erleben, es reicht auch, wenn man (z.B. medial vermittelt) beobachtet, wie andere ein Trauma
erleben. Andererseits hinsichtlich der Reaktion (Furcht etc.).
§ Beispiel: Nach dem 11. September hatten zahlreiche Menschen, welche die Ereignisse nur über das Fernsehen verfolgt hatten,
Traumata.
Häufigkeit bestimmter Traumata (siehe Tabelle).
-
Ein Trauma ist nicht dasselbe wie eine posttraumatische Belastungsstörung
(PTSD)
-
In der Tabelle sieht man, dass Unfälle (als Betroffener oder als Zeuge erlebt)
und Gewalt nicht-sexueller Natur die häufigsten Ursachen von Traumata,
gefolgt von Feuern und Naturkatastrophen.
-
Diese Traumata sind jedoch (glücklicherweise) nicht jene, die am häufigsten
zu PTSD führen. Dies sind nämlich Vergewaltigungen und Kriegserlebnisse.
8
Eine ebenso große Wahrscheinlichkeit, zu PTSD zu führen, haben Misshandlungen in der Kindheit, obwohl auch diese eher selten Ursachen für Traumata sind.
-
Die Lebenszeit-Häufigkeit einer Konfrontation mit Katastrophen beträgt in den USA hohe 13%. In Europa dürfte diese Wahrscheinlichkeit
etwas geringer sein.
o In Entwicklungsländern ist diese Wahrscheinlichkeit wie auch die absolute Zahl der Betroffenen deutlich höher. Weltweit werden in
Entwicklungsländer etwa 117 Mio. Menschen pro Jahr traumatisiert, während es in den entwickelten Ländern 700.000 pro Jahr sind.
Klassifikation von Traumata
-
Man kann Traumata nach ihrer Verursachung grob wie folgt einteilen:
o Menschlich verursachte Traumen ( man made disasters )
o Katastrophen, berufsbedingte, Unfalltraumen
-
Außerdem kann man nach der Dauer der Symptome unterscheiden:
o Kurzdauernde traumatische Ereignisse (Typ-I-Traumen)
o Längerandauernde, wiederholte Traumen (Typ-II-Traumen)
-
Schließlich kann man Traumata auch nach dem Kontext ihres Auftretens einteilen:
o Zivile Traumata:
§ Menschengemacht: Vergewaltigung, sexueller Missbrauch, körperliche Gewalt, Terroranschlag, technologische Unfälle, Verkehrsunfälle
§ Naturkatastrophen: Erdbeben, Tordnado, Flut, Feuer
o Kriegstraumata: Kriegseinsatz, Verletzung, Gefangenschaft, Konzentrationslager, Flucht, Folter.
Einflussfaktoren auf die Entwicklung von Traumata
-
Die Redefinition von Traumata im DSM-IV erlaubte eine Berücksichtigung von Merkmalen der Betroffenen. So lassen sich Moderatoren
identifizieren, die sich auf die Wahrscheinlichkeit von PTSD auswirken und deren Schweregrad mit bestimmen.
o Merkmale von Traumata: Schweregrad, Dauer, Geschwindigkeit des Eintretens, Vorwarnung, Todesnähe
o Merkmale von Betroffenen: Alter bei der Traumatisierung, Interpretation des Traumas, Ausmaß der Trauerreaktion, Selbstaufgabe
während Trauma, Mitverantwortung anderer Personen/Gesellschaft an der Lebensbedrohung, Aktive oder passive Rolle des Betroffenen
-
Beispiele für Auswirkungen der Faktoren: Das Risiko, nach Folter PTSD zu entwickeln, ist deutlich geringer bei politischen Gefangenen
als bei Menschen, die keine Erklärung dafür haben, warum sie gefoltert werden. Selbstaufgabe während der Folter erhöht die Wahrscheinlichkeit für PTSD.
Akute Belastungsstörungen nach DSM-IV
-
Akute Belastungsstörungen sind unmittelbar nach dem Ereignis auftretende Symptome.
o Gemeint ist also das Erleben oder Beobachten eines traumatischen Ereignisses (außergewöhnliche Bedrohung, Lebensbedrohung), das
mit Furcht/Entsetzen einhergeht. Es kommt zu Betäubung, Depression, Angst, Ärger, Verzweiflung, Überaktivität oder Rückzug.
-
Diese unmittelbar nach dem Ereignis einsetzenden Symptom dauern maximal einen Monat an (sonst handelt es sich nicht mehr um akute
Belastungsstörungen).
Posttraumatische Belastungsstörung nach DSM-IV
-
Von akuten Belastungsstörungen ist die PTSD sowohl von hinsichtlich der Symptome als auch hinsichtlich des Schweregrads zu unterscheiden.
-
Nach der Konfrontation mit traumatischem Ereignis (außergewöhnliche Bedrohung, Lebensbedrohung), die zu Furcht, Hilflosigkeit oder
Entsetzen führt, kommt es hier oft zu einem wiederkehrenden, belastendes Wiedererleben der traumatischen Situation.
-
Die Betroffenen vermeiden daher Hinweisreizen, die mit dem Trauma assoziiert sind und besitzen oft eine reduzierte emotionale Reagibilität ( emotionale Taubheit ). Auch kann es zu Übererregung kommen, sodass die Betroffenen keinerlei, auch nicht leichtesten, Belastungen
mehr gewachsen sind.
-
Der Beginn der Symptome ist dabei innerhalb von 6 Monaten nach dem auslösenden Ereignis anzusiedeln; die Dauer der Symptome d.h.
die Beeinträchtigung hält mindestens 1 Monat an.
-
Dauer: Beeinträchtigung mind. 1 Monat
9
Folgen von Traumata
Typische Folgesymptome
Intrusionen
-
Intrusionen sind sich aufdrängende, intensive Erinnerungen an Ereignisse. Sie sind meistens unter dem englischen Namen Flashback
bekannt.
-
Sie werden durch bestimmte Reize ausgelöst, die Erinnerungen an das Trauma auslösen. Solche Reize können sein:
o
o
o
o
o
-
intensive Emotionen
somatosensorische Empfindungen (visuell, akustisch, olfaktorisch)
Alpträume
Flashbacks (ganzheitliche Wiedererleben als unmittelbar real ( Hier-und-Jetzt-Qualität )
Wahrnehmungsstörungen, z.B. Pseudohalluzinationen (Blitzlichter, realistische Trugbilder)
Die Auslösung ist dabei leicht und generalisiert auch stark über Reize.
Menschen, die solche Flashbacks erleben, können für einen Moment nicht mehr differenzieren, ob sie sich nun wieder in der traumatischen
Situation befinden oder in der Realität.
Dissoziation
-
Unter Dissoziationen versteht man Unterbrechungen von Bewusstheit, Gedächtnis, Identität oder Wahrnehmung der Umwelt. Diese Symptome sind meist kurzzeitig
-
Blackouts (Gedächtnisausfälle) entsprechen einer (spezifischen) Amnesie. Die Personen können sich an Ereignisse überhaupt nicht mehr
erinnern, obwohl diese dem Gedächtnis durchaus zugänglich sein müssten.
-
Detachment meint ein Gefühl von Losgelöstheit von der Realität, das Traumatisierte bisweilen empfinden.
-
Bei Depersonalisation handelt es sich um ein verändertes Erleben der Identität.
o Beispiel: Man nimmt sich selbst regelrecht von außen wahr oder empfindet eine Teilung in beobachtende und handelnde Person
o Teilweise kommt es auch zu Identitätswechseln: Eine Hintergrund-Identität (der sog. hidden observer) ubernimmt Kontrolle über
Handlungen à primär erlebte Persönlichkeit
Zwanghafte Selbstkonfrontation mit Traumata (Van der Kolk & McFarlane, 1996)
-
Ein risikoreiches wissenschaftliches Konzept in dem Sinne, dass es Therapeuten zu spontanen falschen Erklärungen verleiten könnte, ist
die zwanghafte Selbstkonfrontation mit Traumata . Diese kommt laut den Autoren vor allem bei Patienten mit Kindheitstraumata vor.
-
Auswirkungen einer solchen Selbstkonfrontation können zum Beispiel sein:
o Delinquentes Verhalten, Gewalt gegen andere
o Selbstschädigendes Verhalten (Suizidalität, Selbstverletzung)
o Reviktimisierung (z.B. Missbrauch in Kindheit à wiederholte Vergewaltigung, Promiskuität, Prostitution)
-
Man sollte jedoch und das ist die oben angesprochene Gefahr dieses Konzepts nicht generalisieren, dass eine Person sich z.B. deswegen
prostituiert, weil sie in der Kindheit missbraucht wurde oder jemanden vergewaltigt, weil sie selbst vergewaltigt wurde. Häufige ist ohnehin
selbstschädigendes Verhalten, welches als eine Art Emotionsregulationsstrategie aufgefasst werden kann.
Vermeidung und Betäubung
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Häufig wird die Erinnerung vermieden.
-
Intensive Emotionen versuchen die Betroffenen zu Dämpfen, z.B. durch Drogen oder Alkohol.
Eine weitere Folge der Traumatisierung kann die Sensitivierung/Generalisierung der Auslösung von Intrusionen sein, die dann zum Rückzug aus sozialen Situationen oder von den potentiell auslösenden Stimuli führen kann.
o Beispiel: Man geht nicht mehr in die Uni, weil man dort einmal gesehen hat, wie ein Kommilitone vom Dach gesprungen ist.
Unfähigkeit zur Affektmodulation
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Hypervigilanz, hohes Erregungsniveau, Schlafprobleme
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Intensive negative Emotionen bei geringfügigen Auslösern
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Aggressive Überreaktionen vs. Freezing (Blockade von Emotionen)
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Generalisierung von Bedrohung: Verlust der Alarmfunktion von Gefühlen
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Langzeiteffekte von Traumata
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Im Folgenden werden mögliche langfristige Effekte von Traumata systematisiert.
1. Generalisierte und unkontrollierbare Übererregung
-
(Auto-)Aggression
-
Unkontrollierbare sexuelle Impulse
-
Probleme, soziale Bindungen aufrechtzuerhalten (Abhängigkeit vs. Isolation)
-
Somatisierung
2. Kognitive Defizite
-
Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen
-
Verändertes Zeitempfinden
-
Dissoziation
3. Verlust an Sinn und Bedeutung
-
Verlust an Vertrauen, Hoffnung
-
Einschränkung/Verlust von Denken als
-
Probehandlung
4. Soziale Vermeidung
-
Verlust an bedeutungsvollen Bindungen
-
Vermeidung von Zukunftsplanung
5. Komorbide Störungen
-
Depressionen
-
Angststörungen (Generalisiertes Angstsyndrom,
Panikattacken)
-
Substanzmissbrauch/-abhängigkeit
Überblicksschema
-
Das obige Schema ist ein deskriptives Modell, welches verdeutlicht, welche Problemzusammenhänge relevant sind und was Ziel einer
Therapie sein sollte: die Integration des traumatischen Ereignisses in das eigenen Verhalten und Erleben.
Andauernde Persönlichkeitsveränderungen nach Extrembelastung
-
Nach Traumatisierung kann es auch zu lang andauernden Persönlichkeitsveränderungen kommen: Manche Betroffene entwickeln eine
feindliche, misstrauische Haltung gegenüber der Welt nach langanhaltenden, wiederholten Traumata.
-
Im Extremfall kann es auch zur Entwicklung einer Borderline-Persönlichkeitsstörung kommen.
o Kennzeichen: Vermeiden von Verlassenwerden; instabile, intensive zwischenmenschliche Beziehungen (Idealisierung/ Entwertung),
Instabilität des Selbstbildes, Impulsivität, Wiederholte suizidale Handlungen, Selbstverletzungsverhalten, Affektive Instabilität, Chronische Gefühle von Leere, heftige Wut; paranoide Vorstellungen, dissoziative Symptome.
Verlauf der PTSD
Remissionsquoten / Heilungsschancen
-
Auftreten erster Symptome meist sofort nach Trauma = akute Belastungsstörung
o bei 11% treten die Symptome verzögert auf
-
Die Wahrscheinlichkeit einer Remission 1 Jahr nach dem Trauma beträgt ohne Behandlung bereits ca. 50%
-
Dauer der Symptome ist variabel; nach 3 Monaten vollständige Remission bei 50%; ca. 33% chronischer Verlauf
o Dauer bei chronischem Verlauf: Mit Therapie 36 Monate, ohne Therapie 69 Monate
o Behandlungsprognose: 50% Remission nach 2 J.
o Die Schwere der ersten Symptome beeinflusst maßgeblich die Wahrscheinlichkeit eines chronischen Verlaufs
-
Die gute Nachricht lautet also: Viele Betroffene kommen über die posttraumatischen Belastungen hinweg.
11
Geschlechtsunterschiede bei PTSD
-
Frauen erleben, wie nebenstehende Tabelle zeigt, mehr posttraumatische
Belastungsstörungen, aber dies liegt nicht daran, dass sie unterschiedlich
stark mit Traumata konfrontiert werden, sondern vielmehr an der Art der
Traumata: Bei Frauen sind dies eben sexuelle Traumata, bei Männern
hingegen Kindheitstraumata (Missbrauch, Vernachlässigung) und
Kriegstraumata.
-
Die Komorbidität ist bei Männern und Frauen ähnlich gegeben.
Es scheint jedoch insgesamt tatsächlich so zu sein und warum dies so ist,
ist durch die Forschung bislang nicht erklärt worden dass Frauen eine
höhere Wahrscheinlichkeit haben, Traumata zu entwickeln.
Theorien zur Ätiologie
-
Psychoanalytische Theorien
-
Informationsverarbeitungsmodell von Horowitz
-
Informationsverarbeitungsmodell von Ehlers und Clark
-
Netzwerk-Theorie von Foa und Kozak
-
Biologische Theorien
Interventionsansätze und Diagnostische Verfahren
Interventionsansätze
-
Wir werden uns in diesem Semester noch nicht allzu intensiv mit Therapien, wohl aber mit Präventionsansätzen beschäftigen. Einige der
wichtigsten Therapieansätze sind:
o
o
o
o
Prävention: Critical Incident Stress Management (Mitchell )
Kognitive Therapie (Ehlers & Clark)
Exposition (Foa)
Eye-Movement-Desensitization and Reprocessing (Shapiro)
Diagnostische Verfahren
-
Bei der Diagnose ist man auf standardisierte Instrumente angewiesen. In Deutschland sind dies das DIPS oder SKIP
-
Bekannt ist auch die Impact of Event Scale (Horowitz et al., 1979), die auf einem gemischten psychodynamisch-kognitiven Ansatz beruht.
-
Posttraumatic Stress Diagnostic Scale (Foa et al., 1997)
-
Depression: Beck Depressions-Inventar
Horowitz: Phasen der Verarbeitung von Traumata (1986)
-
Horowitz versuchte, typischerweise auftretende Phasen der Verarbeitung von Traumata zu identifizieren. Er mischt dabei, wie oben erwähnt, psychodynamische und kognitive Ansätze.
-
Er geht davon aus, dass durch das Erleben eines Traumas
die Person in Aufruhr gelangt ( Aufschrei ).
-
Die Betroffenen versuchen, die Realität zu verdrängen und
zu verleugnen, was ihnen aber nicht gelingt; vielmehr
kommt es zu Intrusionen.
-
Die neuen Erfahrungen können nicht in das normale kognitive und emotionale Funktionieren eingebaut werden. Trotz
des Versuchs, das Erlebte auszublenden, kommt es also
immer wieder.
-
Günstiger Verlauf: Schafft man es, die Erinnerungen aufzuarbeiten, indem die traumatischen Erfahrungen in das
Seelenleben integriert werden, lassen die psychischen und
psychosomatischen Leiden nach.
12
-
Ziel der Therapie ist die Wiederherstellung der Lebens- und Arbeitsfähigkeit, was dann auch den Abschluss einer Verarbeitung des Traumas bedeutet.
o Viele Menschen (s.o.) schaffen dies ohne Therapie.
-
[Untere Grafik:] Horowitz geht davon aus, dass es bestimmte Abwehrmechanismen (wie die Verleugnung) gibt, die gegen Intrusionen
schützen können. Diese können das aber nicht vollständig, was zur Oszillation zwischen Verleugnung und Intrusion führt.
Prävention von Traumatisierungen nach Großschadensereignissen
-
Zielpersonen: Wir betrachten hier Präventionen für professionelle Helfer (Rettungskräfte) sowie andere Risiko-Personen
-
Training
o Handlungen
o Informationen zu Umgang mit Hilflosigkeit, Angst, Identifikation mit Opfer
-
Führungspersonen: Information, physische Sicherheit, Gruppenkohäsion
-
Organisation: Kontrolle der Exposition, Rotationspläne, Begrenzung der physischen Belastung.
Interventionen bei akuten Belastungsreaktionen: Erste Maßnahmen
-
Bei zum Beispiel durch Großschadensereignisse ausgelöste akute Belastungsreaktionen versucht man, möglichst sofort zu intervenieren,
um eine Chronifizierung der Traumatisierung zu verhindern. Dabei versucht man folgende Schritte zu beachten:
1. Sicherheit und Vorhersagbarkeit im Setting
o Unmittelbar nach dem Trauma sollte den Betroffenen Sicherheit vermittelt werden. Sie sollten in einen sicheren Rahmenkommen, in
denen ihnen nichts mehr passieren kann. Sie sollten sich sicher sein, dass ihnen das Ereignis nicht wieder passieren kann.
2. Diagnostik
-
Anhand der Reaktionen der Betroffenen versucht man bereits zu eruieren, wer besonders stark betroffen sein könnte. Die anschließe Diagnostik richtet sich auf folgende Kriterien:
o
o
o
o
o
o
o
o
Intrusives Wiedererleben
Vegetative Übererregung
Betäuben emotionaler Reaktionen
Verlust emotionaler Selbstregulation
Störungen von Aufmerksamkeit, Erinnerung
Dissoziation
(Auto-)aggression
Psychosomatische Reaktionen
3. Emotionale Stabilisierung
- Vermittlung eines Erklärungsmodells für die Symptome: Man versucht den Betroffenen klar zu machen, dass ihre Empfindungen normal
sind und eine klare Ursache haben.
- Vermittlung eines Therapierationales: Man bietet den Betroffenen Hilfe an (zwingt sie aber keineswegs auf!) und beschreibt ihnen, was mit
einer Therapie zu erreichen wäre.
- Identifikation und Benennung von Gefühlen
o Hierzu sollte man jedoch niemanden zwingen, da viele gerade professionelle Helfer es zu ihrem Selbstbild gemacht haben (auch als
Schutz), keine Gefühle zu zeigen.
- Man stabilisiert so insgesamt die Personen, indem man ihnen auf kognitiver Ebene Orientierung und Kontrolle vermittelt die wohl wichtigsten menschlichen Grundbedürfnisse.
Critical Incident Stress Management (CISM)
Überblick
-
Die Critical Incident Stress Management (CISM) von Mitchell & Everly (1997) ist ein mehrstufiges System von Interventionsmöglichkeiten und -techniken
-
Dabei werden Prävention und Nachsorge kombiniert.
o Schulung und Ausbildung (präventiv)
o Individuelle Krisenintervention
13
o
o
o
o
Defusing
Debriefing
Familien-/Organisationsunterstützung
Nachsorge/Überweisung an Fachärzte (falls nötig)
CISM: Ziele
-
Relativierung des Gefühls der Einzigartigkeit des Traumas
-
Normalisierung der Erfahrung und Reaktion
-
Reaktivierung kognitiver Funktionen/Prozesse
-
Informationsvermittlung über Traumafolgen und Maßnahmen zur Stressbewältigung
-
Indikation und Überweisung zu weiterführenden Maßnahmen
CISM: Individuelle Krisenintervention
-
(1) Vor-Ort-Intervention nach SAFER-Modell:
o Stabilisierung/Stimulationsreduktion (Reduktion der unmittelbaren Sinneseindrücke)
o Akzeptieren der Krise (Ereignis, Empfindungen, Gefühle schildern lassen)
o Falsche Bewertung der Reaktionen korrigieren (als verständlich und normal bezeichnen)
o Ermutigen/Erklären von Stress und Stressreaktion
o Rückführung in Tätigkeit/Aufgabe oder Einleitung weiterer Maßnahmen
-
(2) nach Ende des Ereignisses: Defusing, Debriefing oder Therapie
o Diese beiden elementaren Bestandteile werden nachfolgend genauer beschrieben.
CISM: Defusing
-
Der Begriff Defusing (engl. für entschärfen ) meint, dass versucht wird, die Schwere der Traumatisierung gleich nach ihrem Eintreten zu
reduzieren bzw. ein Trauma gar nicht erst entstehen zu lassen, indem man die traumatischen Erfahrungen in einer Art Gruppensitzung reflektiert und zu verarbeiten versucht:
o
o
o
o
o
o
-
nur potenziell traumatisierte Teilnehmer
möglichst innerhalb von 12 Std., max. 24 Std. nach dem Ereignis/Einsatzende ( emotionale Reaktionsphase )
sichere Umgebung, nicht am Ort des Geschehens
kleine Gruppen, max. 8 Teilnehmer
Leitung durch erfahrene, ausgebildete Person
Dauer meist 30-60 Minuten
Die Phasen solcher Defusing-Sitzung sind:
o 1. Einführung
§ Vorstellung
§ Erleichterung durch Reden
o möglichst keine belastenden Aussagen
o 2. Exploration
§ Ereignis, Empfindungen und Gefühle
o 3. Information
§ Zusammenfassen: normale Reaktionen normaler Menschen auf nicht normale Situation
§ Verhalten subjektiv richtig keine Schuldgefühle!
§ Verhaltensempfehlungen (Essen, Trinken, Rauchen, Familie, Freizeit usw.)
§ mittelfristige Perspektive; weitere Hilfe
CISM: Debriefing
-
Letzter Bestandteil des CIDM ist das so genannte Debriefing (Abschlussbesprechung)
o
o
o
o
Dabei handelt es sich um eine Gruppenintervention zur Unterstützung der Verarbeitung von Traumata (4-20 Teiln.)
1-3 Sitzungen, in der Regel 6-10 Tage nach Trauma
kognitive Bewältigungsmechanismen müssen bereits greifen
Leitung: erfahrene, ausgebildete Person
14
o Mitwirkung von peers und bedeutsamen Personen aus dem Umfeld
o Dauer 2,5-3 Std.
o anschließend informelles Beisammensein
-
Die Phasen eines solchen Debriefings sind:
o
o
o
o
o
o
o
-
(1) Einführung
(2) Rekonstruktion der Fakten
(3) Gedanken während des Geschehens
(4) Gefühlsreaktionen
(5) körperliche Auswirkungen (Symptome)
(6) Informationen über weitere Planung
(7) Abschluss, Zusammenfassung, Wiedereingliederung
Dabei gilt es folgende Regeln des Debriefing zu beachten:
o
o
o
o
o
o
o
o
o
strikte Vertraulichkeit - jeder spricht nur für sich
niemand wird zum Reden gezwungen
keine Aufzeichnungen
niemand sollte den Raum verlassen
Dienstgrade/Funktionen sind bedeutungslos
keine Kritik an Personen oder operationellen Aspekten
belastende (juristisch relevante) Aussagen vermeiden
Fragen sind jederzeit möglich
keine Pausen, keine Handys, kein Essen
Metaanalysen zur Wirksamkeit des Debriefing
-
Wie die Tabelle zeigt, ist die Wirksamkeit des Debriefing jedoch
umstritten. Während eine frühe metaanalytische Studie
vielversprechende Effekte lieferte, fanden Rose und Kollegen 2001
einen Nulleffekt.
o Dieser Nulleffekt kann aber nur dann zustande kommen, wenn
in einigen der Studien auch negative Effekte des Debriefing
gefunden wurden. Debriefing könnte also unter Umständen sogar schaden.
-
Zwei weitere Metaanalysen lieferten allenfalls moderate Effektstärken, sodass nach wie vor großer Forschungsbedarf auf diesem Gebiet
besteht. Es gilt, verschiedene Fragen zu klären:
o
o
o
o
Kommt es durch das Debriefing zu einer sekundären Traumatisierung?
Führt es zu einer Sensibilisierung für die Symptome / zu Scham?
Welche Kontrollbedingungen könnte man für Studien definieren? Dies erscheint schwierig.
Was genau ist die Definition von Debriefing (in der Praxis findet sich eine unspezifische Anwendung unterschiedlicher Techniken)
8. Vorlesung am 09.12.2008: Suizidalität
Was sind Krisen?
Definition: Krisen
-
Ereignisse oder Lebenssituationen, die aufgrund äußerer Belastungsfaktoren oder subjektiver Interpretationen als bedrohlich erlebt werden
und deren kognitive, emotionale und handlungsbezogene Anforderungen die Bewältigungsfähigkeiten der Person übersteigen
o Die unterstrichenen Teile kennzeichnen die besonders wichtigen Teile der Definition
- In einer phasenhaften Vorstellung folgt eine Krise idealtypischerweise dem folgenden Ablaufschema.
o Schock
o Versagen der Problemlösestrategien
o Mobilisierung: Aufbäumen, sämtliche Ressourcen werden aktiviert
o Labilisierung: Das Aufbieten sämtlicher Ressourcen waren nicht ausreichend und die Person wird geschwächt
o Syptomentstehung
15
- Für alle Phasenschemata gilt: Sie müssen nicht so ablaufen wie sie es idealtypisch vorsehen. Ebenso kann man bei einer bestimmten Stufe
aussteigen oder zu einer früheren Stufe zurückkehren.
Auslöser von Krisen
- Intrapsychisch
o Motivationale Konflikte, z.B. bei einer studierenden Mutter, deren Tochter akut erkrankt.
o Verlusterfahrungen: Tod eines Nahestehenden
o Emotionale Desorganisation: Man weiß nicht, wie man eine Situation emotional einzuordnen hat, z.B. wenn man sich als treuer Partner sieht und dann fremd geht.
o Versagen, Kränkungen: Das mehrmalige Nichtbestehen einer Prüfung ist ein individuelles Problem, stellt aber auch eine objektive Belastung dar.
- Psychosozial
o Interpersonelle Konflikte: In Partnerschaft, Familie, Freundschaften
o Zusammenbruch funktionierender Systeme: Scheidung, Tod eines Angehörigen, Arbeitsplatzverlust
- Traumatisierungen: Vergleiche letzte Sitzung
- Somatische Krisen
Ätiologische Modelle
- Im Folgenden werden verschiedene Modelle zur Beschreibung und Entstehung von Krisen behandelt.
Entwicklungsmodell (Erikson, 1959)
- In Eriksons Modell sind Krisen gleichsam vorgegeben: Sie sind eine Zuspitzung von Entwicklungsaufgaben und bergen das Potential der
Reifung, wenn die Krise erfolgreich bewältigt wird. Beispiele
o Adoleszenzschock
o Pensionsschock: Nach der Verrentung muss man sich neu orientieren und organisieren
o Partnerwahl
o Berufswahl
- Nach Piaget (1981) laufen bei der Bewältigung von Krisen auf kognitiver Schema-Ebene die Prozesse Assimilation und Akkomodation ab.
o Assimilation: Die neuen Herausforderungen können in die bisher vorhandenen Schemata eingebaut und integriert werden.
o Akkomodation: Man entwickelt ein neues Selbstkonzept, das den neuen Umständen Rechnung trägt.
- Grawe (2000) beschreibt das Konzept der Ist-Soll-Diskrepanz unter dem Titel Inkongruenz: Die Realität stimmt nicht mit den Verarbeitungsschemata übereinstimmt.
o Oder motivational formuliert: Die Handlungsmöglichkeiten stimmen nicht mit den Lebenszielen überein.
Life-event-Modell (Filipp, 1993)
- Kritische Lebensereignisse sind Ereignisse, die den bisherigen Erwartungen widersprechen. Damit stellen sie eine Ist-Soll-Diskrepanz, d.h.
eine Inkongruenz, dar.
o Sie können immer, d.h. unabhängig von Entwicklungsstufen, auftreten.
Stress-Coping-Modell (Lazaraus & Folkman, 1984)
- Die subjektive Interpretation von Belastungen wird von Stress-Coping-Modellen betrachtet.
o Primary appraisal: Einschätzung, wie relevant und gefährlich/bedrohlich ein Ereignis für mich ist.
o Secondary appraisal: Einschätzung, wie man mit den eigenen Möglichkeiten die Situation bewältigen kann.
- Bewältigungsstrategien sind
o Problemorientiert: Situation verändern
o Emotionsorientiert: Wenn man die Situation nicht verändern kann, hält man seine Emotionen noch unter Kontrolle.
Modelle zur Entstehung von Bewältigungsdefiziten
- Wieso kommt die betreffende Person mit den Situationen nicht zurecht?
o Nach den Lerntheorien kommt es beispielsweise zu Krisen, wenn man einen Kontrollverlust erfährt oder es zur erlernten Hilflosigkeit
ich kann sowieso nichts ändern ) kommt.
o Ressourcenkonzept: Es gibt persönliche und soziale Ressourcen. Man könnte aber auch in motivationale ( Was will ich? ) und potentiale ( Was kann ich? ) Ressourcen unterteilen.
§ Es könnte beispielsweise sein, dass man zu schnell emotionsorientiert reagiert, d.h. nicht versucht etwas an der Situation zu ändern
(seine problemorientierten Ressourcen nicht nutzt), sondern sich nur um seine Emotionen kümmert.
16
Kriseninterventionen: Ablauf
Erstkontakt (Diagnostik)
- Als Berater oder Therapeut ist es wichtig zum Klienten zunächst eine vertrauensvolle Beziehung herzustellen.
- Eine therapeutische Beziehung besteht laut Bordins Drei-Komponenten-Theorie aus drei Komponenten:
§ Bond: Therapeut und Patient müssen sich gegenseitig mögen.
§ Goal: Was ist das Ziel der Intervention?
§ Task: Therapeut und Patient sind sich einig, wie sie das Ziel erreichen.
o Diese drei Komponenten sollten selbst in einem Krisengespräch einigermaßen erfüllt sein.
- Die Problemanalyse gehört zur Goal-Komponente: Es wird erfragt, was zur Krise geführt hat (Krisenanlass) und welche Bedeutung sie für
den Klienten hat.
- Anschließend sollte der Therapeut/Berater mit dem Klienten gemeinsam die Bewältigungsressourcen analysieren: Man unterscheidet zwischen folgenden beiden Arten von Ressourcen:
o Persönliche Ressourcen: Selbstwirksamkeit, Optimismus, Kontrollüberzeugungen, Problemlösefähigkeiten
o Soziale Ressourcen: Unterstützung durch eine Gruppe oder Andere
- Eine Diagnostik (meist ein kurzes Screening) bereits vorliegender psychischer Symptome oder Störungen ist immer wichtig, um nichts
unberücksichtigt zu lassen.
Krisenintervention: Erstkontakt (Interventionen)
- Ganz am Anfang steht auch bei eiligen Erstkontakten in Krisensituationen (1) der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung. Dies entspricht der oben genannten Drei-Komponenten-Theorie.
- Zunächst ist es wichtig, abzuschätzen, wie gefährlich die Situation ist. Im schlimmsten Fall müssen (2) Selbst- und Fremdgefährdung abgewendet werden. Nach Klärung dieses Punktes gilt es
o Den Klienten emotional stabilisieren: Dies geschieht oftmals über das Herausnehmen aus der aktuellen Situation, z.B. Auszug aus der
gemeinsamen Wohnung.
- Erst wenn die Person einigermaßen stabilisiert ist, geht man die (3) Problembearbeitung an und analysiert dabei die Bewältigungsressourcen.
- Für den letzten Schritt (4) Hausaufgaben benötigt man eine weitgehende Stabilisierung. Dieser Schritt ähnelt schon sehr einer Psychotherapie.
Kriseninterventionen: Weitere Interventionen
-
Die Intervention muss dem Patientien helfen, die Krise in die eigenen Schemata einzubauen.
Gleichzeitig ist auch eine Distanzierung von der Krise wichtig, damit er die Ereignisse von außen betrachten kann.
Im weiteren Verlauf kann man versuchen, dysfunktionale Schemata, z.B. verzerrte Denkmuster, verändern.
Techniken wie Rollenspiele und Entspannungstechniken oder Imaginationsverfahren können erst sehr viel später nach der Bewältigung der
akuten Krise angewandt werden.
Psychopathologische Krisenreaktionen
- Die Folgen von Krisenreaktionen werden in den folgenden Abschnitten dargestellt: Anpassungsstörung, Akute Belastungsstörung, Posttraumatische Belastungsstörung, Depression, Erregungszustände, Suizid
Anpassungsstörung nach DSM-IV
Diagnostische Kriterien nach DSM-IV
- Entwicklung klinisch bedeutsamer emotionaler oder verhaltensmäßiger Symptome als Reaktion auf einen oder mehrere identifizierbare
psychosoziale Belastungsfaktoren
-
Auftreten innerhalb von 3 Monaten nach Beginn der Belastung
Klinische Bedeutsamkeit
Ausschluss anderer Störungen auf Achse I oder II oder von einfacher Trauer
Dauer: max. 6 Monate nach Beendigung der Belastung (oder deren Folgen); länger als 6 Monate, wenn Belastung chronisch oder Folgen
langanhaltend
Akute und posttraumatische Belastungsstörungen
- Auslöser: Erleben oder Beobachten eines traumatischen Ereignisses (außergewöhnliche Bedrohung, Lebensbedrohung) und
Furcht/Entsetzen
17
o Im Vergleich zur Anpassungsstörung sind die auslösenden Ereignisse heftiger und ungewöhnlicher.
- Akute Belastungsstörung:
o Beginn: unmittelbar nach Ereignis
o Dauer: max. 1 Monat
- Posttraumatische Belastungsstörung
o Beginn: innerhalb von 6 Mo. nach Ereignis
o Dauer: Beeinträchtigung mind. 1 Monat
Depressive Episode nach DSM-IV
- Eine depressive Episode muss nicht von einem konkreten Ereignis abhängen, sondern ist rein symptomatisch definiert:
o Entweder hat man mindestens 2 Wochen lang eine depressive Verstimmung (an fast allen Tagen oder die meiste Zeit des Tages)
o Oder: Interessenverlust an fast allen Aktivitäten, d.h. mindestens 4 der folgenden Symptome müssen gegeben sein:
§ Gewichts- oder Appetit -abnahme oder -zunahme
§ Schlafstörungen
§ Psychomotorische Unruhe oder Verlangsamung
§ Müdigkeit, Energieverlust
§ Gefühle von Wertlosigkeit, Schuldgefühle
§ Eingeschränkte Fähigkeit zu Denken, Konzentration, Entscheidungen
§ Gedanken an Tod, Suizidalität
Erregungszustände
- Äußern sich beispielsweise dadurch, dass Personen einen Kontrollverlust oder aggressive Durchbrüche erleben. Sie können mit anderen
psychischen Störungen wie der katatonen Schizophrenie oder der Manie auftreten.
- Es gilt also abzuklären, ob Erregungsstände einen spezifischen Auslöser haben oder die Symptome ein Effekt anderer Störungen sind.
Suizidalität
Einteilung von Suizidtendenzen
- Man kann eine Rangfolge bilden
o Suizidgedanken: Haben sehr viele Menschen, sehr wahrscheinlich
bei psychischen Problemen
o Suizidabsicht: Wenn die Gedanken an einen Suizid sich zu einer
konkreten Absicht formen, würde Heckhausen vom Überschreiten des Rubikon sprechen. Es gibt noch keinen konkreten Plan,
wie der Suizid umgesetzt werden soll.
§ Ab dieser Stufe ist eine stationäre Behandlung indiziert
o
o
o
o
Suizidplan: Konkrete Umsetzung ist geplant.
Unvollkommener Suizidversuch
Suizidversuch
Suizid
Entwicklung der Suizidrate in Deutschland
- Siehe Grafik rechts: Pro Jahr sterben in Deutschland ca.
11.000 Menschen. Zum Vergleich: Es gibt etwa 5.000 Tote
durch Verkehrsunfälle.
Risikofaktoren für Suizidhandlungen
- Alter: In der Adoleszenz und im hohen Alter (über 70) ist die
Wahrscheinlichkeit erhöht.
- Jahreszeit: Im Frühling und Sommer ist die
Suizidwahrscheinlichkeit erhöht.
- Schwere oder lebensbedrohliche Krankheiten sind ein
Risikofaktor
- Männer haben eine höhere Suizidwahrscheinlichkeit, weil sie
erfolgreichere Methoden als Frauen wählen.
- Vergangenes Verhalten ist bei Suizidalität der beste Prädiktor
18
für zukünftiges Verhalten. Wenn es eine Vorgeschichte von Suizidtendenzen gibt, steigt die Wahrscheinlichkeit für einen eigenen Suizid.
Dies kann vorliegen durch vorangegangene eigene Suizidversuche, aber auch durch Suizide oder Suizidversuche in Familie, Freundes- und
Kollegenkreis.
Statistiken zu Suizid in Deutschland
- Siehe Abb. 4 rechts
o Man sollte sich hüten, aus solchen Zusammenhängen kausale
Schlüsse zu ziehen wie beispielsweise Mehr Arbeitslosigkeit
führt zu weniger Suiziden.
- Männer begehen häufiger Selbstmord als Frauen, siehe Abb. unten
Suizidalität bei psychischen Störungen
- Häufigkeit bei Depression:
o Suizidgedanken: 40-80%
o Suizidversuch: 20-60%
o Vollendeter Suizid: 15%, d.h. ca. ein Sechstel der depressiven Patienten nehmen sich das Leben.
Schutzfaktoren
- Lebenszufriedenheit
- Sozial
o Eigene Kinder im Haushalt (könnte auch unten unter Transzendenz aufgeführt werden)
o Verantwortungsgefühl gegenüber der Familie
o Positive soziale Unterstützung
o Positive therapeutische Beziehung
- Ressourcen
o Realitätssinn: Sachliche Betrachtung der Situation
o Positive Problemlösestrategien
- Transzendenz: Dinge, die über das eigene Leben hinausgehen
- Schwangerschaft
- Glaube an Gott
Epidemiologie von Suizidalität in der Bevölkerung
- Vollendeter Suizid: Amtlich erfasst ist, dass 0,01% der Bevölkerung sich (im Laufe des Lebens?) umbringen
o Hier gibt es eine Dunkelziffer, die aber noch weitaus höher ist bei
- Suizidversuchen
o 2% der Bevölkerung versuchen (im Laufe der Lebensspanne?) sich
umzubringen.
Unterschiede zwischen versuchtem und vollendetem Suizid
- Die nachfolgende rechte Tabelle zeigt, welche Faktoren den
Unterschied ausmachen, ob man nur versucht sich umzubringen oder
der Suizid auch tatsächlich gelingt.
Institutionen, die bei Suizidalität Hilfe bieten
19
- Nur von Folie kopiert, nicht weiter erläutert
o Krisen-Beratungsstellen
o Allgemeinmediziner, Psychiater, Nervenärzte
o Kirchliche Berater
o Telefonseelsorge
o Psychotherapeuten
o Krisen-/Hintergrunddienste psychiatrischer Krankenhäuser
Intervention bei akuter Suizidalität im ambulanten Bereich
- 1. Erkennen von Suizidalität
o Risikofaktoren bewusst machen
o Diagnostik von psychischer Krankheit
o Diagnostik von Suizidalität: direkt, offen, ernst nehmen, nachfragen
- 2. Beziehungsangebot machen
o Empathie hilft gegen Suizidalität als Notsignal, ist aber niemals alleinige Handlungsoption
o Raum, Zeit, Zuwendung zur Verfügung zu stellen
o Therapieangebot machen
o Akute Verantwortung ist nicht delegierbar (Notfall!), d.h. andere Patienten müssen warten
- 3. Therapieangebote machen:
o Diese Phase tritt ein, wenn der Patient glaubhaft versichern kann, dass er sich nicht mehr suizidieren wird.
o Entlastung (engmaschige Unterstützung, hochfrequente Kontakte, Verfügbarkeit des Therapeuten, soziale Unterstützung)
o Tagesstrukturierung
o Zeitperspektive für Problemlösung
o Notfallpläne: Was kann man tun, wenn der Patient sich wieder umbringen will?
o Zwangseinweisung
Exploration des Suizidrisikos
- Das Risiko wird wie folgt abgefragt
o Haben Sie schon einmal gedacht, sich das Leben zu nehmen?
o Wie würden Sie es tun?
o Denken Sie bewusst daran, oder drängen sich diese Gedanken auf, wenn Sie es nicht wollen?
o Haben Sie schon über Ihre Absichten mit jemandem gesprochen?
o Haben sich Ihre Interessen, Kontakte zu anderen etc. gegenüber früher reduziert?
Stadien der suizidalen Entwicklungen
- Bei dieser Abbildung (siehe rechts) wäre der Rubikon zwischen Schritt II und III: Ist der Entschluss
zum Suizid gefasst, werden normalerweise auch
Vorbereitungshandlungen getroffen.
- Wenn ein zuvor suizidgefährdeter Patient eine
Spontanremission zeigt, kann diese plötzliche Besserung auch nur die Ruhe vor dem Sturm sein.
Deshalb ist eine sorgsame Abklärung vor einer Entlassung aus der stationären Behandlung nötig.
- Letztendlich kann aber der Suizid einer Person
nicht verhindert werden, wenn diese absolut entschlossen ist, sich umzubringen und dieses Ziel unter Umständen sogar mit dem Belügen von Ärzten
und Therapeuten verfolgt.
20
==> latente Suizidgedanken
==> konkrete Suizidpläne
==> Intrusionen
==> Ankündigungen
==> Einengung
9. Vorlesung am 16.12.2008: Problemlösetraining
Studie (vorletzte Folie aus der Präsentation zur letzten Vorlesung)
-
Quelle: Salkovskis, P.M. et al. (1990). Cognitive-behavioural problem solving in the treatment of patients who repeatedly attempt suicide. A
controlled trial. Br J Psychiatry,157, 871-876
-
Diese Studie wandte Problemlösetraining bei Patienten an, die versucht hatten, sich umzubringen.
o
Die Ergebnisse für die Patienten waren: weniger Hoffnungslosigkeit und weniger Suizidversuche.
Was sind Problemlösetrainings?
Definition Problemlösen
-
Problemlösendes Denken erfolgt, um Lücken in einem Handlungsplan zu füllen, der nicht routinemäßig eingesetzt werden kann. Dazu wird
eine gedankliche Repräsentation erstellt, die den Weg vom Ausgangs- zum Zielzustand überbrückt.
o Für die gedankliche Repräsentation werden entweder existierende Schemata aufgerufen oder neue Schemata erstellt.
o Ziele können konkrete Ergebnisziele sein ( Ich will X erreichen. ) oder Prozessziele ( Ich will Leistung bringen. )
Beispiel für ein Problem: Der Turm von Hanoi
- Man kann das Problem lösen, indem man sich den gesamten Problemraum verdeutlicht wie in der untenstehenden Abbildung geschehen.
o Dies ist eine exhaustive Möglichkeit.
- Besser als die exhaustive Herangehensweise ist es, eine Strategie zu haben.
Problemlösen & Problemlösetraining
- Problemlösen: Als Meta-Strategie für die Strukturierung des psychotherapeutischen Veränderungsprozesses
- Problemlösetraining: Als Intervention zur Verbesserung der Bewältigungsstrategien des Patienten
Struktur des Problemlösens
- Die untenstehenden Schritte werden im Folgenden in jeweils einzelnen Abschnitten detaillierter ausgeführt
- 1. Problemorientierung und Problemdefinition
o Gibt es ein Problem?
o Was ist das Problem?
- 2. Zieldefinition
o Was soll erreicht werden?
- 3. Entwicklung von Alternativen
21
o Welche Lösungsmöglichkeiten gibt es?
- 4. Entscheidungsprozess
o Welche Vor- und Nachteile haben die Lösungsmöglichkeiten? Welche ist die beste?
- 5. Lösungsumsetzung
o Wie kann die Lösung konkret in Handeln umgesetzt werden?
- 6. Lösungsbewertung
o Wurde das Ziel erreicht?
1. Problemorientierung
- Verhindern einer automatischen/spontanen emotionalen Reaktion ( Stop und Denk! )
o Hierbei geht es darum, sich handlungs- und arbeitsfähig zu machen, d.h. die Fähigkeit herzustellen, das Problem wahrzunehmen.
- Akzeptanz von Problemen als Bestandteil des Lebens
o Wahrnehmung und Erkennung des Problems, d.h. kein Verleugnen oder Übergehen.
- Bewusste Wahrnehmung und Aufmerksamkeit für Emotion als Indikator für Problem
o Emotionen sind wichtige Indikatoren, die man nicht vernachlässigen sollte. Man sollte sie jedoch eindämmen, damit sie einen nicht
handlungsunfähig machen.
- Attribution: intern extern, Umwelt Person
o In diesem Schritt wird das Problem lokalisiert, man könnte auch fragen: Wer ist Schuld daran?
- Bewertung der Bedrohung und der eigenen Kontrollmöglichkeiten (Selbstwirksamkeit)
o Dieser Schritt ist für den Therapeuten insb. bei Depressiven wichtig, weil sie ihr Potentiale chronisch unterschätzen. Klaus Grawe nennt
dies Ressourcenaktivierung: Nicht nur der Problemraum wird bewusst gemacht, sondern auch die eigenen Fähigkeiten.
- Gedächtnis: Erfahrungen mit ähnlichen Situationen
o Wenn man ähnliche Situationen schon einmal bewältigt hat, stellt dies eine besonders wertvolle Ressource dar.
- Motivation, Probleme zu lösen
o persönliche Grundüberzeugungen und Werte
§ Je nach moralischen Vorstellungen bedeutet eine Problemlösung, dass man sich einer Tatsache stellen muss, die man nicht akzeptieren kann oder möchte. Dann gibt es Motivation, die gegen eine Problemlösung spricht.
o persönlicher Bewältigungsstil: Annäherung Vermeidung
2. Problem- und Zieldefinition
- Zitat: A problem well defined is half solved (J. Dewey, 1910)
- Konkretisierung des Problems in Veränderungsperspektive
o Beispielsweise: Ich möchte meine pflegebedürftige Mutter in einer Pflegeeinrichtung unterbringen ohne mir nachher riesige Schuldgefühle zu machen.
- Umfassende Informationssammlung
o Nach Konkretisierung des Problems kann man beginnen, nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.
§ Im obigen Beispiel: Welche Altersheime oder betreute Wohngruppen gibt es im Ort?
- Unterscheidung von Fakten und Bewertungen/Annahmen
- Aufdecken von kognitiven Verzerrungen und unberechtigten Annahmen, die einer Problemlösung im Wege stehen.
- Verständnis des spezifischen Problems:
o chronischer Stress
o Verstärker-Verlust
o interpersoneller oder intrapersonelle Konflikte
o subjektive Bedeutsamkeit
o Komplexität
- Generierung realistischer Ziele und Zwischenziele
3. Entwickeln von Alternativen
-
Brainstorming : Je mehr, desto eher wird die beste Lösung gefunden
o Als Therapeut darf man die geäußerten Lösungen nicht bewerten. Andererseits muss man damit umgehen können, dass der Patient bestimmte Lösungen völlig ausblendet oder völlig unrealistische Lösungen anbringt. In letzteren Fällen darf der Therapeut nicht sagen:
Spinnen Sie? Geht s noch? , sondern er muss mittels des sokratischen Dialog den Patienten davon überzeugen, dass der von ihm vorgebrachte Ansatz nicht durchführbar ist.
4. Entscheidungsprozess
- Bewertung der Alternativen und Bestimmen der effektivsten Methode
22
- Veränderung der objektiven Situation vs. subjektive Bewältigung
- Konsequenzen abwägen:
o kurz- und längerfristige Konsequenzen
§ Beispiel: Auswandern nach Kanada löst kurzfristig die Probleme, aber langfristig hat man seine Verhaltensmuster nicht geändert, so
dass es gut sein kann, dass ähnliche Probleme wieder auftauchen.
o persönliche und soziale Konsequenzen
o Konsequenzen für das Wohlbefinden
- Nutzen maximieren vs. negative Konsequenzen minimieren
- Wahrscheinlichkeit, die Lösung umsetzen zu können (Kosten-Nutzen-Analyse)
o Abwägung, wie gewinnbringend positive und wie schlecht die negativen Konsequenzen sind.
- Komplexe Probleme erfordern einen generellen Lösungsplan
o Für den Patienten ist dabei eine Visualisierung der Lösungsstrategien hilfreich, z.B. mit Handzetteln oder Grafiken.
5. Lösung umsetzen [Folie nicht besprochen]
- Konkretisierung der Ausführung
- Förderung der Handlungsorientierung (vs. Lageorientierung)
- Soziale Fertigkeiten
6. Lösungsbewertung
- Negative Feedbackschleife (Kontrolltheorie): Vergleich Ist-Soll (antizipierte vs. aktuelle Konsequenzen der Lösungsausführung)
o Der Ist-Soll-Vergleich dient dazu, sich die Inkongruenz zu vergegenwärtigen.
- Selbstkontroll-Theorie: Selbstbeobachtung, Selbstbewertung, Selbstverstärkung
Effektivitätsnachweise für Problemlösetraining
- In diesen Bereichen hat sich Problemlösetraining als effektiv gezeigt [nicht weiter besprochen]
o Suizidprävention
o Depression
o BPS
o Chronische körperliche Krankheiten
o Schizophrenie
o ADS
o Störungen des Sozialverhaltens
o Geistige Behinderung
o Paartherapie
o Familientherapie
o Stressbewältigungstraining
o Straftäter
o Prävention von Demenz im Alter
Permanente Krisen: Persönlichkeitsstörungen des Cluster B ( dramatisch )
-
Die folgenden Persönlichkeitsstörungen gehören zu den sogenannten dramatischen Persönlichkeitsstörungen:
Borderline PS
Narzistische PS
Histrionische PS
Antisoziale PS
Borderline-Persönlichkeitsstörung
- Kriterien nach DSM-IV
- Instabilität in zwischenmenschlichen Beziehungen, Selbstbild und Gefühlen.
o So können Einstellungen und Verhalten gegenüber anderen Personen komplett von einem Tag auf den anderen wechseln.
- Impulsivität
- Beginn: frühes Erwachsenenalter
o Meistens gibt es eine Vorgeschichte von Missbrauch in der Kindheit
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Borderline-Persönlichkeitsstörung Kriterien nach DSM-IV [Folie nicht besprochen]
- Zusätzlich zu den Punkten im letzten Abschnitt, müssen 5 der folgenden 9 Merkmale erfüllt sein:
o verzweifeltes Bemühen, Alleinsein zu verhindern
o instabile und intensive Beziehungen, Wechsel von Überidealisierung und Abwertung
o Identitätsstörung
o impulsives selbstschädigendes Verhalten
o Suiziddrohungen, -versuche, Selbstverletzung: Der vielleicht schwierigste Punkt für den Therapeuten.
o affektive Instabilität
o chronisches Gefühl der Leere
o Wut
o paranoide Phantasien dissoziative Symptome bei Belastung
- Zusatzbemerkung: Borderline-Patienten sind für Therapeuten die anstrengendste Klientel, so dass es viele Therapeuten gibt, die überhaupt
keine, oder nur bis zu 3 Borderline-Patienten auf einmal behandeln.
Fallbeispiel: Situationsdarstellung [nur erzählt, nicht auf Folien]
- Patientin mit Borderline-Störung, 37 Jahre alt, 2 Kinder (w16 und m18)
o Hat ursprünglich eine Krankenpfleger-Ausbildung, macht jetzt eine Umschulung auf Logopädin
o Lebt mit ihrem 7 Jahre jüngeren Partner im Haus ihrer Eltern
- Sie muss eine Weiterbildungs-Prüfung als Logopädin bestehen und hat daraufhin Prüfungsängste und soziale Ängste entwickelt. Zudem hat
sie Probleme mit ihren Eltern.
- Spontane Diagnose der Therapeutin: Soziale Phobie.
o Erst im Laufe der Therapie wird deutlich, dass die Patientin extreme Gefühle von Leere spürt und über Lustlosigkeit (auch sexuell)
klagt.
o Zusätzlich berichtet sie Atemlosigkeit, Herzrasen und weitere körperliche Symptome.
o Pro Tag trinkt sie mehr als 4 Bier.
- Als Kind hatte die Patientin Epilepsie, vor 7 Jahren war sie schon einmal in psychotherapeutischer Behandlung.
- Im Laufe der Therapie berichtet die Patientin, dass sie als 11-Jährige durch den Onkel missbraucht wurde. Wenn sie entsprechende Flashbacks bekommt, kommen die Symptome der Atemnot und des Herzrasens.
o Die Pat. fügt sich mit scharfen Messern und brennenden Zigaretten Selbstverletzungen zu.
- Sie denkt dauernd an Suizid, einzig die beiden Kinder halten sie davon ab.
- Die Vater-Tochter-Beziehung war schon immer problematisch, weil der Vater sie schon immer abgelehnt und abgewertet hat.
o Andererseits lehnt der Vater es ab, dass die Tochter auszieht. Dies aber nicht aus emotionalen, sondern aus finanziellen Gründen: Ein
Auszug würde für den Vater Mehrkosten bedeuten.
- Der 18-jährige Sohn wendet sich von der Mutter ab, die 16-jährige Tochter beginnt ebenfalls selbstverletzendes Verhalten zu zeigen.
Fallbeispiel: Lösungsansätze [nur erzählt, nicht auf Folien]
- Der Patientin wurde eine Kinderbetreuung zur Seite gestellt.
- Da die Patientin zudem depressiv war, wurde sie mit Antidepressiva behandelt. Ihre suizidalen Tendenzen nahmen aber nicht hinreichend
ab, so dass die Patientin stationär in der Psychiatrie behandelt wurde.
o Dort wurde ein Problemlösetraining durchgeführt, das dem im folgenden Abschnitt dargestellten ähnelt.
- Im Verlauf des Problemlösetrainings stellte sich heraus, dass das Hauptproblem der Pat. das Wohnen im elterlichen Haus ist.
o Dahinter steht wiederum eine extreme Ambivalenz gegenüber dem Vater, der einerseits eine wichtige Bezugsperson ist, ihr andererseits
aber zeitlebens wenig Unterstützung entgegen gebracht hat.
- Die Therapeuten konnten die Pat. davon überzeugen, das problematische Verhältnis zum Vater zu bearbeiten.
o Bei der Zieldefinition kam die Patientin dazu, dass sie selbständig, d.h. unabhängig von den Eltern, leben möchte.
- Es wurden zwei Alternativen ermittelt, wie sie dieses Ziel erreichen kann
o 1.) Sie zieht einfach aus
§ Würde zu manifesten Problemen führen: Die Patientin hat, da sie sich noch in Ausbildung befindet, kein Geld für eine eigene Wohnung.
o 2.) Zunächst ein Konfliktgespräch mit dem Vater, um vor dem Auszug die belastenden Elemente in der Beziehung klären.
§ Da die Patientin die Einsicht des Vaters als sehr unwahrscheinlich einschätzt, sind die negativen Konsequenzen eines Konfliktgespräches hoch.
- Die Pat. entscheidet sich für die 1. Lösungsvariante und sucht dabei die Unterstützung ihres Partners. Sie versucht, möglichst unbemerkt aus
dem Elternhaus auszuziehen und gleichzeitig eine bezahlbare Wohnung zu finden.
o Die Umsetzung der Lösung wird zunächst vom stationären therapeutischen Team begleitet, später von einem ambulanten Therapeuten.
24
Studie zu Problemlösetraining
o Quelle: Blum N, Pfohl B, John DS, Monahan P, Black DW. STEPPS: a cognitive-behavioral systems-based group treatment for outpatients with borderline personality disorder-a preliminary report. Compr Psychiatry 2002;43:301-10.
- Pilotstudie (N=52)
- Setting: Problemlösetraining als Zusatzbehandlung zu Medikation und Einzeltherapie
o Angewandt wurden Problemlösetraining und soziales Kompetenztraining unter Einbeziehung von Familienmitgliedern, Partnern und
Behandlern
- Umfang: 20 x 2-std. wöchentl. Gruppensitzungen mit zwei Therapeuten
- Ergebnis: Signifikante Reduktion von Positive and Negative Affectivity Scale (PANAS), Beck Depression Inventory (BDI), Borderline
Evaluation of Severity Over Time (BEST)
Dialektische Verhaltenstherapie bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen (Linehan, 1996)
- Linehan bekennt sich dazu, ehemals selbst eine Borderline-Patientin gewesen zu sein.
- Grundprinzipien:
o dialektisch: konstruktives Arbeiten mit Widersprüchen
o Validieren des Erlebens des Patienten
o Akzeptanz von Defiziten und Anstreben von Veränderungen
§ Dieser Punkt ist das dialektische Element des Ansatzes.
Interventionen zur Stabilisierung Suizidprophylaxe/Krisenintervention Aufbau von Therapiecompliance [Folie nicht
besprochen]
- Einzeltherapie
o Problemanalyse
o Problemlösetraining:
§ Verhaltenstraining
§ Kontingenzmanagement
§ kogn.Umstrukturierung
§ Konfrontation mit emotionalen Auslösern
o Supportive Techniken
§ Klärung, Empathie, Akzeptanz
- Gruppentherapie
o Training interpersonaler Kompetenzen
o Emotionsregulation
o Aufbau von Achtsamkeit / Realitätsakzeptanz
o Belastungstoleranz
Training in Emotionsregulation (Bohus & Steil, 2006)
- Bohus ist der Statthalter von Linehan in Deutschland und anerkannter Experte für Borderline-Störungen.
- Ablauf eines Emotionsregualations-Trainings für Borderline-Patienten
o 1. Ziel herausarbeiten: Umgang mit intensiven Emotionen verbessern durch:
o 2. Üben, Emotionen erkennen
o 3. Verstehen, durch welche Situation die Emotion ausgelöst wurde
o 4. Mit Emotionen neu umgehen:
§ Distanzierung von Emotionen
§ neue Reaktionen lernen
§ Problemlösen
- Eine Krise entsteht in Situationen mit:
o Intensiver Belastung, kurzzeitig, Druck, sie zu lösen
o Die Krise kann nicht kurzfristig gelöst werden
o Man kann sich nicht leisten, es schlimmer zu machen
- Mit Borderline-Patienten zeichnet man zunächst oft die letzte Krise mit parasuizidalen Tendenzen nach und schaut dann, was man damals
hätte anders machen können.
- Eine Krise bewältigen:
o Überleben
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o Weitermachen
o Handlungsfähig bleiben
o Dinge nicht schlimmer machen, d.h. suizidales Verhalten der Patienten vermeiden
Methoden, um mit Krisensituationen umzugehen
- 1. Selbstberuhigung der 5 Sinne
o Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Berühren
- 2. Sich im Augenblick helfen mittels folgender heuristischer Vorgehensweisen, die über die Situation hinweghelfen können
o Vorstellungen
o Sinn suchen
o Beten
o Entspannung
o Eins nach dem anderen
o Ferien
o Selbst-Ermutigung
- 3. Sich ablenken
o Hilfreiche Aktivitäten
o Anderen Helfen
o Sich mit anderen vergleichen, denen es schlechter geht
o Sich Emotionen aussetzen
o Die Situation wegschieben
o Sich auf andere Gedanken bringen
o Intensive Empfindungen hervorrufen
§ Beispielsweise: Eis in der Hand oder in den Mund nehmen, einen Ball fest drücken, kalt duschen, laute Musik hören, Gummiband
auf die Haut, in den Regen oder Schnee gehen, Sex.
10. Vorlesung am 06.01.2009: Interkulturelle Faktoren in Beratung und Therapie
Kulturunterschiede
Definition: Kultur, Volk, Rasse
- In der Terminologie gilt es, folgende drei Begriffe zu unterscheiden:
o Rasse bezieht sich auf genetisch-biologische Gemeinsamkeiten einer Gruppe von Personen (z.B. Kaukasier, Mongoloide, Negroide).
o Volkszugehörigkeit (Ethnizität) ist verbunden mit sozialen und kulturellen Traditionen (z.B. Juden).
- Kultur im engeren Sinne meint gemeinsame Werte, Grundüberzeugungen, Verhaltensmuster (auch z.B. Homosexuelle)
Kulturelle Unterschiede mit Relevanz für die klinisch-psychologische Interventionspraxis
-
Die oben genannten kulturellen Unterschiede haben Konsequenzen für die Natur und Auffassung der Menschen von...
o ... psychologischer Konzepte vom Selbst (z.B. individualistisch vs. kollektivistisch)
o ... der Pathologisierung von Phänomenen (Geister vs. Wahn)
o ... von Störungskonzepten (Depression/Angststörung vs. Neurasthenie).
§ Diese Konzepte sind auch stark historisch bedingt. Beispiel: Der Begriff Neurasthenie ist nicht mehr gebräuchlich. In ähnlicher
Weise wird Homosexualität seit einem Konsensbeschluss nicht mehr als Krankheit behandelt, obwohl dies bis vor einigen Jahren
durchaus üblich war.
o ... Behandler (Arzt vs. religiöser Heiler)
§ Dies hat wichtige Folgen für die Erwartung an den Behandler, die wiederum die Compliance und damit auch den Therapieerfolg
maßgeblich beeinflusst.
o ... Behandlungskonzepte (Rituale vs. Rationale Rollenverteilung, Interventionen vs. talking cure , ...)
§ Beispiel: Wenn man der Ansicht ist, dass Psychotherapeuten immer mit Couches arbeiten, dann hat man auch die Erwartung, dass
es Teil der Therapie sein wird, bzw. sogar Teil der Therapie soll, auf der Couch zu liegen und sein Seelenleben auszubreiten. In
ähnlicher Weise könnten Menschen, die aus einer sehr pragmatischen, zu psychologischen Themen wenig affinen Subgruppen (wie
etwa Automechaniker) kommen, bestimmte Erwartungen haben und sich schwer tun, wenn sie plötzlich explizit über ihr Seelenleben reden sollen, obwohl sie erwarteten, dass der Therapeut bei ihnen gleichsam nur einen Hebel umlegt .
26
Kulturspezifische Syndrome: Tajin kyofushu-Syndrom vs. Soziale Phobie
- Neben den oben genannten kulturellen Unterschieden gibt es Krankheiten, die ausschließlich in einem bestimmten kulturellen Kontext
auftreten.
- Ein Beispiel eines für uns aus dem westlichen Kulturkreis Stammende nicht nachvollziehbaren Syndroms ist das Tajn kyfushu Syndrom,
dessen klinische Prävalenz in Japan 40% beträgt. Dabei handelt es sich um die Angst, andere zu stören und mit etwas Unangenehmen (z.B.
Missgestaltetem Körper, Mundgeruch) zu konfrontieren.
o Die Überzeugung wird nicht als übertrieben erlebt
o Das Syndrom ist keine Sozialphobie in unseren Begrifflichkeiten. Es liegt nämlich keine Vermeidung vor, sondern nur eine Angst
vor Gemiedenwerden.
Kulturelle Unterschiede in der Prävalenz psychischer Krankheiten
-
Auch wenn man dieselben Diagnoseschemata anlegt, findet man erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern (siehe Table 1).
Ein Beispiel aus der Erfahrung Herrn Grosse-Holtforts ist die Tatsache, dass sehr viele türkische Klienten über Schmerzen klagen. Dies
muss man, auch wenn wir keine körperliche Ursache finden, für bare Münze nehmen. Die Klassifikationssysteme geben schließlich nur die
Phänomenologie wieder, und wenn die Patienten über Schmerz berichten, dann ist dies eben ihre Ausdrucksform einer psychischen Erkrankung, die bei uns ganz andere phänomenologische Folgen hatte.
o Wie letztendlich psychische Krankheiten ausgedrückt werden, ist zum Teil genetisch determiniert, so zumindest eine mögliche Erklärung. Auch die jeweils wirkende Art der Belastungsfaktoren und der kulturell determinierte Umgang damit bestimmen, ob Probleme als
Schmerzsyndrom (wie häufig in der Türkei) oder eben als Depression (wie häufig bei uns) ausgedrückt werden.
§ Das ICD unterscheidet die Ursachen oder Entstehungsverläufe der Krankheiten nicht, sondern betrachtet allein die Oberfläche ,
deren Ausdruck, und entsprechend sind die Krankheiten dann vom Therapeuten auch zu klassifizieren.
§ Die gefundenen Unterschiede in der Prävalenz (bzw. im symptomatischen Ausdruck)liegen also nicht am ICD10, sondern an anderen, im Subjekt liegenden Faktoren.
-
Auf der folgenden Folie sieht man in der allerletzten Zeile, dass Thüringen den geringsten Ausländeranteil hat. Für die hiesige psychotherapeutische Versorgung bedeutet dies, dass das heute behandelte Thema in der alltäglichen Praxis wenig relevant ist. Ganz anders in Bundesländern wie Berlin oder Hamburg.
o Solche Zahlen sind, weil sie immer auch politischen Wunschvorstellungen und Beeinflussungen unterliegen, mit Vorsicht zu genießen.
Sie können aber immerhin einen Hinweis darauf geben, wie viel Menschen mit Migrationshintergrund in der therapeutischen Praxis zu
erwarten sein werden.
27
Migration
Definition von Migration
-
Migration meint die ständige, Ländergrenzen überschreitende Wohnsitzverlagerung
-
Untergruppen von Migranten sind z.B.:
o
o
o
o
-
Arbeitsemigranten
Aussiedler
Kriegsflüchtlinge
Wirtschaftsflüchtlinge
Durch den Grund oder Anlass der Migration wird oft maßgeblich mitbestimmt, welche Lebenschancen man später hat.
o Beispiel: In der Schweiz sind Tschechen, die meist freiwillig kamen, sehr gut integriert und haben angesehene Berufe. Kosovaren hingegen, meist Kriegsflüchtlinge, sind nicht selten in Drogenkriminalität verwickelt. Diese Unterschiede sind ihrerseits ursächlich für
entsprechende Stereotype in der einheimischen Bevölkerung.
Besonderheiten in der Kommunikation
-
Im Vergleich zum Umgang mit Menschen aus demselben Kulturkreis müssen in therapeutischen Interaktionen mit Migranten eine ganze
Reihe weiterer Problemfelder beachtet werden:
o
o
o
o
Problemkontext und Lebenssituation des Migranten
Institutioneller Kontext des Beraters/Therapeuten Verständigungsprobleme
Ressourcen des Patienten (Sprache, materiell, sozial, psychisch)
Werte ( Ehre ) und Normen (z.B. Pünktlichkeit)
-
Wichtig ist ganz allgemein eine wertschätzende Einstellung des Beraters zur Kultur des Migranten.
-
Bei gravierenden Sprachbarrieren ist die Einbeziehung von Dolmetscher oder eines dolmetschenden Familienmitglieds (letzteres aufgrund
der möglichen Folgeprobleme nur unter größer Vorsicht) nötig.
Die Klärung des Beratungs-/Therapie-Auftrags (Erwartungen an Therapeut, Wissen über Hilfsangebote) muss am Anfang jeder Interaktion
stehen.
o Dies geht natürlich auch mit großen Schwierigkeiten einher. Ein Dolmetscher ist auch ein Mensch mit Motiven und Schwächen, sodass das Wiedergegebene oft nicht 1:1 dem entspricht, was der Klient sagte. Außerdem entwickelt sich eine eigene Dynamik in der
Dreieckskonstellation: Es könnte zu Bündnissen von Dolmetscher und Klient kommen. Andererseits könnte der Klient sich auch
schämen, in Anwesenheit eines Dolmetschers seine psychischen Probleme zu diskutieren.
28
Besonderheiten von Untergruppen von Migranten
Besonderheiten von Frauen in der Migration
-
Frauen haben einen intensiveren Kontakt zum ärztlichen Versorgungssystem, schon allein deswegen, weil sie Kinder zur Welt bringen und
in diesem Rahmen in Krankenhäuser kommen. Sie sind gleichzeitig aber, gerade wenn sie aus patriarchalischen Kulturen stammen, zusätzlichen Belastungen ausgesetzt:
o
o
o
o
-
Verlust der Großfamilie
Patriarchalische Familienstruktur: geringe Außenkontakte, Abhängigkeit von Mann
Konfrontation mit gegensätzlichen Geschlechterrollen in der Aufnahmekultur
Konfrontation mit kulturellen Normen durch Erziehung, Schule
Alle hier genannten Punkte sind sehr idealtypisch und sollten nicht zu Stereotypen führen. Sie sind als Hypothesen zu sehen, die in jedem
Einzelfall überprüft werden müssen.
Besonderheiten von Jugendlichen in der Migration
-
Jugendliche sind einer doppelten Erschwernis ausgesetzt, insofern sie die Anforderungen zweier Kulturen erlernen und balancieren müssen.
Es kann zu einem Identitätskonflikt kommen: Bindung an Elternhaus vs. Aufnahme in peer-group.
-
Traditionelle Geschlechtsrollen kollidieren mit Vorstellungen, die sie in der Aufnahmekultur antreffen.
-
Soziale Benachteiligung: Armut, schlechtere Ausbildung, berufliche Perspektivlosigkeit.
-
Starke Diskriminierung in Öffentlichkeit und Verwaltungsbehörden.
-
Erhöhtes Risiko für psychische Störungen (Remschmidt & Walter, 1990: 27.3% vs. 12.2% der Schulkinder).
-
Risikogruppen in Deutschland: Jugendliche aus türkischen und russlanddeutschen Familien.
Besonderheiten von Alten
-
Verlust der Arbeit als Integrationsbasis. Alten Leuten fehlt dadurch oft der alltägliche Kontakt zu Einheimischen.
o Wenn die Alten zuhause bleiben und sich um die Enkel kümmern, kann dies für die Familie allerdings auch sehr positive Effekte haben.
-
Autoritätsverlust in Familie
o Die Kultur der Alten wird im neuen Land nicht mehr gebraucht. Sie durchschauen die Probleme ihrer Kinder und Enkel nicht, können
ihnen keine hilfreichen Lebensweisheiten auf den Weg geben und verlieren dadurch bisweilen ihren Status in der Familie, werden
eher als Last denn als Bereicherung der Familie empfunden.
-
Defizite in Sprache und Anpassung
o Alten Menschen fällt es meist viel schwerer als jungen, die Sprache des neuen Landes zu erlernen. Infolgedessen sind ihre Möglichkeiten, sich in die Gesellschaft des Ziellandes zu integrieren stark eingeschränkt.
-
Verlust von sozialen Bindungen, Großfamilie
-
Konfrontation mit Pflege-System
Besonderheiten von Muslimen
-
Muslim ist nicht gleich Muslim, es gibt, auch wenn unser Wissen darüber meist sehr eingeschränkt ist, zahlreiche Untergruppen: Sunniten,
Schiiten, Wahabiten, Aleviten, Mystiker, Laizisten.
o Zusätzliche vertikale Unterschiede kommen durch die Herkunft (liberale/konservative Nation, ländliche/städtische Kultur) der Migranten zustande.
-
Unterschiedliche religiöse Bindung und Bildung (frühe Migranten)
-
Vorrangstellung der Religion über säkulare Einrichtungen, primärer Ansprechpartner für psychosoziale Probleme: Imame (= Geistliche)
Muslime haben oft ein anderes Krankheitskonzept, was über die Erwartungen an den Therapeuten wiederum Konsequenzen für den Verlauf und die Möglichkeiten der Therapie hat:
o Krankheit = Ungleichgewicht im Menschen, im Verhältnis zu anderen und zu Gott
o Heilung = Wiederherstellung des Gleichgewichts durch Koran, Beten, Fasten, ...
-
Zentrale Werte: Gemeinschaft, Solidarität
-
Normen: Geschlechtertrennung; Tabuisierung von Sexualität.
29
Interkulturelle Aspekte der Psychotherapie
Anforderungen an einen interkulturellen Berater/Therapeut
-
Ein interkultureller Berater/Therapeut muss spezifische Fähigkeiten mitbringen. Darunter vor allem:
o Aufmerksamkeit für
§ eigene kulturelle Annahmen (Gefahr des Ethnozentrismus)
§ dominante kulturelle Zugehörigkeit des Migranten (Gefahr der Stereotypisierung, Übersehen von Subpopulationen)
o Aufmerksamkeit für
§ Relativität des eigenen Therapiemodells
§ Therapiekonzept des Patienten/Klienten
o Verhandlung zwischen beiden Therapiemodellen
§ Dies ist ein grundlegendes Prinzip der Psychotherapie. Psychotherapeutische Beziehungen haben drei Hauptkomponenten: Man
muss sich mögen, man muss sich über die Ziele der Therapie einig sein und man muss sich über das Vorgehen einig werden. Die
letzteren beiden Komponenten sind stark kulturell bedingt. Dieser Aushandlungsbedarf nimmt daher zu, je unterschiedlicher die
kulturellen Gepräge von Therapeut und Klient sind.
Interkulturelle Aspekte der Psychotherapie
-
Im Folgenden werden einige Dimensionen genannt, die stets beachtet werden sollten, wenn man mit Menschen eines anderen kulturellen
Hintergrunds interagiert:
o individualistische (independente) vs. Kollektivistische (interdependente) Sichtweise des Selbst
o Rationalität vs. Spiritualität
o Situation von Minderheiten
§ gesellschaftliche Diskriminierung
§ niedriger sozioökonomischer Status
§ geringe Verfügbarkeit von Therapeuten aus eigener Kultur
Forschung zu interkultureller Psychotherapie bei afrikanischen Amerikanern (Zane et al., 2004)
-
Man muss immer beachten, dass es große Unterschiede innerhalb der kulturellen Gruppe gibt. Je länger eine Gruppe in einem Land heimisch ist, desto stärker diversifiziert sie sich auch tendenziell. Die vorliegende Studie betrachtete die schwarze Minderheit in den USA, die
ja schon weitaus länger im Land ist als Migranten in Deutschland und die auch sonst nichts mit Migranten im engeren Sinne gemeinsam
haben.
-
Bei Schwarzen scheint kognitive Verhaltenstherapie, Interpersonelle PT, Pharmakotherapie günstig bei Depression.
-
Nun könnte man sich fragen: Sind Schwarze für Schwarze die besseren Therapeuten? In der Tat zeigt sich: Bei Therapeuten mit gleicher
Ethnizität kommt es zu weniger drop-outs, einer längeren Therapiedauer und günstigeren Ergebnissen.
o Es finden sich andererseits tendenziell ungünstigere Ergebnisse in Drogentherapie; kein matching-Effekt bezüglich er Ethnizität (! Kultur)
o Positiv ist wiederum die teilweise signifikant erhöhte Effektivität nach interkulturellem Trainingsprogramm für Berater.
-
Interessanterweise äußern Schwarze bei Befragungen eine geringere Präferenz für Therapeut gleicher Ethnizität als Weiße dies tun. Eine
Erklärung wäre, dass Weiße einen höheren Status haben oder dass Schwarze aus Angst vor Ghettoisierung den Kontakt zu weißen Mitbürgern suchen.
Interkulturelle Kompetenzen von Beratern und Therapeuten (Sue et al., 1992; Brems, 2000)
-
Wahrnehmung kultureller Unterschiede in der Interaktion
-
Interkulturelles Wissen
-
Sprache, Geschichte, Tradition (eigene und fremde)
-
Interkulturelle Fähigkeiten
-
Einstellungen, Anpassung des eigenen Verhaltens und der Kommunikation an kulturellen Hintergrund des Interaktionspartners
Inanspruchnahme von Behandlungen wegen psychischer Störungen in Nordrhein-Westfalen (Rommel, 2005)
-
7 Mill. Deutsche gegenüber 900.000 Migranten nahmen in Nordrhein-Westfalen innerhalb des betrachteten Jahres (vor 2005) Behandlungen wegen psychischer Störungen in Anspruch.
-
Tendenziell findet sich unter Migranten eine niedrigere Inanspruchnahme stationärer Rehamaßnahmen .
-
Bei Migranten werden regelmäßig signifikant häufigere Indikationen für bestimmte Erkrankungen nachgewiesen:
30
o Depression
o somatoforme Störungen
o Substanzbezogene Störungen (Opiate), allerdings nur für Männer
Migranten und Suchterkrankungen
-
Prävalenz vs. Beratungssuche in Großstädten:
o 35% der Drogenkonsumenten Nichtdeutsche
o Aber nur 10% der Klienten von Drogenberatungsstellen
-
Ursachen für die erhöhte Prävalenz von Suchterkrankungen unter Migranten können sein:
o Erhöhte Belastung durch Lebensereignisse und soziale Situation
o Konformitätsdruck insbes. bei männlichen Jugendlichen
o Abnahme kultureller Ablehnung von Drogen (insbesondere in der 2. Generation)
-
Ursache für die geringe Inanspruchnahme von Hilfe:
o
o
o
o
o
o
Wissensdefizite über Drogen
Angst vor Diskriminierung/Stigmatisierung
Sprachprobleme
Keine psychologische Erklärung von Problemen
Familiäre Ablehnung öffentlicher Hilfsangebote
Angst vor Ausweisung
Flüchtlinge
Besonderheiten in der Therapie von Flüchtlingen
-
Flüchtlinge leiden oft unter mehreren und komplexen Traumatisierungen (Krieg, Folter, Flucht, ...)
-
Gegebenenfalls kommen starke sprachliche und interkulturelle Probleme hinzu.
-
Anders als bei einfachen Traumate haben Therapeuten hier mit einer begrenzten Umsetzbarkeit von Exposition zu kämpfen.
o Exposition ist eigentlich die Methode der Wahl; bei traumatisierten Flüchtlingen ist dies besonders schwierig. Es kommt darauf an,
zielsicher die richtigen Stimuli für die Exposition zu bieten. Wenn aber der Flüchtling diese selbst liefern muss, hat man als Therapeut
kaum Kontrolle darüber. Die Exposition ist ferner insofern erschwert, als man gar nicht weiß, wo man anfangen soll: Die Betroffenen
sind häufig mehrfach traumatisiert. Eine mögliche Heuristik ist, die Menschen nach ihren konkreten Intrusionen zu fragen und mit diesen zu beginnen.
-
Meist ist aus rechtlichen und praktischen Gründen nur eine sehr begrenzte Interventionsdauer möglich.
-
Die narrative Therapie kann hier angebrachter sein als eine Expositionstherapie.
Auswirkungen von Folter bei den Opfern
-
Folter als meist überraschend eintretendes, höchst traumatisches Ereignis hat gravierende negative Konsequenzen:
o Hilflosigkeit, Demütigung, Schmerzen, Verletzung; dies kann bis hin zu einem Identitätsverlust führen.
o psychische Folgen: komplexe posttraumatische Belastungsstörungen, Depression, Schmerzen;
§ Nicht selten entwickeln die Opfer auch dissoziative Störungen, sozialen Rückzug, Suizidalität oder psychotische Episoden.
o physische Folgen: Verletzungen, Krankheiten.
-
Oft liegt eine zusätzliche Traumatisierung durch Krieg, Verfolgung, (wiederholte) Inhaftierung, Flucht oder Ausweisung, und auch die
Bedingungen des Asyls vor.
-
Für die Therapie kann erschwerend hinzu kommen, dass die Klienten eine Aversion gegen Autorität entwickelt haben können, insbesondere wenn sie als politische Gefangene von ihrer Staatsmacht gefoltert wurden.
Auswirkungen der Asylsituation
-
meist andauernde unsichere Aufenthaltssituation
-
Retraumatisierung durch bevorstehende Abschiebung:
o Antizipation erneuter Verfolgung und Folterung
o Hilflosigkeit im Umgang mit Rechtssystem
-
keine Arbeits-/Studienerlaubnis, Untätigkeit
-
Wohnsituation: überfüllte Heime, Raumnot
31
-
Dass die Diagnose PTBS eine Aufenthaltsverlängerung nach sich ziehen kann, fördert womöglich Simulation.
o Mit dieser Unterstellung hat man verständlicherweise sehr vorsichtig zu sein.
-
Konfrontation mit Unwissenheit und mangelnde Empathie für Unrecht im Gastland
-
kein Anspruch auf psychotherapeutische Behandlung
o In der Tat ist die Versorgungslage gerade unter den sehr bedürftigen Asylanten sehr schlecht. Rechtlich ist vorgesehen, dass nur absolut
notwendige medizinische Eingriffe übernommen werden, wozu Psychotherapie in der Regel nicht gezählt wird. So kommt es, dass diese Menschen oft jahrelang unbehandelt unter ihren gravierenden Traumata zu leiden haben.
11. Vorlesung am 13.01.2008: Interventionen im forensischen Bereich
Einführung
Was ist forensische Psychologie?
-
Forensische Psychologie ist die Anwendung der Psychologie in Gerichtsverfahren, die sich mit folgenden Domänen beschäftigt:
o Begutachtung
o Behandlung von Straftätern
o Viktimologie (=Opferforschung)
§ Opfer werden in der heutigen Sitzung da unser Schwerpunkt die Behandlung von Straftätern ist nicht weiter das Thema sein,
ebenso wie der letzte Hauptgegenstand der forensischen Psychologie, die...
o richterliche Urteilsbildung
-
Vorweg kann gesagt werden, dass therapeutische Bemühungen in der forensischen Psychologie häufig von eher mäßigem Erfolg gekrönt
sind. Grund ist hierbei, wie wir sehen werden, vor allem die mangelnde Veränderungsmotivation vieler Straftäter.
Delikte, bei denen psychische Störungen eine Rolle spielen können
-
Eigentumsdelikte
o Sachbeschädigung, Diebstahl, Raub
o Stalking (§ 238)
-
Gewaltdelikte
o
o
o
o
-
Körperverletzung
Kindesmisshandlung (§ 233)
Totschlag/Mord
Sexuelle Nötigung (Vergewaltigung; § 177)
Sexualdelinquenz
o sexueller Missbrauch von Kindern (§ 174, 176)
Stalking (engl.: "auf die Pirsch gehen )
Definition
-
Stalking meint die andauernde Belästigung, Verfolgung, Überwachung, Ausspionieren, ggf. körperliche Angriffe und (selten) Tötung
anderer.
-
Motiv für das Stalking ist vor allem, eine Beziehung zu dieser Person zu erzwingen oder diese zu dominieren. Dementsprechend sind häufig ehemals nahe stehende Personen betroffen; nicht selten trifft es jedoch auch Personen, die den Stalker nur flüchtig oder überhaupt nicht
kennen.
o
o
o
o
Ex-Partner (ca. 50%)
Verliebtheit (ca. 18.5%)
Liebeswahn nach flüchtigem Kontakt (ca.15%)
Rache, Sadismus (ca. 13 %)
-
Typisch ist die Annahme des Täters, das Opfer werde oder müsse die Zuneigung des Täters erwidern. Er ist für gegenteilige Signale völlig
blind.
-
Bei Erfolglosigkeit wandeln sich die Motive zu Hass, Rache oder Vergeltung
32
Stalking-Handlungen
-
Typische Stalking-Handlungen sind:
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
o
Telefonanrufe (78,2 %)
Herumtreiben in der Nähe (62,6%)
unerwünschte Briefe, E-Mails, SMS, Faxe (50%)
Beschimpfungen/Verleumdungen (47,4 %)
Verfolgen (38,5 %)
Kontaktaufnahme über Dritte (35,9 %)
vor der Haustür stehen (33,3%)
Auflauern (24,4 %)
explizite Drohungen (34,6%)
Gewalthandlungen (30,4 %)
mit körperlicher Gewalt festgehalten (24,4 %)
Schlagen (11,5 %)
mit Gegenständen attackiert (9 %)
Sexuelle Belästigungen (42,3 %)
Sexuelle Nötigung (19,2 %)
Prävalenz in Deutschland (Dressing et al., 2004)
-
Mit einer aus dem Jahr 2000 stammenden repräsentativen Stichprobe (N= 672) untersuchten Dressing und Kollegen die Häufigkeit und die
psychischen Folgen von Stalking für die Opfer.
-
Opfererfahrung, definiert als mind. 2 unerwünschte Kontaktaufnahmen auf unterschiedliche Weise über 2 Wochen hinweg, die als ,
angstauslösend erlebt wurden, hatte eine...
o Lebenszeitprävalenz von 12 %
o aktuelle Punktprävalenz von 1.6%
-
Die Dauer des Stalking betrug bei : 68% > 1 Monat, bei 24.4 % > 1 Jahr.
o Mit der Zeit kommt die stalkende Person also meist doch darüber hinweg , dass das Opfer kein Interesse hat es dauert nur eben sehr
lange. Oft bewirken auch die verhängten rechtlichen Sanktionen, dass das Stalking eingestellt wird (zu diesen siehe unten).
-
Die Opfer sind zu 87.2 % Frauen, wohingegen unter den Tätern nur 15.5 % Frauen sind.
o Stalking als Kombination von unerfüllten Zugneigungswünschen und einem übersteigerten Kontrollbedürfnis scheint also vorwiegend
ein Männerproblem zu sein.
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Die Folgen für die Opfer sind typischerweise:
o Angst, Depression, psychosomatische Beschwerden
o 16.7 % Wohnungswechsel, 5,1 % Arbeitsplatzswechsel (was schon eine sehr extreme Reaktion darstellt!)
o Hilfesuche: 20.5 % Polizei, 11.5% Rechtsanwalt, 24.4% Arzt/Therapeuten
Juristische Einordnung von Stalking
-
Gewaltschutzgesetz (GewSchG, BGB)
o Dieses seit wenigen Jahren bestehende Gesetz ist das übergeordnete Gesetzt in diesem Bereich. Es betrifft Reaktionen eines Gerichts
auf Nachfrage durch das Opfer: Wenn sich jemand durch Stalking betroffen fühlt, muss er sich bei Gericht melden, damit dieses tätig
werden kann. Dies ist natürlich eine größere Hemmschwelle. Man muss als Opfer einen Antrag stellen, vor dieser Art der widerrechtlichen Gewaltanwendung (bei Stalking zumeist die Verletzung der eigenen Freiheit) geschützt zu werden. Das Gericht kann dann verschiedenen Maßnahmen treffen; meist sind dies Verbote für den Stalker, bestimmte Orte aufzusuchen, telefonischen Kontakt herzustellen etc.; der Gesetzestext des Gewaltschutzgesetz lautet:
§
§ 1 Gerichtliche Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt und Nachstellungen (1) 1. Hat eine Person vorsätzlich den Körper, die Gesundheit oder die Freiheit einer anderen
Person widerrechtlich verletzt, hat das Gericht auf Antrag der verletzten Person die zur Abwendung weiterer Verletzungen erforderlichen Maßnahmen zu treffen. 2. Die
Anordnungen sollen befristet werden; die Frist kann verlängert werden. 3. Das Gericht kann insbesondere anordnen, dass der Täter es unterlässt, 1. die Wohnung der verletzten Person zu betreten, 2. sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der verletzten Person aufzuhalten, 3. zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen
sich die verletzte Person regelmäßig aufhält, 4. Verbindung zur verletzten Person, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, aufzunehmen, 5. Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen...
-
Hausfriedensbruch (§ 123 StGB) kommt ebenfalls häufig zu Anwendung.
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falsche Verdächtigung (§ 164 StGB)
-
Beleidigung (§ 185 StGB)
-
üble Nachrede (§ 186 StGB)
33
-
Verleumdung (§ 187 StGB)
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Körperverletzung (§ 223 StGB)
-
Nötigung (§ 240 StGB)
-
Bedrohung (§ 241 StGB)
Maßnahmen gegen Stalking (Opfer)
-
Aktiv werden! lautet die Devise.
o Wichtig ist es, das nähere Umfeld zu informieren und sich soziale Unterstützung einzuholen.
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Eindeutige Ablehnung von Kontakt.
o Als Opfer muss man alle Ambivalenzen ausschließen und ganz klar sagen: Nein, hör auf, ich will Dich nicht sehen! .
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Einschalten von Rechtsanwalt / Weißer Ring / Beratung
o Dies gilt für schwerere Fälle. Der weiße Ring als Organisation von Kriminalitätsopfern bietet in diesem Fall auf jeden Fall Hilfestellung.
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Beweise sammeln, Zeugen einschalten
o Dies ist für eine etwaige gerichtliche Lösung unabdingbar.
o Eine Fangschaltung kann im Extremfall diesem Zwecke dienen.
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Anzeige bei Polizei
Psychotherapie mit Straftätern
Bürgerliches Gesetzbuch: Einschränkung der Schuldfähigkeit bei psychischen Störungen
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Das Bürgerliche Gesetzbuch sieht für bestimmte Psychische Störungen eine Reduzierung oder Aussetzung der Strafe vor:
o §20: Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinn oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln.
o §21: Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach §49 Abs. 1 gemildert werden.
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Diese Paragraphen mindern allerdings keineswegs die Notwendigkeit, die Opfer zu schützen. Opferschutz hat sogar oberste Priorität.
Ist Psychotherapie bei Straftätern angemessen?
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Moderner Strafvollzug zielt primär auf Schuldsühne und Resozialisierung, nicht auf Strafe oder Rache.
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Ein wichtiger und strittiger Punkt ist die Willensfreiheit der Tat:
o vorhanden bei Überzeugungstäter (Rasch, 1986);
o eingeschränkt bei: Situationstäter , subkulturell identifizierte Täter , Psychopathen , Neurotiker , schwachsinnige Täter
§ Beispiel: Kommt man aus einer Kultur, in der Ehrenmorde vorgesehen sind, gehört man zu dieser Kategorie. Dies sagt jedoch
nichts über die ethische Verwerflichkeit und rechtliche Relevanz der Tat aus.
§ Anmerkung: Unter Neurosen kann man fast alles fassen, z.B. Angststörungen oder Depressionen. Die Schwammigkeit des Begriffs führte dazu, dass er kaum mehr gebraucht wird. Der Dozent hält es für essentiell, genau zu definieren, welche psychischen
Störungen im Strafrecht berücksichtigt werden können und welche eben nicht.
o psychisch gestörte Täter sind meist beeinflusst von Lebensumfeld, Kindheitserfahrungen, Persönlichkeit;
§ Beispiel: Wurde man als Kind missbraucht oder hat einen Krieg miterlebt, hat man vielleicht die Überzeugung, dass die Welt ein
unsicherer Ort sei, an dem man sich notfalls auch mit körperlicher Gewalt gegen andere selbst schützen müsse.
-
Als Psychotherapeut muss man wissen, wem man welche Therapie zukommen lässt. Dabei orientiert man sich an den folgenden Kriterien:
o selektive Indikation: Die selektive Art der Indikation betrifft die Frage, ob und welche Art von Psychotherapie für einen Täter indiziert ist.
§ Die Art der Störung und (z.B. gerichtliche) Zeitvorgaben sind ausschlaggebende Faktoren.
o adaptive Indikation: Anpassung des Therapieangebotes an spezifische Rahmenbedingungen (auch den bisherigen Therapieverlauf).
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Wie wir jetzt sehen werden, fehlt Straftätern jedoch ohnehin zumeist die Motivation zur Therapie.
Motivation von Straftätern für Psychotherapie
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Man muss bezogen auf Psychotherapie zwei Arten von Motivation unterscheiden: Therapiemotivation und Veränderungsmotivation.
34
o Die Therapiemotivation ist meist extrinsisch. Eine Therapie könnte beispielsweise vom Gericht verordnet worden sein. Sie besteht bei
Straftätern meistens zumindest zu einem gewissen Grade.
o Die Veränderungsmotivation kann dagegen nur intrinsisch entstehen. Als Wille, die eigene Person zu verändern und an Störungen zu
arbeiten ist sie Voraussetzung für therapeutischen Erfolg. Gerade sie fehlt aber meistens bei Straftätern, weil es schon an der Einsicht in
das Problem mangelt.
Institutionelle Rahmenbedingungen stationärer ( intramuraler ) Behandlung
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1. Unterbringung im Maßregelvollzug
o Psychiatrisches Krankenhaus oder forensischpsychiatrische Station
§ Persönlichkeitsstörungen, Schizophrenie, geistige Behinderung
o Entziehungsanstalt (Suchtfachklinik)
§ Alkoholismus
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2. Sozialtherapie
o Gewalt- und Straftäter mit hoher Rückfallgefahr
o Einzel-/Gruppengespräche, Sozialtrainings, schulische und berufliche Kurse, Wohngemeinschaften
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3. Stationäre Drogenbehandlung in therapeutischen Gemeinschaften (z.B. Synanon)
o Zurückstellung des Strafvollzugs
o 6-18 Mo Therapie, anschließend (1/3) Bewährung
Metaanalyse zur institutionellen Straftäterbehandlung: Veränderung der Rückfallrate
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Was bringt die institutionelle Straftäterbehandlung? Eine Metaanalyse von Lösel (1995) fällt eher enttäuschend aus. Es findet sich ein
Korrelation von r= .10 (kleiner Effekt), also eine Verbesserung von 10% durch die Behandlung [unklar, welche Korrelation].
o Obwohl die Wirksamkeit bescheiden zu sein scheint, könnte man aus Opfersicht jedoch argumentieren, dass jedes nicht missbrauchte
Kind ein Erfolg ist, der den finanziellen Aufwand für die Therapie rechtfertigt. Letztlich ist es also eine gesellschaftliche Entscheidung,
welche Kosten für diese relativ geringen Effekte akzeptiert werden.
o Auch ist sicher das Potenzial der therapeutischen Maßnahmen nicht ausgeschöpft. Würden Qualifikation der Therapeuten und von allem die Versorgungslage verbessert, wären womöglich höhere Effekte zu erwarten.
-
Rückfallraten von 40-70% sind in der forensischen Psychologie durchaus üblich.
o Dabei finden sich störungsabhängige Effekte: Die höchste Rückfallrate besteht bei antisozialer Persönlichkeitsstörung.
-
Sozialtherapie hat konsistent mittlere Effekte (11% weniger Rückfälle).
o Auch hier gilt dasselbe Muster wie oben: bis zu 50% mehr Rückfälle bei antisozialen Straftätern.
-
Stationäre Drogenbehandlung nach dem Zurückstellungsmodell weist eine Erfolgsquote von 50% aus; dem gegenüber stehen 20% bei
freiwilligen Drogenbehandlungen.
o Drogen sind ein derart schwerwiegendes Problem, dass es in den Kategorien von Nicht-Süchtigen kaum fassbar ist. Grosse-Holtforth
schildert den Fall einer jungen drogensüchtigen Frau, die ihr neugeborenes Kind, obwohl sie es sehr liebte, für Wochen weggab, um
Drogen konsumieren zu können so groß war die Sucht, dass sie die Mutterliebe überspielte. Solche Leute brauchen eine deutlich stärkere äußere Hilfe zum Aufbau einer Therapiemotivation. Die Aussicht auf Strafmilderungen kann hier ein zusätzlicher Anreiz zum
Zusammenreißen sein; daher rührt die höhere Erfolgsquote verordneter Therapien.
Wirksamkeit psychotherapeutischer Verfahren bei Straftätern
-
Meta-Analysen: kognitiv-behaviorale Programme (CBT) am erfolgreichsten mit r= .25-.30 (z.B. Redondos, 1994)
o psychodynamische und erzieherische Ansätze weniger erfolgreich
o antisoziale Persönlichkeit: CBT zumindest kurzfristig erfolgreicher (Lösel, 1997)
o Sexualstraftäter: CBT am erfolgreichsten (Alexander, 1999)
Grundprinzipien psychotherapeutischer Angebote für Straftäter
-
Risikoprinzip: Konzentration auf Hochrisikofälle
-
Bedürfnisprinzip: Konzentration auf kriminogene Faktoren
-
Ansprechbarkeitsprinzip: Auswahl der Methoden gemäß handlungsorientiertem Lernstil der Straftäter, Verfolgen spezifischer Ziele
o Diese drei sind politisch gesetzte, nicht eigentlich psychologische Prinzipien.
Psychotherapie mit Straftätern (Lösel & Bender, 1997)
-
kognitiv-verhaltensorientiert, strukturiert, multimodal, übend
35
o Die kognitive Therapie haben wir bereits kennen gelernt. Sie versucht, dysfunktionale Schemata zu verändern. Einbezogen wird hier
auch die Problemlösefähigkeit inklusive einer Aktivierung des Umfelds.
-
Ziele: Veränderung kriminogener (antisozialer) Einstellungen, Gefühle
o Empathie für Opfer
o Aufbau sozialer Problemlösefähigkeiten
o Stärkung von sozialen Bindungen (Familie)
§ Man geht hier davon aus, dass alle Menschen ein soziales Bedürfnis haben.
o Sensibilität für Risikosituationen
-
Diagnostik: diagnosebezogene und tatspezifische Informationen
-
klar strukturierter institutioneller Rahmen
-
Techniken: Hier wird einfach das gesamte Repertoire kognitiv-verhaltenstherapeutischer Techniken eingesetzt, wie z.B.
o
o
o
o
-
Selbstkontrollverfahren, Ärgermanagement
Soziales Kompetenztraining
interpersonales Problemlösetraining
kognitive Umstrukturierung
protektive Faktoren stärken
o
o
o
o
o
prosoziale Bezugsperson
soziale Unterstützung
warmherzige/feste Erziehung
kognitive Kompetenzen
Selbstwirksamkeit in nicht-kriminellen Bereichen
-
Nachsorge und Rückfallprävention
-
Sekundäre Prävention bei Risikopersonen
Delinquenz und psychische Störungen
Überblick
-
Psychische Störungen, die häufig im Zusammenhang mit Delinquenz genannt werden:
o 1. Antisoziales Verhalten
§ Störung des Sozialverhaltens (Kinder)
§ Antisoziale Persönlichkeitsstörung (Erwachsene)
o 2. Störungen der Impulskontrolle und Aggression
§ Impulskontrollstörungen
§ Borderline-Persönlichkeitsstörung
o 3. Sexuelle Devianzen (diese werden vornehmlich in den Vertiefungsseminaren behandelt)
§ Paraphilien: Pädophilie, Exhibitionismus
o 4. Andere psychische Störungen
§ Psychotrope Substanzen (Alkohol, Drogen)
§ Schizophrenie
1. Antisoziales Verhalten
DSM-IV: Störung des Sozialverhaltens bei Kindern und Jugendlichen
-
In der Kindheit kann die Diagnose Persönlichkeitsstörung noch nicht vergeben werden, wohl weil man annimmt, dass sich die Persönlichkeit noch nicht vollständig entwickelt habe. Daher spricht man von einer Störung des Sozialverhaltens .
-
Gemeint ist damit Verhalten, bei dem die Rechte anderer, soziale Normen oder Regeln verletzt werden.
o Oft schließt dies Bewusstseinsstörungen mit ein.
-
Mindestens 3 der nachfolgend aufgelisteten Kriterien müssen innerhalb von 12 Monaten (und mindestens 1 in 6 Monaten) für die Diagnosestellung erfüllt sein:
o Aggressives Verhalten gegen Menschen und Tiere
36
o Zerstörung von Eigentum
o Betrug oder Diebstahl
o Schwere Regelverstöße (Weglaufen, Schulschwänzen)
-
Die Störung führt zu Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen.
DSM-IV: Antisoziale Persönlichkeitsstörung bei Erwachsenen
-
Eine Antisoziale Persönlichkeit ist ein tief greifendes Muster von Missachtung und Verletzung der Rechte anderer seit dem Alter von 15
Jahren.
-
Zur Diagnose müssen mindestens 3 Kriterien aus den folgenden erfüllt sein:
o
o
o
o
o
o
o
-
Versagen, sich gesellschaftlichen Normen anzupassen
Lügen, Betrügen zum persönlichen Vorteil/ Vergnügen
Impulsivität
Reizbarkeit und Aggressivität
Rücksichtslose Missachtung der eigenen Sicherheit bzw. der Sicherheit anderer
Durchgängige Verantwortungslosigkeit
Fehlende Reue
Die Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung liegt bei 1-3%.
o Die Prävalenz unter Straftätern dagegen beträgt 15-25% (Hare, 1996); andere Autoren gehen sogar von 40%-90% aus (Nedopil, 1996).
Ansatzpunkte für kognitiv-behaviorale Therapie bei Antisozialer PS
-
Diese Ansätze sind noch die erfolgreichsten. Sie setzen wie oben bereits erwähnt an Kognitionen an , aber auch an Ressourcen (bzw. Ressourcendefiziten) an:
o
o
o
o
o
aggressionsfördernde Denkschemata
externale Ursachenzuschreibung
Empathiemangel, oberflächliche Affekte
mangelnde Kooperation, Manipulation
Aufmerksamkeitsdefizite (z.B. Folgenabschätzung)
Verhaltenstherapie bei Antisozialer PS
-
Untersuchungen meist bezogen auf Delinquenten (s. Lösel & Huber, 1997)
-
stärkere Konzentration auf kriminogene Faktoren als auf Persönlichkeitsstörung
-
Traditionelle Ansätze (hier kümmert man sich zunächst nicht um innere Prozesse, sondern baut auf die verhaltenstherapeutische Keule )
o Münzverstärkungssysteme ( Token-economies )
o Therapieverträge
o Aversionsmethode
§ Dabei wurde ganz ähnlich wie im Film A Clockwork Orange parodierend dargestellt
versucht, durch Paarung von Bildern
nackter Kinder mit Stromstößen die sexuelle Präferenz von Pädophilen für Kinder auszulöschen: freilich ohne Erfolg.
o Umkonditionierung
Spezifische Ansätze
-
Kognitive Umstrukturierung von antisozialen Denkmustern
-
Empathietraining
-
Gruppendiskussion zu ethischen Dilemma-Situationen
-
Interpersonales Problemlösetraining
Kognitive Schemata bei Antisozialer Persönlichkeitsstörung (Beck)
-
Grundüberzeugungen: Ich muss angreifen, sonst werde ich zum Opfer", Ich bin berechtigt, andere auszubeuten , Regeln sind willkürlich
-
Überentwickelte Strategien: Angriff, Ausbeuten, Raubverhalten
-
Unterentwickelte Strategien: Empathie, Gegenseitigkeit, soziales Verhalten
37
Kognitive Therapie
-
Sensibilisierung für Zusammenhänge zwischen eigenem Verhalten und sozialen Reaktionen
-
Training prosozialen Verhaltens
o Man versucht Verhalten zu trainieren, das zumindest gesellschaftlich verträglich ist.
-
Soziales Denken (Empathie)
o Wie man dabei vorgeht, wird im nächsten Schritt beschrieben.
-
Problemlösetraining
o Dies basiert wieder auf der Annahme, dass es den Personen an Ressourcen mangelt.
Training von Empathie
-
Detaillierte Analyse der eigenen Tat (Gruppendiskussion)
-
Berichte der Opfer lesen, schriftlicher Bericht
-
Videos von Interviews mit Opfern anschauen, schriftliche Liste von Folgen schreiben
-
Folgen der Straftat für eigenes Opfer schriftlich ausarbeiten und in Gruppe vorlesen und diskutieren
-
2 Briefe ausarbeiten: Opfer an Täter und Täter an Opfer; vor Gruppe vorlesen
-
sachlich/wertschätzend, nicht Schuld/Scham forcieren
o In jedem Falle handelt es sich beim Aufbau von Empathie um einen sehr langfristigen Prozess, der eine hohe Frustrationstoleranz seitens des Therapeuten voraussetzt und nicht in einem einzigen stationären Aufenthalt vonstatten gehen kann.
2. Impulskontrollstörungen und Aggression
Gewalt vs. Aggression
-
Man hat Gewalt von Aggression zu unterscheiden:
o Gewalt: intentionales Handeln mit Absicht, Opfer zu schädigen, unter Einsatz von Zwang
o Aggression: aggressives Verhalten mit der Absicht, eigene Interessen/Bedürfnisse durchzusetzen
§ Physisch, psychisch, sexuell
Borderline-Persönlichkeitsstörung (DSM-IV ), Emotional instabile Persönlichkeit (ICD-10): impulsiver vs. BorderlineTyp
-
Wir unterscheiden die in der Überschrift genannten Persönlichkeitsstörungen.
-
Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung: 1-15%
o Prävalenz unter Straftätern: 11%?
-
Therapie: Dialektische Verhaltenstherapie (Linehan; s. Vorlesung zu Krisenintervention)
Impulskontrollstörungen bei Persönlichkeitsstörungen
-
Anhand des nachfolgenden Schemas kann man nachvollziehen, wie sich Borderline-Störungen und die Antisoziale Persönlichkeitsstörung
unterscheiden.
o Bei der Antisozialen PS geht es um einen Mangel an Gegenregulierung für Spannungen, wohingegen BorderlinePersönlichkeitsgestörte unter sich selbst leiden und die Spannung abbauen, indem sie Aggressionen meist gegen sich selbst richten.
38
Spezifische Interventionen bei Impulskontrollstörungen
-
Ziel: Verbesserung der Selbstkontrolle
o Selbstbeobachtung des problematischen Verhaltens und von Auslösern
o Stimuluskontrolle: Einschränkung der auslösenden Situationen
o Selbstinstruktionen zur Unterbrechung impulsiver Handlungsabläufe
-
Problemlösetraining: Einüben von kontrolliertem, schrittweisem Vorgehen in Problemsituationen
Prävalenz von Gewalt gegen Frauen in der Partnerschaft
-
Lebenszeit-Prävalenz: 25-30%
o Gewalt in der Partnerschaft kommt in allen Schichten vor. Bildung schützt nicht vor Gewalt.
-
1 Jahres-Prävalenz: 2-12%
Prävention von Gewalt gegen Frauen: Anti-Gewalt-Programme für schlagende Männer
-
Ziel: gewaltfreie Lösung von Beziehungskonflikten und Krisen
o Erster Schritt ist die Überwindung von Scham; man muss sich die eigene Gewaltneigung eingestehen. Gerade in gebildeten Kreisen
ist dies ein schwieriger Schritt.
-
Verbesserung der Selbstwahrnehmung und Erkennung von Risikosituationen
o Meistens kommt es in Streitsituationen zu Gewaltanwendung. Hier kann eine Prävention ansetzen, indem sie lehrt, wie man solche Situationen gar nicht erst entstehen und eskalieren lässt.
-
Training soziale Kompetenzen
-
Einüben von partnerschaftlichem Problemlösen
-
Konfrontation mit Sicht der Frau
3. Sexuelle Devianz, Paraphilien ( Perversion )
DSM-IV: Pädophilie
-
A. mind. 6 Monate wiederkehrende intensive sexuell erregende Phantasien, sexuell dranghafte Bedürfnisse oder Verhaltensweisen, die
sexuelle Handlungen mit präpubertärem Kind oder Kindern (<13 Jahre) beinhalten
-
B. klinisch bedeutsames Leiden/ Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen o. a. Funktionsbereichen
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C. Alter mind. 16 J. und mind. 5 J. älter als Kind
Pädophilie
-
Prävalenz: ca. 1%
-
Untergruppen:
o 50 % ausschließliche sexuelle Orientierung
o 15 % pädophile Nebenströmung (Nicht ausschließlicher Typus nach DSM IV)
o 35 % Ersatzhandlung für die eigentlich gewünschte sexuelle Beziehung zu einem altersentsprechenden Partner
Sexueller Missbrauch von Kindern
-
StGB § 174, 176
-
15.000 Anzeigen, Dunkelziffer: 60.000
-
Täter:
o Pädophile
o Persönlichkeitsstörungen
o Intelligenzminderung
Persönlichkeitsstörungen von Sexualstraftätern
-
Straftäter mit Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Kindern (N=99)
o 34% dependente PS
o 27% passiv-aggressive PS
o 23% Vermeidende PS
39
o 18% schizoide PS
Pfadmodell des sexuellen Missbrauchs (Ward & Sorbello, 2003)
Therapie von Paraphilien (Fiedler, 2004)
-
Vorgespräch: Motivation, Information
-
Prinzipien: Wertschätzung, Delikt
-
Setting:
Persönlichkeit
o Einzeltherapie: intensiv, weniger angstauslösend
o Gruppentherapie: Erlernen sozialer Kompetenzen
Therapie von Sexualstraftätern
-
1. Kognitive Umstrukturierung
o Problemanalyse: Bedingungen der Tat (Prozess des Teufelskreises der sexuellen Übergriffe)
o Psychologische Erklärung der Tat: systematische Ausblendung von Details, die Schuld, Scham oder Angst erzeugen= Dekonstruktion
der Tat
o Fördern von Verantwortungsübernahme statt Forcieren von Schuldgefühlen
-
2. Empathietraining
-
3. Soziale Kompetenzen und interpersonelles Verhalten
o
o
o
o
o
-
Problemlösetraining, Einüben partnerschaftlicher Konfliktlösestrategien
Wünsche anderer erkennen, eigene Wünsche konstruktiv äußern können
Paraphilien: Überwinden sozialer Angst, eigene Interessen vertreten und durchsetzen können
Impulskontrolle (Vergewaltigung): Umgang mit negativen Emotionen (Wut, Ärger)
Verbesserung sexueller Kompetenzen durch Wissensvermittlung, sexuelle Kommunikation
4. Rückfallprävention
o
o
o
o
o
zukünftige Veränderungsziele vor dem Hintergrund der eigenen Biographie
Erarbeiten individueller Rückfallfaktoren
Planung konkreter Handlungen zur Bewältigung
Erarbeiten von Rückfallsignalen, Anfertigen von einer eigenen Liste und für Bezugsperson
Verteilung der Liste auch an Bezugsperson, Behandlungsteam, in Behandlungsakt
40
Rückfallraten multimodaler Therapieansätze (VT) nach 5 Jahren mit/ohne Rückfall-Modul (Alexander, 1999, nach Fiedler, 2004)
4. Andere psychische Störungen im Zusammenhang mit Delinquenz
Gewalttaten bei psychischen Störungen
-
Affektive Störungen OR < 1
-
Geistige Behinderung: OR< 1
-
Schizophrenie: OR = 5
-
Substanzmissbrauch: OR = 10
o Erkärung: OR meint Odds Ratio, ein in der Epidemiologie häufig gebrauchtes Maß.
§ Eine Odds Ratio gleich 1 bedeutet, dass eine Störung kein Risikofaktor ist, dass das Verhältnis von Trägern der Störung und NichtTrägern der Störung unter Gewalttäter genauso hoch ist, wie in der Normalbevölkerung bzw. dass unter Menschen mit der jeweiligen Störung das Verhältnis von Gewalttätern zu Nicht-Gewalt genauso hoch ist wie in der Normalbevölkerung (?).
§ Eine Odds Ration größer 1 bedeutet, dass eine Störung ein Risiko ist.
§ Eine Odds Ratio kleiner 1 deutet auf eine geringere Wahrscheinlichkeit hin, dass von den Betroffenen der Störung Gewalttaten begangen werden.
Alkohol als Auslöser von Gewalt: Gewaltdelikte unter Alkoholeinfluss (Kriminalstatistik 1998)
-
gefährliche und schwere Körperverletzung 27.4%
-
Raubmord 30.2%
-
Körperverletzung mit Todesfolge 34.5%
-
Totschlag 40.8%
Komorbidität von Sucht mit Antisozialer PS
-
Alkoholismus
o Epidemiologische Studien: 11-13%
o Klinische Stichproben: 1-52%, Median: 18%
-
Opiatabhängigkeit
o Klinische Stichprobe: 30.6%
Psychopharmakologische Behandlung
-
explosive und aggressive Ausbrüche, gewalttätiges Verhalten: SSRIs, Lithium, Neuroleptika
-
Antisoziale PS: Amphetamine, Psychostimulantien
-
Sexualdelinquenz: Antiandrogene
41
12. Vorlesung am 20.11.2009: Beratung und Psychotherapie im Arbeits- und Organisationsbereich
Überschneidungen von Klinischer Psychologie und ABO-Psychologie
- Psychopathologie am Arbeitsplatz:
o Psychische Störungen am Arbeitsplatz
o Mobbing
o Stress, Work-Life-Balance, Burnout
- Interventionen
o Coaching
o Betriebliche Gesundheitsförderung
o Psychotherapie am Arbeitsplatz (employee assistance)
Gesellschaftliche Bedeutung der Arbeit
- Arbeit ist eine zielgerichtete Tätigkeit
o Die Arbeitskraft des Arbeitnehmers hat einen Tauschwert und wird gegen den Lohn eingetauscht
- Arbeit als Teil des Sozialisationsprozesses
o erlernter Beruf (Qualifikation)
o gesellschaftliche Erwartung und Belohnung
o Wettbewerb um berufliche Statuspositionen: Für einige Personen ist die Quelle von Freude, für andere ein Stressor.
- Individuelle Bedeutung von Arbeit
o Strukturierung der Lebensgestaltung
o soziales Ansehen
o Selbstwertgefühl
o Freude
- Damit hat Arbeit das Potential, sämtliche der 4 von Klaus Grawe postulierten Grundbedürfnisse zu befriedigen:
o Bedürfnis nach Struktur
o Bedürfnis nach sozialem Ansehen: Durch den Beruf oder in der Tätigkeit selbst
o Bedürfnis nach Selbstwerterhaltung und stärkung
o Bedürfnis nach Spaß/Lust
Veränderungen der Arbeitsanforderunge (Zielke, 2000)
- Siehe Tabelle rechts
o Heutzutage müssen nur noch wenige Menschen in Deutschland körperliche
Schwerstarbeit leisten und auch viele andere Dinge haben sich seit der
Industrialisierung verbessert.
- Nichtsdestotrotz gibt es nach wie vor viele Faktoren, die körperliche und
psychische Störungen hervorrufen oder befördern können.
o In der Moderne besteht ein hoher Qualifikationsdruck und in manchen Berufen
insbesondere für Führungspositionen auch eine hohe Mobilitätsanforderung
Modell der beruflichen Gratifikationskrise (Siegrist, 1988)
- Im rechts dargestellten Modell entsteht Distress aus zwei
Richtungen, grob gesagt:
o Zu viel Leistung
o Zu wenig Belohnung
- Zum Punkt der geringen Gratifikationen: Sie kann folgende
Ursachen haben
o Geringe Statuskontrolle, d.h. wenig Einfluss und
Gestaltungsmöglichkeiten
o Geringe Bezahlung
o Geringe sozioemotionale Belohnung, d.h. fehlende Anerkennung und Lob
- Je mehr Distress, desto höher die Wahrscheinlichkeit für psychische und psychosomatische Störungen
42
Macht Arbeit krank?
-
Dazu das Modell rechts kurz vorgelesen. Es stammt von Zielke (2000)
Arbeitslosigkeit
- Wenn man arbeitslos ist, ist das Risiko im Vergleich zu Arbeitenden
8 Mal so hoch hinsichtlich der Anzahl von Tagen mit
psychiatrischen Störungen
- Die Konsequenzen von Arbeitslosigkeit sind bei Männern massiver als bei Frauen, insbesondere Alkoholkonsum und bis hin zum Suizid
o Frauen: Haben ebenfalls ein höheres Risiko, was sich oft in psychischen Störungen, z.B. affektiven Störungen, äußert.
Stress
- Definition von Stress: Stress ist ein subjektiv intensiv unangenehmer Spannungszustand, der aus der Befürchtung entsteht, dass eine stark
aversive, subjektiv zeitlich nahe oder bereits eingetretene und subjektiv lang andauernde Situation sehr wahrscheinlich nicht vollständig
kontrollierbar ist, deren Vermeidung aber subjektiv wichtig erscheint (Greif, 1991).
-
Definition von Stressoren: Hypothetische Faktoren, die mit erhöhter Wahrscheinlichkeit Stress auslösen.
Definition von Distress: Unangenehmer Stress
Definition von Eustress: Angenehmer Stress, bei dem die Betroffenen Spaß daran haben, die Herausforderungen zu bewältigen.
Biologische Theorie von Stress: Stress ist ein uniformes biologisches Reaktionsmuster: Generalisiertes Adaptions-Syndrom (Selye, 1936)
Psychologische Theorie von Stress: Subjektive Bewertung der Bedrohlichkeit und verfügbare Bewältigungsressourcen: Transaktionales
Stressmodell (Lazarus, 1966)
Stressoren am Arbeitsplatz
-
Eigenschaften der Aufgaben, z.B. Komplexität, Kontrollierbarkeit
Hindernisse bei der Aufgabenerfüllung, z.B. Zeitdruck
Physische Bedingungen, z.B. Lärm
Soziale Bedingungen, z.B. Konflikte, Unterstützung, Kooperation
Organisationale Bedingungen, z.B. Status, Anerkennung
Arbeitsstressoren verursachen psychische Symptome
- In einer Metaanalyse mit 41 Studien (Sonnentag, 1996) fanden sich Korrelationen zwischen r= .20 bis .40 zwischen Arbeitsstressoren und
psychischen Symptomen
- In einer Längsschnittstudie über 1,25 Jahre (Zapf, 1991) wurde ebenfalls ein deutlicher Einfluss von Stressoren auf psychische Symptome
gefunden.
- Eine Überforderung in der Arbeitstätigkeit ist ein Risikofaktor für Depressionen
o Aber auch eine Unterforderung in Verbindung mit geringen Handlungsspielräumen
kann zu Depression führen.
Auswirkungen psychischer Störungen auf die Arbeitstätigkeit
- Leistungsminderung
o Beispielsweise geht mit einer Depression ein Konzentrationsmangel einher.
- erhöhtes Unfallrisiko
- partielle Arbeitsunfähigkeit (Leistungsausfall)
- Arbeitsunfähigkeit
- vorübergehende/dauerhafte Erwerbsunfähigkeit
Teufelskreislauf von Arbeitsbelastungen und psychischen Symptomen
- In der Vorlesung wurde die Grafik (rechts oben) nur so erläutert, dass man sie sich auch
einfach selber anschauen kann, d.h. es gab keinerlei zusätzliche Aussagen.
Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Störungen (Zielke, 2003)
- In den letzten Jahren sind die Fehltage kontinuierlich gestiegen
43
Folgen psychischer Störungen für die Volkswirtschaft
- Arbeitsunfähigkeitstage
o insgesamt: Männer 7.4%, Frauen, 10.6%
o Depressive Episoden: 2.8%
o Frührenten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit
Männer
Frauen
1995
14%
17.5%
1998
25.1%
30%
2002
27%
38%
- Der Anstieg der Zahlen ist schwierig zu interpretieren. Es muss nicht nur bedeuten, dass es mehr psychische Probleme gibt, sondern die
häufigere Diagnostizierung von solchen Problemen könnte auch ein Faktor sein.
Anteil der verschiedenen Krankheitsdiagnosen an der Frühberentung (Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes
NRW, 2004)
- Der durch psychische Störungen bedingte Anteil an Frühverrentungen hat sich von 1994 bis 2002 von 14% auf 29% verdoppelt.
Psychopathologie am Arbeitsplatz: Diagnostik
- Möglichkeiten für die Diagnostik wären z.B. strukturierte Klinische Interviews. Diese sollten aber von einer qualifizierten Fachperson,
die der Schweigepflicht unterliegt, durchgeführt werden.
o Vor einem ausführlichen Interview kann man auch Symptom-Fragebögen ausfüllen lassen, z.B. den BSI-57
o Fragebögen zu arbeitsplatzbezogenen Belastungen sind z.B. ISTA und KOLA
- Barrieren, warum diagnostische Maßnahmen nicht durchgeführt werden:
o Fälschen von Fragebögen aufgrund sozialer Erwünschtheit aus Angst vor Stigmatisierung oder Benachteiligung
o Ein Vertrauensverhältnis zum Diagnostiker ist deshalb notwendig.
o Schweigepflicht gegenüber Vorgesetzten
o Verletzung der Persönlichkeitsrechte durch Tests
Mobbing
- Mit dem Begriff Mobbing ist eine bestimmte Schuldattribution verbunden: Verantwortlich sind nahezu immer die anderen . Meist liegt
aber die Wahrheit irgendwo dazwischen: Auch das Mobbing- Opfer hat einen Anteil an der Situation.
Mobbing: Definition nach Arbeitsrecht
-
Systematisches Anfeinden, Schikanieren, und Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte.
o Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 1997, S. 781
Mobbing
- Merkmale
o Systematisch geplant und gezielt auf eine Person gerichtet
o Häufig und regelmäßige Handlungen über einen längeren Zeitraum
o Ungleiche Machtstrukturen, keine Einflussnahme möglich
Handlungen bei Mobbing
- Wie äußert sich Mobbing? Siehe Diagramm rechts
o Quelle: Meschkutat, Stackelbeck, & Langenhoff (2002). Der
Mobbing-Report. Dortmund, SFS.3
Prävalenz von Mobbing (Zapf, 1999)
- 1.2% bis 3.5 % der Arbeitnehmer erleben Mobbing
- Die Prävalenz ist höher in den Bereichen Gesundheit, Erziehung,
öffentliche Verwaltung
o In diesen Berufsfeldern ist das Burnout-Syndrom ebenfalls
sehr verbreitet.
44
Phasen von Mobbing
- In der Vorlesung wurde die Grafik (rechts) nur so erläutert, dass man sie
sich auch einfach selber anschauen kann, d.h. es gab keinerlei zusätzliche
Aussagen.
Ursachen von Mobbing
- Individuell: Erhöhte Kränkbarkeit, Fehlende Problemlösefähigkeit,
mangelnde Stressverarbeitung, starke Leistungsorientierung, fehlende
Kommunikationsfähigkeit, geringe Eigenreflektion
- Interaktiv: Kommunikationsprobleme, Inkongruenz verbale/non-verbale
Kommunikation (z.B. unpassende Gesichtsausdrücke), intransparente
Kommunikationsstrukturen innerhalb eines Teams
- Organisatorisch: Umstrukturierungen (Konkurrenz, Machtkämpfe,
Entsolidarisierung), Führungsprobleme (z.B. schwache Führungsperson,
die deshalb andere mobbt), unklare formelle Strukturen, schlechtes
Betriebsklima
- Gesellschaftlich: Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit, Technisierung führt
zum Wegfall von bestimmten Berufsbildern, hohe Anforderungen an die
Arbeitsorganisation, Globalisierung (Individualisierung, Wertewandel, Entsolidarisierung)
Folgen für das Opfer durch Mobbing
- Psychophysiologische Stresssymptome (Migräne, Spannungskopfschmerzen, Herz- Kreislauf-Erkrankungen, Magen-Darm- Erkrankungen,
Erschöpfungszustände)
-
Depressionen
posttraumatische Belastungsstörung u.a. Angststörungen
Suizidalität
Arbeitsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit
Diagnosen & Behandlungsorte
- In Deutschland werden Probleme, die auf Mobbing oder Burnout beruhen und einer stationären Behandlung bedürfen, überwiegend in
psychosomatischen Fachkliniken behandelt.
- Am häufigsten wird bei Opfern von Mobbing eine depressive Episode (F32) diagnostiziert, dann folgen die Diagnosen Rezidivierende
depressive Störung (F33) und Neurasthenie (F48).
Behandlung von Mobbing
- Setting: Stationäre Behandlung in psychosomatische Fachklinikenn (z.B. Berus, Waren)
- Einzel-/Gruppentherapie plus medizinische Betreuung
- Ziele:
o Angemessenes Problemkonzept aufbauen
o Soziale Unterstützung durch Mitbetroffene
o Vermeidungsverhalten abbauen
o Entspannungstechniken
o Soziale Kompetenz- und Problemlösetrainings
o Berufliche Wiedereingliederung
- Inanspruchnahme innerbetrieblicher Hilfen
Formen der Beratung
- Coaching
- Employee Assistance
- Präventive Beratung (z.B. betriebliche Präventionsprogramme)
45
Coaching
Definition coaching
-
Process of equipping people with the tools, knowledge, and opportunities they need to develop themselves and become more effective
(Feldman, 2001)
- Dies ist eine positive und moderne Definition, in der Förderung von Lernen, Motivierung zu Spitzenleistung und Leistungsoptimierung im
Mittelpunkt stehen. Traditionell wurde Coaching früher negativ definiert, d.h. es ging um den Ausgleich von Leistungsschwächen.
- Coaching ist eine zeitlich begrenzte Beratung zur Unterstützung der Lösung berufsbezogener Probleme
- Es ist primär für Führungskräfte und Manager gedacht und hat oft folgende Inhalte:
o Führungsverhalten
o Aufstieg zu Führungspositionen
o Umgang mit organisatorischen Veränderungen
o Berufliche Orientierung
- Ziel von Coaching: Förderung von Selbstreflexion und Selbstwahrnehmung, Bewusstsein, Verantwortung
- Coaching ist freiwillig und beruht auf Akzeptanz und Vertrauen
- Coaching durch Vorgesetzte vs. Durch Externe ohne formale Autorität
o Der Unterschied ist bedeutsam: Ein Coaching ist und wirkt anders je nachdem, ob es der eigene Chef oder ein externer Coach durchführt.
- Kompetenzen von Coachs:
o Psychologische Kenntnisse: Schneller Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung ist essentiell. Zudem das Wissen, wie man Veränderungen einleitet
o Management-Kenntnisse: Wissen über betriebswirtschaftlichen Kontext sind mindestens sehr hilfreich, wenn nicht sogar notwendig.
Phasen von Coaching
- Informationssammlung zu arbeitsbezogenen Aspekten
- Feedback zu Stärken und Schwächen
o z.B. 360-Grad Feedback
- Einzelberatung
o Theoretische Grundlagen: Klientenzentrierte Gesprächstherapie, Psychoanalyse, Gestalttherapie und Psychodrama, Verhaltenstherapie,
Systemische Therapie,
- Evaluation
Ansatzpunkte für Coaching
- Probleme, die ein Coaching erfordern können:
o Soziale Kompetenz- und Kommunikationsdefizite bei den Klienten
o Der Klient erhält mangelnde Rückmeldung zu seinem Führungsverhalten
o Der Klient hat Systemprobleme, z.B. sind Verantwortlichkeiten nicht klar oder die Zusammenarbeit von Subsystemen funktioniert nicht
- Folgen der oben aufgeführten Probleme:
o Isolation, Allmachtsvorstellungen
o Verzerrte Wahrnehmung, Beurteilungstendenzen ( Betriebsblindheit )
o Leistungsverlust, Motivationsprobleme, berufliche Krisen
o Spannungen in den Beziehungen zu Mitarbeitern
Coaching vs. Psychotherapie
- Coaching
o Qualifikation nicht geregelt (unterschiedliche Berufsgruppen)
§ Aber: Unternehmenserfahrung und betriebswirtschaftliches Wissen sind notwendig
o Personen sind primär gesund, berufliche Rolle (Leistung und Führung)
o Kurzfristig Verhalten ändern
o explizite zeitliche Begrenzung und Definition der Ziele
- Psychotherapie
o Zugang zur Psychotherapie ist berufs- und sozialrechtlich geregelt
o Behandlung von Störungen
o Langfristig Emotionen und Umgang mit Belastungen verändern
46
o Dauer abhängig von den Fortschritten in der Behandlung
Spezielle Beratungsinterventionen bei Stress am Arbeitsplatz
Möglichkeiten der Intervention gegen Stress
-
Entspannungstraining
Stressbewältigungstraining
Problemlösetraining
Training sozialer Kompetenzen
Kommunikationstraining
Kognitive Umstrukturierung
Work-Life-Balance
- Wichtig für die Work-Life-Balance ist die
o Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Privat-/ Familienleben
o Zufriedenstellendes Ausmaß an Freizeit
- Günstig wirkt sich auch die Verkürzung der Arbeitszeit aus
- Im Durchschnitt ist die Work-Life-Balance günstiger bei:
o Männern
o Kinderlosen
o älteren Erwerbstätigen (>50)
o niedrigerer beruflicher Stellung/Qualifikation
o geringer Arbeitszeit/Beschäftigungsgrad/Arbeitsweg
Employee Assistance Programme
- In der Vorlesung wurde zu diesem Punkt allgemein über Unterstützungsprogramme für Angestellte geredet.
- Dazu gehört ein interner oder externer, qualifizierter Berater
o Der Service kann vor Ort oder außerhalb des Betriebes stattfinden
- Aufgaben eines solchen Programms sind:
o Prävention durch Informationsvermittlung (schriftlich, elektronisch, Präsentationen)
o Schulung von Führungspersonal
o Themenbezogene Beratung (z.B. Kinderbetreuung)
o Hilfestellung für Angestellte bei psychischen Problemen
o Krisenintervention
Rational-emotive Therapie mit workaholics
o Quelle: Burwell R.; Chen C.P. (2002). Applying REBT to workaholic clients. Counselling Psychology Quarterly, 15, 219-228
- Auftretende Probleme bei Workaholics sind:
o exzessives Engagement (Zeit und Gedanken) in der Arbeit und Vernachlässigung anderer Lebensbereiche
- Die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Verhaltensweisen ist
oft hoch. Probleme werden oft verleugnet.
- Ursachen können sein: Sucht; Vermeidung (anderer
Konflikte im Leben); Kontrollbedürfnis;
Leistungsorientierung; niedriges Selbstwertgefühl
Kognitive Technik: Disputation
- Auf der Abbildung rechts ist die Ratio-emotive Therapie
aufgeführt.
o Nicht weiter ausgeführt aufgrund Zeitmangel am Ende
der Vorlesung
ET bei workabholics (übersprungen in der VL)
- Emotive Techniken:
o Einüben von Selbstakzeptanz durch Selbstinstruktion
o Shame-attack: Herausfordern von Ablehnung durch bewusstes Verstoßen gegen Normen
47
- Verhaltensänderung
o Aufbau von überzeugungsdiskrepantem Verhalten
o Delegieren
o Grenzen setzen
o Veränderung des Lebensstils (mehr Zeit für Privatleben)
o Einüben von Freizeit
13. Vorlesung am 27.11.2009: Burnout + Ethik in Beratung und Psychotherapie
Anmerkung zu Folien (pdf-Dateien)
- Die aktualisierten Folien der letzten Woche, die am 2009-01-20 wirklich in der Vorlesung gezeigt wurden, stehen noch nicht im Internet.
Sie werden aber in den nächsten Tagen online gestellt werden.
- Die heute verwendeten Folien stehen noch in ihrer ursprünglichen Reihenfolge online, d.h. der Block Burnout steht in der pdf-Datei am
Ende der Vorlesung. Heute wird aber Burnout vor Ethik und Moral behandelt werden.
Ankündigung
- Nächste Woche Dienstag wird Dr. Grosse Holtforth in Köln zum Vorsingen sein. Die Vorlesung und Seminare werden vertreten werden.
o Die Vorlesung (Thema: Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten) wird von Dr. Stefan Dilger gehalten, der ausgebildeter
psychologischer Psychotherapeut ist und die Ambulanz des Instituts für Psychologie in Jena leitet.
o Wahrscheinlich wird auch Dr. Barbara Eberhardt, die auch ein Seminar vertreten wird, in der Vorlesung sein. Sie leitet die Ausbildung
zum psychologischen Psychotherapeuten in Jena
Burnout
Belastungsfaktoren bei helfenden Berufen
- Verarbeitung von
o zahlreichen, emotional intensiven, problematischen Beziehungen
o Leiden, Schicksal der Patienten
o eigener Hilflosigkeit
- Anforderungen an therapeutische Kompetenzen
o Methoden
o therapeutische Beziehung
- Umgang mit Macht
- Sorgfaltspflicht, permanente Selbstkontrolle, dauerhafte Aktivierung von Aufmerksamkeit
- Abgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben ist schwierig. Stichwort work-life-balance
Ziele & Anforderungen in helfenden Berufen (keine Folie, sondern mündliche Erläuterung)
- Problematisch ist es, wenn in helfenden Berufen konkrete Ziele gesetzt werden, z.B. Der Patient muss wieder gesund werden.
- Besser für den Helfenden wären Ziele, die eine Erfüllung in der Tätigkeit selbst sehen: Der Kontakt mit Patienten, sie zu betreuen und ihnen
Zuwendung/Zuneigung zu geben, kann auch schon ein Ziel sein und macht Misserfolge (und damit Burnout) weniger wahrscheinlich.
- Insbesondere für Anfänger stellt ein helfender Beruf eine enorme Herausforderung dar: Sie haben bestimmte Krankheitsbilder in ihrer
Ausbildung nicht oder nur unzureichend kennen gelernt und sind meist mit der Praxis überfordert. Patienten mit mehreren Krankheiten, z.B.
Essstörung plus Depression, sind eine große Herausforderung.
o Generell kann man sagen: Ausbildung ist ein gutes Rüstzeug und hilft, aber sie schützt auch nicht vor allem.
- Eine weitere Anforderung ist der Umgang mit Macht, was insbesondere für Psychotherapeuten gilt. Dies wird noch auf separaten Folien im
zweiten Teil dieser Sitzung behandelt werden. Thema ist hier z.B. Was macht man, wenn eine(r) Patient(in) sich in mich verliebt?
Burnout
- Ausgebrannt Sein (Freudenberger, 1974)
- Verwandte Begriffe: Chronic Fatigue-Syndrom (DSM-IV); Neurasthenie (ICD 10), psychovegetatives Erschöpfungssyndrom
o Da Burnout keinen eigenen Schlüssel in den Manualen hat, wird es heute meist als Chronic Fatigue-Syndrom (DSM-IV) bzw. Neurasthenie (ICD 10) diagnostiziert. Diese Diagnosen werden weithin akzeptiert.
- Psychische Symptome: Emotionale Erschöpfung; Konzentrations-/Gedächtnisstörungen, Depression
- Einstellungen: Sinnverlust, Wertlosigkeit eigener Arbeit, negatives Selbstwertgefühl, Zynismus
48
- Körperliche Beschwerden: Kopfschmerzen; Hypertonie; Herz-Kreislaufprobleme; Schwindel; Magen-Darm-Beschwerden; Muskel und
Rückenschmerzen; verminderte Immunabwehr
Verbreitung von Burnout
- Auf Intensiv-, Krebs- und AIDS-Stationen: bei 40-60% der Pflegekräfte, 15-30 % der Ärzte
o Pflegekräfte sind permanent ansprechbar und viel unmittelbarer mit den Problemen der Patientinnen und Patienten konfrontiert als Ärzte.
- Bei Lehrern sind 35% betroffen, weitere 30% der Lehrer sind in einem Vorstadium
- Personen, die eigene Angehörige pflegen: 60-80%
o Wenn bereits Pflegekräfte ein hohes Erkrankungsrisiko für Burnout haben, ist es nicht verwunderlich, dass dies bei Angehörigen noch
übertroffen wird: Sie überschreiten aufgrund der emotionalen Bindung zur pflegebedürftigen Person ständig ihre Grenzen.
- Psychotherapeuten: Prävalenzrate unbekannt
- Frauen sind häufiger betroffen als Männer, jedoch sind solche Geschlechtseffekte kritisch zu bewerten.
Risikofaktoren für Burnout
- Persönlich: Über-Engagement und Perfektionismus
- Organisationsbedingt: wenig Erfolg, hohe Anforderungen und keine Anerkennung durch Arbeitgeber/Kollegen/Mitarbeiter
o Bei flachen Hierarchien (z.B. ein Vorgesetzter für 100 Call-Center-Telefonisten) gibt es nur äußerst geringe Chancen, beruflich aufzusteigen auch wenn man sich noch so anstrengt
und dadurch eine Belohnung zu erfahren.
- Arbeitsbedingt: hohe oder vielfältige Leistungsanforderungen, Eintönigkeit der Arbeit
Burnout bei Psychotherapeuten (Rupert & Morgan, 2005)
- Stichprobe dieser Studie: N= 571 klinische Psychologen, die in Institutionen oder als niedergelassene Therapeuten arbeiteten.
o Die Teilnehmer sind US-Amerikaner, die ein Graduiertenstudium in klinischer Psychologie absolviert haben.
- Erfassung durch Fragebögen (Psychologist s Burnout Inventory)
- Ergebnisse: Psychologen in Kliniken/Beratungsstellen: Nehmen eine geringere Leistungsfähigkeit als niedergelassene Praktiker wahr
o Eine Erklärung hierfür wäre: In Institutionen ist man als Psychologe normalerweise weisungsbefugt, d.h. man darf ohne z.B. den Chefarzt nicht entscheiden, welche Therapien ein Patient besuchen soll.
- Frauen: höhere emotionale Erschöpfung in Kliniken als in Praxen. Männer zeigen eine höhere emotionale Erschöpfung in Praxen als in
Kliniken
o Die Ursachen für diese Verteilung sind aber unbekannt.
- Emotionale Erschöpfung:
o 44% der untersuchten Psychologen wiesen erhöhte Werte auf dem Burnout-Fragebogen auf.
o Diese erhöhte Burnout-Wahrscheinlichkeit ist assoziiert mit
§ Weniger Kontrolle über Arbeitsaktivitäten
§ Vermehrte Arbeitszeit
§ Verwaltungsaufgaben und Dokumentation
·
Der Zwang zur Dokumentation (in Deutschland: Anträge an die Krankenkassen) ist einerseits berechtigt, aber es stellt sich die
Frage, ob dieser Aufwand durch eine effizientere Organisation nicht reduziert werden könnte.
§ Kassen- vs. Privat-Patienten
·
Der Umgang mit Privatpatienten ist einfacher, weil die Kassen tendenziell mehr Methoden erstatten und auch einen höheren
Stundensatz zahlen.
§ Negatives Patientenverhalten
Gegenmaßnahmen (Prävention gegen Burnout)
- Selbsterfahrung in der Ausbildung
o Es ist wichtig, dass man sich vor und während der Ausbildung die
Frage stellt, warum man eigentlich Therapeut werden möchte.
-
Supervision
Team, Intervision
Arbeitsorganisation
Entspannung, Ausgleichsaktivität
Berufszufriedenheit von Psychotherapeuten
- N=539 ärztliche u. Psychologische Psychotherapeuten, 85 KJP Friedrich
et al., 2003 (siehe: Grafik rechts)
49
- Einwand: Die Studie wurde kurz nach Einführung des Psychotherapeutengesetzes 1999 durchgeführt, als die psychologischen Psychotherapeuten eine massive Besserstellung und Einkommenssteigerung erfahren hatten. Zudem stellt sich die Frage, welche Population hier eigentlich untersucht wurde: Wenn unser Jahrgang einmal zu Psychotherapeuten werden sollten, werden wir ganz andere Ausgangs- und Vergütungsbedingungen vorfinden als ein Therapeut, der im Jahr 2000 schon 10 Jahre tätig gewesen ist.
Moral und Ethik
Definitionen
- Definition von Moral: Gesamtheit der Werte, Normen und Tugenden, die in einer Gesellschaft, Organisation oder sonstigen menschlichen
Gemeinschaften als gültig angesehen wird.
- Definition von Ethik: die wissenschaftlichkritische Beschreibung, Beurteilung und Reflexion von Moral
Zentrale Kategorien der Ethik
- Werte: grundlegende, erstrebenswerte Prinzipien des Handelns ( was gut ist )
- Normen: Handlungsvorschriften ( was getan werden soll )
- Tugenden: erstrebenswerte Charaktereigenschaften ( wie man ein guter Mensch sein kann )
Ethische Argumentation
- Moral: feste Normen
- Ethik: Begründung für Normen aus
o Intention des Handelnden (deontologische Ethik)
§ Kant: kategorischer (praktischer) Imperativ: Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines
anderen, zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.
·
Eine Überschreitung dieses Prinzips wäre z.B., wenn man sexuelle Beziehungen zur einer Patientin aufnimmt: Dadurch hätte der
Therapeut eher einen Vorteil, für die Patientin wäre es eher schädlich.
§ Habermas: Diskursethik
·
Jede gültige Norm muss der Bedingung genügen, dass die Folgen und Nebenfolgen, die sich aus der allgemeinen Befolgung
der strittigen Norm für die Befriedigung der Interessen eines jeden Einzelnen voraussichtlich ergeben, von allen zwanglos akzeptiert werden können.
·
==> Aushandlung ethischer Normen in der Kommunikation
o Ergebnis eines Handelns (Konsequenzialistische Ethik: Utilitarismus, Nützlichkeitsethik)
§ Nach diesem Prinzip ist richtig, das größte Glück (Freude, Lust) für die größte Zahl von Menschen zu erzielen
§ z.B. Hedonismus
Bedeutung der Kasuistik - Paradigmatische Fälle in der Praxis
- Bottom-up-Modell (linke Abbildung): ethische Reflexion praktischen Handelns am
konkreten Fall
o Aus dem Einzelfall wird das Leitbild und die berufliche Identität abgeleitet
- Top-down-Modell (rechte Abbildung): Ableitung ethischer Urteile aus dem Leitbild
o Beispiel: Aus dem Studium von philosophischen und ethischen Grundlagen leite ich mein konkretes Handeln ab.
- In der Praxis wird eigentlich erst aus dem Zusammenspiel aus Top-down und Bottom-up ein ethisch vertretbares Handeln ermöglicht, da
jede der beiden Vorgehensweisen alleine nur begrenzt umsetzbar ist.
Prinzipien der Bioethik (Beauchamp & Childress, 1989)
- 1. Respekt der Autonomie
o Ermöglichen einer freien Entscheidung des Patienten über eigenes Handeln aufgrund eigener Überlegung
- 2. Nichtschädigung
o Eid des Hippokrates ( Nihil nocere )
- 3. Fürsorge
o Verbesserung des Zustandes des Patienten, Abwägen von Konsequenzen der Therapie
- 4. Gleichheit
o keine Benachteiligung aufgrund Nationalität, Kultur, politischer/religiöser/sexueller Orientierung oder finanzieller Möglichkeiten
- Diese Auflistung entspricht im wesentlichen den vier menschlichen Grundbedürfnissen, die Klaus Grawe postuliert hat:
o Bindungsbedürfnis
o Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle
o Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz
50
o Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung.http://de.wikipedia.org/wiki/Grundbed%C3%BCrfnis - cite_note-5
Angewandte Ethik
- Anwendungsbereiche der auf der letzten Folie dargestellten Prinzipien: Entscheidungen über Normen, die im öffentlichen Interesse sind
o Umweltschutz
o Tierschutz
o Medizinische Eingriffe
§ Gentechnik
§ Transplantation
§ Sterbehilfe
§ Geburtenkontrolle
§ Klonen
Nimwegener Methode für ethische Fallbesprechung (Steinkamp & Gordijn, 2003)
-
1. Problem
2. Fakten
3. Bewertung
4. Beschlussfassung
Diese vier Punkte werden auf den folgenden Folien ausgeführt
1. Was ist das Problem?
- Ethisches Problem = Unsicherheit oder Uneinigkeit hinsichtlich der Bewertung des Handelns als gut oder richtig in Handlungs- bzw. Entscheidungssituation
- Welche Handlungen sind optimal?
- Welche Ziele sollten Handlungen haben?
2. Fakten
- Professionelle Einschätzung der Situation:
o Diagnose, Prognose, indizierte Behandlung, mögliche Nebenwirkungen/Schaden
o Weltanschauung des Patienten, Auswirkungen von Behandlung auf Patient und soziales Umfeld
o Organisatorische Bedingungen
3. Bewertung
- Wohlbefinden des Patienten ist ein Bewertungskriterium, wie man als Therapeut (be)handeln soll.
- Autonomie des Patienten: Ist oftmals höher zu bewerten als eine (im Verständnis des Therapeuten) sinnvolle Behandlung.
- Verantwortlichkeit von Behandlern (Vertraulichkeit, Aufrichtigkeit, Kollegialität, Gerechtigkeit)
4. Beschlussfassung
- Zusammenfassung von Problem, Fakten, Werte
- Handlungsalternativen
- Entscheidung für Handlung
Ethische Prinzipien der American Psychological Association (APA)
- Quelle: American Psychological Association (2002): Ethical Principles of Psychologists and Code Of Conduct: Preamble
- Psychologists are committed to increasing scientific and professional knowledge of behavior and people s understanding of themselves and
others and to the use of such knowledge to improve the condition of individuals, organizations, and society. (
)
-
This Ethics Code is intended to provide specific standards to cover most situations encountered by psychologists. It has as its goals the welfare and protection of the individuals and groups with whom psychologists work and the education of members, students, and the public regarding ethicalstandards of the discipline.
-
The development of a dynamic set of ethical standards for psychologists work-related conduct requires a personal commitment and lifelong
effort to actethically; to encourage ethical behavior by students, supervisees, employees,and colleagues; and to consult with others concerning
ethical problems.
APA Code 2002: General Principles
- Beneficence and Nonmaleficence
o Wohltun und Nichtschaden
- Fidelity and Responsibility
51
o Zuverlässigkeit und Verantwortung
- Integrity
o Aufrichtigkeit
- Justice
o Gerechtigkeit
- Respect for People s Rights and Dignity
o Respekt vor Menschenrechten und Menschenwürde
APA Code 2002: Ethical Standards
- Bereiche für ethische Standards sind
o 1. Resolving Ethical Issues
o 2. Competence
o 3. Human Relations
o 4. Privacy And Confidentiality
o 5. Advertising and Other Public Statements
o 6. Record Keeping and Fees
o 7. Education and Training
o 8. Research and Publication
o 9. Assessment
o 10.Therapy
Werte in der Psychotherapie
Beispiel Definition von Störungen/Krankheiten
-
Siehe Abbildung rechts
o Es ist dargestellt, was als schlechtes bzw. gutes Interaktionsverhalten
eines Individuums definiert ist.
o Im Falle der dissozialen Persönlichkeitsstörung werden entsprechende
Patienten implizit durch das Diagnosesystem als schlecht bewertet. Das
Verhalten, das als diagnostisches Kriterium beschrieben wird, erfüllt
nicht nur die Kategorie krank (wie bei allen Krankheiten/Störungen),
sondern auch die wertende Kategorie schlecht .
Berücksichtigung des sozialen Kontext
- Ursachen der Störung?
o Individuum-zentrierte Sicht der Psychotherapie: internale, stabile Attribution von Störungen (individuelle Perspektive)
o Vernachlässigung von Gesellschaft und sozialen Systemen des Patienten
- Ziele der Therapie?
o psychische Gesundheit, Arbeitsfähigkeit, soziale Beziehungen= gesellschaftliche Werte
o Auswirkungen von Handlungen des Patienten auf sozialen Kontext? (soziale Perspektive)
§ Beispiel: Wenn ich einer türkisch-stämmigen Patientin dazu rate, von zu Hause auszuziehen, kann dies dazu führen, dass die Familie
in ihrer Ehre beschädigt wird und die Patientin in Zukunft von ihrer Familie geächtet wird.
Das therapeutische Arbeitsbündnis
- Ziel: Autonomie des Patienten
o Dahinter steht die Annahme, dass alle Patienten selbständige Menschen sind. Die Einsichtsfähigkeit ist jedoch bei Kindern generell und
gelegentlich bei Patienten mit Psychosen eingeschränkt, so dass das Autonomieprinzip nicht uneingeschränkt gelten kann.
- Informierte Zustimmung
o Ebenso wie in psychologischen Experimenten muss vor Beginn einer psychologischen Behandlung eine solche Aufklärung vorgenommen werden.
- Einwilligung in die Behandlung
- Anpassung der Aufklärung an Patienten: Sprachliches Niveau der Formulare muss angemessen sein
- Einbeziehung von Vormund/Angehörige, Erziehungsberechtigte
Informierte Zustimmung ( informed consent )
o Zweck: Autonomie des Patienten
52
- Information über
o Therapeut: Wer ist der Therapeut? Wie ist er ausgebildet?
o Therapie: Wie läuft der Prozess ab? Was ist die Frequenz? Wie lange wird die Therapie dauern?
o Alternativen
o Rechte des Patienten: Zum Beispiel darf er sich an andere Institutionen wenden, wenn der Therapeut Fehler macht.
o Finanzierung
o Datenschutz: Dies ist insbesondere in Krankenhäusern oder anderen Institutionen wichtig: Dürfen z.B. andere Mitglieder des therapeutischen Teams die Notizen aus der Therapie lesen?
o Pflichten des Therapeuten: In einigen Kliniken muss der Therapeut beispielsweise mindestens einmal pro Woche mit dem Patienten
sprechen.
o Umgang mit Krisen
Werte in den Psychotherapieschulen (Kraul, 1998)
-
Psychoanalyse: Vernunft, Selbstbeherrschung, Selbstkontrolle
Verhaltenstherapie: Handeln, Veränderbarkeit, Autonomie
Humanistische Therapien: Selbsterkenntnis, Selbstverwirklichung, Freiheit
Systemische Therapien: Freiheit, Subjektivität, Autonomie, Veränderbarkeit
Generelle Anmerkung von Dr. Grosse Holtforth, der einen integrativen Ansatz vertritt und sich gegen Dichotomien oder strikte Aufteilung
in verschiedene Schulen ausspricht:
o Man sollte weder den Schluss ziehen Weil ich Verfahren X mache, muss ich die Werte Y berücksichtigen. Noch Weil mir die Werte
Y wichtig sind, kann ich Verfahren X nicht anwenden bzw. mich dazu ausbilden
lassen.
o Die obige Auflistung ist nur eine grobe Schwerpunktsetzung von Werten
Rolle des Therepeuten
Macht des Therapeuten
-
Siehe obere Abbildung rechts
o Jedoch hat Dr. Grosse Holtforth den Punkt Ausbildung durch Können ersetzt in den aktualisierten Folien
Bedürfnisse des Therapeuten
- Siehe untere Abbildung rechts
- In der Abbildung sind einige Bedürfnisse aufgeführt, die im therapeutischen
Prozess die Heilung des Patienten gefährden können, wenn sie in falscher
Weise einfließen bzw. eingesetzt werden.
Sexuelle Abstinenz des Therapeuten
- Umfrage: Verletzung der Abstinenz bei 5-12% der männlichen und 1-3% weiblichen TherapeutInnen (Vogt, 1989)
- Täterprofil:
o Meist etablierte Therapeuten
o Wiederholungstäter
o Prädiktoren für solches Fehlverhalten, die manchmal auch als Entschuldigungen genutzt werden, sind:
§ Lebenskrisen, Naivität, Depression, negatives Selbstwertgefühl, Einsamkeit oder Persönlichkeitsstörungen (impulsiv, narzisstisch,
antisozial)
- Folgen: Der sexuelle Kontakt kann zu einer (Re-)Traumatisierung führen, insbesondere wenn verwandte Konflikte schon vorlagen
- Strafrechtliche Ahndung ist schwierig, weil der Beweis/Nachweis schwierig ist. Folgende Strafbestände kommen für eine Ahndung in Frage:
o Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses (§174c)
o Sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Körperverletzung
Verliebtheit des Patienten in den Therapeuten [Folie übersprungen]
- Konflikt: Verstehen/Helfen vs. Zurückweisung von Beziehungsangeboten
- Gefahr der Eskalation
- Beendigung der Arbeitsbeziehung notwendig, um
o eigene Identität zu schützen
o Traumatisierungen zu verhindern
53
Unterbringung, Zwangseinweisung, Zwangsbehandlung [Folie nicht mehr behandelt]
- Beispiele:
o Gerichts-Auflagen bei Drogenmissbrauch
o Psychose
o Behandlung von Kindern
- Konflikt: Respekt von Autonomie vs. Fürsorgepflicht
- Arbeitsbündnis, Information
14. Vorlesung am 03.02.2009: Ausbildung und Berufsperspektiven
- Die Vorlesung wird aufgrund Abwesenheit von PD Dr. Grosse Holtforth von Dr. Dipl. Psych. Stefan Dilger vertreten.
- Dr. Dilger ist seit etwas über einem Jahr niedergelassener Psychotherapeut in Erfurt und ist außerdem einen Tag pro Woche an der Ambulanz des Jenaer Instituts für Psychologie beschäftigt. Zusätzlich ist er Dozent in der Jenaer Ausbildung zum psychologischen Psychotherapeuten und der Ehemann von Dr. Barbara Eberhardt, die das Jenaer Ausbildungsinstitut für psychologische Psychotherapeuten leitet.
Zu den verwendeten Folien und der Mitschrift
- Dr. Dilger verwendete nur teilweise die Folien von Dr. Grosse Holtforth (also die von Prof. Stangier), die auch als pdf-Datei online stehen.
Die meisten Folien hat er verändert, viele gekürzt, und einige zusätzlich ergänzt.
- Dr. Dilger las einige Folien einfach nur vor und gab auch offen zu, dass er viele der Folien nicht verstanden habe, weshalb er einige Inhalte ausließ. Seine zusätzlichen Inhalte seien mit Sicherheit nicht wichtig für die Klausur .
o Deshalb gibt es kaum Mitschriften/Ergänzungen zu den Folien.
Rechtliche Rahmenbedingungen von Psychotherapie
-
Berufsrecht
Sozialrecht
Zivilrecht
Strafrecht
Psychotherapeutengesetz (PsychThG)
- Inkrafttreten 1. Januar 1999
- Gleichstellung ärztlicher und psychologischer Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichen- Psychotherapeuten
o sozialrechtlich
o berufsrechtlich
o Laut Dr. Dilger wurde durch das Gesetz eine enorme Verbesserung erreicht. Momentan erhält er für jede gehaltene Therapiestunde von
den Krankenkassen ca. 80 , wovon natürlich Steuern und Kosten wie Praxismiete abgezogen werden müssen.
-
selbständige Vertragsbehandler im Rahmen der Versorgung der gesetzlich Pflichtversicherten zugelassen und gesetzlich ermächtigt
Berufsrecht
- Psychotherapie ist Heilkunde
o Approbation nach Arztrecht
o Approbation nach Psychotherapeutengesetz
- Berufspflichten
o Schweigepflicht
o Verpflichtung zur Dokumentation
o V. zur Qualitätssicherung
o V. zur Aufklärung des Patienten
o V. zur Fortbildung
o V. zur Teilnahme am Notfalldienst
o V. zur Niederlassung
Sozialrecht: Sozialgesetzbuch V
- Zulassung durch Kassenärztliche Vereinigung
- Teilnahme an vertragsärztlicher Versorgung
o Zwangsmitgliedschaft
54
o Gleichstellung von ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten
o Regelung von Gemeinschaftspraxen, Notdienst, Vertretung, Nebentätigkeiten
o Vergütung von Leistungen nach Budget
Zivilrecht: Behandlungsvertrag
- Grundlage der Beziehung zwischen Therapeut und Patient
- mündlich oder schriftlich
- Verpflichtung des Behandlers: Durchführung der zur Wiederherstellung der körperlichen und gesundheitlichen Integrität erforderlichen,
medizinischen bzw. therapeutischen Maßnahmen nach den Regeln der ärztlichen Kunst
- Behandler: Sorgfaltspflicht, Haftung für deren Verletzung und Schaden
- Patient: Recht auf Schadensersatz, Schmerzensgeld
Verletzung der Sorgfaltspflicht
-
Behandlungsfehler
Beratungsfehler
Diagnosefehler
Aufklärungsfehler
Verletzung der Schweigepflicht
Dokumentationsfehler
Organisationsfehler
Strafrecht: Strafgesetzbuch
-
Verletzung der Schweigepflicht (§203, 204)
Fahrlässige Tötung (§ 222)
Fahrlässige Körperverletzung (§ 229)
Abrechnungsbetrug (§ 263)
unterlassene Hilfeleistung (§ 323)
Schweigepflicht
-
§ 203 Strafgesetzbuch, § 53 Strafprozessordnung
Konsequenz: Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht
Zivilrecht: ungeschriebene Nebenpflicht eines jeden Behandlungsvertrags
Verletzung der Schweigepflicht
o erheblicher Schaden oder Gefahr für Patienten oder Dritten
o keine andere Möglichkeit der Gefahrenabwehr
o mit Patienten besprechen
Arbeitsmarkt-Information der
Bundesagentur für Arbeit
Studium in Psychologie 1999
-
Bundesanstalt für Arbeit, 2003
N=2785 pro Jahr
73% Frauen
256 Promotionen (9% der Absolventen)
Arbeitsmarkt 2001
- Bundesanstalt für Arbeit, 2003
o Siehe Abbildung rechts
- erwerbstätige PsychologInnen: 40000-45000
- Klinische Psychologie
o 36% der Stellenangebote aus Kliniken
o deutlich mehr als die Hälfte aller berufstätigen
Psychologen im klinischen Bereich
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o laufende/abgeschlossene Ausbildung erwartet
- ABO:
o Abnahme der Stellen
o trotzdem beste Einstiegschancen auf Arbeitsmarkt
- Lehre und Forschung:
o Abnahme der Stellen
- Arbeitslosigkeit: 2500 (6%)
o Tendenz sinkend!
o mehr Frauen
o meist nur vorübergehend (< 6 Mo)
Beschäftigungssituation im Jahr 2003
- N=43.000
o Siehe Abbildung rechts
- Es gibt ca. 14.000 niedergelassene psychologische
Psychotherapeuten und ca. 3.000 ärztliche
Psychotherapeuten, die ausschließlich als solche
arbeiten.
- Quelle: http://www.arbeitsagentur.de/zentralerContent/Veroeffentlichungen/AM-KompaktInfo/AM-Info-PsychologInnen.pdf
Bedarf an Psychotherapie
Bedarf an Psychotherapie: Epidemiologie
-
(Wittchen, Bundesgesundheitssurvey, 1998)
Unterversorgung in der Kassenversorgung mit Psychotherapie
15.6 Mill. erwachsene Deutsche mit psychischen Störungen, davon
8.5 Mill. behandlungsbedürftig und auch behandlungsmotiviert,
aber:
- 5.5 Mill. (36%) werden nur behandelt
o 4 Mill. (26%) mit Psychopharmaka
o 1.5 Mill. (10%) erhalten Psychotherapie
- Kinder und Jugendliche: 17% werden nur behandelt, sehr selten mit
Psychotherapie
12-Monats-Prävalenz psychischer und körperlicher Störungen
(Wittchen et al., 2003)
- Siehe Abbildung (Kreisdiagramm) rechts
Versorgungsbedarf bei psychischen Störungen:
- Bundesgesundheitssurvey des Robert-Koch-Instituts 1998 (Wittchen
et al., 2003)
- Erwachsene:
o 1-Jahres-Prävalenz: 32% der Bevölkerung
o 1-Monats-Prävalenz: 17.2%
o Am häufigsten: Angststörungen (18%), depressive Störungen
(13.3%), somato-forme Störungen (11%), Substanzabhängigkeit
(7.1%)
- Jugendliche (Wittchen et al., 2000):
o 1-Jahres-Prävalenz: 17.5 %
o starke Zunahme depressiver Störungen (Verdopplung in 10 J.)
An der Versorgung psychischer Störungen beteiligte
Institutionen
- Bundesgesundheitssurvey, Wittchen et al., 2003
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- Siehe Abbildung (Kreisdiagramm) rechts
- Beratungsstellen sind besonders wichtig für Patienten, die keine individuelle Störung haben, sondern eine systemische, d.h. ein Problem in
ihrem Umfeld.
Behandlungsraten bei psychischen Störungen (Wittchen et al., 2003)
- Irgendeine Behandlung erhielten:
o Suchtstörungen: 29,3%
o Essstörungen 29,9%
o Angststörungen 36,8%
o Panikstörung 58,2%
o Somatoforme 43,6%
o Affektive Störungen 50,1%
o Psychotische St. 72,3%
- Gesamt (mind. 1 psych. Störung): 36.4%
o Behandlungsrate bei Kindern und Jugendlichen: 17%
Psychotherapievereinbarungen
Psychotherapievereinbarungen
- (1998, geändert 2004)
- Vertrag zwischen KBV und VdAK bzw. Primär-KK
- anerkannte Verfahren der Psychotherapie:
o tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (tfPT)
o analytische Psychotherapie (APT)
o Verhaltenstherapie (VT)
- Voraussetzung zur Teilnahme:
o Fachärzte für Psychotherapeutische Medizin
o Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie
o Zusatzbezeichnung Psychotherapie"
o Psychologische Psychotherapeuten
- Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen:
o Facharzt für Kinder- und Jugendlichen-Psychiatrie
o Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten
- Leistungen und Honorar für tfPT, aPT und VT festgelegt im
o Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (BMÄ) und
o Bewertungsmaßstabes für vertragsärztliche Leistungen (E-GO)
- Antragstellung mit Begutachtung
Zulassungsbeschränkung für die vertragsärztliche Versorgung
- Bedarfsplan der KBV nach Regionen (KV-Bezirke)
- Schlüssel abhängig von Einwohnerzahl und Stadt-Land
- Bedarf für alle Richtlinien-Verfahren der Psychotherapie und Erwachsene und Kinder/Jugendliche gemeinsam berechnet
Therapieformen
Ambulante Psychotherapie: Analytische Psychotherapie und Tiefenpsychologische fundierte Psychotherapie
- Technische Merkmale der Behandlung:
o Neutralität des Psychotherapeuten
o Deutung: Zusammenhang aktueller Probleme mit vergangenen Beziehungserfahrungen/Konflikten
o Analyse der Übertragung (Wiederholung des Beziehungsmusters) u. des Widerstands (Störung)
- Richtlinien-Verfahren:
o klassische Psychoanalyse: liegend, hochfrequent
- (3-5 Std./Wo), Dauer: mehrere Jahre, Einzel
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o analytische Psychotherapie (Kurztherapie): liegend/Sitzend, hochfrequent, max. 50 Stunden
§ Die Patienten regredieren, die Therapie ist sehr stark vergangenheitsorientiert und kann im Liegen durchgeführt werden.
o Tiefenpsychol. fundierte Psychotherapie: sitzend, niederfrequent (1 Std./Wo), Dauer: 1-2 J., 50 (max.80) Std.
§ Es findet keine Regredierung statt, zudem sitzen die Patienten genauso wie in der verhaltentherapeutischen Psychotherapie.
o Unterschied tfPT zu aPT/Pa: Begrenzung des Behandlungs-zieles auf Beseitigung der Störung, problemzentriertes Vorgehen, Einschränkung regressiver Prozesse
- Zusätzlich: Siehe Grafik 2 rechts
Ambulante Psychotherapie: Verhaltenstherapie
- Technische Merkmale der Behandlung:
o Aktives, problemorientiertes Vorgehen des Therapeuten
o Kooperative Arbeitsbeziehung mit rationaler Aufgabenteilung
o Individualisierte Problemanalyse
o Interventionsmethoden
§ Selbstkontrolltechniken
§ Verhaltenstraining
§ Kognitive Umstrukturierung
§ Exposition
- Richtlinien-Verfahren:
o Kurzzeit: 25, Langzeit 40 (+20) Std.
o Dauer: 1-2 Jahre, Einzel
Behandlungsbedarf
Behandlungsbedarf: Mangel an PsychotherapieBehandlungsplätzen
- Quelle: Friedrich et al., 2003
Siehe auch
Grafik 1 rechts
- 539 ärztliche und psychologische
Psychotherapeuten, 85 KJP-Therapeuten im
Raum Göttingen/Kassel
- 54 Prozent kein Behandlungsangebot
- größte Engpässe: Verhaltenstherapeuten (66%)
- Ablehnungsgrund: fehlender Therapieplatz
(58%)
Behandlungsbedarf: Wartezeit auf PsychotherapieBehandlungsplatz (Zepf et al., 2000)
- 233 ärztliche und Psychologische Psychotherapeuten im
Saarland
- 50 % der anfragenden Patienten wurden aus zeitlichen
Gründen abgewiesen
- bei den restlichen 50%: durchschnittliche Wartezeit auf den
Therapieplatz = 5 Monate
Psychologische Psychotherapeuten (Anzahl pro 100.000
Einwohner) (Koch, 2004)
- Die regionale Disparität bei der Psychotherapeuten-Dichte
liegt zum großen Teil an den Regelungen der
Kassenärztlichen Vereinigungen: Nach einem
Verteilungsschlüssel stehen ländlichen Regionen weniger
Therapeuten pro Einwohner zu als Städten.
- Siehe Abbildung (Kate) rechts.
- In Thüringen waren bis ca. 2003 noch Kassensitze unbesetzt
(Unterversorgung), d.h. man konnte sich sofort (ohne Ablösezahlung o.ä.) niederlassen und mit den Kassen abrechnen.
Der letzte freie Kassensitz für Psychotherapeuten wurde
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aber 2006 in Sachsen besetzt, d.h. ab sofort ist die vorgesehene Versorgung in allen deutschen Bundesländern erfüllt bzw. übererfüllt.
o Dennoch gibt es in fast allen Regionen Deutschlands enorme Wartezeiten für eine Psychotherapie.
Bedarf an Psychotherapie: Jährlicher Ersatzbedarf für Psychologische Psychotherapeuten, die in Ruhestand treten (Schulte & Lauterbach,
2002)
-
Vorannahme: 27 J. Berufsleben (35. - 62. Lj.)
Anzahl Psychologischer Psychotherapeuten (Praxis und Klinik): N= 28.600 (1999)
Ersatzbedarf pro Jahr: N = 1059
Psychologie-Absolventen im Jahr: N = 2785
Anteil der Studenten, die für die Deckung des Bedarfs (nur durch Ruhestand) in Ausbildung gehen müssten: 38%
nicht berücksichtigt: Umstellung der Kliniken auf Psychologische Psychotherapeuten als Qualifikationsstandard
Psychotherapeutengesetz (PsychThG)
- Inkrafttreten 1. Januar 1999
- Gleichstellung ärztlicher und psychologischer Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichen- Psychotherapeuten
o Sozialrechtlich
o berufsrechtlich
- selbständige Vertragsbehandler im Rahmen der Versorgung der gesetzlich Pflichtversicherten zugelassen und gesetzlich ermächtigt
- Voraussetzungen :
o abgeschlossenes Psychologiestudium an einer Universität oder gleichwertigen Hochschule
§ Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten: Pädagogik oder Sozialpädagogik: Approbation nur für Kinder und Jugendliche (21.
Lj.)
·
Soll heißen: Auch (Sozial-)Pädagogen dürfen die Ausbildung beginnen. Abrechnen dürfen KJ-Psychotherapeuten aber nur Fälle,
deren Therapie vor Vollendung des 21. Lebensjahres begonnen wurde.
§ Psychologischen Psychotherapeuten: Behandlung (aber nicht Abrechnung) auch von Kindern und Jugendlichen
·
Wenn man als psychologischer Psychotherapeut auch für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen abrechnen möchte,
muss man eine einjährige Zusatzausbildung machen, d.h. nach insgesamt 4 Jahren Ausbildung darf man beides: Kinder/Jugendliche und Erwachsene.
- Ausbildung
o mindestens dreijährig in Vollzeitform
o oder mindestens fünfjährig in Teilzeitform
Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten (PsychTh-APrV)
- 600 Std. theoretischer Unterricht
- 120 Std. Selbsterfahrung
- mind. 1 J. praktische Tätigkeit an einer psychiatrischen Klinik
o Dabei sei es wichtig, eine Klinik zu finden, die einen nicht nur ausnutzt .
- 1/2 J. praktische Tätigkeit an einer psychotherapeutischen oder psychosomatischen Einrichtung (Praxis oder Klinik)
- 600 Std. praktische Ausbildung (Behandlung unter Supervision in Ausbildungsambulanz)
Kosten einer Ausbildung
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- Es ist immer wichtig den Gesamtbetrag zu betrachten, der sich aus Einnahmen und Ausgaben zusammen setzt.
o Um ohne finanzielle Zuwendungen durch andere Personen seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, benötigt man eine halbe Stelle.
600 Std. theoretische Ausbildung
- 200 Std. Grundlagen:
§ Sozialpsychologische Grundlagen, Neurobiologie
§ psychische Störungen
§ psychosomatische Krankheitslehre
§ psychiatrische Krankheitslehre
§ Psychotherapieforschung, Diagnostik
§ entwicklungs- und geschlechtsspezifische Aspekte
§ Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen
§ Störungen in Paaren, Familien und Gruppen
§ Prävention und Rehabilitation
§ medizinische, pharmakologische Grundkenntnisse
§ Methoden der Verhaltenstherapie
§ Dokumentation und Evaluation von Psychotherapie
§ Berufsethik und Berufsrecht
§ Geschichte der Psychotherapie
o Überlappung mit Studium (25-95%, bei KJP 15-50% )
§ --> Anrechnung von Studieninhalten in Ausbildung? Ist momentan nicht möglich, könnte sich aber in Zukunft ändern.
- 400 Std. Vertiefung:
§ Diagnostik (Anamnese, Verhaltens-, Problem- und Zielanalyse, Indikationsstellung, Fallkonzeptualisierung und Behandlungsplanung, Erstgespräch)
§
§
§
§
§
§
§
§
Problemanalyse, Therapieplanung, Verhaltensanalyse
Rahmenbedingungen der Psychotherapie
kognitiv-behaviorale Behandlungsmethoden bei spezifische Störungen
Krisenintervention
Kurz- und Langzeittherapie
Therapiemotivation, Behandlungsplanung, Therapeuten- Patienten-Beziehung
Behandlungsmethoden bei Kindern und Jugendlichen
Behandlungsmethoden bei Paaren, Familien und Gruppen
Praktische Tätigkeit
- 1200 Std. Klinisches Jahr in Psychiatrie an Diagnostik und Behandlung von mind. 30 Patienten beteiligt
- 600 Std. in psychotherapeutischer Einrichtung
Praktische Ausbildung
- 600 Std. selbständige Behandlung in Ausbildungsambulanz des Ausbildungsinstituts oder Lehrpraxen
o Honorar nach Verträgen mit Krankenkassen
- 150 Std. Supervision
o Honorar nach Vereinbarung
Approbationsprüfung
-
Voraussetzung: 6 Falldokumentationen
schriftlicher Teil: multiple choice
mündlicher Teil: Theorien zur Ätiologie; Diagnostik und Indikation; Interventionsmethoden; fallbezogene Prüfung von Wissen
Abschlussnote
Approbation: Staatliche Erlaubnis für die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde
Ausbildungsinstitute
- Schwerpunkte: Verhaltenstherapie
o Psychoanalytisch begründete Verfahren/ analytische
o Kinder-und Jugendlichenpsychotherapie)
- Träger
und tiefenpsychologisch fundierte PT
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o Universitär (21)
o Privat (143)
- Thüringen: 3
o Ausbildungsstätten:
§ Psychoanalyse/TPT (1) in Erfurt
o Filialen mit Ausbildungsteilen:
§ Psychodynamisch (1) in Jena
§ Verhaltenstherapie (1) in Jena
Berufszufriedenheit
- N=539 ärztliche u. Psychologische Psychotherapeuten, 85 KJP (Friedrich et al.,
2003)
- Siehe Grafik 2 rechts
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