Beschränkung auf drei Verfahren ist skandalös

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Beschränkung auf drei Verfahren ist skandalös
Patientenbeauftragte sieht dringenden Bedarf zur Zulassung von
Gesprächspsychotherapie
Ende Juni läuft die Übergangsregelung für die Praxisgebühr aus. Viele meiner Kolleginnen
und Kollegen1) fragen sich, was sie ihren Patienten sagen sollen, die natürlich wissen wollen,
ob sie künftig beim Psychotherapeuten zusätzliche 10 Euro bezahlen müssen oder nicht?
[Zum Zeitpunkt des Interviews lag die endgültige Entscheidung über die Praxisgebühr noch
nicht vor.]
Nach der Entscheidung des Bundesschiedsamtes ist die Psychotherapie ein eigener
Versorgungsbereich, in dem - wie in der ärztlichen und zahnärztlichen Versorgung gesondert Praxisgebühr zu entrichten ist. Deshalb war ursprünglich die 3er Regelung
geplant. Diese ist nicht eingeführt worden, stattdessen wurde als Übergangslösung die 2er
Regelung eingeführt. Psychotherapie wird als Teil der ärztlichen Versorgung betrachtet,
weshalb Praxisgebühren regelhaft nur zweimal zu entrichten sind. KBV und
Bundesgesundheitsministerium haben sich für die dauerhafte Beibehaltung dieser Regelung
ausgesprochen und auch die Spitzenverbände haben Entgegenkommen signalisiert. Einige
wenige Krankenkassen sehen das anders. Ich gehe davon aus, dass die Übergangsregelung
entweder verlängert oder dauerhaft etabliert wird.
Haben Sie den Eindruck, dass die Politik in dieser Frage am Anfang die richtigen Signale
gegeben hat? Oder ist die Psychotherapiepatienten benachteiligende 3er Regelung nicht die
Folge unklarer Formulierungen im Gesundheitsmodernisierungsgesetz und nicht zu Ende
gedachter Entscheidungen z.B. der des Bundesschiedsamtes?
Manche Psychotherapeuten finden die 3er Lösung besser, weil sie die Eigenständigkeit noch
mal betont. Ich erinnere daran, dass im 1. Gesetzentwurf der Koalition die Praxisgebühr bei
den so genannten Primärärzten nicht anfiel. In unserem ersten Entwurf gab es außerdem das
Erstzugangsrecht zum Psychotherapeuten. Die Opposition wollte zu diesem Zeitpunkt 10%
Zuzahlung zu jeder Leistung. Das war die Ausgangssituation. Im Kompromiss ist daraus die
Praxisgebühr in Höhe von 10 Euro geworden. So ist das bei Kompromissen, man lässt Federn
und setzt sich auf der anderen Seite auch durch. So kam es im weiteren Verlauf des
Prozesses zu der 3er Regelung und schließlich zur 2er Regelung.
Pro und contra Hausarztmodell
Primärarztmodelle haben m. E. so ihre Tücken. Es sind Untersuchungen bekannt, wonach
Patienten viel zu lange diverse überflüssige, auch erhebliche Kosten verursachende
Untersuchungen und Behandlungen durchlaufen, bevor sie endlich zum PT kommen, u.a.
weil Hausärzte das eigentliche Problem nicht diagnostizieren. Die Kosten sind aber nur eine
Seite des Problems. Schlimmer ist aus meiner Sicht, dass Patienten nicht zu der Behandlung
kommen, die sie wirklich brauchen. Deshalb ist es uns so wichtig, das das Erstzugangsrecht
zum Psychotherapeuten, und zwar ohne zusätzliche Gebühr, erhalten bleibt.
Ich unterstütze das Hausarztmodell, weil ich überzeugt bin, dass ein Arzt, eine Ärztin über
alle Sektoren hinweg Daten sammeln und bündeln und die Patienten lotsen sollte.
Unabhängig davon muss die Diskussion über die Qualität der Diagnostik, und das nicht nur
bei Hausärzten, geführt werden. Auch Diabetiker werden zum Teil jahrelang falsch
behandelt. Oder denken Sie an Krebserkrankungen, die viel zu spät diagnostiziert werden.
Daran sind auch Fachärzte beteiligt.
Für das viele Geld, das wir im Gesundheitswesen immer noch bewegen, ist die Qualität bei
der Versorgung bestimmter chronischer Erkrankungen nicht gut genug im internationalen
Vergleich. Ich weiß, dass psychisch Kranke jahrelang durchs System irren. Aber das jetzt zu
einem Problem des Primärarztmodells zu machen, halte ich für falsch. Diagnostik insgesamt
muss verbessert werden - beim Hausarzt, aber auch beim Internisten, beim Neurologen und
anderen.
Ich bin sehr für eine bessere Diagnostik; das Problem ist dadurch allein jedoch nicht zu
lösen. Mit dem Hausarztmodell macht man die Hausärzte zu Leistungsverteilern. Sie haben
ein Interesse, den Patienten so lange wie möglich bei sich zu behalten.
Meine Antwort darauf ist ganz klar: Zur Kompetenz gehört, dass ich an der richtigen Stelle
abgebe. Auch Sie als Psychotherapeutin müssen wissen, wann Sie einen Patienten zu einem
anderen Facharzt schicken sollten. Das gehört zum Handwerk. Sie sprechen hier
Verteilungskämpfe an, die sich auf viele Systeme beziehen und die ich nicht am
Hausarztmodell festmachen möchte.
Unser Gesundheitswesen ist so stark sektoriert wie kein anderes in den westlichen Ländern.
Man wird als Patient regelrecht filetiert. Deshalb wünsche ich mir, dass jemand die Daten
zusammenführt und bewertet. Hausärzte sollten das können, nicht zuletzt in Kenntnis der
psycho-sozialen Situation und der Arbeits- und Lebenssituation ihrer Patienten. Es gibt auch
nicht viele Patienten, die von sich aus zum PT gehen.
Da machen wir eine andere Erfahrung. Ca. 70% der Patienten kommen auf eigene Initiative,
30 % durch ärztliche Überweisung. Und viele Patienten möchten nicht, dass ihr Hausarzt z.B.
von ihrer Essstörung oder einem anderen psychischen Problem erfährt, weil das mit Scham
besetzt ist. Einige mochten noch nicht einmal die Quittung vorlegen und dadurch
eingestehen, dass sie beim Psychotherapeuten waren. Sie fürchten Fragen und Einmischung.
Niemand muss die Quittung vorlegen, er kann auch 10 Euro bezahlen. Und niemand muss
sich in ein Hausarztmodell einschreiben, auch wenn seine Kasse das anbietet. Ich kann
genauso gut bei dem anderen System bleiben und sagen: Ich gehe erst zum Orthopäden,
dann zum Kardiologen und schließlich zum PT; keiner muss vom anderen wissen, nur dann
kostet es etwas mehr.
Das würde bedeuten, dass Leute mit wenig Geld benachteiligt sind und vielleicht viel länger
zögern, einen PT aufzusuchen. Das finde ich bedenklich, genauso wie die folgende Tatsache:
Private Krankenversicherungen wollen häufig mit Patienten, die eine Psychotherapie gemacht
haben, entweder gar nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen Verträge abschließen.
Nach geltendem Recht gibt es kaum Möglichkeiten, dagegen zu intervenieren. Aber kann es
denn rechtens sein, dass dadurch Patienten diskriminiert werden?
Ich habe mit diesen Fällen relativ viel zu tun, obwohl psychisch Kranke insgesamt nur einen
kleinen Anteil unter den Patienten ausmachen, die mich anrufen. Das hat aber auch damit zu
tun, dass psychisch Kranke sich im Gegensatz zu somatisch Kranken stärker zurückziehen,
je kranker sie werden. Die PKV ist berechtigt und nach Risikoselektion oder Risikobewertung
sowie der Anwendung wirtschaftlicher Prinzipien geradezu verpflichtet, bestimmte Fälle
auszuschließen oder mit höheren Sätzen zu belegen. Darauf haben wir als BMGS keinen
Einfluss, schon deshalb nicht, weil die PV zum Wirtschaftsministerium gehört. Trotzdem
arbeite ich aber genau an diesem Punkt. Grundsätzlich ist aber zu prüfen, ob gesetzlich eine
»Verjährungsfrist« für die Aufnahme in eine private Krankenkasse eingeführt werden sollte,
wenn ein psychisch Erkrankter geheilt werden konnte und anschließend z.B. fünf Jahre ohne
Beschwerden war. Diskriminierung der Menschen sollte vermieden werden, so auch bei
Versicherungsabschlüssen der privaten Versicherungsgesellschaften.
»Schöngerechnete« Bedarfsdeckung
Die KV behauptet, der Bedarf an Psychotherapie sei gedeckt, es bestehe sogar eine
Überversorgung. In unseren Praxen erleben meine Kollegen und ich tagtäglich, dass es nicht
so ist. Patienten beklagen, dass sie bei mehreren Therapeuten nachgefragt haben und
dennoch schon lange vergeblich um einen Termin bemüht sind. Besonders arg verhält es sich
im Bereich Kinder und Jugendliche. In Berlin ist die Situation in den Bezirken sehr
unterschiedlich. Aber Durchschnittszahlen helfen uns hier nicht, denn Sie können Kindern
schlecht regelmäßige Fahrten durch die ganze Stadt zumuten, nur weil Charlottenburg mehr
Therapeuten als Marzahn hat. Sehen sie als Patientenbeauftragte eine Möglichkeit, auf eine
realistische Bedarfsplanung Einfluss zu nehmen und die teilweise bestehende
Unterversorgung zu beseitigen?
Ich werde bei vielen Gelegenheiten zu diesem Problem angesprochen und bin darüber
erstaunt, weil Berlin bundesweit immer als Beispiel für die Überversorgung angeführt wird.
Vor Ort sieht es offensichtlich anders aus. Da schildern mir die PT lange Wartelisten und
richtige Notstände der Versorgung, und das weniger in dem Wunsch, mehr Fälle zu kriegen
(sie sind häufig gut ausgelastet). Die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ist ein
Beispiel für Unterversorgung. Ich will mich als ersten Schritt darum kümmern, welche
Berechnungen zu dem falschen Bild führen.
Ich denke, das kommt erstens daher, dass mit Personen gerechnet und nicht die
Stundenzahl zugrunde gelegt wird. Zweitens werden die Therapeuten in Relation zur
Einwohnerzahl berechnet und nicht nach dem tatsächlichen Bedarf, außerdem nicht getrennt
für Erwachsene, Kinder und Jugendliche.
Ich kann nicht versprechen, sofort die große Lösung zu finden, aber ich greife die mir
bekannt werdenden Fakten und Probleme auf und versuche sie in die geeigneten Gremien zu
tragen. Ich bin ununterbrochen im Gespräch, auch mit KK und KVen, und vernetze die
Akteure. Dieses Thema wird mit sehr großer Intensität von vielen Seiten an mich
herangetragen und hat meine Aufmerksamkeit.
Krankenkassen und KVen sind nicht die einzigen Bereiche, wo Psychotherapie durchgeführt
wird. In den Beratungsstellen werden Stellen abgebaut. Es wird versucht, aus dem Kinderund Jugendhilfegesetz- Bereich Kosten auf die Krankenkassen zu verlagern. Das ist zum
einen eine Einschränkung, weil Kassenpsychotherapie auf die Richtlinie beschränkt ist, zum
anderen ist dort die Versorgung nicht gesichert. Es wird sozusagen von zwei Seiten
gleichzeitig beschnitten.
Die unrealistische Bewertung der Versorgung betrifft aber nicht nur Berlin. Unsere
Bundesgeschäftsstelle erreichen auch häufig Anrufe aus anderen Bundesländern mit
ähnlichen Klagen über lange Wartezeiten insbesondere für Kinder und Jugendliche.
Sicherstellungsauftrag muss erfüllt werden
Es gibt einen Sicherstellungsauftrag für unterversorgte Gebiete. Und es gibt auf der anderen
Seite das Phänomen, dass selbst bei einer relativ hohen Zahl von arbeitslosen Fachärzten
kaum einer aufs Land möchte. Aber das kann man vielleicht steuern durch finanzielle
Anreize. Es gibt m. E. noch Möglichkeiten, die es im Interesse der Patienten auszuschöpfen
gilt.
Sorge bereitet uns auch die Entwicklung in den psychiatrischen Kliniken. Der Medizinische
Dienst der Krankenkassen (MDK) überprüft derzeit deren Struktur und damit
zusammenhängend die Fehlbelegung. Es wird argumentiert, dass allein die medikamentöse
Behandlung einen stationären Aufenthalt in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertige.
Das bedeutet das Aus für psychotherapeutische Behandlung und Diagnostik in der
Psychiatrie. Eine angemessene Versorgung psychisch Kranker ist damit bedroht. Wie
schätzen Sie das ein?
Ich kenne diese Überprüfung durch den MDK nicht. Wir haben seitens der Politik nicht
umsonst bei den Fallpauschalen die psychischen Erkrankungen ausgeschlossen. Hier braucht
man so differenzierte und individuelle Angebote, dass es schwierig, wenn nicht unmöglich
ist, Durchschnittswerte zu berechnen. Ich möchte das recherchieren, bevor ich mich dazu
äußere.
Zur qualitativ hoch stehenden psychotherapeutischen Versorgung gehört auch die Zulassung
wissenschaftlich begründeter Therapieverfahren. Stimmen Sie mir zu, dass es eine
Benachteiligung von Psychotherapie-Patienten ist, wenn ihnen im Rahmen der
kassenärztlichen Versorgung nur drei Therapieverfahren angeboten werden dürfen?
In den Debatten um das Psychotherapeutengesetz ging es aus meiner Sicht immer auch um
Therapievielfalt. Sie war eines unserer Ziele. Ich weiß von vielen Klinikern, die sagen: »Ohne
die Gesprächstherapie würden wir gar nicht zurechtkommen.« Die Beschränkung auf die drei
Therapieverfahren und der Ausschluss der Gesprächstherapie sind für mich sowohl aus
wissenschaftlicher Sicht als auch unter Versorgungsgesichtspunkten skandalös.
National und international existieren genügend Nachweise, die eine offizielle Anerkennung
überfällig machen. Hier finden Verteilungskämpfe zu Lasten der Patienten statt. Ich hoffe,
dass der Gemeinsame Bundesausschuss mit den Patientengruppen, die darin jetzt vertreten
sind, endlich zu einer vernünftigen Entscheidung kommt und weitere Verzögerungen
verhindert. Ich verspreche mir auch von den Kammern einen wichtigen Beitrag.
Darf man von den Parteien diesbezüglich nichts mehr erwarten?
Unter den Abgeordneten auch meiner eigenen Partei fürchten nicht wenige, mit jedem neuen
Verfahren, das wir ins System holen, würde die Versorgung teurer. Das stimmt nicht, hat
sich aber als Erkenntnis noch nicht durchgesetzt.
Gleichstellung der PT mit anderen Facharztgruppen steht aus
Zur Schlechterstellung der Psychotherapiepatienten gehört auch die schlechte Bezahlung
ihrer Behandlerinnen. Obwohl z. B. Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen hohe
volkswirtschaftliche Kosten verursachen – laut AOK-Fehlzeiten-Report 3 Mrd. Euro allein im
Jahre 2001 – werden nur 3% der Gesamtvergütung für Psychotherapie ausgegeben.
Das ist ein Missverhältnis. Wir müssen uns fragen, woran das liegt. Es hat m.E. etwas mit
der Qualität im System zu tun. Alle sind daran beteiligt, nicht nur die häufig in diesem
Zusammenhang angegriffenen Hausärzte, wenn Patienten 6 Jahre durchs System irren und
keiner adäquaten Therapie zugeführt werden. Und es hat etwas mit Unterversorgung zu tun.
Änderungen sind dringend notwendig, zumal gerade der gesamte Kreis der psychischen
Erkrankungen einen hohen Anteil bei den Erwerbsunfähigkeitsrenten hat.
Die Bezahlung der PT ist schlecht, wir warten schon lange auf fällige Nachzahlungen.
Verstehen Sie den Unmut der Psychotherapeuten?
Ja. Die Debatte können wir abkürzen: Die Gleichstellung der PT mit anderen
Facharztgruppen ist obwohl ausdrücklich gewollt bisher nicht erfolgt. Die Unterprivilegierung
der PT zeigt sich nicht nur in der schwachen politischen Vertretung, sondern auch im
Honorarsystem.
DMP für Sucht und Depression
Schlecht bezahlt und schlecht vertreten - das ist undemokratisch. In Berlin sind wir mit 19%
der Behandler die zweitgrößte Behandlergruppe, dürfen aber nur zu 10% in der VV vertreten
sein. So will es das Gesetz.
Hier geht es um Machtstrukturen, die die eine Seite erhalten und die die andere verändern
will. Das wird noch ein weiter Weg, bis die PT gleichgestellt sind. Eine Repräsentanz von
10% ist der zum gegenwärtigen Zeitpunkt mögliche Kompromiss.
Wir sind der Meinung, die Leistungsbreite der psychologischen Psychotherapeuten wird in
den Disease Management Programmen nicht oder nicht ausreichend abgerufen.
Die DMP sind mir sehr wichtig. Sie sind ein Weg, um Qualitätsleitlinien zu definieren, aber
auch die Kette auszubauen und den interdisziplinären Aspekt zu betonen. Bei bestimmten
Erkrankungen ist die Beteiligung von psychologischer oder psychotherapeutischer Hilfe
unverzichtbar, denken Sie an die koronaren Herzerkrankungen oder an Brustkrebs. Nicht
jede Frau, die an Brustkrebs leidet, bedarf einer Psychotherapie. Aber es muss an
irgendeiner Stelle eine Klärung stattfinden. Ich setze mich auch für ein DMP für Sucht ein
und für Depression. Diese Krankheiten und vor allem die betroffenen Patienten bedürfen
unserer Aufmerksamkeit.
Das Gespräch mit MdB Helga Kühn-Mengel führte Eva-Maria Schweitzer-Köhn
Aus: Report Psychologie 7-8/2004
Diesen Text finden Sie auch im Internet: BDP-Verband.org/bdp/idp/2004-03/03.shtml
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