Starke Gefühle in bedrohlichen Zeiten

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GRENCHEN
MZ Dienstag, 2. Juni 2009
Starke Gefühle in bedrohlichen Zeiten
Im neuen Stück von Iris Minder bekommen die legendären Grenchner Figuren Dursli und Babeli ein Gesicht
Für die Grenchner Theaterfrau
Iris Minder läuft die Zeit momentan schneller als für andere. In
nur zehn Tagen kommt ihr Stück
Frömdi Herre – frömdi Dienschte
zur Uraufführung. Gestern probte
sie mit ihrem Team erstmals
draussen auf dem neuen Freilichtspielplatz Eichholz.
BRIGIT LEUENBERGER
«Iris Minder möchte ich nicht sein. Sie
stirbt gerade 1000 Tode», sagt eine Zuschauerin auf der erhöhten Tribüne leise zu ihrer Sitznachbarin. Derart gequält sieht Iris Minder in ihrer Rolle als
Regisseurin allerdings nicht aus. Mit
fester Stimme, immer aber auch mit einem Lächeln auf dem Gesicht, gibt sie
den Schauspielerinnen und Schauspielern Anweisungen. Dass die erste Aussenprobe kein Zuckerschlecken wird,
hat sie schon im Voraus gewusst. «Es
wird ein absolutes Chaos geben», sagte
sie jenen, die es wissen wollten.
Ein Tontechniker verteilt Mikrofone, erklärt, wie man die Headsets richtig aufsetzt und macht erste Sprechtests. «Die Kutsche kommt leider erst
nächste Woche», sagt Iris Minder und
bemerkt spitzbübisch in Richtung eines stark geschminkten und adrett gekleideten Herren: «Ich hoffe, es ist Ihnen zuzumuten, für einmal zu Fuss zu
gehen, Herr von Solval?» Breites Gelächter unter den Schauspielern. Doch die
Regisseurin zieht die Zügel sogleich
wieder straff: «Jetzt fangen wir an und
bitte, konzentriert euch.»
Ein Stück grosse, weite Theaterwelt
Der Freilichtspielplatz Eichholz ist
ein lauschiger Ort. Iris Minder hat ihn
ausgewählt, nachdem für sie klar geworden ist, dass sie kein weiteres Stück
im Stadtpark zur Aufführung bringen
wollte. «Der Regenbrunnen von Travaglini hat in meinen Stücken immer eine
zentrale Rolle gespielt. Nun wollte ich
mal etwas anderes», erklärt sie. Von der
Tribüne aus präsentiert sich für den Zuschauer malerisch der Jura. Hohe Bäume rahmen die Bühne ein. Auf der rechten Seite ist eine Festwirtschaft, auf der
linken ein hoher Thron zu sehen. In der
Hinweise
Verkehrsbeschränkung
Strassenbauarbeiten
Wegen Instandstellungs- und
Strassenbauarbeiten sind an
der Solothurnstrasse, Abschnitt Kapellstrasse bis westlich Knoten Neckarsulmstrasse, Verkehrsbeschränkungen
erforderlich. Die Arbeiten dauern von heute Dienstag, 2. Juni, bis ca. Mitte Juli. ( M G T )
Radar Die Kontrollen
im Juni
Die Stadtpolizei Grenchen
führt gemäss Mitteilung ihre
Radarkontrollen im Monat Juni an den folgenden sieben
Daten durch: Donnerstag, 4.,
Mittwoch 10., Montag, 15.,
Mittwoch, 17., Mittwoch 24.,
Donnerstag, 25., und am
Montag, 29. ( M G T )
Denkmalpflege Gärten
und Parkanlagen
Im Auftrag der Kantonalen
Denkmalpflege wird eine Liste
der wertvollen Gärten und
Parkanlagen erstellt. Das Projekt bildet die Grundlage zur
Erforschung der Gartenkultur.
Bis Mitte Sommer sollen in
Grenchen öffentliche und private Anlagen, welche vor 1960
erstellt wurden, betrachtet
werden. Die Bevölkerung wird
gebeten, dem beauftragten
Architekten, Georges Bürgin,
auf Anfrage Zugang zu ihrem
Garten zu gewähren. ( M G T )
AUFMERKSAM Iris Minder (r.) beobachtet jede Szene ganz genau – hier in der Gastwirtschaft. FOTOS: FELIX GERBER
Mitte besingen Dursli (Damian Meier)
und Babeli (Marie-Christine Banga)
eben hingebungsvoll ihre Liebe zueinander. Die zwei professionellen Schauspieler bringen ein Stück grosse, weite
Theaterwelt nach Grenchen. Ihre wohlklingenden Stimmen füllen die Bühne
aus. Die Intensität, mit der sie ihre Rollen spielen, lässt die erschütternde Geschichte, die sie erzählen, authentisch
wirken. Dabei fügen sich die beiden
Stars allerdings ganz undivenhaft ins
Laienschauspielerteam ein.
Schon nach den ersten Sätzen wird
klar, dass über der Liebe von Dursli und
Babeli dunkle Wolken hängen. «Es liit
öppis Schwärs i dr Luft, mi Schatz, uf
mini Gfüehl chani mi verloh», klagt das
verzweifelte Babeli. Wie gern würde sie
den Dursli heiraten, doch ihre Mutter
verbietet es. Sie wünscht sich für ihre
Tochter eine gute Partie, damit diese
INTENSIV Dursli gesteht Babeli seine Liebe.
ein besseres Leben führen werde als es
ihr selbst vergönnt war.
Gefühle, die unter die Haut gehen
Rhythmisch baut sich die Geschichte auf. Immer wieder unterbricht Iris
Minder, lässt Szenen wiederholen, gibt
Änderungsanweisungen. Da und dort
müssen die Texte noch besser gelernt
werden. Auf- und Abgänge sind im Freien anders als auf der Probebühne.
Doch wenn auch das Stück gestern
noch nicht als Einheit wirken konnte,
sicher ist bereits dies: Die starken Gefühle, die dieses Stück in Melodie und
Text vermittelt, werden dem Publikum
auf jeden Fall unter die Haut gehen.
Das Freilichtspiel Frömdi Herre – Frömdi Dienschte wird zwischen dem 11. Juni und dem 11. Juli
13-mal aufgeführt. Tickets gibts in der Stadtapotheke an der Centralstrasse 14 oder im Internet
unter: www.freilichtspiele-grenchen.ch
NEIDISCH Nanni (Stefanie Daumüller, rechts) macht dem Babeli den Dursli streitig.
«Ohne ihn würde die Welt anders aussehen»
Die reformierte Kirchgemeinde präsentiert eine Vortragsreihe zu Johannes Calvin
Anlässlich des 500. Geburtstages des Reformators Johannes
Calvin organisiert die Reformierte Kirchgemeinde Grenchen-Bettlach eine Vortragsreihe. Pfarrer Donald Hasler, der
Initiant der Veranstaltung, äussert sich zur Faszination und
Bedeutung Calvins.
A N D R É W EY E R M A N N
Donald Hasler, was ist Ihre Affinität zu
Calvin?
Donald Hasler: Mich beeindruckt die
Person sehr. Als Reformator der zweiten Generation hat er die Grundanliegen des eher konservativen Luther
und des moderneren Zwingli zusammengefasst. Calvin war auch der Erste,
der eine Kirchenordnung geschrieben
hat, der demokratische Elemente eingebracht und der auch Laien kirchenleitende Funktionen zugebilligt hat.
Und schliesslich ist er der Reformator
mit der weltweit grössten Ausstrahlung.
Calvin und seine Lehre gelten doch
als eher streng.
Hasler: Dieses Bild ist vor allem auf
den Roman von Stefan Zweig aus dem
Jahre 1936 «Castellio gegen Calvin»
zurückzuführen und wurde stark von
den Feinden Calvins geprägt. Er wird
dort als Diktator beschrieben. Ich teile
dieses Bild nicht.
Wie würden Sie denn Calvin beschreiben?
JUBILÄUMS-VORTRAGSREIHE
Heute, 2. Juni, 20 bis 21.30 Uhr:
«Leben und Werk von Johannes Calvin», Referent: Pfarrer Donald Hasler;
Dienstag, 9. Juni, 20 bis 21.30 Uhr:
«Doppelte Prädestination – Ist alles
im menschlichen Leben vorherbestimmt? Was sagt Calvin?», Referent:
Pfarrer Dr. Matthias Zeindler, Erlach;
Dienstag, 16. Juni, 20 bis 21.30 Uhr:
«Ist Calvin der Erfinder des Kapitalismus? Von der Sozialethik des Reformators», Referent: Pfarrer PD Dr. Peter Optiz, Bern; Dienstag, 23. Juni,
20 bis 21.30 Uhr (Anlass findet in der
Zwinglikirche, vis-à-vis vom Zwinglihaus statt): «Calvin und die Musik:
Der Genfer Psalter und seine musikalisch-theologische Wirkung», Vortrag
von Organist Eric Nünlist mit musikalischen Kostproben; Dienstag, 30. Juni, 20 bis 21.30 Uhr: «Wirkungsgeschichte – meinten Calvin und Luther
dasselbe oder gibt es Unterschiede
in Theologie, Kirche, Politik, Gesellschaft und Kultur?», Vortrag: Pfarrer
Donald Hasler; Co-Vortrag von Pfarrerin Eva Barilli-Eiderbrant: «Was
sagt eine Pfarrerin mit lutherischem
Hintergrund zu Calvin?». ( M G T )
Hasler: Er war bestimmt ein sehr facettenreicher Mensch. Obwohl ursprünglich Jurist, war er vor allem
Pfarrer. Es gelang ihm, das Erbe der Reformation zusammenzufassen und zu
konsolidieren. Ich sehe ihn als fleissigen Schaffer und scharfsinnigen Intellektuellen. Gefühlsmässig mag er gegen aussen eher kühl gewirkt haben,
liche Arbeit als Gottesdienst. So stellte
er sich gegen die in dieser Zeit vorherrschende Mönchsmentalität, welche oft dem Müssiggang zugetan war.
Man kann die Reformation durchaus
als bürgerliche Revolution sehen.
Wichtige Industrielle wie Nestlé, Sandoz oder Suchard, hugenottische
Glaubensflüchtlinge aus Südfrankreich, die in der Schweiz Zuflucht fanden, waren Anhänger Calvins.
DONALD HASLER Der reformierte Pfarrer referiert über Johannes Calvin. ZVG
obwohl er durchaus auch eine humoristische Seite hatte.
Calvin gilt auch als «Erfinder» des Kapitalismus.
Hasler: Dies ist eine interessante These, die allerdings erst im 20. Jahrhundert aufgestellt wurde. Ihn direkt mit
dem modernen Kapitalismus gleichzusetzen, wäre falsch. Aber eine positive Arbeitsethik war ihm wichtig,
und er stellte hohe Anforderungen,
vor allem an sich selbst. Für ihn fand
Gottesdienst nicht nur in der Kirche
statt, sondern er verstand auch die täg-
Welche Bedeutung hat Calvin heute
noch?
Hasler: Die Welt würde ohne Calvin bestimmt anders aussehen, und zwar
nicht nur, was kirchliche Angelegenheiten betrifft. Unsere Mentalität, und
Lebensauffassung, die Wertschätzung
der Arbeit und der Leistungsgedanke
sind von Calvin geprägt. Wobei anzufügen ist, dass sich Calvin auch stets
für die Schwächeren eingesetzt hat.
Seine Kirche ist eine Kirche der Gnade
und Barmherzigkeit.
Hat Calvin einen besonderen Bezug
zu unserer Region?
Hasler: Er selbst war nie in Grenchen.
Doch durch den Zuzug von Fachkräften aus der Romandie während des
Aufbaus der Uhrenindustrie Mitte des
19. Jahrhunderts gelangten seine
Ideen, seine Arbeitsethik auch zu uns.
Dazu hat sich Calvin immer gegen den
in seiner Zeit herrschenden Menschenhandel gewandt. Ein Missstand,
den die Grenchner Bauern in früheren
Jahrhunderten selber erdulden mussten und welcher so trefflich im
Grenchnerlied beschrieben ist.
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