SS 2011 Institut für Theoretische Astrophysik, Heidelberg H.-P. Gail bei Sternen hoher Leuchtkraft Massenverlust und zirkumstellare Hüllen 11. Materiezyklus in der Galaxis 10. Massenverlust bei Doppelsternen 9. Explosiver Massenabwurf (Supernovae, Novae, LBVs) page: 0.1 8. Staubgetriebene Winde (M & C Sterne auf dem AGB, Überriesen) 7. Wellengetriebene Winde (RGB Sterne, Miras) 6. Liniengetriebene Winde (O, B , WR Sterne) 5. Elementare Theorie des Sternwinds (Parker-Theorie) 4. Sternatmosphären und Strahlungsdruck 3. Beobachtung von Massenverlust 2. Überblick Sternaufbau und Entwicklung 1. Einführung Inhalt: Plan der Vorlesung page: 1.2 Die sichtbare Materie im Kosmos ist zum größten Teil in Sternen und in Sternsystemen konzentriert. Nur ein relativ kleiner Teil ist im interstellaren Medium enthalten, das den Raum zwischen den Sternen und den Sternsystemen ausfüllt. Das war nicht schon immer so. In der allerersten Phase nach der Entstehung des Kosmos war die sichtbare Materie zunächst weitgehend gleichförmig verteilt, bis aus anfänglichen Fluktuationen heraus der gravitative Kollaps zu Galaxien und den ersten Sternen einsetzte. Bei der Nukleosynthese während der Entstehungsphase des Kosmos wurden zunächst nur die leichtesten Kerne gebildet: Wasserstoff, Helium und Spuren von Lithium. Die Zusammensetzung der Sterne der ersten Sterngeneration war entsprechend einfach. Sie bestanden nur aus H und He; Deuterium und Lithium wurden bereits in der Entstehungsphase der Sterne verbrannt. 1. Einführung page: 1.3 Sterne sind nur ein metastabiler Zwischenzustand der Materie, die unter dem Einfluß ihrer wechselseitigen Schwereanziehung zu immer kompakteren Konfigurationen kollabiert und dabei immer dichter und heißer wird. Dabei werden zeitweilig so hohe Temperaturen und Dichten erreicht, daß in der Materie Kernreaktionen einsetzen. Durch Fusion von leichteren zu schwereren Kernen H → He → C → O → . . . → Fe wird soviel Energie freigesetzt, daß das heiße Gas eine zeitlang den gravitativen Kollaps aufhalten kann. Wenn der Vorrat an Brennstoff, der unter den jeweiligen Temperatur- und Druckbedingungen brennen kann, aufgebraucht ist, dann setzt erneute Kontraktion ein, bis bei höherer Temperatur und höherem Druck eine neue Kernsorte zu brennen anfängt. Einführung page: 1.4 2. Die Fusion von leichten zu schweren Kernen erreicht den Bereich der Elemente höchster Bindungsenergie pro Nukleon im Bereich der Eisengruppe und ein weiterer Energiegewinn durch nukleare Brennprozesse ist nicht mehr möglich. Der Stern kollabiert dann entweder zu einem Neutronenstern oder einem Schwarzen Loch. Dieses Ereignis ist als Supernovaexplosion vom Typ II oder Ib, Ic beobachtbar. 1. Es tritt Entartung des Elektronengases oder eines Neutronengases ein. Dadurch wird ein weiteres Schrumpfen des Sterns unterbunden und er endet als Weißer Zwerg (in den meisten Fällen besteht dieser aus C und O oder aus O und Ne). Diese abwechselnden Phasen von gravitativer Kontraktion und zeitweiligem Verharren in einem quasistationären Zustand, in dem nukleares Brennen für eine gewisse Zeit die Kontraktion aufhält, werden dadurch beendet, daß eines der beiden folgenden Ereignisse eintritt: Einführung page: 1.5 Der Endzustand der sichtbaren Materie im Kosmos wäre also eine Konzentration aller Materie in Weißen Zwergen, Neutronensternen oder Schwarzen Löchern. 1a. Der Weiße Zwerg kollabiert, wodurch im noch nicht verbrannten nuklearem Material (C, O) die Brennprozesse erneut zünden und das Material zu den Elementen der Eisengruppe verbrennt. Die freigesetzte Energie bringt den gesamten Stern zur Detonation und es verbleibt kein Überrest. Dieses Ereignis ist als Supernovaexplosion vom Typ Ia beobachtbar. Im ersten Fall kann unter Umständen durch fortgesetzte Massenzufuhr, z.B. durch Massentransfer in einem Doppelsternsystem, die Masse noch anwachsen und die Chandrasekharsche Massengrenze von 1.4 M für einen stabilen Weißen Zwerg überschritten weren. Dann tritt folgendes Ereignis auf: Einführung page: 1.6 als explosiver Massenabwurf in Nova- oder Supernovaereignissen. als sporadischer Abwurf von äußeren Schichten des Sterns in Form eines kurzzeitigen, sehr intensiven Sternwinds, über Zeiträume von einigen Jahren bis zu einigen Jahrhunderten, die in der Beobachtung gelegentlich als ausgeprägte Massenschalen in der Umgebung eines Sterns feststellbar sind, oder als gleichmäßiger Verlust von Masse in Form eines kontinuierlichen Sternwinds, bei dem über Zeiträume von 104 bis 106 Jahre eine Ausströmung aus dem Stern stattfindet, oder Daß es heute noch sehr viele junge Sterne und auch noch beachtliche Mengen an interstellarer Materie in der Galaxis gibt, und nicht nur die kompakten Endzustände, liegt daran, daß praktisch alle Sterne gegen Ende ihrer Lebensdauer einen erheblichen Teil ihrer ursprünglichen Masse, mit der sie als Hauptreihensterne entstanden sind, wieder an das interstellare Medium zurückgeben. Dieser Massenverlust erfolgt Einführung page: 1.7 Die Prozesse der Sternentstehung und die Massenverlustprozesse bewirken zusammen, daß in den meisten – außer den elliptischen – Galaxien ständig eine gewisse Menge interstellarer Materie existiert, die noch nicht in neue Sterne kondensiert ist, sowie eine große Zahl von Sternen in den unterschiedlichsten Entwicklungsphasen, von ganz jungen, gerade entstandenen, bis zu ganz alten Sternen, die noch aus der ersten Zeit der Entstehung der Galaxie stammen. Die Materie, die bei diesen Prozessen an das interstellare Medium zurückgegeben wird, vermischt sich mit diesem, und aus der Mixtur von Materie aus sehr vielen unterschiedlichen Einzelquellen entstehen später neue Sterne. Einführung Abbildung 1.1: Materiekreislauf in der Galaxis Einführung page: 1.8 page: 1.9 Nur bei den elliptischen Galaxien (und Kugelhaufen) ist dieser Materiekreislauf zum Erliegen gekommen. Sie enthalten praktisch keine interstellare Materie und nur alte Sterne. In einer Galaxie existiert deswegen ein ausgeprägter Materiekreislauf zwischen Sternen und interstellarer Materie. Ständig zirkuliert Materie zwischen dem Massenreservoire der interstellaren Materie und dem Massenreservoire der Sterne. Ein Teil der Materie scheidet aus diesem Kreislauf aus, weil sie in einem der Endzustände der Sternentwicklung als Weißer Zwerg, Neutronenstern oder Schwarzem Loch verschwindet. Andererseits wird dieser Abgang durch auch heute noch einfallende frische Materie aus dem intergalaktischen Medium wenigstens teilweise ersetzt. 1.1. Materiekreislauf page: 1.10 Die allerersten Sterne entstanden aus Materie, die aus dem Urknall hervorgegangen ist. Sie enthalten praktisch nur H und He. Sterne mit dieser Zusammensetzung werden als Population III (abgekürzt Pop III) Objekte bezeichnet. Bis heute sind nur ein paar Sterne gefunden worden, die dieser Kategorie zuzuordnen sind. Die Sterne verdanken ihre Existenz als zeitweilige Haltestationen auf dem Wege des gravitativen Kollapses den nuklearen Brennprozessen, bei denen H über He in schwerere Kerne umgewandelt wird. Diese frisch synthetisierten, schweren Kerne sind in dem Material enthalten, das in den Massenverlustpozessen an das interstellare Medium abgegeben wird. Der Kreislauf der Materie bewirkt deswegen, daß die interstellare Materie und die Sterne, die aus ihr entstehen, langsam mit schweren Kernen angereichert werden. Einführung page: 1.11 Es sind eine ganze Reihe solcher Objekte bekannt, teilweise mit außerordentlich geringem Metallgehalt. In unserer Galaxis findet man sie vorwiegend im Halo und in Kugelsternhaufen. Die kleine Magellansche Wolke besteht zum Beispiel nur aus Pop II Sternen. Einige der Pop II Sterne haben einen Gehalt an Metallen, der ca. 10−5 mal kleiner als der der Sonne ist. Bei durchschnittlichen Pop II Sternen liegt der Metallgehalt aber eher beim 0.5-fachen dessen der Sonne. Die nächsten Sterngenerationen enthalten bereits Beimengungen an Materie, die bei Massenverlustprozessen der ersten Sterngeneration synthetisiert wurden. Der Gehalt dieser Sterne an Elementen schwerer als He (die sog. Metalle) ist klein. Sterne mit dieser Zusammensetzung werden als Pop II Sterne bezeichnet. Einführung page: 1.12 Wegen der unterschiedlichen Massendichten und daraus resultierender unterschiedlicher Sternentstehungsraten in verschiedenen Zonen einer Galaxis sind zu einem festen Zeitpunkt die Metallhäufigkeiten innerhalb einer Galaxis räumlich nicht konstant; sie nehmen zum Zentrum hin zu. Nach einigen Milliarden Jahren hatte der Metallgehalt der Galaxis etwa den Wert des Metallgehalts der Sonne erreicht. Sterne mit dieser Zusammensetzung werden als Pop I Sterne bezeichnet. Ganz junge Sterne haben gegenwärtig etwa den doppelten Metallgehalt der Sonne. Einführung page: 1.13 Endstadien der Entwicklung erst nach einer Zeit, die das Alter des Kosmos übersteigt. Sie befinden sich noch alle auf der Hauptreihe. Sterne mit Anfangsmassen von weniger als etwa 0.8 M erreichen die dauern von einigen Millionen Jahren. Massereiche Sterne mit Anfangsmassen > 10M haben nur Lebens- nach ca. 9 × 109 Jahren die Endphase der Sternentwicklung. Sterne wie die Sonne, mit einer Anfangsmasse von 1 M, erreichen In den frühen Phasen der Entwicklung des Universums und der jungen Galaxien erreichten nur die Sterne mit der kürzesten Lebensdauer die Endphase ihrer Entwicklung, in der dann starke Massenverlustprozesse einsetzen. Die Lebensdauer von Sternen nimmt mit zunehmender Masse stark ab: Einführung page: 1.14 Da für einen großen Teil aller Elemente, vor allem der schweren Elemente, deren Häufigkeit im Kosmos nur aus der Analyse von Matrixmaterial der primitiven Meteoriten bekannt ist, ist es von besonderem Interesse, die Elementsynthese und die Massenverlustprozesse bei den Sternen zu verstehen, die zum Zeitpunkt der Entstehung der Sonne schon das Endstadium der Sternentwicklung erreicht hatten; das sind eben die Sterne mit M∗ > 2 M. Der Metallgehalt der interstellaren Materie und der aus ihr gebildeten Sterne und das Elementgemisch in ihnen wird in der Anfangsphase der Entwicklung des Kosmos und der Galaxien durch die Massenverlustprozesse der Sterne mit Anfangsmassen von M∗ > 2 M bestimmt. Bei einem Alter der Sonne von 4.6 × 109 Jahren und einem Alter des Universums von ca. 13.5 × 109 Jahren haben die ersten Sterne aus der Entstehungszeit der Galaxien mit M∗ > 2 M zum Zeitpunkt der Entstehung der Sonne die Endphase ihrer Entwicklung erreicht und können zu dem Material beigetragen haben, aus dem unser Sonnensystem hervorgegangen ist. Einführung page: 1.15 Abbildung 1.2: Entwicklungswege von Sternen unterschiedlicher Masse für zwei verschiedene Metallizitäten im Hertzsprung-Russell-Diagramm nach Modellrechnungen von Schaller und Kollegen (1992). Die schraffierten Gebiete entsprechen nuklearen Brennphasen mit langsamer Entwicklung der Sterne. Die Entwicklungswege für M∗ > 7 M gehen bis zum Ende des C-Brennens, für 2 M ≤ M∗ ≤ 7 M bis zum Beginn des thermischen Pulsens auf dem AGB und für M∗ ≤ 1.7 M bis zum He flash auf dem RGB. Einführung page: 1.16 Später werden auch die Sterne mittlerer und kleiner Masse wichtig. In der Endphase ihrer Entwicklung erreichen die Sterne mit Anfangsmassen M∗ ≤ 8 M den sog. asymptotischen Riesenast im HertzsprungRussell Diagramm, auf dem sie eine Leuchtkraft von mehr als 104 L erreichen. Der Entwicklungsweg solcher Sterne ist in Abb. 1.2 dargestellt. Diese Sterne enden schließlich als Weiße Zwerge. Für die Entwicklung der Galaxien in der frühesten Phase ihrer Entwicklung sind vor allem die massereichsten Sterne mit Anfangsmassen von mehr als ca. 8 M von Interesse, die bereits nach einigen Millionen Jahren wieder als Supernova explodieren. Einführung page: 1.17 Abbildung 1.3: Massenverlustraten im Hertzsprung-Russell Diagramm. Die Zahlenangaben an den Linien konstanter Massenverlustrate geben log Ṁ an (de Jager und Kollegen, 1988). Einführung page: 1.18 Bei den heißen Sternen wird die Materie ganz im gasförmigen Zustand an das interstellare Medium abgegeben. Bei kühlen Sternen mit Teff < 3 000 K (den Riesen und Überriesen der Leuchtkraftklassen II und I) kühlt das ausströmende Gas genügend ab und ist dabei gleichzeitig noch dicht genug, daß einige Elemente (O, Si, Mg, Fe, Al, Ca . . . oder C, Si) als kleine Festkörperpartikelchen auskondensieren. Diese Sterne sind deswegen von mehr oder weniger dichten Staubhüllen umgeben, die sich durch eine intensive Emission durch warmen Staub im infraroten Spektralbereich bemerkbar machen. Die Sterne mit hoher Leuchtkraft L∗ ≥ 104 L haben allesamt sehr hohe Massenverlustraten. Die Abb. 1.3 zeigt eine Zusammenstellung empirisch bestimmter Massenverlustraten bei Sternen hoher Leuchtkraft. Die Massenverlustraten übersteigen ganz allgemein Werte von 10−7 M yr−1 und können Werte von bis über 10−4 M yr−1 erreichen. Es ist offensichtlich, daß Sterne, die in ihrer Entwicklung den oberen Teil des Hertzsprung-Russell Diagramms erreichen oder wegen ihrer hohen Massen von Anfang an eine enorme Leuchtkraft besitzen, innerhalb relativ kurzer Zeit einen beträchtlichen Teil ihrer ursprünglichen Masse an das interstellare Medium zurückgeben. Einführung SN Novae WCL LBV RSG OB AGB(C) AGB(S) AGB(M) 10−8 10−7 10−6 10−5 10−4 10−3 - Einführung peculiar dust silicate dust carbon dust gas page: 1.19 page: 1.20 Abbildung 1.4: Raten für die Abgabe von Gas und Staub (in M kpc−2 a−1) an das interstellare Medium durch die unterschiedlichen stellaren Quellen. Die Abkürzungen für die Staubquellen sind: AGB= Sterne auf dem Asymptotischen Riesenast (‘asymptotic giant branch’) der Spektraltypen M, S, und C, OB= Massereiche Sterne auf der oberen Hautreihe, RSG=Rote Überriesen (’red supergiants’), LBV= Leuchtkräftige Blaue Variable, WCL= Wolf-Rayet Sterne der Spektraltypen WC8-11. Die Unterschiedliche Zusammensetzung der Staubmischungen in den unterschiedlichen Staubbildnern wird vereinfachend durch die drei Grundtypen Silikatstaub“, Kohlenstoff” ” staub“, und Spezieller Staub“ bezeichnet. Für Supernovae ist wegen der Unsicherheit ” bezüglich der Zusammensetzung und der Menge des bei diesen Objekten gebildeten Staubs keine Staubproduktionsrate angegeben. Einführung page: 1.21 Der interstellare Staub stammt zu einem Teil aus dieser Quelle. Die chemische Zusammensetzung der Staubpartikelchen hängt von der Zusammensetzung der Materie im Sternwind oder in der abgeworfenen Masse ab, die ihrerseits wieder von der Synthese von Elementen bei den nuklearen Brennprozessen im Sterninneren bestimmt wird. Abbildung 1.4 zeigt die wichtigsten Quellen für Massenabgabe an das interstellare Medium durch weit entwickelte Sterne und die jeweiligen Gasund Staubanteile. Einführung page: 1.22 Ein Teil der Staubteilchen in der interstellaren Materie entgeht der Zerstörung im interstellaren Medium durch Stoßwellen und kann bei der Entstehung neuer Sterne unter anderem in Körper der gleichzeitig entstehenden Planetensysteme eingebaut werden. In unserem eigenen Planetensystem findet sich in primitiver meteoritischer Materie ein kleiner Anteil solcher unveränderter Staubteilchen, die sog. präsolaren Staubteilchen, die direkt aus dem Massenabstrom von Sternen in weit fortgeschrittenen Entwicklungsstadien stammen. Diese präsolaren Staubteilchen können durch exotische Isotopenhäufigkeiten mancher Elemente eindeutig identifiziert werden, die ihrerseits wieder Informationen über die nuklearen Prozesse im Inneren der Elternsterne mit sich tragen. Dadurch ist es möglich geworden, die Prozesse, die sich im Abstrom von Materie aus weit entwickelten Sternen und in den nuklearen Brennzonen in ihrem Inneren abgespielt haben, im Laboratorium zu studieren. Einführung page: 1.23 Um die Fülle von Informationen, die in den Spektren der Sterne und in präsolaren Staubteilchen über die Synthese der chemischen Elemente und die frühe Entwicklung des Kosmos enthalten sind, richtig entschlüsseln zu können, ist ein möglichst genaues Verständnis der Massenverlustprozesse der leuchtkräftigsten Sterne erforderlich. Mit den unterschiedlichen Facetten dieses Problems beschäftigt sich diese Vorlesung. Einführung