Eval-Info 1/09

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ARUD Zürich
Evaluation und Forschung
Info 1/09
Behandlung von Personen mit
Substanzstörungen und ADHS in den
Polikliniken der ARUD Zürich 1/2
Update ADHS
Thilo Beck
Luis Falcato
ARUD Zürich, Evaluation und Forschung
Info 1/09
¬ Zusammenfassung
Die ausgedehnte, im DSM IV vorgegebene Symptomliste
wird von diesen Kritikern für die Diagnostik im Erwachsenenalter als wenig sinnvoll beurteilt, indem der vor allem
im Kindesalter ausgeprägte hyperkinetische Anteil überbetont werde (8). Um eine Diagnose im Erwachsenenalter
zu erleichtern, wurden von einer Gruppe von Forschern um
Wender an der Universität von Utah Kriterien entwickelt, die
die Symptomatik in der Kindheit in von Betroffenen und
ihrem Umfeld besser erinnerbarer Form (Problembereiche)
abrufen (9; 10; 11). Problematisch ist, dass die UtahKriterien auch im Erwachsenenalter anhaltende hyperaktive
Symptome fordern und damit einen beträchtlichen Teil von
ADHS-Betroffenen ausschliessen.
Dieses erste von zwei Eval-Infos zum Thema ADHS fasst in
einem Literatur-Update die wesentlichen Erkenntnisse zur
Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen zusammen. Der Fokus liegt dabei besonders auf
differentialdiagnostischen Überlegungen, komorbiden Substanzstörungen und der pharmakologischen Behandlung
mit Stimulantien. Es werden der Behandlungsansatz und
praktische Erfahrungen in den Polikliniken der ARUD Zürich
beschrieben.
In der nächsten Ausgabe des Eval-Infos werden wir in einer
empirischen Untersuchung von Behandlungsdaten der
ARUD Zürich die Charakteristika von Patienten mit ADHS in
der Behandlung der ARUD Zürich und den Einsatz von
Methylphenidat beschreiben.
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Epidemiologie
Die Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitäts-Störung (ADHS)
im Kindesalter hat weltweit eine Prävalenz von 8% bis 12%
(1). Die transnationale Prävalenz von ADHS im Erwachsenenalter beträgt 3.7% und variiert zwischen Werten von
1.2% bis 7.3% (2) . Im Kindesalter wird ADHS häufiger bei
Knaben diagnostiziert (3), bei Erwachsenen mit ADHS ist
das Geschlechterverhältnis ausgeglichen (4; 5). Dies könnte mit einer höheren Persistenz der Störung beim wieblichen Geschlecht erklärt werden, oder durch eine
überproportionale Diagnostik von ADHS bei Knaben, die
wegen des gegenüber Mädchen deutlich vermehrten Auftretens von Störungen des Sozialverhaltens häufiger einer
Abklärung zugeführt werden.
¬
Klinik / Diagnostik
ADHS ist eine klinische Diagnose, die entsprechend diagnostischen Kriterien nach DSM-IV oder ICD-10 gestellt
wird. Es gibt keinen diagnostischen ADHS-Test! Die Benutzung von Rating-Skalen als Hilfsmittel zur Diagnostik
und zur Verlaufskontrolle ist sinnvoll. Bei Erwachsenen ist
für die Diagnose eines ADHS das Bestehen von relevanten
Beeinträchtigungen und Defiziten in verschiedenen Bereichen der Lebensführung im Längsschnitt und im Querschnitt unbedingt zu bestätigen. Die Manifestation der
Psychopathologie von ADHS kann grob in die Bereiche
Unaufmerksamkeit, Impulsivität, Hyperaktivität, affektive
Dysregulation und Desorganisation eingeteilt werden. DSMIV unterteilt ADHS in 3 Subtypen, den hyperaktivenimpulsiven (HI), den unaufmerksamen (I) und den
kombinierten Typ, wobei für die Diagnose von HI und I
jeweils mindestens 6 von 9, beim kombinierten 12 der
vorgegebenen Symptome vorhanden sein müssen. ICD-10
kennt keine derartige Unterscheidung. Beiden Klassifikationssystemen gemeinsam ist die Forderung, dass die
Symptomatik bereits im frühen Kindesalter bestanden hat.
Dieses Kriterium wird in Fachkreisen kritisch diskutiert mit
der Forderung nach einer Lockerung mit möglicher
Erstmanifestation bis in die Adoleszenz (6; 7). Ein weiterer
Kritikpunkt am aktuellen Beurteilungssystem nach DSM IV
ist eine fehlende Berücksichtigung des sich im Erwachsenenalter verändernden klinischen Bildes von ADHS.
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Komorbidität
ADHS ist häufig mit weiteren psychischen und somatischen
Störungen assoziiert, in verschiedenen Studien wurden
Lebenszeitprävalenzen komorbider Achse I-Störungen zwischen 65% und 86% festgestellt (12; 13; 4) . Unter den
psychischen Achse-I-Störungen sind Angst-(bis 25%),
Affekt- (bis 35%) und Substanzstörungen (bis 50%) am
häufigsten mit ADHS assoziiert. Auch Persönlichkeitsstörungen (bis 60%) sind vermehrt festzustellen, vor allem
vom dissozialen, vom borderline und vom zwanghaften Typ
(14; 15; 16). Das Vorhandensein einer Störung des Sozialverhaltens im Kindesalter, die vor allem beim I-Typ des
ADHS auftritt, ist ein starker Prädiktor für die Entwicklung
komorbider psychischer Störungen und für einen schwereren Verlauf des ADHS (17; 18). Trotz der teilweise beträchtlichen Symptom-Überlappung konnte Milberger (19)
die Validität kombinierter Diagnosen aufzeigen. Für depressive und bipolare Störungen werden mit ADHS gemeinsame
genetische Entstehungsmechanismen angenommen, bezüglich Angststörungen wurde ein von ADHS unabhängiges
familiäres Auftreten festgestellt (20; 21).
¬
Differentielle Diagnostik
Zur Abgrenzung komorbider psychischer Störungen von
ADHS ist zunächst die Manifestation der Symptomatik im
Verlauf zu beachten. Während ADHS spätestens in der Adoleszenz auftritt und im weiteren Verlauf eine typischerweise
kontinuierliche und anhaltende Symptommanifestation aufweist, zeigen andere Achse-I-Störungen meist einen episodischen Verlauf mit späterer Erstmanifestation. Probleme
bei der Differentialdiagnose verursachen oft die überlappende Symptomatik mit schweren depressiven Störungen
(psychomotorische Auffälligkeit, Störung des Konzentrationsvermögens), bipolaren Störungen (psychomotorische
Erregung, Logorrhoe, Ablenkbarkeit) und generalisierten
Angststörungen (Unruhe, Konzentrationsstörungen). Barkley hat ausgehend von seiner Theorie der beeinträchtigten
Exekutivfunktionen zur Erklärung von ADHS 6 Leitsymptome
identifiziert, die mit 85%iger Sicherheit die differentielle
Diagnose ADHS bei komorbiden Erwachsenen ermöglichen
(22; 23). Dabei handelt es sich um
1) impulsive Entscheidungsfindung,
2) Schwierigkeit, Aktivitäten oder Verhalten zu beenden
wenn erforderlich,
3) Einstieg in Projekte oder Aufgaben ohne sorgfältiges
Beachten schriftlicher oder mündlicher Anweisungen,
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4) unvollständige Ausführung von Vorhaben,
5) Schwierigkeiten, Aufgaben in der vorgesehenen
Reihenfolge auszuführen,
6) Autofahren mit überhöhter Geschwindigkeit.
ischämischer Hirnschädigung und von viralen Infekten und
Enzephalitiden/Meningitiden (39; 40; 41; 42; 43; 44; 45;
46; 47; 48). Weniger klar ist die Datenlage bezüglich des
möglichen Einflusses von Eisen- und Zinkmangel auf den
Verlauf von ADHS. Auch Hinweise auf den Nutzen einer diätetischen Supplementation von Omega-3-Fettsäuren bedürfen der Überprüfung durch weitere kontrollierte Studien (49;
50; 51; 52).
¬
Verlauf, Auswirkungen
In Fachkreisen ist mittlerweile unbestritten, dass die Störung nicht im Verlauf der Kindheit remittiert, wie bis vor 30
Jahren grundsätzlich angenommen wurde. In longitudinalen
Studien konnte gezeigt werden, dass es sich bei ADHS um
eine chronische Störung handelt, die bei einem beträchtlichen Anteil der Betroffenen bis ins Erwachsenenalter persistiert (24; 25; 26) . Der Anteil der Störungen mit voller, die
diagnostischen Kriterien erfüllender Ausbildung geht im
Längsschnitt zwar zurück (abnehmende syndromale Persistenz) , bis zu 70% der Erwachsenen zeigen aber weiterhin mindestens 1/3 der für die Diagnose erforderlichen Symptome und sind in ihrer Lebensführung dadurch massgeblich beeinträchtigt (anhaltende symptomatische Persistenz) (27). Erwachsenen mit ADHS-Diagnose zeigen im
Vergleich mit gesunden Kontrollen eine Beeinträchtigung
der schulischen/beruflichen Entwicklung, eingeschränkte
kognitive Leistungsfähigkeit, erhöhtes Risiko für Unfälle
und Missachtung von Regeln des Strassenverkehrs, sexuelles Risikoverhalten, Probleme bei der sozialen Beziehungsgestaltung und ein deutlich erhöhtes Auftreten von
Substanzstörungen (28; 29; 30; 31).
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Funktionale und strukturelle Veränderungen,
Ätiopathologie
Auf Grund neurobiologischer Untersuchungen lassen sich
funktionale und strukturelle Veränderungen im Bereich des
präfrontalen Cortex und projezierender subcortikaler Strukturen wie dem Striatum, dem anterioren Cingulum, dem
Corpus callosus und dem Cerebellum feststellen (32; 33).
ADHS ist eine Erkrankung mit starker genetischer Verankerung, wie mit Familien-, Zwillings- und Adoptionsstudien
gezeigt wurde. Genetische Faktoren tragen mit 80% zur
Ausbildung von ADHS bei, Eltern und Kinder von ADHSBetroffenen weisen ein 2-bis 8-faches Risiko auf, ebenfalls
an ADHS zu erkranken (34; 35; 36). Auf molekulargenetischer Ebene konnten Assoziationen mit Veränderungen
des D4 und des D5-Rezeptorgens, des Dopamin-Transportergens und des Serotonin1B-Rezeptorgens festgestellt
werden (37). Damit wird, unterstützt von den Erkenntnissen
aus Untersuchungen mit funktionellen bildgebenden Verfahren, bei ADHS von einer Dysfunktion neuronaler Netzwerke und einer Synapsenpathologie auf der Basis von
Dopamin- Norepinephrin- und Serotoninsystemen ausgegangen (38) . Die damit verbundenen neuropsychologischen Defizite liegen im Bereich der Exekutiv-Funktionen, der
motorischen Kontrolle und der kortikalen Inhibition. Neben
genetischen Faktoren tragen prä-, peri- und postnatale
Umwelt-Faktoren und kindliche Risiko-Konstellationen
zusätzlich zur Entwicklung von ADHS bei. Relativ gesichert
ist der Einfluss von prä- und postnatalem Jodmangel und
weiterer Störungen der Schilddrüsenfunktion, pränataler
Bleiexposition, mütterlichem Konsum von Tabak, Alkohol
oder Kokain in der Schwangerschaft, extremer Frühgeburt
und niedrigem Geburtsgewicht, perinataler anoxischer oder
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Behandlung von ADHS
Bei Erwachsenen, die unter relevanten ADHS-bedingten
Beeinträchtigungen leiden, ist eine Behandlung grundsätzlich angezeigt. Trotz der verhältnismässig hohen Prävalenz ist der grösste Teil der Erwachsenen mit ADHS jedoch
nicht in Behandlung. Gemäss einer amerikanischen Bevölkerungsbefragung beläuft sich der Anteil der Behandelten
unter ADHS-Betroffenen auf nur 11% (4). Zur Behandlung
wird die Kombination pharmakotherapeutischer mit psychotherapeutischen bzw. psychosozialen Interventionen
empfohlen. Im Gegensatz zu Kindern mit ADHS hat sich dabei bei Erwachsenen die Anwendung von kognitivbehavioralen Therapieansätze zur Verbesserung bestehender Defizite und Beeinträchtigungen als wirksam erwiesen. Pharmakotherapeutisch sind sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen Stimulantien, vor allem in retardierter Form, Mittel
der ersten Wahl (53; 54; 55). Hier steht in der Schweiz in
erster Linie Methylphenidat zur Verfügung, bei Erwachsenen immer noch im off label use. Ca 75% der mit Stimulantien behandelten Erwachsenen sprechen auf die Behandlung an, wobei die Wirkung dosisabhängig ist. Bei Methylphenidat wird von einer mittleren Dosis von 1mg/kg KG
ausgegangen. Als Alternative zu Methylphenidat stehen
Atomoxetin (in der Schweiz noch nicht erhältlich), Bupropion oder weitere noradrenerg wirksame Antidepressiva zur
Verfügung. Sowohl Stimulantien wie auch Atomoxetin
erwiesen sich in grösseren Studien als wirksam zur Behandlung der drei ADHS-Kernsymptome Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität, wobei Stimulantien grössere
Effekte zeigen (56; 57). Komorbide psychische Störungen
müssen parallel zu ADHS behandelt werden. Entgegen der
weitverbreiteten Meinung erhöht eine Stimulantienbehandlung das Risiko für die Entwicklung einer Substanzstörung
nicht, es konnte im Gegenteil im Rahmen einer longitudinalen Studie unter Stimulantienbehandlung eine 85%Reduktion des Risikos festgestellt werden, eine Substanzstörung zu entwickeln (58) .
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ADHS und Substanzstörungen
Die hohe Komorbidität von Substanzstörungen und ADHS
wurde in verschiedenen Studien festgestellt und zuverlässig bestätigt. Einschränkend muss erwähnt werden, dass es
sich dabei zum grössten Teil um retrospektive Untersuchungen von Personen in Behandlung, und nicht um allgemeine Bevölkerungs-Erhebungen mit longitudinal/ prospektivem Charakter handelt. Bei einem grossen Anteil von
Adoleszenten und Erwachsenen mit ADHS sind Substanzstörungen zu finden, und bei vielen Personen mit Substanzstörung kann ein ADHS festgestellt werden (59).
 Bei Erwachsenen mit ADHS wurde bei 17% bis 45% ein
problematischer Alkoholkonsum und bei 9% bis 30% ein
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problematischer Konsum illegaler Substanzen festgestellt (60; 61). Bei Adoleszenten mit ADHS werden teilweise noch höhere Prävalenzraten von Substanzstörungen bis 63% beschrieben (62). Bei Personen mit ADHS
wurde eine Störung des Sozialverhaltens im Kindesalter
als massgeblicher Risikofaktor für die Entwicklung einer
Substanzstörung identifiziert (63; 64).
 In Untersuchungen von adoleszenten und erwachsenen
Personen mit Substanzstörungen zeigen sich Prävalenzraten von ADHS von 22% bis 34% (65; 65; 66; 67).
Es wird von einer gemeinsamen genetischen Prädisposition
für ADHS und Substanzstörungen ausgegangen (68; 69).
Psychische Komorbidität stellt einen unabhängigen zusätzlichen Risikofaktor für die Entwicklung einer Substanzstörung bei Personen mit ADHS dar (60), so wie auch früher
Tabakkonsum als Risikofaktor für die Entwicklung weiterer
Substanzstörungen gilt (70). ADHS ist ein signifikanter
Prädiktor für einen frühen Einstieg in Tabakkonsum mit
einer schlechteren Ausstiegsrate und einer grösseren Wahrscheinlichkeit, den Konsum bis in das Erwachsenenalter
weiterzuführen (71; 72; 73) . Auch andere psychotrope
Substanzen werden von Personen mit ADHS früher, exzessiver und langfristig problematischer konsumiert (74; 75).
Ob bezüglich der Wahl der Substanzklasse tatsächlich eine
Präferenz für Stimulantien (Kokain, Amphetamin, Nikotin)
besteht, wird kontrovers diskutiert und ist auf Grund der
ungenügenden Datenlage nicht abschliessend zu beantworten (76; 77; 78). Die Behandlung von Personen mit
ADHS und Substanzstörungen wird bezüglich des Einsatzes
von Stimulantien ebenfalls kontrovers diskutiert, da von
Gegnern eine Triggerung der Substanzstörungen befürchtet
wird (79) . In vielen Leitlinien und Konsensuspapieren wird
vom Einsatz von Stimulantien bei Personen mit ADHS und
Substanzstörungen generell abgeraten, oder die Anwendung erst nach einer gewissen Karenzfrist nach erfolgtem
Entzug empfohlen. Die Datenlage unterstütz diese Befürchtungen nicht: In einer placebokontrollierten Behandlungsstudie von Adoleszenten mit ADHS und Substanzstörung
konnte mit dem Einsatz des Stimulans Pemolin eine signifikante Verbesserung der ADHS-Symptomatik festgestellt
werden. Die Studienteilnehmer erhielten keine spezifische
Behandlung der Substanzstörung, der Konsum von psychotropen Substanzen blieb im Rahmen dieser 12-wöchigen
Studie unverändert (80). In einer Pilotstudie konnte bei 12
kokainabhängigen Personen mit ADHS unter Behandlung
mit Methylphenidat und wöchentlichem Rückfall-Präventionsprogramm (81) eine signifikante Verbesserung der
ADHS-Symptomatik und ein Rückgang des Kokainkonsums
erreicht werden. Ein Trigger- oder Gateway-Effekt scheint
auch unter Berücksichtigung des in longitudinalen Studien
festgestellten präventiven Effekts der Stimulantienbehandlung nicht zu bestehen (58). Bei regelrechter pharmakotherapeutischer Anwendung von Methylphenidat (orale
Verabreichung, Dosistitration) ist von einem geringen Missbrauchspotential auszugehen (82; 83). Die StimulantienBehandlung von Personen mit ADHS und Substanzstörung
scheint also in einem klinischen Setting, in dem beide
Störungen adäquat behandelt werden können, sinnvoll und
vertretbar. Bei der Anwendung von Stimulantien zur Behandlung von ADHS bei Personen mit Substanzstörung wird
wegen des eingeschränkten Missbrauchspotentials der
Einsatz retardierter Präparate empfohlen.
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Erfahrung in den Polikliniken der ARUD Zürich
Die ARUD Zürich betreibt im Raum Zürich 4 Polikliniken für
Suchtmedizin. Die Polikliniken Zokl1 und Zokl2 in Zürich
werden mit dem Schwerpunkt substitutionsgestützte Behandlung (SGB) für opioidabhängige Personen geführt. Die
Poliklinik DBB in Horgen bietet sowohl SGB als auch Abklärung, Beratung und Behandlung von Personen mit einem
problematischen Konsum anderer legaler und illegaler
psychotroper Substanzen an. In der Poliklinik GAIN, ebenfalls in Zürich, werden Behandlungen mit Schwerpunkt
Kokain, Cannabis, Alkohol und Designerdrogen durchgeführt. Patienten melden sich in unseren 4 Polikliniken
vorwiegend selbst zur Behandlung (Selbstzuweisung). Die
Zuweisung erfolgt in der Regel wegen eines problematischen Substanzkonsums und den direkt damit verbundenen
Beschwerden und Beeinträchtigungen. Das Vorliegen eines
ADHS ist bei Behandlungsbeginn oft nicht bekannt und wird
erst in der Folge der Behandlung durch den Therapeuten
festgestellt. Dazu muss der initiale Behandlungsauftrag
revidiert und eine zusätzliche Abklärung durchgeführt
werden. Vor allem im Bereich der Substitutionsgestützten
Behandlungen (SGB) stellt die Realisierung einer adäquaten ADHS- Abklärung eine Herausforderung dar, da Patienten bei Eintritt erst für zusätzliche, über das zur Führung der
SGB im engeren Sinne notwendige Minimum hinausgehende Gespräche motiviert werden müssen. Das Erarbeiten
eines entsprechenden Abklärungs- und gegebenenfalls
Behandlungs-Auftrags ist oft erst im weiteren Verlauf der
Behandlung möglich. Patienten werden im Sinne eines
Screenings bei Eintritt und im Verlauf immer wieder auf das
Vorliegen von ADHS-Symptomen im Querschnitt und im
Längsschnitt befragt und differentialdiagnostisch beurteilt.
Als besondere Hinweise zur Abklärung werden impulsives
Verhalten, exzessiver und anhaltender (Bei)konsum und
mangelhafte Adherence gewertet. Bei Vorliegen eines ADHS
ist Methylphenidat die Medikation erster Wahl, wobei wegen der unkomplizierten Einnahme und dem eingeschränkten Missbrauchspotential wenn möglich die RetardTabletten-Form gewählt wird. Besonders bei instabilen und
beeinträchtigten Patienten mit dekompensiertem Substanzkonsum schafft der rasche Beginn einer MethylphenidatBehandlung in vielen Fällen erst die notwendigen Vorraussetzungen für die Durchführung einer kontinuierlichen,
umfassenden Therapie des ADHS und eventueller weiterer
komorbider psychischer Störungen. Sowohl im Setting der
substitutionsgestützten Behandlungen wie auch in der
Behandlung nicht opioidabhängiger Patienten hat sich
dieser Ansatz bewährt.
In der folgenden Ausgabe 2/09 des Eval-Info wird dem
Thema ADHS im klinischen Kontext der Polikliniken der
ARUD Zürich weiter nachgegangen. Mittels empirischer
Daten aus den Polikliniken sollen Patienten mit ADHS und
die Anwendung von Methylphenidat genauer charakterisiert
werden.
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