Entwicklung des Nervensystems - Brain Modelling

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A18
BRAIN MODELLING II
physikalische Modelle über das Gehirn
BRAIN MODELLING II
physikalische Modelle für das Gehirn
nach einer Vorlesung von W. Gruber
im Jahr 2002/03 an der Universität WIEN,
Institut für Experimentalphysik
1.0
Entwicklung des Nervensystems
1
2.0
Selbstorganisierende Karten
13
3.0
3.1
3.2
23
27
3.3
3.4
Aufbau des Gehirns
Steuerung und Regelung
Der Hypothalamus
Regulation der Körpertemperatur
Regulation des Körpergewichts
Der Thalamus
Die Großhirnrinde
4.0
EEG, MEG und PET
39
5.0
5.1
Sprache und Sprachverständnis
Der Eliza-Effekt
55
69
6.0
Der Schlaf
73
7.0
7.1
7.2
7.3
Das Gedächtnis
Das Arbeitsgedächtnis
Das Gedächtnis
Der Hippocampus
79
81
86
8.0
Neurotransmitter
89
9.0
Der kranke Geist
91
10.0
Künstliche Intelligenz
97
11.0
Synthetische Psychologie
99
12.0
Neuroprothesen
101
13.0
Spieltheorie
105
Literaturverzeichnis
109
28
29
32
33
Entwicklung
des
Nervensystems
Für die einzelnen Neuronen ist es wichtig, daß die Verschaltung korrekt durchgeführt wird.
Auf der einen Seite soll jedes Neuron in der Großhirnrinde mit möglichst vielen anderen
Neuronen Kontakt aufnehmen, andererseits sollen ganze Gebiete von Neuronen mit Gebieten
der Sensorik, der Motorik oder anderen Rindenarealen verbunden sein. Wenn es zu Fehlern in
der Verschaltung kommt, dann führt dies in der Regel zu irreparablen Schädigungen des
Gehirns. Lange Zeit dachte man, daß die Verknüpfung der einzelnen Gebiete genetisch
determiniert sind, aber wenn man die Anzahl der Neuronen und die Anzahl der Gene
betrachtet, dann scheint eine Verschaltung durch die Gene als sehr unwahrscheinlich.
1.0 Entstehung von Verbindungen
Einige interessante Phänomene können durch die Entwicklung des Nervensystems erklärt
werden.
Es gibt Babys die mit einem Augenkatarakt geboren werden, das heißt die Linse ist getrübt.
Früher hat man dann ein paar Jahre mit der Operation gewartet, da die Operation für einen
Säugling sehr belastend ist. Also operierte man die Kinder erst im Alter von 10-12 Jahren.
Den Kindern wurde die getrübte Linse durch eine klare Linse ersetzt. Die Kinder hatten damit
gesunde Augen, dennoch konnten sie nichts erkennen. Die Kinder blieben auch über die Jahre
blind, sie konnten gerade hell und dunkel erkennen - trotzdem daß das Auge gesund war. Also
musste es Probleme bei der Nachverarbeitung im Gehirn geben.
Ein anderes Phänomen, das sich durch die Entwicklung des Nervensystems erklären läßt:
Betrachten wir die Farbdarstellung verschiedener EEG-Bilder. Diese Bilder zeigen die
Aktivität der Großhirnrinde während dem Denken. Den Probanden wurde ein Laut (Geigebzw. Grillen-Laut) vorgespielt. Bei japanischen und nicht-japanischen Probanden gab es
praktisch keinen Unterschied der EEG-Bilder beim Klang einer Geige. Hingegen gab es
wesentliche Unterschiede bei der Repräsentation von Grillenlauten bei Japanern und NichtJapanern. Man kann in Abbildung 1.1 leicht erkennen, daß das Zentrum der größten Aktivität
in unterschiedlichen Regionen liegt.
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Brain Modelling I
1
Geige
Japanern
und
Grille
Nicht-Japaner
Japanern
und
Nicht-Japaner
Abbildung 1.1: EEG-Bilder von Japanern und Nicht-Japanern, die beim Klang einer Geige beziehungsweise einer
Grille aufgenommen wurden.
Man könnte vermuten, daß das Gehirn von Japanern anders aufgebaut ist, als das Gehirn von
Nicht-Japanern. Dies stimmt auch zum Teil - aber es hängt nicht mit dem unterschiedlichen
Gencode zusammen. Untersuchungen von Europäern, die in Japan aufgewachsen sind, zeigen
ein ähnliches Hirnstrombild beim Grillen-Klang, wie von Japaner. Damit ist gezeigt, daß es
keine "rassistischen" Unterschiede gibt - das Phänomen lässt sich anders erklären.
Eine andere interessante Frage stellt sich bei der Entstehung von neuralen Karten. Die
Großhirnrinde ist in verschiedene Gebiete unterteilt. Einige Gebiete gibt es, die für die
Verarbeitung von visueller Information verantwortlich sind, andere für die
Entscheidungsfindung und ein anderes Gebiet ist für die Wahrnehmung der Körperoberfläche
verantwortlich. Dieses Areal wird als somatosensorisches Rindenareal (siehe Abbildung 1.2)
bezeichnet. Dieses Gebiet weist eine interessante Eigenschaft auf. Wenn man eine Stelle auf
der Hand berührt, dann werden einige Neuronen, die für die Hand verantwortlich sind, in der
Großhirnrinde aktiv, wenn man eine Stelle an der Handwurzel berührt, dann werden die
Neuronen im somatosensorischen Feld, die für die Handwurzel verantwortlich sind, feuern.
Diese beiden Gebiete liegen nicht nur auf der Hautoberfläche benachbart, sondern auch die
Gebiete - die für diese Wahrnehmung verantwortlich sind - sind auch auf der Großhirnrinde
benachbart.
Abbildung 1.2: Ein Querschnitt durch das somatosensorische und das motorische Rindenfeld mit den jeweiligen
Bedeutungen.
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2
Entwicklung des Nervensystems
Im Regelfall weisen die Repräsentationen im Gehirn eine ähnliche Nachbarschaft auf, wie die
Hautoberfläche. Die obige Graphik (Abbildung 1.2) stellt einen Querschnitt durch das
somatosensorische Rindenareal dar und wie man leicht erkennen kann, sind Neuronengruppen
die, die Finger, den Unterarm, den Oberarm den Rumpf und die Beine repräsentieren,
benachbart - genauso wie die jeweiligen Hautareale benachbart sind. Man kann auch leicht
erkennen, daß es für manche Gebiete mehr Neuronen gibt, als für andere. So ist zum Beispiel
die Hand empfindlicher, als der Rumpf - und so gibt es für die Wahrnehmung der Hand mehr
Neuronen in der Großhirnrinde. Auf der rechten Seite der Abbildung 1.2 ist das motorische
Rindenfeld dargestellt. Auch hier gibt es eine nachbarschaftserhaltende Beziehung.
Großhirnrindenareale, in denen Neuronen eine topologische Beziehung besitzen, werden als
Karten bezeichnet. Vor allem die Neuronen der Rindenareale, die eine direkte Verbindung mit
der Sensorik oder Motorik besitzen, sind nachbarschaftserhaltend - topologisch - geordnet. In
den Arealen, die keinen direkten Eingang besitzen, finden sich praktisch keine
nachbarschaftserhaltende Beziehung.
Es stellt sich die Frage, wie es dem Gehirn gelingt, eine exakte Projektion von der
Körperoberfläche auf den somatosensorischen Cortex durchzuführen ? Betrachten wir dazu
die verschiedenen Stadien bei der Entwicklung des Nervensystems.
Abbildung 1.3: Die vier Stadien bei der Entwicklung des Nervensystems.
Das Zentralnervensystem entsteht in der
Embryonalentwicklung aus der Neuralplatte,
die sich auf dem Rücken des Emryos
befindet. Die Neuralplatte bildet sich
während der 3. Woche nach der Befruchtung
aus dem Ektoderm, die Zellzahl liegt bei
rund 125 000 Neuronen. In der Abbildung 1.3
kann man auf der linken Seite den Embryo
erkennen, während die rechte Seiten den
Querschnitt darstellt. Die Neuralplatte faltet
sich ein und bildet zuerst die Neuralrinne und
später zwischen dem 21. und 31. Tag das
Neuralrohr. Aus dem Inneren werden sich
später die Ventrikel bilden, die mit
Cerebrospianalflüssigkeit (Liquor) gefüllt
sind. Im Kopfbereich des Embryos entstehen
drei Verdickungen, aus denen sich die drei
ursprünglichen Hauptabschnitte des Gehirns
bilden werden: Prosencephalon, Mesencephalon, Metencephalon. Werden während
dem frühen Stadium der Entwicklung
Zellbereiche entfernt, dann wird der Verlust
durch ein vermehrtes Wachstum von
benachbarten Zellen ausgeglichen. Die
Entwicklung verläuft dann normal. Aus den
Neuronen des Neuralrohrs bilden sich die
Neuronen des Rückenmarks. Nachdem sich
das Neuralrohr gebildet hat, beginnen die
zukünftigen Neuronen sich zu sprunghaft zu
vermehren. Nachdem die Zellen aufhören
sich zu teilen, bestimmt der Ort der Zelle die
Funktion innerhalb des Gehirns. Je später
eine Zelle aufhört sich zu teilen, umso eher
liegt sie auf der Oberfläche der
Großhirnrinde.
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Brain Modelling I
3
Die Entwicklungsstadien kann man folgendermaßen zusammenfassen:
[1] Induktion der Neuralplatte.
[2] Vermehrung von Zellen in bestimmten Regionen (Die Vermehrungsrate ist nicht überall
gleich groß. Daraus folgt das Relief der Hirnstrukturen).
[3] Wanderung der Zellen vom Ort ihrer Entstehung zu den Stellen, an denen sie
schließlich bleiben.
[4] Bildung anatomisch identifizierbarer Zellverbände.
[5] Ausreifung der einzelnen Nervenzellen.
[6] Bildung von Verbindungen zwischen den Nervenzellen.
[7] Selektiver Tod einzelner Nervenzellen (rund 50% sterben ab).
[8] Umstrukturierung und Stabilisierung (Lebenslanges LERNEN !).
Für die Biologie stellte sich die Frage, wie einzelne Neuronen zum Wachsen stimuliert
werden. Durch die experimentelle Embryologie konnten bei dieser Frage interessante
Einsichten gewonnen werden. Die experimentelle Embryologie versuchte einzelne Organe
beziehungsweise Glieder von einem Organismus auf einen anderen Organismus zu übertragen
und umzupflanzen. Es stellte sich die Frage, wie diese fremden Körperteile sich mit dem
Embryo vertragen werden. Wie sich zur Überraschung aller zeigte, wurden die
Gliederknospen eines Hühnerembryos, wenn sie nur rechtzeitig genug verpflanzt wurden, von
den Nerven des Embryos innerviert. Später verwendete man anstelle von Gliederknospen
Tumorgewebe. Im Speziellen wurden mit Sarkom 180 viele Experimente durchgeführt. Es
zeigte sich, daß die Ganglien des Embryos - nicht nur die, die mit dem Tumor in
unmittelbaren Kontakt standen - sehr stark wuchsen. Dies legt die Vermutung nahe, daß der
Tumor eine Substanz ausschüttet, die das Wachstum der Nerven stimuliert.
Abbildung 1.4: Das Wachstum von Neuronen in einer Nährlösung ohne (links) und mit (rechts) einem Nervenwachstumsfaktor.
Um leichter experimentieren zu können, isolierte man sensorische und sympathische
Ganglien vom Körper und kultivierte sie gemeinsam mit dem Tumorgewebe Sarkom 180 in
einer Nährlösung. In Abbildung 1.4 kann man leicht den Einfluss des Tumorgewebes sehen.
Im linken Teil der Abbildung ist eine Gewebekultur ohne und im rechten Teil eine
Gewebekultur mit Tumorgewebe dargestellt (Die Fasern wurden gefärbt). Mit dieser Technik
war es leicht, auszuprobieren, wie sich welche Substanzen auf das Nervenwachstum
auswirken. In den Experimenten zeigte sich, daß ein spezielles Schlangengift das
Nervenwachstum sogar noch stärker fördert.
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4
Entwicklung des Nervensystems
In späteren Experimenten fand man, daß die Gliazellen, die die Neuronen umhüllen und sie
ernähren, den Nervenwachstumsfaktor ausschütten. Wird dieser Nervenwachstumsfaktor in
neugeborene Nagetiere injiziert, so wachsen die Ganglienzellen schneller, reifen früher aus
und werden rund 10 mal größer. Es wird auch die Zahl der Neuronen in den Ganglien erhöht,
da viele Neuronen, die normalerweise absterben würden, durch den Nervenwachstumsfaktor
"gerettet" werden. Viele Neuronen sterben ab, wenn sie keinen ausreichenden Kontakt zu
anderen Neuronen herstellen können. Es scheint so, daß die Neuronen um den
Nervenwachstumsfaktor konkurrieren. Nur bei einem Neuron, das ausreichend Kontakt mit
dem Zielgebiet hat, wirkt der Nervenwachstumsfaktor und die Neuronen können somit
ausreifen. Es gibt Bereiche, in denen bis zu 50% der Neuronen bei einem normalen
Wachstum absterben. Somit ist ein ausreichender Kontakt zwischen den Neuronen
während der frühen Entwicklung eines Individuums notwendig, um bestmögliche
Innervierung durch den Nervenwachstumsfaktor frühzeitig zu gewährleisten.
Das Vorhandensein eines Nervenwachstumsfaktors erklärt das korrekte Ausreifen der
Neuronen. Aber wie werden Verbindungen zwischen einzelnen Gebieten hergestellt ? Ein
Zufallsprozess wurde zu lange dauern, eine genetische Codierung würde mehr Information
erfordern als in der DNA-Information gespeichert ist. Also muss es sich um eine Mischung
aus zufälligen und genetischen Faktoren handeln.
Der spanische Neurologe Santiago Ramón y Cajal formulierte die Hypothese vom
Neurotropismus (später von Roger W. Sperry - Chemoaffinitätshypothese). Er meinte, daß
chemische Substanzen durch das Gewebe diffundieren und diese Substanzen lotsen die
Neuronen zum Zielgewebe. In Experimenten konnte gezeigt werden, daß bei einer Injektion
von einem Nervenwachstumsfaktor in einer anderen Region des Embryos - als ins Gehirn die Neuron in die Richtung der hohen Konzentration des NGF wachsen.
Nervenwachstumsfaktor
unreifes
Neuron
Zellen des
Zielgewebes
Wachstumszone
Nervenfaser (Axon)
Innervierung
des Zielgewebes
Durchtrennung
des Axon
Abbildung 1.5: Die Entstehung einer Verknüpfung durch den Nervenwachstumsfaktor.
Die Spitze des Neurons sucht aktiv nach der höchsten Konzentration des
Nervenwachstumsfaktors. Hat das zukünftige Axon das Zielgebiet erreicht (siehe Abbildung
1.5), dann reift das Neuron aus und es bilden sich Synapsen. Wenn die Synapsen gebildet
werden, wird auch Nervenwachstumsfaktor im Neuron gebunden und zum Zellkörper
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Brain Modelling I
5
weitergeleitet. Wird das zukünftige Axon durchtrennt, kann der Nervenwachstumsfaktor nicht
zum Zellkörper weitergeleitet werden und das Neuron stirbt ab. Es gibt auch Experimente, die
gezeigt haben, daß die Neuronen auch an anderen Stellen eigene Rezeptoren für den
Nervenwachstumsfaktor besitzen und daß über second-messenger und NGF´s verschiedenste
biochemische Vorgänge im Inneren des Neurons gesteuert werden können.
Abbildung 1.6: Die Zielgebiete (rechts) von sensorischen Einheiten (Tasthaaren - links). Bei der
Amputation der Tasthaare werden die Zielgebiete
verändert.
Die Tasthaare nehmen mit dem somatosensorischen Cortex auf der gegenüberliegenden
Seite Kontakt auf. Für jedes Tasthaar gibt es
ein eigenes Gebiet (auch Tonne genannt) von
verarbeitenden Neuronen, wie in Abbildung
1.6 dargestellt.. Zerstört man unmittelbar nach
der Geburt gezielt Tasthaare, so können sich
diese Tonnen nicht bilden. Es gibt kein
Zielgebiet, zu dem die Neuronen hinwachsen
können. Das dies ein sehr gezielter Prozess ist,
kann man daran erkennen, daß bei der
Zerstörung einer Reihe oder einer Spalte von
Tasthaaren (Abbildung 1.6, mitte-oben, mitteunten) auch nur die betreffende Reihe oder
Spalte von Tonnen sich nicht ausbildet,
während benachbarte Gebiete größer werden.
Werden alle Tasthaare zerstört, dann kann sich
das gesamte somatosensorische Gebiet nicht
ausbilden. Die Neuronen verkümmern und
sterben schließlich ab. Man sollte nicht
übersehen, daß die zeitliche Komponente ganz
wesentlich ist. Wenn die Tasthaare zu früh
zerstört werden, bilden sich neue, wenn die
Tasthaare zu spät zerstört werden, dann haben
sich die Verbindungen schon etabliert.
Heute kennt man mehrere Nervenwachstumsfaktoren (nerve-growth-factor, NGF), die sehr
gezielt das Wachstum der Nerven in unterschiedlichen Hirnregionen steuern. Die
Verbindungen, die dabei entstehen, stellen bloß eine grobe Annäherung an die zukünftigen
Verknüpfung dar. Nun stellt sich die Frage, wie die Verbindungen im Detail entstehen.
Wie man am Beispiel des Augenkatarakts beobachten konnte, ist eine ausreichende Anzahl
von Umweltreizen notwendig um die Verbindungen bilden zu können. Wenn es diese Reize
nicht gibt, oder sie widersprüchlich sind, dann können sich die Neuronen nicht korrekt
verschalten. Das hat den Vorteil, daß sich das Gehirn auf die gegebene Umwelt optimal
anpassen kann. Die richtige Verschaltung setzt eine geeignete Stimulierung des Gehirns
voraus. Die einzelnen Gebiete müssen zeitlich-räumlich korrekt aktiviert werden. Dies
geschieht in sensiblen Phasen während der Gehirnreifung. Für das Sehen ist die sensible
Phase mit dem 3. Monat nach der Geburt abgeschlossen. Säuglinge, die frisch auf die Welt
kommen können nur sehr einfache Reize, beziehungsweise angeborene Reize erkennen.
Wenn man ein Baby anlächelt, dann lächelt es zurück. Man kann aber auch einen Ballon mit
einem aufgezeichnetem Gesicht vor das Gesicht eines Babys halten und es wird genauso
lächeln.
Kinder, die man unbeachtet im Gitterbett aufwachsen lässt, entwickeln sich ziemlich langsam.
Sie können erst viel später aufrecht sitzen und erlernen das Laufen viel später. Die geeigneten
Reize müssen in einer sensiblen Phase empfangen werden. Bezieht sich der
Informationserwerb auf einen artspezifischen Informationserwerb in einer solchen sensiblen
Phase, dann spricht man von einer Prägung. Durch die Prägung kommt es zu einer
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Entwicklung des Nervensystems
dauerhaften Wiedererkennung von artspezifischen Merkmalen, die später immer gleichartige
Verhaltensreaktionen auslöst.
Die meisten Untersuchungen zur genauen Verschaltung der Neuronen während sensibler
Phasen wurden am Sehsystem durchgeführt, da das Sehsystem ziemlich gut untersucht ist. Zu
Beginn der fötalen Entwicklung sind die Retina, der seitliche Kniekörper und das primäre
Sehsystem in der Großhirnrinde schon räumlich getrennt.
Durch den Nervenwachstumsfaktor werden die groben Verbindungen hergestellt. Wichtig ist,
daß die Axone der Ganglienzellen, die für den selben Sehbereich verantwortlich sind,
abwechselnd von beiden Auge die rechte (bzw. die linke) Retinahälfte korrekt zum seitlichen
Kniekörper projizieren und dann abwechselnd in das primäre visuelle Areal gelangen. Es
bilden sich sogenannte Augendominanzsäulen. (Hyperkolumnen). Von der rechten Hälfte der
Retina des rechten Auges innervieren Neuronen das rechte primäre visuelle Rindenfeld.
Zwischen diesen Zielgebieten innervieren die Neuronen, kommend aus dem rechten Teil der
Retina des linken Auges die Großhirnrinde. Es gibt ein Konkurrenzverhalten. Damit beide
Augen gleich stark vertreten sind,
bedarf es eines externen Stimulus.
Die Abbildung 1.7 entstand durch
eine radioaktive Markierung der
innervierenden Neuronen aus dem
linken Auge. Nachdem die Katze
getötet wurde, wurde ein Schnitt
durch ihr Sehzentrum auf Fotopapier
gelegt. Die radioaktiv markierten
Neuronen färbten das Fotopapier
weiß, während die nicht markierten
Neuronen das Fotopapier unbehelligt
ließen. Deshalb gibt es in der
Abbildung schwarze und weiße
Säulen. Zum Zeitpunkt der Geburt
überlappen
die
Neuronen
im
Zielgebiet (Abbildung 1.7 oben).
Nach einer gewissen Zeit entstehen
sog. Augendominanzsäulen. Die
Säulen sind die kleinen weißen
Rechtecke vom rechten Auge
Abbildung 1.7: Ein Querschnitt durch das Sehsystem. Die
Bereiche des linken Auges wurden mit einer radioaktiven
(Abbildung 1.7 unten). Dazwischen
Substanz markiert. Man kann sehr gut erkennen, wie sich die
sind schwarze Säulen vom linken
Säulen im Laufe der Zeit entwickeln.
Auge. Die Schichtung des Cortex ist
gut zu beobachten.
In der Abbildung kann man leicht erkennen, daß es zu Beginn der sensiblen Phase noch keine
Trennung gibt - die Axonbäume aus den beiden Retinahälften überlappen sehr stark. Dies
lässt darauf schließen, daß Teile der Axonbäume in Bereiche hineingewachsen sind, wo sie
eigentlich nicht hingehören. Diese noch nicht stabilen Verbindungen müssen wieder
zurückgebildet werden, damit es zu einer korrekten Trennung kommt.
Die Aufgabe ist vergleichbar mit dem Verlegen von vielen Telefonkabeln von einer in eine
andere Stadt, wobei auf die Nachbarschaft zwischen den Telefonen geachtet werden muss.
Wenn in einer Stadt, zum Beispiel Linz, von zwei benachbarten Telefonen, zum Beispiel
Goethestraße 3 und Goethestraße 5, angerufen wird, dann müssten, zum Beispiel in Wien,
zwei benachbarte Telefone, Schillerstraße 8 und Schillerstraße 10, läuten. Dass die
Telefonkabeln von Linz nach Wien verlegt werden, dafür ist der Nervenwachstumsfaktor
verantwortlich, und jedes Telefon in Linz kann rund 1000-10000 Telefone in Wien
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Brain Modelling I
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ansprechen. Für die korrekte Feinverschaltung gibt es einen anderen Mechanismus. Indirekt
angenommen in ganz Wien gibt es in jedem Haushalt sehr sehr viele Telefone. Wenn man
also von zwei benachbarten Telefonen in Linz nach Wien anruft, dann werden über Wien
verteilt viele Telefone läuten. Nach der Wahrscheinlichkeit werden aber nur in ganz wenigen
benachbarten Haushalten je ein Telefon gleichzeitig läuten. Wenn in Wien zwei benachbarte
Telefone läuten, dann werden sie markiert. Wenn man nun von Linz aus von allen
benachbarten Telefonen telefoniert hat, und in Wien nur die benachbart klingelnden markiert
wurden, dann ist das Ziel praktisch erreicht. Es müssen jetzt nur noch alle nicht-markierten
Telefone abmontiert werden. Jetzt müssen wir dieses Beispiel nur noch auf das Gehirn
anwenden. Im seitlichen Kniehöcker (entspricht Linz) senden die Neuronen (entspricht den
Telefonen in Linz) Axone aus, die sich im Zielgebiet aufteilen (die 1000-10000 Telefone in
Wien) und über die Synapsen mit anderen Neuronen in Verbindung stehen. Nur wenn zwei
benachbarte Synapsen aktiv sind, dann können sie weiter aktiv bleiben (sie wurden markiert),
während Synapsen die praktisch nie aktiviert wurden, zurückgebildet werden. Die Neuronen,
die keine sinnvolle Verbindung herstellen konnten, das heißt, das die Synapsen zu wenig
aktiviert wurden, sterben ab. Wie es zur Markierung der aktiven Synapsen kommt ist bis
heute noch unklar, man vermutet, daß nur eine beschränkte Menge des
Nervenwachstumsfaktor im Zielgebiet vorliegt und nur die aktiven Synapsen den NGF
aufnehmen können.
Großhirnrinde
L
Großhirnrinde
R L
R Thalamus
von einer Retinahälfte
L R L
R Thalamus
von einer Retinahälfte
Abbildung 1.8: In dieser Graphik ist das Dominanzverhalten um zwei Zielgebiet dargestellt (entspricht zwei
kleinen weißen/schwarzen Rechteck). Im linken Bereich kann man die starken Dendritenverästelungen erkennen,
die sich nach der sensiblen Phase zurückbilden (rechts).
Damit die nachbarschaftlichen Beziehungen im visuellen Areal hergestellt werden können,
müssen die benachbarten Neuronen des seitlichen Kniehöckers gleichzeitig feuern. Dazu
wurden Experimente an der Retina von Frettchen durchgeführt. Man entfernte die Retina nach
der Geburt und legte sie auf ein Drahtgitter. Somit konnte man von über 100 Zellen der
Retina gleichzeitig die Aktivität der Neuronen ableiten.
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Entwicklung des Nervensystems
t=0.5
t=1.0
t=1.5
t=2.0
t=2.5
t=3.0
t=3.5
t=4.0
t=4.5
Abbildung 1.9: Ein kleiner Ausschnitt der Retina mit Elektroden,
die eine Wanderung von Aktivitätswellen aufzeichnen.
Es zeigte sich, daß ein spezielles
Muster
von
elektrischen
Entladungen in der Retina in
sensiblen
Phasen
auftritt
(Abbildung 1.9). Die spontane
elektrische Aktivität in der sich
entwickelnden Netzhaut ist lokal
synchronisiert.
In
jedem
Diagramm ist die Verteilung der
Aktionspotential-Salven einzelner
Ganglienzellen in der Retina
eingetragen. An einem Punkt der
Retina beginnen die Neuronen zu
feuern. Von diesem Punkt aus
werden
die
benachbarten
Neuronen aktiviert und so weiter.
Es entsteht eine Welle von
elektrischen Aktivitäten die mit
ungefähr 5 Sekunden über die
Retina wandert. Danach werden in
der Retina für 30 Sekunden bis 2
Minuten kaum Aktionspotentiale
festgestellt. An einem anderen
Punkt der Retina startet dann
wieder die nächste spontane Aktivitätswelle.
t= 0 min
Startpunkt 1
t= 2 min
Startpunkt 2
Abbildung 1.10: Die Überlagerung von zwei Aktivitätswellen
auf der Retina.
Diese spontanen Aktivitätswellen
bilden ein räumliches Muster.
Benachbarte
Neuronen
feuern
gleichzeitig. Betrachten wir den
Überlapp von zwei spontanen
Aktivitätsmustern
wie
es
in
Abbildung 1.10 dargestellt ist, die
von 2 verschiedenen Punkten zu
verschiedenen Zeiten aus gestartet
sind. Man kann die Nachbarschaft
zwischen den Neuronen leicht
erkennen.
Wenn
nun
einige
Tausende dieser Wellen über die
Retina wandern, dann werden alle
benachbarten Neuronen ausreichend
aktiviert.
Die Wellen breiten sich langsam genug aus (0.1 mm/sec), um nur örtlich begrenzte - aber
benachbarte - Areale des Sehzentrums zu aktivieren. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß in den
Netzhäuten beider Augen gleichzeitig spontane Aktivitätsmuster auftreten. Somit werden
immer nur benachbarte ipsilaterale Säulen der Großhirnrinde aktiviert.
Nachdem diese Prozesse abgeschlossen sind, sterben alle Neuronen ab, denen es nicht
gelungen ist, an den nachbarschaftserhaltenden Abbildungen teilzunehmen. Es können bis zu
50 % der Neuronen absterben. Danach ist die sensible Phase abgeschlossen.
Man darf nicht vergessen, daß die Retina geteilt ist - eine Hälfte schickt die Signale zum
kontralateralen und die andere Hälfte zum ipsilateralen primären Sehzentrum. Daraus folgt,
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Brain Modelling I
9
daß durch die spontanen Aktivitätsmuster beide Sehzentren (rechts und links) aktiviert
werden.
Großhirnrinde
L
Großhirnrinde
R
L
R
L
Thalamus
R L
R
Thalamus
von der Retina
von der Retina
Wenn ein Auge verschlossen wird (in der linken Abbildung das linke Auge), dann können die
Augendominanzsäulen für das entsprechende Auge nicht - oder nur spärlich entstehen. Wenn
durch eine Tetrodoxin-Injektion die Weiterleitung beziehungsweise Entstehung der spontanen
Aktivitätsmuster verhindert wird, können sich die Augendominanzsäulen von beiden Augen
nicht ausbilden (rechte Abbildung). Die Axonbäume wuchern wild in das Zielgebiet hinein.
Beide Fälle führen zu einer massiven Einbuße der Sehkraft. Damit erklären sich auch die
Probleme, die Kinder hatten, wenn die Linsentrübungen (Katarakt) nicht sofort nach der
Geburt beseitigt wurden.
Im Prinzip gibt es zwei entgegengesetzte Mechanismen: die Kooperation und die
Konkurrenz. Zum einen sollen die benachbarten Ganglienzellen der Retina
(beziehungsweise des Corpus geniculatum laterale) auf benachbarte Gebiete in das primäre
sensorische Sehzentrum projizieren (Kooperation) und zum anderen sollen von beiden
Retinahälften die identen Gebiete innerviert werden (Konkurrenz). Durch die synchronen
Aktivitätsmuster in der Retina wird der Mechanismus der Kooperation verwirklicht.
Andererseits kommt es durch die abwechselnde Aktivität der beiden Augen im Zielgebiet zu
einer Konkurrenz um den Nervenwachstumsfaktor.
(a)
(b)
(c)
(d)
Abbildung 1.12: Tangentialschnitte des Sehzentrums. Die Säulen werden jetzt zu flächigen Gebieten. Die
schwarzen Zielgebiete stammen von dem einen Auge, während die weißen Zielgebiete vom anderen Auge
stammen.
Wenn man die Neuronen des Sehzentrums, die vom rechten beziehungsweise vom linken
Auge innerviert werden, radioaktiv markiert, und dann einen Tangentialschnitt durch das
kuppelförmige Areal V1 durchführt (das heißt von oben her), kann man die flächigen Gebiete,
die mit dem rechten beziehungsweise mit dem linken Auge verbunden sind, leicht erkennen.
Die weißen und schwarzen Streifen in der rechten Abbildung 1.12a sind das Ergebnis der
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10
Entwicklung des Nervensystems
unterschiedlichen Innervierungen durch die beiden Augen. Die schwarzen Streifen sind in
Abbildung 1.12b bedeutend kleiner, da das rechte Auge zwei Wochen nach der Geburt eines
Affen verschlossen wurde Die Aufnahme wurde nach 18 Monaten gemacht und der
radioaktive Stoff wurde in das linke Auge injiziert. Das inverse Bild ergibt sich, wenn man
dem Affen den radioaktiven Marker in das verschlossene Auge (immer noch rechts) injiziert.
Wenn man die einzelnen Schnittbilder - bei nicht verschlossenen Augen - verknüpft, kann
man die Augendominanzsäulen rekonstruieren 1.12d. Man kann sehr schön die Strukturen geschaffen durch Konkurrenz und Kooperation - erkennen. Die Gebiete aus dem selben Auge
kooperieren miteinander (jeweils weiß beziehungsweise jeweils schwarz), während die
Gebiete aus unterschiedlichen Augen untereinander konkurrieren (schwarz und weiß).
Diese Erklärung scheint auch für den somatosensorischen und motorischen Cortex wichtig zu
sein. So fand man auch im Rückenmark spontane Aktivitätssalven, die für die Topologie
verantwortlich sind.
Damit lüftet sich auch das Geheimnis der unterschiedlichen EEG-Bilder bei Japanern und bei
Nicht-Japanern bei der Präsentation der selben Laute. Die Sprache der Japaner weist einige
interessante Eigenheiten auf. Der gut formulierte, aber komplizierte Satz “Ue o ui, oi o ōi, ai o
ou aiueo” enthält ausschließlich Vokale (Die Übersetzung lautet ungefähr: Sich über den
Hunger sorgend und sein Alter verschleiernd, sucht er nach Liebe, ein liebeshungriger Mann).
Es zeigte sich, daß bis zum 9. Lebensjahr die Verarbeitung der Sprachlaute abgeschlossen ist.
Die beiden Hemisphären des Gehirns sind auf unterschiedliche Geräusche spezialisiert. Die
linke Hälfte beschäftigt sich mit der Sprachverarbeitung, während die rechte Hälfte für die
allgemeine Geräuschwahrnehmung verantwortlich ist. Da im Japanischen, die harten Laute wie zum Beispiel das Zirpen einer Grille - größtenteils als nichtsprachliche
Geräuschinformation verarbeitet werden, zeigt sich in der rechten Hemisphäre eine erhöhte
Aktivität. Umgekehrt sind in vielen europäischen Sprachen harte Laute vertreten und damit
werden die Grillenlaute in der linken Hemisphären - scheinbar als Sprache - verarbeitet.
Die durch die Prägung entstehenden Gebiete bleiben ein Leben lang erhalten. Allerdings ist es
möglich, daß sich durch Training diese Gebiete - vor allem in der inneren Struktur - noch
etwas verändern können. Dafür ist es aber notwendig, daß ausreichend Neuronen zur
Verfügung stehen, das heißt, wenn sich die Gebiete nicht korrekt entwickeln konnten und die
Neuronen abgestorben sind, dann kann auch das beste Training nicht weiterhelfen.
Ein Affe wurde trainiert eine Aufgabe
durchzuführen, bei der er häufig die Spitzen des
zweiten und dritten, gelegentlich auch des
vierten, Fingers einsetzen musste. Durch das
Training vergrößerten sich die jeweiligen
Gebiete des somatosensorischen Areals. Die
Abbildung 1.13 stellt die Repräsentation der
Fingerspitzen vor Trainingsbeginn (Abb.
1.13oben) im Vergleich zur Phase nach der
starker Stimulation (Abb. 1.13unten) dar.
Abbildung 1.13: Die sensorischen Felder, die
mit den Fingerspitzen korrespondieren.
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Brain Modelling I
11
Wie man leicht in Abbildung 1.14 erkennen kann, verändert sich die Größe der Neuronen, die
Zahl der Synapsen und die Verästelung der Dendriten über einen größeren Zeitraum.
Abbildung 1.14: Die Entwicklung der Großhirnrinde (Broca-Areal) auf zellulärem Niveau zum Zeitpunkt der
Geburt (A), nach einem Monat (B), nach 3 Monaten (C), nach 6 Monaten (D), nach 15 Monaten (E), und nach 24
Monaten (F).
Synapsenwachstum im visuellen Cortex
Synapsenwachstum im Stirnlappen
0
2
4
6
7
10
Zeit in Jahren
20
Abbildung 1.15: Das Synapsenwachstum im visuellen Cortex, beziehungsweise im Stirnlappen.
Die Entwicklung des menschlichen Gehirns ist erst nach der Pubertät abgeschlossen. Manche
Gebiete werden erst sehr spät in das Netzwerk Gehirn integriert. Zum Beispiel der
Hippocampus. Diese Struktur ist für unser deklaratives Lernen verantwortlich. Die meisten
Menschen erinnern sich praktisch kaum an erlebte
Fakten vor dem 3. Lebensjahr - der Hippocampus
wird erst zu diesem Zeitpunkt “angeschlossen”. So
kann der Zustand der Myelinisierung (Abbildung
1.16) der Axone über den Entwicklungsstand der
einzelnen Rindenareale Auskunft geben. Die
dunklen Areale werden früh, die hellgrauen später
und die weißen sehr spät (bis in die Pubertät hinein)
myelinisiert.
Auch
das
Synapsenwachstum
(Abbildung 1.15) ändert sich und ist erst nach 20 Abbildung 1.16: Der Myelinisierungsgrad
Jahren abgeschlossen. Trotzdem können zu einem der Axone in verschiedenen Gebieten der
späteren Zeitpunkt immer noch Synapsen wachsen, Großhirnrinde.
beziehungsweise modifiziert werden.
___________________________________________________________________________________
12
Entwicklung des Nervensystems
2.0 Selbstorganisierende Karten
Zur Entwicklung des Nervensystems gibt es noch einige interessante Fragen. Die Retina der
beiden Augen ist jeweils eine runde Fläche. Die Neuronen der halben Retinafläche projizieren
auf den primären visuellen Cortex, der eher rechteckig ist. Für den somatosensorischen
Cortex wird dieser Sachverhalt schon etwas komplizierter. Die Oberfläche des menschlichen
Körpers - die Haut - ist ein zweidimensionales Gebilde in einer dreidimensionalen Welt. Wie
wird ein solches - zumal komplexes - Gebilde auf ein zweidimensionales rechteckige Gebiet
projiziert, wobei die Nachbarschaft erhalten bleiben soll.
Um diese Frage zu klären, können wir den Kohonen-Algorithmus benutzen. Dieser
Netzwerkstyp wurde erstmals von Christoph von der Malsburg vorgestellt. Aber erst rund 15
Jahre später konnte Teuvo Kohonen durch einige von ihm vorgeschlagene Vereinfachungen
dem Algorithmus zum Durchbruch verhelfen. Der Algorithmus zeichnet sich dadurch aus,
daß er ohne Lehrervorgaben auskommt und ziemlich stark versucht die Biologie zu
implementieren. Das Verfahren kann lernen, ohne daß ein externen Input notwendig ist. Mit
ihm können einige Fragen zur Entwicklung des Nervensystems geklärt werden.
Christoph von der Malsburg ging von drei weitgehend akzeptierten Grundannahmen aus:
(1) Die Verbindungsstellen zwischen den Neuronen verändern ihre Wirksamkeit aufgrund
beider Verbindungspartner. Diese Regel, die bereits Donald O. Hebb bereits 1949
vorgeschlagen hat, bildet die Basis für die Lernfähigkeit biologischer Netze.
(2) Neuronale Aktivität breitet sich nicht nur in die nächstfolgende Schicht, sondern auch
innerhalb der eigenen Schicht ein kleines Stück seitwärts aus.
(3) Cortikale Neuronen und ihre Verbindungsstellen konkurrieren miteinander. Neuronen
mit stärkerer Erregung unterdrücken die schwächeren. Im Extremfall unterdrückt das
Neuron mit der maximalen Erregung alle anderen Neuronen.
Auf ähnlichen Überlegungen basieren zahlreiche neuere Modelle. Ein wesentlicher Vorteil
dieses Netzwerktyps ist, daß die Struktur der Karte allein durch Präsentation von
Beispielreizen entsteht, ohne daß ein Lehrer Auskunft über den bisherigen Erfolg des Lernens
geben müsste. Eine Karte besteht aus N Neuronen, die sich durch eine wohldefinierte
Nachbarschaft (ein-, zwei- oder mehrdimensional) auszeichnen. Das heißt, jedes Neuron hat
eine bestimmte Anzahl von Nachbarn, die beim Lernen beeinflusst werden. Bei einem
zweidimensionalen Netz besitzt jedes Neuron typischerweise vier Nachbarneuronen.
Schicht 1
⇒
Schicht 2
Körpergewicht
Körpergröße
Abbildung 2.0: Die Darstellung von zwei selbstorganisierenden Karten. Die 1. Schicht dient der Eingabe,
während in der 2. Schicht die eigentliche Verarbeitung stattfindet. Die Dimensionen der einzelnen Schichten
können unterschiedlich ausfallen.
Die zweite Schicht ist die relevante Schicht in der aktive Erkennungsprozesse ablaufen. Die
erste Schicht stellt nur die Eingabeschicht dar. Jedes Neuron der Eingabeschicht projiziert auf
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling I
13
jedes Neuron der 2. Schicht (verarbeitenden Schicht). Jedes Neuron der verarbeitenden
Schicht steht - nur im vereinfachenden Sinn - für eine spezielle Eigenschaft. Natürlich ist es
möglich, daß die Zahl der Neuronen der Eingabeschicht unterschiedlich zur Anzahl der
Neuronen in der 2. Schicht ist.
Jedes Neuron der Eingabeschicht (1. Schicht) besitzt einen Wert xk mit k=1,...,p. Die
v
nachbarschaftliche Beziehung in der Eingabeschicht ist egal. Damit ist ein Eingabevektor x
definiert. Betrachten wir eine zweidimensionale verarbeitende Schicht. Wesentlich ist die
nachbarschaftliche Beziehung der Neuronen der 2. Schicht. Jedes Neuron hat vier Nachbarn.
Ein Neuron ist somit durch seine Position i, j mit i=1,...,n (Anzahl der Spalten) und j=1,...,m
(Anzahl der Reihen) definiert. Jedes Neuron verfügt über interne Werte - wkij mit k=1,...,p ,
v
die als Gewichte bezeichnet werden. Damit ist ein Gewichtsvektor w ij definiert.
 x1 
 
K
 
xp 
Eingabevektor
i
w11,1
...
wp1,1
w12,1
...
wp2,1
w13,1
...
wp3,1
w14,1
...
wp4,1
w11,2
...
wp1,2
w12,2
...
wp2,2
w13,2
...
wp3,2
w14,2
...
wp4,2
w11,3
...
wp1,3
w12,3
...
wp2,3
w13,3
...
wp3,3
w14,3
...
wp4,3
j
Abbildung 2.1: Eine selbstorganisierende Karte, mit einer 4×3 verarbeitenden Schicht und einem p-dimensionalen
Eingabevektor. Beim Neuron (3-2) sind die Nachbarn eingezeichnet.
Der Eingabevektor und die jeweiligen Gewichtsvektoren besitzen einen Abstand. Der
Kehrwert des Abstandes entspricht der Aktivität des i,j-ten Neurons. Die Aktivität wird
folgendermaßen bestimmt:
p
1/ ∑ ( x k − w ijk ) 2 = Aktivität des i,j-ten Neurons
k =1
2.1
Wenn also der Abstand minimal ist, dann ist die Aktivität am größten. Aus praktischen
Gründen verwendet man nicht den Kehrwert, sondern den direkten Abstand - man muß dann
nur berücksichtigen, daß das Neuron mit dem geringsten internen Zustand die maximale
Aktivierung besitzt.
___________________________________________________________________________________
14
Entwicklung des Nervensystems
v
v
v
Am Anfang sind die Skalare der Gewichtsvektoren w 1,1 ,..., w i, j ,..., w n ,m i=1,...n und j=1,...m
absolut zufällig mit Werten zwischen 0 und 1 belegt, das heißt w ijk ∈ [0, 1] mit k=1,...,p. Das
Prinzip das hier angewandt wird heißt "the winner takes ist all". Es kann nur ein Neuron bei
dem die jeweiligen Gewichte zum Eingabevektor den geringsten Abstand besitzen.
Eingabe für das Neuron:
Gewichte des Neurons:
w2≙Körpergröße
x2=Körpergröße
1.0
1.0
Untergewicht
Idealgewicht
Übergewicht
x1=Körpergewicht
1.0
w1≙Körpergewicht
1.0
Abbildung 2.4: Die Äquivalenz des Eingaberaums und des Gewichtsraums.
Betrachten wir wieder ein einfaches Beispiel - das Gewichtsproblem. Die Eingabeschicht
besteht aus zwei Neuronen, dem Neuron für das Körpergewicht und einem Neuron für die
Körpergröße. Jedes Neuron der 2. Schicht bekommt beide Informationen aus der 1.Schicht das Körpergewicht und die Körpergröße. Umgekehrt stellen die Gewichte der Neuronen der
2. Schicht auch eine Position im Gewichtsraum dar (im 2-dimensionalen Raum kann man sich
das leicht vorstellen). Die Position des Neurons im Gewichtsraum entspricht der Position im
Eingangsraum. Eine Person mit dem Idealgewicht würde dem Neuron - dargestellt durch
einen Kreis mit Punkt - im Gewichtsraum darstellen. Wie durch den Beweis von Papert und
Minsky bekannt ist, kann ein Neuron die Eingabe nicht in drei Gebiete unterteilen. Es werden
mehr Neuronen benötigt.
Die Neuronen der verarx2
x2
beitenden Schicht können auf die unterschiedlichste Weise angeordnet werden. So ist es
möglich, daß die Neuronen aufgefädelt sind,
wie auf einer Perlenschnur. Jedes Neuron
hat nur zwei Nachbarn
x1
x1
(eindimensionale Topologie). Andererseits könx2
x2
nen die Neuronen auch
auf einem Gitter liegen,
wobei die Neuronen 4
Nachbarn haben - mit
Ausnahme der Neuronen
am Rand. Die Zahl der
Neuronen, die man
verwendet, hängt stark
vom Problem ab.
x1
x1
Abbildung 2.5: Unterschiedliche Nachbarschaften mit einer unterschiedlichen
Anzahl von Neuronen.
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling I
15
Natürlich sind auch andere Strukturen und Topologien möglich - der Phantasie sei keine
Grenzen gesetzt. Aus praktischen Grenzen verwendet man fast nur ein- oder zweidimensionale Netze. Nur für ganz wenige Anwendungen sind drei-dimensionale Netze
notwendig und sinnvoll (Rechenzeit).
Damit stellt sich die Frage, wie die Neuronen zu ihren internen Werten - den Gewichten kommen. Für unser Beispiel wäre es leicht möglich die Gewichte anzugeben, ohne daß man
viel rechnen muss. Aber in der Regel ist dies nicht so einfach, da der Eingabevektor ziemlich
hochdimensional sein kann. Damit ist es nicht mehr möglich, den Eingaberaum
aufzuzeichnen. Normalerweise bleiben die Neuronen der zweiten Schicht wie auf einer
Perlenkette oder auf eine Netz angeordnet. Es gibt nur sehr wenige Anwendungen, bei denen
es Sinn macht, eine höherdimensionale Nachbarschaft zu definieren. Betrachten wir also
wieder unser Gewichtsproblem mit 3 Neuronen, die auf einer Perlenkette aufgefädelt sind.
x2=w2≙Körpergröße
x2=w2≙Körpergröße
Am Anfang werden die
Gewichte der Neuronen
1.0
1.0
der 2. Schicht zufällig ge2
2
wählt (linke obere Abbildung). Dann wird den
Neuronen ein Beispielreiz
(graues Kreuz) präsentiert
1
1
und der Abstand zwi1.0
1.0
3
3
schen den 3 Neuronen
x1=w1≙Körpergewicht
und dem Beispielreiz bex1=w1≙Körpergewicht
stimmt (rechte obere Abx2=w2≙Körpergröße
x2=w2≙Körpergröße
bildung). Das Neuron mit
dem geringsten Abstand
1.0
1.0
(Neuron 1) ist der
1
2
Gewinner. Seine Position
2
- sprich seine Position im
Gewichtsraum - wandert
3
1
nun ein Stück in Richtung
des Beispielreizes. Der
3
1.0
1.0
nächste Nachbar - egal
x1=w1≙Körpergewicht
x1=w1≙Körpergewicht
wie weit er weg ist wandert auch etwas in
Abbildung 2.6: Die Darstellung von 3 verbundenen Neuronen, die sich
Richtung des Beispieldurch ein Eingabemuster verändern.
reizes. Das Neuron mit
dem kleinsten Abstand (the winner), ändert seine internen Werte - die Gewichte
folgendermaßen:
wki(t+1) = wki(t) + γ (xk-wki(t))
2.2
Der Lernparameter γ wird so eingestellt, daß die Gewichtsänderung nicht zu heftig ausfällt also kleiner als 1 ist - und nicht zu klein ist, damit das Lernen nicht zulange dauert. Also sollte
für γ gelten: 0.2 < γ < 0.4. Natürlich ist dieser Wert nur ein Richtwerte - er kann von Problem
zu Problem verschieden sein. Für die unmittelbaren Nachbarn ergibt sich
w ki ± 1(t+1) = w ki ± 1(t) + α . γ . (x k-w ki ± 1(t))
2.3
Da sich die unmittelbaren Nachbarn etwas weniger verändern sollen, wird ein zusätzlicher
Lernparameter α eingeführt. Für ihn gilt das selbe wie für γ. Man sollte aber nicht vergessen,
daß die beiden Lernparameter α und γ multipliziert werden. Damit kann α sogar etwas größer
als γ ausfallen. Da wir eine Kette von Neuronen vorliegen haben, gibt es nur einen
___________________________________________________________________________________
16
Entwicklung des Nervensystems
Ordnungsparameter i für die Neuronen. Wenn ein Netz von Neuronen gegeben wäre, das
heißt jedes Neuron hätte vier Nachbarn, dann wäre die Änderung der Gewichte für die
Nachbarn durch folgende Formel gegeben:
w ki ± 1 j ± 1(t+1) = w ki ± 1 j ± 1(t) + α . γ . (x k-w ki ± 1 j ± 1(t))
2.4
Nun werden dem Netzwerk viele Reize der Reihe nach präsentiert. Dadurch kommt es zu
einer Veränderung der Gewichte. Wenn die Reize geklustert sind, dann werden sich die
Neuronen nach dem Schwerpunkt der Kluster ausrichten. Im optimalen Fall gibt es dann für
jeden Kluster (auch Gebiet oder Gruppe) ein Neuron. Wenn die Daten eher kontinuierlich
verteilt sind - so wie in diesem kleinen Beispiel - dann übernimmt für jeden Bereich
(entspricht benachbarten Klusters) ein Neuron die Verantwortung, wobei die Grenze natürlich
willkürlich gezogen wurde. Wenn die Nachbarschaften etwas komplizierter ausfallen, kann es
notwendig sein, daß für ein Bereich mehrere Neuronen notwendig sind. Wenn der
Algorithmus die Beispielreize verarbeitet hat, dann sind die Neuronen, oder besser gesagt, die
Gewichte der Neuronen, wie in der Abbildung 2.6 links unten, verteilt. Neuron 1 ist für die
Untergewichtigen, Neuron 2 für die Normalgewichtigen und Neuron 3 für die
Übergewichtigen verantwortlich. Wenn die Neuronen aber am Anfang anders gelegen wären,
siehe dazu die Abbildung 2.6 rechts unten, würde das Ergebnis etwas anders aussehen. Die
Neuronen wären zwar genauso verteilt, aber die Enden wären vertauscht. Das heißt Neuron 1
würde den Bereich von Neuron 3 abdecken und umgekehrt. Das kann natürlich von
vornherein nicht bekannt sein. Aus diesem Grund muss noch festgestellt werden, was das
Netz gelernt hat. Für jeden wesentlichen Bereich gibt es einen (hoffentlich) typischen
Beispielreiz. Für jeden Beispielreiz pro Bereich gibt es - wenn man alles richtig gemacht hat ein Neuron, das am aktivsten ist. Diese Zuordnung muss extern durchgeführt werden. Das
Gehirn löst dies auf eine eigene sehr interessante Weise, wie man im Kapitel über das
Arbeitsgedächtnis lesen kann. Wenn ein Neuron für zwei Bereiche anspricht, dann sind
entweder zuwenig Neuronen für das Problem vorhanden, oder das Netz hatte zu wenig Zeit zu
lernen.
Gewichtsveränderung
Winner
Gaußkurve
Gewichtsveränderung
Winner
Sombrerofkt.
Benachbarte Neuronen
Abbildung 2.7: Die Gewichtsänderung nach Kohonen bei den benachbarten Neuronen und die
Gewichtsveränderung mit der Sombrerofunktion.
Der Unterschied zwischen dem von der Malsburg- und dem Kohonen-Algorithmus besteht in
der Veränderung der Gewichte der Nachbarn. Bei von der Malsburg wurden alle Gewichte
der Neuronen verändert. Der Gewinner - das Neuron mit der höchsten Aktivität - wurde am
meisten verändert. Der Lernparameter γ wurde durch eine Gaußkurve ersetzt, wodurch alle
anderen Gewichte der Neuronen - auch die sehr weit entfernten - verändert wurden. Aber ab
einem bestimmten Abstand ist die Änderung so gering, daß die Gewichtsänderung nicht mehr
ins Gewicht fällt. Dadurch, daß Kohonen nur die nächsten - manchmal auch die übernächsten
Neuronen - bei der Gewichtsänderung berücksichtigte, konnte er gewaltig an Rechenkapazität
sparen und interessante Anwendungen realisieren. Eine interessante Innovation besteht in der
Verwendung der Sombrerofunktion - beziehungsweise der diskreten Sombrerofunktion. Die
übernächsten Nachbarn werden nicht zum Testreiz hingezogen, sondern sie werden sogar
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Brain Modelling I
17
etwas weggedrängt. Dies führt zu einer rascheren Ausbreitung der Gewichte über dem
Zielraum.
Der Kohonen-Algorithmus beschreibt selbstorganisierende Eigenschaftskarten. Ähnliches
wird auf Ähnliches abgebildet. Dies ist praktisch ident mit den sensiblen Phasen bei der
Entwicklung des Nervensystems. Die betreffenden Regionen werden mit
nachbarschaftserhaltenden Informationen gefüttert und nach einiger Zeit sprechen nur mehr
die richtigen Neuronen darauf an. Genauso wie beim Kohonen-Algorithmus sprechen auch
benachbarte Neuronen auf ähnliche Reize an. Der Algorithmus versucht “nur” Ähnlichkeiten
wiederzuerkennen.
Auf der rechten Graphik erkennt man den
Unterschied zwischen einer eindimensionalen (oben)
und einer zweidimensionalen Nachbarschaft (unten)
von Neuronen. Angenommen die Neuronen im
Kohonennetzwerk besitzen nur zwei interne
Parameter. Dann lassen sich diese Parameter sehr
schön graphisch darstellen. Die Perlenkette
beziehungsweise das Netz soll nun in das gebogene
Gebiet abgebildet werden. Es werden dem Netzwerk
nun rein zufällig beliebig viele Koordinaten aus dem
Gebiet des Kreissegmentes dargeboten. Da ein
Neuron in Richtung der Eingabeaktivierung
"gezogen" wird und dies für alle Neuronen gilt, wird
nach endlicher Zeit das gesamte Gebiet der Figur
Abbildung
2.8:
Der
Unterschied
zwischen
einer
einund
zweioptimal überdeckt. Bei der perlenkettenartigen
dimensionalen Map, die ein Kreissegment
Struktur zeigt sich ein Mäander, der den Raum
ausfüllt.
versucht zu überdecken. Es gibt aber Raumgebiete,
die benachbart sind, für die aber relativ weit entfernten Neuronen verantwortlich sind (Pfeile).
Wenn ein zweidimensionales Netz aufgespannt wird, dann werden tatsächlich benachbarte
Gebiete des Kreissektors von benachbarten Neuronen des Netzwerkes repräsentiert.
Allerdings gibt es Bereiche die überrepräsentiert sind (der untere Bereich des
Kreissegmentes). Dies hängt mit der Zahl der Neuronen zusammen.
Betrachten wir den somatosensorischen Cortex. Dieses Gebiet ist von oben betrachtet
ziemlich rechteckig und die Neuronen sind in diesem Areal relativ gleichmäßig verteilt. Wenn
nun vom somatosensorischen Bereich des Thalamus die Axone in dieses Gebiet einströmen
und mit den einzelnen Neuronen des somatosensorischen Cortex Kontakt aufnehmen, dann
muss die Nachbarschaft erhalten bleiben, das heißt die Neuronen, die benachbart im
Thalamus sind, müssen ähnlich-benachbarte Neuronen in der Rinde aktivieren. Anders
formuliert, für jedes Gebiet das der Thalamus innerviert, ist ein Neuron - beziehungsweise
eine kleine Neuronengruppe - verantwortlich. Der Unterschied zum Kohonenalgorithmus
besteht nun darin, daß die Neuronen im Gehirn ihren inneren Zustand - die Gewichte - nicht
verändern können. Dies gilt nur für dieses spezielle Problem. Die Neuronen können natürlich
über die synaptische Plastizität die Gewichte verändern. Aber, für das Problem der
Entwicklung des Nervensystems ist die tatsächliche Position des Neurons wichtig. Beim
Kohonenalgorithmus wird die Position des Neurons über den abstrakten Gewichtsraum
angezeigt. Das heißt jedes Neuron hat 2 Eingänge und 2 Gewichte. Über die Gewichte wird
eine abstrakte Position definiert. Diese Position hat nichts über die tatsächliche physikalische
Position der Neuronen zu tun. Trotzdem kann der Kohonenalgorithmus helfen, das Gehirn zu
erforschen.
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18
Entwicklung des Nervensystems
So gibt es im Gehirn sehr wohl nachbarschaftsverletzende Abbildungen. Wenn das Zielgebiet
sehr stark von einem Quadrat abweicht und es ein sehr langgezogenes Rechteck wird, dann
kommt es zu Einschnürungen.
Abbildung 2.9: Wenn ein Rechteck zu stark gestreckt ist, dann treten Einschnürungen auf.
Diese Einschnürungen sind das Resultat des Algorithmus, da er versucht das Zielgebiet
optimal zu überspannen. Dies gelingt ihm auch, aber leider kommt es zu Unstetigkeiten. Ein
kleiner Schritt im Eingangsraum (das Rechteck) über die Falte (Pfeile) führt zu einem großen
Sprung über viele Neuronen im Zielraum der Neuronen (Punkte). Um dies zu vermeiden
müssten weniger Neuronen beteiligt sein.
Abbildung 2.10: Die rechte Retinahälfte, die ein Gehirn sieht. Im primären visuellen System (links) werden Teile
des gesehenen Gehirns stark gestaucht beziehungsweise verkleinert. Wichtig ist, daß der zentrale Bereich stark
vergrößert wird.
Bei der visuellen Wahrnehmung kommt es zu einer Dehnung und Stauchung. In der Graphik
oben ist die rechte Retinahälfte dargestellt und in Segmente unterteilt. Dieses Bild wird dann
in den visuellen Cortex der linken Hirnhälfte projiziert (linke Graphik). Manche Bereiche
werden stark vergrößert, wie zum Beispiel das zentrale Gesichtsfeld. Umgekehrt werden
Bereiche im peripheren Sehfeld verkleinert, das heißt es gibt weniger Neuronen, die die
visuellen Reize verarbeiten können. Die Verzerrungen sind bei Primaten logarithmisch. Im
primären visuellen Cortex kommt es noch nicht zu Unstetigkeiten in der Abbildung.
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Brain Modelling I
19
Retinahälfte
Rindenareal A17
Rindenareal A18
Abbildung 2.11: Über die Retina wird ein Strichmännchen wahrgenommen. Dieses Strichmännchen wird im
Areal 17 leicht deformiert und im Areal 18 so stark deformiert, daß Sprünge in der Abbildung auftreten.
Eine simulierte Katze sieht ein Strichmännchen in der rechten Hälfte ihres Gesichtsfeldes
(linke Graphik). Die Zielgebiete in ihrem Cortex sind Ellipsen mit zunehmenden Verhältnis
der Halbachsen, was den wesentlichen Eigenschaften der Areale A17-A19 einer echten Katze
entspricht. In dem wenig gekrümmten Areal (mittlere Graphik) tritt noch keine
Felddiskontinuität auf - wir haben ein Seitenverhältnis von 1:2, wohl aber in Rindenareal 18,
das ein Seitenverhältnis von 1:20 besitzt (rechte Graphik). In dem stark gekrümmten
Zielgebiet ist die Falte sehr tief und das Strichmännchen ist gänzlich zweigeteilt (abgesehen
vom Stock). Deshalb ist der Rumpf des Strichmännchens aufgerissen - es ist nicht möglich
den Rumpf kontinuierlich durchzuzeichnen. Karten können so verzerrt sein, daß
Nachbarschaften verletzt werden können. In neurophysiologischen Experimenten wurden
Karten im visuellen System vermessen. Bewegt sich ein Reiz kontinuierlich durch das
Gesichtsfeld, dann verläuft die dadurch hervorgerufene Erregungsspur ebenfalls auf einer
ununterbrochenen Linie durch die Areale V2 und V3 (gehören zum Sehzentrum). Wenn der
Reiz jedoch den äußeren Teil der horizontalen Bildhalbierenden kreuzt, läuft die
Erregungsspur zunächst am Rand des Areals, macht dann wenn der horizontale Meridian
erreicht ist, am Rand einen Sprung und läuft an einer anderen Stelle wieder in das Areal
hinein (Felddiskontinuität).
Bisher wurden nur Netze betrachtet, die eine geringe Eingabevektorlänge besessen haben - in
der Regel nur 2 unterschiedliche Eingaben (x-y oder Körpergewicht-Körpergröße). Die
Kohonennetzwerke zeigen ihre Stärke aber auch bei extrem hochdimensionalen Eingängen.
Wenn zum Beispiel ein Bild mit 25×25 Pixel analysiert werden sollte, dann besitzt der
Eingabevektor 625 Elemente - es liegt ein 625-dimensionaler Raum vor. Dass man diesen
Raum nicht einfach aufzeichnen kann, beziehungsweise, daß man ihn sich nicht vorstellen
kann, versteht sich von selbst. Aber Bilder die ähnliche Merkmale aufweisen, sind in diesem
Raum benachbart - oder anders ausgedrückt - sie bilden einen Cluster. Mit einem solchen
Netz ist es relativ einfach solche Cluster zu finden.
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20
Entwicklung des Nervensystems
Bei der rechten Graphik besitzt der Eingabevektor mehrere Einheiten (höherdimensionaler
Raum). Dennoch verwendet man ein Netz aus Neuronen mit einer zweidimensionalen
Nachbarschaft. In der Regel reicht dies aus, um höherdimensionale Räume zu untersuchen.
Man sieht, das ähnliche Reize (durch Zahlen, beziehungsweise durch Graustufen dargestellt)
gemeinsame Gebiete formen. Es gibt Bereiche die mehrmals vorhanden sind. das heißt, es
gibt zwei unabhängige nicht benachbarte Gebiete, die in der Interpretation die selbe
Bedeutung haben, wie zum Beispiel die 5
i→
in der Abbildung 9.27. Natürlich liegt es
beim Betrachter, wie viele Cluster man
1 1 1 2 2 3 3 4 5 5 5 5
haben möchte. Theoretisch wäre es
1 1 7 7 2 3 8 4 4 5 5 6
möglich die Eingabe mit dem Netz aus
9 9 10 10 8 8 8 4 4 4 6 6
Graphik in 96 unterschiedliche Bereiche zu
9 9 10 10 8 8 8 11 11 5 5 6
unterteilen, da 12×8 Neuronen vorhanden
j
14 14 14 10 13 13 13 11 11 12 12 12
sind. Aus praktischen Gründen liegt aber
↓ 15 14 14 17 17 13 13 19 19 12 12 12
die Zahl der Muster meistens deutlich
15 15 16 16 17 18 18 19 19 20 21 21
darunter, da die Gebiete meistens nicht
15 15 16 16 18 18 18 19 19 20 21 21
linear nebeneinander liegen - aber wenn
man Muster hat, die linear nebeneinander
Abbildung 2.12: Eine zweidimensionale Kohonenliegen, dann benötigt man kein technisches
Map, die die Eingabevektoren in 21 Gebiete unterteilt.
Netzwerk.
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Welches der Prinzipien gibt es bei der Entwicklung des somatosensorischen Areals
(Kooperation bzw. Konkurrenz) ? Begründung.
Was versteht man unter einer somatosensorischen Karte ?
In welchen Schritten entwickelt sich das Nervensystem ?
Was bewirkt der Nervenwachstumsfaktor ?
Welche Effekte können durch die Entwicklung des Nervensystems beschrieben werden ?
Was versteht man unter dem Phänomen Kooperation und Konkurrenz bei der Entwicklung
des Nervensystems ?
Was bewirken spontane Aktivitätswellen in der Retina ?
Wann ist die Entwicklung des Nervensystems abgeschlossen ?
Was ist der Unterschied zwischen einer Kohonen-Map und einer Malsburg-Map ?
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling I
21
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22
Entwicklung des Nervensystems
Aufbau des
Gehirns
Das menschliche Gehirn kann funktionell, anatomisch und zytologisch in verschiedene
Gebiete unterteilt werden.
Wesentliche Gebiete:
•
•
•
•
•
das verlängerte Rückenmark (Myelencephalon)
das Hinterhirn auch Rautenhirn (Metencephalon oder Rhombencephalon)
das Mittelhirn (Mesencephalon)
das Zwischenhirn (Diencephalon)
das Endhirn (Telencephalon)
Abbildung 3.1: Das Gehirn lässt sich in verschieden Bereiche unterscheiden. In der Darstellung links sind auch die
4 Gehirnventrikel im Querschnitt gut erkennbar.
Das Myelencephalon oder auch das verlängerte Rückenmark hat die Aufgabe Signale vom
Gehirn zum Körper und umgekehrt weiterzuleiten.
Das Metencephalon (Hinterhirn) kann man wieder in zwei Bereiche unterscheiden. Ein
Bereich ist die Pons (Brücke). Der andere Bereich ist das Kleinhirn (Cerebellum). Das
Kleinhirn besitzt eine stark gefaltete Rinde. Die Aufgabe des Kleinhirn besteht in der
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Brain Modelling
23
Kontrolle des sensomotorischen Systems. Wenn das Kleinhirn ausfällt, dann ist die präzise
Bewegungskoordination und die motorische Anpassung eingeschränkt.
Das Mesencephalon (Mittelhirn) lässt sich wieder in mehrere funktionelle Einheiten
unterscheiden. Zum einen gibt es das Tectum, das zwei paarige Ausbeulungen besitzt. Das
hintere Paar - Colliculus inferior dienen der Hörverarbeitung, das vordere Paar - Colliculus
superior - unterstützt die Sehverarbeitung. Durch diese beiden Kerne wird die Seh- und
Hörinformation unabhängig von anderen Arealen verwaltet. Im Tectum werden keine
komplexen Muster verarbeitet, es wird nur eine grobe Abschätzung über die Umwelt getroffen.
Damit kann rasch auf mögliche Umweltbedrohungen reagiert werden - manchmal werden dann
aber auch harmlose Umweltreize als gefährlich eingestuft, da das System nur mit sehr
einfachen Mustern umgehen kann.
Der zweite große Bereich des Mittelhirns ist das Tegmentum. Teile der Formatio Reticularis
ziehen durch das Tegmentum, das auch noch über mehrere Kerne verfügt: Die Substantia
grisea centralis, die Substantia nigra und der Nucleus ruber. Die Substantia grisea centralis
scheint eine wesentliche Rolle bei der Übermittlung schmerzreduzierender Wirkungen von
Opiaten zu spielen. Für die Steuerung von motorischen teilrhythmischen Bewegungen ist die
Substantia nigra zuständig. Auch der Nucleus ruber hat Einfluss auf das sensormotorische
System.
Das Diencephalon (Zwischenhirn) umfasst zwei Strukturen, zum einen den Thalamus, zum
anderen Hypothalamus. Der Thalamus umfasst verschiedene Kerne. Viele dieser Kerne dienen
als Schaltstelle für sensorischen Input. Die vorverarbeiteten Signale werden dann in die
Großhirnrinde weitergeleitet. Der Thalamus besitzt aber auch noch einige unspezifische Kerne,
die der Modulation der Synchronisation in der Großhirnrinde dienen. Über diese Kerne werden
auch verschiedene Rindenareale miteinander verschaltet.
Der Hypothalamus enthält eine Vielzahl von Kernen, die der Steuerung motivationaler
Zustände dienen. Über diese Kerne kann die Hypophyse zur Hormonfreisetzung angeregt
werden. Über die Hypophyse kann der Hormonspiegel im Blut geregelt werden, umgekehrt
kann aber auch der Hormonspiegel die Hypophyse und die damit verbundenen
Gehirnstrukturen beeinflussen. Die Funktion der Mamillarkörper - zwei Kerne des
Hypothalamus - ist bisher heute leider noch nicht geklärt.
Als besonders wesentlich ist die Formatio Reticularis zu erwähnen. Dieser Bereich fasst
ungefähr 100 Kerne vom verlängerten Rückenmark bis zum Mittelhirn zusammen. Die
Formatio Reticularis wird auch manchmal als aufsteigendes reticuläres Aktivierungssystem
bezeichnet (ARAS). Diese Kerne scheinen für die Steuerung der Aufmerksamkeit, des
Schlafes und Herz- Kreislaufreflexe zuständig zu sein. Die genaue Funktion vieler Kerne ist
bis heute noch nicht geklärt - wenn allerdings einzelne Kerne beschädigt werden, dann kann
dies zu beträchtlichen Schädigungen (Autismus) führen.
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24
Aufbau des Gehirn
Abbildung 3.2: Eine dreidimensionale Darstellung verschiedener Bereiche des Gehirns.
Das Telencephalon oder auch Endhirn stellt den größten Bereich des Gehirns dar. Die
Großhirnrinde oder auch der Neokortex dient der Speicherung und Verarbeitung aller
einlangenden Informationen (siehe Kapitel Großhirnrinde). Die unterschiedlichen Bereiche der
Großhirnrinde sind durch Faserverbindungen miteinander verbunden. Diese Verbindungen
stellen den größten Teil des Volumens des menschlichen Gehirns dar. Ein Teil der
Großhirnrinde ist der Hippocampus, der sich allerdings wesentlich von der übrigen Rinde
unterscheidet. Die Hippocampusformation ist anders aufgebaut, als die Großhirnrinde, und sie
dient ausschließlich der Gedächtniskonsolidierung.
In vielen Lehrbüchern wird die Hippocampusformation als Teil des limbischen Systems
angesehen. Zum limbischen System wir die Amygdala, der Gyrus cinguli, der Fornix, das
Septum und die Mamillarkörper
angesehen.
Diese
Kerne
und
Rindenareale
sind
sehr
stark
miteinander verbunden. Deshalb
spricht man auch von einem System.
Allerdings hat der Hippocampus eine
andere Aufgabe als manche übrigen
Kerne. So dient der Hippocampus der
Gedächtnisspeicherung, während die
Amygdala (Mandelkernkomplex) der
Verarbeitung von Emotionen dient.
Von manchen Kernen ist die
Wirkungsweise noch nicht bekannt,
beziehungsweise höchst umstritten
(Mamillarkern). Ob die Bezeichnung
Abbildung 3.3: Die Kerne, Gebiete der Großhirnrinde und
limbisches System noch aufrecht
Faserzüge des limbischen Systems.
erhalten werden kann, wird sich
zeigen.
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Brain Modelling
25
Abbildung 3.4: Dreidimensionale Darstellung verschiedener Strukturen des Gehirns. Links erkennt man die
verschiedenen Bereiche des limbischen Systems, rechts sind die Basalganglien gezeichnet.
Zum Telencephalon gehören auch die Basalganglien. Diese Kerne spielen eine entscheidende
Rolle bei der Entstehung von Willkürbewegungen. Sie setzen sich aus dem Nucleus caudatus
(Schweifkern) und dem Putamen zusammen und werden gemeinsam als Steifenkörper
(Striatum, Corpus striatum) bezeichnet. Auch der Globus pallidus wird zu den Basalganglien
gerechnet.
Cortex cerebri
Telencephalon
limbisches System
Basalganglien
Thalamus
Diencephalon
Hypothalamus
Tectum
Mesencephalon
Neocortex
Hippocampus
Amygdala
Hippocampus
Fornix
Gyrus cinguli
Septum
Mamillarkörper
Nucleus caudatus
Putamen
Globus pallidus
spezifische Kerne - Sensorik
unspezifische Kerne
Mamillarkörper
Hypophyse
Nucleus ventromedialis
Nucleus paraventricularis
Nucleus supraopticus
Colliculi superior
Colliculi inferior
Tegmentum
Metencephalon
Myelencephalon
Formatio reticularis
Pons
Cerebellum
Formatio reticularis
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26
Aufbau des Gehirn
3.1 Steuerung und Regelung
Steuern ist ein Vorgang bei dem eine oder mehrere Größen als Eingangsgrößen in einem
System andere Größen als Ausgangsgrößen beeinflussen. Die Beeinflussung ist von den
Gesetzmäßigkeiten des Systems abhängig.
Betrachten wir einen Gleichspannungsmotor. Über den Strom steuern wir die Drehzahl, das
heißt wenig Strom geringe Drehzahl, großer Strom hohe Drehzahl. Bei diesem Beispiel ist der
Strom die Eingangsgröße, die Drehzahl ist die Ausgangsgröße. Durch eine Veränderung der
Eingangsgröße (Strom) kann die Ausgangsgröße (Drehzahl) verändert werden. Im Idealfall
würde bei einem konstanten Strom die Umdrehungszahl konstant bleiben.
Kommt es aber zu einer Änderung des Lastverhaltens, mehr Gewicht muss gezogen werden,
dann ändert sich die Umdrehungszahl. Alle Größen die eine Veränderung der Ausgangsgrößen
nach sich ziehen werden als Störgrößen bezeichnet. Dies können externe Faktoren wie eine
Laständerung oder auch interne Faktoren wie eine Änderung der Impedanz (Innenwiderstand)
sein. Kennzeichnend für eine Steuerung ist der offene Wirkungsablauf, Störgrößen werden
nicht berücksichtigt.
Das Regeln ist ein Vorgang, bei dem die zu regelnde Größe die ganze Zeit erfasst wird, mit
einer Führungsgröße verglichen wird und entsprechend an die Führungsgröße angeglichen
wird. Der Wert der Führungsgröße ist der Sollwert, der aktuell gemessen Wert ist die
Istgröße, die zu regelnde Größe ist die Regelgröße.
Für unser Beispiel bedeutet dies, dass ein Messmechanismus (Drehzahlmessgerät) angebracht
werden muss. Über dieses Messgerät kann die Spannung nach Bedarf geregelt werden. Wenn
die Führungsgröße konstant ist, wird von einem Festwertregler gesprochen. Wenn sich die
Führungsgröße ändert, aufgrund von äußeren oder inneren Beeinflussungen, spricht man von
einem Folge- oder Zeitplanregler.
Kennzeichnend für eine Regelung ist der Sollwert-Istwert-Vergleich, der laufend in einem
geschlossenem Wirkungskreislauf durchgeführt wird.
Gewünschte Drehzahl w
e=w-xRegeldifferenz
Stellgrösse y
x
Abbildung 3.5: Die Rückkopplung bei einer Regelung.
In der oberen Graphik 4.1 sehen wir ein Blockschaltbild eines Regelkreislaufes. Wesentlich ist
die Invertierung des Istwerts (x ⇒ -x). Damit kann eine Differenz e=w-x gebildet werden. Die
Regeldifferenz wird nun für das Stellglied in geeigneter Weise umgewandelt, die Stellgröße,
und wirkt solange auf den Effektor (Heizung, Motor usw.) bis der Istwert gleich dem Sollwert
ist. Das entspricht einer Gegenkopplung (negative Rückkopplung) und die Differenz
zwischen Soll- und Istwert wird geringer. Würde die Rückkopplung mit einem positiven
Vorzeichen durchgeführt werden, ergäbe dies eine Mitkopplung (positive Rückkopplung) und
die Störgrößen würden noch weiter verstärkt werden.
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Brain Modelling
27
3.2 Der Hypothalamus - als Gruppe von Kernen
Regulierung der Körpertemperatur
Alle Tiere haben eine ideale Betriebstemperatur. Diese Temperatur ist nach oben durch die
Denaturierung der Eiweißstoffe, was zu einer Zerstörung der Zellen führt, begrenzt. Nach
unten ist die Grenze durch die Bildung von Eiskristallen in Zellen gekennzeichnet. Doch viele
biochemische Prozesse besitzen eine optimale Temperatur zwischen diesen Extrema.
Kaltblüter können keinen direkten Einfluss auf ihre Körpertemperatur nehmen. Ihre
Körpertemperatur hängt sehr stark von der Umgebung ab. Zur Temperaturregelung können
diese Tiere nur das Mikroklima wechseln.
Warmblüter können über den Stoffwechsel ihre eigene Temperatur regeln. Sie sind damit
unabhängig von der Umwelt. Bereits 1880 konnte gezeigt werden, dass eine Region des
Zwischenhirns, der Hypothalamus für die Temperaturregelung verantwortlich ist.
Kommt es bei Warmblütern zu einer Erwärmung des Blutes im Hypothalamus so ist
schwitzen, hecheln und keuchen das Resultat. Kommt es umgekehrt zu einer Abkühlung des
Blutes und damit des Hypothalamus, so muss der Organismus auf wärmeerzeugendes
Verhalten umstellen.
Es kommt zum Zittern, Verengungen der Hautadern und zu einer Anregung der
Stoffwechselprozesse um mehr Wärme zu produzieren. Interessanterweise beginnen Menschen
schon zu zittern wenn sie in eine kältere Umgebung kommen bevor die
Hypothalamustemperatur gesunken ist. Also müssen externe Sensoren, auf der Haut, den
Hypothalamus mit Informationen versorgen.
Bei körperlicher Arbeit kommt es zu einer Schweißproduktion um den Körper vor
Überhitzung zu bewahren. Die Schweißproduktion setzt schon ein bevor die Hypothalamusoder Körpertemperatur steigt. Bei Hunden fanden sich spezielle Rezeptoren in den Muskeln
und Gelenken, die in Kontakt mit dem Hypothalamus stehen.
Wärmerezeptoren
auf der Haut
B
Wärmeabgabe
A
Wärmeerzeugung
Rezeptoren in
Muskeln & Gelenke
Kälterezeptoren
auf der Haut
Rückenmark
Hypothalamus
Erregung
Hemmung
Hirnstamm
Abbildung 3.6: Regelsystem für die Körpertemperatur.
Im Hypothalamus befinden sich zwei Gruppen von Neuronen, die empfindlich auf
Temperaturabweichungen reagieren. Eine Gruppe reagiert auf die Abweichung in Richtung
Kälte, eine andere in Richtung Wärme. Die Abweichung der Temperatur führt zu einer
proportionalen Änderung der Feuerfrequenz der beteiligten Strukturen. Diese
Neuronengruppen werden von den Wärme- und Kälterezeptoren auf der Haut innerviert.
Zusätzlich können die Rezeptoren in Muskeln und Gelenken die wärmeempfindlichen
Neuronen erregen, während die kälteempfindlichen Neuronen gehemmt werden. Die einzelnen
Gruppen im Hypothalamus können sich gegenseitig hemmen.
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28
Aufbau des Gehirns
Regulation des Körpergewichts
Die Hauptaufgabe des Essens liegt in der Versorgung des Körpers mit Energie und Baustoffen.
Der Energieverbrauch im Körper ist kontinuierlich, während die Nahrungsmittelzufuhr
punktuell stattfindet. Deshalb wird ein Teil der Nahrung gespeichert. Die größte
Speicherkapazität besitzt Fett, das ungefähr 85% der Energiereserven darstellt. Glucogen mit
0.5% und Proteine mit 14.5% haben nur eine untergeordnete Rolle in der Nahrungsmittelspeicherung.
Man unterscheidet 3 verschiedene Phasen der Verdauung: cephalische Phase
resorptive Phase
Fastenphase
Die cephalische Phase dient dazu, den Körper auf die bevorstehende Nahrung vorzubereiten.
Durch das Sehen und Riechen der Speisen wird unter anderem der Speichelfluss angeregt. In
der resorptiven Phase wird der aktuelle Energiebedarf gedeckt und Reserven für "schlechte"
Zeiten angelegt. Während der Fastenphase greift der Körper auf die gespeicherten
Energieformen zurück. Diese Steuerung geschieht durch die beiden Hormone Insulin und
Glucagon. Während der ersten beiden Phasen wird vor allem das Insulin ausgeschieden,
während in der Fastenphase vermehrt das Glucagon ausgeschüttet wird. Eine hohe
Glucagonkonzentration im Körper führt zur Freisetzung von freien Fettsäuren aus dem
Fettgewebe. Das Insulin hingegen sorgt für eine Verwertung von Glucose, die Glucose wird in
Glycogen und Fett umgewandelt, Aminosäuren werden in Proteine umgewandelt, Das
Glycogen wird in der Leber und der Muskulatur, das Fett im Fettgewebe und Proteine in der
Muskulatur gespeichert.
Das Hormon Insulin regelt sehr viele Prozesse bei der Nahrungsverwertung. Im Regelfall
schwankt die Grundlinie des Blutzuckerspiegels um rund 2%. Allerdings sinkt der
Blutzuckerspiegel rund 10 Minuten vor einer erwarteten Mahlzeit um ungefähr 8%. Wenn dem
Körper keine Nahrung zugeführt wird, dann kehrt der Blutzuckerspiegel wieder auf sein
ursprüngliches Niveau zurück. Das heißt der Körper reagiert auf Gewohnheiten.
Leider sind die Regelkreisläufe im Inneren des Körpers unbekannt, manche Wissenschaftler
diskutieren sogar, ob es überhaupt diese Regelkreisläufe gibt. Es gibt aber triftige Gründe, die
für ein oder mehrere Regelsysteme des
Körpergewichts sprechen. Man beobachtete
das Körpergewicht einer Population von
Ratten im Labor. Am 30. Tag wurde die
Gruppe gedrittelt. Ein Teil der Gruppe
wurde zwangsernährt, ein Teil der Gruppe
bekam bedeutend weniger Nahrung und die
dritte Gruppe diente als Kontrollgruppe
(siehe Abb. 3.7). Nach 15 Tagen konnten
die Tiere aller Gruppen wieder selbstständig
über ihre Nahrung verfügen. Es zeigte sich,
dass die Gruppe mit der Fastenkur nun
vermehrt Nahrung aufgenommen hat,
während die zwangsernährte Gruppe mit
Übergewicht nun weniger Nahrung zu sich
nahm. Nach ungefähr 25 Tagen hatten alle
Abbildung 3.7: Die Regulation des KörpergeTiere wieder das selbe Gewicht. Dieses
wichts, trotz einer vorherigen Zwangsfütterung,
Experiment lässt auf einen Regelkreislauf
bzw. Fastenkur.
schließen.
Wenn im Hypothalamus der ventromediale Kern zerstört wird, dann leiden die Tiere an
Hyperphagie, das heißt die Tiere überfressen sich kontinuierlich. Es gibt Personen mit einem
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Brain Modelling
29
gewaltigem Übergewicht, meist seit Geburt. Diese Personen leiden in der Regel an einem
gutartigen Tumor in der Nähe des ventromedialen Kern des Hypothalamus. Sie haben immer
Hunger und auch ein ausgiebiges Essen kann ihren Hunger nicht stillen. Wenn umgekehrt der
laterale Hypothalamuskern zerstört wird, dann verweigern die Tiere die Nahrung. Eine
elektrische Stimulation der beiden Kerne führt zu dem gegenteiligen Effekt.
Man überprüfte ob diese beiden Kerne möglicherweise ein Sollwert des Hungergefühls,
beziehungsweise der Nahrungsmittelzufuhr verankert ist. Aus diesem Grund ließ man einige
Tiere einer größeren Gruppe hungern. Als
sie ausreichend Gewicht verloren hatten,
wurde an ihnen eine Läsion am ventralen
Hypothalamus
durchgeführt.
Diese
Schädigung wurde ebenfalls an einer nicht
hungernden
Gruppe
von
Ratten
durchgeführt.
Unmittelbar
nach
der
Schädigung nahm diese Gruppe rapide an
Gewicht ab. Nach einiger Zeit, stellten beide
Gruppen - hungernd und nicht hungernd mit der Schädigung des lateralen
Hypothalamus bei freier Nahrungsmittelwahl ein neues Körpergewicht ein. Dieses
Gewicht lag unter dem Gewicht der
Kontrollgruppe, an denen keine Läsion
durchgeführt wurde. Dieses Experiment lässt
Abbildung 3.8: Die Verschiebung des Sollwerts
auf einen Sollwert schließen. Dennoch sind
für Gewicht nach einer Läsion des lateralen
auch noch andere Mechanismen an der
Hypothalamus.
Regulation des Körpergewichtes beteiligt.
Auch das hormonale Gleichgewicht ist für die Nahrungsmittelverwertung von wesentlicher
Bedeutung. Bei der Nahrungsmittelzufuhr kommt es zu einer vermehrten Abgabe von Insulin.
Allerdings kann auch Insulin alleine ein massives Hungergefühl auslösen. Dieses
Hungergefühl kann übermächtig werden. Im Laufe des Tages kann es zu einem leichten
Hungergefühl kommen. Dies scheint mit einem leicht erhöhten Insulinspiegel
zusammenzuhängen. Jetzt gibt es zwei Arten von Menschen, bei denen es zu einem
unterschiedlichen Verhalten kommt. Die eine Gruppe isst einen Kornspitz oder einen Apfel.
Diese Nahrung reicht aus, um das Insulin abzubauen. Das Hungergefühl ist gestillt. Bei der
anderen Gruppe kommt es zu einem anderen Verhalten. Sie essen genauso eine Kleinigkeit,
und nach ein paar Minuten kommt es zu einem übermächtigen Hungergefühl. Die kleine
Nahrungsmittelmenge hat dafür gesorgt, dass zusätzlich Insulin freigesetzt wird, damit noch
mehr Nahrung besser verdaut werden kann. Es zeigte sich, dass auch die absolute Menge an
Insulinfreisetzung zu einem Übergewicht führen kann. Einer Versuchsgruppe wurde zusätzlich
Insulin gespritzt. Beide Gruppen, mit und ohne dem Insulin, veränderten ihr Körpergewicht,
obwohl alle Tiere die gleiche Nahrungsmenge bekamen. Der erhöhte Insulinspiegel führte zu
einer besseren Fettumwandlung, das zu einer Gewichtszunahme führt.
Allerdings können auch andere chemische Stimulantien einen starken Einfluss auf die
Ernährung haben. Wenn der Nucleus paraventricularis mit Noradrenalin stimuliert wird,
beginnen die Versuchstiere vermehrt Kohlenhydrate zu sich zu nehmen, während fettreiche
oder proteinreiche Nahrungsmittel nicht beachtet wurden. Umgekehrt nehmen Tiere vermehrt
Fett zu sich, wenn die Stimulation durch Galanin erfolgt. Opiate im allgemeinen führen zu
einem Proteinhunger. Der stärkste Appetitanreger, der im Moment bekannt ist, ist das
Neuropeptid Y. Die Versuchstiere reagieren vor allem auf kohlehydratreiche Kost.
Es gibt auch Appetitzügler, wie zum Beispiel Amphetamine oder auch der Neurotransmitter
Dopamin. Leider gibt es bei Amphetaminen sehr starke Nebenwirkungen und damit scheiden
diese Substanzen zur Gewichtsreduktion aus. Da das Dopamin in der Biochemie des Gehirns
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30
Aufbau des Gehirns
ein großer Stellenwert besitzt, würden andere Funktionen stark beeinträchtigt sein. Eine andere
Substanz, das Cholecystokinin, entsteht im Zwölffingerdarm und verlangsamt die Entleerung
des Magens. Dadurch sind die Rezeptoren, die den "Füllstand" angeben länger aktiv - das
Völlegefühl herrscht länger vor. Da diese Substanz auch vom Gehirn ausgeschüttet wird,
vermutet man, dass sie bei der Regulation der Nahrungsmittelzufuhr eine (wichtige) Rolle
spielt.
Durch die Experimente mit den chemischen Stimulantien kann man vermuten, dass es mehrere
unabhängige Regel- oder Steuermechanismen gibt.
Das Problem wird zusätzlich durch andere Experimente verkompliziert. Wenn der Trigeminus,
verantwortlich für die Gesichtsmuskulatur, durchtrennt wird, ergibt sich ein interessantes
Phänomen. Bei attraktiver Nahrung begannen die Tiere mehr zu fressen, während bei Nahrung,
der Bitterstoffe beigemengt waren, die Tiere weniger Nahrung zu sich nahmen.
Wenn man von einem Regelmodell ausgeht muss man aber auch andere Faktoren
berücksichtigen, die gegen dasselbe sprechen.
In früherer Zeit konnten die Menschen sich nicht aussuchen, wann es Nahrung gibt. Die
Nahrung wurde verzehrt und wenn ausreichend Nahrung vorhanden war, wurde der
Überschuss in Fettreserven gespeichert. Es war nicht planbar, wann es den nächsten
Nahrungsmittelschub gibt.
Es zeigte sich, dass auch bei langanhaltenden Fastenphasen der Blutzuckerspiegel konstant
gehalten wird. Also wird über den Blutzuckerspiegel die Nahrungsmittelzufuhr nur indirekt
gesteuert.
Aber auch soziale Faktoren haben einen wesentlichen Einfluss, die berücksichtigt werden
müssen.
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Brain Modelling
31
3.3 Der Thalamus
Der Thalamus setzt sich aus mehreren Kernen zusammen. Er hat zwei wesentliche Funktionen:
1) Eine Schaltfunktion zwischen einzelnen sensorischen Systemen und den dazugehörigen
primären sensorischen Cortexarealen. (siehe visuelle Informationsverarbeitung). Diese
Bereiche des Thalamus haben eine Art Torwächterfunktion. Nur unter bestimmten
Umständen wird die Information weitergeleitet. Gesteuert wird dies durch die im
Stammhirn liegende Formatio Reticularis. Im wesentlichen sind die Neuronen in diesen
spezifischen Thalamuskernen topologisch geordnet. Das heißt die Information die
einlangt, wird nachbarschaftsbezogen weiterverarbeitet.
Abb. 3.9: Die Innervierungsgebiete des Thalamus auf die Großhirnrinde.
2) Steuerung des Zustandes verschiedener Gehirnbereiche. So werden die sensorischen
Cortexareale über die Erregungsniveaus kontrolliert (vgl. Bedingung für Synchronisation).
Es existieren ungefähr 12 verschiedene unspezifische mediale Thalamuskerne. Diese
Kerne besitzen aber auch einen Einfluß auf die spezifischen Thalamuskerne. Sie haben
damit auch einen Einfluß auf die selektive Aufmerksamkeit. Über den Nucleus centralis
und Nucleus medialis können Verbindungen zwischen verschiedenen unterschiedlichen
Cortexarealen hergestellt werden.
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32
Aufbau des Gehirns
3.4 Die Großhirnrinde
Die Großhirnrinde, anatomisch Cortex cerebri genannt, gehört zur grauen Substanz, in der die
Zellkörper der Hirnneuronen liegen und in der Signale verarbeitet werden. Die menschliche
Großhirnrinde ist bei rund 1000 Quadratzentimeter Fläche nur etwa 2 Millimeter dick.
Die weiße Substanz liegt unterhalb der Großhirnrinde und sie enthält außer den überall im
Nervensystem eingestreuten Hilfs- und Stützzellen bloß Verbindungen. Es werden nur Signale
übermittelt, entweder von einem Areal zu einem anderen Areal beziehungsweise zu einzelnen
Muskeln.
Abb. 3.10: Die Großhirnrinde im Querschnitt. Man erkennt sehr gut die Abgrenzung der Grauen und der Weißen
Substanz.
Die Großhirnrinde besteht zu 85% aus Pyramidenzellen. Diese wirken in der Regel erregend
(Achtung: eigentlich sind es die Rezeptoren, die entscheiden ob ein Neurotransmitter erregend
oder hemmend wirkt). Der typische Neurotransmitter ist Glutamat oder Aspartat; der Rest
besteht aus Sternzellen, deren Axone sehr kurz sind. Wenn die Synapsen der Sternzellen
Dornen tragen, dann wirken sie exzitatorisch sonst inhibitorisch. Dornlose Sternzellen
verwenden meist GABA als Neurotransmitter. Die absolute Zahl der dornlosen Sternzellen ist
gering, da aber die Synapsen direkt an den Zellkörper der Pyramidenneuronen eine
Verbindung herstellen, ist ihre Wirkung größer und der Einfluss der Sternzellen dürfte
ungefähr gleich groß sein wie die der Pyramidenzellen.
In den meisten Fällen ist die Großhirnrinde deutlich
geschichtet. Im Querschnitt sieht man dann ein
gestreiftes Muster, das die Anordnung von
Nervenzellen und Fasern widerspiegelt.
Durch verschiedene Färbetechniken lassen sich die
unterschiedlichen zelluläre und funktionellen
Eigenschaften erkennen:
Golgi-Färbung:
Mehrere
vollständig eingefärbt (links).
Neuronen
werden
Nissl-Färbung; Nur die Zellkörper treten hervor
(Mitte).
Der
Unterschied
zwischen
den
Pyramidenzellen und den Körnerzellen ist leicht
erkennbar.
Weigert-Färbung; Die Fortsätze wie Axone oder
Dendriten werden gefärbt (rechts). Eine säulenartige
Struktur tritt zutage.
Abbildung 3.11: Verschiedene Färbetechniken angewandt auf ein Großhirnrindenareal.
Durch die verschiedenen Färbetechniken, kann
sowohl die Schichtstruktur als auch die tangentiale
Faserstruktur leicht erkennbar gemacht werden.
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Brain Modelling
33
Der Cortex cerebri untergliedert sich von außen nach innen in folgende sechs Schichten:
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
molekulare Schicht: sie besteht aus verstreut liegenden, kleinen horizontal orientierten
Zellen und tangentialen Assoziationsfasern; Über diese Assoziationsfasern kann ein
Kontakt zu benachbarten Hirnarealen hergestellt werden.
äußere Körnerschicht: sie ist aus dicht gelagerten Körnerzellen aufgebaut, deren Axone in
der gleichen Schicht enden;
äußere Pyramidenschicht: pyramidenförmig gebaute Zellen bilden den Hauptanteil in
dieser Schicht. Die absteigenden Axone, die die Pyramiden-Projektionsbahnen bilden
werden bereits innerhalb dieser Schicht mit einer Markscheide umgeben.
innere Körnerschicht: sie ist ähnlich wie die Schicht II beschaffen, jedoch im Bereich der
Sehrinde besonders stark ausgeprägt.
innere Pyramidenschicht: zum einen aus großen Pyramidenzellen sowie zum anderen aus
horizontal ausgerichteten Neuronen aufgebaut.
Spindelzellenschicht: sie ist aus vielgestaltigen Zellen zusammengesetzt, wobei die
größeren vornehmlich außen und die kleineren innen liegen. Die zugehörigen Neuriten
ziehen in das innen gelegene Marklager sowie auch in umgekehrter Richtung in die
äußeren Rindenschichten.
Abb. 3.12: Verschaltungen im Inneren der Großhirnrinde.
Die verschiedenen Zellschichten lassen sich funktionell in drei Gruppen unterteilen:
1) Die zwei untersten Schichten V und VI senden ihre Axone in andere Hirnregionen.
2) Die Schicht IV empfängt Axone aus anderen Regionen.
3) Die Schichten I bis III erhalten hauptsächlich Eingänge aus der Schicht IV.
Es gibt also Schichten mit vorwiegend kleinen oder vielen großen Zellen, Schichten mit Fasern
vorwiegend parallel oder senkrecht zur Fläche. Zumeist gibt es auch eine abgrenzbare Schicht,
in der die Signale den Cortex über aufsteigende - afferente - Fasern erreichen, und eine
andere, von der die meisten absteigenden - efferenten - Fasern ausgehen und die Signale in
andere Hirnteile weiterleiten. Dies kann durch verschiedene Färbetechniken verdeutlicht
werden:
Die Großhirnrinde ist aber nicht isotrop, das heißt die Anzahl der Neuronen, die Art der
Verschaltung und dergleichen kann stark variieren (Durchschnittliche Axonlänge, Zellanzahl
usw.). Primäre sensorische Areale haben eine ausgeprägte Schicht IV, motorische Areale
besitzen eine stark vergrößerte Schicht V und VI. Diese Unterschiede und Verteilungen
werden in cytoarchitektonischen Karten angegeben. Die gebräuchlichste Darstellung ist die
Kartierung nach Brodmann (Graphik unten).
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34
Aufbau des Gehirns
Manchmal findet sich zwischen der Struktur und der Funktion ein eindeutiges Korrelat
(Sehzentrum-Brodmann-Areal 18). Durch neuere Verfahren kann man heute die Großhirnrinde
in bis zu 200 Areale unterteilen.
Abb. 3.13: Laterale (rechts) und mediale (links) Darstellung der Brodmann-Areale. Manche Felder lassen sich
leicht voneinander abgrenzen, sie sind durch eine dicke Linie gekennzeichnet. Felder die sich zytologisch schwerer
voneinander abgrenzen lassen sind durch dünn gezeichnete Linien markiert. Areale, die allmählich ineinander
übergehen sind durch gestrichelte Linien ausgewiesen.
Projektionsbahnen
Die Großhirnrinde ist ausgiebig mit sich selbst verkabelt, denn die Substanz darunter, das
sogenannte Hemisphärenmark (weiße Substanz), besteht größtenteils aus Fasern, die an einer
Stelle des Cortex entspringen und an einer anderen - nahen oder entfernten - Stelle wieder
eintreten. Ob zwei Stellen miteinander verknüpft sind, hängt in erster Linie nicht von ihrem
Abstand ab. Alle Faserzüge sind von großem Interesse. Die Zerstörung einer Bahn kann zu
ebenso schweren Verhaltensdefiziten führen, wie die Zerstörung der jeweiligen Areale oder
einzelner Kerne.
Afferente und efferente Bahnen:
Die Großhirnrinde erhält ihre elektrischen Signale von rund einer Million Eingangsfasern. Die
meisten sensorischen Systeme projizieren auf den Thalamus. Von dieser Umschaltzentrale
erhalten die meisten primären sensorischen Areale ihre Eingangsfasern.
Assoziationsbahnen:
Über diese Bahnen werden Areale in der gleichen Hemisphäre verknüpft. Zum Beispiel wird
ein motorisches Areal mit einem sensorischen Areal verbunden. Es werden Reize
unterschiedlicher Modalität verknüpft.
Abb. 3.14: Die verschiedenen Bahnen (strukturell) im Inneren des Gehirns.
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Brain Modelling
35
Kommissurenbahnen:
Es wird eine Verknüpfung von homotropen Regionen hergestellt. In der rechten und linken
Großhirnrindenhälfte gibt es jeweils ein Areal, das für die motorische Koordination der
jeweiligen gegenüberliegenden Köperhälfte verantwortlich ist. Es ist bei manchen
Bewegungen notwendig die beiden unterschiedlichen Bewegungsabläufe, gesteuert durch das
gegenüberliegende Großhirnrindenareal, zu koordinieren. Dies geschieht durch die
Kommissurenbahn. Über den Balken (Corpus callosum), bestehend aus 200 Millionen Fasern,
werden verschiedenste Informationen zwischen den Rindenhälften abgeglichen. Im Gegensatz
dazu ist die Commissura anterior nur für den Abgleich von Informationen des limbischen
Systems betreffend verantwortlich.
Abb.3.15: Die Verbindungen auf der Großhirnrinde.
Assoziationsfelder
Das menschliche Gehirn ist anatomisch in vier Lappen unterteilt: Frontal-, Parietal-, Occipital, Temporallappen:
Funktionell ist aber eine andere
Frontallappen
Parietallappen
Unterteilung sinnvoller. Es existieren
verschiedene
primäre
sensorische
Kortexareale.
Das
visuelle,
das
somatosensorische
oder
auch
das
auditorische Cortexareal erhält über den
Thalamus die Reize vom jeweiligen
Sinnesorgan. Zu jedem sensorischen
Kortexareal gibt es ein übergeordnetes
(sekundäres) sensorisches Areal. In diesem
Areal werden aus den einzelnen Reizen
und Reiz-Kombinationen komplexere
Eigenschaften "erkannt".
Temporallappen
Occipitallappen
Abbildung 3.16: Die vier Lappen der Großhirnrinde.
Diese übergeordneten sensorischen Areale
liefern die Reize wiederum an drei
verschiedene Areale:
Der präfrontale Assoziationskortex: Er ist für die Planung und Durchführung von
komplexen motorischen Handlungen verantwortlich. Es werden die Funktionen des
prämotorischen und des präfrontalen Cortex miteinander verknüpft. Der prämotorische Cortex
wählt eine komplexe Bewegung aus einer Vielzahl von Möglichkeiten aus. Der motorische
Cortex ist dann für die Ausführung verantwortlich. Der präfrontale Cortex stellt das
Arbeitsgedächtnis dar. Dort existiert ein temporales Gedächtnis über die wahrgenommene
Umgebung. Der präfrontale Cortex wählt eine Verhaltensweise aus einer größeren Anzahl von
Möglichkeiten aus.
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36
Aufbau des Gehirns
der parital-temporal-occipitale Assoziationskortex: Im occipitalen Kortexareal befinden
sich das primäre und die sekundären visuellen Verarbeitungseinheiten (vgl. Sehsystem, Teil I).
Der Parietallappen lässt sich in zwei unabhängige funktionelle Einheiten unterteilen: 1) Es
existiert ein Rindenfeld für die somatische Empfindung. 2) Die andere funktionelle Einheit ist
primär mit der Integration von somatischen und visuellen Reizen beschäftigt. Der temporale
Bereich hat folgende Aufgaben: die Verarbeitung auditorischer Informationen, das visuelle
Erkennen von Objekten und die Langzeitspeicherung sensorischer Daten.
Der limbische Assoziationskortex: Die Speicherung von Informationen über unsere Umwelt
in das Langzeitgedächtnis, die Motivation und Entscheidungsfindung als auch die emotionelle
Bewertung von Handlungen und Situation werden in diesem Bereich des Gehirns bearbeitet.
Über den präfrontalen Assoziatonskortex als auch durch die übergeordneten (sekundären)
sensorischen Kortices wird der prämotorische Cortex gesteuert. Durch eine direkte Verbindung
wird auf den motorischen Cortex eingewirkt und eine Bewegung kommt zustande.
primärer
motorischer
Cortex
präfrontaler
Assoziationscortex
übergeordneter
motorischer
Cortex
parietal-temporal-occipitaler
Assoziationscortex
primärer
sensorischer
Cortex
sekundärer
sensorischer
Cortex
limbischer
Assoziationscortex
Abb. 3.17: Die Verknüpfung von verschiedenen Großhirnrindenarealen bei unterschiedlichen „Denkleistungen“
Informationsverarbeitung in der Großhirnrinde
A
B
Abb. 3.18: Darstellung der Detailverschaltung von Säulen (links) im Sehareal und von verschiedenen Arealen
(rechts) der Großhirnrinde.
In manchen Rindenarealen liegt eine Säulenarchitektur vor (Sehzentrum). Eine Säule besteht
aus einer Gruppe von Neuronen (funktionelle Einheit), die alle miteinander über erregende
Synapsen verbunden sind. Diese Neuronen können sich synchronisieren. Die unmittelbaren
Nachbarn werden miterregt und gleichzeitig werden über inhibitorische Körnerzellen weiter
entfernte Zellverbände (Säulen) gehemmt. Es kommt damit zu einer lateralen Hemmung. Nur
manche Säulen können sich durchsetzen. Die Information wird kontrastiert.
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Brain Modelling
37
Die Neuronen in einer Säule haben aber auch erregende Verbindungen zu anderen Säulen.
Über diese Verbindungen können sich verschiedene Säulen untereinander synchronisieren.
Unterschiedliche "Eigenschaften" können miteinander physikalisch verbunden werden. Über
Assoziationsbahnen können Säulen verschiedener Modalitäten untereinander synchronisieren.
Betrachten wir zwei Großhirnrinden-Areale A und B.
Die jeweiligen Areale erhalten von den zugeordneten Kernen Aktivierungen. So werden die
Neuronen in der Schicht IV aktiviert. Die Verarbeitungsneuronen in den Schichten I bis III
verarbeiten die Information und möglicherweise kommt es zu einer Synchronisation (Gebiet
A). Über tangentiale (hier nicht eingezeichnet) oder über inner-corticale Assoziations-Fasern
wird die Schicht IV eines oder mehrerer Areale mit elektrischen Pulsen aktiviert (Gebiet B).
Im zweiten Areal kann es dann zu einer Interferenz mit der Information aus dem Kern und
dem anderen Rindenareal kommen. Die Information wird nicht weitergeleitet oder es kommt
zu einer weiteren Synchronisation. Das Gebiet kann nun die in den Schichten I bis III
verarbeitete Information wieder zurückschicken beziehungsweise damit andere Areale
innervieren. Es kann folgendes passieren:
[1] Die Information geht verloren. Die EPSP´s können in den nachgeschalteten Neuronen kein
Aktionspotential auslösen. Die Verknüpfung der Information ist irrelevant.
[2] Es kommt zur Synchronisation in unterschiedlichen Rindenarealen. Verschiedene
Informationen werden zu einer zusammengefasst - ABSTRAKTION.
___________________________________________________________________________________
38
Aufbau des Gehirns
––
––
––
––
++
++
++
++
EEG, MEG,
PET
Das Gehirn ist in den Schädelknochen eingelagert. Dieser Knochen schützt das Gehirn in
ausgezeichneter Weise. Umgekehrt verhindert aber auch dieser Knochen eine einfache
Untersuchung des Gehirns. Lange Zeit war man auf pathologische Untersuchungen
angewiesen. Wenn ein Patient einen Schlaganfall, eine Hirnhautentzündung usw. hatte, musste
man warten, bis der Patient starb, bis man den Schädel öffnen konnte und das Gehirn
untersuchen konnte. Diese Technik erfordert viel Zeit und meist sind die Schädigungen diffus
und eine eindeutige Zuordnung zwischen dem Gehirnareal und der Funktion ist nur über
mehrere Gehirne mit ähnlichen Schädigungen möglich.
Mit der Einführung der Röntgendiagnostik war es erstmals möglich in das Innere des Schädels
zu blicken. Leider ist das Gehirn eine sehr homogene Masse, so dass man auf einem
Röntgenbild nur sehr wenig, vor allem aber kaum Strukturen erkennen kann. Allerdings ist es
möglich dem Blut ein Kontrastmittel beizumengen. Damit ist es zumindest möglich, die
Blutbahnen des Gehirns sichtbar zu machen. Leider ist es damit nicht möglich das Gehirn beim
unmittelbaren Denken näher zu untersuchen.
Aber es war schon bald bekannt, dass das Gehirn elektrisch erregbar ist, beziehungsweise, dass
das Gehirn, insbesondere die einzelnen Neuronen, selbst kleinste Ströme bei deren Aktivität
produziert. Schon um 1870 wurden Untersuchungen an Kaninchen- und Affengehirnen
durchgeführt. Allerdings befanden sich bei diesen Experimenten die Elektroden, um die
Spannung abzunehmen, direkt auf dem Gehirn. Aber erst 1924 ist es gelungen, diese kleinen
Ströme der Gehirnaktivität durch den Schädelknochen hindurch zu messen. Der Nervenarzt
Hans Berger publizierte diese Ergebnisse aber erst 1929, da er seine Ergebnisse immer wieder
überprüfte. So nahm er sehr viele Daten von sich selbst (56 Messungen) und seinem Sohn (73
Messungen) auf. Berger prägte auch den Begriff E.E.G, das damals noch als
Elektroenkephalogramm, heute als Elektroenzephalogramm bezeichnet wird. In den späteren
Veröffentlichungen nahm er nahezu fast alle grundlegenden Beobachtungen vorweg.
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Brain Modelling
39
So zeigte sich, dass die elektrophysiologischen Messkurven vom Wachheitsgrad bzw. dem
Bewusstseinszustand der Probanden abhing (siehe Abb. 4.0). So zeigten sich zwischen dem
EEG und den Zuständen von
erregt
Wachheit, Entspannung, Schlaf,
Hirnreifung, Epilepsie und dem
Hirntod gefunden. Berger konnte
entspannt
auch zeigen, dass das EEG sich
nicht nur durch sensorische
schläfrig
Reize sondern auch durch
geistige
Tätigkeiten
(Kopfrechnen) verändert. Es wurde
schlafend
auch gezeigt, dass diverse
Substanzen, wie Morphine,
Kaffee, Schlafmittel, NarkoseTiefschlaf
mittel, Insulin usw. die EEGRhythmik verändert.
Koma
Es
wurde
eine
synchron
50 µV
auftretende Aktivität zwischen
1 sec
funktionell gleichen RindenAbbildung 4.0: Verschiedene Meßkurven bei unterfeldern der rechten und linken
schiedlichem Wachheitszustand der Probanden.
Hemisphäre festgestellt. Interessanterweise bleibt diese Aktivität synchron, auch dann wenn die direkten Verbindungen
zwischen diesen Rindenarealen zerstört wird. Dies lässt auf eine zentrale Steuereinheit im
Inneren des Gehirn schließen.
Um international diverse EEG-Untersuchungen vergleichen zu können, wurde im Jahr 1957
das sogenannte 10-20-System festgelegt. Die Elektroden befinden sich im Abstand von 10%
bzw. 20%. Als absolute Werte werden
spezielle Punkte an den Ohren, der Nase und
G
im Nacken verwendet. Von diesen Punkten
Fp1
Fp2
ausgehend, spannt man ein Netz von
F8
Elektroden über die Kopfoberfläche (siehe
F7 F3
F4
Fz
Abbildung 4.1).
Die trockene Kopfhaut besitzt einen großen
elektrischen Widerstand. Deshalb wird eine
physiologische Kochsalzlösung zwischen der
Kopfhaut und der Elektrode aufgetragen.
A1
T3
C3
T5
Cz
Pz
P3
O1
C4
P4
T4
A2
T6
O2
Nun kann man zwischen den einzelnen
Elektroden die jeweiligen EEG-Spannungen
Abbildung 4.1: Die Position der Elektroden auf
messen. Die Spannungen unterscheiden sich
dem Kopf mit den Elektrodenbezeichnung im
in der Amplitude. Zusätzlich ändert sich die
10-20 System:
Frequenz in Abhängigkeit von der
Fp = frontopolar F = frontal
T = temporal
Gehirnaktivität. Diese Frequenzen müssen
C = zentral
P = parietal
O = okzipital
gefiltert werden, dass heißt ein Bereich von
A = aurikulär
G = Erdung
speziellen Frequenzen werden elektronisch
Ungerade Ziffern beschreiben Elektroden auf der
ausgeblendet. Zum Beispiel führt das
linken, gerade Ziffern auf der rechten Kopfseite.
Schwitzen auf der Kopfhaut zu einer
massiven Veränderung der Signale. Diese Signale können schnell dazu führen, dass die
Verstärker übersteuert werden, und damit die Signale überhaupt nicht mehr gemessen werden
können.
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40
EEG, MEG, PET
Die Amplituden im EEG haben eine geringe Bedeutung. Dadurch, dass die Amplituden stark
von den Ableitebedingungen abhängen, können Vergleiche nur schwer angestellt werden. Die
Potentialdifferenz wird zum Beispiel durch die Wahl der beiden Elektroden bestimmt. Wenn
man die Spannungen zwischen FP1 und F7 misst, beziehungsweise zwischen FP1 und A1,
dann werden sich die Amplituden der Spannungen stark unterscheiden. Die Amplituden die
man direkt auf der Großhirnrinde misst liegen bei rund 10 mV, während auf der
Kopfoberfläche die Amplituden in der Größe von 100 µV liegen. Für die Aktivität der
jeweiligen Rindenareale ist die Frequenz wichtiger, denn die Frequenz verändert sich nicht so
leicht, wenn man unterschiedliche Messelektroden verwendet, sie ist aber von der Aktivität der
Großhirnrinde abhängig.
Das EEG stellt ein Frequenzgemisch dar. Dennoch ist eine Grundfrequenz vorherrschend.
Aufgrund des Wachheitszustandes beziehungsweise aufgrund von sensorischen Reizen ändert
sich die maßgebliche Frequenz. Die gemessenen Signale werden aufgrund der Frequenz in vier
verschiedene Bereiche unterteilt:
Band
Frequenz [Hz]
Amplitude [µV]
Bedeutung
α
8 - 13
50
entspannter Wachzustand
µ
10-11
50
entspannter motorischer Zustand
β
13 - 30
30
Ruhezustand
δ
unter 4
100
Schlaf, bei Erkrankungen
ϑ
4-8
100
Emotionen bei Kindern
γ
30 - 35
unter 30
Tabelle 4.1: Unterteilung der EEG-Wellen nach Amplitude und Frequenz.
Im Ruhezustand (entspannter Wachzustand) treten bei geschlossenen Augen rhythmische
Wellen mit einer Frequenz von 8-13 Hz im Hinterhauptslappen auf. Dieser Frequenzzustand
wird als Alpha (α)- Zustand bezeichnet. In den okzipitalen Regionen des Gehirns (Hinterkopf)
treten die größten und regulärsten α-Wellen auf. Die Amplitude kann während der Messung
leicht variieren. Dies hängt mit minimalen Änderungen des Wachheitszustandes des
Probanden ab. Vergleicht man die EEG-Kurven des rechten und des linken Sehzentrums, so
zeigt sich, dass beide Areale zwar unter den richtigen Umständen α-Wellen produzieren, dass
aber keine unmittelbare Synchronisation zwischen diesen Gehirnregionen besteht. Dies lässt
vermuten, dass für jede Gehirnhälfte getrennt, die α-Rhythmen generiert werden. Akustische
oder taktile Reize haben einen starken Einfluss auf den α-Rhythmus. Die Aufmerksamkeit
richtet sich dann auf diesen Reiz und das Gehirn befindet sich nicht mehr im entspannten
Wachzustand. Umgekehrt haben abstrakte Denkleistungen, wie Kopfrechnen, kaum bis gar
keinen Einfluss auf die α-Wellen. Die α-Wellen können massiv durch visuelle Prozesse
unterdrückt werden. Sobald man die Augen öffnet, auch in einem dunklen Raum, wird der αRhythmus blockiert. Auch eine bildhafte Vorstellung führt zu einer Blockade.
Der µ-Rhythmus ist nach dem α-Rhythmus die deutlichste und häufigste Form hirnlokaler
Aktivität. Diese Aktivität steht im Zusammenhang zu motorischen Aktivitäten. Die Wellen
treten vor allem in den motorischen Bereichen auf (C3, Cz, und C4). Die Frequenzen liegen im
Bereich des α-Rhythmus, meist aber um zirka 1 Hz höher. Die Amplituden liegt ebenso bei
rund 50 µV. Bei bilateralem Auftreten sind die einzelnen µ-Wellen der beiden Hemisphären
zeitlich nicht korreliert und zeigen unterschiedliche Amplituden. Der µ-Rhythmus ist die
Grundaktivität der sensomotorischen und motorischen Areale. Sobald aber eine motorische
Aktivität gesetzt wird, zum Beispiel das Formen einer Faust, verschwindet der µ-Rhythmus
sofort. Auch die Vorstellung von Bewegung führt zu einer Blockade dieses
Grundrhythmussees.
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
41
Potentialschwankungen mit einer Frequenz oberhalb von 13 Hz werden als Betawellen
bezeichnet. Diese β-Wellen werden als die eigentliche Form der lokalen Ruheaktivität der
Großhirnrinde betrachtet, die lediglich in der hinteren sensorischen Hirnhälfte die α-Aktivität
ersetzt.
Die δ-Aktivität tritt hauptsächlich bei Säuglingen und teilweise auch bei Kindern und
Jugendlichen auf. Bei Erwachsenen treten δ-Wellen nur im Schlaf oder bei Hyperventilation
auf. Sonst haben δ-Rhythmen ausschließlich pathologische Hintergründe, wie Tumore,
entzündliche Prozesse im Gehirn, Gehirntraumata oder Arteriosklerose.
Die ϑ-Aktivität ist im Kindesalter eine typische Aktivität. Ab dem 8.Lebensjahr tritt die ϑAktivität in den Hintergrund und die α-Aktivität wird stärker. Im Kindesalter treten ϑ-Wellen
hauptsächlich bei emotionell belastenden Situationen auf. Vermutlich werden die ϑ-Rhythmen
durch das limbische System ausgelöst. Bei einer Minderung des Wachheitszustandes können
ϑ-Wellen - mit einer geringen Amplitude - beobachtet werden.
Damit stellt sich die Frage, wie es zu den
einzelnen Potentialen auf der Schädeloberfläche
kommt. Man könnte leicht vermuten, dass die
Aktionspotentiale Verursacher des EEG's sind.
Diese Annahme ist aber falsch. Ein
Aktionspotential hat zwar eine beträchtliche
Größe, aber ist nur von sehr kurzer Dauer. Durch
die Aktionspotentiale werden aber auch
synaptische Potentiale ausgelöst. Diese sind zwar
um einiges kleiner in der Größe (≈ 1 mV), aber
sie halten bedeutend länger an (rund 30 mal
länger). Zusätzlich darf man nicht übersehen,
dass ein Aktionspotential bis zu 1000-10000
Synapsen aktiviert (siehe Abb. 6.2). Dadurch
entstehen, angenommen die Hälfte der Synapsen
produziert ein Potential von der Größe von 1 mV
bei der Aktivierung durch ein Aktionspotential,
ein Gesamtpotential von 500-5000 * 1 mV =
500mV - 5000mV. Dieses Summenpotential ist
beträchtlich
größer
als
ein
einzelnes
Aktionspotential (rund 100 mV).
U
Summenpotential
Aktionspotentiale
EPSP´s
t
Abbildung 4.2: Entstehung des Summenpotentials durch mehrere synaptische
Potentiale. Vergleich des Summenpotentials, der synaptischen Potentiale und
der Aktionspotentiale (nicht direkt prop.!).
Ein Neuron kann in einfachster Weise als ein Dipol betrachtet werden. Den einen Pol stellt das
Ende des Hauptdendriten dar, während der zweite Pol der Zellkörper ist. Natürlich handelt es
sich um eine sehr starke Vereinfachung, die aber nützliche Ergebnisse liefert. Man muss sich
dabei bewusst sein, dass ein Neuron eine viel zu komplexe Struktur besitzt um einfach als
Dipol beschrieben zu werden.
Wird der Hautdendrit (bzw. der Zellkörper) durch synaptische Potentiale (egal ob es sich um
EPSP´s oder um IPSP´s handelt) gereizt, so wird lokal die Membran polarisiert (de- oder
hyperpolarisiert). Diese Polarisation entspricht einem lokalen Ionenungleichgewicht zwischen
der Innen- und Außenseite der Membran. Zusätzlich entsteht eine Potentialdifferenz zwischen
dem Hauptdendriten und dem Zellkörper. Außerhalb der Membran des Hauptdendriten
befinden sich mehr Kalium-Ionen (im Inneren mehr Natriumionen) als beim Zellkörper.
____________________________________________________________________________________________
42
EEG, MEG, PET
Dieses Ionenungleichgewicht wird nach einiger Zeit ausgeglichen - die durch synaptische
Potentiale verursachte Polarisation der Membran wandert zum Zellkörper. Wenn umgekehrt
der Zellkörper polarisiert wird, so wandert das Ionenungleichgewicht zum Ende des
Hauptdendriten.
Bei der Erzeugung eines EPSP´s an einer Synapse am Ende des Hauptdendriten wird im
Membranbereich der nachgeschalteten Synapse die positiven Ladungen an der Zellaußenseite
verringert. Dies lässt diesen Bereich relativ zur Außenseite des Zellkörpers, der nicht
polarisiert ist, vorübergehend negativer erscheinen. Elektrisch betrachtet wird der
depolarisierte Bereich zum Minuspol, während die nicht polarisierten Bereiche (z.B. der
Zellkörper) zum Pluspol werden. Das Dipolkonzept kann vor allem bei Pyramidenzellen
angewendet werden, da aufgrund der Morphologie des Neurons eine einzige lange Achse,
zwischen dem Ende des apikalen Dendriten und dem Zellkörper, gegeben ist. Damit gibt es
einen größeren Abstand zwischen dem Pluspol und dem Minuspol als im Gegensatz zu den
Körnerzellen mit den charakteristisch kurzen Dendriten. Ein idealisiertes Feldpotential,
entstanden durch ein EPSP am Dendriten eines Pyramidenneurons, ist in Abbildung 6.3
dargestellt. Das elektrische Feld wird durch Feldlinien dargestellt. Verbindet man im gesamten
Feld alle Punkte mit dem gleichen Potential, so erhält man die Äquipotentiallinien. An
Elektroden die sich auf der selben Äquipotentialline befinden, kann keine Potentialdifferenz
gemessen werden. Es ist also wichtig, dass die Elektroden so platziert sind, dass eine
Potentialdifferenz (=Spannung) gemessen werden kann.
+0.25
–1.0
–0.25
±0.0
–0.5
–0.25
–1.0
–0.5
–0.25
–
±0.0
±0.0
+
+0.25
+0.25
+0.5
Feldlinie
+0.5
+1.0
Äquipotentialline
Abbildung 4.3: Darstellung der Feldlinien und Äquipotentiallinien eines durch eine EPSP aktivierten
Pyramidenneurons. Der negative Pol liegt am Ende des apikalen Dendriten, während der Pluspol beim Zellkörper
liegt.
In der Abbildung 4.3 wurde das idealisierte Potential von -1 bis +1 normiert. Nur bei Potentialdifferenzen können Spannungen gemessen werden. Wenn nun eine Neuronenpopulation
besonders aktiv ist, viele synaptische Potential die Neuronen aktivieren, und die Elektroden
liegen zu weit beieinander, dann kann es passieren, dass nur eine geringe bis gar keine
elektrische Aktivität gemessen werden kann.
Für das elektrische Potential ist es wesentlich, wo die postsynaptischen Potentiale angreifen,
beziehungsweise ob die Membran depolarisiert (EPSP) oder hyperpolarisiert (IPSP) wird. Dies
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Brain Modelling
43
verursacht unterschiedliche Potentiale. Dennoch ist es möglich, daß EPSP´s und IPSP´s
gleichartige Potentiale verursachen. Wenn ein IPSP am Zellkörper, bzw. ein EPSP am apikalen
Dendriten angreift, dann entstehen gleichartige Potentiale, denn der Strom fließt in die gleiche
Richtung. Der einzelne Unterschied besteht in der Stärke des Feldes. Die beiden anderen Fälle,
EPSP am Zellkörper und IPSP am apikalen Dendriten, führen zwar wieder zu identen
Potentialen zueinander, aber diese Fälle treten in der Großhirnrinde kaum bis gar nicht auf.
Somit werden mit einem EEG EPSP´s am apikalen Dendriten und IPSP´s am Zellkörper
gemessen.
––
––
––
––
++
++
++
++
++
++
++
++
-
EPSP
––
––
––
––
––
––
––
––
++
++
++
++
++
++
++
++
––
––
––
––
IPSP
+
Abbildung 4.4: Unterschiedliche Innervierung durch EPSP´s und IPSP´s an Pyramidenneuronen. Der durch EPSP
depolarisierte Bereich wird zum Minuspol, während der durch IPSP hyperpolarisierte Bereich positiver als der
übrige Membranbereich wird.
____________________________________________________________________________________________
44
EEG, MEG, PET
Das gemessene EEG
b
a
hängt sehr stark von der
Größe und der Form der
Neuronenpopulation ab.
Das Feldpotential einer
Gruppe von Neuronen
entspricht der Summe
der Feldpotentiale, die
durch die Aktivität der
einzelnen
Neuronen
entstehen. Wenn die
c
Neuronen
parallel
d
zueinander stehen, und
die Gruppe senkrecht
zur
Kopfoberfläche
liegt, dann können die
überlagerten Potentiale
leicht
gemessen
werden. Die einzelnen
Potentiale überlagern
sich (siehe Abb. 4.5a,b).
Wenn die Neuronen
Abbildung 4.5: In der Graphik a werden die parallel liegenden Pyramidenzellen gleichzeitig aktiviert, die Homogenität und Größe des Potentials ist in
nicht
gleichzeitig
b zu erkennen. In c und d werden die Neuronen ungleichmäßig aktiviert, das
aktiviert werden (siehe
Potential hebt sich an manchen Stellen auf und wirkt insgesamt geringer.
Abb. 4.5c,d), oder die
Neuronen
nicht
gleichgerichtet sind, dann überlagern sich die Potentiale, allerdings löschen sie sich diesmal
gegenseitig aus. Man wird ein Signal nur sehr schwer messen können.
Schädeloberfläche
Großhirnrinde
Gruppe von Neuronen
In diesem Bereich
können die elektrischen
Felder nicht gemessen
werden.
Abbildung 4.6: Lage von Neuronenverbänden. Durch Einstülpungen der Großhirnrinde können Gruppen von
Neuronen auch parallel zur Kopfoberfläche liegen.
Innerhalb der Großhirnrinde liegen meistens Neuronen parallel zueinander und senkrecht zur
Oberfläche der Großhirnrinde. Allerdings entstehen in den Entwicklungsphasen Furchen und
Einstülpungen der Großhirnrinde (siehe Abb. 4.6). Dadurch ist es möglich, daß einzelne
Gruppen nicht senkrecht zum Schädel sondern waagrecht liegen. Auch wenn diese Gruppe
sehr aktiv ist, werden nur geringe Potentiale gemessen (siehe Abb. 4.3). Meist liegen diese
waagrecht liegenden Gruppen anderen Gruppen gegenüber. Nicht selten sind beide Gruppen
gleichzeitig aktiv. Damit löschen sich die einzelnen Potentiale gänzlich aus und am EEGSchreiber erscheint eine Nulllinie. Diese Gehirnbereiche können aber durch andere
Meßmethoden zugänglich gemacht werden.
Das Potential der aktivierten Neuronen, die in der Nähe des Schädels liegen, können leichter
gemessen werden, als Neuronen die tiefer liegen. Da die Feldstärke eines Dipols mit dem
Quadrat der Entfernung abnimmt, werden die einzelnen Potentiale rasch unmessbar. Die
Entfernung zwischen den koriticalen Potentialgeneratoren und den EEG-Ableiteelektroden
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
45
wird durch anatomische Gegebenheiten bestimmt. Nur rund ein Drittel der Großhirnrinde liegt
nahe an der Schädeloberfläche. Nur dieses Drittel ist für EEG-Ableitungen unmittelbar
zugänglich.
Über das EEG können auch langfristige Änderungen der elektrischen Potentiale der Neuronen
gemessen werden. Das Membranpotential von Neuronen kann sehr langsame Schwankungen
aufweisen. Normalerweise werden die einzelnen Spannungen der Neuronen durch RCVerstärker messbar gemacht. Dabei werden langsame Spannungsveränderungen
herausgefiltert. Verwendet man aber Gleichspannungsverstärker, dann können diese
langsamen und geringen Potentialänderungen gemessen werden. Meist kommt es dann zu
einer Überlagerung zwischen den DC-Potentialen (langsamen Gleichspannungspotentialen)
und den EEG-Potentialen. Die Ursache für die DC-Potentiale ist noch nicht geklärt. Man
vermutete einen Zusammenhang zwischen der elektrischen Aktivität von Gliazellen und den
Gleichspannungspotentialen. Diese Vermutung konnte nicht bestätigt werden. Möglicherweise
sind extrem lang anhaltende PSP´s dafür verantwortlich.
In der klinischen Praxis für Routineableitungen hat sich die Einstellung des
Hochfrequenzfilters auf 70 Hertz, das heißt durch die Messapparatur werden Signale mit
höheren Frequenzen herausgefiltert, und der unteren Grenzfrequenz auf 0.53 Hertz (dies
entspricht 0.3 Sekunden) als optimaler Kompromiss durchgesetzt.
Das EEG dient dazu, Prozesse der Signalverarbeitung im Gehirn zu messen. Einerseits kann
das EEG Auskunft über den allgemeinen Zustand einer Person Auskunft geben (Schlaf-,
Wachheits- oder Ruhezustand). Andererseits kann auch die neurale Aktivität, die speziellen
Wahrnehmungs- oder Denkprozessen zugrunde liegt, gemessen werden. Es sind
Potentialänderungen, die durch sensorische Reize oder durch Verarbeitungsprozesse
verursacht werden. Diese Potentiale werden als ereignisbezogene Potentiale - ERP´s (event
related potential) bezeichnet, manchmal findet man auch noch die veraltete Bezeichnung
evoziertes Potential - EP (evoked potential). Leider ist die Potentialänderung bei einem
ereignisbezogenem Potential sehr gering. Der Ausschlag beträgt durchschnittlich von 0.1µV
bis 20 µV, während die Hauptaktivität des EEG bei 10 µV bis 100µV liegt. Dies führt dazu,
daß die ERP´s in der Hintergrundaktivität leicht untergehen. Deshalb erfordert es einen
besonderen Aufwand diese Signale aufzuspüren.
Bei der Dauerreiz-Methode werden dem Gehirn in kurzen zeitlichen Abständen - mit einer
bestimmten Frequenz - idente Reize angeboten. Da die Reize dem Gehirn so rasch
hintereinander angeboten werden, überlappen sich die ereignisbezogenen Potentiale und es
bildet sich ein Dauerpotential. Dieses Potential ist aber ebenso gering, wie ein einzelnes
normales Potential. Um es aus der Hintergrundaktivität des Gehirns herauszufiltern, verwendet
man die Fourier-Analyse. Bei der Fourier-Analyse werden Wellen nach den
Frequenzeigenschaften untersucht. Da die Reizfrequenz bekannt ist, braucht man nur nach
dieser Frequenz im EEG-Signal suchen (siehe Abb. 6.7).
____________________________________________________________________________________________
46
EEG, MEG, PET
0
1
2
3
4
5
6
7 sec.
≈5µV
Beginn der
Reizung
0.0
0.1
0.2
0.3
0.4
0.5
0.6 sec.
Abbildung 4.7: In der oberen Darstellung ist ein EEG-Signal mit Dauerreizung dargestellt. In der unteren
Darstellung wurde das Signal Fourier-analysiert und man erkennt die Abweichung. Zu beachten ist die
unterschiedliche Zeitskala.
Das andere Verfahren wird als Mittelungsverfahren bezeichnet und es erfordert zwei
Annahmen. Eine Annahme besteht darin, daß das ereignisbezogene Potential in einer
konstanten Beziehung zu dem Reiz
steht, während die HintergrundAnzahl der
gemittelten
aktivität,
vergleichbar
einem
Meßkurven
Rauschen, keine Regelmäßigkeiten
aufweist. Die zweite Annahme
1
besteht darin, daß idente Reize
gleiche Amplituden mit der gleichen
Zeitdauer verursachen. Dem Gehirn
10 µV
wird in mehreren Versuchsdurchgängen der idente Reiz geboten. Die
EEG-Kurven werden, während der
Reiz ausgelöst wird, aufgenommen
und summiert und durch die Anzahl
der Versuchsdurchgänge dividiert.
4
Auf diese Weise erhält man das
mittlere evozierte Potential. Mit
dieser Technik wird das Signal, das
Potential das durch den Reiz
verursacht wird, Rauschverhältnis
16
verbessert. Da bei der Hintergrundaktivität - dem Rauschen - positive
wie negative Amplituden mit gleicher
200
Wahrscheinlichkeit auftreten, mittelt
sich das Rauschen heraus und nur das
Reizsignal bleibt übrig (siehe
0
0.1
0.2
0.3
0.4 sec
Abb. 4.8). Die Wirksamkeit der
Mittelung
wird
durch
das
Abbildung 4.8: Die Mittelung von 200 verschiedenen EEGQuadratwurzelgesetz
beschrieben.
Meßkurven führt zu einem eindeutigen Reiz-PotentialZusammenhang.
Die Einteilung der EEG-Kurven in vier verschiedene Rhythmen ist ziemlich willkürlich.
Trotzdem zeigt sich, daß verschiedene Zustände des Gehirns mit diesen Rhythmen korrelieren.
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
47
Natürlich misst das EEG die Aktivität von einzelnen Neuronen, aber die Gruppen von
Neuronen werden von anderen Subsystemen gesteuert. Diese Subsysteme können in den
Gruppen eine Synchronisation erleichtern oder erschweren. Somit stellt sich die Frage, welche
Subsysteme für diese Rhythmen zuständig sind.
Für den Alpha-Rhythmus ist eine besondere Struktur des Thalamus zuständig. Der Thalamus
ist eine Gruppe von Kernen im Inneren des Gehirns. Man unterscheidet zwei Arten von
Kernen:
Spezifische Kerne:
Alle Sinnesorgane, mit Ausnahme des Riechens, liefern ihre Signale an
den jeweiligen spezifischen Kern. Die Informationsübertragung ist
topologisch geordnet, das heißt benachbarte Reizzellen aus den
Sinnesorganen liefern ihre Signale an benachbarte Neuronen im
Thalamus und diese liefern wiederum ihre Signale an benachbarte
Neuronen in der Großhirnrinde. Im Thalamus kommt es zu einer
Vorverarbeitung (siehe "Das Sehsystem"). Die Verbindung vom
Thalamus zur Großhirnrinde ist reziprok. Man spricht von einer
thalamo-cortico-thalmischen Schleife.
Unspezifische Kerne: Die unspezifischen Kerne innervieren ebenso die Großhirnrinde,
allerdings diffus. Die Abbildung von den Kernen in die Großhirnrinde
ist nicht topologisch geordnet. Über diese Kerne kann das
Erregungsniveau der Neuronen in der Großhirnrinde gesteuert werden.
Dies erleichtert oder erschwert die Synchronisation in den jeweiligen
Arealen. Die unspezifischen Kerne erhalten ihre Signale aus anderen
tieferliegenden Strukturen des Gehirns, insbesonders der Formatio
reticularis. Manche Wissenschafter gehen so weit, daß sie diese
Thalamuskerne als eine direkte Fortsetzung der Formatio reticularis
bezeichnen.
Eine besondere Struktur - der Nucleus reticularis thalami - wird zu den unspezifischen Kernen
gezählt, obwohl er eine flächige Struktur besitzt. Diese Zellschicht umgibt alle Kerne des
Thalamus. Alle thalamo-cortico-thalmischen Schleifen laufen durch diese Schicht. Er enthält
von den durchziehenden Faserbündeln durch Abzweigungen erregende Signale (EPSP´s).
Umgekehrt innerviert der Nucleus reticularis thalami die durchgehenden Faserbündel
inhibitorisch.
U [WE]
EEG
visueller
Stimulus
t
"Desynchronisation"
U [WE]
EEG + DC
t
Abbildung 4.9: Zwei EEG-Ableitung, mit und ohne Gleichspannungskomponente, während eines visuellen
Stimulus.
____________________________________________________________________________________________
48
EEG, MEG, PET
Wenn der Thalamus viele sensorischen Afferenzen erhält, befindet sich der jeweilige
thalmische Kern im Transfermodus. Das heißt, daß die Signale von der Sensorik direkt über
den Thalamus in die Großhirnrinde gelangen. Im EEG kann man eine sogenannte
Desynchronisation beobachten. Dieser Begriff selbst ist ziemlich widersprüchlich. Im EEG
erkennt man, daß durch ein Desynchronisation die Amplituden geringer und die Frequenzen
höher werden (siehe Abb. 4.9). Praktisch kommt es aber während der Desynchronisation im
EEG-Bild zu starken Synchronisationen in den betroffenen Gebieten der Großhirnrinde. Meist
führt dies zu einer Frequenz der Aktivität des neuralen Assembles von rund 40 Hertz. Diese
Frequenz ist in der Regel für die klassische Auflösung zu groß - das Schreiberpapier bewegt
sich zu langsam um höhere Frequenzen sinnvoll aufzuzeichnen.
Großhirnrinde
Nucleus reticularis
thalami
Thalamocorticothalmische
Schleife
spezifischer
THALAMUS-KERN
Mediale
Thalamuskerne
Formatio
reticularis
Abbildung 4.10: Die Verknüpfungsstruktur zwischen einem spezifischen Thalamuskern, dem Nucleus reticularis
thalami und der Großhirnrinde.
Wenn kaum sensorischen Reize den Thalamus erreichen, dann befindet sich der Thalamus im
Oszillatormodus. Die thalamo-cortico-thalmische Schleife wird vor allem durch den Nucleus
reticularis thalami aktiviert. Dabei treten abwechselnd kaum Signale und dann kurzzeitig viele
Signale als Bursts mit einer Frequenz von 7-14 Hertz auf. Bei verminderter sensorischer
Afferenz werden einlaufende Signale, die nicht synchron sind, in den Neuronen der
spezifischen Thalamuskerne durch Kontrolle inhibitorischer Rückkopplungen des Nucleus
reticularis thalami in gruppierte Entladungen umgewandelt. Diese Entladungen führen über die
Verbindungen zur Großhirnrinde zum
zur Großtypischen Alpha-Rhythmus.
hirnrinde
Nucleus
reticularis
thalami
Thalamus
FR
Formatio Reticularis
von der
Sensorik
Abbildung 4.11: Die Verschaltung zwischen dem
Nucleus reticularis thalami, den Neuronen des
Thalamus und der Formatio reticularis. Erregende
Einflüße werden durch Pfeile und hemmende durch
einen Block dargestellt
Welche Aufgabe hat der α-Rhythmus für
die
Informationsverarbeitung
des
menschlichen Gehirns. Deshalb ist es
notwendig,
die
psychologischen
Bedingungen für das Auftreten des αRhythmus näher zu betrachten. Im
Ruhezustand treten die α-Wellen vor allem
im postzentralen Teil des Gehirns auf. In
diesem Gebiet liegt das primäre visuelle,
das primäre somatosensorische und zum
Teil das primäre auditive Areal. Vor allem
das Sehzentrum ist vorrangig in diesem
Gebiet vertreten. Dieser Sinn ist der
einzige der bewusst durch den Lidschlag
abgeschaltet
werden
kann.
Die
Aufmerksamkeit
wird
zu
einem
___________________________________________________________________________________
Brain Modelling
49
wesentlichen Teil durch die Formatio reticularis gesteuert. Diese Kerne erhalten von allen
sensorischen Einheiten (wahrscheinlich) unspezifische Signale. In der Formatio reticularis
werden diese sensorischen Signale zusammengefasst. Die Formatio reticularis innerviert viele
Areale in der Großhirnrinde und im Thalamus. Je stärker die Formatio reticularis aktiv ist,
umso leichter können Synchronisationen in der Großhirnrinde auftreten. Beim Schließen der
Augen gelangen weniger Informationen in den seitlichen Kniekörper. Dies führt zu einer
Abnahme der Aufmerksamkeit. Akustische und somatosensorische Reize können den Abfall
der Aufmerksamkeit nur begrenzt verhindern (mit der Ausnahme bei blinden Personen). Wenn
die Formatio reticularis verstärkt durch die Sensorik aktiviert wird, dann hemmt sie einerseits
den Nucleus reticularis thalami und andererseits wird der Thalamus soweit aktiviert, daß die
Signale aus der Sensorik im Thalamus vorverarbeitet werden und dann zur Großhirnrinde
gelangen (siehe Abb. 6.11). Wenn die Hemmung der Formatio reticularis auf den Nucleus
reticularis thalami aufhört, dann kann sich eine Gegenkopplungsschleife zwischen dem
Thalamus und dem Nucleus reticularis thalami bilden. Wahrscheinlich sind dabei auch
sogenannte Pace-Maker Zellen beteiligt. Diese Zellen geben, wenn sie aktiviert werden, mit
einem konstanten Rhythmus kurzfristig mehrere Aktionspotentiale ab und dann bleiben sie für
längere Zeit inaktiv. Dieser einsetzende α-Rhythmus, bei visueller Reizdeprivation garantiert
auch bei geschlossenen Augen - mit Ausnahme, daß das Gehirn sich nicht im Schlafzustand
befindet - bei akustischen oder anderen alarmierenden Reizen eine sofortige
Reaktionsbereitschaft. Der α-Rhythmus kann aber auch durch intensives Assoziationen
abgelöst werden. Dabei sind andere Rindenareale beteiligt, insbesonders der Schläfen- und der
Frontallappen. Diese beiden Regionen sorgen für Synchronisationen von Neuronen im
primären visuellen Areal. Es ist dabei völlig egal ob die Synchronisationen durch visuelle
Reize oder durch die Innervation von anderen Rindenarealen verursacht wird.
Mit der Technik elektrische Signale des Gehirns zu detektieren, können aber auch noch andere
Bereiche, als die Großhirnrinde vermessen werden. So stellt das Stammhirn-EEG einen
wichtigen Beitrag dar, um die Hörfähigkeit zu
vermessen. Die Elektroden werden im Bereich
1
2 3
4 5
6
7
des Halses befestigt. Diese Stammhirnpotentiale haben eine besonders geringe
Amplitude (weniger als ein Mikrovolt) und der
Hals darf unter gar keinen Umständen bewegt
werden - der Patient muss meist fixiert werden.
Ein besonderes Stammhirnpotential ist das
ABR (auditory brainstem response). Dieses
Potential wird durch einen Klicklaut ausgelöst.
Dieser Klicklaut wird vom Ohr detektiert. Von
dort aus gelangen die Aktionspotentiale
hintereinander zu 7 verschiedenen Kernen. In
25 µV
jedem Kern kommt es zu einer charakteristischen Aktivität. Aufgrund der Weiter2 ms
leitungsgeschwindigkeit der Aktionspotentiale
werden die Kerne der Reihe nach aktiviert. So
kann man zeitlich hintereinander 7 verschiedene Potentiale messen. Wenn einzelne
Kerne beschädigt sind, kommt es zu verminderten
Potentiale.
Betrachtet
man
Abbildung 6.12 so kann man im oberen Bereich
das ABR mit 7 verschiedenen, zeitlich vert
setzten, Peaks gut erkennen. Das untere ABR
Abbildung 4.12: In der oberen Darstellung erweist einige Abnormitäten auf. Die ersten 3
kennt man ein typisches ABR, während im
Peaks sind zeitlich verschoben und ab dem 4
unteren Bereich ein pathologisches ABR dargetypischen Ausschlag fehlt das Signal gänzlich.
stellt ist.
Dies lässt sich durch einen Tumor erklären. Der
____________________________________________________________________________________________
50
EEG, MEG, PET
Tumor fordert Raum, dadurch werden die Nervenstränge, die die ersten 3 Kerne verbinden,
gezerrt. Das Signal muss einen längeren Weg nehmen - es kommt zu einer zeitlichen
Verschiebung. Leider hat der Tumor den vierten Kern zerstört und die Signale können dort
nicht mehr weiterverarbeitet werden.
Das Magnetoenzephalogramm
Das EEG ist wohl das Analysegerät des aktiven Gehirns, das am höchsten weiterentwickelt
wurde. Dennoch können mit dem EEG einige interessante Denkvorgänge nicht beobachtet
werden, zum Beispiel die elektrische Aktivität der Großhirnrindenbereiche, die innerhalb der
Furchen liegen. Eine Methode misst das Magnetfeld, der depolarisierten Neuronen. Sie wird
als Magnetoenzephalographie MEG bezeichnet. Das MEG ist zum EEG komplementär. Das
heißt mit dem MEG können Gehirnaktivitäten
gemessen werden, die mit dem EEG nicht gemessen
––
––
werden können und umgekehrt.
Magnetfeld
––
––
Strom
++
++
++
++
Abbildung 4.13: Die Ausbreitung
eines Magnetfeldes orthogonale zur
Stromrichtung
innerhalb
eines
Neurons.
Im Prinzip misst ein MEG die Magnetfelder, die durch
die elektrischen Signale entstehen. Wenn die Membran
im Bereich des apikalen Dendriten depolarisiert wird,
entsteht ein elektrisches Feld, das mit einem EEG
gemessen werden kann. Diese Depolarisationswelle
wandert nun zum Zellkörper. Dabei fließt ein Strom.
Bei jedem Strom entsteht orthogonal zur Flussrichtung
ein Magnetfeld. Dieses Magnetfeld kann nun gemessen
werden. Da das Magnetfeld senkrecht zur
Stromrichtung steht, können mit dieser Methode auf
der Schädeloberfläche nur horizontal liegende,
elektrisch aktive Gruppen von Neuronen vermessen
werden.
Das gemessene neuromagnetische Feld ist äußerst schwach und liegt in der Größenordnung
von 10-12 Tesla. Im Vergleich liegt das ständige Erdmagnetfeld bei rund 10-5 Tesla. Deshalb ist
es notwendig den Messraum sehr gut gegen äußere Einflüsse abzuschirmen. Des weiteren
müssen die Sensoren eine hohe Sensibilität besitzen. Als Sensoren verwendet man gerne
SQUID´s (superconducting quantum interference device), die aber erst bei einer Temperatur
von 4° Kelvin arbeiten. Sie müssen mit flüssigem Helium gekühlt werden.
Der große Vorteil des MEG besteht darin, daß das Magnetfeld nicht durch die Kopfhaut
beziehungsweise durch den Schädelknochen beeinflusst wird. Über den Abfall der
Signalstärke ist es möglich - mit gewissen Grenzen - die neurale Aktivität in der Tiefe des
Gehirns zu vermessen. Die Stärke des Feldes gibt Auskunft über die Entfernung der neuralen
Aktivität zum Sensor.
Leider sind der Aufwand und die Kosten für eine MEG-Untersuchung sehr aufwendig.
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Brain Modelling
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Der Positron-Emissions-Tomograph (PET)
Der Positron-Emissions-Tomograph stellt sicher eines der spannendsten Neuerungen in der
Diagnostik dar. Mit diesem Gerät ist es möglich, das Gehirn beim Denken zu betrachten,
insbesonders lassen sich die Denkvorgänge visualisieren.
Die Grundidee hinter diesem Gerät besteht darin, den erhöhten Verbrauch von Sauerstoff und
Glucose bei Denkvorgängen zu messen. Wenn Neuronen öfters feuern, muss das
Membranpotential aufrecht erhalten werden. Dies geschieht unter anderem durch die
Ionenpumpen. Diese Ionenpumpen benötigen Energie, damit sie arbeiten können. Dadurch
steigt auch die Durchblutung im Gehirn. Dies wurde schon 1890 vermutet, und konnte kurz
darauf bewiesen werden. Man stellte fest, daß besonders aktive Bereiche bei epileptischen
Anfällen anschwellen.
Später, im Jahr 1961, konnte man schon viel detaillierter die erhöhte Durchblutung messen.
Man injizierte den Patienten eine physiologische Salzlösung mit gelöstem radioaktiven
Xenon133-Gas direkt in eine Hirnarterie. Mit einer Spezialkamera mit 254 Detektoren konnte
die erhöhte Radioaktivität bei erhöhter Durchblutung gemessen werden. Diese Bilder waren
noch nicht besonders aussagekräftig, sehr wohl aber der Schritt in die richtige Richtung.
Mit besseren Detektoren, einer aufwendigeren
Elektronik konnte dann der PET entwickelt werden.
Dieses Mal wird aber nicht radioaktives Gas direkt
gemessen. Man verwendet einen Positron-Emitter.
Dabei handelt es sich um ein radioaktives Isotop, das
Positronen aussendet. Bei einem Positron handelt es
sich um ein Elektron mit einer entgegengesetzten
Ladung. Wenn ein Elektron und ein Positron
zusammentreffen, dann vernichten sich beide
(Paarvernichtung) und es werden 2 Gammateilchen
(Photonen) frei, die in genau entgegengesetzte
Richtungen fliegen. Rund um den Kopf sind nun
lauter Detektoren angebracht. Wenn nun 2
Detektoren, die genau gegenüber liegen, gleichzeitig
aktiviert werden, dann kann man sehr genau
rückrechnen, wo die Paarvernichtung stattgefunden
hat. In den Bereichen, in denen die Durchblutung
ansteigt, dort werden sich vermehrt Positron-Emitter
sammeln. Natürlich werden von dieser Stelle aus,
mehr Gammateilchen ausgestrahlt.
γ
e
-
e+
γ
Detektor
Abb. 4.14: Der Kopf ist in einer Ebene von
γ-Detektoren umgeben, die indirekt den Ort
der Paarvernichtung detektieren.
In das Blut wird radioaktives Wasser, angereichert mit dem Positron-Emitter O15, verwendet.
Dieses Isotop hat eine Halbwertszeit von rund 2 Minuten. Es werden aber auch noch andere
Isotope wie N13 (2 min), C11 (10 min) oder F18 (110 min) verwendet. In den Klammern ist die
jeweilige Halbwertszeit angegeben.
Diese Methode klingt unheimlich verlockend – dem Gehirn beim Denken zusehen. Aber man
muss auch auf ein paar Probleme hinweisen. Ein Neuron feuert im Ruhezustand rund ein bis
zehn mal pro Sekunde. Das heißt, jedes Neuron ist auch im Ruhezustand aktiv. Man muss nun
die Änderung, das heißt die Zunahme, der Durchblutung messen. Leider sind singuläre
Denkprozesse nicht leicht zu beobachten, denn wenn man sich an etwas erinnert, dann werden
neue Erinnerungen initiiert und Handlungen beeinflusst und so weiter. Das bedeutet, daß der
selbe Reiz oder auch das selbe Gedankenmuster öfters „gedacht“ werden muss. Aus mehreren
dieser Durchläufe kann man sich die Verteilung der Aktivität bei einem Reiz in einer Scheibe
des Gehirns berechnen. Dann muss dieselbe Person noch an „nichts“ denken. Damit erhält man
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EEG, MEG, PET
die Hintergrundaktivität des Gehirns. Wenn man beides voneinander abzieht, wissen wir
welche Bereiche des Gehirns (in einer Scheibe) eine erhöhte Durchblutung bei der Reizung
besitzen. Damit kennen wir aber nur, die Aktivität bei standardisierter Reizung von einem
Individuum. Nun muss die Testreihe noch auf mehrere Personen angewandt werden, da nicht
alle Gehirne anatomisch gleich aufgebaut sind. Das heißt, man muss von mehreren Individuen
mit und ohne Reiz eine PET-Aufnahme machen, und dies mehrmals.
Leider ist auch die Auflösung der Gamma-Detektoren noch nicht ausreichend, um einzelne
Details erkennen zu können. Aber mit einigen Tricks aus der Statistik ist es schön möglich,
interessante Details erkennbar zu machen. Der große Vorteil dieser Methode besteht vorallem
darin, daß man auch einen Blick in das Innere des Gehirns machen kann, ohne den Schädel
öffnen zu müssen. Gerade bei der Verarbeitung von Informationen in den Basalganglien oder
dem limbischen System kann man auf sehr interessante Daten hoffen.
Abb. 4.15: Darstellung von verschiedenen PET-Aufnahmen einzelner Patienten.
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Brain Modelling
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EEG, MEG, PET
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