Lernen Lernen, effizient und mit Freude (Dr. K. Laederach, c.m. G. Caliezi, u.a.) Das ganze Leben eines Menschen ist bestimmt, von dem was er lernen, über was er verfügen kann. Dabei beginnt der Lernprozess schon intrauterin, indem der Fötus lernt, die hormonellen und akustischen sowie bewegungsdeterminierten, auch vegetativen Veränderungen der Mutter und deren Umgebung zu erkennen und darauf zu reagieren. Nach der Geburt beginnt ein ‘Lernmarathon‘, indem der Säugling innerhalb der ersten 4-6 Jahre die Grundlagen von Kommunikation, Verstehen der Umwelt, Grundlagenwissen, Interaktion und noch viel mehr erlernt. Die meisten Lernprozesse geschehen ohne Anstrengung, von aussen gesehen ohne Mühe, jedoch (zumeist) nach einer klaren inneren Organisation. Die Wissenschaft, die sich mit dem Verstehen, den Techniken zur Messung der Inhalte von Lernen, Gedächtnisstruktur, Lerntechniken befasst, heisst Neuropsychologie, der praktisch ausgerichtete Teil nennt sich Lernpsychologie. Studierende der Medizin sind besonders gefordert, sich effizienter Lerntechniken zu bedienen, da die Stoffmenge und -komplexität sehr gross und die fürs Lernen zur Verfügung stehende Zeit ungebührlich kurz ist. Besonders in den Examina wird oft erst sichtbar, ob sich neben persönlichen Vorgaben eine Lerntechnik als nützlich und effizient erwiesen hat. Misslingt das Examen, ist dies für die Betroffenen meist schmerzlich, weil sie so nicht selten die Quittung für ihre ineffizienten Anstrengungen erhalten. Das traditionelle Curriculum ist fast ausschliesslich auf individuelles Lernen ausgerichtet. Somit wird die Mitteilung von Wissensinhalten zugleich von den Studierenden als Verrat der eigenen Kompetenz und letztlich damit als Gefahr für den Examenserfolg bewertet. Wohl deswegen fristet die Kultur interaktionellen Lernens im Medizinstudium ein Randdasein. Dass Lernen nicht allein die Akkumulierung von Wissensinhalten bedeutet, wird spätestens in der Klinik klar, wo plötzlich neben manuellen auch diskursive Aspekte gefordert werden. Besonders im 3. Teil des Staatsexamens, in welchem komprehensiv* geprüft wird und natürlich auch später in der Assistenzzeit oder in der Praxis wird klar, dass neben Wissen auch Fertigkeiten und Fähigkeiten verfügbar sein müssen, damit man der verschiedenen Aufgaben eines Arztes gerecht werden kann. * komprehensiv (lat.) bedeutet begreifbar. Damit ist heute gemeint, dass sich ein Kandidat über Wissen, Anwendung, Fertigkeiten und Fähigkeiten zur Integration aller dieser Inhalte ausweisen muss. Weil sich besonders in der Komprehension profunde Lücken gezeigt haben, wurde im Herbst 1996 ein Reformcurriculum eingeführt, in welchem durch ein besonderes Lernsystem (das Problemorientierte Lernen [PBL]) gerade diese Integration schon von Beginn an bewerkstelligen lässt. Diese Lernform ist für ‘schulgewohnte‘ Studierende der Medizin, wenigstens zu Beginn, eine grosse Herausforderung. Wie arbeitet unser Gedächtnis? Um gültige und anwendbare Aussagen über Lernprozesse machen zu können, müssen vorab die Arbeitsweise des Gedächtnisses, das Lernverhalten und gewisse Lerntechniken bekannt sein. Allgemein unterscheidet man beim Gedächtnis ein 3-Speichermodell. Dieses unterteilt sich in sensorischen Speicher, Kurz- und Langzeitspeicher. Der sensorische Speicher kann so verstanden werden, dass er Inhalte speichert, die kurze Zeit verfügbar sein müssen. Als Beispiel könnte man das Merken einer Telephonnummer aus dem Telephonbuch anführen, die man üblicherweise nicht länger als bis zur Einstellung behält. Der Kurzzeitspeicher, manchmal unterteilt in Ultrakurz- und Mittelzeitgedächnis, dient der Speicherung von Inhalten, die über eine Zeit von vielleicht Stunden bis Tage verfügbar sein müssen. Als Idee kann man sich vorstellen, dass man diesen Speicher verwendet, wenn man mit dem Auto in einem fremden Land mit Hilfe einer Karte fährt, die Geographie sich bis zum Ferienende memoriert, dann wieder vergisst. Im Langzeitspeicher werden alle andern Daten abgelegt, die beispielsweise auch Informationen über sich selber, über eigene Vergangenheit etc. beinhalten. Es ist evident, dass fürs Lernen im Studium besonders Kurz- und Langzeitspeicher verwendet werden. Somit besteht auch ein Bedürfnis, die Funktionsweise dieser Einheiten besser zu kennen. Jedes Lernen ist zudem abhängig von der Wachheit des Individuums. Schlafende Studierende können nichts lernen (wir sehen davon ab, beispielsweise als Durchbruch bezeichnete Lerntechniken wie ‘Lernen im Schlaf‘ hier anzuführen, da sie eher im Bereich der Magie anzusiedeln sind). Zwischen Wachheit (= Erregung [Vigilanz]) und Lerneffizienz, gibt es eine U-förmige Beziehung. Wenn man schläft, lernt man nicht, aber ebensowenig ist das Lernen von Erfolg gekrönt, wenn man ‘überwach‘ ist. Lernverhalten und äussere Bedingungen: Jedes Lernen ist von verschiedenen Faktoren abhängig. Besonders wichtig sind dabei die Verstärkungseffekte. Sie sind sehr individuell und müssen (manchmal) zuerst entdeckt werden. So lernen einige eher durch Bildung von Analogien, andere indem sie sich die zu merkenden Inhalte laut oder stumm vorsagen; wieder andere brauchen eine Skizze, die ihnen den Lerninhalt bildlich vorzeigt und eine weitere Gruppe bedient sich rhythmischer Elemente, damit der Stoff besser hängen bleibt. Diese Verstärker sind sehr wichtig und können beim Abrufen auch die Verfügbarkeit des Stoffes erhöhen. In zweiter Linie sind Methoden zur Organisation und Analyse des Lernstoffs entscheidend. Jeder, der lernt, muss sich Gedanken machen über eine Methode der externen Speicherung. Dies kann im Anlegen von Dateien (Zeichnungen, Karten), der Generierung von Archivanlagen (Stichwortverzeichnissen etc.) liegen. Zudem ist oft genauso wichtig, zu wissen, wo etwas in einem Buch steht. Dies erleichtet, das dort inhaltlich Festgehaltene später abzurufen. Ebenso wichtig wie individuell ist die Gestaltung des Arbeitsplatzes oder der Arbeitssituation. Einige lernen besser am Morgen, wenn andere noch schlafen, andere besser am späten Abend. Wenige benötigen Musik oder den Hintergrundslärm eines Restaurants, andere Totenstille. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Zeiteinteilung. Allgemein wird angenommen, dass die Lernleistung nach 40 bis 50 Minuten deutlich sinkt und eine Pause deshalb nützlich erscheint. Zudem soll der Lernstoff nicht mehr als einmal nach einer bis drei Stunden, dann erst wieder nach einem Tag repetiert werden; es gibt Arbeiten, die gerade für dieses Lernen eine grosse Effizienz belegen. Das hiesse also, einmal am Tag einen Inhalt lernen, diesen nach 1-3 Stunden repetieren und dann erst am nächsten Tag sich wieder ins Gedächtnis zurückzurufen und erneut zu memorieren. So hat sich nachweisen lassen, dass die Menge des verfügbaren Stoffes (und dessen Abrufbarkeit) auch nach einer Woche und einem Monat noch praktisch demjenigen nach einem Tag entspricht. Daneben gibt es Methoden, den Lernstoff zu fragmentieren und so zu lernen (reduktive) oder ihn sich durch Konstruktion von Zusammenhängen und Überbegriffen (integrative, bzw. elaborative Lerntechniken) zu merken. Neben den Techniken, die ebenso eine Rolle spielen wie Bilder als Hilfe zur Memorierung, assoziatives Lernen (Schlüsselwortmethode Kennworttechnik, Geschichten, Optimierung des Bilderlernen), gibt es noch weitere Lerntechniken für besondere Probleme (Zahlen, Daten, Fakten, Termine). Zu jedem dieser Stichworte findet sich im Anhang entsprechende Literatur, wie auch zu den folgenden Themen: Semantische Organisation des Lernstoffes, Netzplantechniken, Auswahl der Verarbeitungstiefe und schliesslich auch zu Methoden des Superlearnings (aber seien Sie skeptisch dabei!). Wichtige Grundsätze: Die Analyse des Lernstoffes: Bevor Sie sich ans Lernen machen, wenden Sie genügend Zeit auf, den Lernstoff zu analysieren. Dies geschieht, indem Sie ihn unterteilen (in ‘Lernhäppchen‘), indem Sie die Grenzen der Lerninhalte gleichsam horizontal und vertikal ausloten (lernen soll nicht uferlos erscheinen), indem Sie Ähnliches und nicht Zusammengehörendes aufteilen und indem Sie Zeitfenster für die Akquisition der Lerninhalte festlegen. Im Verlaufe des Lernens sollen Sie mit den Inhalten Hypothesen bilden können und schliesslich am Schluss sämtliche Inhalte auch in einer Synthese zusammenfassen. Wie lernt man lesen? Lesen ist das A und O des wissensorientierten Lernens. Damit dies effizient geschehen kann, müssen Sie ihre Lesetechnik überprüfen. Sie werden mit Hilfe der angegebenen Literatur erkennen, dass sie zuviel Zeit beim Fixieren der Zeilen, beim innerlich vor sich Hersagen und anderen ‘Mödeli‘ verlieren. Was schreibt man auf? Aufgeschrieben soll grundsätzlich nur das werden, was Sie sich zu einem dargebotenen Inhalt (z.B. in einer Vorlesung) selber überlegt oder konstruiert haben. Es ist absolut falsch und wegen der Zeitverschwendung auch unökonomisch, wenn Sie verbatim alles, was gesagt wird, mitschreiben. Das effiziente Notieren impliziert, dass Sie aktiv zuhören lernen und ähnliche Techniken dazu verwenden wie beim Bewältigen von geschriebenem Lernstoff (siehe oben). Schliesslich müssen Sie die Notizen, die Sie erstellt haben, zusammen mit den Quellen, die Ihnen zur Verfügung stehen, auch überarbeiten. Die Strukturierung des Materials gehört dabei zur Aufbereitung des Stoffes. Prüfungsvorbereitung: Vorläufig (und leider) ist ein grosser Teil der Studierenden darauf angewiesen, sich den Stoff im Hinblick auf Prüfungen anzueignen. Prüfungen werden dazu verwendet zu evaluieren, welche Studierenden sich über einen festgelegten Wissensinhalt ausweisen können. Es ist gut zu verstehen, dass oft die Prüfungsangst in der Zeit der Vorbereitungen auf die Prüfungen einen zentralen Raum einnimmt. Neben der Tatsache, dass die wiederholte Versicherung der eigenen Kompetenz beruhigend wirkt, gibt es auch in den Prüfungen selber Momente, in welchen einige ganz akut von panikähnlicher Angst überfallen werden und plötzlich derart blockiert sind, dass ihnen ihr ganzes Wissen für die entscheidende Zeit fehlt. Wenn sich diese Erfahrungen wiederholen, müssen Sie ernsthaft überlegen, was Sie unternehmen sollten. Als Selbsthilfe eignet sich das Rollenspiel mit anderen Studierenden im Vorfeld der Prüfungen, in welchem einer den Prüfling und eine andere die Expertin darstellt. Das wiederholte Durchspielen vermag oft zu deblockieren, was sich dann in den Examina günstig erweist. Bevor zu anderen Mitteln wie beispielsweise Medikamenten oder Alkohol gegriffen wird, sollte sich der Betroffene von Fachpersonen helfen lassen. Dazu bieten sich verschiedene Möglichkeiten an, die in dieser Broschüre angeführt sind. Einige wichtige Grundsätze sind: Gut geplant ist halb gewonnen Was ist das Ziel der Aufgabe? Welche Schritte muss ich unternehmen, um dieses Ziel zu erreichen (bilden von Unterzielen)? In welcher Reihenfolge muss ich die Unterziele abarbeiten? Wieviel Zeit benötige ich für die einzelnen Unterziele? Es ist wichtig, sich angemessene Unterziele zu steck-en. Eine Über- oder Unterforderung wirkt sich ungünstig auf die Motivation aus. Lernen heisst, Zusammenhänge herstellen Einen Inhalt kann man umso leichter erinnern, je mehr Verbindungen zu ihm führen und je zwingender und damit stabiler die Verbindungen sind. Einige einfache Lernstrategien können hier von Nutzen sein: - Fragen formulieren und sich selber Fragen stellen: Dadurch stiften wir Zusammenhänge und aktivieren unsere Aufmerksamkeit. Kontrollieren des Verständnisses: Haben wir das Gelernte verstanden und können wir es reproduzieren? Können wir das Gelernte verständlich unseren Kommilitonen weitergeben? Strukturelle und funktionale Zusammenhänge schaffen: Wie ist etwas ‘gebaut‘? Wie hängen die einzelnen Inhalte des Gelernten zusammen? Welche Funktion haben die Zusammenhänge? Paraphrasieren: Wiederholen in eigenen Worten. Schematas zeichnen (Mind Mapping) Beispiele suchen: Gute Beispiele helfen uns, das Gelernte zu rekonstruieren. Zusammenhänge zum Vorwissen schaffen: Gelernt wird nur diejenige Information, die wir mit unserem Vorwissen verbunden haben. Die Zusammenhänge zum Vorwissen können z.B. sachlogischer oder sprachlogischer Natur sein. Sogar künstliche Zusammenhänge (Eselsbrücken) helfen, das Gelernte zu behalten. Bei Schwierigkeiten kann man sich auch an die Station für Psychosomatik und Psychosoziale Medizin der Medizinischen Poliklinik wenden, welche neben der Evaluation von allfälligen Gründen, Hilfestellungen leisten und auch vermitteln kann. Literaturempfehlungen Zum Thema Lernen - Hucho, F. Einführung in die Neurochemie, Weinheim 1982 - Metzig, W.; Schuster, M. 4 Lernen zu lernen. Lernstrategien wirkungsvoll einsetzen. Stuttgart (Springer) 1998, Fr. 31.50 - Müller, U. Tips gegen den Lernkater, Zug4 1994, Fr. 6.80 - Schermer, F.J. Lernen und Gedächtnis, Stuttgart (Urban TB)2 1998, Fr. 25.-- Schräder-Naef, R.D. Rationeller Lernen, Weinheim (Beltz)18 1994, Fr. 29.50 - Spada, H. (Hrsg.) Lehrbuch Allgemeine Psychologie, Bern (Huber)2 1990 - Vester, F. Denken, Lernen, Vergessen, München (dtv)24 1994, Fr. 14.90 Zum Thema Berufsplanung - Schweiz. Arbeitsgemeinschaft für akademische Berufs- und Studienberatung (Hrsg.) Mikrochirurgie oder Atemtherapie? Berufe im Gesundheitswesen. Luzern 1995, Fr. 26.-- Baur, E.M. Dr. med. - was tun? Berufliche Alternativen für Mediziner, Berlin (Springer) 1995, 196 S., Fr. 23.50 - Héon-Klin, V. Medizinstudium - und was dann? Stuttgart (Thieme)2 1999, 226 S., Fr. Fr. 32.50 - Kossak, H.-Ch. Studium und Prüfungen besser bewältigen, München (Quintessenz)2 1995, 219 S., Fr. 31.50 - Schmidt, A. Karriereplaner Medizin, Neckarsulm (Jungjohann) 1993, 148 S., Fr. 26.80 - Vieten, M. Berufsplaner Arzt, Berlin (Antilla Medizin Verl.)4 1996, 280 S., Fr. 32.50