Theoretische Physik: Mechanik - Skriptum zur Vorlesung Prof. Dr. H.-J. Kull Fraunhofer Institut für Lasertechnik und Lehr- und Forschungsgebiet Laserphysik Institut für Theoretische Physik A Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen 13. Februar 2007 Inhaltsverzeichnis 1 Grundprinzipien der Mechanik 4 2 Eindimensionale Bewegungen 9 2.1 Elementar lösbare Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Harmonischer Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.3 2.2.1 Freie ungedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.2.2 Freie gedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2.3 Erzwungene Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Bewegungen mit veränderlicher Masse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3 Kinematik 3.1 3.2 9 26 Inertialsysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.1.1 Galileisches Relativitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.1.2 Galileitransformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3.1.3 Orthogonale Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Beschleunigte Bezugssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.2.1 Translatorisch beschleunigtes Bezugssystem . . . . . . . . . . 34 3.2.2 Rotierendes Bezugssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3.2.3 Bewegungsgleichung in Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . 39 3.2.4 Begleitendes Dreibein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4 Newtonsche Mechanik 43 4.1 Newtonsche Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 4.2 Erhaltungssätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 4.2.1 Impulssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 4.3 2 4.2.2 Drehimpulssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 4.2.3 Energiesatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Systeme von Massenpunkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 4.3.1 Additive Bewegungsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4.3.2 Impulssatz und Schwerpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4.3.3 Drehimpulssatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 4.3.4 Energiesatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4.3.5 Virialsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 4.4 Zentralpotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4.5 Kepler-Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4.6 Coulomb-Streuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 4.7 4.6.1 Ablenkwinkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 4.6.2 Wirkungsquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4.6.3 Streuung an harten Kugeln 4.6.4 Rutherfordscher Wirkungsquerschnitt . . . . . . . . . . . . . . 72 Zweikörperproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 5 Lagrangesche Mechanik 5.1 5.2 5.3 5.4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 78 Systeme mit Zwangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 5.1.1 Zwangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 5.1.2 Zwangskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 Lagrangegleichungen erster Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 5.2.1 D’Alembertsches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 5.2.2 Bewegungsgleichungen mit Zwangskräften . . . . . . . . . . . 87 Lagrangegleichungen zweiter Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 5.3.1 Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 5.3.2 Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5.3.3 Erhaltungsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Variationsprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 5.4.1 Eulersche Gleichung der Variationsrechung . . . . . . . . . . . 97 5.4.2 Hamiltonsches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 5.5 Symmetrien und Erhaltungsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 5.6 Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 5.7 3 5.6.1 Entwicklung um die Gleichgewichtslage . . . . . . . . . . . . . 106 5.6.2 Schwingungsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Starrer Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 5.7.1 Freiheitsgrade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 5.7.2 Eulersche Winkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 5.7.3 Winkelgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 5.7.4 Trägheitstensor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 5.7.5 Eulersche Kreiselgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 5.7.6 Kräftefreie Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 6 Hamiltonsche Mechanik 118 6.1 Kanonische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 6.2 Modifiziertes Hamiltonsches Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 6.3 Poisson-Klammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 6.4 Kanonische Transformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 6.5 Hamilton-Jacobi-Differentialgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 7 Relativistische Mechanik 125 7.1 Relativitätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 7.2 Lorentz-Transformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 7.3 Der Abstand von Ereignissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 7.3.1 Raumzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 7.3.2 Längenkontraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 7.3.3 Zeitdilatation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 7.3.4 Eigenzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 7.3.5 Gleichzeitigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 7.4 Vierervektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 7.5 Relativistische Mechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Kapitel 1 Grundprinzipien der Mechanik Die Mechanik beruht auf Grundbegriffen wie Raum, Zeit, Masse, Kraft und Energie, die in der Geschichte der Physik immer wieder zu unterschiedlichen Interpretationen Anlaß gaben. Wir wollen hier voraussetzen, daß es hinreichend genaue Meßverfahren gibt, die die physikalischen Größen jeweils durch eine Meßvorschrift definieren. Daher verwenden wir diese Begriffe hier ohne weitere Definition in ihrer üblichen physikalischen Bedeutung. Einleitend stellen wir einige der Grundprinzipien der Mechanik zusammen. Die Newtonschen Gesetze und die sich aus ihnen ergebenden Folgerungen werden ausführlicher in einem späteren Kapitel behandelt. Impulssatz Eine Masse m, die sich mit der Geschwindigkeit v bewegt, besitzt den Impuls p = mv. Das wichtigste Grundgesetz der Mechanik besteht in der Aussage, daß zur zeitlichen Änderung des Impulses eine äußere Einwirkung in Form einer Kraft F notwendig ist. Dies wird durch den Impulssatz formuliert, dp = F. dt (1.1) Der Impulssatz wird auch Newtonsche Grundgleichung der Mechanik oder Newtonsche Bewegungsgleichung genannt. Massenpunkt Die Masse wird hier als punktförmig angenommen. Daher kann der Ort der Masse bereits durch die Angabe der Koordinaten eines Punktes festgelegt werden. Man spricht von der Bewegung von Massenpunkten bzw. von Punktmechanik. 4 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 5 Definition 1.1 Ein Körper dessen gesamte Masse in einem Punkt vereinigt ist, heißt Massenpunkt. Ein Massenpunkt stellt eine Idealisierung eines ausgedehnten Körpers dar. Diese Idealisierung setzt voraus, daß die Eigenbewegungen des Körpers, d.h. Drehungen und Deformationen, für den betrachteten Vorgang vernachlässigt werden können. Neben der Punktmechanik gibt es die Mechanik des starren Körpers und die Kontinuumsmechanik. Diese stellen Verallgemeinerungen der Punktmechanik auf ausgedehnte starre Körper bzw. auf deformierbare Medien dar. Inertialsystem Der Ort eines Massenpunktes kann nur relativ zu einem Bezugssystem angegeben werden. In der Mechanik spielen bestimmte Bezugssysteme eine ausgezeichnete Rolle, die als Inertialsysteme bezeichnet werden. Definition 1.2 Ein Inertialsystem ist ein Bezugssystem, in dem sich ein kräftefreier Körper geradlinig und gleichförmig bewegt. Erfahrungsgemäß sind Bezugssysteme, die gegenüber dem Fixsternhimmel ruhen oder sich gegenüber dem Fixsternhimmel mit konstanter Geschwindigkeit bewegen, Inertialsysteme. In einem Inertialsystem verwenden wir ein kartesisches Koordinatensystem mit den Koordinaten x, y, z und messen die Zeit t mit einer Uhr. Die Bewegung eines Massenpunktes läßt sich dann durch einen zeitabhängigen Ortsvektor r(t) = x(t)ex + y(t)ey + z(t)ez (1.2) darstellen, wobei ex , ey , ez die Basisvektoren des Koordinatensystems bezeichnen (Abb.(1.1)). Bewegung und Bahnkurve Vom mathematischen Standpunkt aus ist eine Bewegung eine Abbildung. Definition 1.3 Eine differenzierbare Abbildung t 7→ r(t), die jedem Zeitpunkt t einen Ortsvektor r(t) zuordnet, nennt man eine Bewegung. Das Bild der Abbildung nennt man die Bahnkurve. Die Eindeutigkeit, Stetigkeit und Differenzierbarkeit der Abbildung beinhalten physikalische Annahmen: Aus der Eindeutigkeit folgt, daß sich der Massenpunkt zu jedem Zeitpunkt t an genau einem Ort r(t) befindet. Aus der Stetigkeit folgt, daß Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 6 r(t) Abbildung 1.1: Bahnkurve eines Massenpunktes die Bahn keine Sprünge macht (natura non facit saltus). Aus der (zweimaligen) Differenzierbarkeit der Abbildung folgt, daß die Bewegung gemäß (1.1) aus der Impulsänderung bestimmt werden kann. Die erste Ableitung der Funktion r(t) nach der Zeit definiert die Geschwindigkeit, die zweite Ableitung die Beschleunigung, dv v(t) dr r(t+dt) v(t+dt) r(t) Abbildung 1.2: Änderungen des Ortsvektors und des Geschwindigkeitsvektors r(t + ) − r(t) , v(t + ) − v(t) a(t) = v̇ = lim . →0 v(t) = ṙ = lim →0 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 7 Hier und im folgenden werden Zeitableitungen oft durch einen Punkt gekennzeichnet ṙ = dr . dt (1.3) Determinismus Zur Bestimmung der Bewegung aus der Grundgleichung (1.1) ist eine Kenntnis des Kraftgesetzes notwendig. Eine allgemeine Aussage hierzu macht das Newtonsche Gesetz des Determinismus: Jede Bewegung wird eindeutig durch die Vorgabe von Anfangswerten für den Ort und die Geschwindigkeit festgelegt, d.h. r(t) = r(t; r0 , v0 , t0 ), wobei die Anfangswerte mit dem Index 0 bezeichnet werden. Differenziert man diese Funktion zweimal nach t und wertet das Ergebnis zur Zeit t0 aus, so folgt a(t0 ) = r̈(t0 ; r0 , v0 , t0 ) Da der Anfangspunkt t0 beliebig ist, muß die Beschleunigung eine Funktion von den Variablen t, r, und v darstellen. Damit besitzt die Kraft in (1.1) die allgemeine Form F = F (r, v, t). (1.4) Phasenraum Eine Bahnkurve durch einen Punkt r im Ortsraum ist nicht eindeutig. Man kann in jedem Punkt die Geschwindigkeit noch beliebig wählen. Insbesondere kann sich eine Bahnkurve im Ortsraum schneiden. Es ist daher oft von Vorteil die Bewegung in einem erweiterten Raum, dem Phasenraum darzustellen. Ein Punkt im Phasenraum wird durch die Komponenten des Orts- und Impulsvektors (r, p) angegeben. Die Bewegungsgleichung definiert im Phasenraum ein Richtungsfeld (ṙ, ṗ) durch: ṙ = 1 p, m ṗ = F . (1.5) Eine Bahnkurve im Phasenraum ist eine Integralkurve, deren Tangente in jedem Punkt durch das Richtungsfeld (1.5) bestimmt ist. Da die Richtung der Kurve in jedem Punkt eindeutig bestimmt ist, kann sich eine Phasenraumkurve nicht schneiden. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 8 Gültigkeitsgrenzen der Mechanik Die Bewegungsgesetze der Mechanik erlauben im Prinzip die exakte Vorhersage der zukünftigen Entwicklung des Systems. Sie sind streng deterministisch, d.h. der zukünftige Zustand wird eindeutig durch die Kenntnis des Anfangszustandes zu einem Zeitpunkt bestimmt. Die Erfolge der Newtonschen Mechanik haben anfänglich zu der Ansicht geführt, daß alle Naturvorgänge exakt den mechanischen Gesetzen gehorchen und durch diese erklärt werden können (mechanistisches Weltbild). Heute wissen wir, daß die Mechanik ein mathematisches Modell ist, welches empirische Beobachtungen nur innerhalb bestimmter Gültigkeitsgrenzen beschreiben kann. Die folgenden Beispiele sollen dies verdeutlichen: • Die Vorhersagbarkeit eines Systems wird durch die Quantentheorie (Unschärferelation) prinzipiell eingeschränkt. Die Größe der Quanteneffekte wird durch das Plancksche Wirkungsquantum ~ charakterisiert. Man unterscheidet daher zwischen klassischer Mechanik (~ → 0) und der Quantenmechanik (~ 6= 0). • Für Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit c müssen die Gesetze der Mechanik entsprechend der speziellen Relativitätstheorie modifiziert werden. Man unterscheidet hierbei die nichtrelativistische Mechanik (v c) und die relativistische Mechanik (v ≈ c). • In starken Gravitationsfeldern ist die Newtonsche Theorie der Gravitationskräfte nicht mehr anwendbar. Die relativistische Gravitationstheorie von Einstein führt Gravitationskräfte auf Trägheitskräfte zurück, die infolge der Krümmung des Raumes durch Massen auftreten. • Die Theorie der nichtlinearen Dynamik zeigt, daß der Vorhersagbarkeit eines nichtlinearen Systems bereits im Rahmen der Newtonschen Mechanik prinzipielle Grenzen gesetzt sind. Die Lösungen nichtlinearer Bewegungsgleichungen hängen i.a. in komplizierter Weise von den Anfangsbedingungen ab und können bei beliebig kleinen Änderungen des Anfangszustandes zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen führen (deterministisches Chaos). Trotz diesen Einschränkungen ist die klassische Mechanik auch heute noch von großer Bedeutung für viele Gebiete der Physik, wie z.B. die Astronomie, die Erforschung des Weltraums oder die Molekulardynamik. Mit dem Einsatz moderner Computer kann das mechanische Verhalten von Vielteilchensystemen mit mehr als 104 Teilchen untersucht werden. Kapitel 2 Eindimensionale Bewegungen Im folgenden betrachten wir eindimensionale Bewegungen x = x(t), die einer Bewegungsgleichung 2. Ordnung mẍ = F (x, ẋ, t) mit den Anfangsbedingungen x(0) = x0 , v(0) = v0 genügen. Die wesentliche physikalische Einschränkung ist hierbei, daß die xKomponente der Kraft F (x, ẋ, t) unabhängig ist von den restlichen Koordinaten y, z und Geschwindigkeiten ẏ, ż des Massepunktes. Die Bewegung in der x-Richtung ist dann unabhängig von der Bewegung in der y oder z Richtung. 2.1 Elementar lösbare Fälle Zeitabhängige Kraft Hängt die Kraft nur von der Zeit ab, F = F (t), so kann die Bewegungsgleichung durch Integration direkt gelöst werden, 1 v(t) = v0 + m Zt dt0 F (t0 ) 0 Zt x(t) = x0 + 0 9 dt0 v(t0 ) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 10 Geschwindigkeitsabhängige Kraft Ist die Kraft nur von der Geschwindigkeit abhängig, F = F (v), so bestimmt man zunächst die Funktion t = t(v) durch dt(v) 1 m = = dv v̇ F (v) v Z m dv 0 t = F (v 0 ) (2.1) v0 Die gesuchte Funktion v = v(t) ist die Umkehrfunktion von t = t(v). Die Umkehrfunktion existiert lokal in der Umgebung eines Punktes v∗ falls t0 (v∗ ) 6= 0. Dann ist dt = t0 (v∗ )dv nach dv = dt/t0 (v∗ ) auflösbar. Mit v(t) erhält man x(t) durch Integration Zt (2.2) x(t) = x0 + dt0 v(t0 ). 0 Ortsabhängige Kraft Besondere Bedeutung haben Kräfte F = F (x), die nur vom Ort abhängen. Für diese Kräfte existiert ein Energieerhaltungssatz. Multipliziert man die Bewegungsgleichung mit ẋ, so gilt mẍẋ = F (x)ẋ, x(t) Z d d 1 mẋ2 = dx0 F (x0 ) . dt 2 dt a Definiert man die kinetische Energie T (v) und die potentielle Energie U (x) durch 1 T (v) = mv 2 , 2 Zx U (x) = − dx0 F (x0 ), U (a) = 0 (2.3) a mit einem beliebigen Bezugspunkt a, so folgt daraus der Energieerhaltungssatz d (T + U ) = 0, dt T (v) + U (x) = E. (2.4) Die Gesamtenergie E ist eine Konstante, die bei der Bewegung, x = x(t), v = v(t) erhalten bleibt. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 11 Bewegung im Potential, Umkehrpunkte, Gleichgewichte Aus dem Energiesatzes können wichtige Folgerungen für die Bewegung des Massepunktes gezogen werden. Dazu verwendet man häufig eine graphische Darstellung der Energie als Funktion der Koordinate x (Abb. (2.1)). Die potentielle Energie y = U (x) ist eine Funktion von x, die Gesamtenergie y = E eine vorgegebene Konstante. Die kinetische Energie am Ort x ergibt sich aus der Differenz T = E − U (x). Da die kinetische Energie nie negativ sein kann, ist die Bewegung auf Gebiete mit E − U (x) > 0 eingeschränkt, d.h. auf diejenigen Gebiete in denen die Potentialkurve y = U (x) unterhalb der horizontalen Geraden y = E verläuft. Die Umkehrpunkte x = xu der Bewegung werden definiert durch die Nullstellen von E − U (xu ) = 0. (2.5) An den Umkehrpunkten gilt T = 0 und daher auch v = 0. Im Umkehrpunkt ist die Kraft i.a. ungleich Null, so daß die Bewegung nicht zur Ruhe kommt, sondern nur ihre Richtung umkehrt. Aus der Definition des Potentials folgt, daß die Kraft immer in der Richtung des abnehmenden Potentials gerichtet ist, F (x) = − dU (x) . dx (2.6) Verläuft eine Bahn zwischen zwei Umkehrpunkten, so ist die Bewegung periodisch. Gleichgewichtspunkte x = xg , die eine mögliche Ruhelage darstellen, werden definiert durch die Nullstellen der Kraft, bzw. die Extrema des Potentials, F (xg ) = − dU (xg ) =0. dx (2.7) Um die Stabilität eines solchen Kräftegleichgewichts zu untersuchen, entwickelt man das Potential um den Gleichgewichtspunkt bis zur zweiten Ordnung, U (x) = U (xg ) + dU (xg ) 1 d2 U (xg ) (x − xg ) + (x − xg )2 . dx 2 dx2 Wegen der Gleichgewichtsbedingung (2.7) verschwindet die erste Ordnung, so daß die Kraft durch die zweite Ordnung bestimmt wird, F (x) = − d2 U (xg ) (x − xg ). dx2 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 12 Abhängig vom Vorzeichen der zweiten Ableitung des Potentials unterscheidet man stabile und instabile Gleichgewichte, d2 U (xg ) > 0, dx2 d2 U (xg ) < 0, dx2 stabil instabil Ein stabiles Gleichgewicht entspricht also einem Potentialminimum, ein instabiles einem Potentialmaximum. y y= U(x) E5 E4 E3 E2 E1 x Abbildung 2.1: Bewegung im Potential U(x) bei verschiedenen Energien. E1 : Stabiles Gleichgewicht, E2 : Periodische Bewegung im linken Potentialminimum, stabiles Gleichgewicht im rechten Potentialminimum, E3 : Periodische Bewegungen in beiden Minima, E4 : Instabiles Gleichgewicht, Grenzkurve zwischen den periodischen Bewegungen unterhalb und oberhalb des Potentialmaximums, E5 : Periodische Bewegung oberhalb des Potentialmaximums. Phasenebene Der Phasenraum einer eindimensionalen Bewegung ist die durch (x, p) aufgespannte Phasenebene. Die Kurven, die eine Bewegung in der Phasenebene durchläuft, werden durch den Energiesatz bestimmt, p2 + U (x) = E, 2m p p = ± 2m(E − U (x)). Abbildung (2.2) zeigt die der Potentialdarstellung (2.1) entsprechenden Kurven in der Phasenebene. Die Kurven werden im Uhrzeigersinn durchlaufen. Kurven zu verschiedenen Energien dürfen sich nicht schneiden, da sie durch eine Anfangsbedingung (x, p) bereits eindeutig festgelegt sind. Sie bilden daher ein System ineinandergeschachtelter Ringe um die stabilen Gleichgewichtspunkte. Die Kurve durch den instabilen Gleichgewichtspunkt nennt man Separatrix, da Sie Bereiche mit qualitativ verschiedenen Kurven voneinander trennt. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 13 p Abbildung 2.2: Bewegung in der Phasenebene. Die einzelnen Kurven entsprechen den Energien in Abbildung (2.1). Die auf der x-Achse hervorgehobenen Punkte sind die Gleichgewichtspunkte. Durch den mittleren instabilen Gleichgewichtspunkt geht die Separatrix. x Zeitabhängigkeit der Bewegung, Periode Ausgehend vom Energiesatz erhält man für die Geschwindigkeit den Ausdruck, r 2 dx =± (E − U (x)). v= dt m Das Vorzeichen wird durch das Vorzeichen der Anfangsgeschwindigkeit und nachfolgende Vorzeichenwechsel an den Umkehrpunkten bestimmt. Damit läßt sich zunächst die Funktion t = t(x) als Integral darstellen dt = dx 1 dx dt Zx t(x) = x0 = 1 v(x, E) dx0 q . ± m2 (E − U (x0 )) (2.8) Durch die Bildung der Umkehrfunktion erhält man aus t = t(x) die gesuchte Bewegung x = x(t). Die Umkehrfunktion existiert lokal für t0 (x) = 1/v 6= 0. Ist die Bewegung periodisch so erhält man die Periode T durch eine Integration über einen Umlauf. Sind die beiden Umkehrpunkte der Bahn x1 und x2 , dann gilt Zx2 T = q x1 2 (E m Zx2 = 2 + − U) dx q x1 Zx1 dx 2 (E m − U) x2 dx q − m2 (E − U ) (2.9) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 14 Lineares Kraftgesetz Ist die Kraft linear in x und ẋ, so sind spezielle Lösungsmethoden für lineare Differentialgleichungen anwendbar. Ein wichtiges Beispiel hierzu ist der harmonische Oszillator, der im folgenden Abschnitt ausführlich behandelt wird. 2.2 Harmonischer Oszillator Ein harmonischer Oszillator führt harmonische Schwingungen aus, die durch die Kreisfunktionen Sinus und Kosinus beschriebenen werden. Physikalisch wird der harmonische Oszillator in guter Näherung durch eine an einer elastischen Feder aufgehängte Masse realisiert. Allerdings gibt es viele weitere physikalische Anwendungen, da das Modell allgemeine Eigenschaften eines Systems in der Nähe eines Gleichgewichts beschreibt. In der Umgebung eines Gleichgewichtspunktes, x = 0, v = 0, kann eine allgemeine Kraft F (x, v) durch die lineare Approximation ∂F ∂F x+ v (2.10) F (x, v) = F (0, 0) + ∂x x=0,v=0 ∂v x=0,v=0 dargestellt werden. Für ein stabiles Gleichgewicht gilt ∂F ∂F F (0, 0) = 0, = −f, = −2mβ, ∂x x=0,v=0 ∂v x=0,v=0 mit positiven Konstanten f und β. Die Kraft besteht in dieser Näherung aus einer zur Auslenkung proportionalen Rückstellkraft Fx = −f x und einer zur Geschwindigkeit proportionalen Reibungskraft Fv = −2mβv Die Bewegungsgleichung einer Masse m in der Nähe eines Gleichgewichtspunktes besitzt daher die allgemeine Form ẍ + 2β ẋ + ω02 x = 0, ω0 = p f /m. (2.11) Sie wird als die Bewegungsgleichung oder Schwingungsgleichung des gedämpften harmonischen Oszillators bezeichnet. Für β = 0 ist der Oszillator ungedämpft. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 2.2.1 15 Freie ungedämpfte Schwingungen Das Anfangswertproblem des ungedämpften harmonischen Oszillators lautet ẍ + ω02 x = 0, mit x(0) = x0 , v(0) = v0 . (2.12) An diesem Beispiel sollen zwei unterschiedliche Lösungsmethoden veranschaulicht werden, die auf dem Energiesatz bzw. dem Exponentialansatz basieren. Energiesatz, Phasenebene und Schwingungsbewegung Im vorliegenden Fall ist die Kraft nur von x abhängig, so daß ein Energieerhaltungssatz existiert. Definiert man den Energienullpunkt durch U (0) = 0, so ergibt sich das Potential Zx 1 1 U (x) = − dx(−f x) = f x2 = mω02 x2 (2.13) 2 2 0 und die Gesamtenergie p2 1 + mω02 x2 . (2.14) 2m 2 Für Energien E > 0 bewegt sich der Massepunkt in einem parabelförmigen Potentialtopf (Abb.2.3). Für E < 0 gibt es keine reellen Lösungen. E= In der Phasenebene stellen die Kurven konstanter Energie E Ellipsen dar, x2 p2 + 2 = 1, a2 b a= q 2E/mω02 , √ b= 2Em, (2.15) deren Halbachsen mit a und b bezeichnet wurden (Abb.2.3). Die Umkehrpunkte auf der x-Achse ergeben sich daraus zu x1,2 = ±a. Die von einer Bahnkurve in der Phasenebene eingeschlossene Fläche wird durch die Energie und die Umlaufperiode T = 2π/ω0 bestimmt, E = ET. (2.16) S(E) = πab = 2π ω0 Allgemein gilt für Bewegungen in einem eindimensionalen Potential der Zusammenhang dS(E) = T. (2.17) dE Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 16 p U +b E S(E) -a +a x -b -a +a x Abbildung 2.3: Bewegung des harmonischen Oszillators im Potential und in der Phasenebene Die Zeitabhängigkeit der Bewegung ergibt sich aus dem Integral Zx t= dx v(x) (2.18) x0 mit √ 2 (E − U ) = ±ω0 a2 − x2 . m Das Integral kann durch eine Substitution r v(x) = ± x = a cos ϕ, v = aω0 sin ϕ. (2.19) (2.20) ausgewertet werden. Der Ausdruck für v ergibt sich aus (2.19) indem man dort x substituiert und 0 < ϕ < π für v > 0 und −π < ϕ < 0 für v < 0 setzt. Dies entspricht einem Übergang zu den in Abb. 2.4 gezeigten Polarkoordinaten. Die Amplitude a und die Anfangsphase ϕ0 werden durch die Anfangsbedingungen festgelegt, s a= v02 + x20 , ω02 tan ϕ0 = v0 . ω0 x0 Damit ergibt die Integration Zϕ ω0 t = − dϕ = ϕ0 − ϕ, ϕ0 (2.21) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 17 Abbildung 2.4: Polarkoordinaten a, ϕ und somit x(t) = a cos(ω0 t − ϕ0 ). (2.22) Dies ist eine harmonische Schwingung mit der durch die Schwingungsgleichung vorgegebenen Frequenz ω0 . Die Amplitude a und die Phasenverschiebung δ sind gemäß (2.21) durch die Anfangsbedingungen bestimmt. Exponentialansatz, charakteristisches Polynom und Basissystem linear unabhängiger Lösungen Die zweite Methode zur Lösung der Schwingungsgleichung (2.12) beruht auf dem Exponentialansatz x(t) = A exp(λt), (2.23) mit Konstanten A und λ. Lineare Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten, n X di x Lx = ci i = 0, dt i=0 können durch diesen Ansatz gelöst werden. Die Ableitungen werden hierbei durch Potenzen von λ ersetzt. Die Differentialgleichung definiert damit ein charakteristisches Polynom P (λ), dessen Nullstellen die möglichen Werte von λ bestimmen, ! n X P (λ)x = ci λi x = 0. i=0 Sind alle Nullstellen verschieden, so bestimmen diese genau ein Basissystem linear unabhängiger Lösungen der Differentialgleichung. Bei mehrfachen Nullstellen muß der Ansatz erweitert werden. Im Fall der Schwingungsgleichung (2.12) folgt P (λ) = λ2 + ω02 = (λ − iω0 )(λ + iω0 ) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 18 mit den beiden Nullstellen, λ1,2 = ±iω0 . Die allgemeine Lösung ist die Linearkombination x(t) = A1 exp(iω0 t) + A2 exp(−iω0 t). (2.24) Die Anfangsbedingungen x 0 = A1 + A 2 , bestimmen die Konstanten A1,2 zu v0 1 A1 = x0 + , 2 iω0 v0 = iω0 (A1 − A2 ) 1 A2 = 2 v0 x0 − iω0 Wie in Abbildung (2.4) dargestellt, können die komplexen Amplituden durch ihren Betrag und ihre Phase ausgedrückt werden v0 x0 + i = a exp(iϕ0 ). ω0 Damit folgt wiederum die Lösung in der Form (2.22). Alternativ kann man A1,2 direkt in (2.24) einsetzen und erhält dann das Ergebnis x(t) = x0 cos(ω0 t) + 2.2.2 v0 sin(ω0 t). ω0 (2.25) Freie gedämpfte Schwingungen Um die Wirkung der Reibungskraft in der Schwingungsgleichung (2.11) zu veranschaulichen betrachten wir zunächst zwei einfache Spezialfälle. Vernachlässigt man die Rückstellkraft, so führt die Reibungskraft zu einer Abbremsung der Anfangsgeschwindigkeit v0 eines Teilchens v̇ + 2βv = 0, v = v0 e−2βt . (2.26) Die Geschwindigkeit relaxiert mit der Rate 2β in den Ruhezustand. Vernachlässigt man andererseits die Beschleunigung, so entsteht ein Kräftegleichgewicht von Reibungskraft und Rückstellkraft. Dabei geht eine Anfangsauslenkung x0 in die Ruhelage zurück, 2 2β ẋ + ω02 x0 = 0, x = x0 e−(ω0 /2β)t . (2.27) Die Auslenkung relaxiert mit der Rate ω02 /(2β). Relaxiert die Geschwindigkeit schneller als die Auslenkung, β ω0 , so ergibt sich eine stark gedämpfte aperiodische Bewegung. Im umgekehrten Fall kehrt die Masse mit einer endlichen Geschwindigkeit in die Ruhelage zurück, was zu periodischen Schwingungen führt. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 19 Die allgemeine Lösung der gedämpften Schwingungsgleichung (2.11) bestimmen wir wieder durch den Exponentialansatz (2.23). Das charakteristische Polynom, P (λ) = λ2 + 2βλ + ω02 besitzt die Nullstellen q γ = β 2 − ω02 . λ1,2 = −β ± γ, (2.28) Die allgemeine Lösung hat daher die Form x(t) = A1 eγt + A2 e−γt e−βt . Mit den Anfangsbedingungen x 0 = A1 + A 2 v0 = (γ − β)A1 − (γ + β)A2 bestimmt man die Integrationskonstanten (γ + β)x0 + v0 = 2γA1 , (γ − β)x0 − v0 = 2γA2 , x0 v0 + 2βx0 + 2 2γ x0 v0 + 2βx0 − . A2 = 2 2γ A1 = Daraus folgt die Lösung, v0 + βx0 x(t) = x0 cosh(γt) + sinh(γt) e−βt γ (2.29) Nach Gleichung (2.28) kann man die folgenden drei Fälle unterscheiden. Aperiodische Bewegung (β > ω0 ): In diesem Fall ist γ reell und beide Nullstellen sind negativ, λ1,2 < 0. Die beiden partikulären Lösungen sind exponentiell abfallend. Die allgemeine Lösung ist nicht notwendig monoton fallend. Sie kann jedoch höchstens ein Maximum besitzen. Aus der Bedingung für einen Umkehrpunkt, v = 0, folgt e2γt = − λ 2 A2 = r. λ 1 A1 Für r < 1 gibt es keinen, für r ≥ 1 genau einen Umkehrpunkt. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 20 Im Grenzfall starker Dämpfung, ω0 /β 1, läßt sich die Lösung noch weiter vereinfachen. Unter Verwendung der Potenzreihenentwicklung, √ 1 1 + x = 1 + x + ··· 2 erhält man q ω02 2 2 γ = β 1 − ω0 /β ≈ β 1 − 2 2β 2 ω λ2 = −2β. λ1 = − 0 , 2β Diese Relaxationsraten entsprechen den oben behandelten Grenzfällen (2.26) und (2.27). Da |λ1 | |λ2 | ist, handelt es sich hier um ein Beispiel einer Differentialgleichung, deren Lösungen stark unterschiedliche Zeitskalen aufweisen. Für große Zeiten spielt nur der langsam veränderliche Anteil eine Rolle. Für kleine Zeiten benötigt man den schnell veränderlichen Anteil, um die Anfangsbedingungen erfüllen zu können. Mit den Anfangswerten A1 = x 0 + v0 , 2β folgt x(t) = x0 eλ1 t + A2 = − v0 2β v0 λ1 t e − eλ2 t . 2β Bei einer Anfangsauslenkung x0 relaxiert die Amplitude auf der langsamen Zeitskala in die Ruhelage. Bei einer Anfangsgeschwindigkeit v0 relaxiert die Amplitude dagegen zuerst schnell ins Kräftegleichgewicht und danach langsam in die Ruhelage (Abb. (2.5)). x(t) Abbildung 2.5: Auslenkung x(t) als Superposition einer schnell und langsam relaxierenden Lösung. Für große Zeiten nähert sich x(t) asymptotisch der langsam relaxierenden Lösung. Diese Lösung erfüllt jedoch nicht die Anfangsbedingung x0 = 0. Daher ist für kleine Zeiten auch die schnell relaxierende Lösung erforderlich. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 21 Gedämpft periodische Bewegung (ω0 > β) In diesem Fall ist γ imaginär. Setzt man γ = iΩ so erhält man aus (2.28) und (2.29) die Lösung, v0 + βx0 x(t) = x0 cos(Ωt) + sin(Ωt) e−βt , Ω Ω= q ω02 − β 2 . (2.30) Alternativ kann man auch die Amplitude und Phasenverschiebung der Schwingung durch 1 v0 + βx0 1 ∗ A2 = A1 = x0 + i = reiδ 2 Ω 2 mit s r= x20 + 1 (v0 + βx0 )2 , Ω20 tan δ = v0 + βx0 Ωx0 definieren. Damit folgt x(t) = r cos(Ωt − δ)e−βt . (2.31) Es handelt sich hierbei um eine gedämpfte Schwingung. Ihre Schwingungsfrequenz Ω ist kleiner als die Eigenfrequenz ω0 des ungedämpften Oszillators. Ihre Amplitude ist exponentiell abfallend. Abbildung 2.6: Schematische Darstellung einer gedämpften Schwingung. Die Einhüllende ±re−βt wird jeweils in den Maxima bzw. Minima der KosinusSchwingung berührt. Die Phasenverschiebung δ wurde Null gesetzt. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 22 Aperiodischer Grenzfall (β = ω0 ) In diesem Fall ist γ = Ω = 0 und das charakteristische Polynom besitzt die doppelte Nullstelle λ1,2 = −β. Der obige Exponentialansatz ergibt hier nur eine partikuläre Lösung. Die vollständige Lösung des aperiodischen Grenzfalls erhält man, indem man in der Lösung des Anfangswertproblems (2.30) den Grenzübergang Ω → 0 zu einer festen Zeit t ausführt. Mit sin x =1 x→0 x lim folgt x(t) = [x0 + (v0 + βx0 )t] e−βt . (2.32) Die Amplitude enthält hier einen linear in t anwachsenden Anteil. 2.2.3 Erzwungene Schwingungen Wird ein harmonischer Oszillator mit einer harmonischen Kraft, F (t) = F0 cos(ωt), angetrieben, so lautet die Bewegungsgleichung, ẍ + 2β ẋ + ω02 x = a0 cos(ωt), a0 = F0 /m. (2.33) Hierbei handelt es sich um eine inhomogene lineare Differentialgleichung. Ihre allgemeine Lösung besitzt die Form, x(t) = xh (t) + xs (t), wobei xh (t) die allgemeine Lösung der bereits behandelten homogenen Differentialgleichung (2.11) bezeichnet und xs (t) eine spezielle Lösung der inhomogenen Differentialgleichung darstellt. Offensichtlich erfüllt dieser Ansatz die Bewegungsgleichung (2.33) und besitzt genau die erforderliche Anzahl von Integrationskonstanten zur Erfüllung der Anfangsbedingungen. Wegen der Dämpfung der freien Schwingungen, d.h. aller Lösungen der homogenen Differentialgleichung, stellt sich für große Zeiten ein Zustand ein, der von den Anfangsbedingungen unabhängig ist und als erzwungene Schwingung bezeichnet wird. Es handelt sich dabei um eine Schwingung mit der Frequenz der anregenden Kraft. Zunächst sind die Spezialfälle instruktiv, bei denen die Anregungsfrequenz ω sehr viel kleiner bzw. sehr viel größer ist als die Oszillatorfrequenz ω0 . Für ω → 0 gilt näherungsweise, a0 ω02 x = a0 cos(ωt), x = 2 cos(ωt). (2.34) ω0 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 23 Die Auslenkung folgt der anregenden Kraft instantan ins neue Kräftegleichgewicht. Für ω → ∞ gilt entsprechend ẍ = a0 cos(ωt), x=− a0 cos(ωt). ω2 (2.35) Hierbei handelt es sich um die erzwungene Schwingung eines freien Teilchens. Die Auslenkung schwingt gegenphasig zur anregenden Kraft und die Amplitude nimmt wie 1/ω 2 ab. Für beliebige Anregungsfrequenzen ist es einfacher anstelle von (2.33) die Schwingungsgleichung (2.36) z̈ + 2β ż + ω02 z = a0 eiωt , mit einer komplexen Variable z(t) zu betrachten. Für jede komplexe Lösung z(t) von (2.36) ist der Realteil x = <(z) eine Lösung der ursprünglichen Schwingungsgleichung (2.33). Dies beruht darauf, daß die Gleichung linear ist und nur reelle Koeffizienten besitzt. Es ist naheliegend für die erzwungene Schwingung einen Exponentialansatz mit der Frequenz ω zu wählen, z = Beiωt . Die Schwingungsgleichung (2.36) bestimmt dann die komplexe Amplitude der erzwungenen Schwingung, a0 . (2.37) B= 2 ω0 − ω 2 + 2iβω Setzt man B = be−iδ so erhält man die gesuchte reelle Lösung in der Form x(t) = b cos(ωt − δ), (2.38) mit der Amplitude und Phase a0 b= p 2 , (ω0 − ω 2 )2 + 4β 2 ω 2 tan δ = 2βω . − ω2 ω02 (2.39) Für schwache Dämpfung (β ω0 ) ist die Frequenzabhängigkeit der Amplitude und Phase in Abb. (2.7) dargestellt. Für kleine und große Frequenzen werden die schon diskutierten Grenzfälle a0 für ω → 0 ω02 b(ω) → a0 für ω → ∞ ω2 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 24 erreicht. Dazwischen nimmt die Amplitude ein Maximum mit p p a0 ωm = Ω2 − β 2 , bm = , Ω = ω2 − β 2 2βΩ an. Es liegt etwas unterhalb der Eigenfrequenz Ω des gedämpften harmonischen Oszillators. Die Auslenkung folgt der anregenden Kraft um die Phase δ verschoben nach. Die Phase wächst mit zunehmender Frequenz monoton von 0 bis π an und erreicht bei ω = ω0 den Wert π/2. Abbildung 2.7: Frequenzabhängigkeit der Amplitude und der Phase einer erzwungenen Schwingung des harmonischen Oszillators. 2.3 Bewegungen mit veränderlicher Masse Zwei unterschiedliche Massen m1 und m2 , auf die dieselbe Kraft F einwirkt, erfahren unterschiedliche Beschleunigungen v̇1 und v̇2 aber dieselbe Impulsänderung ṗ = m1 v̇1 = m2 v̇2 = F. Die Impulsänderung, die eine Kraft hervorruft, ist unabhängig von den Eigenschaften des speziellen Körpers. Bei Körpern mit veränderlicher Masse ist die Kraft daher als Ursache von Impulsänderungen aufzufassen. Nur bei konstanter Masse ist die Impulsänderung der Beschleunigung proportional. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 25 Massenänderung ohne Rückstoß Für eine zeitabhängige Masse m(t) lautet der Impulssatz, d [m (t) v] = F, dt mv̇ = F − ṁv ṗ = mv̇ + ṁv = F, (2.40) Diese Form der Bewegungsgleichung tritt bei relativistischen Teilchen auf, deren Geschwindigkeit im Bereich der Lichtgeschwindigkeit c liegt. In diesem Fall ist die Zeitabhängigkeit der Masse durch die Geschwindigkeit gegeben, m(t) = m0 γ, 1 γ=q 1− , v2 c2 wobei m0 die Ruhemasse bezeichnet. Eine allgemeine Begründung der relativistischen Bewegungsgleichung wird in der relativistischen Mechanik gegeben. Massenänderung mit Rückstoß Die Bewegungsgleichung (2.40) berücksichtigt noch nicht die Impulsänderung, die durch die zu- oder abgeführte Masse hervorgerufen wird. Im Zeitintervall dt werde der Masse m mit der Geschwindigkeit v eine zusätzliche Masse dm mit der Geschwindigkeit v 0 = v +vr zugeführt. Hierbei ist vr die Geschwindigkeit der Masse dm relativ zur Masse m. Der Gesamtimpuls der noch getrennten Massen ist mv + (dm)v 0 . Der Impuls der Gesamtmasse nach der Zeit dt ist (m + dm)(v + dv). Für die gesamte Impulsänderung gilt demnach dp = (m + dm)(v + dv) − [mv + (dm)v 0 ] = mdv + (dm)(v − v 0 ) = F dt. Die Bewegungsgleichung lautet in diesem Fall mv̇ = F + ṁvr . (2.41) Auf der rechten Seite steht nun die Relativgeschwindigkeit der zugeführten Masse. Wird die Masse dm ohne Impulsübertrag zugeführt, d.h. v 0 = 0, so gilt vr = −v und man erhält wieder das Ergebnis (2.40). Ein Anwendungsbeispiel für die Gleichung (2.41) ist die Beschleunigung einer Rakete durch den Rückstoß des verbrannten Brennstoffs. Nimmt man an, daß pro Zeiteinheit eine konstante Masse µ der Antriebsgase mit einer konstanten Geschwindigkeit u austritt, so gilt entsprechend ṁ = −µ und vr = −u. Auf die Rakete wirkt also bei abnehmender Masse eine konstante Antriebskraft ṁvr = µu. Kapitel 3 Kinematik Die Kinematik beschreibt Bewegungen ohne Bezugnahme auf die wirkenden Kräfte. Kinematische Grundgrößen sind die Geschwindigkeit und Beschleunigung. Von besonderem Interesse sind Koordinatentransformationen beim Wechsel des Bezugssystems. Man unterscheidet Koordinatentransformationen zwischen Inertialsystemen und Koordinatentransformationen von Inertialsystemen in beschleunigte Bezugssysteme. In beschleunigten Systemen treten sogenannte Scheinkräfte auf, deren Ursache in der beschleunigten Bewegung des Bezugssystems liegt. 3.1 Inertialsysteme Inertialsysteme sind Bezugssysteme, in denen sich ein kräftefreier Körper geradlinig und gleichförmig bewegt. Die besondere Bedeutung der Inertialsysteme beruht darauf, daß es diejenigen Bezugssysteme sind, in denen die Newtonsche Bewegungsgleichung gilt. 3.1.1 Galileisches Relativitätsprinzip Es gibt viele verschiedene Inertialsysteme. Das Galileische Relativitätsprinzip besagt allgemein: Alle Inertialsysteme sind gleichberechtigt. Demnach ist es nicht möglich physikalisch zwischen zwei Inertialsystemen zu unterscheiden. In einem Zug, der mit konstanter Geschwindigkeit fährt, ist es z.B. nicht möglich die Geschwindigkeit des Zuges durch eine Messung innerhalb des Zuges festzustellen. 26 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 3.1.2 27 Galileitransformationen Das Galileische Relativitätsprinzip definiert in Verbindung mit der Grundgleichung der Mechanik die Klasse der Galileitransformationen. Da alle Inertialsysteme gleichberechtigt sind, muß die Newtonsche Bewegungsgleichung in allen diesen Systemen in der gleichen Form gelten. Galileitransformationen sind Koordinatentransformationen, gegenüber denen die Grundgleichung der Mechanik für einen Massepunkt mit fester Masse m forminvariant ist. Definition 3.1 Eine Gleichung F (Xi ) = 0 zwischen verschiedenen Größen Xi (x, y, z, t) heißt forminvariant, wenn sie in den transformierten Größen Xi0 (x0 , y 0 , z 0 , t0 ) dieselbe Form besitzt, wie in den ursprünglichen Größen Xi : F (Xi ) = F (Xi0 ). Man unterscheidet zwischen Forminvarianz und Invarianz. Definition 3.2 Invarianz bedeutet die stärkere Forderung, daß die transformierte Gleichung identisch ist mit der ursprünglichen Gleichung, d.h. die transformierten Größen sind auch die gleichen Funktionen der Koordinaten wie die ursprünglichen Größen Xi0 (x0 , y 0 , z 0 , t0 ) = Xi (x, y, z, t) Aus der Invarianz folgt, daß jede Lösung als Funktion der alten Koordinaten auch eine Lösung als Funktion der neuen Koordinaten darstellt. Die möglichen Galileitransformationen werden im folgenden behandelt. Nicht dazu gezählt werden Umskalierungen der Koordinaten: x0 = αx, t0 = βt. Fasst man die Koordinaten als dimensionsbehaftete Größen auf, so entspricht einer Umskalierung der Maßzahl eine inverse Umskalierung der Einheit. Die dimensionsbehaftete Größe wird dadurch nicht geändert. Verschiebung des Zeitursprungs Eine Verschiebung des Zeitursprungs um eine feste Zeit t0 , t0 = t − t0 , (3.1) ist eine Galileitransformation. Das ursprüngliche Koordinatensystem S sei ein Inertialsystem, so daß dort die Newtonsche Bewegungsgleichung gilt. Wegen dt = dt0 , r 0 = r gilt im neuen System S 0 die transformierte Gleichung d2 r m 02 = F 0 , (3.2) dt Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 28 mit F 0 = F (r, dr 0 , t + t0 ). dt0 (3.3) Die transformierte Kraft F 0 ist zur Zeit t0 in S 0 identisch mit der alten Kraft zur entsprechenden Zeit t = t0 +t0 in S. Die Gleichung ist daher forminvariant gegenüber einer Zeitverschiebung. Das System S 0 ist ebenfalls ein Inertialsystem. Hängt die Kraft nicht explizit von der Zeit ab, so ist die Gleichung sogar invariant gegenüber einer Zeitverschiebung. Parallelverschiebung der Koordinatenachsen Eine Verschiebung des Koordinatenursprungs 0 r = r − d0 , d0 = 3 X d0i ei , (3.4) i=1 um einen konstanten Vektor d0 ist eine Galileitransformation. In beiden Systemen können die gleichen Basisvektoren ei gewählt werden, so daß die Achsen von S und S 0 parallel sind. Man nennt dies eine Translation. Abbildung 3.1: Verschiebung des Koordinatenursprungs um einen konstanten Vektor d. Die Koordinatenachsen von S und S 0 sind parallel. Wegen dr = dr 0 folgt die Forminvarianz der Bewegungsgleichung, d2 r 0 dr 0 0 0 0 F = F r + d0 , ,t . m 2 =F ; dt dt (3.5) Invarianz gegenüber Translationen liegt vor, falls die Kraft nur von den Relativvektoren ri − rj , der Massenpunkte abhängt. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 29 Gleichförmige Bewegung Eine Koordinatentransformation zu einem mit der konstanten Geschwindigkeit v0 bewegten Koordinatenssystem r 0 = r − v0 t, v 0 = v − v0 , (3.6) ist eine Galileitransformation. Wegen dv = dv 0 ist die Bewegungsgleichung forminvariant, dv 0 dr 0 0 0 0 m = F ; F = F r + v 0 t, + v0, t . (3.7) dt dt Invarianz liegt vor, falls die Kraft nur von den Relativvektoren ri − rj und den Relativgeschwindigkeiten vi − vj der Massenpunkte abhängt. Orthogonale Transformationen Sei αij eine orthogonale Transformation der Koordinaten x0i = X αij xj , −1 αij = αji . (3.8) j Orthogonale Transformationen werden im folgenden Abschnitt behandelt. Sie stellen ebenfalls Galileitransformationen dar. Die Forminvarianz der Bewegungsgleichung gegenüber orthogonalen Transformationen beruht auf dem Vektorcharakter der Gleichung, d.h. die linke und die rechte Seite der Gleichung transformieren sich in gleicher Weise ! X X X −1 0 −1 mẍ0i = Fi0 , Fi0 = αij Fj αij xj , αij x˙j , t . (3.9) j i i Allgemeine Galileitransformation Die Galileitransformationen bilden eine Gruppe mit insgesamt 10 Parametern: t0 ,v0i ,d0i und die 3 unabhängigen Parameter einer orthogonalen Transformation. Die allgemeine Transformation lautet X x0i = αij xj − v0i t − d0i (3.10) t0 = t − t0 . (3.11) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 3.1.3 30 Orthogonale Transformationen Orthogonale Transformationen sind Transformationen einer Orthonormalbasis. Definition 3.3 Eine Orthonormalbasis im dreidimensionalen Ortsraum ist eine Basis von Einheitsvektoren {ei }, mit i = 1, 2, 3, die jeweils paarweise senkrecht zueinander stehen: 1 ; i=j ei ·ej = δij , δij = . (3.12) 0 ; i 6= j Man bezeichnet δij als das Kroneckersymbol. Es stellt die Elemente der Einheitsmatrix dar. Definition 3.4 Die Einheitsvektoren ei bilden ein Rechtssystem, falls ei ·(ej ×ek ) = ijk , (3.13) mit ijk +1 ; −1 ; = 0 ; i, j, k zyklische Vertauschung von 1, 2, 3 i, j, k antizyklische Vertauschung von 1, 2, 3 . sonst (3.14) Man bezeichnet ijk als den Levi-Civita-Tensor oder den Epsilontensor. Basistransformation Wir untersuchen nun die Eigenschaften von Transformationen, die eine gegebene Orthonormalbasis {ei } in eine neue Orthonormalbasis {e0i } überführen. Jeder Basisvektor der neuen Basis kann als Linearkombination der Basisvektoren der alten Basis geschrieben werden, e0i = 3 X αij ej , αij = e0i ·ej = cos(ϕij ). (3.15) j=1 Die Entwicklungskoeffizienten αij werden als Richtungskosinus bezeichnet, da sie durch den Kosinus des Winkels ϕij zwischen der i-ten neuen und der j-ten alten Richtung dargestellt werden. Als Beispiel betrachten wir eine Drehung des Koordinatensystems um die x3 -Achse um den Winkel ϕ. Nach Abb.(3.2) gilt hier α11 = α22 = cos ϕ, α12 = cos(ϕ − π/2) = sin ϕ, α21 = cos(ϕ + π/2) = − sin ϕ, α33 = 1, α13 = α23 = α31 = α32 = 0. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 31 Als Matrix geschrieben erhält man cos ϕ sin ϕ 0 α = − sin ϕ cos ϕ 0 . 0 0 1 (3.16) Abbildung 3.2: Drehung des kartesischen Koordinatensystems um den Winkel ϕ. Wie man an diesem Beispiel bereits erkennt sind die αij nicht unabhängig voneinander. Allgemein muß man an die Transformation (3.15) noch die Orthonormalitätsbedingungen für die neue Basis stellen, X X e0i ·e0j = αin αjm en ·em = αin αjn = δij . (3.17) n,m n Die Indizes i und j stellen hier die Indizes der Zeilen der Matrix α dar. Die Orthonormalität der neuen Basis wird also durch die Orthonormalität der Zeilen der Transformationsmatrix ausgedrückt. Dies sind insgesamt 6 Bedingungen an die 9 Matrixelemente αij . Eine allgemeine orthogonale Transformation wird durch die verbleibenden 3 freien Parameter festgelegt. Definiert man die transponierte Matrix T αT mit den Elementen αij = αji und die Einheitsmatrix I mit den Elementen δij , so lassen sich die Orthonormalitätsbedingungen in Matrixschreibweise zusammenfassen, (3.18) α·αT = I. Drehungen und Spiegelungen Aus der Orthonormalitätsbedingung folgt, daß die Determinante einer orthogonalen Transformation den Betrag eins besitzt: 2 (3.19) det α·αT = det α det αT = det α = 1. Das Vorzeichen der Determinante, det α = ±1, (3.20) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 32 bestimmt, ob das neue Basissystem ein Rechtssystem (+1)oder ein Linkssystem (−1) darstellt, denn es gilt X X e01 ·(e02 ×e3 )0 = α1i α2j α3k ei ·(ej ×ek ) = (3.21) ijk α1i α2j α3k = det α . i,j,k i,j,k Durch eine stetige Variation der Parameter einer orthogonalen Transformation kann sich das Vorzeichen der Determinante nicht sprunghaft ändern. Drehungen eines Rechtssystems werden daher durch orthogonale Transformationen mit der Determinante +1 dargestellt. Beim Übergang von einem Rechtssytem zu einem Linkssystem muß zusätzlich eine Koordinatenachse gespiegelt werden. Raumspiegelungen stellen keine exakte Symmetrie der physikalischen Gesetze dar. Diese Symmetrie wird durch die schwache Wechselwirkung gebrochen. Umkehrtransformation Da die Determinante einer orthogonalen Transformation immer ungleich Null ist, existiert die Umkehrtransformation. Durch die Entwicklung eines alten Basisvektors nach der neuen Basis erhält man, ei = 3 X −1 0 αij ej , −1 αij = ei ·e0j = αji . (3.22) j=1 Die Orthonormalitätsbedingungen für die alte Basis lauten entsprechend, ei ·ej = X −1 −1 0 αin αjm en ·e0m = X αni αnj = δij . (3.23) n n,m Die Indizes i und j stellen hier die Indizes der Spalten der Matrix α dar. Die Orthonormalität der alten Basis wird also durch die Orthonormalität der Spalten der Transformationsmatrix ausgedrückt. Damit besitzen orthogonale Transformationen die Eigenschaften α·αT = αT ·α = I, α−1 = αT , det α = ±1 . (3.24) Transformation von Vektoren und Skalaren Zur Beschreibung der Drehung von Vektoren unterscheidet man zwei Möglichkeiten. Bei einer passiven Drehung wird die Basis bei festgehaltenen Vektoren gedreht. Umgekehrt werden bei einer aktiven Drehung die Vektoren bei festgehaltener Basis gedreht. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 33 Entwickelt man einen beliebigen Vektor V nach der alten und der neuen Basis einer passiven Drehung, so gilt X X V = Vj ej = Vj0 e0j , j Vi0 = j e0i ·V = X e0i ·ej Vj = j X αij Vj . (3.25) j Man bezeichnet Vi und Vi0 als Darstellungen des Vektors bezüglich der Basis S bzw. S 0 . Diese Darstellungen können auch als Spaltenvektoren 0 V1 V1 (3.26) V 0 = V20 V = V2 , 0 V2 V2 zusammengefaßt werden. Für diese Darstellungen gilt das Transformationsgesetz Vi0 = X V 0 = α·V . αij Vj , (3.27) j Bei einer aktiven Transformation bezeichnet umgekehrt V 0 die Darstellung des alten Vektors und V die Darstellung des neuen Vektors. Demnach gilt hier die inverse Transformation X T 0 Vi = αij . (3.28) Vj , V = αT ·V 0 j Im folgenden werden Drehungen meist unter dem passiven Gesichtspunkt behandelt. Aufgrund der Eigenschaften orthogonaler Transformationen bleiben Skalarprodukte zwischen Vektoren invariant, ! X X X X Xi0 Yi0 = αim αin Xm Xn = αim αin Xm Xn i = n,m 3.2 n,m i,m,n X δmn Xm Xn = X i Xm Ym . m Beschleunigte Bezugssysteme In beschleunigten Bezugssystemen treten in den Bewegungsgleichungen Zusatzterme auf, die als Trägheitskräfte bezeichnet werden. Die Form der Bewegungsgleichungen im beschleunigten System muß durch eine explizite Koordinatentransformation bestimmt werden. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 3.2.1 34 Translatorisch beschleunigtes Bezugssystem Der Ursprung von S 0 werde relativ zum Ursprung von S um einen zeitabhängigen Vektor d(t) verschoben. Ein Punkt P befinde sich in S am Ort r, in S 0 am Ort r 0 . Dann gelten die Transformationsgesetze: r 0 = r − d(t) v 0 = v − ḋ(t) v̇ 0 = v̇ − d̈(t) (3.29) (3.30) (3.31) Die Bewegungsgleichung in S 0 lautet: mv̇ 0 = F − md̈ (3.32) In S 0 tritt eine Trägheitskraft −md̈ auf, die entgegen der Richtung der Beschleunigung wirkt. Bemerkungen: (i) (ii) (iii) Auf ein Teilchen, welches in S 0 ruht (v 0 = 0) wirkt in S die Kraft F = md̈. Auf ein Teilchen, welches in S ruht (v = 0) wirkt in S 0 die Kraft F = −md̈. Einsteinsches Äquivalenzprinzip: Ein homogenes Schwerefeld mit der konstanten Schwerkraft G = mS g ist äquivalent zu einem beschleunigten Bezugssystem mit der Trägheitskraft F T = −mt a. Hierbei wird vorausgesetzt, daß die schwere Masse mS für alle Körper gleich der trägen Masse mt ist und a = −g gesetzt wird. Man kann den Einfluß der Schwerkraft (lokal) eliminieren, indem man sich in ein frei fallendes Bezugssystem begibt. Abbildung 3.3: Beschleunigtes Bezugssystem S 0 mit Beschleunigung a relativ zum Inertialsystem S. Eine in S 0 ruhende Masse m erfährt eine der Beschleunigung entgegengerichtete Trägheitskraft −ma, die äquivalent ist zu einer Schwerebeschleunigung g = −a. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 3.2.2 35 Rotierendes Bezugssystem Ein rotierendes Bezugssystem werde durch eine zeitabhängige Orthonormalbasis {e0i (t)} dargestellt, die sich gegenüber der festen Orthonormalbasis {ei } eines Inertialsystems dreht. Zu jedem Zeitpunkt ist die Transformation der Basis eine orthonormale Transformation, d.h. es gilt X e0i (t) = αij (t)ej . (3.33) j Zur Berechnung der Geschwindigkeit und der Beschleunigung eines Massenpunktes im rotierenden System benötigt man die zeitliche Änderung der Basisvektoren. Diese Änderung kann zu jedem Zeitpunkt durch eine Drehachse und eine Winkelgeschwindigkeit angegeben werden. Wir zeigen dies zuerst am Beispiel einer Rotation um die x3 -Achse und dann allgemein für beliebige Drehungen. Drehung um die x3 -Achse Eine Rotation um die x3 -Achse mit einer Winkelgeschwindigkeit ω = ϕ̇ wird durch eine orthogonale Transformation der Form (3.16) mit einem zeitabhängigen Drehwinkel ϕ(t) dargestellt. Differenziert man (3.16) nach der Zeit, so folgt in Matrixschreibweise 0 e1 cos ϕ(t) sin ϕ(t) 0 e1 d d 0 e2 − sin ϕ(t) cos ϕ(t) 0 e2 = dt dt 0 e3 0 0 1 e3 − sin ϕ(t) cos ϕ(t) 0 e1 = ω − cos ϕ(t) − sin ϕ(t) 0 e2 0 0 0 e3 0 0 1 0 e1 e02 . = ω −1 0 0 0 0 0 e03 Definiert man mit Hilfe der Drehachse e3 und der Winkelgeschindigkeit ω eine vektorielle Winkelgeschwindigkeit ω = ωe3 , so folgt ė01 = ω×e01 ė02 = ω×e02 ė03 = ω×e03 . (3.34) Die spezielle Wahl des Koordinatensystems spielt hierbei keine Rolle, so daß dieses Ergebnis auch auf allgemeine Drehungen angewandt werden kann. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 36 Infinitesimale Rotationen Die Änderung der rotierenden Basis in einem infinitesimalen Zeitintervall dt kann durch eine infinitesimale orthogonale Transformation dargestellt werden. Dies ist eine orthogonale Transformation, die nur in linearer Ordnung in dt von der Einheitsmatrix abweicht, α = I + Ωdt . (3.35) ΩT = −Ω . (3.36) Die Matrix Ω ist antisymmetrisch, Letzteres folgt aus der Orthonormalitätsbedingung α · αT − I = (I + Ωdt) · (I + ΩT dt) − I = Ω + ΩT dt = 0 . (3.37) Eine antisymmetrische 3 × 3 Matrix besitzt nur drei unabhängige Elemente. Diese können den drei Elementen eines Vektors ω auf folgende Weise zugeordnet werden, Ωij = (ei ×ej )·ω = X ijk ωk . (3.38) k Die zugehörige Matrix besitzt die Form 0 ω3 −ω2 0 ω1 Ω = −ω3 ω2 −ω1 0 . (3.39) Unter Verwendung von (3.35) und (3.38) erhält man für die Änderung der Basisvektoren, X e0i (t + dt) = (δij + Ωij dt) e0j (t) j ė0i = X = X j Ωij e0j = X ω·(e0i ×e0j )e0j j (ω×e0i )·e0j e0j = ω×e0i . j Damit ist gezeigt, daß (3.34) auch für beliebige infinitesimale Rotationen gilt. Schreibt man ω = ωn, so definiert der Betrag ω die Winkelgeschwindigkeit und Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 37 der Einheitsvektor n die Richtung der Drehachse. Im allgemeinen ist der Vektor ω(t) zeitabhängig. Drehungen mit konstanter Winkelgeschwindigkeit und Drehachse können in der folgenden Weise veranschaulicht werden. Ein beliebiger Vektor V , der im rotierenden System ruht, besitzt in S 0 die Darstellung X V = Vi0 e0i (t) i mit zeitunabhängigen Komponenten Vi0 . Er ändert sich daher genauso wie die Basisvektoren X X V̇ = Vi0 ė0i = Vi0 ω×e0i = ω × V . i i Der Vektor dreht sich in S auf einem Kegelmantel um die Drehachse. Die Komponente des Vektors entlang der Drehachse bleibt fest. Die Komponente senkrecht zur Drehachse rotiert in der Ebene senkrecht zur Drehachse. Abbildung 3.4: Drehung eines Vektors V um die Drehachse ω. Bewegung im rotierenden System Der Ortsvektor eines Massenpunktes sei r im Inertialsystem S und r 0 im rotierenden System S 0 . Da es sich um denselben Vektor handelt gilt r 0 = r. (3.40) Der Ortsvektor besitzt jedoch in beiden Systemen unterschiedliche Koordinatendarstellungen X X r= xi (t)ei (t) , r0 = x0i (t)e0i (t) . (3.41) i i Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 38 Die Geschwindigkeit des Massenpunktes wird in beiden Systemen unterschiedlich definiert. Ein Beobachter im rotierenden System bestimmt die Geschwindigkeit des Massenpunktes anhand der Koordinatendarstellung in S 0 , X v0 = ẋ0i e0i . (3.42) i Die Geschwindigkeit des Massenpunktes in S ist aber X X v = ṙ = ṙ 0 = ẋ0i e0i + x0i ė0i = ẋ0i e0i + ω×x0i e0i . i (3.43) i Damit ergibt sich für die Geschwindigkeit das Transformationsgesetz v = v0 + ω × r0 . (3.44) Der Unterschied der Geschwindigkeiten ist die Rotationsgeschwindigkeit des Systems. Dieses Transformationsgesetz gilt nicht nur für die Zeitableitung des Ortsvektors, sondern genauso für die Zeitableitung eines beliebigen Vektors. Daher kann man es auch als Transformationsgesetz für die Zeitableitung auffassen, d0 d = + ω×, dt dt (3.45) die links auf die Darstellung im Inertialsystem S und rechts auf die Darstellung im rotierenden System S’ wirkt. Das Transformationsgesetz für die Beschleunigungen erhält man durch zweimalige Anwendung von (3.45), 0 0 d d d2 r = + ω× + ω× r 0 dt2 dt dt dω 0 0 = a0 + 2ω × v 0 + ω×(ω × r 0 ) + ×r . (3.46) dt Die Beschleunigung im rotierenden System wird hierbei definiert durch X a0 = ẍ0i e0i . i Mit dem Transformationsgesetz für die Beschleunigungen erhält man für die Newtonsche Bewegungsgleichung im rotierenden System mr̈ 0 = F + F C + F Z + F A . (3.47) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 39 Hierbei treten die folgenden Scheinkräfte auf F C = −2mω × v 0 F Z = −mω×(ω × r 0 ) F A = −mω̇×r 0 . Man bezeichnet F C als Corioliskraft, F Z als Zentrifugalkraft. Bei einer beschleunigten Drehbewegung wirkt noch die Kraft F A . 3.2.3 Bewegungsgleichung in Polarkoordinaten Polarkoordinaten sind krummlinig orthogonale Koordinaten. Dies bedeutet, daß die Tangenteneinheitsvektoren an die Koordinatenlinien in jedem Punkt ein lokales i.a. gedrehtes Orthonormalsystem bilden. Die lokale Basis am Ort eines bewegten Massenpunktes bildet somit ein rotierendes Bezugssystem, in dem die Bewegungsgleichung die Form (3.47) besitzt. Abbildung 3.5: Koordinatennetz der Polarkoordinaten (r, ϕ) mit lokaler Basis {er , eϕ }. Die Polarkoordinaten (r, ϕ) eines Punktes (x, y) werden durch die Koordinatentransformation x = r cos ϕ, y = r sin ϕ (3.48) definiert. Der Ortsvektors besitzt im kartesischen Basissystem die Form r = r cos ϕ ex + r sin ϕ ey . Seine Änderung in Richtung der Koordinatenlinien r und ϕ bestimmt die Tangenteneinheitsvektoren des lokalen Basissystems ∂r = cos ϕ ex + sin ϕ ey ∂r ∂r = = − sin ϕ ex + cos ϕ ey . r∂ϕ er = eϕ (3.49) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 40 Bei einer Bewegung des Massenpunktes dreht sich diese lokale Basis mit der Winkelgeschwindigkeit ω = ϕ̇ um die z-Achse. Im lokalen Basissystem erhält man für den Ortsvektor (3.41), die Geschwindigkeit (3.44) und die Beschleunigung (3.47) jeweils r = r er v = ṙ er + ωr ez ×er = ṙ er + ωr eϕ . a = r̈ er + 2ω ṙ ez ×er + ω 2 r ez ×(ez ×er ) + ω̇r ez ×er = r̈ er + 2ω ṙ eϕ − ω 2 r er + ω̇r eϕ . (3.50) Damit lauten die beiden Komponenten der Bewegungsgleichung in Polarkoordinaten mr̈ = Fr + mω 2 r, mrϕ̈ = Fϕ − 2mω ṙ , 3.2.4 Fr = F · er , Fϕ = F · eϕ . (3.51) Begleitendes Dreibein Eine Raumkurve definiert in jedem Punkt der Kurve ein spezielles Orthonormalsystem von Basisvektoren, das man als das begleitende Dreibein bezeichnet. Das Dreibein ändert seine Richtung entlang der Kurve, so daß man es hier physikalisch mit einem speziellen rotierenden Bezugssystem zu tun hat. Die Änderungen der Basisvektoren entlang der Kurve definieren die lokalen Kurveneigenschaften der Krümmung und Torsion. Die Komponenten der Beschleunigung definieren die lokale Tangential- und Zentripetalbeschleunigung. Interessiert man sich für die geometrischen Eigenschaften der Bahnkurve, so ist es besser die Bogenlänge s anstelle der Zeit t als Kurvenparameter zu verwenden. Aus dem skalaren Weg-Differential √ ds = dr·dr (3.52) erhält man für eine Kurve mit der Parameterdarstellung r = r(t) die Bogenlänge s(t) mit dem Anfangswert s(0) = 0 durch Zt s= dt0 Zt √ 0 ṙ·ṙ = dt0 v(t0 ) (3.53) 0 Als ersten Basisvektor des Dreibeins definiert man den Tangenten-Einheitsvektor t= dr ṙ = . ds v Es ist ein Einheitsvektor, der in Richtung der Geschwindigkeit gerichtet ist. (3.54) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 41 Ändert der Tangentenvektor t seine Richtung entlang der Kurve, so bildet die Änderung dt zusammen mit t die lokale Kurvenebene. Da t ein Einheitsvektor ist, gilt 1 dt2 dt t· = = 0, ds 2 ds (3.55) d.h. dt steht senkrecht auf t. Als zweiten Einheitsvektor des Dreibeins definiert man daher die Hauptnormale n durch dt = κn ds (3.56) Der Betrag der Änderung wird als die Krümmung κ bezeichnet. Der Kehrwert der Krümmung ist der Krümmungsradius R = 1/κ. Der dritte Einheitsvektor des Dreibeins, die Binormale b, steht senkrecht auf der lokalen Kurvenebene und bildet mit t und n ein Rechtssystem, b = t×n, t = n×b, n = b×t. (3.57) Abbildung 3.6: Begleitendes Zweibein einer ebenen Kurve. Wir bestimmen nun noch die Änderungen der Binormalen und der Hauptnormale. Die Änderung der Binormalen steht senkrecht auf b, da es sich wie in (3.55) um einen Einheitsvektor handelt. Andererseits steht die Änderung auch senkrecht auf t, db dt dn dn = ×n + t× = t× . ds ds ds ds Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 42 Der erste Beitrag verschwindet wegen (3.56). Daher besitzt die Änderung der Binormalen nur eine Komponente in Richtung der Hauptnormalen db = −τ n. ds (3.58) Die Proportionalitätskonstante τ heißt die Torsion der Raumkurve, 1/τ ist der Windungsradius. Die Änderung der Hauptnormalen kann durch die Differentiation von (3.57) ebenfalls bestimmt werden, db dt dn = ×t + b× ds ds ds = −τ n×t + κb×n = τ b − κt. (3.59) Die Änderungen der Basisvektoren des begleitenden Dreibeins werden als Frenetsche Ableitungen bezeichnet: db = −τ n, ds dt = κn, ds dn = τ b − κt ds (3.60) Wir bestimmen noch die Komponenten der Beschleunigung in diesem Basissystem. Die Geschwindigkeit besitzt nur eine Komponente entlang des TangentenEinheitsvektors, v = vt (3.61) Unter Verwendung der Produktregel und der Frenetschen Ableitungen folgt für die Beschleunigung a = v̇t + v ṫ dt ds = at t + aZ n, = v̇t + v 2 (3.62) mit at = v̇ = d2 s , dt2 aZ = v 2 κ = v2 . R Man nennt at die Tangentialbeschleunigung und aZ die Zentripetalbeschleunigung. Kapitel 4 Newtonsche Mechanik Die Newtonschen Grundgesetze der Mechanik bestimmen die Bewegung von Körpern unter der Einwirkung von Kräften. Sie wurden von Newton in der Form von drei Grundgesetzen oder Axiomen formuliert. Sein grundlegendes Werk Philosophiae Naturalis Principia Mathematica (Mathematische Prinzipien der Naturlehre) erschien im Jahr 1687. Als Folgerungen ergeben sich aus den Newtonschen Grundgesetzen die Erhaltungssätze für den Impuls, den Drehimpuls und die Energie. Als Anwendungen der Newtonschen Mechanik behandeln wir Bewegungen im Zentralpotential, das KeplerProblem, die Coulomb-Streuung und das Zweikörperproblem. 4.1 Newtonsche Gesetze Die Newtonschen Gesetze werden im folgenden nach Ernst Mach zitiert und dann formelmäßig angegeben. Erstes Gesetz: Jeder Körper beharrt in seinem Zustand der Ruhe oder gleichförmigen geradlinigen Bewegung, wenn er nicht durch einwirkende Kräfte gezwungen wird, seinen Zustand zu ändern. F =0 =⇒ p = mv = const. (4.1) Das erste Newtonsche Gesetz ist eine Neuformulierung des Galileischen Trägheitsgesetzes. Galilei hatte bereits die gleichförmige Bewegung auf einer horizontalen Ebene (als Grenzfall der schiefen Ebene) beobachtet und dabei das Trägheitsgesetz 43 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 44 entdeckt. Dies widersprach der jahrhundertealten Vorstellung, daß Bewegung von selbst zur Ruhe kommt. Bei Newton bekommt das Trägheitsgesetz eine universelle Bedeutung. Das Trägheitsgesetz gilt nur in ausgezeichneten Bezugssystemen, nämlich den Inertialsystemen. Man kann es daher auch als eine Definition der Bezugssysteme ansehen, in denen die Newtonschen Gesetze gelten. Damit bekommt es eine vom zweiten Newtonschen Gesetz unabhängige Bedeutung. Zweites Gesetz: Die Änderung der Bewegung ist der Einwirkung der bewegenden Kraft proportional und geschieht nach der Richtung derjenigen geraden Linie, nach welcher jene Kraft wirkt. dp =F dt (4.2) Mit Änderung der Bewegung ist nach heutiger Ausdrucksweise Änderung des Impulses gemeint. Die Kraft ist eine gerichtete Größe, also ein Vektor. Sie ändert im allgemeinen Betrag und Richtung des Impulses. Bei konstanter Masse gilt das Beschleunigungsgesetz d2 r (4.3) m 2 =F . dt Die Beschleunigung ist also umgekehrt proportional zur Masse. Die Kraft hängt von der Wechselwirkung ab. Neben den Bewegungsgesetzen wurde von Newton auch das Gesetz für die Gravitationskraft eingeführt. Das Newtonsche Gravitationsgesetz führt alle Schwerkräfte auf eine Anziehungskraft zwischen Massen zurück. Die Kraft, die von einer Masse m2 am Ort r 2 auf eine Masse m1 am Ort r 1 ausgeübt wird ist, m1 m2 r 1 − r 2 F 12 = −γ . (4.4) 2 r12 r12 Hierbei ist r12 = kr 1 − r 2 k der Abstand der Massenpunkte und γ die Gravitationskonstante. In der Elektrostatik gilt für die Kraftwirkung zwischen zwei Ladungen q1 und q2 das analoge Coulombgesetz, q1 q2 r 1 − r 2 F 12 = k 2 . (4.5) r12 r12 Gleichnamige Ladungen (q1 q2 > 0) stoßen sich ab, ungleichnamige (q1 q2 < 0) ziehen sich an. Die Proportionalitätskonstante k ist vom Maßsystem abhängig. Im Gaußsystem gilt k = 1. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 45 Abbildung 4.1: Gravitationskraft zwischen zwei Massenpunkten. Die Kräfte auf die beiden Massenpunkte sind betragsmäßig gleich aber entgegengesetzt entlang der Verbindungslinie der Massen gerichtet. In der Elektrodynamik wird die Kraft auf eine Ladung q durch das elektrische Feld E(r) und das magnetische Feld B(r) am Ort r der Ladung bestimmt. Im Gaußsystem gilt 1 (4.6) F = q(E + v × B). c Drittes Gesetz: Die Wirkung ist stets der Gegenwirkung gleich, oder die Wirkungen zweier Körper aufeinander sind stets gleich und von entgegengesetzter Richtung. F 12 = −F 21 , r 1 ×F 12 = −r 2 ×F 21 . (4.7) Der Begriff Wirkung wurde hier sowohl als Kraft als auch als Drehmoment gedeutet. Die Kräfte auf zwei Massenpunkte sind demnach einander entgegengesetzt gleich und wirken entlang der Verbindungslinie der Massenpunkte, (r 1 − r 2 )×F 12 = 0 . (4.8) In Kurzform wird dieses Gesetz als actio=reactio bezeichnet. Das bedeutet z.B., daß ein fallender Stein die Erde genauso stark anzieht wie die Erde den fallenden Stein. Aufgrund der größeren Masse ist aber die Beschleunigung der Erde sehr viel kleiner als die des Steins. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 46 Abbildung 4.2: Links: Actio=reactio gilt für die Kräfte aber nicht für die Drehmomente. Rechts: Actio=reactio gilt für die Kräfte und für die Drehmomente. Die Kräfte sind in diesem Fall nicht nur entgegengesetzt gleich sondern auch entlang der Verbindungslinie der Massen gerichtet. Zusatz Greifen an einem Körper mehrere Kräfte an, so addieren sich diese vektoriell, X F = F i. (4.9) i Dies wird als Superpositionsprinzip der Kräfte oder als Regel vom Parallelogramm der Kräfte bezeichnet. Es wurde von Newton als Zusatz zu den Bewegungsgesetzen angegeben. 4.2 Erhaltungssätze Aus den Newtonschen Gesetzen folgen Erhaltungssätze für den Impuls, den Drehimpuls und die Energie. Wir betrachten zunächst einen Massenpunkt in einem äußeren Kraftfeld. 4.2.1 Impulssatz Die Änderung des Impulses wird durch das zweite Newtonsche Gesetz (4.2) bestimmt. Es wird daher auch als Impulssatz bezeichnet. Impulserhaltung gilt falls auf den Massenpunkt keine Kraft einwirkt, F =0 =⇒ p = mv = const . (4.10) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 4.2.2 47 Drehimpulssatz Ein Massenpunkt bewege sich gleichförmig auf einer Kreisbahn mit Radius r. Bei einer Veränderung des Radius stellt man fest, daß der Drehimpuls L = rp erhalten ist. Es liegt nahe, daß es sich bei dieser Erhaltungsgröße ebenfalls um einen Vektor handelt. Da die Vektoren r und p ihre Richtung ändern, muß dieser Vektor senkrecht auf der Bewegungsebene stehen. Man definiert allgemein für einen Massenpunkt am Ort r mit Impuls p den Drehimpulsvektor L = r×p. (4.11) Für eine Kreisbahn besitzt der Betrag von L den Maximalwert L = rp. Für eine Gerade durch den Ursprung verschwindet der Drehimpuls. Abbildung 4.3: Radiale Bewegung mit Drehimpuls L = 0 und Kreisbewegung mit Drehimpuls L = rp. Der Drehimpuls hängt vom Bezugspunkt ab. Von einem beliebigen festen Bezugspunkt r 0 aus ist der Ortsvektor r 0 = r(t) − r 0 und der Drehimpuls L0 = r 0 ×p = L − r 0 ×p. Die zeitliche Änderung des Drehimpulses (4.11) ergibt nach der Produktregel dL = v × p + r × ṗ = r × F . dt Der erste Term verschwindet, da v parallel ist zu p = mv. Im zweiten Term wurde die Bewegungsgleichung (4.2) eingesetzt. Damit lautet der Drehimpulssatz, dL = N, dt N = r × F. (4.12) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 48 Hierbei bezeichnet N das Drehmoment der Kraft F am Ort r. Der Drehimpuls ändert sich durch Einwirkung eines Drehmomentes. Drehimpulserhaltungssatz: Wirkt auf den Massenpunkt kein Drehmoment, so gilt ⇒ N =0 L = mr×v = const. (4.13) Aufgrund der Drehimpulserhaltung verläuft die Bewegung entweder entlang einer Ursprungsgeraden L = 0, vkr oder in einer Ebene senkrecht zum Drehimpulsvektor L 6= 0, v · L = r · L = 0. Die Bahnebene wird hierbei durch die beiden zu L senkrechten Vektoren r und v aufgespannt. Flächensatz: Eine geometrische Deutung der Drehimpulserhaltung gibt der Flächensatz. Der Ortsvektor zum Massenpunkt überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen. Abbildung 4.4: Ist der Drehimpuls erhalten, so werden vom Ortsvektor r in gleichen Zeiten gleiche Flächen überstrichen. Beweis: Im Zeitintervall dt bewegt sich der Massenpunkt um dr = vdt. Hierbei überstreicht der Ortsvektor die Fläche 1 1 dS = |r×dr| = Ldt. 2 2m Bei konstantem Drehimpuls ist die Flächenänderungsrate dS/dt konstant. (4.14) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 4.2.3 49 Energiesatz Die kinetische Energie eines Massenpunktes mit der Masse m und der Geschwindigkeit v wird definiert durch T = 1 mv 2 . 2 (4.15) Dies ist eine Verallgemeinerung der Definition (2.3) für eindimensionale Bewegungen. Die kinetische Energie ist richtungsunabhängig. Sie hängt nur vom Betragsquadrat v 2 = v · v ab. Für die zeitliche Änderung der kinetischen Energie erhält man mit Hilfe der Bewegungsgleichung (4.2) dT = mv · v̇ = F · v. dt Man bezeichnet diese Änderung als die von der Kraft verrichtete Leistung P =F ·v . (4.16) Im Zeitintervall dt ändert sich der Ort des Massenpunktes um dr = vdt. Man bezeichnet dW = P dt = F ·dr . (4.17) als die von der Kraft F längs des vektoriellen Wegelementes dr geleistete Arbeit. Nur die Kraftkomponente parallel zum Wegelement verrichtet Arbeit. Zum Beispiel verrichtet die Lorentzkraft keine Arbeit, wenn sich eine Ladung q in einem Magnetfeld B mit der Geschwindigkeit v bewegt: q dW = F ·vdt = (v×B)·vdt = 0. c Bewegt sich der Massenpunkt zwischen den Zeitpunkten t0 und t1 von einem Anfangspunkt r 0 zu einem Endpunkt r 1 entlang einer Kurve γ, so erhält man für diesen Weg den Energiesatz Zt1 Z T1 − T0 = F ·dr = γ F (r(t), v(t), t)·v(t)dt . (4.18) t0 Die Änderung der kinetischen Energie ist gleich der gesamten von der Kraft auf dem Weg verrichteten Arbeit. Im allgemeinen hängt die von einer Kraft F = F (r(t), ṙ(t), t) verrichtete Arbeit vom Verlauf der Bahnkurve r(t) ab (Abb. 4.5). Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 50 Abbildung 4.5: Für jedes Wegelement dr verrichtet die Tangentialkomponente der Kraft F die Arbeit dW = F ·dr (links). Die Gesamtarbeit, die zwischen einem Anfangspunkt 1 und einem Endpunkt 2 verrichtet wird, hängt im allgemeinen vom Weg ab (rechts). Für den Weg γ1 ist die Tangentialkomponente der Kraft immer kleiner als für den Weg γ2 . Energieerhaltung Ein wichtiger Spezialfall liegt vor, wenn die Arbeit wegunabhängig ist, d.h. für alle Wege zwischen zwei Endpunkten hängt die Arbeit nur von der Lage der Endpunkte ab. In diesem Fall gibt es einen Energieerhaltungssatz und die Kraft wird als konservativ bezeichnet. Ein Beispiel einer konservativen Kraft ist die Schwerkraft. Für einen beliebigen Weg von der Höhe z0 auf die Höhe z1 verrichtet die Schwerkraft G = −mgez immer die Arbeit Zr 1 W = Zz1 dz(−mg) = −mg(z1 − z0 ) = U (z0 ) − U (z1 ). dr·G = r0 z0 Hierbei ist U (z) = mgz die potentielle Energie, die nur von der Höhe des Körpers abhängt. Ist die Arbeit wegunabhängig, so kann man allgemein eine potentielle Energie R U (r) = − F ·dr (4.19) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 51 definieren. Ohne Einschränkung kann man einen beliebigen Weg wählen und entlang dieses Weges mit der Bogenlänge als Kurvenparameter eine Stammfunktion berechnen, Z dr . U (r) = − (F ·t) ds , t= ds Die Arbeit ist dann die Differenz der potentiellen Energien in den Endpunkten des Weges, r 1 Zr 1 (4.20) W = F ·dr = −U (r) = U (r 0 ) − U (r 1 ) . r 0 r0 Aus dem Energiesatz (4.18) folgt mit (4.20) T1 + U (r 1 ) = T0 + U (r 0 ) = E. Da der Endpunkt beliebig gewählt werden kann, bleibt die Gesamtenergie E bei der Bewegung r = r(t) mit der Geschwindigkeit v = v(t) konstant und es gilt der Energieerhaltungssatz 1 mv 2 + U (r) = E 2 (4.21) Konservative Kräfte Es stellt sich nun die Frage, welche Kräfte konservativ sind, d.h. ein Potential besitzen. Dazu nehmen wir an, daß ein Potential existiert und leiten daraus die allgemeine Form des zugehörigen Kraftfeldes her. Es existiere ein Potential U (r), so daß die Arbeit wegunabhängig ist und der Energiesatz (4.21) gilt. Dann erhält man durch Zeitableitung dU dT + = (F + ∇U )·v = 0 . dt dt Hierbei bezeichnet ∇ = ex (4.22) ∂ ∂ ∂ + ey + ez ∂x ∂y ∂z (4.23) ∂U ∂U ∂U + ey + ez ∂x ∂y ∂z (4.24) den Nabla-Operator und ∇U = ex den Gradienten von U . Allgemein kann das Differential einer Funktion f (r) mit Hilfe des Gradienten angegeben werden, df = ∂f ∂f ∂f dx + dy + dz = dr·∇f. ∂x ∂y ∂z (4.25) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 52 Aus (4.22) folgt, daß der Vektor F + ∇U senkrecht auf der Geschwindigkeit v steht. Mit einem beliebigen Vektor A gilt daher für konservative Kräfte F = −∇U + v×A. (4.26) Insbesondere haben geschwindigkeitsunabhängige konservative Kräfte die einfache Form F = −∇U . (4.27) Ein notwendiges und hinreichendes Kriterium dafür, daß eine geschwindigkeitsunabhängige Kraft in einem zusammenhängenden Gebiet konservativ ist, lautet ∇ × F = 0. (4.28) Man bezeichnet das Kreuzprodukt von F mit Nabla als die Rotation von F . In Komponenteschreibweise gilt, (∇ × F )i = X jk ijk ∂Fk . ∂xj Die Bedingung ist notwendig. Ist F konservativ, so folgt daraus notwendig (4.28). Denn eine konservative ortsabhängige Kraft ist nach (4.27) aus einem Potential ableitbar und die Rotation des Gradienten verschwindet: (∇ × F )i = − X jk ijk X X ∂2U ∂2U ∂2U =− ikj = ijk = 0. ∂xj ∂xk ∂xk ∂xj ∂xj ∂xk kj jk Umgekehrt kann man auch zeigen, daß die Bedingung (4.28) hinreichend dafür ist, daß die Arbeit wegunabhängig ist. Dies folgt aus dem Stokeschen Satz, der aber erst in der Vektoranalysis und in der Elektrostatik behandelt wird. 4.3 Systeme von Massenpunkten Wir betrachten nun ein System von N Massenpunkten mit den Bewegungsgleichungen mi r̈ i = F i , i = 1, 2, 3, · · · , N. (4.29) Für die Kraft auf den i-ten Massenpunkt gilt das Superpositionsprinzip der Kräfte, Fi = N X j=1,j6=i F ij + F ei . (4.30) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 53 Hierbei bezeichnet F ei eine externe Kraft auf den i-ten Massenpunkt und F ij die Wechselwirkungskraft, die vom j-ten auf den i-ten Massenpunkt ausgeübt wird. Für die Wechselwirkungskräfte gelte das actio=reactio Gesetz, F ij = −F ji , 4.3.1 r i ×F ij = −r j ×F ji . (4.31) Additive Bewegungsgrößen Für Systeme von Massenpunkten definiert man eine Reihe von additiven Bewegungsgrößen, M = N X i=1 N P mi , Gesamtmasse mi r i i=1 , M N X P = mi ṙ i , R = L = T = i=1 N X i=1 N X i=1 4.3.2 (4.32) Schwerpunkt , (4.33) Gesamtimpuls (4.34) r i ×(mi ṙ i ), 1 mi ṙi2 , 2 Gesamtdrehimpuls (4.35) Gesamte kinetische Energie (4.36) Impulssatz und Schwerpunkt Der Schwerpunkt ist dadurch ausgezeichnet, daß seine Bewegung durch die Gesamtmasse und durch die Gesamtkraft auf die Massenverteilung, N X Fi = i=1 N X F ei = F e , (4.37) i=1 bestimmt wird. Die Gesamtkraft hängt nur von den externen Kräften ab, da sich die Wechselwirkungskräfte wegen des Gesetzes von actio=reactio zu Null addieren, X X X X F ij = F ij + F ij = F ij + F ji = 0. i,j,i6=j i,j,i<j i,j,i>j i,j,i<j Für den Schwerpunkt gelten die Bewegungsgleichungen, M Ṙ = P , Ṗ = M R̈ = F e . (4.38) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 54 Die erste Gleichung ergibt sich aus der Definition des Schwerpunktes durch einmalige Zeitableitung. Demnach bewegt sich der Schwerpunkt mit derselben Geschwindigkeit wie ein Massenpunkt mit der Masse M und mit dem Impuls P . Die zweite Gleichung ist der Impulssatz des Gesamtsystems. Ändert sich die externe Kraft nur wenig über die Massenverteilung, so kann sie näherungsweise im Schwerpunkt ausgewertet werden, e F = N X F ei (r i ) ≈ i=1 N X F ei (R) = F e (R). i=1 In diesem Fall ist die Schwerpunktsbewegung unabhängig von der Bewegung der einzelnen Massenpunkte und kann tatsächlich durch einen einzigen Massenpunkt mit der Gesamtmasse M ersetzt werden. Unter dieser Voraussetzung ist die Idealisierung ausgedehnter Körper als Massenpunkte gerechtfertigt. Gibt es keine äußeren Kräfte, so bezeichnet man das System als abgeschlossen. Für ein abgeschlossenes System ist der Gesamtimpuls erhalten. Der Schwerpunkt ist dann entweder in Ruhe oder er bewegt sich gleichförmig, F e = 0 ⇒ P = P 0, R = R0 + 1 P t. M (4.39) Die Bewegung der Massenpunkte relativ zum Schwerpunkt wird durch die Relativvektoren r 0i = r i − R (4.40) beschrieben. Die Relativvektoren sind die Ortsvektoren der Massenpunkte in einem Bezugssystem S 0 , dessen Ursprung im Schwerpunkt liegt. Daher verschwinden der Schwerpunkt und der Gesamtimpuls in S’ 0 MR = P0 = N X i=1 N X i=1 mi r 0i = mi ṙ 0i = N X i=1 N X mi (r i − R) = M (R − R) = 0. mi (ṙ i − Ṙ) = P − M Ṙ = 0. (4.41) i=1 Der Drehimpuls L’ in S’ ist der Gesamtdrehimpuls um den Schwerpunkt. Er unterscheidet sich vom Drehimpuls L in S durch den Drehimpuls des mit dem Gesamtimpuls P bewegten Schwerpunktes, L = L0 + R×P . (4.42) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 55 Dieses Transformationsgesetz folgt mit (4.41) aus, L = = N X i=1 N X r i ×(mi ṙ i ) = N X r 0i ×(mi ṙ 0 i ) + (r 0i + R)×(mi ṙ i ) i=1 N X mi r 0i ×(Ṙ) + R × P i=1 i=1 0 = L + R × P. Für die kinetische Energie T erhält man eine entsprechende Zerlegung, 1 T = T 0 + M Ṙ2 , 2 (4.43) in die kinetische Energie T ’ und die kinetische Energie des mit der Gesamtmasse bewegten Schwerpunktes. Dies folgt aus T = = N X 1 i=1 N X i=1 2 mi (ṙ 0i + Ṙ)2 1 mi (ṙi02 + 2ṙ 0i ·Ṙ + Ṙ2 ) 2 1 = T 0 + M Ṙ2 . 2 4.3.3 Drehimpulssatz Für ein System von Massenpunkten lautet der Drehimpulssatz L̇ = N e . (4.44) Hierbei bezeichnet L den Gesamtdrehimpuls und N e das Gesamtdrehmoment der externen Kräfte, N X Ne = r i ×F ei . i=1 Beweis: Zur Herleitung von (4.44) verwenden wir den Drehimpulssatz (4.12) für den i-ten Massenpunkt und erhalten durch Summation über die Massenpunkte L̇ = N X i=1 L̇i = N X i=1 r i ×F i . Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 56 Die Drehmomente, die durch die Wechselwirkungskräfte ausgeübt werden, addieren sich wegen des actio=reactio-Gesetzes zu Null, X X X X r i ×F ij = r i ×F ij + r i ×F ij = r i ×F ij + r j ×F ji = 0. i,j,i<j i,j,i6=j i,j,i>j i,j,i<j Damit reduziert sich das Gesamtdrehmoment auf die Summe der Drehmomente der externen Kräfte N e . Wird auf das System kein externes Drehmoment ausgeübt, dann gilt der Drehimpulserhaltungssatz Ne = 0 4.3.4 ⇒ L = const. (4.45) Energiesatz Für ein System von Massenpunkten sei die potentielle Energie U= N X i=1 Ui (r i ) + 1 X Uij (rij ), 2 i,j,i6=j rij = |r i − r j |, Uij = Uji . (4.46) Die Potentiale Ui (r i ) entsprechen konservativen externen Kräften ∇ i = ∇ r =r i , F ei = −∇i Ui , die Potentiale Uij (rij ) konservativen Wechselwirkungskräften F ij = −∇i Uij (rij ) = Fij (rij ) ri − rj , rij mit dUij (r) r , ∇r = . dr r Da die Wechselwirkungspotentiale nur vom Abstand der Massenpunkte abhängen und in den Indizes symmetrisch sind, erfüllen die zugehörigen Wechselwirkungskräfte das actio=reactio-Gesetz (4.7). Der Faktor 1/2 in der potentiellen Energie (4.46) beruht darauf, daß die Wechselwirkungspotentiale für jedes Teilchenpaar nur einmal gezählt werden dürfen. Wegen der Symmetrie gegenüber einer Teilchenvertauschung gilt für diese Wechselwirkungsenergie, Fij (r) = − 1 X Uij + Uji 2 i,j,i<j i,j,i<j ! X 1 X 1 X = Uij + Uij = Uij . 2 i,j,i<j 2 i,j,i6=j i,j,j<i UW = X Uij = Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 57 Mit der kinetischen Energie, N 1X T = mi ṙi2 , 2 i=1 lautet der Energieerhaltungssatz T + U = E = const. (4.47) Beweis: Zum Beweis des Energieerhaltungssatzes ist zu zeigen, daß die Zeitableitung der Gesamtenergie E verschwindet, wenn die Bewegung der Massenpunkte den Bewegungsgleichungen (4.29) genügt. Für die zeitliche Änderung der Wechselwirkungsenergie gilt dUW dt d X Uij (rij ) dt i,j,i<j X = (∇i Uij ) ·ṙ i + (∇j Uij ) ·ṙ j = i,j,i<j = X (∇i Uij ) ·ṙ i + i,j,i<j X (∇i Uji ) ·ṙ i i,j,j<i ! = X (∇i Uij ) ·ṙ i = − i,j,i6=j X X i j,j6=i F ij ·ṙ i . Dies ist gerade die zeitliche Abnahme der potentiellen Energie des Systems aufgrund der von den Wechselwirkungskräften geleisteten Arbeit. Damit folgt für die zeitliche Änderung der Gesamtenergie, X X d dUW (T + U ) = mi ṙ i ·r̈ i + (∇i Ui ) ·ṙ i + dt dt i i ! X X = mi r̈ i − F ei − F ij ·ṙ i = 0. i 4.3.5 j,j6=i Virialsatz Der Virialsatz macht eine Aussage über den zeitlichen Mittelwert der kinetischen Energie. In vielen Fällen kann man sogar angeben, wie sich die Energie im Zeitmittel auf die kinetische und die potentielle Energie aufteilt. Als Voraussetzung für den Virialsatz werde angenommen, daß die Bewegungsgleichung für den i-ten Massenpunkt die Form ṗi = F i Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 58 besitzt und daß die Größe G(t) = X pi (t)·r i (t) i für alle Zeiten beschränkt bleibt. Die letzte Annahme ist erfüllt wenn die Bewegung in einem endlichen Raumgebiet lokalisiert ist und die Energie endlich bleibt. Dies ist insbesondere bei allen beschränkten periodischen Bewegungen der Fall. Dann gilt der Virialsatz T =− 1X F i ·r i 2 i (4.48) wobei 1 f = lim τ →∞ τ +τ Z /2 f (t)dt −τ /2 das Zeitmittel der Funktion f (t) bezeichnet. Beweis: Der Beweis des Virialsatzes beruht auf der Identität X dG X = ṗi ·r i + pi ·ṙ i = F i ·r i + 2T. dt i i Da G beschränkt ist, verschwindet das Zeitmittel der linken Seite: G(τ /2) − G(−τ /2) dG = lim = 0. τ →∞ dt τ Aus dem Zeitmittel der rechten Seite ergibt sich dann (4.48). Beispiele: Für einen harmonischen Oszillator mit der potentiellen Energie U = f x2 /2 folgt aus dem Virialsatz die Gleichverteilung von kinetischer und potentieller Energie, 1 T = − (−f x)x = U 2 Für ein Zentralpotential U = −α/r einer Zentralkraft F = −αr/r3 ist die mittlere kinetische Energie betragsmäßig halb so groß wie die mittlere potentielle Energie, 1 1 T = − (−αr/r3 )·r = − U . 2 2 Für ein freies Teilchen (F = 0) ergibt der Virialsatz das offensichtlich unrichtige Ergebnis T = 0. Hier ist die Voraussetzung des Satzes nicht erfüllt, daß die Bewegung in einem endlichen Raumbereich verläuft. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 4.4 59 Zentralpotential Wir betrachten nun die Bewegung eines Massenpunktes in einem Zentralfeld der Form, r U = U (r), F = −∇U = −U 0 (r) . (4.49) r Die potentielle Energie hängt nur vom Abstand r vom Kraftzentrum ab. Die Äquipotentialflächen sind Kugelflächen. Der Gradient zeigt in Richtung der Flächennormalen. Die abgeleitete Zentralkraft ist daher in radialer Richtung gerichtet. Ein Zentralfeld wird von einer Masse erzeugt, die so groß ist, daß sie als unbeweglich im Ursprung des Koordinatensystems angenommen werden kann. Erhaltungssätze Die Bewegung eines Teilchens im Zentralpotential kann man aufgrund der Erhaltung des Drehimpulses und der Energie auf eine eindimensionale Bewegung in einem effektiven Potential zurückführen. Eine Zentralkraft erzeugt kein Drehmoment, da sie parallel zum Ortsvektor gerichtet ist, N = r × F = (F (r)/r)r × r = 0. Damit gilt der Drehimpulserhaltungssatz (4.13). Wie bereits gezeigt, verläuft die Bahn in diesem Fall in einer Ebene senkrecht zum Drehimpulsvektor. In der Bahnebene beschreiben wir die Bewegung durch Polarkoordinaten (r(t), ϕ(t)). Abbildung 4.6: In Polarkoordinaten(r, ϕ) ist die Änderung des Ortsvektors dr = drer + rdϕeϕ . Unter Verwendung der Darstellung (3.50) oder nach Abb.(4.6) erhält man in Polarkoordinaten r = rer , v = ṙer + rϕ̇eϕ , r × v = r2 ϕ̇ez , v 2 = ṙ2 + r2 ϕ̇2 . Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 60 Damit lauten der Drehimpuls- und Energieerhaltungssatz L = mr2 ϕ̇ = const, 1 2 1 2 2 E = mṙ + mr ϕ̇ + U (r) = const. 2 2 (4.50) (4.51) Diese Erhaltungssätze bilden ein System von 2 gekoppelten Differentialgleichungen 1. Ordnung für die Funktionen r(t) und ϕ(t). Zur eindeutigen Festlegung einer Lösung sind noch zwei Anfangsbedingungen r(0) = r0 , ϕ(0) = ϕ0 (4.52) erforderlich. Die Newtonsche Bewegungsgleichung für einen Massenpunkt stellt ein System von 3 gekoppelten Differentialgleichungen 2.Ordnung dar. Die allgemeine Lösung besitzt 6 Integrationskonstanten. 4 Integrationskonstanten werden durch die Energie und die drei Komponenten des Drehimpulses bestimmt. Die restlichen beiden Integrationskonstanten sind durch (4.52) festgelegt. Integration der Bewegungsgleichungen Eliminiert man ϕ̇ mit Hilfe der Beziehungen ϕ̇ = L , mr2 1 2 2 L2 mr ϕ̇ = 2 2mr2 (4.53) so lautet der Energiesatz 1 E = mṙ2 + Uef f (r), 2 Uef f (r) = U (r) + L2 . 2mr2 (4.54) Man kann die Radialbewegung r = r(t) als eine eindimensionale Bewegung in einem effektiven Potential Uef f (r) auffassen und entsprechend integrieren r Z r(t) 2 dr0 q . ṙ = ± (E − Uef f ), t=± m 2 r0 (E − U ) m ef f Die Lösung t = t(r) bestimmt implizit die Radialbewegung r = r(t). Damit kann die Winkelbewegung ϕ = ϕ(t) ebenfalls integriert werden, Zt ϕ(t) = ϕ0 + 0 L 0 dt . mr2 (4.55) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 61 Die Bewegung r = r(t), ϕ = ϕ(t) stellt eine Parameterdarstellung der Bahnkurve r = r(ϕ) mit dem Kurvenparameter t dar. Die Bahnkurve kann wegen dϕ ϕ̇ L = =± p 2 dr ṙ r 2m(E − Uef f ) (4.56) auch direkt durch das Integral Z r(t) ϕ = ϕ0 ± r0 r2 Ldr p , 2m(E − Uef f ) (4.57) dargestellt werden. Die Umkehrung von ϕ = ϕ(r) ergibt r = r(ϕ). Bahnkurven Die Radialbwegung wird durch das effektive Potential Uef f (r) bestimmt. Das effektive Potential Uef f (r) ist die Summe aus dem Zentralpotential U (r) und einem Potential Uz = L2 /2mr2 , das als Zentrifugalpotential bezeichnet wird. Abbildung (4.7) zeigt das effektive Potential für die Potentiale U = αr2 und U = −α/r mit α > 0. Die Radialbewegung ist auf die Bereiche mit E > Uef f eingeschränkt. Punkte, in denen E = Uef f sind Umkehrpunkte der Radialbewegung. Falls die Bedingung E > Uef f nur in einem endlichen Intervall rmin < r < rmax erfüllt ist, spricht man von einer gebundenen Bahn. Abbildung 4.7: Effektives Potential Uef f = U +L2 /2mr2 für U = αr2 und U = −α/r. An den Umkehrpunkten der Radialbewegung gilt ṙ = 0 aber ϕ̇ 6= 0, nach (4.53). Daher dreht sich der Ortsvektor an diesen Umkehrpunkten in der Bahnebene weiter. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 62 Bei einer ungebundenen Bewegung kommt die Bahn aus dem Unendlichen, nähert sich dem Kraftzentrum bis auf einen minimalen Abstand r0 und entfernt sich dann wieder ins Unendliche. Abbildung 4.8: Bahnkurven einer ungebundenen Bewegung in einem anziehenden (rechts) und einem abstoßenden (links) Zentralpotential. Die Bahn nähert sich dem Zentrum bis zum minimalen Abstand r0 . Bei einer gebundenen Bahn verläuft die Radialbewegung zwischen zwei Umkehrpunkten rmin und rmax . Einem Umlauf im effektiven Potential von rmin nach rmax und zurück nach rmin entspricht ein Winkelzuwachs Z rmax 2Ldr p (4.58) ∆ϕ = 2 2m(E − Uef f ) rmin r für den Umlauf des Teilchens um das Kraftzentrum. Die Bahn des Teilchens verläuft, wie in Abb. (4.9) dargestellt innerhalb eines Kreisringes, wobei sich die Radien zu zwei aufeinanderfolgenden Scheitelpunkten der Bahn am äußeren bzw. inneren Rand des Ringes um den Winkel (4.58) drehen. Die Bahn ist geschlossen, falls für ganzzahlige m und n die Bedingung m∆ϕ = n2π (4.59) erfüllt wird. Dann schließt sich die Bahn nach m Umläufen im effektiven Potential bzw. n Umläufen um das Kraftzentrum (Rosettenbahn). Ist ∆ϕ kein rationales Vielfaches von 2π, so ist die Bahn offen und erfüllt nach beliebig vielen Umläufen den gesamten Kreisring. Man kann zeigen, daß sie jedem Punkt des Kreisringes beliebig nahe kommt und bezeichnet solche Bahnen als ergodisch. Newtonsche Bewegungsgleichung: Zum selben Ergebnis gelangt man auch durch direkte Lösung der Newtonschen Bewegungsgleichung mr̈ = m{(r̈ − rϕ̇2 )er + (rϕ̈ + 2ṙϕ̇)eϕ } = −U 0 (r)er (4.60) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 63 Abbildung 4.9: Bahnkurve einer gebundenen Bewegung in einem Zentralpotential. Die Bahn verläuft innerhalb des Kreisringes zwischen rmin und rmax . Die Teilstücke der Bahn zwischen 2 Umkehrpunkten sind jeweils spiegelsymmetrisch bezüglich der vom Zentrum zu den Umkehrpunkten gerichteten Radien rmin bzw. rmax . in der Bahnebene. Die Komponente der Bewegungsgleichung in Richtung eϕ , rϕ̈ + 2ṙϕ̇ = 1d 2 r ϕ̇ = 0 r dt (4.61) ergibt die Drehimpulserhaltung L = mr2 ϕ̇ = const. Damit kann die Radialkomponente der Bewegungsgleichung in der Form mr̈ = −U 0 (r) + mr L2 0 = −Uef f (r) 2 4 mr (4.62) angegeben werden. Zusätzlich zur vorgegebenen Zentralkraft tritt eine Zentrifugalkraft auf, die immer radial nach außen gerichtet ist und aus dem Zentrifugalpotential abgeleitet werden kann. Der Energiesatz dieser eindimensionalen Bewegungsgleichung stimmt mit dem obigen Energiesatz für die Gesamtenergie des Teilchens überein. 4.5 Kepler-Problem Die Bestimmung der Bewegung eines Massenpunktes in einem Zentralfeld der Form α U (r) = − , r F =− α r , r2 r α = const, (4.63) wird als das Kepler-Problem bezeichnet. Für α = γmM ist es auf die Planetenbewegung (Masse m) um die Sonne (Masse M ) anwendbar, wobei die Sonne als festes Zentrum behandelt wird. Im Rahmen der Newtonschen Theorie können die Keplerschen Planetengesetze hergeleitet und durch das universelle Gravitationsgesetz Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 64 (4.63) begründet werden. Dies war einer der größten und überzeugensten Erfolge der Newtonschen Mechanik. Für α = q1 q1 erhält man das Coulomb-Gesetz der Elektrostatik. Es beschreibt zum Beispiel die klassischen Elektronenbahnen in einem Atom oder die Streuung geladener Teilchen. Für α > 0 ist das Potential anziehend, für α < 0 abstoßend. Keplersche Gesetze 1.) Die Planetenbahnen sind Ellipsen. Die Sonne befindet sich in einem Brennpunkt der Ellipse. 2.) Der von der Sonne zum Planeten gerichtete Vektor überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen. 3.) Für 2 Planetenbahnen verhalten sich die Quadrate der Umlaufzeiten wie die Kuben der großen Halbachsen. Das zweite Keplersche Gesetz ist der Flächensatz (4.14), der allgemein aus der Drehimpulserhaltung folgt. Das erste und dritte Gesetz werden im folgenden aus der Lösung des Kepler-Problems abgeleitet. Effektives Potential Abbildung 4.10: Effektives Potential für ein anziehendes 1/rPotential. Für negative Energien sind die Bahnen gebunden. Die Radialbewegung verläuft zwischen den Umkehrpunkten rmin und rmax . Für positive Energien existieren keine gebundenen Bahnen. Ein einfallendes Teilchen wird am Kraftzentrum gestreut und entfernt sich danach wieder beliebig weit. Das effektive Potential L2 α + (4.64) r 2mr2 besitzt das in Abb.(4.10) dargestellte Verhalten. Für L 6= 0 existiert ein Minimum bei L2 1 mα2 r∗ = , U∗ = − . (4.65) mα 2 L2 Uef f = − Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 65 Demnach gibt es gebundene Bahnen für negative Energien im Intervall − mα2 ≤ E < 0. 2L2 (4.66) Für positive Energien sind die Bahnen ungebunden. Bahnkurven Die Bahnkurve r = r(ϕ) wird durch das Integral Z L dr q ϕ= r2 2m(E + αr ) − (4.67) L2 r2 bestimmt. Es ist hilfreich mit Hilfe von (4.65) die Parameter p = r∗ und = p (U∗ − E)/U∗ einzuführen. Explizit lautet diese Definition L2 , p= mα r = 2EL2 . mα2 1+ (4.68) Damit erhält man durch quadratische Ergänzung α L2 2m(E + ) − 2 r r m2 α2 2EL2 2p p2 = + − 2 L2 mα2 r r 2 2 L p 2 = − − 1 p2 r " 2 # L2 2 p/r − 1 = 1− . p2 Mit der Substitution ξ= p/r − 1 , dξ = − p 1 dr, r2 der Integrationsvariablen folgt Z dξ ϕ=− p = arccos ξ + const. 1 − ξ2 Die hierbei auftretende Integrationskonstante kann Null gesetzt werden. Dies entspricht einer Drehung des Koordinatensystems, so daß der Wert ξ = 1 für ϕ = 0 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 66 angenommen wird. Löst man nach r auf, so erhält man die Bahnkurve: r= p 1 + cos ϕ (4.69) Sie beschreibt Kegelschnitte mit Parameter p und Exzentrizität . Für < 1 sind dies Ellipsen, für > 1 Hyperbeln, für = 1 Parabeln. Eine Kreisbahn ( = 0) ist ein Spezialfall einer Ellipse. Ellipsenbahnen Für im Intervall 0 < < 1 sind die Bahnkurven Ellipsen. Dieses Intervall entspricht dem Energieintervall (4.66) für gebundene Bahnen im effektiven Potential. Der Grenzfall = 0 entspricht dabei der Kreisbahn im Minimum des effektiven Potentials. Nach Abbildung (4.11) und gemäß der Polargleichung (4.69) bestehen für die Parameter der Ellipse folgende Relationen, 2a = r1 + r2 p rmax = r(π) = , p = r(π/2) 1− 1 p 1 1 p a = (rmin + rmax ) = + . = 2 2 1+ 1− 1 − 2 1 p 1 1 p ∆ = (rmax − rmin ) = − = = a . 2 2 1− 1+ 1 − 2 √ b2 + ∆2 = a2 , b = 1 − 2 a rmin = r(0) = p , 1+ Daraus erhält man für die große Halbachse a= p L2 mα2 α = = 2 2 1− mα 2|E|L 2|E| (4.70) und für die kleine Halbachse b= √ r 1 − 2 a = 2|E|L2 α L =p . 2 mα 2|E| 2m|E| (4.71) Der Halbparameter p ist eindeutig durch L bestimmt. Die große Halbachse a ist eindeutig durch E bestimmt. Abbildung (4.12) zeigt schematisch die Ellipsenbahnen als Funktion des Drehimpulses bei fester Energie und als Funktion der Energie bei festem Drehimpuls. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 67 Abbildung 4.11: Ellipse mit Halbachsen a, b, Halbparameter p und Exzentrität . Abbildung 4.12: Links: Bahnellipsen bei festem E und Variation von L. Die Kreisbahn besitzt den größtmöglichen Drehimpuls. Rechts: Bahnellipsen bei festem L und Variation von E. Die Kreisbahn besitzt die kleinstmögliche Energie. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 68 Umlaufperiode Aufgrund des Flächensatzes (4.14) gilt für eine Umlaufperiode T L T 2m r 2πm α L 2m m 3 p πab = = 2π a2 T = L L 2|E| α 2m|E| S = πab = Mit α = γmM ergibt sich für die Umlaufperiode T und die große Halbachse a der Zusammenhang. T2 = (2π)2 3 a γM (4.72) Da die Proportionalitätskonstante für alle Planeten und für alle Drehimpulse gleich groß ist, erhält man hieraus das dritte Keplersche Gesetz. 4.6 Coulomb-Streuung Für > 1 sind die Bahnkurven Hyperbeln. Sie beschreiben die Streuung von Teilchen mit Energien E > 0. Die Energie E und der Drehimpuls L bleiben bei der Streuung erhalten. Das einfallende Teilchen bewege sich asymptotisch in konstantem Abstand s von der x-Achse mit der Geschwindigkeit v0 , d.h. es gilt r = xex + sey , v = v0 ex , L = mr × v = −msv0 ez . (4.73) Man bezeichnet s als den Stoßparameter. Die asymptotische Geschwindigkeit und der Stoßparameter legen die Parameter der Bahnkurve fest, E = 1 2 mv , 2 0 2Es2 p = , α 4.6.1 L = −msv0 , L2 = 2ms2 E, s 2 2Es = 1+ . α (4.74) Ablenkwinkel Das auslaufende Teilchen bewegt sich asymptotisch ebenfalls entlang einer Geraden. Diese ist gegenüber der x-Achse um den Ablenkwinkel ϑ geneigt. Für abstoßende Wechselwirkung gilt gemäß (4.68) und (4.69), α < 0, p < 0, 1 + cos ϕ < 0, ϕ(rmin ) = π. (4.75) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull Abbildung 4.13: Streuung an einem abstoßenden Coulomb-Potential. Abbildung 4.14: Streuung an einem anziehenden Coulomb-Potential. 69 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 70 Die Polarkoordinaten sind so zu wählen, daß ϕ = π für r = rmin gilt. Die Achse des Polarkoordinatensystems ist also von rmin zum Ursprung gerichtet (Abb. (4.13)). Bei anziehender Wechselwirkung gilt entsprechend α > 0, p > 0, 1 + cos ϕ > 0, ϕ(rmin ) = 0. (4.76) Hier zeigt die Achse des Polarkoordinatensystems vom Ursprung zum Punkt rmin (Abb. (4.14)). In beiden Fällen besteht zwischen dem Polarwinkel ϕ = ϕ0 und dem Ablenkwinkel ϑ der auslaufenden Asymptote der Zusammenhang ϑ = 2ϕ0 − π, ϕ0 = ϑ π + . 2 2 (4.77) Der Ablenkwinkel bei der Coulomb-Streuung läßt sich nun einfach bestimmen. Aus der Polargleichung (4.69), ergibt sich für die auslaufende Asymptote (r → ∞) die Bedingung ϑ ϑ π + = 1 − sin = 0. 1 + cos ϕ0 = 1 + cos 2 2 2 Damit folgt für den Ablenkwinkel die Beziehung sin 4.6.2 ϑ 1 = . 2 (4.78) Wirkungsquerschnitt Die Teilchen eines Teilchenstrahls können durch Stöße mit einem anderen Teilchen abgelenkt und als Funktion des Ablenkwinkels mit einem Detektor nachgewiesen werden. Diesen Vorgang nennt man Streuung. Wir betrachten hier die Streuung eines Teilchenstrahls an einem festen Streuzentrum. Abbildung 4.15: Streuung von Teilchen aus dem Flächenelement dσ = sdsdϕ in das Raumwinkelelement dΩ = sin ϑdϑdϕ. Zur Definition des Wirkungsquerschnittes betrachte man einen Strahl monoenergetischer Teilchen, die von einem Streuzentrum in ein Raumwinkelelement gestreut Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 71 werden (Abb. 4.15). Der Abstand der Bahn des ungestörten Teilchens vom Streuzentrum wird als Stoßparameter s bezeichnet. Teilchen, die durch den Kreisring zwischen s und s + ds hindurchtreten werden um einen Winkel zwischen ϑ und ϑ + dϑ abgelenkt. Einfallender Teilchenstrom: Die Anzahl der Teilchen, die pro Zeiteinheit durch die Fläche dσ hindurchtreten, sei I = jdσ; dσ = sdϕds (4.79) Detektorfläche: dO = RdϑR sin ϑdϕ = R2 dΩ Raumwinkelelement: dΩ = dO = sin ϑdϑdϕ R2 (4.80) (4.81) Gestreuter Teilchenstrom pro Raumwinkelelement: dσ dI =j dΩ dΩ Differentieller Wirkungsquerschnitt: sdsdϕ 1 dI dσ = s = = j dΩ dΩ sin ϑdϑdϕ sin ϑ (4.82) ds = s 1 dϑ sin ϑ dϑ ds (4.83) Der Betrag ist notwendig, da in der Regel einer Zunahme des Stoßparameters ds eine Abnahme des Ablenkwinkels dϑ entspricht. 4.6.3 Streuung an harten Kugeln Abbildung 4.16: Streuung eines Teilchens an einer harten Kugel mit Radius a. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 72 Ein Teilchen werde an einer harten Kugel mit Radius a gestreut (Abb. 4.16). Die Beziehung zwischen dem Stoßparamter und dem Ablenkwinkel ergibt sich aus der Abbildung zu ϑ π−ϑ = a cos . s = a sin ϕ0 = a sin 2 2 Damit kann der Differentielle Wirkungsquerschnitt wie folgt berechnet werden: a ϑ ds = − sin dϑ 2 2 a cos ϑ2 a dσ ϑ a2 =− − sin = , mit: sin ϑ2 cos ϑ2 = 12 sin ϑ. (4.84) dΩ sin ϑ 2 2 4 Durch Integration über den Raumwinkel erhält man den totalen Wirkungsquerschnitt. Er entspricht hier der Querschnittsfläche der Kugel: Z dΩ σ= 4.6.4 a2 dσ = · 4π = πa2 . dΩ 4 (4.85) Rutherfordscher Wirkungsquerschnitt Bei der Coulomb-Streuung wird der Zusammenhang zwischen dem Ablenkwinkel und dem Stoßparameter (Abb.4.17) durch die Formel (4.78) bestimmt. Damit ergibt sich folgende Berechnung des Wirkungsquerschnittes. Abbildung 4.17: Ablenkung eines Teilchens um einen Winkel ϑ bei einem Stoß mit Stoßparameter s. Berechnung der Funktion s = s(ϑ): 2 = 2Es α 1 sin (ϑ/2) 2 2 2 1 1 − sin2 ϑ/2 cos ϑ/2 = −1= = sin ϑ/2 sin2 ϑ/2 sin2 ϑ/2 |α| cos ϑ/2 ∞ ; ϑ=0 s = → 0 ; ϑ=π 2E sin ϑ/2 (4.86) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 73 Ableitung ds/dϑ: ds |α| − 21 sin2 ϑ/2 − 12 cos2 ϑ/2 1 |α| = =− 2 2 dϑ 2E 4E sin ϑ/2 sin ϑ/2 Differentieller Wirkungsquerschnitt: |α| cos ϑ/2 1 |α| 1 dσ = − − ; 2 dΩ 2E sin ϑ/2 sin ϑ 4E sin ϑ/2 α 2 1 = . 4 4E sin ϑ/2 sin ϑ = 2 sin (4.87) ϑ ϑ cos , 2 2 (4.88) Beispiel: Im Rutherfordschen Streuexperiment wurden α-Teilchen (Z1 = 2; E ≈ 4 − 8M eV ) an Goldkernen (Z2 = 79) gestreut. Mit α = −Z1 Z2 e2 erhält man den Rutherfordschen Wirkungsquerschnitt dσ = dΩ Z1 Z2 e2 4E 2 1 sin 4 ϑ 2 (4.89) Wird der Rutherfordsche Wirkungsquerschnitt im Experiment gemessen, so kann daraus geschlossen werden, daß die Streuzentren näherungsweise punktförmig sein müssen. Der Kernradius ist also kleiner als der minimale Stoßparameter rmin ≈ 30 . . . 60fm (1 fm = 10−15 m). Dadurch wurde das Rutherfordsche Atommodell bestätigt: Die Masse des Atoms ist in einem Atomkern konzentriert, dessen Ausdehnung sehr viel kleiner ist als die der Elektronenhülle (rAtom ≈ 1Å, 1Å=10−10 m). Totaler Wirkungsquerschnitt: Z σ= dσ dΩ = dΩ Z2π Zπ dϕ 0 dσ dϑ sin ϑ = 2π dΩ 0 Zπ dϑ sin ϑ dσ dΩ (4.90) 0 Wegen der unendlichen Reichweite der Coulombwechselwirkung divergiert der totale Wirkungsquerschnitt. Man erhält einen endlichen Wirkungsquerschnitt, wenn man die Abschirmung der Ladung durch die Atomhülle berücksichtigt. 4.7 Zweikörperproblem Wir behandeln nun ein abgeschlossenes System aus zwei Massenpunkten, die miteinander wechselwirken. Dieses Zweikörperproblem kann mit Hilfe des Impulserhaltungssatzes auf ein Einkörperproblem zurückgeführt werden. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 74 Die Bewegungsgleichungen der beiden Teilchen besitzen die Form m1 r̈ 1 = F 12 , m2 r̈ 2 = F 21 . (4.91) Die Wechselwirkungskräfte sollen nur vom Abstand der Teilchen abhängen und das Gesetz von actio=reactio erfüllen: F 12 = F 12 (|r 1 − r 2 |), F 12 = −F 21 . (4.92) Schwerpunkts- und Relativkoordinaten Das Gleichungssystem (4.91) kann durch die Einführung von Schwerpunkts- und Relativkoordinaten entkoppelt werden. Die Koordinatentransformation und ihre Umkehrtransformation werden durch die Vektorgleichungen R= 1 (m1 r 1 + m2 r 2 ) , M r1 = R − µ r, m1 r = r2 − r1 r2 = R + µ r, m2 (4.93) (4.94) mit m1 m2 m1 + m2 definiert. Man bezeichnet µ als die reduzierte Masse. Bei stark unterschiedlichen Massen entspricht die reduzierte Masse näherungsweise der kleineren Masse, d.h. µ ≈ m2 für m2 m1 . Bei gleichen Massen gilt m1 = m2 = 2µ, d.h. µ ist gegenüber den Massen m1,2 um den Faktor 1/2 reduziert. M = m1 + m2 , µ= Der Relativvektor r ist vom Massenpunkt r 1 zum Massenpunkt r 2 gerichtet. Die in (4.40) definierten Relativvektoren sind vom Ursprung des Schwerpunktssystems aus definiert und besitzen hier die Form r 01 = − µ r, m1 r 02 = µ r. m2 Für die Impulse der Massenpunkte gilt die Transformation p1 = m1 V − µv, p2 = m2 V + µv, mit V = Ṙ, v = ṙ. (4.95) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 75 Abbildung 4.18: Laborsystem und Schwerpunktssystem. Die kinetische Energie der Massenpunkte kann als Summe der kinetischen Energien der Schwerpunkts- und Relativbewegungen dargestellt werden, 1 1 T = M V 2 + µv 2 . 2 2 (4.96) Dies folgt unmittelbar aus (4.43) wobei 1 1 m1 v102 + m1 v202 2 2 2 2 1 1 1 2 2 1 1 µv µv = m1 + m2 = µv + 2 m1 2 m2 2 m1 m2 1 2 = µv 2 T0 = (4.97) die Energie im Schwerpunktssystem darstellt. Die Bewegung der Teilchen wird durch die Schwerpunktsbewegung und die Relativbewegung eindeutig bestimmt. Die Schwerpunktsbewegung und die Relativbewegung können unabhängig voneinander behandelt werden. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 76 Schwerpunkts- und Relativbewegung Durch die Addition der beiden Bewegungsgleichungen in (4.91) ergibt sich die Bewegungsgleichung für den Schwerpunkt: m1 r̈ 1 + m2 r̈ 2 = M V̇ = F 12 + F 21 = 0 (4.98) Da die Gesamtkraft verschwindet, ist der Gesamtimpuls erhalten und der Schwerpunkt bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit. V = V 0 = const, R = R0 + V 0 t. (4.99) Für die Relativbewegung erhält man mit (4.95) und (4.99) die Bewegungsgleichung ṗ2 = µr̈ = F 21 (r) (4.100) Hierbei handelt es sich um ein Einkörperproblem für ein fiktives Teilchen mit der reduzierten Masse µ und dem Ortsvektor r unter Einwirkung der Kraft F 21 (r). Schwerpunktsystem (SS): Ein Bezugssystem in dem der Schwerpunkt im Koordinatenursprung ruht, R = V = 0, wird Schwerpunktsystem genannt. Für die Teilchenbewegung im SS gilt: r 1 (t) = − µ r(t), m1 r 2 (t) = µ r(t) m2 (4.101) p1 = −µv, p2 = µv. Die Impulse der beiden Teilchen sind entgegengesetzt gerichtet und betragsmäßig gleich groß. Elastische Stöße Bei elastischen Stößen gelten die Erhaltungssätze für die Energie und den Impuls. Aufgrund dieser Erhaltungssätze besteht das Ergebnis des Stoßes im Schwerpunktsystem in einer Drehung der Richtung der Relativgeschwindigkeit. Die Größe des Ablenkwinkels im Schwerpunktsystem hängt von der Art der Wechselwirkung ab. Zur Bestimmung des Ablenkwinkels muß die Bewegungsgleichung gelöst werden. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 77 Impulserhaltung: Aufgrund der Impulserhaltung kann sich beim Stoß nur die Relativgeschwindigkeit ändern. Die Schwerpunktgeschwindigkeit bleibt erhalten: V = V 0. (4.102) Der Strich kennzeichnet Größen nach dem Stoß. Im Schwerpunktsystem verschwindet der Gesamtimpuls vor und nach dem Stoß: P = µv − µv = 0, P 0 = µv 0 − µv 0 = 0. (4.103) Energieerhaltung: Aufgrund der Energieerhaltung kann sich beim Stoß nur die Richtung der Relativgeschwindigkeit ändern. Die Relativgeschwindigkeit vor dem Stoß sei v = vt, nach dem Stoß v 0 = v 0 t0 mit Einheitsvektoren t bzw. t0 in Richtung der Relativgeschwindigkeit. Im Schwerpunktssystem lautet der Energieerhaltungssatz nach (4.96) µv 0 2 µv 2 , E0 = . (4.104) E = E 0, E= 2 2 Daraus folgt, daß der Betrag der Relativgeschwindigkeit erhalten ist, v = v0. Der noch unbestimmte Winkel zwischen t und t0 wird als Ablenkwinkel ϑ bezeichnet und hängt vom speziellen Wechselwirkungsgesetz ab. Die Geschwindigkeiten nach dem Stoß sind im Schwerpunktssystem v 01 = − µ vt0 , m1 v 02 = µ vt0 , m2 (4.105) und im Laborsystem v 01,L = V − µ vt0 , m1 v 02,L = V + µ vt0 . m2 (4.106) Kapitel 5 Lagrangesche Mechanik Die Behandlung von Systemen von Massenpunkten mit Zwangsbedingungen erfordert eine Erweiterung der Newtonschen Mechanik. Die Einführung von Zwangskräften führt zu den Lagrangegleichungen erster Art, die von generalisierten Koordinaten zu den Lagrangegleichungen zweiter Art. Die Lagrangegleichungen können auch aus Variationsprinzipien abgeleitet werden. Das d’Alembertsche Prinzip ist äquivalent zu den Lagrangegleichungen erster Art, das Hamiltonsche Prinzip zu den Lagrangegleichungen zweiter Art. Im Rahmen des Hamiltonschen Variationsprinzips formuliert das Noether-Theorem den allgemeinen Zusammenhang von Symmetrien und Erhaltungsgrößen. 5.1 5.1.1 Systeme mit Zwangsbedingungen Zwangsbedingungen Ein System aus N freien Massenpunkten besitzt 3N Freiheitsgrade. Diese entsprechen den Lagekoordinaten der Massenpunkte im dreidimensionalen Raum. Ist ein Massenpunkt Teil eines mechanischen Systems, so kann die Zahl seiner Freiheitsgrade durch äußere Vorgaben eingeschränkt sein. Beim ebenen Pendel bewegt sich die Masse auf einer Kreisbahn und besitzt daher nur noch einen Freiheitsgrad. Bedingungen, die die Zahl der Freiheitsgrade einschränken, werden Zwangsbedingungen genannt. Physikalische Systeme mit Zwangsbedingungen sind in der Technik sehr verbreitet. Bei mechanischen Maschinen werden die beweglichen Teile, wie Kolben und Räder, so geführt, daß meist schon ein Freiheitsgrad ausreicht um deren Stellung anzugeben. Die Reduktion der Anzahl der Freiheitsgrade auf wenige relevante Freiheitsgrade ist von prinzipieller Bedeutung. Viele Probleme werden erst auf diese Weise behandelbar. Ein starrer Körper besteht z.B. aus unendlich vielen Massenpunkten. Da wir 78 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 79 aber wissen, daß die Abstände zwischen den Massenpunkten bei der Bewegung fest bleiben, reduziert sich das Problem auf eine Bewegung mit den sechs Freiheitsgraden der Translation und Rotation. Die folgenden Beispiele zeigen einige typische Zwangsbedingungen: • Massenpunkt mit Ortsvektor r auf einer Ebene mit Normalenvektor n: n · r = 0. • Massenpunkt mit Ortsvektor r auf oder oberhalb einer Ebene mit Normalenvektor n: n·r≥0 • Massenpunkt auf der Oberfläche einer Kugel mit Radius R: r−R=0 • Starr verbundene Massenpunkte mit Abständen rij : 2 =0 (r i − r j )2 − rij Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 80 • Massenpunkt auf rotierender Stange mit Richtung e(t). r × e(t) = 0 • Mittelpunkt des rollenden Rades: ẋ − Rϕ̇ = 0, z−R=0 Konfigurationsraum Zur Klassifikation der Zwangsbedingungen ist es hilfreich ein System von N Massenpunkten in einem 3N dimensionalen Konfigurationsraum darzustellen. Das System wird im Konfigurationsraum durch einen Punkt x repräsentiert. Hierbei werden die Koordinaten des Punktes im Konfigurationsraum, xi , i = 1, · · · , 3N , durch die Koordinaten der N Massenpunkte definiert, x1 x4 x3N −2 r 1 = x2 , r 2 = x5 , · · · , r N = x3N −1 . x3 x6 x3N Holonome Zwangsbedingungen Unter holonomen Zwangsbedingungen versteht man Zwangsbedingungen, die sich in Form einer Gleichung g(x, t) = 0. (5.1) zwischen den Lagekoordinaten und eventuell der Zeit ausdrücken lassen. Holonome Zwangsbedingungen werden im Rahmen der Lagrangegleichungen zweiter Art vorausgesetzt. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 81 Lineare differentielle Zwangsbedingungen Das totale Differential von (5.1) definiert in jedem Punkt eine lineare differentielle Zwangsbedingung, 3N X ∂g ∂g dxi + dt = 0. (5.2) dg(x, t) = ∂x ∂t i i=1 Lineare differentielle Zwangsbedingungen besitzen die allgemeine Form, 3N X Ai (x, t)dxi + B(x, t)dt = 0, (5.3) i=1 mit beliebigen Funktionen Ai (x, t) und B(x, t). Differentielle Zwangsbedingungen können holonom oder nicht-holonom sein. Im holonomen Fall ist (5.3) das totale Differential einer Funktion g(x, t). Dazu müssen Integrabilitätsbedingungen erfüllt sein. Im Rahmen der Lagrangegleichungen erster Art wird nur die lineare differentielle Form der Zwangsbedingungen vorausgesetzt. Dividiert man (5.3) durch dt, so ergeben sich Zwangsbedingungen, die außer von den Lagekoordinanten auch noch linear von den Geschwindigkeiten abhängen. 3N X Ai (x, t)vi + B(x, t) = 0, (5.4) i=1 Ein Beispiel dieser Art ist die Zwangsbedingung für das rollende Rad. Allgemeinere Zwangsbedingungen, die sich nicht in der Form von (5.3) schreiben lassen, sind z.B. Ungleichungen oder Gleichungen, die nicht linear von den Geschwindigkeiten abhängen. Rheonome und skleronome Zwangsbedingungen Man unterscheidet auch noch zeitabhängige, g = g(x, t), und zeitunabhängige, g = g(x), Zwangsbedingungen. Zeitabhängige Zwangsbedingungen heißen rheonom, zeitunabhängige skleronom. Hyperflächennormale und virtuelle Verrückungen Wir betrachten nun die durch eine holonome Zwangsbedingung definierte Hyperfläche zu einem festen Zeitpunkt t. Die Richtung der Hyperflächennormalen wird durch den Gradienten ∂g(x, t) A(x, t) = . (5.5) ∂x Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 82 bzw. in Komponentenschreibweise Ai (x, t) = ∂g(x, t) , ∂xi bestimmt. Denn es gilt für jede infinitesimale Verschiebung δx innerhalb der momentanen Hyperfläche gemäß (5.3) die Orthogonalitätsbedingung A · δx = 3N X Ai δxi = 0. (5.6) i=1 Der Vektor A zeigt in Normalenrichtung, er ist aber nicht auf eins normiert. Die infinitesimalen Verschiebungen δx innerhalb der momentanten Hyperfläche werden als virtuelle Verrückungen bezeichnet. Es sind infinitesimale Änderungen der Koordinaten, die mit den Zwangsbedingungen des Systems zu einer festen Zeit konsistent sind. Virtuelle Verrückungen müssen von den tatsächlichen Verschiebungen dx der Massenpunkte in einem Zeitintervall dt unterschieden werden, da sich in dieser Zeit die Zwangsbedingungen ändern können. Abbildung 5.1: Hyperfläche mit Normale und virtueller Verrückung. Nicht-holonome linear differentielle Zwangsbedingungen haben lokal eine entsprechende geometrische Bedeutung. Die Zwangsbedingung (5.3) definiert zu einer festen Zeit ganz analog ein Richtungsfeld A(x, t) im Konfigurationsraum. In jedem Punkt x liegen die virtuellen Verrückungen in einer zu A(x, t) orthogonalen Tangentialebene. 5.1.2 Zwangskräfte Zwangsbedingungen führen zu einer Erweiterung der Newtonschen Mechanik. Um die Zwangsbedingungen erfüllen zu können, werden in den Bewegungsgleichungen zusätzliche Kräfte eingeführt. Diese Kräfte werden als Zwangskräfte bezeichnet. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 83 Die Bewegungsgleichung eines Massenpunktes mit einer Zwangskraft Z lautet mr̈ = F + Z. Die Rolle der Zwangskraft soll zuerst an den folgenden Beispielen illustriert werden. Schiefe Ebene Abbildung 5.2: Schiefe Ebene mit Schwerkraft G und Zwangskraft Z. Ein Massenpunkt bewege sich unter Einwirkung der Schwerkraft G = −mgez auf einer um den Winkel α geneigten schiefen Ebene (Abb.5.2). In einem um den Winkel α gedrehten Inertialsystem S 0 lauten die Bewegungsgleichungen mẍ0 = −mg sin α + Zx0 mz̈ 0 = −mg cos α + Zz0 (5.7) Um die Zwangsbedingung z 0 = 0 zu erfüllen, kann die Zwangskraft Zx0 = 0, Zz0 = mg cos α . gewählt werden. Dabei ist die Normalenkomponente Zz0 eindeutig durch die Zwangsbedingung bestimmt. Die Tangentialkomponente wird zu Null gewählt, da in dieser Richtung keine Zwangsbedingung vorliegt. Die Zwangskraft kompensiert hier gerade die Komponente der Schwerkraft in Richtung der Flächennormale. Das folgende Beispiel zeigt, daß die Größe der Zwangskraft im allgemeinen nicht nur von den Kräften im Gleichgewicht sondern auch von der Bewegung abhängt. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 84 Abbildung 5.3: Ebenes Pendel mit einer zum Aufhängepunkt gerichteten Zwangskraft Z = −mg cos α − mlα̇2 . Ebenes Pendel Ein ebenes Pendels mit Pendellänge l sei im Schwerefeld g = −gez um den Winkel α(t) gegenüber der unteren Gleichgewichtslage ausgelenkt (Abb.5.3). Setzt man ϕ = α+3π/2, so kann die in (3.51) angegebene Polardarstellung der Bewegungsgleichung verwendet werden und man erhält mr̈ = mg cos α + mrα̇2 + Zr mrα̈ = −mg sin α − 2mṙα̇ + Zα (5.8) (5.9) Die Zwangsbedingung r = l, ṙ = r̈ = 0 wird durch die Zwangskraft Zr = −mg cos α − mlϕ̇2 , Zα = 0 erfüllt. Sie kompensiert hier die Normalkomponente der Schwerkraft und die von der Bewegung abhängige Zentrifugalkraft. Masse auf rotierender Stange Als Beispiel für eine rheonome Zwangsbedingung betrachten wir eine in der Ebene rotierende Stange, auf der ein Massenpunkt reibungsfrei gleiten kann. Die Zwangsbedingung lautet in Polarkoordinaten (r,ϕ), Z ϕ̇ = ω(t), ϕ = dt0 ω(t0 ) (5.10) wobei ω(t) die vorgegebene Kreisfrequenz der Stange darstellt. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 85 Abbildung 5.4: Virtuelle Verrückung δx, tatsächliche Verrückung dx und Zwangskraft Z für einen Massepunkt auf einer rotierenden Stange. In einem rotierendes Bezugssystem, in dem die Stange ruht, gelten nach (3.51) die Bewegungsgleichungen, mr̈ = mrω 2 + Zr mrω̇ = −2mṙω + Zϕ (5.11) (5.12) Die Zwangsbedingung (5.10) beinhaltet keine Einschränkung an die radiale Bewegung. Daher wählt man die Zwangskraft, Zr = 0, rZϕ = mr2 ω̇ + 2mrṙω = d (mr2 ω). dt (5.13) Sie stellt das zur Drehimpulsänderung notwendige Drehmoment dar. In diesem Fall unterscheiden sich virtuelle und tatsächliche Verrückungen (Abb.5.4). Die virtuelle radiale Verrückung bestimmt die Richtung, die tatsächliche azimuthale Verrückung die Größe der Zwangskraft. 5.2 Lagrangegleichungen erster Art Gegeben sei nun ein System von N Massenpunkten mit k linear differentiellen Zwangsbedingungen, m · ẍ = F + Z. (5.14) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull Al (x, t) · dx + B l (x, t)dt = 0, l = 1, 2, · · · , k. 86 (5.15) Hierbei sind F und Z Vektoren im Konfigurationsraum, deren Komponenten durch die Kräfte F j und Zwangskräfte Z j auf die Massenpunkte bestimmt werden, F3j−2 Z3j−2 F j = F3j−1 , Z j = Z3j−1 F3j Z3j Die Matrix m ist eine Diagonalmatrix mit den Matrixelementen mik = mi δik . Die Diagonalelemente mi werden durch die Massen Mj der Massenpunkte definiert m3j−2 Mj = m3j−1 . m3j 5.2.1 D’Alembertsches Prinzip Die Zwangskraft wird durch die zugehörige Zwangsbedingung mathematisch nicht eindeutig bestimmt. In den Beispielen aus Abschnitt (5.1.2) wurden die Komponenten der Zwangskräfte in Richtung der virtuellen Verrückungen jeweils Null gesetzt. Diese Wahl beruht auf einem physikalischen Postulat über die Richtung der Zwangskraft, welches als das d’Alembertsche Prinzip bezeichnet wird: Die Richtung der Zwangskraft Z ist so zu wählen, daß für beliebige virtuellle Verrückungen δx Z · δx = 3N X Zi δxi = 0. (5.16) i=1 gilt. Man sagt auch, die Zwangskräfte leisten keine virtuelle Arbeit. Hierbei ist aber zu beachten, daß die virtuelle Arbeit i.a. nicht die tatsächliche Arbeit darstellt. Das d’Alembertsche Prinzip definiert die Zwangskräfte. Daneben können in realen physikalischen Systemen auch andere Kräfte, wie z.B. Reibungskräfte, durch den Kontakt mit Führungselementen hervorgerufen werden. Eine alternative Formulierung des d’Alembertschen Prinzips erhält man, indem man die Zwangskräfte mit Hilfe der Bewegungsgleichung eliminiert, (F − m · ẍ) · δx = 0. (5.17) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 87 Ein Spezialfall des d’Alembertschen Prinzips ist das Prinzip der virtuellen Arbeit. Für ein Kräftegleichgewicht, bei dem alle Koordinaten zeitunabhängig sind, gilt die Gleichgewichtsbedingung, F · δx = 0. (5.18) Im Gleichgewicht leisten die Kräfte keine virtuelle Arbeit. Als Beispiel für das Prinzip der virtuellen Arbeit betrachten wir das Gleichgewicht eines Hebels (Abb.5.5). Die virtuellen Verrückungen der Massen m1,2 bei einer Drehung um den vektoriellen Drehwinkel δϕ sind jeweils δr 1,2 = δϕ×r 1,2 . Aus dem Prinzip der virtuellen Arbeit folgt F 1 ·(δϕ×r 1 ) + F 2 ·(δϕ×r 2 ) = δϕ·(r 1 ×F 1 + r 2 ×F 2 ) = 0. Der Hebel ist im Gleichgewicht, wenn sich die Drehmomente in Richtung der Drehachse zu Null addieren. Abbildung 5.5: Virtuelle Verrückungen eines Hebels aus der Gleichgewichtslage. 5.2.2 Bewegungsgleichungen mit Zwangskräften Mit Mitteln der Variationsrechnung kann man aus dem d’Alembertschen Prinzip die Bewegungsgleichungen mit Zwangskräften herleiten. Wir wollen diese hier lediglich angeben. Für jede Zwangsbedingung kann man die zugehörige Zwangskraft in der Form Z l = λ l Al (5.19) mit einer noch unbestimmten Funktion λl (t) ansetzen. Dieser Ansatz erfüllt das d’Alembertsche Prinzip, da die virtuellen Verrückungen definitionsgemäß den Bedingungen Al · δx = 0, l = 1, 2, · · · , k Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 88 genügen. Das zugehörige Gleichungssystem nennt man die Lagrangegleichungen erster Art, m · ẍ = F + Z, Z= k X λ l Al , Al · dx + B l dt = 0. (5.20) l=1 Dies sind 3N + k Gleichungen für 3N Koordinaten xi und k Parameter λl . Diskussion des d’Alembertschen Prinzips Am Beispiel einer linear differentiellen Zwangsbedingung zeigen wir explizit wie diese Zwangsbedingung in Verbindung mit dem d’Alembertschen Prinzip die Zwangskraft bestimmt. Wir fragen zuerst in welcher Weise eine linear differentielle Zwangsbedingung die tatsächliche Bewegung einschränkt. Aus (5.4) erhält man für die Geschwindigkeiten der Massenpunkte die Bedingung A(x, t) · v(t) = −B(x, t). (5.21) Sie bestimmt die Geschwindigkeit in Richtung der Hyperflächennormalen. Für skleronome Zwangsbedingungen ist diese Geschwindigkeitskomponente Null, für rheonome eine vorgegebene Funktion. Eine entsprechende Aussage läßt sich auch für die Beschleunigung machen. Differenziert man (5.21) nach der Zeit, so folgt eine Bedingung für die Normalenkomponente der Beschleunigung A(x, t) · ẍ(t) = −C(x, v, t), C(x, v, t) = Ḃ + Ȧ · v. (5.22) Sie muß von der Lösung der Bewegungsgleichung mit einer Zwangskraft Z, m · ẍ = F + Z, erfüllt werden. Wir zeigen nun, daß man die vorgegebene Beschleunigung unter gleichen Voraussetzungen für eine ganze Klasse von Zwangskräften erreichen könnte. Das d’Alembertsche Prinzip ist dann notwendig, um die physikalisch richtige Zwangskraft zu bestimmen. Dazu betrachten wir eine Transformation, bei der jede Koordinate um einen konstanten Faktor αi gestreckt wird, x0i = αi xi Diese Transformation bewirkt eine Deformation der Hyperfläche und eine entsprechende Änderung der Hyperflächennormalen. Aus der Invarianz der Zwangsbedingung in (5.20) oder (5.22) folgt für die Normale das Transformationsgesetz, A0i = Ai /αi . (5.23) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 89 Die transformierte Beschleunigung wird durch die Bewegungsgleichung ẍ0 = m−1 · (F 0 + Z 0 ), Fi0 = αi Fi , Zi0 = αi Zi bestimmt. Ihre Komponente in Richtung der transformierten Normalen (5.23) wird durch die Zwangsbedingung vorgegeben. Unter der Annahme, daß die Zwangsbeschleunigung nur in Richtung der Hyperflächennormale auftritt, folgt für die transformierte Zwangskraft der Ansatz Z 0 = λm · A0 . Der Parameter λ wird durch die vorgegebene Normalenkomponente der Beschleunigung bestimmt, A0 · ẍ0 = A0 · m−1 · F 0 + λA0 · A0 = −C C + A0 · m−1 · F 0 λ = − . A 0 · A0 (5.24) Damit erhält man für die ursprüngliche Zwangskraft den Ausdruck Zi = λ mi Ai . αi2 (5.25) Obwohl diese Zwangskraft für beliebige αi die Zwangsbedingung erfüllt, genügt sie im allgemeinen nicht dem d’Alembertschen Prinzip. Um auch letzteres zu erfüllen muß Z in Richtung der Normalen A gewählt werden. Dies ist aber nur möglich falls √ αi = α mi wobei α eine von i unabhängige Konstante darstellt. Da eine Proportionalitätskonstante bereits durch λ berücksichtigt wurde, kann ohne Einschränkung α = 1 gesetzt werden. Für Systeme mit unterschiedlichen Massen mi stellt das d’Alembertsche Prinzip also eine wesentliche zusätzliche Forderung dar. Der Grund hierfür ist, daß dann Beschleunigungen und Kräfte im Konfigurationsraum linear unabhängige Vektoren sind. 5.3 Lagrangegleichungen zweiter Art Für Systeme mit holonomen Zwangsbedingungen können die Zwangskräfte durch eine geeignete Koordinatenwahl eliminiert werden. Dies führt zu den Lagrangegleichungen zweiter Art. Nicht-holonome Zwangsbedingungen müssen weiterhin durch die Gleichungen erster Art beschrieben werden. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 5.3.1 90 Herleitung Gegeben sei ein System von N Massenpunkten mit k holonomen Zwangsbedingungen mi ẍi = Fi + Zi , g l (x, t) = 0, i = 1, 2, · · · , 3N l = 1, 2, · · · , k . Generalisierte Koordinaten Die Zwangsbedingungen bestimmten zu jedem Zeitpunkt eine Hyperfläche im Konfigurationsraum. Auf dieser Hyperfläche können geeignete, i.a. krummlinige, Koordinaten q1 , q2 , · · · , qn , · · · , qf gewählt werden, wobei f die Dimension der Hyperfläche bezeichnet. Solche Koordinaten werden als generalisierte oder verallgemeinerte Koordinaten bezeichnet. Generalisierte Koordinaten auf einer Kugel sind z.B. die Winkel ϕ, ϑ der Kugelkoordinaten. Die Koordinatentransformation zwischen den generalisierten Koordinaten und den kartesischen Koordinaten besitzt die Form xi = xi (q1 , q2 , · · · , qf , t), i = 1, 2, · · · , 3N (5.26) Abkürzend verwenden wir auch die Notation x = x(q, t), wobei q für die Argumente q1 , q2 , · · · , qf steht. D’Alembertsches Prinzip in generalisierten Koordinaten Der Ortsvektor auf der momentanen Hyperfläche wird durch (5.26) dargestellt. Eine virtuelle Verrückung ist definitionsgemäß eine infinitesimale Verschiebung dieses Ortsvektors bei festgehaltener Zeit. Dafür erhalten wir durch Differentiation, f X ∂xi δqn . δxi = ∂q n n=1 (5.27) Die Verrückungen δq auf der Hyperfläche unterliegen keinen Einschränkungen mehr. Die Vektoren ∂x an = , n = 1, · · · , f (5.28) ∂qn bilden in jedem Punkt der Hyperfläche eine lokale Basis (Abb.5.6). Hierbei ist an ein Tangentenvektor an die qn -Koordinate. Mit (5.27), (5.28) lautet das d’Alembertsche Prinzip (5.17), X (m · ẍ − F ) · an δqn = 0. n (5.29) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 91 Abbildung 5.6: Generalisierte Koordinaten und lokale Basis auf der Hyperfläche. Da die δqn unabhängig voneinander beliebig gewählt werden können, muß jeder Koeffizient einzeln verschwinden, (m · ẍ − F ) · an = 0, n = 1, · · · , f. (5.30) Dies sind die Komponenten der Bewegungsgleichung entlang der lokalen Basis. Damit wurden genau f Bewegungsgleichungen für die f Freiheitsgrade der Hyperfläche gewonnen. Die Zwangskräfte wurden durch die Koordinatenwahl eliminert. Generalisierte Geschwindigkeiten In den Bewegungsgleichungen (5.30) müssen x und ẍ durch die generalisierten Koordinaten q ausgedrückt werden. Für die Geschwindigkeit erhält man aus (5.27) das Transformationsgesetz ẋ = f X ∂x(q, t) n=1 ∂qn q̇n + ∂x(q, t) = v(q, q̇, t) ∂t (5.31) Man bezeichnet q̇ = (q̇1 , · · · , q̇f ) als generalisierte Geschwindigkeiten und behandelt in der Transformationsgleichung (5.31) q, q̇, und t als unabhängige Variablen. Dann gilt ∂v ∂x = (5.32) ∂ q̇n ∂qn f X ∂2x d ∂x ∂2x ∂v = q̇m + = . (5.33) dt ∂qn ∂q ∂q ∂t∂q ∂q m n n n m=1 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 92 Der Beschleunigungsterm in der Bewegungsgleichung läßt sich damit wie folgt umformen X X d ∂xi ∂xi d ∂xi mi ẍi = mi vi − mi vi ∂qn dt ∂qn dt ∂qn i i X d ∂vi ∂vi = mi vi − mi vi dt ∂ q̇n ∂qn i d ∂T ∂T = − . (5.34) dt ∂ q̇n ∂qn Hierbei bezeichnet T (q, q̇, t) = X1 i 2 mi vi (q, q̇, t)2 die kinetische Energie des Systems als Funktion der generalisierten Koordinaten und Geschwindigkeiten. Generalisierte Kraft Der Kraftterm in der Bewegungsgleichung wird als generalisierte Kraft, Qn (q, q̇, t) = F · an (5.35) bezeichnet. Damit lauten die auf generalisierte Koordinaten transformierten Bewegungsgleichungen d dt ∂T ∂ q̇n − ∂T = Qn . ∂qn (5.36) Generalisiertes Potential Falls die Kraft F aus einem Potential U (x) abgeleitet werden kann, F =− ∂U , ∂x so gilt dies auch für die generalisierte Kraft, Qn (q, q̇, t) = F · an = − ∂U (x) ∂x ∂U (x(q, t)) · =− . ∂x ∂qn ∂qn (5.37) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 93 Allgemeiner nennt man eine Funktion U (q, q̇, t) ein generalisierte Potential, falls die generalisierte Kraft in der Form d Qn = dt ∂U ∂ q̇n − ∂U ∂qn (5.38) darstellbar ist. Das geschwindigkeitunabhängige Potential (5.37) ist ein Spezialfall hiervon. Lagangegleichungen zweiter Art Existiert ein Potential, so können die kinetische und die potentielle Energie in der Bewegungsgleichung (5.36) zusammengefasst werden, d ∂T ∂T − Qn − dt ∂ q̇n ∂qn d ∂T d ∂U ∂T ∂U = − − − dt ∂ q̇n ∂qn dt ∂ q̇n ∂qn ∂(T − U ) d ∂(T − U ) − . = dt ∂ q̇n ∂qn Damit erhält man aus (5.36) d dt ∂L ∂ q̇n = ∂L , ∂qn n = 1, · · · , f, (5.39) mit L(q, q̇, t) = T (q, q̇, t) − U (q, q̇, t). Man nennt L(q, q̇, t) die Lagrangefunktion und (5.39) die Lagrangegleichungen zweiter Art. Dies ist ein System von f Differentialgleichungen zweiter Ordnung für die Bewegung q(t) auf der Hyperfläche. Es ist im allgemeinen einfacher zu behandeln als die 3N + k gekoppelten Lagrangegleichungen erster Art. 5.3.2 Anwendung Lösungsweg Ein mechanisches System mit holonomen Zwangsbedingungen wird damit vollständig durch die Wahl der verallgemeinerten Koordinaten q, durch Anfangsbedingungen (q0 , q̇0 ) und durch die Angabe der Lagrangefunktion L(q, q̇, t) in diesen Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 94 Koordinaten beschrieben. Dabei ist die Form der Gleichungen von der Koordinatenwahl unabhängig. Das Verfahren zur Lösung eines mechanischen Problems mit den Lagrangegleichungen zweiter Art besteht aus den folgenden Teilschritten: 1. Angabe der holonomen Zwangsbedingungen 2. Wahl der generalisierten Koordinaten: q 3. Bestimmung der Koordinatentransformation: x = x(q, t) 4. Aufstellen der Lagrangefunktion. Hierzu müssen T und U als Funktion von q, q̇ und t angegeben werden. 5. Herleitung der Bewegungsgleichungen aus den Lagrangegleichungen 6. Lösung der Bewegungsgleichungen 7. Bestimmung der Integrationskonstanten durch Anfangsbedingungen Massenpunkt auf schiefer Ebene Ein einfaches Beispiel ist die Bewegung eines Massenpunktes auf einer schiefen Ebene mit Neigungswinkel α im Schwerefeld (Abb.5.2). Verwendet man Polarkoordinaten (r, ϕ), so ist der Winkel durch die Zwangsbedingung, ϕ − α = 0 festgelegt. Der Radius kann als verallgemeinerte Koordinate q = r gewählt werden. Die Koordinatentransformation lautet x = r cos α, z = r sin α . Durch Ableitung erhält man die Geschwindigkeiten ẋ = ṙ cos α, ż = ṙ sin α und damit die kinetische Energie 1 1 1 T = m(ẋ2 + ż 2 ) = mṙ2 (cos2 α + sin2 α) = mṙ2 . 2 2 2 Die potentielle Energie ist U = mgz = mgr sin α. Die Lagrangefunktion besitzt damit die Form 1 L(r, ṙ) = T − U = mṙ2 − mgr sin α. 2 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 95 Mit den partiellen Ableitungen ∂L = mṙ, ∂ ṙ ∂L = −mg sin α, ∂r folgt aus (5.39) die Bewegungsgleichung mr̈ = −mg sin α . Dasselbe Ergebnis hatten wir in (5.7) mit der Newtonschen Bewegungsgleichung abgeleitet. Die dort benötigte Zwangskraft tritt jetzt nicht mehr in Erscheinung. 5.3.3 Erhaltungsgrößen Zyklische Koordinaten und generalisierte Impulse Analog zur Impulserhaltung in der Newtonschen Mechanik folgt aus den Lagrangegleichungen (5.39) der Erhaltungssatz ∂L =0 ∂qn =⇒ pn = ∂L = const. ∂ q̇n (5.40) Man bezeichnet die Größe pn = ∂L ∂ q̇n (5.41) als generalisierten Impuls. Hängt die Lagrangefunktion nicht explizit von einer generalisierten Koordinate qn ab, so nennt man diese Koordinate zyklisch. Für jede zyklische Variable ist der zugehörige generalisierte Impuls erhalten. Energieerhaltung Der Energieerhaltungssatz kann in der Lagrangemechanik in der folgenden Form angegeben werden ∂L =0 ∂t =⇒ E= X pn q̇n − L = const. (5.42) n Ist die Lagrangefunktion nicht explizit zeitabhängig, so ist die Energie E erhalten. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 96 Beweis: Differenziert man L(q, q̇, t) nach der Zeit und verwendet die Lagrangegleichungen (5.39), so folgt X ∂L d ∂L ∂L L(q, q̇, t) = q̇n + q̈n + dt ∂qn ∂ q̇n ∂t n X ∂L = ṗn q̇n + pn q̈n + ∂t n ! d X ∂L = pn q̇n + . dt ∂t n Damit gilt ! d dt X pn q̇n − L =− n ∂L . ∂t (5.43) Die Zwangsbedingungen seien nun skleronom und die potentielle Energie sei geschwindigkeitsunabhängig. Dann gilt für die Energie die übliche Beziehung E= X pn q̇n − L = T + U. (5.44) n Beweis: Für skleronome Zwangsbedingungen ist die Koordinatentransformation x = x(q) zeitunabhängig. Mit (5.27) und (5.28) lauten die entsprechenden Transformationen für die Geschwindigkeit und die kinetische Energie, X ∂x q̇n ∂qn n 1X T = µnm q̇n q̇m , 2 n,m v = mit µnm (q) = X i mi (5.45) (5.46) ∂xi ∂xi . ∂qn ∂qm Die kinetische Energie ist eine positiv definite quadratische Form mit einer symmetrischen Matrix µnm = µmn . Für geschwindigkeitsunabhängige Potentiale werden die verallgemeinerten Impulse allein durch die kinetische Energie bestimmt pn = ∂L ∂T = . ∂ q̇n ∂ q̇n (5.47) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 97 Die Differentiation ergibt 1X µnm (δnk q̇m + q̇n δkm ) 2 n,m 1X 1X = µkm q̇m + µnk q̇n 2 m 2 n X 1X = (µkm + µmk )q̇m = µkm q̇m . 2 m m pk = Damit erhält man die Gesamtenergie X E= pk q̇k − L = 2T − (T − U ) = T + U. (5.48) (5.49) k 5.4 Variationsprinzipien Die Lagrangegleichungen zweiter Art können aus einem Variationsprinzip hergeleitet werden. Diese Formulierung ist besonders elegant, da das vollständige mechanische System durch eine einfache skalare Gleichung beschrieben wird. Außerdem findet das Hamiltonsche Prinzip Anwendung in anderen Gebieten der Physik, wie z.B. in Feldtheorien. 5.4.1 Eulersche Gleichung der Variationsrechung Differential und stationäre Punkte Bei Variationsproblemen handelt es sich um eine Verallgemeinerung der Extremwertbestimmung von Funktionen. Für eine Funktion f (x1 , · · · , xn ) nennt man die Punkte, bei denen das Differential der Funktion verschwindet stationäre Punkte: (x01 , · · · , x0n ) stationär ⇐⇒ df = 0 . Das Verschwinden des Differentials ist gleichbedeutend mit dem Verschwinden aller partiellen Ableitungen. Diese Bedingung ist notwendig aber nicht hinreichend für ein Extremum. Es können neben Extrema auch Wendepunkte oder Sattelpunkte auftreten. Daher bezeichnet man die Punkte, bei denen das Differential verschwindet allgemein als stationäre Punkte. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 98 Variation und stationäre Funktionen Bei Variationsproblemen betrachtet man anstelle von Funktionen Funktionale. Funktionale sind Abbildungen aus einem Funktionenraum in den Zahlenkörper: J : y 7→ J[y] . Zur Einführung in die Methode der Variationsrechnung behandeln wir die folgende Aufgabenstellung. Gesucht sei diejenige Funktion y(x) im Intervall x1 < x < x2 , mit den Randwerten y(x1 ) = y1 , y(x2 ) = y2 für die das Integral Zx2 J[y] = dxF (y, y 0 , x) (5.50) x1 stationär ist. Hierbei seien die Funktionen F (y, y 0 , x) und y(x) bezüglich ihrer Argumente zweimal stetig differenzierbar. Das Variationsproblem kann auf eine gewöhnliche Extremwertaufgabe zurückgeführt werden. Hierzu sei vorausgesetzt, daß eine Lösung y(x) des Variationsproblems innerhalb einer vorgegebenen Funktionenklasse existiert. Die Vergleichsfunktionen in einer Nachbarschaft dieser Funktion seien y(x) = y(x) + δy(x), δy(x) = η(x) . (5.51) wobei ein Parameter ist, der hinreichend klein gewählt werden kann. Man nennt δy eine Variation von y. Aufgrund der vorgegebenen Randwerte muß die Variation für alle Vergleichsfunktionen y am Rand verschwinden δy(x1 ) = δy(x2 ) = 0. (5.52) Mit diesem Ansatz ist J() = J[y + η] eine gewöhnliche Funktion der Variablen . In Analogie zum Differential einer Funktion bezeichnet man den Ausdruck dJ() δJ = J[y + δy] − J[y] = (5.53) d =0 als die Variation von J. Funktionen bei denen die Variation von J verschwindet heißen stationäre Funktionen: y stationär ⇐⇒ δJ = 0. (5.54) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 99 Eulersche Gleichung Die Variation δJ läßt sich berechnen, indem man bis zur linearen Ordnung in δy bzw. δy 0 entwickelt, Zx2 δJ = dxF (y + δy, y 0 + δy 0 , x) − F (y, y 0 , x) x1 Zx2 dx = ∂F ∂F δy + 0 δy 0 . ∂y ∂y (5.55) x1 Ein typischer Schritt der Variationsrechnung besteht nun darin, den zweiten Term partiell zu integrieren, so daß dieser ebenfalls proportional zu δy wird, x Zx2 ∂F d ∂F ∂F 2 δy + dx δy − δy δJ = ∂y 0 x1 ∂y dx ∂y 0 x1 (5.56) Der Randterm verschwindet wegen der Randbedingung (5.52). Für stationäre Funktionen gilt Zx2 d ∂F ∂F − η(x) = 0. (5.57) δJ = dx ∂y dx ∂y 0 x1 An dieser Stelle wird ein Hilfssatz der Variationsrechnung benötigt. Sei η(x) eine beliebige zweimal stetig differenzierbare Funktion. Dann gilt Zx2 dx ϕ(x)η(x) = 0 =⇒ ϕ(x) = 0. (5.58) x1 Zum Beweis nehmen wir an, es sei ϕ(x) 6= 0 für ξ1 < x < ξ2 , wobei dieses Intervall beliebig klein sein kann. Wählt man dann für η(x) eine Funktion, die außerhalb dieses Intervalls verschwindet und innerhalb des Intervalls ungleich Null ist, z.B. (x − ξ1 )4 (x − ξ2 )4 ; ξ1 < x < ξ2 η(x) = 0 ; sonst so ist das Integral ungleich Null im Widerspruch zur Voraussetzung. Daher gilt ϕ = 0 im ganzen Intervall, x1 < x < x2 . Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 100 Mit diesem Hilfssatz folgt aus (5.57) die Eulersche Differentialgleichung der Variationsrechnung d dx ∂F ∂y 0 − ∂F = 0. ∂y (5.59) Dies ist eine Differentialgleichung zweiter Ordnung für die gesuchte Funktion y(x). Die beiden Integrationskonstanten werden durch die Randbedingungen festgelegt. 5.4.2 Hamiltonsches Prinzip Ein Vergleich der Lagrangegleichungen zweiter Art (5.39) mit der Eulerschen Differentialgleichung der Variationsrechnung (5.59) legt es nahe, daß die Lagrangegleichungen aus einem Variationsprinzip abgeleitet werden können. Dieses Variationsprinzip wird als Hamiltonsches Prinzip bezeichnet. Für ein physikalisches System mit der Lagrangefunktion L(q, q̇, t) definiert man die Wirkung Zt2 dt L(q, q̇, t) . S[q] = (5.60) t1 Die Wirkung ist ein Funktional der Bahn q(t), die in einem Zeitintervall t1 < t < t2 zwischen einem Anfangspunkt q(t1 ) und einem Endpunkt q(t2 ) durchlaufen wird. Nach dem Hamiltonschen Prinzip ist die Wirkung für die tatsächlich durchlaufene Bahn stationär, δS[q] = 0 mit δq(t1 ) = δq(t2 ) = 0 . (5.61) Als Vergleichsfunktionen sind hier alle Bahnen zwischen dem Anfangspunkt q(t1 ) und dem Endpunkt q(t2 ) zugelassen. Da die Anfangs- und Endpunkte vorgegeben sind, verschwindet die Variation in diesen Randpunkten. Der Beweis des Hamiltonschen Prinzips beruht auf der oben dargestellten Variationsrechnung. Anstatt einer Funktion y(x) müssen nun die f Funktionen q1 (t), · · · , qf (t) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 101 variiert werden: δS = S[q + δq] − S[q] Zt2 dt {L(q + δq, q̇ + δ q̇, t) − L(q, q̇, t)} = t1 Zt2 dt = t1 f X ∂L n=1 ∂L δqn + δ q̇n ∂qn ∂ q̇n f X ∂L t2 Zt2 ∂L d ∂L = δqn + dt − δqn = 0 . ∂ q̇n ∂qn dt ∂ q̇n t1 n=1 (5.62) t1 Aufgrund der Randbedingungen δq(t1 ) = δq(t2 ) = 0 verschwindet der Randterm bei der partiellen Integration. Da die Variationen δqn (t) unabhängig voneinander gewählt werden können, muß jeder der f Summanden für sich allein verschwinden. Wegen (5.58) gilt dann ∂L d ∂L − = 0, n = 1, · · · , f . (5.63) dt ∂ q̇n ∂qn Die Eulerschen Differentialgleichungen des Hamiltonschen Variationsprinzips sind also genau die Lagrangegleichungen der Mechanik. Eichtransformationen Die Lagrangefunktion eines mechanischen Systems ist nicht eindeutig. Multipliziert man die Lagrangefunktionen L mit einem konstanten Faktor c, so führt die neue Lagrangefunktion L0 = cL auf dieselben Bewegungsgleichungen. Dasselbe gilt bei Addition einer Konstanten, L0 = L + c. Diese Lagrangefunktionen sind also völlig gleichwertig. Unter einer Eichtransformation versteht man eine allgemeinere Transformation d f (q, t), (5.64) dt der Lagrangefunktion. Die neue Lagrangefunktion L0 unterscheidet sich dabei von der alten Lagrangefunktion L durch eine totale Zeitableitung einer beliebigen Funktion f (q, t). Beide Lagrangefunktionen sind gleichwertig. Man sagt auch, die Lagrangefunktion ist nur bis auf eine totale Zeitableitung bestimmt. L0 = L + Der Beweis der Gleichwertigkeit der Lagrangefunktionen bei Eichtransformationen ist eine einfache Folgerung aus dem Hamiltonschen Prinzip. Wegen t2 t2 Zt2 f X df ∂f 0 δS − δS = δ dt = δf (q, t) = δqn = 0, dt ∂qn t1 t1 n=1 t1 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 102 führt die Variation der Wirkung in beiden Fällen zum selben Ergebnis. Hierbei wurde verwendet, daß die Variation in den Endpunkten der Bahn verschwindet. Galileitransformation als Eichtransformation Bei einer Galileitransformation mit einer konstanten Geschwindigkeit u v 0i = v i − u, r 0i = r − ut erhält man aus der Lagrangefunktion L= N X 1 i=1 2 mi vi2 N X i−1 X − U (r i − r j ) i=2 j=1 die neue Lagrangefunktion 0 L = N X 1 i=1 2 mi vi02 d = L+ dt − N X i−1 X U (r 0i − r 0j ) i=2 j=1 N X i=1 1 2 −mi v i ·u + mi u t . 2 Die Lagrangefunktion im neuen Inertialsystem unterscheidet sich also von der Lagrangefunktion im alten Inertialsystem durch eine Eichtransformation. Eichtransformation der elektromagnetischen Potentiale In der Elektrodynamik können die elektrischen und magnetischen Felder aus einem Vektorpotential A(r, t) und einem skalaren Potential φ(r, t) in folgender Weise abgeleitet werden, 1 E = − ∂t A − ∇φ, B = ∇ × A. c Hierbei ist c die Lichtgeschwindigkeit und wir verwenden das Gaußsche Maßsystem. Die Potentiale sind nicht eindeutig. Bei einer Transformation A0 = A + ∇χ(r, t), 1 φ0 = φ − ∂t χ(r, t) c mit einer beliebigen Funktion χ(r, t) bleiben die Felder E und B invariant. Man nennt diese Transformationen Eichtransformationen der Potentiale. Die Lagrangefunktion einer Ladung q im elektromagnetischen Feld ist 1 1 L = mv 2 − q(φ − v · A). 2 c (5.65) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 103 Einer Eichtransformation der Potentiale entspricht eine Eichtransformation der Lagrangefunktion, 1 2 1 0 0 0 L = mv − q φ − v · A 2 c 1 2 1 1 1 = mv − q φ − ∂t χ(r, t) − v · A − v·∇χ(r, t) 2 c c c d q = L+ χ(r, t) . dt c 5.5 Symmetrien und Erhaltungsgrößen Aus dem Hamiltonschen Prinzip folgt ein allgemeiner Zusammenhang zwischen Symmetrien und Erhaltungsgrößen. Er wurde von der Mathematikerin Emmy Noether abgeleitet und wird als Noether-Theorem bezeichnet. Punkttransformationen Beim Noether-Theorem betrachtet man Symmetrien gegenüber einer Klasse einparametriger infinitesimaler Punkttransformationen, q 0 = q + ψ(q, q̇, t), t0 = t + φ(q, q̇, t). (5.66) Hierbei bezeichnet ψ = (ψ1 , · · · , ψf ) eine Transformation der verallgemeinerten Koordinaten, φ eine Transformation der Zeit und einen infinitesimal kleinen Parameter. Invarianzbedingung Die Wirkung des Systems als Funktion der neuen Koordinaten sei 0 S0 = Zt2 dt0 L(q 0 , q̇ 0 , t0 ). t01 mit einer Lagrangefunktion L0 = L(q 0 , q̇ 0 , t0 ). Für = 0 ergibt sich die identische Abbildung. Die Lagrangefunktion des Systems als Funktion der alten Koordinaten ist daher, L = L(q 0 , q̇ 0 , t0 )=0 = L(q, q̇, t). Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 104 Ersetzt man in der Wirkung die Integrationsvariable t0 durch t und entwickelt um die Stelle = 0 bis zur linearen Ordnung in , so folgt S0 = Zt2 t1 Zt2 dt0 d dt0 0 0 0 0 0 0 dt dt L(q , q̇ , t ) = S + L(q , q̇ , t ) , dt d dt =0 t1 wobei S die Wirkung in den alten Koordinaten bezeichnet. Eine Symmetrie des Systems gegenüber einer infinitesimalen Punkttransformationen liegt dann vor, wenn die Transformation nur zu einer ”Umeichung” der Lagrangefunktion führt. In diesem Fall gilt für den Zusatzterm in der Wirkung S 0 d d dt0 d 0 0 0 L(q , q̇ , t ) = f (q, t). dt dt =0 (5.67) Die Invarianzbedingung (5.67) ist der formale Ausdruck für eine Symmetrie des durch die Lagrangefunktion L beschriebenen Systems gegenüber der Punkttransformation (5.66). Erhaltungsgrößen Das Noether-Theorem kann nun in der folgenden Form angegeben werden. Für jede einparametrige infinitesimale Punkttransformation (5.66), die einer Invarianzbedingung der Form (5.67) genügt, gibt es eine Erhaltungsgröße. Diese lautet f X ∂L I= ψn + ∂ q̇ n n=1 ! f X ∂L L− q̇n φ − f (q, t) . ∂ q̇ n n=1 (5.68) Als Beispiele betrachten wir die Energie-, Impuls- und Drehimpulserhaltung. Die Energieerhaltung folgt aus der Homogenität der Zeit. Für eine infinitesimale Zeittranslation, t0 = t + , ist ψ = 0 und φ = 1. Hängt die Lagrangefunktion nicht explizit von der Zeit ab, so ist die Invarianzbedingung (5.67) mit f = 0 erfüllt. Dann entspricht der Erhaltungsgröße (5.68) die Energie, f X ∂L E= q̇n − L. ∂ q̇n n=1 Die Impulserhaltung folgt aus der Homogenität des Raumes. Für eine infinitesimale räumliche Translation, qn0 = qn + , ist ψn = 1 und φ = 0. Hängt die Lagrangefunktion nicht explizit von der Koordinate qn ab, so ist (5.67) mit f = 0 erfüllt. Dann Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 105 entspricht der Erhaltungsgröße (5.68) der Impuls, pn = ∂L . ∂ q̇n Die Drehimpulserhaltung folgt aus der Isotropie des Raumes. Bei einer infinitesimalen Drehung um eine Drehachse n ändern sich die Ortsvektoren aller Teilchen gemäß r 0i = r i + n×r i . Für diese Transformation ist ψ i = n×r i und φ = 0. Aus der Invarianz von L mit f = 0 folgt die Erhaltungsgröße N N X X ∂L ∂L · (n×r i ) = n· r i × . ∂ ṙ i ∂ ṙ i i=1 i=1 Dies ist die Komponente des Drehimpulses in Richtung der Drehachse n. Beweis des Noether-Theorems Aus der Zeittransformation in (5.66) folgt dt0 dφ =1+ (5.69) dt dt In linearer Ordnung in erhält man für die Transformation der verallgemeinerten Geschwindigkeiten dqn0 dt dqn0 = 0 dt dt0 dt dψn dqn dφ + = 1− dt dt dt dψn dφ = q̇n + − q̇n . dt dt q̇n0 = (5.70) Die linke Seite von (5.67) ergibt d dt0 0 dL0 dφ L = + L d dt d =0 dt =0 f X ∂L ∂L dψn dφ ∂L dφ = ψn + − q̇n + φ+L ∂qn ∂ q̇n dt dt ∂t dt n=1 ! f f X X ∂L dψn ∂L dφ ∂L d ∂L + L− = ψn + q̇n + φ dt ∂ q̇ ∂ q̇ dt ∂ q̇ dt ∂t n n n n=1 n=1 ! " ! # f f X ∂L d X ∂L d = ψn + L− q̇n φ . (5.71) dt n=1 ∂ q̇n dt ∂ q̇n n=1 In der dritten Zeile wurden die Lagrangegleichungen (5.63), in der vierten der Energiesatz (5.43) verwendet. Mit diesem Ausdruck ergibt die Integration von (5.67) die Erhaltungsgröße (5.68). Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 5.6 106 Schwingungen Gegeben sei ein konservatives System mit f Freiheitsgraden, das sich in einem stabilen Gleichgewicht befindet. Bei kleinen Auslenkungen der Massenpunkte aus ihrer Gleichgewichtslage führt das System Schwingungen aus. Diese können als Überlagerung von Normalmoden dargestellt werden, denen jeweils eine charakteristische Schwingungsfrequenz zugeordnet ist. 5.6.1 Entwicklung um die Gleichgewichtslage Sei ξ = q − q0 eine Auslenkung des Systems aus der Gleichgewichtslage q0 . Wir wählen diese Auslenkungen als verallgemeinerte Koordinaten und entwickeln die kinetische und die potentielle Energie bis zur quadratischen Ordnung in ξ. Die kinetische Energie eines konservativen Systems besitzt die Form (5.45). Da im ˙ In quadratischer Ordnung ergibt sich für die Gleichgewicht q̇0 = 0 gilt, ist q̇ = ξ. kinetische Energie der Ausdruck f X ∂xi ∂xi 1 X µnm ξ˙n ξ˙m mit µnm = mi . T = 2 n,m=1 ∂q ∂q n m q=q0 i Da das Produkt der Geschwindigkeiten bereits von quadratischer Ordnung ist, kann µnm im Gleichgewicht ausgewertet werden. In dieser Näherung ist µnm eine konstante Matrix. Diese ist symmetrisch laut Definition und positiv definit, da die kinetische Energie für ξ˙ 6= 0 positiv ist. Im stabilen Gleichgewicht besitzt die potentielle Energie U = U (q) ein Minimum, d.h. es gilt ∂U = 0. ∂qn q=q0 Die Entwicklung der potentiellen Energie lautet daher f 1 X U = U (q0 ) + knm ξn ξm 2 n,m=1 mit knm ∂ 2 U = . ∂qn ∂qm q=q0 Ohne Einschränkung kann U (q0 ) = 0 gewählt werden, da die Bewegungsgleichungen nicht von einer additiven Konstante in der Lagrangefunktion abhängen. Die Matrix knm ist definitionsgemäß symmetrisch und positiv definit, da die potentielle Energie nach Voraussetzung im Gleichgewicht ein Minimum annimmt. Damit erhält man in quadratischer Ordnung die Lagrangefunktion f ˙ = L(ξ, ξ) 1 X µnm ξ˙n ξ˙m − knm ξn ξm . 2 n=1 (5.72) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 107 Zur Aufstellung der Lagrangegleichungen berechnen wir zuerst das totale Differential von L unter Berücksichtigung der Symmetrie von µnm und knm , f 1 X dL = µnm dξ˙n ξ˙m + ξ˙n dξ˙m − knm (dξn ξm + ξn dξm ) 2 n,m=1 f 1 X (µnm + µmn ) ξ˙m dξ˙n − (knm + kmn ) ξm dξn = 2 n,m=1 = f X µnm ξ˙m dξ˙n − knm ξm dξn . n=1 Daraus erhält man für die verallgemeinerten Impulse und Kräfte f X ∂L µnm ξ˙m = ∂ ξ˙n m=1 f X ∂L = − knm ξm . ∂ξn m=1 5.6.2 Schwingungsgleichung Die zugehörigen Lagrangegleichungen stellen ein Gleichngssystem von f gekoppelten linearen Oszillatoren dar, f X µnm ξ¨m + knm ξm = 0 (5.73) µ · ξ¨ + k · ξ = 0. (5.74) m=1 In Vektornotation gilt Die Bewegungsgleichungen (5.74) bilden ein Differentialgleichungessystem mit konstanten Koeffizienten, das durch einen Exponentialansatz, ξ = Ae−iωt , (5.75) gelöst werden kann. Mit diesem Lösungsansatz folgt ein homogenes algebraisches Gleichungssystem k − ω 2 µ · A = 0. (5.76) Nichtverschwindende Lösungen existieren nur für bestimmte Werte von ω 2 die durch die Lösbarkeitsbedingung des linearen Gleichungssystems D(ω 2 ) = det k − ω 2 µ = 0 (5.77) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 108 bestimmt werden. Hierbei ist D(λ) ein Polynom vom Grad f , das f komplexe Nullstellen besitzt. Diese seien k = 1, · · · , f . λk , Treten Mehrfachnullstellen auf, so sind einige der λk gleich. Zu einer r-fachen Nullstelle bestimmt das Gleichungessystem (k − λk µ) · A(k) = 0 (5.78) einen r-dimensionalen Lösungsraum, d.h. r der Komponenten von A(k) können beliebig gewählt werden, die restlichen Komponenten sind dann durch das Gleichungssystem eindeutig bestimmt. Insgesamt findet man auf diese Weise f Lösungsvektoren A(k) . Eigenfrequenzen √ Zu jeder Nullstelle λk gibt es eine Frequenz ωk = λk . Diese werden auch als Eigenfrequenzen bezeichnet. Wir zeigen, daß die Eigenfrequenzen für ein stabiles Gleichgewicht reell sind. Im allgemeinen besitzt ein Polynom komplexe Nullstellen. Aus der Symmetrie der Matrizen folgt jedoch, daß die Nullstellen λk reell sind. Um dies zu zeigen, nehmen wir zunächst an, es gäbe eine komplexe Nullstelle λ und einen zugehörigen komplexen Lösungsvektor A. Durch skalare Multiplikation von (5.78) mit A∗ erhält man λ= A∗ · k · A . A∗ · µ · A Die konjugiert komplexe Gleichung ist λ∗ = (A∗ · k · A)∗ (A∗ · µ · A)∗ ∗ Für eine hermitesche Matrix, Mmn = Mnm , ist (A∗ · M · A)∗ = A · M ∗ · A∗ = A∗ · M · A reell. Die reellen symmetrischen Matrizen µmn und kmn sind auch hermitesch. Daraus folgt λ∗ = λ, so daß λ tatsächlich reell ist. Damit können auch die Lösungsvektoren A reell gewählt werden. Da die Matrizen außerdem positiv definit sind, folgt sogar, daß alle Nullstellen positiv sind. Daher können auch die Eigenfrequenzen ωk reell und positiv gewählt werden. Eine Sonderrolle spielt die doppelte Nullstelle ωk2 = 0. Wegen ξ¨ = −ω 2 ξ entspricht diese Lösung einer gleichförmigen Bewegung ξ = ξ0 + ξ˙0 t. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 109 Normalmoden Die Lösungen der Schwingungsgleichung für ωk > 0 besitzen die Form ξ (k) = A(k) < Ck e−iωk t = A(k) Bk cos(ωk t + αk ), (5.79) wobei Ck = Bk e−iαk eine komplexe Integrationskonstante darstellt und die Lösungsvektoren A(k) durch eine Normierungsvorschrift A(k) · µ · A(l) = δkl (5.80) festgelegt wurden. Dies sind Schwingungen mit genau einer Eigenfrequenzen, die als Normalmoden bezeichnet werden. Die allgemeine Lösung des linearen Gleichungssystems ist eine Superposition aller Normalmoden, f X ξ= A(k) Bk cos(ωk t + αk ) . (5.81) k=1 Die hierbei auftretenden 2f Integrationskonstanten werden durch die Anfangsbe˙ dingungen ξ(0) = ξ0 und ξ(0) = ξ˙0 bestimmt. 5.7 5.7.1 Starrer Körper Freiheitsgrade Ein Körper wird als starrer Körper bezeichnet, wenn alle Punkte der Massenverteilung feste Relativabstände zueinander besitzen. Die Massenverteilung kann punktförmig oder kontinuierlich vorgegeben sein. Ein Punkt Pν eines starren Körpers kann in einem Inertialsystem S durch den Ortsvektor r ν,S = r 0 + r ν (5.82) dargestellt werden. Hierbei bezeichnet r 0 einen beliebigen Bezugspunkt im starren Körper, der den Ursprung eines körperfesten Bezugssystems K bildet. Der Ortsvektor von Pν im körperfesten System ist r ν . Die Basisvektoren und die Koordinaten in den beiden Bezugssystemen werden durch folgende Notation unterschieden: S : r S = x(t)ex + y(t)ey + z(t)ez , K : r = x1 e1 (t) + x2 e2 (t) + x3 e3 (t). Ein starrer Körper besitzt 6 Freiheitsgrade, drei Freiheitsgrade der Translation und drei Freiheitsgrade der Rotation. Die Lage seiner Punkte kann dementsprechend durch die 3 Komponenten des Bezugspunktes und durch die 3 Winkel der Drehung von K relativ zu S angegeben werden. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 5.7.2 110 Eulersche Winkel Die Drehung von K relativ zu S kann durch die drei Eulerwinkel φ, θ und ψ angegeben werden, die durch die folgenden drei aufeinanderfolgenden Drehungen definiert sind. Die xy Ebene von S schneidet die x1 x2 Ebene von K entlang einer Geraden, die als Knotenlinie bezeichnet wird. Die erste Drehung ist eine Drehung um die z-Achse um den Winkel φ, so daß die x-Achse mit der Knotenlinie zur Deckung gebracht wird. Der Einheitsvektor der gedrehten x-Achse zeigt entlang der Knotenlinie und wird mit eK bezeichnet. Die zweite Drehung ist eine Drehung um die Knotenlinie um den Winkel θ, so daß die z-Achse mit der x3 -Achse zur Deckung kommt. Bei der dritten Drehung um die x3 -Achse um den Winkel ψ wird schließlich die x-Achse von der Knotenlinie bis zur x1 -Achse gedreht. Damit sind die Achsen von S in die Achsen von K überführt worden. Die Einheitsvektoren der drei Drehachsen besitzen im körperfesten System die Darstellung nφ = ez = sin θ sin ψe1 + sin θ cos ψe2 + cos θe3 nθ = eK = cos ψe1 − sin ψe2 nψ = e3 (5.83) Abbildung 5.7: Eulerwinkel 5.7.3 Winkelgeschwindigkeit Die Geschwindigkeit eines Punktes Pν ist v ν,S = v 0 + ω × r ν . (5.84) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 111 Der erste Term bezeichnet die Geschwindigkeit des Bezugspunktes, der zweite die Geschwindigkeit der Drehung um den Bezugspunkt. Die Komponenten der vektoriellen Winkelgeschwindigkeit ω im körperfesten System werden mit ω = pe1 + qe2 + re3 . (5.85) bezeichnet. Sie können in folgender Weise durch die Euler-Winkel ausgedrückt werden. Die infinitesimale Drehung um dϕ = ωdt im Zeitintervall dt kann additiv aus den Drehungen um die drei Eulerwinkel zusammengesetzt werden, ω = φ̇nφ + θ̇nθ + ψ̇nψ . (5.86) Die hierbei angenommene Additivität infinitesimaler Drehungen zeigt man wie folgt: dr 1 dr 2 dr ω = = = = ω 1 ×rdt ω 2 ×(r + dr 1 )dt = ω 2 ×rdt dr 1 + dr 2 = (ω 1 + ω 2 )×rdt = ω×rdt ω1 + ω2. (5.87) Die Komponenten von ω in K berechnen sich damit zu p = ω · e1 = φ̇ sin θ sin ψ + θ̇ cos ψ q = ω · e2 = φ̇ sin θ cos ψ − θ̇ sin ψ r = ω · e3 = φ̇ cos θ + ψ̇ 5.7.4 (5.88) Trägheitstensor Kinetische Energie Die kinetischen Energie des starren Körpers kann durch Momente der Massenverteilung, die Gesamtmasse M , den Schwerpunkt R, und den Trägheitstensor Θ= X mν rν2 I − r ν r ν (5.89) ν ausgedrückt werden. Man findet 1 1 T = M v02 + ω·Θ · ω + ω·(R×M v 0 ). 2 2 (5.90) Der erste Anteil ist die Translationsenergie des Bezugspunktes, der zweite die Rotationsenergie um den Bezugspunkt. Als neue Größe tritt hierbei der Trägheitstensor Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 112 auf. Der dritte Anteil ist ein Mischterm. Er verschwindet, wenn entweder der Bezugspunkt ruht (v 0 = 0) oder wenn der Schwerpunkt als Bezugspunkt gewählt wird (R = 0). Zur Herleitung dieses Ergebnisses summiert man die kinetischen Energien der einzelnen Massenpunkte mit den Geschwindigkeiten (5.84), 1X mν (v 0 + ω × r ν )2 2 ν 1X = mν v02 + 2v 0 ·(ω × r ν ) + (ω × r ν )2 2 ν 1X 1 = M v02 + ω·(R×M v 0 ) + mν (ω × r ν )2 . 2 2 ν T = Der letzte Term stellt die Rotationsenergie dar. Sie kann auf folgende Weise umgeformt werden, 1X mν (ω × r ν )·(ω × r ν ) 2 ν 1X mν ω· {r ν × (ω × r ν ))} = 2 ν 1X = mν ω· rν2 ω − (ω · r ν ) r ν 2 ν ( ) X 1 = ω· mν rν2 I − r ν r ν ·ω. 2 ν Trot = (5.91) Der in Klammern stehende Ausdruck ist der Trägheitstensor. Koordinatendarstellung des Trägheitstensors Definiert man die Koordinaten des Punktes Pν durch xνi = r ν ·ei , so lautet die Komponentendarstellung des Trägheitstensors Θik = ei ·Θ · ek = X mν rν2 δik − xνi xνk ν Die entsprechende Darstellung der Rotationsenergie lautet Trot = 3 1 X Θik ωi ωk 2 i,k=1 (5.92) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 113 Für eine kontinuierliche Massenverteilung mit der Massendichte γ(r) kann die Summation durch eine Integration ersetzt werden, Z Z M = dV γ(r), Θik = dV γ(r) r2 δik − xi xk . (5.93) Trägheitsmomente Eine einfachere Darstellung erhält man, indem man die Drehachse n als eine Koordinatenachse wählt. Hier gilt 1 Trot = Θnn ω 2 , 2 Θnn = n · Θ · n, ω = ωn. Hierbei wird Θnn als das Trägheitsmoment des starren Körpers bezüglich der Drehachse n bezeichnet. Es kann nach der Formel X X Θnn = mν (n × r ν )2 = mν rν2 sin2 ϑν ν ν berechnet werden, wobei ϑν den Winkel zwischen r ν und n bezeichnet. Hauptträgheitsmomente Der Trägheitstensor ist symmetrisch und besitzt daher in einem beliebigen Koordinatensystem 6 unabhängige Elemente. Eine symmetrische Matrix kann durch eine Drehung der Koordinatenachsen immer auf Diagonalform gebracht werden. Dieses Koordinatensystem heißt Hauptachsensystem des Trägheitstensors, die Diagonalelemente der Matrix sind die Hauptträgheitsmomente. Die Hauptachsen xi und die zugehörigen Hauptträgheitsmomente Θi findet man als Lösungen des Eigenwertproblems Θ · xi = Θi xi , det |Θik − Θi δik | = 0. (5.94) Sind allle Hauptträgheitsmomente verschieden, so nennt man den starren Körper einen unsymmetrischen Kreisel. Sind zwei Hauptträgheitsmomente gleich, so handelt es sich um einen symmetrischen Kreisel. Sind alle drei Hauptträgheitsmomente gleich, so spricht man von einem Kugelkreisel. Drehimpuls Der Drehimpuls des starren Körpers um den Bezugspunkt r 0 kann ebenfalls mit Hilfe des Trägheitstensors angegeben werden, L = R×M v 0 + Θ · ω. (5.95) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 114 Der erste Term verschwindet, wenn der Bezugspunkt ruht oder wenn der Schwerpunkt als Bezugspunkt gewählt wird. Unter diesen Voraussetzungen gilt L = Θ · ω. (5.96) Der Trägheitstensor ist eine lineare Abbildung der Winkelgeschwindigkeit auf den Drehimpuls. Nur bei Drehungen um eine Hauptträgheitsachse ist L parallel zu ω. Zur Herleitung von (5.95) summiert man wieder die Einzeldrehimpulse, X L = r ν ×mν (v 0 + ω × r ν ) ν = X (mν r ν )×v 0 + mν r ν ×(ω × r ν ) ν = R×M v 0 + ( X ) mν rν2 − r ν r ν ·ω. (5.97) ν 5.7.5 Eulersche Kreiselgleichungen Die Änderungen des Gesamtimpulses P und des Gesamtdrehimpulses L eines starren Körpers genügen im Inertialsystem S den Gleichungen d P = F, dt d L = N. dt (5.98) Hierbei bezeichen F = X F eν , N= ν X r S,ν ×F eν (5.99) ν die Summe der äußeren Kräfte bzw. Drehmomente. Wir beschränken uns auf den Fall, in dem die von außen einwirkende Gesamtkraft verschwindet, so daß X X F = 0, N= (r 0 + r ν )×F eν = r ν ×F eν ν ν gesetzt werden kann. Damit ist der Gesamtimpuls erhalten. Das Drehmoment kann wie angegeben auf das körperfeste System bezogen werden. Zur Vereinfachung des Drehimpulssatzes sei der Bezugspunkt so gewählt, daß für den Drehimpuls (5.96) gilt. Die Achsen des körperfesten Bezugssystems können noch so gewählt werden, daß das körperfeste System ein Hauptachsensystem darstellt. Die Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 115 Transformation der Drehimpulsänderung auf das körperfeste System ergibt dann, dL dL = +ω ×L dt S dt K dω = Θ· + ω× (Θ · ω) (5.100) dt K In Komponentenschreibweise lautet das Gleichungssystem Θ1 ṗ + (Θ3 − Θ2 )qr = N1 Θ2 q̇ + (Θ1 − Θ3 )pr = N2 Θ3 ṙ + (Θ2 − Θ1 )pq = N3 . (5.101) Hierbei sind die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit durch (5.88) und die Hauptträgheitsmomente durch (5.94) definiert. Diese Gleichungen werden als Eulersche Kreiselgleichungen bezeichnet. Sie bestimmen die Eulerwinkel und damit die Orientierung des starren Körper als Funktion der Zeit. 5.7.6 Kräftefreie Bewegung Bei der Diskussion der Eulerschen Kreiselgleichungen beschränken wir uns auf den kräftefreien Fall. Hier verschwindet das Drehmoment N auf der rechten Seite von (5.101). Gleichförmige Rotation eines unsymmetrischen Kreisels Wir untersuchen zuerst unter welchen Bedingungen ein unsymmetrischer Kreisel um eine körperfeste Achse gleichförmig rotieren kann. Unter der Voraussetzung ω̇ = 0 folgt aus (5.100), daß der Drehimpuls parallel zur Winkelgeschwindigkeit gerichtet sein muß, L = Θ · ω = Θi ω Dies ist die Bedingung für eine Hauptträgheitsachse. Somit sind gleichförmige Rotationen nur um Hauptträgheitsachsen möglich. Die Drehachse sei nun nahezu parallel zu einer Hauptträgheitsachse. Ohne Einschränkung sei dies die Achse mit dem Hauptträgheitsmoment Θ1 , so daß q << p und r << p gilt. In diesem Fall können die Bewegungsgleichungen (5.101) durch Linearisierung in den kleinen Größen q und r vereinfacht werden, Θ1 ṗ = 0 Θ2 q̇ + (Θ1 − Θ3 )pr = 0 Θ3 ṙ + (Θ2 − Θ1 )pq = 0. (5.102) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 116 Aus der ersten Gleichung folgt, daß p = p0 als konstant angenommen werden kann. Aus den beiden anderen Gleichungen erhält man die Schwingungsgleichungen q̈ + Hq = 0, r̈ + Hr = 0, H= (Θ1 − Θ3 )(Θ1 − Θ2 ) 2 p0 . Θ2 Θ3 Für H > 0 ist die Drehung um die Hauptträgheitsachse stabil, für H < 0 instabil. Stabile Drehungen erfolgen daher um die Hauptträgheitsachsen mit dem kleinsten und dem größten Trägheitsmoment. Die Drehung um die Hauptträgheitsachse mit dem mittleren Trägheitsmoment ist instabil. Symmetrischer Kreisel Gegeben sei nun ein symmetrischer Kreisel mit der Symmetrieachse x3 . Die Symmetrieachse wird als Figurenachse bezeichnet. Setzt man Θ1 = Θ2 , w= (Θ1 − Θ3 ) Θ1 so reduzieren sich die Bewegungsgleichungen (5.101) auf die Form ṗ − wqr = 0 q̇ + wpr = 0 ṙ = 0. (5.103) Die Lösung bestimmt die Komponenten der Winkelgeschwindigkeit im körperfesten System, p = φ̇ sin θ sin ψ + θ̇ cos ψ = a sin(wt + ψ0 ), ṗ q = φ̇ sin θ cos ψ − θ̇ sin ψ = = a cos(wt + ψ0 ), w r = φ̇ cos θ + ψ̇ = r0 , (5.104) mit Integrationskonstanten a, ψ0 und r0 . Die Winkelgeschwindigkeit ω bildet einen festen Winkel γ mit der Figurenachse, der durch tan γ = a/r0 bestimmt ist. Dabei läuft sie auf einem Kegel, dem Polkegel, um die Figurenachse um. Im Inertialsystem ist der Drehimpuls erhalten. Wählt man die z- Achse des Inertialsystems in Richtung des Drehimpulsvektors, so gilt L = L0 ez . Die Komponenten von L im körperfesten System sind dann L1 ez ·e1 sin θ sin ψ θ1 p L2 = L0 ez ·e2 = L0 sin θ cos ψ = θ2 q . (5.105) L3 ez ·e3 cos θ θ3 r Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 117 Abbildung 5.8: Präzession eines kräftefreien symmetrischen Kreisels. Wegen θ3 r0 = const folgt aus der dritten Komponente L3 = L0 cos θ = θ3 r0 , daß der Eulerwinkel θ = θ0 konstant ist. Daher läuft die Figurenachse auf einem Kegel mit Öffnungswinkel 2θ0 um die raumfeste Drehimpulsachse um. Dieser Kegel wird als Präzessionskegel bezeichnet. Die Drehachse ω = φ̇ez + ψ̇e3 bildet mit der Drehimpulsachse ebenfalls einen festen Winkel. Sie läuft auf dem sogenannten Spurkegel um die Drehimpulsachse um. Anschaulich ergibt sich die Präzession der Figurenachse, indem der Polkegel auf dem Spurkegel abrollt. Die restlichen beiden Eulerwinkel können durch die ersten beiden Gleichungen von (5.104) bestimmt werden. Man erhält φ̇2 sin2 θ0 = a2 =⇒ φ̇ sin θ0 sin ψ = a sin ψ =⇒ a t sin θ0 ψ = ψ0 + wt. φ = φ0 + Kapitel 6 Hamiltonsche Mechanik Die mechanischen Bewegungsgleichungen können als ein 2f dimensionales Differentialgleichungssystem erster Ordnung für Bewegungen im Phasenraum dargestellt werden. An die Stelle der Lagrangefunktion tritt hier die Hamiltonfunktion. Die Hamiltonsche Theorie ist von besonderer Bedeutung, da der Übergang zur Quantenmechanik hier durch einfache Quantisierungsregeln vollzogen werden kann. 6.1 Kanonische Gleichungen Die verallgemeinerten Impulse werden durch die partiellen Ableitungen der Lagrangefunktion nach den verallgemeinerten Geschwindigkeiten definiert, pn = pn (q, q̇, t) = ∂L . ∂ q̇n (6.1) Wir suchen nun umgekehrt eine Funktion, deren partielle Ableitungen nach den verallgemeinerten Impulsen die verallgemeinerten Geschwindigkeiten bestimmen. Eine solche Umkehrung läßt sich mit einer Legendretransformation erreichen. Legendretransformation Das totale Differential der Lagrangefunktion X ∂L ∂L ∂L dqn + dq̇n + dt ∂q ∂ q̇ ∂t n n n X ∂L ∂L = dqn + pn dq̇n + dt ∂q ∂t n n dL = 118 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 119 drückt die Abhängigkeit dieser Funktion von den Variablen q, q̇ und t aus. In der zweiten Zeile wurde nur die Definition der verallgemeinerten Impulse (6.1) substituiert. Subtrahiert man davon das Differential X X d pn q̇n = pn dq̇n + q̇n dpn n n so erhält man das Differential einer Funktion, die von den Variablen q, p und t abhängt ! X X ∂L ∂L d L− p n qn = dqn − q̇n dpn + dt. (6.2) ∂qn ∂t n n Man definiert die Hamiltonfunktion H = H(p, q, t) durch X H = H(p, q, t) = pn q̇n − L. (6.3) n Dies ist die Energie des Systems, ausgedrückt durch die Variablen q, p und t. Die partiellen Ableitungen der Hamiltonfunktion nach diesen Variablen sind ∂H = q̇n , ∂pn ∂H ∂L =− , ∂qn ∂qn ∂L H =− . ∂t ∂t (6.4) Die partiellen Ableitungen der Hamiltonfunktion nach den verallgemeinerten Impulsen bestimmen somit die verallgemeinerten Geschwindigkeiten. Die restlichen partiellen Ableitungen sind bis auf das Vorzeichen unverändert. Bewegungsgleichungen Mit der Hamiltonfunktion lassen sich die Bewegungsgleichungen des Systems im Phasenraum (q, p) angeben. Aus (5.39) und (6.4) erhält man die kanonischen Gleichungen, q̇n = ∂H , ∂pn ṗn = − ∂H ∂qn . (6.5) Sie stellen ein Differentialgleichungessystem 1. Ordnung für die 2f Variablen (q, p) dar. Zyklische Variablen und Energieerhaltung Hängt die Hamiltonfunktion nicht explizit von einer Koordinate ab, so ist der zugehörige verallgemeinerte Impuls erhalten, ∂H =0 ∂qn =⇒ pn = const. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 120 Ist die Hamiltonfunktion nicht explizit zeitabhängig, so ist die Energie erhalten, dH dt X ∂H ∂H ∂H ṗn + q̇n + ∂pn ∂qn ∂t n X ∂H ∂H ∂H ∂H ∂H − + + = ∂pn ∂qn ∂qn ∂pn ∂t n = = ∂H = 0. ∂t (6.6) Hamiltonfunktion einer Ladung im elektromagnetischen Feld Aus der Lagrangefunktion (5.65) findet man den kanonischen Impuls q p = mv + A. c Damit erhält man die Hamiltonfunktion H = p·v−L q 1 = p · v − mv 2 + qφ − v · A 2 c 1 = mv 2 − mv 2 + qφ 2 1 2 mv + qφ = 2 (p − qc A)2 = + qφ. 2m 6.2 Modifiziertes Hamiltonsches Prinzip Die Hamiltonschen Gleichungen lassen sich aus einem Variationsprinzip ableiten. Sei LH (q, q̇, p, t) = f X pn q̇n − H(p, q, t) n=1 die Lagrangefunktion des Systems als Funktion der unabhängigen Variablen q, q̇, p und Zt2 S[p, q] = dtLH t1 die Wirkung als Funktional der Bahn (p, q) im Phasenraum. Dann folgen die Hamiltonschen Gleichungen aus dem modifizierten Hamiltonschen Prinzip δS[q, p] = 0, mit δq(t1 ) = δq(t2 ) = δp(t1 ) = δp(t2 ) = 0. (6.7) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 121 Die Variation nach den Funtionen q und p ergibt die Euler-Lagrangegleichungen, d ∂LH dt ∂ q̇n d ∂LH dt ∂ ṗn ∂LH ∂qn ∂LH = . ∂pn = Mit ∂LH ∂ q̇n ∂LH ∂ ṗn = pn , = 0, ∂LH ∂H =− ∂qn ∂qn ∂LH ∂H = q̇n − ∂pn ∂pn folgen daraus die kanonischen Gleichungen (6.5). 6.3 Poisson-Klammern Sei F (p, q, t) eine beliebige Funktion der Variablen p, q, t. Dann ist deren totale Zeitableitung ∂F ∂F X ∂F + q̇n + ṗn ∂t ∂q ∂p n n n ∂F X ∂F ∂H ∂F ∂H + = − . ∂t ∂q ∂p ∂p ∂q n n n n n dF dt = Definiert man die Poissonklammern zweier Funktionen u(p, q) und v(p, q) durch X ∂u ∂v ∂u ∂v u, v = − , ∂q ∂p ∂p ∂q n n n n n (6.8) dF ∂F = + F, H . dt ∂t (6.9) so gilt Setzt man F = q bzw. F = p so erhält man die Bewegungsgleichungen in der symmetrischen Form q̇n = qn , H , ṗn = pn , H . (6.10) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 122 Eine Größe F , die nicht explizit von der Zeit abhängt, ist genau dann eine Erhaltungsgröße, wenn die mit F und der Hamiltonfunktion H gebildete Poissonklammer verschwindet: dF ∂F = = 0, ⇐⇒ F, H = 0. ∂t dt Die Poissongleichungen zwischen Paaren von Koordinaten und Impulsen lauten, qn , qm = 0, pn , pm = 0, qn , pm = − pm , qn = δnm . (6.11) Die Poissongleichungen erfüllen folgende algebraische Identitäten: u, v = − v, u λu + µv, w = λ u, w + µ v, w uv, w = u, w v + u v, w u, v , w + w, u , v + v, w , u = 0. Die letzte Gleichung heißt Jacobi-Identität. In der Quantenmechanik werden die Variablen p und q zu Operatoren und die Poissonklammern zu Kommutatoren. Die Gleichungen (6.11) bilden die Grundlage für die Quantisierung eines mechanischen Systems. 6.4 Kanonische Transformationen In der Lagrangetheorie können beliebige verallgemeinerte Koordinaten gewählt werden. Bei einer Koordinatentransformation q −→ Q = Q(q, t) bleibt die Form der Lagrangegleichungen erhalten. In der Hamiltonschen Theorie lassen sich Koordinaten und Impulse gemeinsam transformieren. Man nennt eine solche Transformation kanonisch, wenn dabei die Form der kanonischen Gleichungen erhalten bleibt. Eine kanonische Transformation besitzt demnach die Form q −→ Q = Q(p, q, t), p −→ P = P (p, q, t), H −→ K = K(P, Q, t). (6.12) Hierbei bezeichnen Q die neuen Koordinaten, P die neuen Impulse und K eine neue Hamiltonfunktion. Diese erfüllen die kanonischen Bewegungsgleichungen, Q̇n = ∂K , ∂Pn Ṗn = − ∂K . ∂Qn (6.13) Kanonische Transformationen können durch Umeichungen der Larangefunktion erzeugt werden. Bei einer solchen Umeichung bleiben die Bewegungsgleichungen invariant. Wir fordern daher, daß sich die Lagrangefunktionen des modifizierten Hamiltonschen Prinzips in den alten und neuen Koordinaten nur durch eine totale Zeitableitung voneinander unterscheiden, Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull X pn q̇n − H = n X Pn Q̇n − K + n 123 d F (q, p, Q, P, t) dt (6.14) Hierbei ist F (q, p, Q, P, t) eine beliebige Funktion, die man erzeugende Funktion der kanonischen Transformation nennt. Aufgrund der Transformationsgleichungen (6.12) sind nur zwei der vier Variablen unabhängig voneinander. Ohne Einschränkung können wir eine erzeugende Funktion F = F (q, Q, t) annehmen und (6.14) in der Form X dF = pn dqn − Pn dQn − (H − K)dt (6.15) n schreiben. Daraus folgt pn = ∂F , ∂qn Pn = − ∂F , ∂Qn K=H+ ∂F . ∂t (6.16) Für eine gegebene Funktion F = F (q, Q, t) bestimmen die ersten beiden Gleichungen die kanonische Transformation der Koordinaten und Impulse, die letzte Gleichung stellt die Transformation der Hamiltonfunktion dar. Die erste Gleichung hat die Form p = p(q, Q, t). Sie definiert implizit die neuen Koordinaten Q = Q(q, p, t). Die zweite Gleichung besitzt die Form P = P (q, Q). Zusammen mit der ersten Gleichung erhält man daraus die neuen Impulse. Man kann erzeugende Funktionen wählen, die von anderen Variablenpaaren abhängen, z.B. S = S(q, P, t). Durch Legendretransformation erhält man ! X X dS = d F + Pn Qn = pn dqn + Qn dPn − (H − K)dt. (6.17) n n Damit lauten die Transformationsgleichungen für die erzeugende Funktion S pn = 6.5 ∂S , ∂qn Qn = ∂S , ∂Pn K=H+ ∂S . ∂t (6.18) Hamilton-Jacobi-Differentialgleichung Sei S(q, P, t) eine kanonische Transformation, die so gewählt ist, daß für die neue Hamiltonfunktion K = 0 gilt. In diesem Fall sind die neuen Koordinaten und Impulse konstant und stellen 2f Integrationskonstanten des Differentialgleichungssystems dar. Die zugehörige kanonische Transformation genügt nach (6.18) der Hamilton-JacobiDifferentialgleichung, ∂S ∂S + H(q, , t) = 0. ∂t ∂q (6.19) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 124 Dies ist eine partielle Differentialgleichung, deren Lösung dem Auffinden der Teilchenbahnen äquivalent ist. Kapitel 7 Relativistische Mechanik 7.1 Relativitätsprinzip Erfahrungsgemäß ist die Lichtgeschwindigkeit in allen Inertialsystemen gleich groß: c = 2.998 · 108 km m ≈ 300 000 . s s (7.1) Dies wurde zuerst 1887 im Experiment von Michelson und Morley nachgewiesen. Die beobachtete Konstanz der Lichtgeschwindigkeit steht jedoch im Widerspruch zum Galileischen Relativitätsprinzip der Newtonschen Mechanik. Galileitransformation: Wir betrachten einen Vorschub des Koordinatensystems S 0 mit der Geschwindigkeit v in x-Richtung: x0 = x − vt, t0 = t. (7.2) Die Phase Φ = kx − ωt einer Lichtwelle bestimmt die Anzahl der Wellenlängen Abbildung 7.1: Bewegtes Koordinatensystem S 0 . Der Ursprung von S’ ist gegenüber S um vt verschoben. 125 Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 126 eines Wellenzuges. Sie muß daher unabhängig vom Bezugssystem sein. Aus dieser Forderung ergibt sich ! k 0 x0 − ω 0 t0 = k 0 x − (ω 0 + k 0 v)t = kx − ωt k = k0, ω = ω 0 + k 0 v. (7.3) Im Vakuum breitet sich die Lichtwelle mit der Phasengeschwindigkeit ω 0 /k 0 = ω/k = c aus. Aufgrund der Galileitransformation (7.3) erhält man jedoch c= ω ω0 + k0v ω0 = = + v = c0 + v k k0 k0 (7.4) Dies widerspricht der Beobachtung c = c0 . Einstein hat diesen Widerspruch dadurch gelöst, daß er die Forderung nach Galilei-Invarianz durch ein neues Relativitätsprinzip (Lorentz-Invarianz) ersetzt hat. Die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit wird dabei als physikalisches Grundprinzip eingeführt. Einsteinsches Relativitätsprinzip (ER): (E1) Alle Inertialsysteme sind gleichwertig. (E2) Die Lichtgeschwindigkeit ist in allen Inertialsystemen gleich groß. Die Transformation zwischen Inertialsystemen, die dem ER genügen, nennt man Lorentz-Transformationen. Physikalische Gesetze, die gegenüber LorentzTransformationen invariant sind, nennt man lorentzinvariant oder relativistisch. 7.2 Lorentz-Transformation Als Verallgemeinerung der Galileitransformation wird eine allgemeine lineare Transformation der Koordinaten angenommen: 0 0 0 0 x x Λ 0 Λ0 1 = (7.5) 1 1 1 Λ0 Λ1 x x1 Koordinaten in S : (ct, x) ≡ (x0 , x1 ) 0 0 Koordinaten in S’ : (ct0 , x0 ) ≡ (x0 , x1 ) Die 4 Konstanten Λα β hängen nur von v ab. Sie werden durch folgende Forderungen bestimmt: 0 1. Ursprung von S’: x1 = 0; x1 = vt = βx0 ; β = v c 0 x1 = Λ1 0 x0 + Λ1 1 x1 = 0 x1 Λ1 0 ! = − =β x0 Λ1 1 (7.6) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 0 2. Ursprung von S: x1 = 0; x1 = −vt0 = −βx0 127 0 0 x1 Λ1 0 ! = −β = x 00 Λ0 0 (7.7) 0 0 3. Invarianz der Lichtgeschwindigkeit: x1 = x0 , x1 = x0 0 x1 Λ1 0 + Λ1 1 =1 = x 00 Λ0 0 + Λ0 1 (7.8) Damit sind 3 der 4 Konstanten festgelegt. Setzt man γ(v) := Λ0 0 für die verbleibende Konstante, so gilt 0 0 0 x x 1 −β , = γ(v) −β 1 x1 x1 Λ1 1 = Λ0 0 = γ; Λ1 0 = Λ0 1 = −βγ. (7.9) 0 0 4. Raumspiegelung: Eine Raumspiegelung x1 → −x1 , x1 → −x1 ist äquivalent zu einer Umkehr der Geschwindigkeit v → −v. Führt man gleichzeitig eine Raumspiegelung und eine Geschwindigkeitsumkehr durch, so muß sich das ursprüngliche Transformationsgesetz ergeben. 0 0 0 x x 1 β = γ(−v) 1 β 1 −x −x1 0 0 0 x x 1 −β = γ(−v) 1 −β 1 x1 x Daraus folgt: γ(v) = γ(−v). 5. Inverse Transformation: Die inverse Transformation 0 0 0 x 1 1 x 1 β = 1 2 β 1 x γ(v) 1 − β x1 (7.10) (7.11) muß äquivalent sein zu einer Transformation mit der Geschwindigkeit −v. Daraus folgt: 1 1 γ(−v) = . (7.12) γ(v) 1 − β 2 Aus (7.10) und (7.12) folgt γ=p 1 1 − β2 . (7.13) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull Die gesuchte Lorentz-Transformation ist, 0 0 0 x x 1 −β =γ ; 1 −β 1 x x1 128 1 γ=p 1 − β2 ; β= v c (7.14) In expliziter Form lautet sie: t − vx/c2 t0 = p , 1 − v 2 /c2 x − vt x0 = p 1 − v 2 /c2 . (7.15) Für kleine Geschwindigkeiten, v 2 /c2 1, geht die Lorentz-Transformation (7.15) in die Galileitransformation (7.2) über. Die Koordinatenachsen (x00 = 0, x10 = 0) des bewegten Systems S’ erscheinen im Inertialsystem S gegeneinander verdreht (Abb. 7.2). Punkte t > 0, die in S am Ort x = 0 beobachtet werden, erscheinen in S’ entlang der negativen x’-Achse. Punkte x > 0, die in S zur Zeit t = 0 beobachtet werden, erscheinen in S’ zu früheren Zeiten t0 < 0. Abbildung 7.2: Koordinatenlinien x00 = const, x10 = const eines bewegten Inertialsystems S’ (rechts) im Inertialsystem S (links). 7.3 7.3.1 Der Abstand von Ereignissen Raumzeit Ereignis: Die Ortskoordinaten x1 , x2 , x3 und die Zeitkoordinate x0 = ct eines Inertialsystems bilden einen 4-dimensionalen Raum. Die Punkte (x0 , x1 , x2 , x3 ) dieses Raumes nennt man Ereignisse. Betrachtet man nur Relativbewegungen in einer Koordinatenrichtung (x1 ), so können die Ereignisse (x0 , x1 ) in einer Ebene dargestellt werden. Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 129 Weltlinien: Die Bahnkurve eines Teilchens im 4-dimensionalen Raum heißt Weltlinie (Abb. 7.3). Die Weltlinien eines Photons, welches sich zur Zeit t = 0 im Ursprung befindet, liegen auf dem Lichtkegel ct = r. Die Weltlinie x = vt eines Teilchens mit der Geschwindigkeit v < c liegt innerhalb des Lichtkegels. Ereignisse innerhalb des Lichtkegels können vom Ursprung aus durch ein Signal, welches sich mit einer Geschwindigkeit v < c ausbreitet, erreicht werden. Ereignisse außerhalb des Lichtkegels sind so weit vom Ursprung entfernt, daß sie durch kein Signal mit v ≤ c erreicht werden können. Abbildung 7.3: Die Weltlinie eines Teilchens mit der Geschwindigkeit v. Abstand: In Analogie zum 3-dimensionalen Abstandsquadrat r2 = (x1 )2 + (x2 )2 + (x3 )2 definiert man das 4-dimensionale Abstandsquadrat s2 = (x0 )2 − r2 . (7.16) Im Unterschied zur euklidischen Geometrie ist das Vorzeichen beim räumlichen Abstand negativ. Damit wird das Abstandsquadrat unabhängig von der Wahl des Inertialsystems. Nach dem Relativitätsprinzip gilt für ein Photon r = x0 und damit s2 = 0 für alle Inertialsysteme. Aufgrund der Lorentz-Transformation sind auch Abstände s2 6= 0 unabhängig vom Inertialsystem: 0 0 s02 = (x0 )2 − (x1 )2 = γ 2 [+(x0 − βx1 )2 − (x1 − βx0 )2 ] = +(x0 )2 − (x1 )2 = s2 . (7.17) Nach dem Vorzeichen von s2 unterscheidet man: s2 = 0 : Lichtartiger Abstand s2 < 0 : Raumartiger Abstand s2 > 0 : Zeitartiger Abstand (7.18) Da s2 invariant ist, ist diese Unterscheidung unabhängig vom Inertialsystem. Bei raumartigen Abständen kann ein Koordinatensystem gefunden werden, in dem das Ereignis (x0 , x1 ) gleichzeitig zum Ereignis (0, 0) stattfindet: ! x00 = γ(x0 − βx1 ) = 0 ⇒ β= x0 < 1. x1 (7.19) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 130 Bei zeitartigen Abständen kann ein Koordinatensystem gefunden werden, in dem das Ereignis (x0 , x1 ) am selben Ort wie das Ereignis (0, 0) stattfindet: ! x10 = γ(x1 − βx0 ) = 0 ⇒ β= x1 < 1. x0 (7.20) Abbildung 7.4: Der Lichtkegel trennt raumartige von zeitartigen Abständen. 7.3.2 Längenkontraktion Ein Stab bewege sich im Laborsystem S mit der Geschwindigkeit v in x-Richtung (Abb.7.5a). Längenmessung in S: Die Positionen x1 , x2 der Stabenden werden in S zur gleichen Zeit t1 = t2 gemessen: ∆x = x2 − x1 = l, ∆t = t2 − t1 = 0 (7.21) Der Stab ruht in einem mit v bewegten Inertialsystem. Die Länge ∆x0 = x02 − x01 = l0 (7.22) im Ruhesystem ist die Eigenlänge des Stabes. Lorentz-Transformation: ∆x0 = γ(∆x − v∆t) Mit ∆x0 = l0 , ∆x = l und ∆t = 0 folgt p l = 1 − v 2 /c2 l0 (7.23) (7.24) Die Ereignisse der Messung der Stabenden finden in S 0 zu verschiedenen Zeiten statt ∆t0 = γ(∆t − v v ∆x) = − 2 l0 2 c c (7.25) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 131 Abbildung 7.5: a) bewegte Maßstäbe erscheinen verkürzt b) bewegte Uhren gehen langsamer. 7.3.3 Zeitdilatation Eine Uhr bewege sich in S mit der Geschwindigkeit v in x-Richtung. Zu den Zeitpunkten t1 und t2 wird der Stand der Uhr mit Uhren in S an den Orten x1 bzw. x2 = x1 + v(t2 − t1 ) verglichen (Abb.7.5b). Zeitintervall im Ruhesystem S 0 der Uhr: ∆t0 = ∆τ, ∆x0 = 0 (7.26) Zeitmessung in S: ∆t; ∆x = v∆t (7.27) Lorentz-Transformation ∆x0 = γ(∆x − v∆t) v ∆t0 = γ(∆t − 2 ∆x) c (7.28) (7.29) Die Uhr wird in S an verschiedenen Orten abgelesen. ∆x0 = 0 ⇒ ∆x = v∆t. (7.30) Damit gilt: r v2 v2 (7.31) ∆τ = γ(1 − 2 )∆t = 1 − 2 ∆t. c c Die bewegte Uhr geht gegenüber den Uhren, die im Laborsystem ruhen nach (Zeitdehnung oder Zeitdilatation). Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 7.3.4 132 Eigenzeit Die Eigenzeit τ einer Uhr wird definiert als die Zeit im Ruhesystem der Uhr: v = 0 ⇒ ds2 = c2 dτ 2 ; 1 τ2 − τ1 = (s2 − s1 ) c (7.32) Die Eigenzeit ist unabhängig vom Inertialsystem, da der Abstand s2 − s1 lorentzinvariant ist. Zeit einer bewegten Uhr: Zur Zeit t bewege sich die Uhr in S mit Geschwindigkeit v(t). Im infinitesimalen Zeitintervall dt bewegt sie sich mit der momentanen Geschwindigkeit v(t) über eine Strecke dx = v(t)dt. In einem Inertialsystem S 0 , welches sich mit der konstanten Geschwindigkeit v0 = v(t) bewegt ist die Uhr momentan in Ruhe. Dem Zeitintervall dt entspricht das Eigenzeitintervall 1 1√ 2 2 c dt − dx2 ds = c c p = 1 − v 2 (t)/c2 dt dτ = (7.33) Für ein endliches Zeitintervall von t1 bis t2 gilt daher Zt2 r 1− τ= v 2 (t) dt. c2 (7.34) t1 Eine in S bewegte Uhr geht daher langsamer als eine in S ruhende Uhr. Um den Zeitvergleich der beiden Uhren zur Zeit t1 und t2 ausführen zu können, müssen sich die Uhren zu diesen Zeitpunkten am selben Ort befinden. Dies ist nur möglich, falls die bewegte Uhr im Zeitintervall zwischen t1 und t2 beschleunigt wurde. Da in beschleunigten Bezugssystemen andere Gesetze gelten, ist die angezeigte Zeitdifferenz der Uhren nicht im Widerspruch zum Relativitätsprinzip. Diejenige der beiden Uhren, die beschleunigt wurde, geht nach. (Zwillingsparadoxon, Lebensdauer schneller Myonen). 7.3.5 Gleichzeitigkeit Nach dem Galileischen Relativitätsprinzip können sich die Zeiten t und t0 in zwei Inertialsystemen nur durch eine Konstante t0 unterscheiden: t0 = t + t0 (7.35) Daher sind Zeitdifferenzen zwischen 2 Ereignissen in allen Inertialsystemen gleich groß: ∆t0 = ∆t (7.36) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 133 Zwei Ereignissen, die in einem Inertialsystem gleichzeitig stattfinden, ∆t = 0, sind dann auch in jedem anderen Inertialsystem gleichzeitig: ∆t0 = 0. Durch das Einsteinsche Relativitätsprinzip wird Gleichzeitigkeit zu einem relativen Begriff, der vom Inertialsystem des Beobachters abhängt. Zwei gleichzeitige Ereignisse (∆t = 0), die in S im Abstand ∆x voneinander stattfinden, treten in einem bewegten Inertialsystem S 0 im zeitlichen Abstand ∆t0 = γ(∆t − v v ∆x) = −γ 2 ∆x 2 c c (7.37) voneinander auf. Mit ∆x0 = γ(∆x − v∆t) = γ∆x (7.38) erhält man in S 0 die Zeitdifferenz ∆t0 = − v ∆x0 . c c (7.39) Eine absolute Bedeutung hat nur das Abstandsquadrat ∆s2 = c2 ∆t2 − ∆x2 . 7.4 Vierervektoren 4-dimensionale Raumzeit: 3 Orts- und eine Zeitkoordinate. Ortsvektor: xα ≡ (x0 , x1 , x2 , x3 ) = (ct, x, y, z) (7.40) ds2 = (x0 )2 − (x1 )2 − (x2 )2 − (x3 )2 = −ηαβ dxα dxβ (7.41) Wegelement: Lorentz-Metrik: ηαβ −1 0 = 0 0 0 1 0 0 0 0 1 0 0 0 0 1 (7.42) Summenkonvention: Über paarweise auftretende obere und untere Indizes wird summiert: 3 X 3 X α β ηαβ dxα dxβ (7.43) ηαβ dx dx ≡ α=0 β=0 Lorentz-Transformation: xα → xα 0 0 x α = Λα γ x γ + b α (7.44) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 134 bα = 0 : homogene Lorentz-Transformation bα 6= 0 : inhomogene Lorentz-Transformation Invarianz der Metrik gegenüber Lorentz-Transformation: 0 ηαβ dxα dxβ 0 = ηαβ Λα β Λβ δ dxγ dxδ ! = ηγδ dxγ dxδ (7.45) Da diese Bedingung für beliebige dxα gelten soll gilt: ηγδ = ηαβ Λα γ Λβ δ = (Λγ α )T ηαβ Λβ δ . (7.46) η = ΛT ηΛ (7.47) oder Vierervektoren: Koordinatendifferentiale transformieren sich bei Lorentztransformationen wie 0 dxα = Λα β dxβ . (7.48) Jede 4-komponentige Größe V α , die sich wie die Koordinatendifferentiale transformiert heißt 4-Vektor: 0 V α = Λα β V β (7.49) Lorentz-Skalare: Größen, die invariant sind gegenüber Lorentz-Transformationen heißen Lorentz-Skalare: s0 = s (7.50) Bsp.: s = ηαβ V α V β , Eigenzeit, Eigenlänge Kovariante u. kontravariante Komponenten V α ≡ (V 0 , V 1 , V 2 , V 3 ) kontravariant Vα ≡ (V0 , V1 , V2 , V3 ) kovariant Vα := ηαβ V β = (−V 0 , V 1 , V 2 , V 3 ). (7.51) Skalarprodukte können damit in der üblichen Form geschrieben werden s = ηαβ V α V β = Vα V α . 7.5 (7.52) Relativistische Mechanik Kovarianz: Gleichungen zwischen Skalaren, Vektoren oder allgemeiner Tensoren in der 4-dimensionalen Raumzeit sind gegenüber Lorentz-Transformationen forminvariant. Man nennt solche Gleichungen auch kovariant. Eine kovariante Gleichung ist z.B. aµ = b µ . (7.53) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 135 In einem anderen Inertialsystem S 0 gilt dann entsprechend 0 aµ = b µ 0 (7.54) für die transformierten Komponenten 0 aµ = Λ µ ν aν , 0 b µ = Λµ ν b ν . (7.55) Aus dem Einsteinschen Relativitätsprinzip ergibt sich die weitreichende Forderung, daß die Newtonsche Bewegungsgleichung revidiert und durch eine kovariante Bewegungsgleichung ersetzt werden muß. Geschwindigkeit: Die Geschwindigkeit eines Teilchens kann in naheliegender Weise als 4-Vektor verallgemeinert werden. Da das Koordinatendifferential dxα einen 4Vektor und das Eigenzeitintervall dτ = γ1 dt einen Skalar darstellt, ist uα = dxα dτ (7.56) ein 4-Vektor, der als die 4-Geschwindigkeit bezeichnet wird. In einem Inertialsystem S, in dem das Teilchen die Koordinaten xα = (ct, vt) besitzt, sind die Komponenten der 4-Geschwindigkeit dxα uα = γ = γ(c, v). (7.57) dt Im Ruhesystem des Teilchens (v = 0) gilt uα = (c, 0, 0, 0). (7.58) uα uα = γ 2 (−c2 + v 2 ) = −c2 (7.59) Der Skalar ist eine durch die Lichtgeschwindigkeit bestimmte Invariante. Additionstheorem der Geschwindigkeiten: Abbildung 7.6: Ein Teilchen bewege sich in dem Inertialsystem S 0 mit der Geschwindigkeit v 0 . Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 136 x0 = γ(x − ut) ux t0 = γ t − 2 c 0 x x − ut v−u v0 = 0 = ux = t t − c2 1 − uv c2 (7.60) Umkehrung: x = γ(x0 + ut0 ) ux0 0 t = γ t + 2 c 0 x v0 + u x + ut0 v = = 0 ux0 = 0 t t + c2 1 + uv c2 (7.61) Impuls: Die im Ruhesystem des Teilchens definierte Masse m (Ruhemasse) ist ebenfalls ein Lorentz-Skalar. Der 4-Vektor pα = muα (7.62) wird als 4-Impuls bezeichnet. Definiert man den relativistischen Impuls p = mγv und die relativistische Energie E = mγc2 so gilt E α p = ,p (7.63) c Die Energie im Ruhesystem, ER = mc2 , heißt Ruheenergie, E − ER = m(γ − 1)c2 heißt kinetische Energie. Zwischen Energie und Impuls besteht die relativistische Energie-Impulsbeziehung: E2 + p2 = −m2 c2 c2 p mc2 + m2 c4 + p2 c2 → E = pc pα pα = − p2 2m ; pm ; pm (7.64) Relativistische Bewegungsgleichung: Die kovariante Form der Bewegungsgleichung ist d α p = f α. (7.65) dτ Auf der linken Seite steht ein 4-Vektor. Die Kraft f α stellt daher ebenfalls einen 4-Vektor dar, der als 4-Kraft bezeichnet wird. Im momentanen Ruhesystem (S 0 ) des Teilchens gilt: f0 0 = dp0 = 0, dt f0 = dp = F, dt (7.66) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 137 wobei F die Newtonsche Kraft darstellt. Im Laborsystem S bewegt sich das Ruhesystem mit der Geschwindigkeit v. Durch Lorentz-Transformation erhält man, v·F , c 0 0 = γ(f k + βf 0 ) = γF k , 0 = f ⊥ = F ⊥. 0 0 f 0 = γ(f 0 + βf k ) = γ fk f⊥ (7.67) Hierbei bezeichnen k bzw. ⊥ Vektorkomponenten parallel bzw. senkrecht zu v. Zusammen ergibt dies die 4-Kraft v·F v(v · F ) α f = γ , F + (γ − 1) (7.68) c v2 Komponenten der Bewegungsgleichung: 0-Komponente: (Energiesatz) γ v·F d (mγc) = γ , dt c d (mγc2 ) = v · F . dt (7.69) Komponente k v: d = γFk , γ (mγv) dt k Komponente ⊥ v: d γ (mγv) = F ⊥, dt ⊥ d (mγv) = Fk . dt k (7.70) d 1 (mγv) = F ⊥ . dt γ ⊥ (7.71) Man definiert die relativistische Energie E und den relativistischen Impuls p durch E = γmc2 , p = γmv. (7.72) Die zeitliche Komponente der Bewegungsgleichung stellt den Energiesatz, die räumlichen Komponenten den Impulssatz dar. Lorentz-Kraft Die Bewegungsgleichung einer Ladung q im elektrischen Feld E und Magnetfeld B erhält man in folgender Weise. Das elektrische Feld im momentanen Ruhesystem sei E 0 . Die Kraft auf eine ruhende Ladung wird ausschließlich durch das elektrische Feld bestimmt, K = qE 0 . (7.73) Theoretische Physik: Mechanik WS 02/03, H.-J. Kull 138 In der Elektrodynamik wird gezeigt, dass sich elektrische Felder beim Übergang in ein bewegtes Bezugssystem ebenfalls transformieren. Die Transformation für den Übergang von S nach S 0 lautet 1 Ek0 = Ek , E⊥0 = γ(E⊥ + v × B) (7.74) c Damit erhält man die Komponenten der 4er-Kraft 1 qv · E c . (7.75) F=γ 1 q(E + c v × B) Der Energie- und Impulssatz lautet in diesem Fall d (mγc2 ) = qE · v. dt d v (mγv) = q E + ×B . dt c (7.76) Energie-Impulsbeziehung Der relativistische Impuls p = mγv und die relativistische Energie E = mγc2 sind Komponenten des 4er-Impulses, ! E p= . (7.77) c p Die Energie im Ruhesystem, ER = mc2 , heißt Ruheenergie, E − ER = m(γ − 1)c2 heißt kinetische Energie. Zwischen Energie und Impuls besteht die relativistische Energie-Impulsbeziehung: E2 + p2 = −m2 c2 c2 p mc2 + 2 4 2 2 E = m c +p c → pc p·p = − p2 2m ; pm ; pm (7.78) Bei der Bewegung eines einzelnen Teilchens ist die Ruheenergie nur eine additive Konstante. Ihre wichtige Rolle erkennt man jedoch bei Reaktionen die zur Umwandlung von Teilchen führen. Als Beispiel betrachte man ein ruhendes Teilchen mit der Masse M , das in zwei Teilchen mit den Ruhemassen m1 und m2 zerfällt. Beim Zerfall ist die relativistische Energie erhalten, E = M c2 = m1 c2 + m1 c2 + m1 (γ1 − 1)c2 + m2 (γ2 − 1)c2 . (7.79) Die Ruhemasse ist dagegen keine Erhaltungsgröße, M = m1 + m2 + ∆m, ∆m = m1 (γ1 − 1) + m2 (γ2 − 1). (7.80) Der Massendefekt ∆m ist auf die unterschiedlich starken Bindungsenergien der einzelnen Teilchen zurückzuführen (Kernspaltung).