Das Erwachen der Vögel (in der neuen Musik) Olivier Messiaen

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JG. 8 | 2016 | NR. 1
Das Erwachen der Vögel (in der neuen Musik)
Olivier Messiaen verband ornithologische Feldforschung und musikalische
Avantgarde auf einzigartige Weise*
Dirk Wieschollek
Nicht nur im Volkslied allgegenwärtige Vertreter der heimischen Fauna, auch in der abend-
ländischen Kunstmusik ist Klang gewordenes Federvieh seit jeher ein gern gesehener Gast
der musikalischen Erzählung gewesen. Immer dann, wenn es galt, auf kompositorischem
Wege der Natur die Ehre zu erweisen, waren Amsel, Drossel, Fink und Star, der Kuckuck
und die Nachtigall mit ihrem Repertoire zur Stelle. Wir begegnen ihnen zu Beginn des 16.
Jahrhunderts in Clément Janequins Chanson Le Chant des Oyseaux als onomatopoetische
Vokalpolyphonie ebenso wie 400 Jahre später in Ravels Oiseaux tristes aus den Miroirs
(1905), das sich den Aktivitäten eines besonders ‚melancholischen’ Amselmännchens aus
dem Wald von Fontainebleau verdankt. Dabei zeichnete sich der stilisierte Naturlaut – ob
Gegenstand heiterer Imitations-Divertimenti im Barock oder Teil weltferner Seelenbefindlichkeiten in der Romantik – nicht selten durch taxonomische Vagheit aus und entsprang eher
der Fantasie des Komponisten als den Launen der Evolution. In der Regel machte der Vogelgesang dabei ein Fenster auf zu einer anderen, außermusikalischen Realität.
Auch als der französische Komponist Olivier Messiaen 1928 in seinen Préludes für Klavier
als 20-jähriger Schüler von Paul Dukas die Spielanweisung „comme un oiseaux“ verwendete, ahnte die Musikwelt noch nicht, dass die Verlautbarungen der Vögel einmal zur strukturellen Triebfeder einer ganzen Komposition avancieren könnten. Als Messiaen jedoch im ersten
und dritten Satz seines in Lagerhaft komponierten Quatuor pour la fin du Temps (1941) die
Gesänge der Amsel als Metapher für die Hoffnung auf Freiheit in dunkelster Zeit ins Werk
holte, war der Grundstein für seine Hinwendung zu einem ornithologisch fundierten Kompositionsmaterial gelegt, eine Hinwendung, die in engstem Zusammenhang zu Messiaens
gleichsam synästhetischem Katholizismus zu betrachten ist: "Zwischen drei und vier Uhr
morgens – das Erwachen der Vögel: Eine Amsel und eine einzelne Nachtigall improvisieren
hoch oben in den Bäumen, umgeben von klingendem Blütenstaub und von einem Lichthof
aus verlorenen Trillern. Übertragen Sie das auf die religiöse Ebene, und sie werden die Stille
der Himmelsharmonien vernehmen!"1 Soweit das vom Komponisten ausgegebene Programm zum ersten Satz des berühmten Quartetts. Messiaens Komponieren kann fortan als
ein einziger großer Versuch aufgefasst werden, den althergebrachten Antagonismus von Na-
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Messiaen: Quatour pour la fin du Temps, Vorwort zur Partitur.
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ZEITSCHRIFT ÄSTHETISCHE BILDUNG (ISSN 1868-5099)
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tur und Kunst in einer Art spirituellen Hybris aufzuheben, die einer tief empfundenen Religiosität entsprang und eher als Andacht und Gotteslob konzipiert war, denn als subjektive Expressivität.
Der Amsel mit ihrem besonders vielfältigen Gesang hat Messiaen dabei regelmäßig gehuldigt, in der Turangalîla-Sinfonie (1948) genauso wie in den Chants d’oiseaux aus dem Livre
d’orgue (1951) und ganz besonders in Le merle noir für Flöte und Klavier (1951). "Der Gesang der Amsel übertrifft an Fantasie die menschliche Einbildungskraft", attestierte der Komponist seinem Lieblingsvogel. In diesem so lapidar dahingeworfenen Statement wird jedoch
Messiaens zentrale Idee offenbar, dass der Vogelgesang weniger ein objektives Phänomen
der Ethologie ist, sondern einen kreativen, von individueller Fantasie bestimmten Schöpfungs-Akt verkörpert. Diese Auffassung mag in ihrer „Vermenschlichung“ tierischen Verhaltens verklärt erscheinen (erst recht, wenn man sich die stereotypen Rufe eines Buchfinken
oder Kuckucks vergegenwärtigt), ist aber von entscheidender Relevanz dafür, wie Messiaen
sein „Material“ betrachtete, nämlich als ein schon künstlerisch vorgeprägtes, auf welches der
Komponist musikalisch reagiert – eine Zwiesprache von Schöpfern also, die wiederum an
der Schnittstelle zum Göttlichen stattfindet.
Die immer größere künstlerische Bedeutung der Vögel in Messiaens Oeuvre zu Beginn der
1950er-Jahre war nicht wenig motiviert vom Bewusstsein einer allgemeinen Sprach- und
persönlichen Schaffenskrise, bei der ein pantheistisch gestimmter Schöpfer progressiver
Klangwelten, einen Ausweg in den Stimmen der Natur suchte und fand: „Und wenn alles verloren scheint, wenn man keinen Weg mehr findet, wenn man wirklich nichts mehr zu sagen
weiß […] an welchen Meister soll ich mich wenden, welchen ‚Daimon’ beschwören, um aus
diesem Abgrund herauszufinden? Angesichts so vieler entgegengesetzter Schulen, überlebter Stile und sich widersprechender Idiome gibt es keine menschliche Musik, die dem Verzweifelten Vertrauen einflößen könnte.“
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Hier fand Messiaen in den „Stimmen der unendli-
chen Natur“, im Aufsuchen der Vögel und ihrer Landschaften, individuellen Trost und ästhetische Wiederauferstehung: „In den dunklen Stunden, wenn meine Nutzlosigkeit mir auf brutale Weise offenbar wird, wenn alle musikalischen Sprachen: klassische, exotische, alte, moderne und ultramoderne mir zusammenzuschrumpfen scheinen […] – was tun, wenn nicht
sein wahres vergessenes Gesicht wiederfinden irgendwo im Walde, in den Feldern, im Gebirge, am Meeresufer, inmitten der Vögel?“ 3
Als der materielle Dogmatismus der seriellen Musik sich noch ganz aus den demokratischen
Verlockungen der Zwölfton-Reihe speiste, schuf Messiaen in enger Folge eine ganze Serie
bedeutender Hauptwerke, deren Material sich explizit auf die strukturellen Gegebenheiten
verschiedener Vogelgesänge bezog, die er zuvor minutiös dokumentiert hatte: Réveil des
Oiseaux für Klavier und Orchester (1953), Oiseaux exotiques für Klavier und Kammerorches2
Messiaen: Vortrag in Brüssel. S. 3f..
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Messiaen zit. n. Halbreich: Olivier Messiaen, S. 76.
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ter (1956) und Catalogue d’Oiseaux für Klavier solo (1956/58). Im Vorwort von Réveil des
Oiseaux heißt es mit geballter Lakonie: „Es gibt in dieser Partitur nichts außer Vogelgesängen. Alle wurden im Wald gehört und sind vollkommen authentisch.“
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Dass die Donau-
eschinger Uraufführung des Réveil von einer Rezeption begleitet war, welche die Sache augenscheinlich nicht ganz ernst nahm, wundert da wenig. So befürchtete der Rezensent der
Süddeutschen Zeitung in völliger Verkennung der kompositorischen Tatsachen „eine prätentiösere Rückkehr zu der klingenden Stimmungsmalerei von Liszts Vogelpredigt des heiligen
Antonius oder Wagners Waldweben“.5 Und in den Ohren der seriellen Avantgarde, die entscheidende Anregungen von Messiaens Mode de valeurs et d’intensités aus den Quatre
Etudes de rythme für Klavier (1949/50) empfangen hatte, musste sich Messiaens Ansicht,
dass letztlich sogar die progressiven Tendenzen der neuen Musik auf die Vögel zurückzuführen wären, anmuten wie eine Kriegserklärung an die Kunst: „Ich verwende den Gesang der
Vögel, weil für mich diese Tiere auf Erden die größten Komponisten sind – sehr viel größer
als die Menschen. Die Vögel haben alles erfunden: die Neumen, den Gregorianischen Gesang, die Vierteltöne. Sie haben sogar die Kollektivimprovisation erfunden […] . Ich war immer der Auffassung, dass die Vögel die größten Lehrmeister sind.“ 6 Oder an anderer Stelle:
„Ich habe begriffen, dass der Mensch viele Dinge gar nicht erfunden hat, sondern dass viele
Dinge bereits um uns herum in der Natur existierten. Nur hat man sie nie wahrgenommen.
Man hat viel geredet von Tonarten und Modi: Die Vögel haben Tonarten und Modi. […] Man
spricht weiter heute viel von aleatorischer Musik: Das Erwachen der Vögel, wenn sie alle zusammen singen, ist ein aleatorisches Ereignis. Ich habe also die Vögel gewählt – andere den
Synthesizer.“7
Bei aller Polemik gegenüber den ästhetischen Herrschaftsansprüchen der Nachkriegsavantgarde war es Messiaen heiliger Ernst damit, dass der Ursprung der Musik kein Menschenwerk, sondern Ausdruck göttlicher Schöpfungsenergie war, deren Botschafter nicht wie noch
bei Johann Mattheson „die Engel“ waren, sondern die Vögel. Damit stand Messiaen im rationalistisch geprägten Serialismus mit seiner spekulativen Natur-Mystik auf verlorenem Posten. Bereits im Kontext von Abîme des oiseaux aus dem Quatuor pour la fin du Temps äußerte Messiaen: "Der Abgrund, das ist die Zeit, mit ihren Traurigkeiten, ihren Müdigkeiten.
Die Vögel, das ist das Gegenteil der Zeit; das ist unser Wunsch nach Licht, Sternen, Regenbögen und jubilierenden Vokalisen!"8 Messiaens Verklärung des Vogelgesanges als Offenbarung göttlicher Prinzipien musste den jüngeren Kollegen (nachweislich Boulez), die den mys-
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Messiaen: Réveil des Oiseaux, Vorwort zur Partitur.
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Häusler: Spiegel der Neuen Musik: Donaueschingen, S. 151.
6
Messiaen zit. n. Häusler: Spiegel der Neuen Musik: Donaueschingen, S. 150.
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Messiaen zit. n. Büning: Ein Vogel ist mehr als ein Vogel, S. 16f..
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Messiaen: Quatuor pour la fin du Temps, Vorwort zur Partitur.
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tischen Traditionen des Katholizismus vollkommen fernstanden, als verstörende Naivität und
zweifelhafte Sehnsucht nach einer heilen Welt erscheinen.
Messiaen durchstreifte nicht nur ganz Frankreich zu jeder Tages- und Nachtzeit auf der Suche nach ganz bestimmten Vogelarten, sondern unternahm auch ausgiebige Sammel-Reisen
in andere Kontinente. In den Oiseaux exotiques singen Vögel aus Indien, China, Malaysia,
Nord- und Südamerika, in den Sept Haikai (1962) für Klavier und Kammerorchester tummeln
sich Gesänge von 25 japanischen Vogelarten, in den Couleurs de la Cité céleste (1963) 21
verschiedene Vogelstimmen aus Neuseeland, Kanada und Südamerika. Selbst ein Transkriptions-Virtuose vom Schlage Messiaens kam jedoch bei den aberwitzigen Geschwindigkeiten, rhythmischen Kapriolen, mikrotonalen Tonqualitäten und geräuschhaften Färbungen
so mancher Spezies an natürliche Grenzen, die später (durch proportionale Angleichung der
Dauern- und Intervallverhältnisse) ausgeglichen werden mussten. Schon in diesem Sinne
sind Messiaens Adaptionen eher ‚Re-Kompositionen’ als pure Abschrift, die bei allem Willen
zur Authentizität eine gehörige Portion individueller Gestaltung in sich tragen. Man sollte
nicht verkennen, wie sehr Messiaens „magischer Realismus“ vom eigenen Schöpfungswillen
durchdrungen war und sich keineswegs auf eine Art „Musique concrète“ auf Naturbasis reduzieren lässt. Zwar hatte Messiaen in Réveil des Oiseaux noch einen gewissen ‚dokumentarischen’ Habitus exemplifiziert, gab diesen Purismus jedoch schnell auf und transformierte
im Verlauf der weiteren Werke das gefiederte Material immer komplexer in seinen ganz persönlichen Klangkosmos, bei dem verschiedenste Modi und chromatische Strukturen ebenso
eine Rolle spielen wie indische und griechische Rhythmusgebilde.
Es erscheint auf den ersten Blick seltsam, dass Messiaen die meisten seiner transkribierten
Gesänge nicht den Blasinstrumenten anvertraute (die bis dato in der instrumentalen VogelImitatio eine verständliche Vorherrschaft beanspruchten), sondern – häufig auch im orchestralen Zusammenhang – dem klangfarblich eher beschränkten und diastematisch starren
Klavier. Doch einerseits war das Klavier Messiaens angestammtes Experimentierfeld, auf
dessen Möglichkeiten er durch die Künste seiner Frau Yvonne Loriod, eine der bedeutendsten Pianistinnen ihrer Zeit, denkbar umfassenden Zugriff hatte, andererseits waren die Vertracktheiten des Vogelgesangs hinsichtlich Rhythmik, Tempo und Registerwechsel auf dem
Klavier noch am plastischsten nachzuvollziehen. Yvonne Loriod spielte eine entscheidende
Rolle bei dieser einzigartigen Synthese von progressiver Komposition und angewandter Ornithologie. Nicht nur, weil sie die Passion ihres Gatten auch ‚im Feld’ tatkräftig unterstützte
(und auch schon mal das Tonband durchs Gelände schleppte, während Messiaen notierte),
sondern weil sie alle wichtigen Klavierwerke Messiaens aus der Taufe hob. Der Catalogue
d’Oiseaux, den sie 1959 in Paris uraufführte, ist ihr gewidmet und – zwei Jahre bevor der
Komponist und die Ausnahmepianistin heirateten – versehen mit manch geheimer persönlicher Botschaft, vor allem im zweiten Stück Le Loriot, dessen Namensanalogie natürlich kein
Zufall ist. Im wohl bedeutendsten, dezidiert ornithologisch inspirierten Werk des Komponisten
stehen aber nicht nur einzelne Vögel als Protagonisten des Klanggeschehens im Blickpunkt
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der einzelnen „Livres“: I Alpendohle, Pirol, Blaumerle; II Mittelmeersteinschmätzer; III Waldkauz, Heidelerche; IV Teichrohrsänger; V Kurzzehenlerche, Seidenrohrsänger; VI Steinrötel;
VII Mäusebussard, Trauersteinschmätzer, Großer Brachvogel) –, sondern ganze Biotope,
eine Polyphonie der Vogelnatur bestimmter Orte zu ganz bestimmten Zeiten. Zum sechsten
Stück „Heidelerche“ (L’Alouette Lulu) heißt es einführend: „Vom Pass des Grand Bois nach
Saint-Sauveur en Rue, im Forez. Rechts von der Straße Pinienwälder, zur Linken Weideland. Hoch oben, unsichtbar, lässt die Heidelerche ihre Koloraturen erklingen: chromatische,
flüssige Läufe. Aus dem Gebüsch einer Waldlichtung antwortet eine Nachtigall. Gegensatz
zwischen dem schneidenden Tremolo der Nachtigall und der geheimnisvollen Himmelsstimme. Ohne sich zu zeigen, kommt die Lerche bald näher, bald entfernt sie sich wieder. Felder
und Bäume liegen friedlich im Dunkel der Nacht. Es ist Mitternacht.“9 77 einheimische Singvögel an der Zahl geben sich im ca. dreistündigen Zyklus die Ehre. Dessen Untertitel lautet:
„Chants d’oiseaux des provinces de France. Chaque soliste est présenté dans sans habitat,
entouré de son paysage et des chants des autres oiseaux qui affectionnent la même région.“
Doch der aufreizend nüchterne Titel, der auch ein profanes Vogelbestimmungsbuch zieren
könnte, täuscht gewaltig. Messiaens Naturevokationen gehen über die Integration der Vogelwelt weit hinaus: „Für mich bestand die wahre und einzige Musik schon immer in den Geräuschen der Natur. Die Harmonie des Windes in den Bäumen, die Rhythmen der Meereswogen, der Klang von Regentropfen, zerknickten Zweigen, aufeinander prallenden Steinen,
von Tierrufen – sie sind für mich die eigentliche Musik.“10 So ist der Catalogue d’Oiseaux
nicht nur ein Kompendium der Vogelstimmen Frankreichs, sondern eine Klangpoesie, die
sich mit sinnlicher Unmittelbarkeit den Naturstimmungen ganzer Landstriche widmet, den
schroffen Felsen der Alpen, der gleißenden Hitze der Garigue, der kontemplativen Weite des
Meeres, dem Licht, dem Wetter, dem Erscheinen und Verschwinden der Gestirne. Trotz genauer topografischer Angaben in der Partitur bewegen sich diese Naturszenerien irgendwo
im schillernden Niemandsland von Fantastik und Realismus. Auch in Messiaens letzter großer Komposition, dessen Uraufführung er 1992 in New York nicht mehr miterlebte, spielten
die Vögel (diesmal aus Australien und Neuseeland) nochmal eine bedeutende Rolle: Die
Eclairs sur l’Au-delà für Orchester vermischen in 11 schillernden Orchestersätzen noch einmal all das, was Messiaens Musik ihre Einzigartigkeit verliehen hat: eine rauschhafte Klangsinnlichkeit, die suggestive Evokation von Bildern und Ideen christlich-katholischer Glaubenslehre, ins Kosmische überhöhte, ekstatische Liebesvisionen und den Gesang der Vögel
– „Streiflichter über das Jenseits.“
Doch mit Olivier Messiaens Tod waren die Vögel in der musikalischen Kunst nicht ausgestorben. Noch heute inspirieren Messiaens sangesfreudige Himmelsboten so manchen
Klangkünstler, der das zerrüttete Verhältnis von Mensch und Natur durch Kunst wieder in
Einklang zu bringen sucht: Der amerikanische Komponist John Luther Adams beispielsweise
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Messiaen: Catalogue d’Oiseaux, Vorwort zur Partitur.
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Messiaen zit. n. Häusler: Spiegel der Neuen Musik: Donaueschingen, S. 152.
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Das Erwachen der Vögel (in der neuen Musik)
verfolgt eine „Ökologie der Musik“ im Dialog mit der Natur und hat in seinen songbirdsongs
für zwei Piccoloflöten und drei Perkussionisten (1974/80) transkribierte Vogelgesänge aus
seiner Heimat Georgia als materielle Basis für offene Kommunikationsprozesse der Spieler
hergenommen. Auch der amerikanische Jazz-Klarinettist, Komponist und Autor David Rothenberg ist erfüllt von den poetischen Qualitäten des Naturlauts. Zusammen mit dem türkischen Improvisationsmusiker Korhan Erel hat er in Berlin Bülbül (Bülbül = Nachtigall auf türkisch) um Mitternacht mit den Nachtigallenpopulationen aus Treptower Park und Hasenheide
kommuniziert – ein kontemplatives „nighttime nightingale jamming“ mit Bassklarinette und
Live-Elektronik. Für den Fortbestand der Vögel in der musikalischen Kunst ist also gesorgt ...
Literatur
Büning, Eleonore: Ein Vogel ist mehr als ein Vogel. Einige Anmerkungen zum Surrealismus
im „Catalogue d’oiseaux“. In: Booklet zur CD Deutsche Grammophon 474 345-2. Hamburg
1994, S. 12-18.
Halbreich, Harry: Olivier Messiaen. Paris 1980.
Häusler, Josef: Spiegel der Neuen Musik: Donaueschingen. Kassel 1996.
Messiaen, Olivier: Vortrag in Brüssel. In: Metzger / Riehn (Hg.): Olivier Messiaen (=MusikKonzepte 28). München 1982, S. 3-6.
*Hinweis:
Bei diesem Beitrag handelt es sich um die modifizierte und erweiterte Form eines zuerst in der Schweizer Musikzeitung veröffentlichten Artikels: Wieschollek, Dirk: Das
Erwachen der Vögel (in der neuen Musik). In: Schweizer Musikzeitung 4/2016, S. 12-14.
Dirk Wieschollek ist freier Autor und Rezensent mit Schwerpunkt Gegenwartsmusik. Er
schreibt regelmäßig für die Neue Zeitschrift für Musik, die Neue Musikzeitung, die Schweizer
Musikzeitung, dissonance u. a.. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Komposition und Klangkunst des 20. Und 21. Jahrhunderts. Er lebt in Weimar.
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