«Die direkte Demokratie führt heute zu mehr Ausgrenzung»

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6 Nationalismus
WOZ Nr. 20 14. Mai 2015
DA M I R S K E N D E ROV I C
«Die direkte
Demokratie führt
heute zu mehr
Ausgrenzung»
Der Historiker Damir Skenderovic erklärt, was das Wiedererstarken
des Nationalismus in Europa mit der SVP zu tun hat,
wie dem Rechtspopulismus zu begegnen ist und warum er für
eine Grundsatzdebatte über die direkte Demokratie plädiert.
VON CARLOS HANIMANN (INTERVIEW) UND FLORIAN BACHMANN (FOTO)
WOZ: Damir Skenderovic, ich möchte mit einer
Behauptung beginnen: Der Nationalismus in
Europa war seit den beiden Weltkriegen nie mehr
so stark wie heute.
Damir Skenderovic: Wenn Sie Nationalismus im Sinn eines Mobilisierungsinstruments
verstehen, dann stimme ich Ihnen zu. Nach dem
Zweiten Weltkrieg war man wegen der nationalistischen Verheerungen zumindest in Westeuropa zurückhaltend. Man versuchte, geradezu
antinationalistisch zu sein, wie die Geschichte
der deutsch-französischen Beziehungen und des
europäischen Integrationsprojekts zeigt. Heute ist
es anders: Nationalistisch zu sein, ist politisch akzeptabel geworden, wenn auch in anderen Formen.
Historisch gesehen könnte man von einer Renormalisierung nationalen Denkens und Redens
sprechen. Aber die Frage ist: Was macht diesen
neuen Nationalismus aus?
wirklich Einfluss nehmen und bestimmen kann,
wer dazugehört und wer nicht?
Das ist zwar richtig, aber die Entwicklung
geht über dieses Paradox hinaus: Für wen hat
denn heute die Staatsbürgerschaft welche Bedeutung? Vielerorts ist der Wille zur politischen Partizipation sehr gering, nicht nur in der Schweiz. Die
internationalen Kader der Finanzbranche in Zürich oder der Pharmaindustrie in Basel benötigen
das Stimmrecht gar nicht. Die Entscheide, die sie
betreffen, werden oft an anderen Orten, auf anderen Ebenen getroffen. Gleichzeitig verwehrt man
jenen den Zugang zur Staatsbürgerschaft, die die
sozialen und zivilen Rechte benötigen und auch
mitbestimmen wollen.
Unten lässt man die Leute nicht zu, und oben laufen sie davon?
Die einen dürfen nicht, die anderen wollen
nicht. Diese Entwicklung ist für eine funktionierende Zivilgesellschaft verheerend, denn sie gründet ja gerade auf den staatsbürgerlichen Rechten.
Damir Skenderovic
Die Frage der Staatsbürgerschaft ist sicher wichtig,
Der Historiker Damir Skenderovic (50) ist seit 2011 aber man sollte andere Entwicklungen nicht aus
ordentlicher Professor für Zeitgeschichte den Augen verlieren.
und seit 2013 Vizedekan der Universität Fribourg. Zu Skenderovics Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und die
radikale Rechte sowie Migrationsgeschichte.
Skenderovic ist Autor verschiedener Bücher.
Erklären Sie.
Der Kern nationalistischen Denkens ist,
dass man unter Mitgliedern einer gewissen Gruppe ein Zusammengehörigkeitsgefühl herzustellen
versucht, eine Solidargemeinschaft, die helfen soll,
sich in einer scheinbar unübersichtlichen Welt
orientieren zu können.
Nationen sind also immer künstliche Konstrukte?
Nationen sind zwar imaginiert und konstruiert, für die Einzelnen sind sie aber durchaus
Realität und haben damit auch eine reale Wirkung.
Und sie setzen konkrete Handlungsrahmen.
Mit der Globalisierung hätte man davon ausgehen können, dass sich der Nationalstaat überlebt.
Aber das Gegenteil geschieht: Der Nationalstaat
wird immer stärker. Ist das nicht paradox?
Nein, denn diese Entwicklungen stehen in
einem wechselseitigen Verhältnis. Als Globalisierung bezeichnen wir landläufig grenzüberschreitende Prozesse in der Finanz- und Wirtschaftswelt. Hinzu kommen die kommunikationstechnologischen Entwicklungen, mit denen sich die
Erfahrungswelten der Menschen erweitert haben.
Und der Nationalstaat hat stark an Einfluss verloren. Gerade in wirtschaftspolitischen Belangen
können gewisse Fragen nicht mehr nationalstaatlich kontrolliert werden. Das alles löst bei vielen
Befürchtungen und Ängste aus, alles scheint nah
und fern zugleich zu sein. Man fürchtet, dass man
sich in dieser Welt ohne Grenzen und Übersichtlichkeit nicht zurechtfindet. Also zieht man sich
zurück auf das Überschaubare, das Erprobte, das
Nationale. Man findet Gemeinschaft in räumlicher, kultureller und mentaler Nähe.
Wird deshalb die Frage der Staatsbürgerschaft
immer wichtiger? Weil der Nationalstaat nur dort
Welche Entwicklungen?
Kürzlich haben wir die US-amerikanische
Soziologin Saskia Sassen an die Universität Fribourg eingeladen, die in ihrem neuen Buch «Expulsions» die gesellschaftlichen Verwüstungen
an den Rändern der Welt betrachtet: etwa die Folgen des Klimawandels für die direkt betroffenen
Menschen, die Folgen der Finanzkrise in Form
von Zwangsversteigerung von Eigenheimen oder
des sogenannten Land Grabbing durch Staaten
und Unternehmen. Da werden einerseits ganze
Bevölkerungsgruppen lokal verdrängt, und andererseits entstehen völlig neue Vorstellungen und
Bedeutungen von Territorialität: Ganze Gebiete in
Städten und auf dem Land werden gleichsam entterritorialisiert und fallen aus dem nationalstaatlichen Rahmen heraus. Sie werden Global Players
überlassen, Privaten wie auch Staaten.
Damir Skenderovic beim Lochergut in Zürich: «Integration oder Abgrenzung: Diese Frage sollte di
mitzutragen und damit auch zu legitimieren.»
auf der anderen Seite schürt sie Ängste vor Globalisierungsprozessen, vor supranationalen Kooperationen, vor der Öffnung zu Europa und der Welt.
Es ist mir unverständlich, weshalb man in der Öffentlichkeit nicht mehr auf diesen Widerspruch
hinweist.
Ist die SVP in dieser Hinsicht anders als andere
Rechtspopulisten in Europa?
Die Fortschrittsparteien in Dänemark und
Norwegen haben ähnlich angefangen. In den siebziger Jahren bekämpften sie in erster Linie das
skandinavische Wohlfahrtsstaatsmodell, waren
für Steuerreformen und einen schlanken Staat.
Erst in den achtziger Jahren setzten sie vorwiegend auf die Themen Asyl und Immigration. Aber
ich glaube, ihre Vorstellungen von Mensch und
Gesellschaft sind dieselben geblieben. Es wird oft
behauptet, dass die Parteien einfach opportunisDie Freiheit für Waren- und Kapitalverkehr exis- tisch seien und deshalb populistisch. Aber so ist
tiert längst. Aber mit dem freien Personenverkehr es nicht. Für entscheidend halte ich das Rechte
im Rechtspopulismus: das antiegalitäre Gesellbekundet die Gesellschaft viel mehr Mühe.
Man muss die beiden Bereiche gekoppelt be- schaftsbild.
trachten. Der Freihandel war historisch gesehen
nicht immer so weltumspannend. Es gab in der Was meinen Sie damit?
Geschichte immer wieder Phasen des ProtektioWas gemäss dem italienischen Philosophen
nismus, als man nicht nur die einheimische Arbei- Norberto Bobbio das Unterscheidungsmerkmal
terschaft schützen wollte, sondern auch die inlän- zwischen links und rechts ausmacht, ist eben,
dische Produktion von Waren. Das war nach dem dass die Menschen in den Augen der Rechten unErsten Weltkrieg in vielen Ländern so. Nach dem gleich geboren sind und auch ungleich sterben
Zweiten Weltkrieg allerdings begann man, den sollen. Egalité ist nicht das Ziel. Darin liegen die
Freihandel stark zu fördern, nicht zuletzt als Teil Parallelen zwischen Nationalismus, Rechtspopudes Abschieds vom Nationalismus. Dazu gehör- lismus und Neoliberalismus.
te auch eine zumindest für die Arbeitsmigration
relativ liberale Politik. Heute driften die beiden In Ihrer Forschung kommen Sie zum Schluss, dass
Entwicklungen wieder auseinander: Für Waren die Schweiz in Sachen Rechtspopulismus eine
und Kapital gibt es kaum mehr Grenzen, aber für Vorreiterrolle hatte. Woran machen Sie das fest?
Personen werden Nationalstaaten oder auch die
Die Schweiz hatte in den sechziger Jahren
Europäische Union immer stärker geschlossen.
mit James Schwarzenbachs Nationaler Aktion
die erste Partei, die hauptsächlich das Thema
Welche Rolle spielen dabei die rechtspopulisti- Im migration bearbeitete und dabei mit entsprechenden Bedrohungsbildern operierte. Auch der
schen Parteien in Europa?
Sie tragen dieses Paradox von global und na- Rechtspopulismus in Europa setzt heute vor altional stark in sich. Nehmen wir das Beispiel SVP. lem auf Immigration, andere Themen wie SozialAuf der einen Seite gehören viele ihrer Exponenten staat oder Sicherheit sind bloss angedockt. Diese
zur globalisierten Finanz- und Wirtschaftswelt, Fokussierung auf die Immigration, auf identitäre
Grenzziehungen zwischen dem Eigenen und dem
Fremden ist das zentrale Kennzeichen rechtspopulistischer Parteien und geht auf die Pionierparteien in den sechziger und siebziger Jahren in der
Schweiz zurück. Auch gibt es kein anderes Land
in Europa, das eine ähnliche Kontinuität aufweist
wie die Schweiz, strukturell, personell und parteipolitisch.
Die Nationale Aktion, die in den Schweizer Demokraten aufging, ist heute faktisch inexistent.
Aber ihre Wählerschaft wurde in den neunziger Jahren von der SVP aufgesogen. Die SVP hat
nicht nur das Thema Immigration übernommen,
sondern auch die Argumentationen, die Bilder, die
Bedrohungsszenarien.
Worauf gründet der Erfolg der rechtspopulistischen Parteien?
Da sind zum einen innere organisatorische
und strukturelle Gründe. Und zum andern gibt
es sogenannte Gelegenheitsstrukturen. Hier sind
zwei Punkte für den Aufstieg und Erfolg der SVP
zentral. Erstens: die Konkordanz- und Konsensdemokratie. Obwohl die SVP immer wieder radikale
Forderungen stellt und sich im Grunde als Opposition versteht, ist sie im politischen System integriert. In Europa gibt es grundsätzlich zwei Strategien im Umgang mit rechtspopulistischen Parteien: Integration oder Demarkation. Abgrenzung
war aber in der Schweiz bisher nie eine Option. So
hat die SVP trotz ihres Wandels in den neunziger
Jahren zu einer rechtspopulistischen Partei ihre
Legitimität behalten und muss nicht ständig darum kämpfen wie etwa die FPÖ in Österreich oder
der Front National in Frankreich. Und das zweite
wichtige Element ist die direkte Demokratie. Sie
ist zentral für den politischen Erfolg der SVP.
Weil sie damit Agenda Setting betreibt und den
Diskurs bestimmen kann?
Ja, auch. Hinzu kommt, dass bei der SVP
Wahlen und direkte Demokratie zusam menfliessen. 1992 hat sie erstmals in ihrer Geschichte eine
Initiative lanciert. Seither bestimmt die SVP mit
Initiativen die Diskussion. Sie betreibt gewisser-
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Nationalismus 7
WOZ Nr. 20 14. Mai 2015
Kürzlich kam eine Meldung, wonach die Schweiz
das glücklichste Land der Welt sei.
Das ist in der Tat interessant, vor allem auch
die Tatsache, dass das drittglücklichste Land dieser Auswertung zufolge Dänemark ist. Beide Länder verfügen über starke rechtspopulistische Parteien. Dort, wo die Leute glücklich sind, haben die
Parteien Erfolg, die behaupten, es werde bald alles
schlechter.
Ist das denn so falsch?
Ich glaube eher, dass es nicht so sehr um reale Verhältnisse und augenblickliche Zufriedenheit geht, sondern um Erwartungen und Befürchtungen, es könnte in Zukunft schlechter werden.
Und hier bieten rechtspopulistische Parteien Lösungen an, um Unsicherheiten zu begegnen, indem sie nationale Gewissheiten propagieren und
Migration für eine Vielzahl gesellschaftlicher
und wirtschaftlicher Probleme verantwortlich
machen.
Der neue NZZ-Chef Eric Gujer schrieb angesichts
der Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer, es
herrsche ein «unlösbarer Zielkonflikt zwischen
dem Anspruch auf Humanität und der Notwendigkeit, die europäische Identität zu bewahren».
Interessant, dass die europäische Identität
ausgerechnet in einer Schweizer Zeitung angeführt wird …
Was soll das sein, die europäische Identität?
Eine kulturell begründete Identitätssuche
scheint mir wenig opportun zu sein. Vielmehr
sollte die Frage nach europäischen Identifi kationen auf politischer, rechtlicher, institutioneller
Ebene gestellt werden. Dieses Vorhaben hätte
man vor Jahren mit einer stärkeren institutionellen Verankerung von politischer Mitsprache und
Repräsentation vorantreiben können. Stattdessen
hat man wirtschafts-, handels- und finanzpolitischen Aspekten den Vorrang gegeben. Was mich
aber an der Debatte über die Flüchtlingskatastrophen stört, ist noch etwas anderes.
ese Frage sollte diskutiert werden. Vor allem die Sozialdemokraten müssten überlegen, ob sie weiterhin bereit sind, eine rechtspopulistische Politik
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massen Wahlkampf mit der direkten Demokratie.
Und die anderen Parteien reagieren meistens nur.
Worauf wollen Sie hinaus?
Es braucht eine grundsätzliche Debatte über
die direkte Demokratie. Nicht alle Initiativen sollten zur Abstimmung kommen. Das Völkerrecht
beispielsweise ist unantastbar. Es bräuchte hier
rechtlich klare Richtlinien – die dann auch durchgesetzt werden – für die Prüfung und Einschränkung der Inhalte von Initiativen.
Muss man die direkte Demokratie gleich einschränken, nur weil die Rechte die Instrumente
besser nutzt als die Linke?
Linke Parteien haben sie in den letzten Jahren ja auch mehr eingesetzt. Aber mir geht es um
eine Grundsatzdebatte: Ist die direkte Demokratie
für die Politik des 21. Jahrhunderts noch funktionstüchtig? Das Idealbild der direkten Demokratie ist, dass wir in einem politischen öffentlichen
Raum diskutieren und Argumente austauschen.
Aber die politische Kultur und die mediale Öffentlichkeit haben sich in den letzten zwanzig Jahren
stark verändert. Dasselbe gilt für die Entscheidungsorte. Zudem frage ich mich, ob angesichts
der Komplexität und Reichweite von gewissen Fragen einfache Entscheidungen nach dem Ja-NeinPrinzip überhaupt sinnvoll sind.
Kritik an der direkten Demokratie ist hierzulande
selten …
Selbstverständlich sind wir alle Anhänger
der direkten Demokratie. Sie hat etwas Integratives, ist partizipatorisch, und das ist auch Teil ihrer
Erfolgsgeschichte. Aber ich glaube, dass sie heute
nicht zu mehr Integration, sondern zu mehr Ausgrenzung führt. Es wird zunehmend über Menschen entschieden, die aufgrund fehlender politischer Rechte nichts zu sagen haben. Das hat dazu
geführt, dass die direkte Demokratie heute in
einer Krise steckt.
Wann fand dieser Wandel statt?
Ab den neunziger Jahren. Die Krise der direkten Demokratie zeichnet sich dadurch aus,
Nämlich?
Das Erbe, das Europa mit sich trägt, die koloniale Vergangenheit, wird in diesen Debatten völlig ausgeblendet. Sicherlich, auch die Geschichtsforschung in vielen europäischen Ländern tat sich
lange schwer mit der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte und ihrem langen Schatten. Es geht
auch um Länder ohne staatliche Kolonialpolitik,
ohne formale Kolonien, wie etwa die skandinavischen Länder oder die Schweiz. Diese waren aber
auch Teil des kolonialen Zeitalters. Und diese Vergangenheit hat bis heute ihre Spuren hinterlassen,
insbesondere wenn es um Immigration aus aussereuropäischen Ländern geht.
Das Spektrum der aktuellen Debatte reicht von
der kompletten Abriegelung Europas bis zu offenen Grenzen.
Gerade mit diesem historischen Blick müsste Europa seine Politik überdenken und die Grendass die SVP als akzeptierte Grosspartei sie als mieren. Auf diese Weise tragen sie auch zu einer zen stärker öffnen. Es ist ja nicht so, dass MillioInstrument einsetzt, um Aus- und Abgrenzung Normalisierung von bestimmten Ideen und Vor- nen darauf warten, dass Europa seine Tore öffnet.
zu betreiben. Da müssen wir uns fragen: Wie kam stellungen bei, gegen die sie in ihrer Geschichte Das sind Schreckensszenerien. Die grössten Mies in der breiten Wahrnehmung zu dieser ausser- immer wieder opponiert haben. Integration oder grationsbewegungen finden nicht in Richtung
ordentlichen Bedeutung der direkten Demokra- Abgrenzung: Diese Frage sollte in der Schweiz Europa statt, sondern gerade in aussereuropäitie? Wie wurde sie zu einem zentralen nationalen zumindest diskutiert werden, insbesondere in schen Regionen. Millionen sind auf der Flucht,
aber nicht nach Europa.
Narrativ der Schweizer Geschichte? Gleichzeitig der SP.
wird die direkte Demokratie als Ausdruck eines
Volkswillens aber mit jeder Abstimmung entmys- Ist die SVP mit dieser Art Politik auch Vorbild für Die Rechtspopulisten operieren aber gerade mit
tifiziert, weil ja viele gar nicht abstimmen und andere Rechtspopulisten in Europa?
diesem Schreckensbild. Dabei hat sie die Realität
ebenso viele gar nicht abstimmen dürfen. Und
Der Rechtspopulismus in der Schweiz war längst überholt. Migration findet nicht nur statt.
das schreibt wiederum Ausgrenzung kontinuier- Vorläufer, ist aber heute auch Vorbild. Das sieht Sie hat bereits stattgefunden.
lich fest.
man immer, wenn die SVP Initiativen lanciert
Es ist sicher wichtig, immer wieder die Norund mit Kampagnen Erfolg hat. Dann nehmen malität von Migration zu betonen, die Sichtbarkeit
Sie haben vorhin zwei Gründe für den Erfolg der andere rechtspopulistische Parteien Bezug auf von Migration in den gesellschaftlichen RealitäSVP angeführt. Neben der direkten Demokratie die Schweiz. Die SVP ihrerseits gibt sich zurück- ten letztlich verschwinden zu lassen. Doch die
haltend, distanziert sich von ihnen. Aber es gibt Schweiz scheint noch weit davon entfernt zu sein.
nannten Sie auch die Konkordanz.
Das ist vielleicht die noch wichtigere Frage. Akteure, die durchaus an europäischen Transfers Man ist ja nicht einmal bereit zu akzeptieren, dass
Die Konkordanz ist in den sogenannten Trentes unter Rechtspopulisten beteiligt sind, wie das Bei- sich das Land seit Ende des 19. Jahrhunderts zu
einer Migrationsgesellschaft entwickelt hat. MiGlorieuses entstanden. Es war ein bestimmter spiel Oskar Freysinger zeigt.
gration wird auch immer noch in erster Linie als
historischer Moment, als die Konkordanz als
parteiübergreifende Steuerungsgrundlage in Sie sprechen vor allem Gratulationen und punk- Konflikt und Herausforderung beschrieben – auch
Jahren wirtschaftlichen Wachstums gedient hat. tuelle Zusammenarbeit an. Aber ist die SVP auch in den in den letzten Jahren zahlreich erschieneAber seit den neunziger Jahren hat sich die partei- inhaltlich Vorreiterin? In Bezug auf den Sozial- nen «Nationalgeschichten».
politische Landschaft in der Schweiz in grundle- staat gibt es ja doch markante Unterschiede. Die
gender Weise verändert. Meines Erachtens müs- SVP beziehungsweise die «Weltwoche» fordert Es bräuchte also auch positive Erinnerungssen vor allem die Sozialdemokraten überlegen, ob die Abschaffung des Sozialstaats, während der momente in der Geschichtsschreibung?
sie weiterhin bereit sind, eine rechtspopulistische Front National den Zugang einschränken will: SoIn Deutschland wurde beispielsweise 2004
Politik mitzutragen und damit auch zu legiti- zialstaat nur für Franzosen.
mit verschiedenen offiziellen Festivitäten vierzig
Diese beiden Forderungen sind in einer ar- Jahre Anwerbeabkommen zwischen Deutschland
gumentativen Reihe zu sehen. In Frankreich ist der und der Türkei gefeiert. Es wurde daran erinsogenannte Welfare Chauvinism entscheidend …
nert, dass dies ein wichtiger Moment der deutNATI O NALI S M U S -S E R I E
schen Nachkriegszeit war. In der Schweiz trat
Welfare Chauvinism?
am 22. April vor fünfzig Jahren das sogenannte
Aus dieser Perspektive ist der Sozialstaat Italienabkommen in Kraft, das einen rechtlichen
eine nationale Errungenschaft und deshalb in Rahmen für italienische Immigration setzte
erster Linie für die Mitglieder der nationalen Ge- und so ein symbolträchtiges Ereignis der helvemeinschaft bestimmt. Man sagt, der Wohlfahrts- tischen Nachkriegsgeschichte darstellt. Stellen
Nationalismus ist wieder salonfähig geworden – staat werde durch Einwanderung bedroht, Sozial- Sie sich vor, die Schweiz würde dieses Jubiläbis weit in die Linke hinein. Wo liegen die Gründe leistungen missbraucht. Auch in der Schweiz ist um offiziell feiern. Es ist Teil der Geschichte der
für den nationalistischen Trend? Was sind die «Missbrauch» zur zentralen Metapher in Debatten Schweiz, müsste also auch Teil der kollektiven
Folge n? Und was sind die Gegenstrategien – über den Sozialstaat geworden, vor allem in Ver- Erinnerungskultur des Landes sein. Dies würde
welche Alternativprojekte wären möglich? Die bindung mit Migration, Asyl und Integration. Da- dazu beitragen, Migration zu normalisieren, und
WOZ geht diesen Fragen in einer losen Artikel- bei soll das Gefühl vermittelt werden, weiten Tei- es würde eine der Gegenstrategien zu Rechtsserie nach.
len der Bevölkerung werde es demnächst schlech- populismus und seinen Bildern von Gesellschaft
und Geschichte darstellen.
ter gehen.
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