Gustav Mahler: Dritte Sinfonie d-Moll Richard Strauss: Eine Alpensinfonie op. 64 Meine Symphonie wird etwas sein, was die Welt noch nicht gehört hat! Die ganze Natur bekommt darin eine Stimme und erzählt so tief Geheimes, das man vielleicht im Traume ahnt!« So äußerte sich Gustav Mahler über seine Dritte Sinfonie (1893-96), die – nach dem ursprünglichen programmatischen Plan – so etwas wie eine musikalische Kosmogonie darstellen sollte. Das Felsgebirge, die Blumen, die Tiere, die Menschen, die Engel und schließlich die Liebe (als Ausdruck und Symbol Gottes) erzählen in sechs Sätzen die Geschichte der Welt, wobei im 4. und 5. Satz Altsolo und Chor zu den Instrumenten des Orchesters hinzutreten. Später verwarf Mahler jedoch dieses Programm, nachdem er die Erfahrung gemacht hatte, dass erklärende Kommentare nur Verwirrung und Missverständnisse hervorrufen. Aber während der Komposition war er gegenüber Freunden durchaus mitteilsam, wie eine Anekdote um den Dirigenten Bruno Walter zeigt: als der Gustav Mahler während dessen Urlaub in Steinbach am Attersee besuchte und von der Dampfer-Anlegestelle aus das grandiose Höllengebirge im Hintergrund des Ortes bewunderte, meinte Mahler schmunzelnd: »Sie brauchen gar nicht mehr hinzusehen – das habe ich schon alles wegkomponiert.« Der riesenhafte Kopfsatz mit seinen Marschrhythmen entwirft den weiten Raum für Mahlers kosmogonisches Konzept. Der »Blumen«-Satz, ein elaboriertes Menuett, dient als lyrisches Intermezzo; das folgende, tragikomische Scherzo nach dem Thema des Wunderhornliedes »Kuckuck hat sich zu Tode gefallen« führt in seinen beiden Posthorn- Episoden den Hörer in eine unwirklichutopische Welt des Friedens, ein starker Kontrast zu der Geschäftigkeit des Hauptsatzes. Was die Menschen zu erzählen haben, zeigt Mahler im 4. Satz mit den Worten des »Mitternachtsliedes« aus »Also sprach Zarathustra« von Friedrich Nietzsche, während dem kurzen 5. Satz, mit Solostimme sowie Frauen- und Kinderchor, wiederum ein WunderhornText, nämlich »Es sungen drei Engel ein’ süßen Gesang«, zugrundeliegt. »Ruhevoll « und »Empfunden« klingt das Werk mit einem ausgedehnten Adagio-Satz aus. Das ist als Sinfonie-Schluss sicher ungewöhnlich, führt aber Mahlers Konzept schlüssig zu Ende. Wenn in dem scheinbar unendlich wiederholten D-Dur-Akkord die Zeit stillzustehen scheint, so ist damit jene Versöhnung zwischen Mensch und Natur antizipiert, deren Verwirklichung, heute mehr denn je, uns »Zeitgenossen der Zukunft« aufgegeben ist. Hartmut Lück Während Richard Strauss auf das Libretto einer neuen Oper wartete, guckte er gelangweilt aus seinem Landhaus in Garmisch-Partenkirchen auf die Zugspitze und entwarf dabei im Mai 1911 quasi als »Lückenbüßer« die ersten Themen seiner Alpensinfonie. Schon seit seiner Jugend liebte er die gewaltige Alpenlandschaft – nun inspirierte sie ihn zu einem Werk, das Bewunderung auslöste, aber auch kritische Bewertungen erntete. Die »Alpensinfonie « ist nicht etwa eine »Auseinandersetzung « zwischen Mensch und Natur im Sinne eines Beethoven; vielmehr offenbart das Werk eine geradezu naiv-unreflektierte, illustrative Naturschilderung, »bereichert « durch eine recht fragwürdige Programm- Erklärung des Komponisten (»sittliche Reinigung aus eigener Kraft, Befreiung durch die Arbeit, Anbetung der ewigen, herrlichen Natur«). Freilich ist die »Alpensinfonie« keineswegs nur ein »tönendes Fotoalbum«, auch nicht allein ein beispielhaftes Stück für die orchestrale Genialität von Richard Strauss: in diesen scheinbar unbekümmert zusammengefügten musikalischen Bildern zeigt sich Strauss als Meister eines kohärenten Formaufbaus. Die 22 Abschnitte sind in einer Mischung aus der viersätzigen sinfonischen Form, dem Sonatensatz sowie der Variationsund Rondoform, also in einer konzentrierten sinfonischen Struktur miteinander verbunden. »Nacht« und »Sonnenaufgang« bilden die langsame Einleitung; der eigentliche Beginn des sinfonischen Satzes ist das Hauptthema (»Anstieg«). Das Seitenthema erklingt im Abschnitt »Eintritt in den Wald«; danach geht die Wanderung weiter. »Wasserfall« und »Erscheinung« (ein Berggeist) bilden quasi den »Scherzo«-Teil der Sinfonie. Nach dem zunächst idyllischen Aufstieg findet der Wanderer eine Ruhepause auf dem Gletscher, bis er nach »gefahrvollen Augenblicken « (drohende Pizzicato-Effekte) den Gipfel erreicht. Die wichtigen Motive des Werkes erklingen hier in majestätischer Einheit; die Rückkehr danach ist aber auch nicht minder gefährlich. Durch den aufkommenden Nebel breitet sich eine elegische Stimmung aus, es bricht ein Sturm los. Nach dem Abstieg (eine Art »Rekapitulation« der vorigen Themen) darf der Wanderer müde und zufrieden ins Bett sinken und einen letzten musikalischen Blick auf das Alpengebirge werfen. Éva Pintér