Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten

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Prof. Dr. Heiner Keupp
Die Speed-Gesellschaft und
ihre psychosozialen Kosten
Vortrag bei der Jahrestagung der GGFP am 24.
Oktober 2014 an der KSFH Benediktbeuern
Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten
Zur Aktualität unseres Themas
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„Die Welt rast
ihrem Ende
entgegen“
verkündete 1014 Wulfstan,
der Erzbischof von York
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Joseph v. Eichendorff (1857):
Joseph v. Eichendorff 1788 - 1858
„An einem schönen warmen Herbstmorgen kam ich
auf der Eisenbahn vom andern Ende Deutschlands mit einer Vehemenz dahergefahren, als
käme es bei Lebensstrafe darauf an, dem Reisen, das doch mein alleiniger Zweck war, auf
das allerschleunigste ein Ende zu machen. Diese
Dampffahrten rütteln die Welt, die eigentlich
nur noch aus Bahnhöfen besteht, unermüdlich
durcheinander wie ein Kaleidoskop, wo die vorüberjagenden Landschaften, ehe man noch irgendeine Physiognomie gefaßt, immer neue
Gesichter schneiden, der fliegende Salon immer
andere Sozietäten bildet, bevor man noch die
alten recht überwunden“.
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So viel Speed
bringt GPUBeschleunigung
wirklich
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Turbotrauern
Einfache Trauer:
Der Tod eines geliebten Menschen
führt typischerweise zu Traurigkeit
und Schlafstörungen, die Betroffenen
können an Gewicht verlieren.
Mediziner streiten darüber, wie viel
Trauer normal ist - und wann sie in
eine krankhafte Depression mündet.
DSM IV ging von zwei Monaten aus
DSM V setzt zwei Wochen an..
Quelle: SPIEGEL Online 23.01.2013 – Karrikaturen von Tom Cool
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Allen Frances war Vorsitzender der
Kommission, die für DSM-IV zuständig war
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Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten
Ein Speed-Therapeut im Trachtenjanker und mit regressivem Programm:
Bert Hellinger
"Wenn man den Eltern Ehre erweist, kommt etwas tief in der Seele in
Ordnung".
Die "Ursprungsordnung" in den Familien muss anerkannt werden: "Wer
oder was zuerst in einem System da war, hat Vorrang vor allem, was
später kommt“.
Und natürlich hat auch das Geschlechterverhältnis seine Urform:
"Der Mann muss Mann bleiben, die Frau muss Frau bleiben. Denn wenn
der Mann das Weibliche in sich zu entwickeln sucht, dann ist das nicht
richtig und umgekehrt".
"Ich stimme der Welt zu, wie sie ist. Ich bin ganz zufrieden damit. Ich
denke, daß in der Welt Kräfte am Werk sind, die lassen sich nicht
steuern."
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Ausgangsfrage
Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte
der Beschleunigung. Und jeder Beschleunigungsschub,
der mit technischen Innovationen verbunden war, hat
Ängste und Befürchtungen erzeugt. In aller Regel hat
die Menschheit diese Veränderungen in ihr Normalitätsverständnis integriert.
Gibt es Gründe, den aktuellen Modernisierungsschub an
Beschleunigung anders einzuordnen?
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Meine Perspektive
Der globalisierte Kapitalismus hat zu einer spürbaren Beschleunigung und Verdichtung der Abläufe in den beruflichen und privaten Lebenswelten geführt. Die deutlichen Belege für eine Zunahme von Burnout und Depressionen lassen sich als Hinweise auf diese Entwicklung
verstehen. Sie führen bei zunehmend mehr Menschen zu
dem Gefühl der Erschöpfung.
Die Antworten auf diese Probleme dürfen nicht in individualisierenden Strategien gesucht werden, sondern erfordern kollektive Aktionen.
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Meine Fragen und Antworten
Gliederung
Das „erschöpfte Selbst“: Opfer der Beschleunigung?
Die Beschleunigungsgesellschaft
Das neue Menschenbild: Der fitte Mensch
Der gesellschaftliche/individuelle Kontrollverlust
Gibt es Gegenstrategien?
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Meine Fragen und Antworten
Gliederung
Das „erschöpfte Selbst“: Opfer der Beschleunigung?
Die Beschleunigungsgesellschaft
Das neue Menschenbild: Der fitte Mensch
Der gesellschaftliche/individuelle Kontrollverlust
Gibt es Gegenstrategien?
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DER SPIEGEL 3/2011
Erschöpfungsdepression –
was hilft gegen die
Volkskrankheit des
21. Jahrhundert?
„Beruflicher Stress, unendlicher Informationsfluss,
intensive Kommunikation als soziales Muss:
Die moderne Welt hat
uns mit ihren Pflichten
fest im Griff.
Wer sich selbst nicht fest im
Griff hat, läuft Gefahr,
auszubrennen. Macht
uns das moderne Leben
auf Dauer krank.“
DER SPIEGEL 30/2011
Der Ausweg?
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Prof. Dr. Depressiv
Lehrende an deutschen
Hochschulen sind so
produktiv wie nie –
gleichzeitig häufen sich
psychische Probleme
DIE ZEIT vom 03.11.2011
Und auch bei den
Studierenden nehmen
Depressionen und
Angststörungen zu!
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Crystal Meth die Droge der Speed-Gesellschaft
Quelle: Sächsische Landesstelle gegen die Suchtgefahren e.V. (2012)
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In der Bezirkssuchtklinik Hochstadt in
Oberfranken besteht das Klientel in den
letzten Jahren zu fast 100% aus
Konsumenten von Crystel Meth
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Verschreibung von
Antidepressiva:
2009 wurden bei
Männern 119 Prozent,
bei Frauen 96 Prozent
mehr Tagesdosen als
im Jahr 2000
verschrieben.
Gesundheitsreport der TKK 2010
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Zwischenbilanz
Es ist notwendig, die inflationäre Verwendung der Diagnose Depression
kritisch zu reflektieren. Die Hauptnutznießer dieser diagnostischen Gepflogenheit ist die Psychopharmaindustrie.
Unstrittig dürfte sein, dass immer mehr Menschen die mit der Globalisierung verbundenen Veränderungen in ihrer Arbeits- und Alltagswelt als
Herausforderungen und Belastungen erleben, die ihre Bewältigungsmöglichkeiten überschreiten. Die „Klinifizierung“ der daraus folgenden
psychosozialen Probleme enthält die Gefahr der Individualisierung gesellschaftlicher Probleme.
Wir brauchen eine Gesellschaftsdiagnostik der
„Beschleunigungsgesellschaft“.
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Meine Fragen und Antworten
Gliederung
Das „erschöpfte Selbst“: Opfer der Beschleunigung?
Die Beschleunigungsgesellschaft
Das neue Menschenbild: Der fitte Mensch
Der gesellschaftliche/individuelle Kontrollverlust
Gibt es Gegenstrategien?
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Gegenwartsschrumpfung
Mit Gegenwartsschrumpfung ist gemeint, „dass in
Abhängigkeit von der zunehmenden Menge an
Innovationen pro Zeiteinheit die Zahl der Jahre
abnimmt, über die hinaus zurückzublicken bedeutet, in eine in wichtigen Lebenshinsichten
veraltete Welt zu blicken, in der wir die Strukturen unserer uns gegenwärtig vertrauten Lebenswelt nicht mehr wiederzuerkennen
vermögen.
Kurz: Gegenwartsschrumpfung – das ist der Vorgang
der Verkürzung der Extension der Zeiträume, für
die wir mit einiger Konstanz unserer Lebensverhältnisse rechnen können.“
Hermann Lübbe
Quelle: Herrmann Lübbe (2003). Im Zug der Zeit .
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Das „Tempo unserer Zeit“
„Dieses ‚Tempo‘ ist in der Tat nichts anderes, als ein
Ausdruck für die Menge der Verflechtungsketten,
die sich in jeder einzelnen gesellschaftlichen Funktion verknoten. (…)
Die Funktionen im Knotenpunkt so vieler Aktionsketten (erfordert) eine genaue Einteilung der
Lebenszeit; sie gewöhnt an eine Unterordnung
der augenblicklichen Neigungen unter die Notwendigkeiten der weitreichenden Interdependenzen; sie trainiert zu einer Ausschaltung aller
Schwankungen im Verhalten und zu einem beständigen Selbstzwang.“
Quelle: Norbert Elias (1976). Der Prozess der Zivilisation.
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Norbert Elias
(1897 – 1990)
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Die Beschleunigungsgesellschaft nach Hartmut Rosa
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Die eine Wahrnehmung ist die, dass die Zeit immer schneller zu vergehen scheint. Die Zeit scheint rasend zu werden in gewisser Hinsicht.
Seit der Sattelzeit, seit dem 18. Jahrhundert, beobachten und berichten
Menschen , dass sich die geschichtliche Entwicklung, sich zu beschleunigen scheint, dass die Gesellschaft selbst sich zu beschleunigen scheint,
dass das soziale Leben an Tempo gewinnt und entsprechend auch die
kulturelle Entwicklung und Veränderung.
Gesellschaften sind entweder reich an Gütern oder reich an Zeit, aber
Güterwohlstand und Zeitwohlstand verhalten sich umgekehrt proportional.
wir sind eine Wohlstandsgesellschaft, die unter permanentem und
wachsendem Zeithunger leidet.
Die Aufgabenmenge pro Zeiteinheit wächst ständig.
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Hartmut Rosa:
Der Beschleunigungszirkel
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Die Beschleunigungsgesellschaft
ist in ihren Konsequenzen in
allen Lebensbereichen erfahrbar – nicht zuletzt auch bei
Heranwachsenden.
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Die Lebensphasen Kindheit und Jugend sollen
Menschen die psychosoziale und qualifikatorische Basis für ein gelingendes Erwachsenenleben schaffen. Von einer sich dramatisch verändernden globalisierten kapitalistischen Gesellschaft ist auch das Aufwachsen betroffen.
Es kommt vor allem im Bildungssystem (in
Schule und Hochschule) zu einer Beschleunigung und Verdichtung der Jugendphase und
zu einer Engführung durch das Ziel
„employability“.
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Jugend im gesellschaftlichen
Strukturwandel
Der Strukturwandel des Aufwachsens wird
in der Fachdiskussion mit Begriffen wie
„entgrenzt“
„individualisiert“
„pluralisiert“
„verdichtet“
umschrieben.
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Sebastian Deisler im Interview mit
dem Tagesspiegel vom 4.10.2007:
„Das Geschäft hat zu schnell Besitz
ergriffen von mir. Ich habe nie die
Zeit gehabt zum Wachsen, nie die
Zeit, erwachsen zu werden, ich hatte
nicht mal die Zeit, Fehler zu
machen.“
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Der „Semiokapitalismus“: Überproduktion an Zeichen
In seiner Aufsatzsammlung „precarious rhapsody“ (2009) schreibt
Franco Berardi: „Der Cyberspace ist theoretisch unendlich, die Cyberzeit ist es nicht. Als Cyberzeit bezeichne ich die Fähigkeit des bewussten Organismus, Informationen (aus dem Cyberspace) zu verarbeiten.“ Flexibilität in der Netzökonomie hat zu einer Fragmentierung
der Arbeit geführt, zu befristeter Zeitarbeit. „Psychopathische Störungen“, schreibt Berardi, „treten heutzutage immer klarer als soziale
Epidemie auf, genauer als soziokommunikative Epidemie. Wer überleben will, muss konkurrenzfähig sein, und wer konkurrenzfähig sein
will, muss vernetzt sein, eine riesige und ständig wachsende Datenflut
aufnehmen und verarbeiten. Das führt zu permanentem Aufmerksamkeitsstress, für Affektivität bleibt immer weniger Zeit.“ Um fit zu
bleiben, greifen die Leute zu Prozac, Viagra, Kokain, Ritalin und
zunehmend zu Crystal Meth.
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Meine Fragen und Antworten
Gliederung
Jugendphase in der Beschleunigungsgesellschaft
Die Beschleunigungsgesellschaft
Das neue Menschenbild: Der fitte Mensch
Der gesellschaftliche/individuelle Kontrollverlust
Gibt es Gegenstrategien?
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Vorherrschendes Menschenbild
In seinen Lebensformen passen sich Menschen in der Spätmoderne
immer häufiger der unaufhaltsamen Beschleunigungsdynamik
an. Der gesellschaftliche und berufliche Fitness-Parcours hat kein
erreichbares Maß, ein Ziel, an dem man ankommen kann, sondern es ist eine nach oben offene Skala, jeder Rekord kann
immer noch gesteigert werden. Hier ist trotz Wellness-Industrie
keine Chance eine Ökologie der eigenen Ressourcen zu betreiben, sondern in einem unaufhaltsamen Steigerungszirkel läuft
alles auf Scheitern und einen Erschöpfungszustand zu.
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Fitness um jeden Preis
„In gesättigten, enger werdenden Märkten
entscheidet die Corporate Fitness, der
‚fitte' Umgang mit schnell wechselnden
Strukturen, Werten und Kontexten.“
Quelle: Bosshart, D. (1995). Die Neuerfindung des Menschen.
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Fitness um jeden Preis
"Fitness - die Fähigkeit, sich schnell und behende dorthin zu bewegen,
wo etwas los ist und jede sich bietende Möglichkeit für neue Erfahrungen zu ergreifen - hat Vorrang vor Gesundheit - der Vorstellung, dass es so etwas wie Normalität gibt, die man stabil und unversehrt hält."
"Nicht mehr das Streben nach Normerfüllung und Konformität macht
also die Anstrengung unseres Lebens aus; vielmehr handelt es sich
um eine Art Meta-Anstrengung, die Anstrengung, fit - gut in Form
- zu bleiben, um sich anzustrengen. Die Anstrengung, nicht alt und
rostig und verbraucht zu werden; an keinem Ort zu lange zu
bleiben; sich die Zukunft nicht zu verbauen.“
Quelle: Bauman, Z. (1997). Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen.
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„Der Tod des Selbst“
„Es gibt wenig Bedarf für das innengeleitete ‘one-style-for-all’ Individuum.
Solch eine Person ist beschränkt,
engstirnig, unflexibel. (...) Wir feiern
jetzt das proteische Sein (...) Man
muss in Bewegung sein, das Netzwerk ist riesig, die Verpflichtungen
sind viele, Erwartungen sind endlos,
Optionen allüberall und die Zeit ist
eine knappe Ware.“
Quelle: Kenneth J. Gergen: The self: Death by technology (2000).
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Der „postmoderne Reinheitstest“
„Man muss in der Lage sein, sich von den grenzenlosen
Möglichkeiten des Verbrauchermarktes und der
von ihm propagierten ständigen Erneuerung verführen zu lassen; man muss sich freuen können
über die Chance, Identitäten anzunehmen und
wieder abzulegen und sein Leben auf der endlosen
Jagd nach immer intensiveren Glückserlebnissen
und immer aufregenderen Erfahrungen zu verbringen. Nicht jeder besteht diesen Test. Die dies
nicht schaffen, sind der ‚Schmutz‘ der postmodernen Reinheit.“
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Robert Jay Lifton, geboren 1926 in New
York, ist Professor für Psychiatrie und
Psychologie an der New York University
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Die „Gewalt der Positivität“
Die Arbeitswelt setzt auf Eigenmotivation, Initiativgeist und Selbstverantwortung. Die Disziplinargesellschaft, von der Stechuhr regiert, wurde von der Leistungsgesellschaft abgelöst, in der jeder
sich konditioniert, als sei er sein eigener Unternehmer. Die „Negativität des Sollens“ hat sich zu einer viel effizienteren „Positivität
des Könnens“ entwickelt. Obamas millionenfach reproduzierter
Slogan „Yes, we can“ hat darin seine alptraumhafte Kehrseite.
Das sich selbst ausbeutende Subjekt ist Täter und Opfer zugleich,
Herr und Knecht in einer Person. Allgegenwärtige Werbesprüche
gellen wie zum Hohn in ihr nach: „Die Klage des depressiven Individuums ,Nichts ist möglich’ ist nur in einer Gesellschaft möglich,
die glaubt Nichts ist unmöglich.“
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Vertrauensarbeitszeit
Die Arbeitszeitkultur verändert sich von der kontrollierten Präsenzpflicht zur „Vertrauensarbeitszeit“.
Thomas Sattelberger (Personalvorstand der Telekom): „Ständige
Erreichbarkeit und Verfügbarkeit ist kein Zeichen von Leistungsfähigkeit.“
„Vertrauensarbeitszeit“ bedeutet, dass zwischen Vorgesetzten und
Mitarbeitern vereinbarte Ziele und Fristen von diesen in selbstbestimmter Zeiteinteilung erledigt werden können („management
by objectives“).
Hier übernimmt das Personal zunehmend die Last der unternehmerischen Verantwortung. Und ist der Gefahr der Selbstausbeutung ausgesetzt.
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Das „erschöpfte Selbst“ –
Denkanstoss von Alain Ehrenberg
Alain Ehrenberg will zeigen, dass depressive Verstimmungen,
Erschöpfung und Verzweiflung keine Unregelmäßigkeiten, sondern so etwas wie der unvermeidliche Schatten
des karriere- und selbstverwirklichungssüchtigen Selbst
der kapitalistischen Moderne um die Jahrtausendwende
sind.
Dieses Selbst wird gesteuert von der Annahme, dass alles
möglich sei. Und dass es ausschließlich in seiner Verantwortung liege, aus der Fülle der Möglichkeiten das je
eigene „gelingende“ Leben zu stricken. Ehrenberg hält
diese Behauptung nicht für richtig, sondern für mächtig.
Sie wirkt wie eine innere Stimme, die den Unzufriedenen
allerorten hämisch einflüstert, dass es anders hätte kommen können, wenn sie nur die richtige Wahl getroffen
hätten. Unter der Last der Verantwortung brechen die
solcherart malträtierten Selbste oft zusammen.
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Kontrollverlust
Die Welt wird als nicht mehr lenkbar erlebt, als ein sich hochtourig
bewegendes Rennauto, in dem
die Insassen nicht wissen, ob es
eine Lenkung besitzt und wie
diese zu betätigen wäre.
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„Wir wissen zu wenig über mögliche Langzeitschäden bei Gesunden, die solche Mittel einnehmen. Was wir aber wissen, ist: Solche Substanzen machen nicht nur wacher, sondern
auch unruhiger. Bei entsprechender Veranlagung können sie auch psychische Erkrankungen wie Psychosen oder Manien auslösen.
Und dann gibt es noch die Gefahr, abhängig
zu werden - verbunden mit unabsehbaren
Folgeschäden fürs Gehirn.“
Quelle: Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 24. März 2010
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Der gesellschaftliche/individuelle Kontrollverlust
Gibt es Gegenstrategien?
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Was folgt aus der Analyse?
1.
Die negativen psychosozialen Folgen der Beschleunigungsgesellschaft sind klar nachweisbar, aber nicht
durch einfache Präventionsprogramme zu überwinden. Erforderlich sind subjektbezogene Strategien,
aber ohne strukturelle Veränderungen werden sie
nicht nachhaltig wirksam sein.
Der gemeindepsychologische Zugang erfordert die
Analyse des Zusammenwirkens von Subjekt und
Struktur.
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Was folgt aus der Analyse?
2. Erforderlich ist eine Auseinandersetzung mit den vorherrschenden Menschenbildannahmen . Die Figur des „unternehmerischen Selbst“ ist auf den kritischen Prüfstand zu stellen.
Sie verweist auf ein neoliberales Menschenbildes, das eine
maximierte Selbstkontrolle als Fortschritt anpreist. Ausbeutung und Entfremdung wird zunehmend weniger als fremd
gesetzter Zwang von Menschen erlebt, sondern wird mehr
und mehr zu einer Selbsttechnologie, zu einer Selbstdressur,
die allerdings in den Ideologien des Neoliberalismus in einem
Freiheits- oder Autonomiediskurs daher kommt.
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„In einer Leistungsgesellschaft, die
Wachstum, Konsum und Erlebnissteigerung feiert, ist Nichtstun
ein bitterer Genuss.“
Ulrich Schnabel: Vom Glück des Nichtstuns.
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Prekäre Lebenslagen Jugendlicher und Sucht als Bewältigungsversuch
Zeitkompetenz: Reflektierter Umgang mit
Zeitressourcen
Zeitkompetenz, d.h. der reflektierte, ökonomische, der eigenen
Lebenssituation angepasste Umgang mit Zeit sowie das Erkennen der eigenen Zeitbedürfnisse müssen Eltern und Kinder erlernen. Zeitkompetenz soll deshalb auch stärker zum
Gegenstand von Bildung gemacht werden durch Angebote
in der Eltern- und Familienbildung, in der Jugendarbeit, im
schulischem Lernen und - als eine Voraussetzung zu
alledem - in der Aus- und Fortbildung der pädagogischen
Berufe.
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Eine aktuelle Ausstellung, die sich lohnt
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Was folgt aus der Analyse?
3. Selbstsorge ist notwendig, aber sie darf sich nicht in
individualisierten Überlebensstrategien erschöpfen, die
die eigene „Fitness“ oder das „time management“
permanent zu steigern. Im Sinne der Salutogenese
geht es um die Erarbeitung von sinnhaften Bewältigungsmustern und um die Stärkung der Handlungsfähigkeit der Subjekte.
Doch das reicht nicht!
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Was folgt aus der Analyse?
4. Eine Strategie der universellen oder Verhältnisprävention muss
letztlich auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zielen
und dazu ist nicht nur die professionelle Arbeitsgestaltung
gefragt, sondern die aktive Beteiligung der Betroffenen,
denen bewusst ist, dass individuelle Selbstsorge nur im Rahmen kollektiver Interessenvertretung (z.B. in Selbsthilfegruppen, Netzwerken, Gewerkschaften, Attac) möglich ist.
Und es ist dringend notwendig, neue Formen des Arbeitsschutzes zu entwickeln, die wirksame Antworten auf die
wachsenden psychischen Belastungen und Störungen in der
Arbeitswelt bilden. Und wir brauchen ein Gesetz zur Gesundheitsförderung (oder Prävention), das hier kollektive Handlungsmöglichkeiten eröffnet
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Und am Ort
klösterlicher
Besinnlichkeit gibt
es auch noch einen
anderen Diskurs:
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Herzlichen Dank für ihre
Aufmerksamkeit
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