Prof. Dr. Heiner Keupp Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Vortrag bei der Jahrestagung der GGFP am 24. Oktober 2014 an der KSFH Benediktbeuern Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Zur Aktualität unseres Themas 2 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten 3 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten „Die Welt rast ihrem Ende entgegen“ verkündete 1014 Wulfstan, der Erzbischof von York Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Joseph v. Eichendorff (1857): Joseph v. Eichendorff 1788 - 1858 „An einem schönen warmen Herbstmorgen kam ich auf der Eisenbahn vom andern Ende Deutschlands mit einer Vehemenz dahergefahren, als käme es bei Lebensstrafe darauf an, dem Reisen, das doch mein alleiniger Zweck war, auf das allerschleunigste ein Ende zu machen. Diese Dampffahrten rütteln die Welt, die eigentlich nur noch aus Bahnhöfen besteht, unermüdlich durcheinander wie ein Kaleidoskop, wo die vorüberjagenden Landschaften, ehe man noch irgendeine Physiognomie gefaßt, immer neue Gesichter schneiden, der fliegende Salon immer andere Sozietäten bildet, bevor man noch die alten recht überwunden“. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten So viel Speed bringt GPUBeschleunigung wirklich Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Turbotrauern Einfache Trauer: Der Tod eines geliebten Menschen führt typischerweise zu Traurigkeit und Schlafstörungen, die Betroffenen können an Gewicht verlieren. Mediziner streiten darüber, wie viel Trauer normal ist - und wann sie in eine krankhafte Depression mündet. DSM IV ging von zwei Monaten aus DSM V setzt zwei Wochen an.. Quelle: SPIEGEL Online 23.01.2013 – Karrikaturen von Tom Cool Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Allen Frances war Vorsitzender der Kommission, die für DSM-IV zuständig war Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 10 Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Ein Speed-Therapeut im Trachtenjanker und mit regressivem Programm: Bert Hellinger "Wenn man den Eltern Ehre erweist, kommt etwas tief in der Seele in Ordnung". Die "Ursprungsordnung" in den Familien muss anerkannt werden: "Wer oder was zuerst in einem System da war, hat Vorrang vor allem, was später kommt“. Und natürlich hat auch das Geschlechterverhältnis seine Urform: "Der Mann muss Mann bleiben, die Frau muss Frau bleiben. Denn wenn der Mann das Weibliche in sich zu entwickeln sucht, dann ist das nicht richtig und umgekehrt". "Ich stimme der Welt zu, wie sie ist. Ich bin ganz zufrieden damit. Ich denke, daß in der Welt Kräfte am Werk sind, die lassen sich nicht steuern." Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Ausgangsfrage Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte der Beschleunigung. Und jeder Beschleunigungsschub, der mit technischen Innovationen verbunden war, hat Ängste und Befürchtungen erzeugt. In aller Regel hat die Menschheit diese Veränderungen in ihr Normalitätsverständnis integriert. Gibt es Gründe, den aktuellen Modernisierungsschub an Beschleunigung anders einzuordnen? Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Meine Perspektive Der globalisierte Kapitalismus hat zu einer spürbaren Beschleunigung und Verdichtung der Abläufe in den beruflichen und privaten Lebenswelten geführt. Die deutlichen Belege für eine Zunahme von Burnout und Depressionen lassen sich als Hinweise auf diese Entwicklung verstehen. Sie führen bei zunehmend mehr Menschen zu dem Gefühl der Erschöpfung. Die Antworten auf diese Probleme dürfen nicht in individualisierenden Strategien gesucht werden, sondern erfordern kollektive Aktionen. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Meine Fragen und Antworten Gliederung Das „erschöpfte Selbst“: Opfer der Beschleunigung? Die Beschleunigungsgesellschaft Das neue Menschenbild: Der fitte Mensch Der gesellschaftliche/individuelle Kontrollverlust Gibt es Gegenstrategien? Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Meine Fragen und Antworten Gliederung Das „erschöpfte Selbst“: Opfer der Beschleunigung? Die Beschleunigungsgesellschaft Das neue Menschenbild: Der fitte Mensch Der gesellschaftliche/individuelle Kontrollverlust Gibt es Gegenstrategien? Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten DER SPIEGEL 3/2011 Erschöpfungsdepression – was hilft gegen die Volkskrankheit des 21. Jahrhundert? „Beruflicher Stress, unendlicher Informationsfluss, intensive Kommunikation als soziales Muss: Die moderne Welt hat uns mit ihren Pflichten fest im Griff. Wer sich selbst nicht fest im Griff hat, läuft Gefahr, auszubrennen. Macht uns das moderne Leben auf Dauer krank.“ DER SPIEGEL 30/2011 Der Ausweg? Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Prof. Dr. Depressiv Lehrende an deutschen Hochschulen sind so produktiv wie nie – gleichzeitig häufen sich psychische Probleme DIE ZEIT vom 03.11.2011 Und auch bei den Studierenden nehmen Depressionen und Angststörungen zu! Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten 18 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten 19 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten 20 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten 21 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten 22 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten 23 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Crystal Meth die Droge der Speed-Gesellschaft Quelle: Sächsische Landesstelle gegen die Suchtgefahren e.V. (2012) Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten In der Bezirkssuchtklinik Hochstadt in Oberfranken besteht das Klientel in den letzten Jahren zu fast 100% aus Konsumenten von Crystel Meth Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Verschreibung von Antidepressiva: 2009 wurden bei Männern 119 Prozent, bei Frauen 96 Prozent mehr Tagesdosen als im Jahr 2000 verschrieben. Gesundheitsreport der TKK 2010 26 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Zwischenbilanz Es ist notwendig, die inflationäre Verwendung der Diagnose Depression kritisch zu reflektieren. Die Hauptnutznießer dieser diagnostischen Gepflogenheit ist die Psychopharmaindustrie. Unstrittig dürfte sein, dass immer mehr Menschen die mit der Globalisierung verbundenen Veränderungen in ihrer Arbeits- und Alltagswelt als Herausforderungen und Belastungen erleben, die ihre Bewältigungsmöglichkeiten überschreiten. Die „Klinifizierung“ der daraus folgenden psychosozialen Probleme enthält die Gefahr der Individualisierung gesellschaftlicher Probleme. Wir brauchen eine Gesellschaftsdiagnostik der „Beschleunigungsgesellschaft“. 27 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Meine Fragen und Antworten Gliederung Das „erschöpfte Selbst“: Opfer der Beschleunigung? Die Beschleunigungsgesellschaft Das neue Menschenbild: Der fitte Mensch Der gesellschaftliche/individuelle Kontrollverlust Gibt es Gegenstrategien? Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Gegenwartsschrumpfung Mit Gegenwartsschrumpfung ist gemeint, „dass in Abhängigkeit von der zunehmenden Menge an Innovationen pro Zeiteinheit die Zahl der Jahre abnimmt, über die hinaus zurückzublicken bedeutet, in eine in wichtigen Lebenshinsichten veraltete Welt zu blicken, in der wir die Strukturen unserer uns gegenwärtig vertrauten Lebenswelt nicht mehr wiederzuerkennen vermögen. Kurz: Gegenwartsschrumpfung – das ist der Vorgang der Verkürzung der Extension der Zeiträume, für die wir mit einiger Konstanz unserer Lebensverhältnisse rechnen können.“ Hermann Lübbe Quelle: Herrmann Lübbe (2003). Im Zug der Zeit . Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Das „Tempo unserer Zeit“ „Dieses ‚Tempo‘ ist in der Tat nichts anderes, als ein Ausdruck für die Menge der Verflechtungsketten, die sich in jeder einzelnen gesellschaftlichen Funktion verknoten. (…) Die Funktionen im Knotenpunkt so vieler Aktionsketten (erfordert) eine genaue Einteilung der Lebenszeit; sie gewöhnt an eine Unterordnung der augenblicklichen Neigungen unter die Notwendigkeiten der weitreichenden Interdependenzen; sie trainiert zu einer Ausschaltung aller Schwankungen im Verhalten und zu einem beständigen Selbstzwang.“ Quelle: Norbert Elias (1976). Der Prozess der Zivilisation. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Norbert Elias (1897 – 1990) Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten 31 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Die Beschleunigungsgesellschaft nach Hartmut Rosa Die eine Wahrnehmung ist die, dass die Zeit immer schneller zu vergehen scheint. Die Zeit scheint rasend zu werden in gewisser Hinsicht. Seit der Sattelzeit, seit dem 18. Jahrhundert, beobachten und berichten Menschen , dass sich die geschichtliche Entwicklung, sich zu beschleunigen scheint, dass die Gesellschaft selbst sich zu beschleunigen scheint, dass das soziale Leben an Tempo gewinnt und entsprechend auch die kulturelle Entwicklung und Veränderung. Gesellschaften sind entweder reich an Gütern oder reich an Zeit, aber Güterwohlstand und Zeitwohlstand verhalten sich umgekehrt proportional. wir sind eine Wohlstandsgesellschaft, die unter permanentem und wachsendem Zeithunger leidet. Die Aufgabenmenge pro Zeiteinheit wächst ständig. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Hartmut Rosa: Der Beschleunigungszirkel 33 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Die Beschleunigungsgesellschaft ist in ihren Konsequenzen in allen Lebensbereichen erfahrbar – nicht zuletzt auch bei Heranwachsenden. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Die Lebensphasen Kindheit und Jugend sollen Menschen die psychosoziale und qualifikatorische Basis für ein gelingendes Erwachsenenleben schaffen. Von einer sich dramatisch verändernden globalisierten kapitalistischen Gesellschaft ist auch das Aufwachsen betroffen. Es kommt vor allem im Bildungssystem (in Schule und Hochschule) zu einer Beschleunigung und Verdichtung der Jugendphase und zu einer Engführung durch das Ziel „employability“. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Jugend im gesellschaftlichen Strukturwandel Der Strukturwandel des Aufwachsens wird in der Fachdiskussion mit Begriffen wie „entgrenzt“ „individualisiert“ „pluralisiert“ „verdichtet“ umschrieben. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Sebastian Deisler im Interview mit dem Tagesspiegel vom 4.10.2007: „Das Geschäft hat zu schnell Besitz ergriffen von mir. Ich habe nie die Zeit gehabt zum Wachsen, nie die Zeit, erwachsen zu werden, ich hatte nicht mal die Zeit, Fehler zu machen.“ 37 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Der „Semiokapitalismus“: Überproduktion an Zeichen In seiner Aufsatzsammlung „precarious rhapsody“ (2009) schreibt Franco Berardi: „Der Cyberspace ist theoretisch unendlich, die Cyberzeit ist es nicht. Als Cyberzeit bezeichne ich die Fähigkeit des bewussten Organismus, Informationen (aus dem Cyberspace) zu verarbeiten.“ Flexibilität in der Netzökonomie hat zu einer Fragmentierung der Arbeit geführt, zu befristeter Zeitarbeit. „Psychopathische Störungen“, schreibt Berardi, „treten heutzutage immer klarer als soziale Epidemie auf, genauer als soziokommunikative Epidemie. Wer überleben will, muss konkurrenzfähig sein, und wer konkurrenzfähig sein will, muss vernetzt sein, eine riesige und ständig wachsende Datenflut aufnehmen und verarbeiten. Das führt zu permanentem Aufmerksamkeitsstress, für Affektivität bleibt immer weniger Zeit.“ Um fit zu bleiben, greifen die Leute zu Prozac, Viagra, Kokain, Ritalin und zunehmend zu Crystal Meth. 38 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Meine Fragen und Antworten Gliederung Jugendphase in der Beschleunigungsgesellschaft Die Beschleunigungsgesellschaft Das neue Menschenbild: Der fitte Mensch Der gesellschaftliche/individuelle Kontrollverlust Gibt es Gegenstrategien? Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 39 Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Vorherrschendes Menschenbild In seinen Lebensformen passen sich Menschen in der Spätmoderne immer häufiger der unaufhaltsamen Beschleunigungsdynamik an. Der gesellschaftliche und berufliche Fitness-Parcours hat kein erreichbares Maß, ein Ziel, an dem man ankommen kann, sondern es ist eine nach oben offene Skala, jeder Rekord kann immer noch gesteigert werden. Hier ist trotz Wellness-Industrie keine Chance eine Ökologie der eigenen Ressourcen zu betreiben, sondern in einem unaufhaltsamen Steigerungszirkel läuft alles auf Scheitern und einen Erschöpfungszustand zu. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Fitness um jeden Preis „In gesättigten, enger werdenden Märkten entscheidet die Corporate Fitness, der ‚fitte' Umgang mit schnell wechselnden Strukturen, Werten und Kontexten.“ Quelle: Bosshart, D. (1995). Die Neuerfindung des Menschen. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Fitness um jeden Preis "Fitness - die Fähigkeit, sich schnell und behende dorthin zu bewegen, wo etwas los ist und jede sich bietende Möglichkeit für neue Erfahrungen zu ergreifen - hat Vorrang vor Gesundheit - der Vorstellung, dass es so etwas wie Normalität gibt, die man stabil und unversehrt hält." "Nicht mehr das Streben nach Normerfüllung und Konformität macht also die Anstrengung unseres Lebens aus; vielmehr handelt es sich um eine Art Meta-Anstrengung, die Anstrengung, fit - gut in Form - zu bleiben, um sich anzustrengen. Die Anstrengung, nicht alt und rostig und verbraucht zu werden; an keinem Ort zu lange zu bleiben; sich die Zukunft nicht zu verbauen.“ Quelle: Bauman, Z. (1997). Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten „Der Tod des Selbst“ „Es gibt wenig Bedarf für das innengeleitete ‘one-style-for-all’ Individuum. Solch eine Person ist beschränkt, engstirnig, unflexibel. (...) Wir feiern jetzt das proteische Sein (...) Man muss in Bewegung sein, das Netzwerk ist riesig, die Verpflichtungen sind viele, Erwartungen sind endlos, Optionen allüberall und die Zeit ist eine knappe Ware.“ Quelle: Kenneth J. Gergen: The self: Death by technology (2000). Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Der „postmoderne Reinheitstest“ „Man muss in der Lage sein, sich von den grenzenlosen Möglichkeiten des Verbrauchermarktes und der von ihm propagierten ständigen Erneuerung verführen zu lassen; man muss sich freuen können über die Chance, Identitäten anzunehmen und wieder abzulegen und sein Leben auf der endlosen Jagd nach immer intensiveren Glückserlebnissen und immer aufregenderen Erfahrungen zu verbringen. Nicht jeder besteht diesen Test. Die dies nicht schaffen, sind der ‚Schmutz‘ der postmodernen Reinheit.“ Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Robert Jay Lifton, geboren 1926 in New York, ist Professor für Psychiatrie und Psychologie an der New York University Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Die „Gewalt der Positivität“ Die Arbeitswelt setzt auf Eigenmotivation, Initiativgeist und Selbstverantwortung. Die Disziplinargesellschaft, von der Stechuhr regiert, wurde von der Leistungsgesellschaft abgelöst, in der jeder sich konditioniert, als sei er sein eigener Unternehmer. Die „Negativität des Sollens“ hat sich zu einer viel effizienteren „Positivität des Könnens“ entwickelt. Obamas millionenfach reproduzierter Slogan „Yes, we can“ hat darin seine alptraumhafte Kehrseite. Das sich selbst ausbeutende Subjekt ist Täter und Opfer zugleich, Herr und Knecht in einer Person. Allgegenwärtige Werbesprüche gellen wie zum Hohn in ihr nach: „Die Klage des depressiven Individuums ,Nichts ist möglich’ ist nur in einer Gesellschaft möglich, die glaubt Nichts ist unmöglich.“ 47 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Vertrauensarbeitszeit Die Arbeitszeitkultur verändert sich von der kontrollierten Präsenzpflicht zur „Vertrauensarbeitszeit“. Thomas Sattelberger (Personalvorstand der Telekom): „Ständige Erreichbarkeit und Verfügbarkeit ist kein Zeichen von Leistungsfähigkeit.“ „Vertrauensarbeitszeit“ bedeutet, dass zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern vereinbarte Ziele und Fristen von diesen in selbstbestimmter Zeiteinteilung erledigt werden können („management by objectives“). Hier übernimmt das Personal zunehmend die Last der unternehmerischen Verantwortung. Und ist der Gefahr der Selbstausbeutung ausgesetzt. 49 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Das „erschöpfte Selbst“ – Denkanstoss von Alain Ehrenberg Alain Ehrenberg will zeigen, dass depressive Verstimmungen, Erschöpfung und Verzweiflung keine Unregelmäßigkeiten, sondern so etwas wie der unvermeidliche Schatten des karriere- und selbstverwirklichungssüchtigen Selbst der kapitalistischen Moderne um die Jahrtausendwende sind. Dieses Selbst wird gesteuert von der Annahme, dass alles möglich sei. Und dass es ausschließlich in seiner Verantwortung liege, aus der Fülle der Möglichkeiten das je eigene „gelingende“ Leben zu stricken. Ehrenberg hält diese Behauptung nicht für richtig, sondern für mächtig. Sie wirkt wie eine innere Stimme, die den Unzufriedenen allerorten hämisch einflüstert, dass es anders hätte kommen können, wenn sie nur die richtige Wahl getroffen hätten. Unter der Last der Verantwortung brechen die solcherart malträtierten Selbste oft zusammen. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Meine Fragen und Antworten Gliederung Jugendphase in der Beschleunigungsgesellschaft Die Beschleunigungsgesellschaft Das neue Menschenbild: Der fitte Mensch Der gesellschaftliche/individuelle Kontrollverlust Gibt es Gegenstrategien? Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « 51 Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Kontrollverlust Die Welt wird als nicht mehr lenkbar erlebt, als ein sich hochtourig bewegendes Rennauto, in dem die Insassen nicht wissen, ob es eine Lenkung besitzt und wie diese zu betätigen wäre. 52 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten „Wir wissen zu wenig über mögliche Langzeitschäden bei Gesunden, die solche Mittel einnehmen. Was wir aber wissen, ist: Solche Substanzen machen nicht nur wacher, sondern auch unruhiger. Bei entsprechender Veranlagung können sie auch psychische Erkrankungen wie Psychosen oder Manien auslösen. Und dann gibt es noch die Gefahr, abhängig zu werden - verbunden mit unabsehbaren Folgeschäden fürs Gehirn.“ Quelle: Interview mit der Frankfurter Rundschau vom 24. März 2010 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Meine Fragen und Antworten Gliederung Jugendphase in der Beschleunigungsgesellschaft Die Beschleunigungsgesellschaft Das neue Menschenbild: Der fitte Mensch Der gesellschaftliche/individuelle Kontrollverlust Gibt es Gegenstrategien? Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Was folgt aus der Analyse? 1. Die negativen psychosozialen Folgen der Beschleunigungsgesellschaft sind klar nachweisbar, aber nicht durch einfache Präventionsprogramme zu überwinden. Erforderlich sind subjektbezogene Strategien, aber ohne strukturelle Veränderungen werden sie nicht nachhaltig wirksam sein. Der gemeindepsychologische Zugang erfordert die Analyse des Zusammenwirkens von Subjekt und Struktur. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Was folgt aus der Analyse? 2. Erforderlich ist eine Auseinandersetzung mit den vorherrschenden Menschenbildannahmen . Die Figur des „unternehmerischen Selbst“ ist auf den kritischen Prüfstand zu stellen. Sie verweist auf ein neoliberales Menschenbildes, das eine maximierte Selbstkontrolle als Fortschritt anpreist. Ausbeutung und Entfremdung wird zunehmend weniger als fremd gesetzter Zwang von Menschen erlebt, sondern wird mehr und mehr zu einer Selbsttechnologie, zu einer Selbstdressur, die allerdings in den Ideologien des Neoliberalismus in einem Freiheits- oder Autonomiediskurs daher kommt. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten 58 Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten „In einer Leistungsgesellschaft, die Wachstum, Konsum und Erlebnissteigerung feiert, ist Nichtstun ein bitterer Genuss.“ Ulrich Schnabel: Vom Glück des Nichtstuns. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Prekäre Lebenslagen Jugendlicher und Sucht als Bewältigungsversuch Zeitkompetenz: Reflektierter Umgang mit Zeitressourcen Zeitkompetenz, d.h. der reflektierte, ökonomische, der eigenen Lebenssituation angepasste Umgang mit Zeit sowie das Erkennen der eigenen Zeitbedürfnisse müssen Eltern und Kinder erlernen. Zeitkompetenz soll deshalb auch stärker zum Gegenstand von Bildung gemacht werden durch Angebote in der Eltern- und Familienbildung, in der Jugendarbeit, im schulischem Lernen und - als eine Voraussetzung zu alledem - in der Aus- und Fortbildung der pädagogischen Berufe. Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Eine aktuelle Ausstellung, die sich lohnt Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Was folgt aus der Analyse? 3. Selbstsorge ist notwendig, aber sie darf sich nicht in individualisierten Überlebensstrategien erschöpfen, die die eigene „Fitness“ oder das „time management“ permanent zu steigern. Im Sinne der Salutogenese geht es um die Erarbeitung von sinnhaften Bewältigungsmustern und um die Stärkung der Handlungsfähigkeit der Subjekte. Doch das reicht nicht! Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Was folgt aus der Analyse? 4. Eine Strategie der universellen oder Verhältnisprävention muss letztlich auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zielen und dazu ist nicht nur die professionelle Arbeitsgestaltung gefragt, sondern die aktive Beteiligung der Betroffenen, denen bewusst ist, dass individuelle Selbstsorge nur im Rahmen kollektiver Interessenvertretung (z.B. in Selbsthilfegruppen, Netzwerken, Gewerkschaften, Attac) möglich ist. Und es ist dringend notwendig, neue Formen des Arbeitsschutzes zu entwickeln, die wirksame Antworten auf die wachsenden psychischen Belastungen und Störungen in der Arbeitswelt bilden. Und wir brauchen ein Gesetz zur Gesundheitsförderung (oder Prävention), das hier kollektive Handlungsmöglichkeiten eröffnet Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Und am Ort klösterlicher Besinnlichkeit gibt es auch noch einen anderen Diskurs: Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie « Die Speed-Gesellschaft und ihre psychosozialen Kosten Herzlichen Dank für ihre Aufmerksamkeit Professor Dr. Heiner Keupp » Reflexive Sozialpsychologie «