DEO 2010 Diabetestherapie Kamber

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Wegweiser im Dickicht der neuen Medikamente und
Therapieziele beim Typ 2 Diabetes: Update 2010
Niklaus Kamber, Kantonsspital Chur
Stichworte
DPP IV Antagonisten (seit 2007) aktuell drei Substanzen
GLP 1 Agonisten (seit 2007) aktuell zwei Substanzen
Rosiglitazon und Herzinfarkte, Folgen einer Metaanalyse (2007)
Drei Studien in der Nachfolge von UKPDS (2008/2009)
Insulin und Krebs, Folgen einer retrospektiven Kohortenanalyse (2009)
HbA1c als diagnostisches Kriterium (2009)
United Kingdom Prospective Diabetes Study (UKPDS)
Rekrutierung von neu diagnostizierten Typ2 Diabetikern zwischen 1977 und 1991.
Hauptpublikation 1998. Patienten „gesund“ (maximal ein kardiovaskuläres Ereignis).
Eine sehr grosse Bandbreite der Nüchternglukose als Zulassungskriterium war erlaubt
(6-15mmol/l!). Die Studie zeigte, dass Blutzuckersenkung hilft, mikrovaskuläre
Komplikationen zu verhindern, beziehungsweise ihre Progression bremsen kann. Für
makrovaskuläre Ereignisse zeigte sich keine signifikante Risikoreduktion (p<0.052).
Etablierte Metformin als Goldstandard und zeigte erstmals, dass Sulfonylharnstoffe
(Glibenclamid und Chlorpropamid) nicht gefährlicher sind als Insulin. Zeigte, dass
Blutdrucksenkung wirksam ist in der Prävention mikro –und makrovaskulärer
Komplikationen bei Typ 2 Diabetikern.
UKPDS etablierte „Typ 2 Diabetologie“
Drei Studien in der Nachfolge von UKPDS
ACCORD
N Engl J Med 358:24, June 12, 2008, Effects of Intensive Glucose Lowering in Type
2 Diabetes, The Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes Study Group*
ADVANCE
N Engl J Med 358;24, June 12, 2008, Intensive Blood Glucose Control and Vascular
Outcomes in Patients with Type 2 Diabetes, The ADVANCE Collaborative Group*
VADT
N Engl J Med 360:129, January 8, 2009 Glucose Control and Vascular
Complications in Veterans with Type 2 Diabetes, W. Duckworth and Others
Die drei Studien kürzestens zusammengefasst
N
Durchschnittsalter
Diabetesdauer
HbA1c
Studienbeginn
Studiendauer
HbA1c
Studienende
(intensiv)
HbA1c
Separation
ACCORD
10251
62
10
8.1%
3.5 Jahre
6.4%
1.1%
ADVANCE
11140
66
8
7.2%
5 Jahre
6.5%
0.8%
VADT
1791
60
11.5
9.4%
5.6 Jahre
6.9%
1.5%
In allen drei Studien unterschieden sich die makrovaskulären
Endpunkte* zwischen Intensiv -und Standardgruppe nicht
signifikant
* Nicht tödlicher Myokardinfarkt, Nicht tödlicher Schlaganfall, Tod mit
kardiovaskulärer Ursache. In VADT zusätzlich Hospitalisation wegen
koronarer Herzkrankheit.
Weshalb soll nach diesen drei Studien überhaupt noch Blutzucker eingestellt werden?
Schlussfolgerungen aus den drei Studien.
Blutzucker schadet direkt an den Gefässwänden und anderswo. Über
die Jahre wird dies bei jedem Patienten Folgen haben.
Dass dies so ist, ist unbestritten.
Die drei Studien belegen aber eindrücklich, dass beim Diabetes
mellitus Typ zwei besonders in der Sekundärprävention die Ziele
anderes gesteckt werden können.
Bei einem HbA1c um 7% muss nicht „gemurkst“ werden.
In jedem Fall soll auf optimale Blutdruckeinstellung und Lipide
geachtet werden.
Empfehlungen der Schweizer Expertengruppe
Philippe J, et al. Schweiz Med Forum 2009;9(3):50–55
1. Lebensstil (Essen, Trinken, Bewegung)
2. Lebensstil (Essen, Trinken, Bewegung)
3. Lebensstil (Essen, Trinken, Bewegung)
4. Metformin: Wenn ein Patient mit Diabetes mellitus Typ 2 kein
Metformin schluckt, muss dies begründet werden
Geissraute - Galega officinalis
Metformin Wirkung
Hauptwirkung: Unterdrückung der hepatischen Glucoseproduktion, bzw. Verbesserung
der Insulinwirkung auf die Leber (Suppression der Gluconeogenese)
Zusätzlich Reduktion der intestinalen Glucoseresorption und evtl. vermehrter intestinaler
Glucose Metabolisms; Glukoseaufnahme in die Muskelzelle (?), Wirkung auf Adipozyten
und Betazellen (?)
Metformin Anwendung
Nochmals: Man braucht gute Gründe, um einem Patienten mit Typ 2 Diabetes kein
Metformin zu geben.
Plus: Grosse Erfahrung. Gewichtsneutral (evtl. etwas Gewichtsverlust). Langzeiteffekt.
Keine Hypoglykämien.
Kontraindikation: Geschätzte renale Kreatinin Clearance<30ml/min. Dies ist eine
pragmatische Grenze. Im Einzelfall und nach Information des Patienten kann sie
unterschritten werden.
Hauptproblem: Gastrointestinale Nebenwirkungen. Blähungen, Durchfall,
Bauchschmerzen.
Vorgehen: Beginn mit kleinen Dosen (500mg ein bis zweimal pro Tag), Auftitrieren auf
Dosen von 2 bis 3g/Tag. Die Nebenwirkung im voraus besprechen, darauf aufmerksam
machen, erklären, dass sich oft nach Tagen bis Wochen eine Besserung der
Nebenwirkungen einstellt. Mindestens 14 Tage therapieren bevor aufgegeben wird.
(Maximaler Wirkungseintritt erst nach einer Woche)
Empfehlungen der Schweizer Expertengruppe
Philippe J, et al. Schweiz Med Forum 2009;9(3):50–55
Insulin bei der Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2. Einige Faustregegeln:
1. Bei symptomatischen Patienten gleich mit Insulin beginnen.
2. Bei hohen Blutzuckerwerten (z.Bsp. bei einem HbA1c > 8.5%) nicht lange
mit Insulin zuwarten.
3. Einfach beginnen. Zum Beispiel mit einer Spritze pro Tag (Bettzeit)
4. Patienten begleiten. Dosierung nicht den Patienten überlassen.
5. Wenn Blutzuckerwerte unter Sulfonylharnstoff ist Insulin wahrscheinlich
unumgänglich. DPP IV Antagonisten und GLP 1 Agonisten nützen in dieser
Situation wahrscheinlich wenig.
6. Spätestens mit der Einführung eines Zweispritzenschemas sollen
Sulfonylharnstoffe abgesetzt werden.
Frage 1
Die Einführung von Insulin stösst bei vielen Patienten auf Widerstand
wegen der damit verbundenen Gewichtszunahme.
Folgende Aussage(n) ist (sind) korrekt (richtige Antwort(en) grün)
1. Die Gewichtszunahme unter Insulin ist ein Ammenmärchen, der Irrglaube
soll den Patienten ausgeredet werden
2. Allein durch Insulin kommt es zu einer wenn auch diskreten stetigen
Gewichtszunahme
3. Bei der Einführung von Insulin nehmen die meisten Patienten zu, die
Gewichtszunahme kann eine direkte Folge der besseren
Stoffwechseleinstellung sein
4.Gewichtszunahme unter Insulin kann ein Hinweis auf gehäufte
Hypoglykämien sein.
Frage 2
65 jähriger Patient. Diabetes mellitus Typ 2 seit 11 Jahren. Metformin
seither (aktuell 2000mg/Tag). Glimepirid seit 5 Jahren (aktuell
4mg/Tag). HbA1c bis 2009 7%-7.5%, aktuell 9.2%. Arterielle Hypertonie,
sonst keine bekannten Comorbiditäten.
Wie bauen Sie die medikamentöse Therapie aus? (Richtige Antwort(en) grün)
1. Zugabe eines DPP IV Antagonisten (Saxagliptin, Sitagliptin, Vildagliptin)
2. Steigerung der Sulfonylharnstoffdosierung
3. Beginn mit Insulin
4. Zugabe eines Glitazons (Pioglitazon, Rosiglitazon)
Insulintherapie bei Diabetes mellitus Typ 2:
Krebsrisiko
Empfehlungen der Schweizer Expertengruppe
Philippe J, et al. Schweiz Med Forum 2009;9(3):50–55
Die Begriffe «Inkretin» und GLP 1 auf der Zeitachse (adaptiertes Firmendia)
Als Proglukagon
Genprodukt
beschrieben
Insulinotrope
Eigenschaften
der Inkretine
bestätigt
Inkretin als
Begriff
Weitere
Bestandteile
entdeckt
“Enteroinsuläre
Achse”
1930 1960
1970
Analoga und DPP
IV Antagonisten
Blutzuckersenkung
bei Typ2 Diabetes
beschrieben
Rezeptor
geklont
1980
Publikationen die GLP-1 erwähnen*
1990
Bis 1992:
145
2000
1993–2005:
1892
Aktuell (Mai 2010) 5 in der Schweiz verfügbare Substanzen basierend auf dem
GLP 1 System
*Pubmed search für ‘GLP-1 oder glucagon-like-peptide-1’.
GLP 1 Agonisten und DPP IV Antagonisten
Der Inkretineffekt (adaptiertes Firmendia)
Insulinreaktion
Insulin (mU/l)
80
60
40
20
0
–10 –5
Orale Glukosebelastung (50 g)
Inkretineffekt
60
120
Zeit (min)
180
i.v. Glukoseinfusion
Der Inkretineffekt ist bei Typ 2 Diabetikern eingeschränkt oder verloren
Nauck et al. Diabetologia 1986;29:46–52, gesunde Probanden (n=8)
(Firmendia NovoNordisk)
GLP 1 Agonisten und DPP IV Antagonisten
Der GLP 1 Effekte
Klinisch relevanter Haupteffekt:
Glucoseabhängige Insulinsekretion. Ohne Glucose kein Insulineffekt,
d.h. keine Hypoglykämiegefahr.
Nebeneffekte:
Aus einer Reihe von Tierversuchen postulierte Nebeneffekte (zum Teil auch
an Menschen bestätigt) auf
• Magenentleerung
• Zentrales Sättigungsgefühl
• Glukagonsekretion (Hemmung)
GLP 1 Agonisten und DPP IV Antagonisten
GLP1 System in vivo
Ileum GLP 1
produzierende
Zellen
Kapillaren
DPP-IV (Di-Peptidyl
Peptidase-IV)
Halbwertszeit von GLP 1 in vivo 1-2 Minuten!
Adaptiert: Hansen et al. Endocrinology 1999;140:5356–5363.
Frage 3
Die GLP 1 Agonisten Exanitid und Liraglutid, die beide injiziert werden
müssen, können die medikamentöse Therapie bei Diabetes mellitus
Typ 2 ergänzen. Beide Substanzen unterliegen einer Limitatio.
Sie sind zugelassen als (richtige Antwort(en) grün)
1. Erstlinientherapie bei übergewichtigen Patienten (BMI ≥ 28 kg/m2)
2. Ergänzung zu Metformin
3. Ergänzung zur oralen Therapie mit Metformin und Sulfonylharnstoff bei
Normalgewichtigen (BMI < 25kg/m2)
4. Ergänzung zur oralen Therapie und einem Bettzeitinsulin bei
Übergewichtigen (BMI ≥ 28 kg/m2)
GLP 1 Agonisten klinische Wirkungen, Nebenwirkungen, Anwendung
Plus: Gute Blutzuckersenkung, verbunden mit Gewichtsverlust (im Durchschnitt 5kg in 3
Jahren, gelegentlich mehr)
Müssen injiziert werden: Victoza eine, Byetta 2 Injektionen pro Tag
Minus: Sehr häufige Nebenwirkung Nausea. Mit Byetta stärker als mit Victoza, nimmt
meistens nach einigen Tagen ab. Dürfen noch nicht mit Insulin kombiniert werden
Hauptminus: Fehlende Langzeiterfahrung im Umgang mit einem Hormon, welches nur
sehr unvollständig erforscht ist (erste Fälle von Pankreatitis). Teuer.
Einsatz: Reservemedikament bei stark übergewichtigen Patienten mit Diabetes mellitus
Typ 2. eine weitere Indikation: Patienten, die kein Insulin haben dürfen (Bspw.
Chauffeure). Bei Sulfonylharnstoffversagen macht der zusätzliche Einsatz keinen Sinn!
Perspektive: sicher sehr interessant, je länger im Einsatz desto brauchbarer, sollten
böse Überraschungen ausbleiben
GLP 1 Agonisten und DPP IV Antagonisten
2. DPP IV Antagonisten
Aktuell Sitagliptin (Januvia®, Xelevia®), Vildagliptin (Galvus®), Saxagliptin (Onglyza®).
Dipeptidyl-Peptidase 4 (CD26, adenosine deaminase complexing protein 2)
Ein unbiquitär vorkommendes Zelloberflächenglykoprotein
Eine Reihe von Effekten wurde bereits beschrieben. Sehr
vieles ist mit Sicherheit unbekannt.
Sitagliptin (Januvia®, Xelevia®), Vildagliptin (Galvus®), Saxagliptin
(Onglyza®)
Wirkungen, Nebenwirkungen, Anwendung
Wirkmechanismus: Hemmen der DPP-IV in der Darmwand, damit höhere GLP 1 Spiegel
mit den entsprechenden Wirkungen
Plus: Blutzuckersenkende Wirkung gewichtsneutral, ohne Gefahr der Hypoglykämie
Hauptminus: Fehlende Langzeitdaten für ein Medikament, das in ein ubiquitär
vorhandenes System eingreift. Keine Studien mit harten Endpunkten.
Einsatz: Reservemedikamente bei Metformin und Sulfonylharnstoffunverträglichkeit –
oder Kontraindikationen, wenn eine Insulinbehandlung unrealistisch erscheint. Bei
Sulfonylharnstoffversagen macht der zusätzliche Einsatz wenig Sinn!
Perspektive: sicher interessant, je länger im Einsatz desto brauchbarer, sollten böse
Überraschungen ausbleiben
GLP 1 System: Fazit
Echte Innovationen. Wirksame Substanzen.
Nützlich in besonderen Situationen
Fehlende Langzeitdaten
(Kosten)
Empfehlungen der Schweizer Expertengruppe
Philippe J, et al. Schweiz Med Forum 2009;9(3):50–55
Glitazone: Die alten Neuen
Frage 4
Die Glitazone Pioglitazon und Rosiglitazon wurden vor etwas mehr als
zehn Jahren in die Klinik eingeführt.
Die wichtigsten Kontraindikationen sind (richtige Antwort(en) grün)
1. Übergewicht
2. Niereninsuffizienz vor allem in Kombination mit einem ACE Hemmer
3. Herzinsuffizienz
4. Anamnese mit osteoporotischen Frakturen
Original Article
Effect of Rosiglitazone on the Risk of Myocardial
Infarction and Death from Cardiovascular Causes
Steven E. Nissen, M.D., and Kathy Wolski, M.P.H.
N Engl J Med
Volume 356(24):2457-2471
June 14, 2007
Conclusion
•
•
•
Rosiglitazone was associated with a significant increase in the risk of
myocardial infarction and with an increase in the risk of death from
cardiovascular causes that had borderline significance
Our study was limited by a lack of access to original source data, which
would have enabled time-to-event analysis
Despite these limitations, patients and providers should consider the
potential for serious adverse cardiovascular effects of treatment with
rosiglitazone for type 2 diabetes
Die Glitazone
Rosiglitazone (Avandia®) und Pioglitazone (Actos®)
Was man berücksichtigen soll:
Die Glitazone sind wertvolle Reservemedikamente, inzwischen liegen 8 Jahres Daten
vor und die Risiken sind abschätzbar.
Kontraindikation:
Herzinsuffizienz!
Hauptproblem:
Gewichtszunahme
Auch Problem:
Osteoporose
Einsatz: Reserve vor allem beim nur mässig übergewichtigen Patienten (gelegentlich bei
Niereninsuffizienz), das Gewichtsproblem muss angesprochen werden.
Diabetes mellitus Diagnostik, Pressemitteilung 2009
ADA 2009: Expert Committee Recommends Use of Hemoglobin
A1C for Diagnosis of Diabetes
June 7, 2009 (New Orleans, Louisiana) — The American Diabetes
Association (ADA), the International Diabetes Federation (IDF), and
the European Association for the Study of Diabetes (EASD) have
joined forces to recommend the use of the hemoglobin A1C assay
for the diagnosis of diabetes…The international expert committee's
recommendations were…
…The committee has determined that an A1C value of 6.5% or
greater should be used for the diagnosis of diabetes…
Das HbA1c ist in der Diagnostik nützlich, der Algorithmus ist für Europa noch nicht
festgelegt.
Einige Mitbringsel* zum Schluss
1. Wenn ein Patient mit Diabetes mellitus Typ 2 kein Metformin einnimmt, muss
es dafür einen guten Grund geben (meistens gastrointestinale
Nebenwirkungen)
2. Die Blutzuckereinstellung bleibt ein wichtiges Therapieziel beim Diabetes
mellitus Typ 2. Ein HbA1c von 7% scheint bei einer guten
Blutzuckereinstellung und lipidsenkenden Behandlung ein vernünftiges
Therapieziel zu sein.
3. Insulin ist sicher. Es besteht eine Assoziation zwischen Insulintherapie und
Krebsinzidenz, für einen kausalen Zusammenhang gibt es keine
überzeugenden Hinweise.
4. Die pharmakologische Therapie beim Typ 2 Diabetes unterliegt einem
ausserordentlich starken Marktdruck. Die Evidenzbasis ist wichtig,
Langzeiterfahrung entscheidend. Die neuen Substanzen sind echte
Innovationen, sie sind wirksam, sollten aber mit Zurückhaltung eingesetzt
werden.
5. Sowohl Diagnostik als auch Therapie werden sich weiterhin schnell
verändern.
* im allgemein üblichen Sprachgebrauch THM oder take home message
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