Klinische Interviews

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ZUSAMMENFASSUNGEN COMER: KLINISCHE
PSYCHOLOGIE . KP. 4, 7, 9, 14
4. Klinische Untersuchung, klinische Urteilsbildung und
klinische Diagnose
Klinische Praktiker interessieren sich vorwiegend für ideographische (personenspezifische)
Information über ihre Klienten. Um ihnen helfen zu können, müssen sie diese Menschen so
umfassend wie möglich verstehen und die Natur und Ursprünge ihrer Probleme erkennen.
Dieses ideographische Verständnis erreichen sie durch Untersuchung, Urteilsbildung und
Diagnose.
4.1. Die klinische Untersuchung
Klinische Untersuchung: Die Methoden der klinischen Untersuchung sollen verschiedene
Dinge feststellen
 ob und warum sich eine Person abweichend verhält
 wie man ihr helfen könnte
 ob eine Person Fortschritte gemacht hat
 ob die Behandlung geändert werden muss
Klinische Untersuchungen spielen auch in der Forschung eine wichtige Rolle, die Forscher
müssen wissen, ob eine best. Stichprobe repräsentativ ist, dazu müssen sie die Probanden
untersuchen können. Manchmal verlassen sich die Forscher aber auch auf die
Untersuchungen, welche die Kliniker bereits geleistet haben.
Welche jeweiligen Untersuchungsverfahren und Hilfsmittel ein Kliniker auswählt, hängt von
seiner theoretischen Orientierung ab:
Persönlichkeitstest: Sie geben psychodynamisch orientierten Klinikern Infos über
Teilbereiche der Persönlichkeit und decken womöglich unbewusste Konflikte eines
Menschen auf.
Verhaltensanalyse: Behavioristische und kognitiv orientierte Kliniker benutzen Untersuchungsmethoden, die detailliertere Infos liefern. Die Verhaltensanalyse zielt auf eine
funktionale Analyse des Verhaltens der Person ab; wie die betreffenden Verhaltensweisen
gelernt haben und verstärkt wurden.
Alle theoretischen Ansätze haben Hunderte von Untersuchungsverfahren und Werkzeugen
entwickelt, die meisten lassen sich aber in drei Kategorien zuordnen: klinischen Interviews,
Tests und Beobachtungen.
Klinische Interviews
Klinische Interviews: In zwischenmenschlichen Aktionen können wir Reaktionen auf unsere
Fragen beobachten und ihre Antworten hören, sehen, wie die Person uns beobachtet und
einen allgemeinen Eindruck von der Person erhalten. Das klinische Interview ist eine solche
direkte Begegnung. Die Art wie Menschen etwas sagen kann genau so aufschlussreich sein,
wie das, was sie sagen.
Durchführung des Interviews
Der Interviewer muss herausfinden, welcher Hintergrund und welche Erfahrungen den
Klienten zu dem gemacht haben, was er ist: detaillierte Informationen über die
1
gegenwärtigen Probleme und Empfindungen, Lebensumstände, Beziehungen, persönliche
Geschichte. Zudem widmen sich die Kliniker allen Themen, die sie für die wichtigsten halten:
Psychodynamisch orientierte Kliniker: Bedürfnisse, Phantasien, relevante Erinnerungen an
vergangene Ereignisse und Beziehungen. Sie achten darauf, wie die Person das Interview
gestaltet.
Behavioristische Kliniker: Akronym SORK  Infos über die Stimuli (Reize), die das gestörte
Verhalten auslösen, über den Organismus (Person), über die Natur der gestörten
Reaktionen und über die Konsequenzen dieser Reaktionen.
Kognitive Kliniker: Annahmen, Interpretationen und kognitive Bewältigungsstrategien,
welche die Handlungs- und Empfindungsweise beeinflussen.
Humanistische Kliniker: fragen nach dem Selbstkonzept, versuchen die ganz persönliche
Wahrnehmung der Person kennenzulernen.
Biologische Kliniker: suchen nach Anzeichen einer biochemischen oder neurologischen
Störung.
Interviewformen:
Unstrukturiertes Interview: Bevorzugt von psychodynamischen und humanistischen
Klinikern. Der Kliniker stellt offene Fragen, folgt interessanten Hinweisen, setzt thematisch
kaum Grenzen.
+ Wichtige Themen können auftauchen, die der Kliniker nicht vorausahnen konnte
+ Besseres Abschätzen, was dem Klienten wichtig ist
Strukturiertes Interview: Bevorzugt von behavioristischen, kognitiven und biologisch
orientierten Klinikern. Eine Reihe vorbereiteter Fragen werden gestellt z.T mit 
Interviewleitfaden: Sammlung von Standardfragen oder -themen, die in jedem Interview
verwendet werden können.
+ Interviewer kann Reaktion des Klienten mit der von andern vergleichen
Prüfung des psychischen Status: Spez. Fragen, die Art und Ausmass der Störung genau
ermitteln (kommt oft in strukturierten Interviews vor)
Die meisten klinischen Interviews setzen sich aus strukturierten und unstrukturierten Teilen
zusammen, viele Kliniker bevorzugen aber eine Variante:
Schwächen Klinischer Interviews
- Information ist durch den Klienten vorselektiert
- Störungen können es den Klienten verunmöglichen, gültige Infos zu liefern
- Subjektive Urteile der Interviewer können Infos verzerren
- Voreingenommenheit z.B. hinsichtlich Geschlecht und Hautfarbe
- Klienten reagieren unterschiedlich auf verschiedene Interviewer
Verscheidene Kliniker kommen manchmal zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen bei
derselben Person, manche Forscher finden, man soll diese Untersuchungsform abschaffen.
Leider gibt es aber noch keine andern, unproblematischen Verfahren.
Klinische Tests
Tests: Instrumente, mit denen man Infos über einzelne Aspekte des Erlebens und
Verhaltens einer Person sammeln kann. Sie werden eingesetzt, wenn sich Kliniker über
Feinheiten informieren wollen und um das Erleben und Verhalten einer Person mit dem
anderer Personen zu vergleichen.
USA: über 500 versch. Klinische Standardtests: Fünf Kategorien
1. Projektive Tests: unstrukturiertes, mehrdeutiges Material, auf das die Menschen
reagieren sollen. Soll die psychische Struktur einer Person widerspiegeln.
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2. Selbstbeurteilungsfragebögen: Listen von (un)zutreffenden Aussagen. Soll
Einblick in Prsönlichkeit, Verhaltensmuster, Emotionen und Überzeugungen geben.
3. Psychophysische Tests: Messen physiologische Reaktionen wie Puls,
Muskelspannung, etc. Mögliche Indikatoren psychischer Probleme
4. Neuropsychologische Tests: Weisen auf neurologische Beeinträchtigungen hin
5. Intelligenztests: messen die intellektuelle Begabung einer Person
Wenn ein Test nützlich sein soll, muss er standardisiert sein, Reliabilität und Validität
besitzen.
Standartisierung
standartisierter / geeichter Test: Eine grosse Anzahl Probanden hat den Test absolviert,
deren Abschneiden dient als allgemeiner Masstab / Norm, an der man den Wert des
Individuums messen kann
Eichstichprobe: Die ursprüngliche Probandengruppe. Sie muss repräsentativ für die
Population sein, für die der Test gedacht ist. In manchen Fällen ist es nützlich, mehr als eine
Norm zu erheben (z.B. Männer/Frauen)
Reliabilität
Reliabilität: Mass der Konsistenz oder Stabilität von Testergebnissen. Ein guter Test führt in
der gleichen Situation immer zu gleichen Ergebnissen. (reliable Waage zeigt immer gleiches
Gewicht für gleichen Gegenstand an)
Retest-Reliabilität: wenn Test bei zweimaliger Anwendung am selben Menschen identische
Ergebnisse erzielt, hat er hohe *
Paralleltest-Reliabilität: Der Paralleltest besteht aus gleichartigen Fragen wie der
ursprüngliche. Der Proband beantwortet beide Tests und die Werte werden korreliert. Eine
hohe Korrelation der beiden Tests = hohe *
Interne Reliabilität: Wenn die verschiedenen Teile eines Tests zu identischen Ergebnissen
führen = hohe *. Um dies zu prüfen verwendet wir die Methode der 
Testhalbierung: Die Reaktion auf ungeradezahlige und geradezalige Items wird verglichen.
Sind die Werte der beiden Testhälften eng korreliert, ist der Test intern reliabel.
Interrater Reliabilität / Interbeurteilerreliabilität: Wenn verschiedene Auswerter
unabhängig voneinander zu denselben Punktwerten gelangen hat Test hohe *
Validität
valide Ergebnisse: gültige Ergebnisse.
Validität: Die Validität eines Instrumentes gib an, bis zu welchem Grad es das misst, was es
messen soll. (z.B. Waage, die für 1 Kg Zucker immer 800g anzeigt, ist zwar reliabel aber
nicht valide)
1. Augenscheinvalidität: Wenn ein Test plausibel wirkt. Kann die Vertrauenswürdigkeit
eines Tests nicht bestätigen.
2. Vorhersagevalidität: Die Fähigkeit eines Tests, die zukünftigen Eigenschaften oder
Verhaltensweisen einer Person vorherzusagen. Es ist schwierig, die Vorhersagevalidität
eines Tests zu bestimmen, weil in der Zwischenzeit unzählige Störfaktoren einwirken
können.
3. Übereinstimmungsvalidität: Der Grad, in dem die Testwerte mit anderer verfügbarer
Information übereinstimmen.
4. Inhaltsvalidität: Test hat hohe *, wenn er alle wichtigen Aspekte des Verhaltens, der
Fähigkeiten und er Eigenschaften misst, die er messen soll.
5. Konstruktvalidität: Ein Test soll * besitzen, d.h., er soll wirklich das messen, was er
messen soll und nicht etwas völlig anderes (z.B ein multiple choice Psychologietest misst
nicht die Fähigkeit / das Wissen in Psychologie, sondern die (Un)Fähigkeit zum Lösen von
Multiple
choice Tests. Solche Tests haben also keine Konstruktvalidität.
3
Projektive Tests
Bei diesen Tests sollen die Probanden sollen interpretierte Antworten auf Fragen mit relativ
vagen Stimuli wie Tintenkleckse oder mehrdeutige Bilder geben oder offenen
Aufforderungen nachkommen (z.B. zeichne einen Menschen)
Die Tests basieren auf der Annahme, dass den Probanden nichts anderes übrigbleibt, als
Aspekte ihrer eigenen Persönlichkeit in die Aufgabe zu „projizieren“. Projektive Tests werden
hauptsächlich
von
psychodynamisch
orientierten
Klinikern
angewandt.
Die
meistverwendeten projektiven Tests sind der Rorschach-Test, der Thematische
Apperzeptionstest und der Satz-Ergänzungs- und Zeichentest.
Rohrschach-Test
Hermann Rorschach und der Rorschach-Test: 1911 experimentierte der Schweizer
Psychiater mit dem Einsatz von Tintenklecksen zur psychiatrischen Diagnose. Er stellte fest,
dass alle Menschen Bilder in den Klecksen sahen und das das wahrgenommene Bild in
bedeutsamer Weise dem psychischen Zustand des Sehers entsprach. Rorschach starb im
Alter von 37 Jahren (8 Monate später). Seine Kollegen setzten seine Arbeit fort. Seine
Tintenkleckse haben einen festen Platz unter den meist benutzten projektiven Tests dieses
Jh. erobert.
1. Freie Assoziation / Deutungsphase: Der Proband wird gefragt, was er in dem
Tinenklecks sieht, er wird zu mehreren Antworten ermutigt
2. Befragungsphase: Der Kliniker versucht herauszufinden, was die Reaktion des
Probanden beeinflusst oder hervorgerufen hat
3. Grenzen testen: (fakultative Phase) Der Kliniker fragt den Probanden, ob er auch Dinge
sehen kann, die andere Menschen üblicherweise sehen
thematischer Gehalt: Früher widmten die Kliniker In der Auswertungsphase den
assoziierten Themen, Bildern und Phantasien mehr Aufmerksamkeit, also dem *
Heute spielt der thematische Gehalt immer noch eine Rolle, aber die meisten Tester legen
mehr Gewicht auf den Erfassungs- und Erlebnistypus der Probanden. Sehen sie den Klecks
aus Ganzheit oder sehen sie Einzelheiten? Sehen sie die Bilder in den Klecksen oder in den
Zwischenräumen? Berücksichtigen sie Schattierungen und Farben? Sehen sie Bewegungen
von Menschen, Tieren oder unbelebte Objekte?
Thematischer Apperzeptionstest (TAT)
Thematischer Apperzeptionstest (TAT): Der TAT ist ein projektiver Bildertest, entwickelt
vom Psychologen Henry A. Murray 1935. Gebrächlichste Version (von 1943) = 30
Schwarzweissbilder, die Menschen in nicht eindeutig definierten Situationen darstellen. Die
Kliniker wählen für jeden Klienten andere Karten aus. Die Klienten erzählen zu jeder Karte
eine spannende Geschichte, erzählen, was die Figuren fühlen und denken und wie die
Situation ausgehen wird. Danach folgt eine Befragungsphase, um die Antworten weiter zu
klären.
Die Kliniker glauben, dass sich die Menschen mit einer Figur identifizieren. Diese Figur, der
Held hat Bedürfnisse und ist Zwängen ausgesetzt. Die Kliniker schauen sowohl wie, als
auch was ein Klient erzählt.
Satzergänzungstest
Satzergänzungstest: Entwickelt vor mehr als 60 J. Besteht aus unvollendeten Sätzen, die
vervollständigt werden sollen. Für verschiedene Alter gib es versch. Versionen.
+ Der Test kann ohne Anwesenheit des Testleiters durchgeführt werden
+ Gutes Sprungbrett für ein Gespräch
+ Schnelle, einfache Möglichkeit, die zu besprechenden Themen herauszufiltern
Zeichnungen
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Basiert auf derAnnahme, dass Zeichnungen etwas über den Zeichner aussagen. Bewertung
dieser Zeichnungen nach: Qualität, Form, Bleistiftstrich, Platzierung auf dem Blatt, Grösse
und Eigenschaft der Figuren, Verwendung des Hintergrunds und Bemerkungen des
Zeichnenden während des Zeichnens.
Draw-a-person-Test (DAP): Bei den Klinikern der beliebteste Test. Probanden zeichnen
zuerst einen Menschen, dann einen zweiten andern Geschlechts. Grosse Augen z.B =
grosses Misstrauen, übertrieben grosser od. kleiner Kopf kann
auf Störungen der
intellektuellen Leistungs-fähigkeit hinweisen, etc.
Der Nutzen projektiver Tests
Während man sich bis zu den 50er Jahren auf projektive Tests als Hauptindikatoren der
Persönlichkeit stützte, brauchen Kliniker dieses Instrument heute eher als Ergänzung.
- Praktiker und Forscher, die diese Tests übernommen haben, finden sie weniger
nützlich als ihre psychodynamisch orientierten Kollegen.
Projektive Tests sind nicht besonders reliabel und valide
- geringe Interrater-Reliabilität (niedrige Übereinstimmung zwischen den Auswertungen
versch.
Kliniker)
- Kein standartisiertes Verfahren zur Auswertung solcher Tests hat sich allgemein
durchsetzten können
- geringe Validität: manchmal Verzerrungen zuungunsten ethnischer Minderheiten
Allgemeine Selbstbeurteilungsfragebögen
Selbstbeurteilungsfragebögen: Die Probanden schätzen sich selber ein z.B. mit 
Persönlichkeitsfragebogen: Stellt den Probanden Fragen über ihr Verhalten, ihre
Überzeugungen und ihre Gefühle. Besteht aus einer Reihe von Aussagen, die Probanden
sollen angeben, ob sie zutreffen oder nicht
Die Fragebögen werden von psychodynamisch orientierten Klinikern angewandt, sie sollen
Persönlichkeitsmerkmale und Hintergründige emotionale Bedürfnisse aufdecken.
MMPI Minnesota Multiphasic Personality Inventory
MMPI: Der meistgenutzte Persönlichkeitsfragebogen überhaupt, Test in zwei Versionen
vorhanden
MMPI Originaltest: von den Psychologen Starke Hathaway und J.C. McKinley 1945
veröffentlicht. Besteht aus 550 Selbstaussagen zu zahlreichen Aspekten des persönlichen
Verhaltens und Erlebens. Besorgnis um Körperfunktionen, Stimmung, innere Haltung,
Einstellung zu Religion, Sexualität und sozialen Aktivitäten, mögliche Symptome psychischer
Störungen wie Phobien oder Halluzinationen
MMPI-2: Revisierte Auflage von 1989, von einer Psychologengruppe geleitet
Konstruktion des MMPI: Gruppen von Aussagen wurden übernommen aus: Lehrbüchern,
medizinischen und neurologischen Fallaufnahmeverfahren, psychiatrischen Untersuchungsformularen. 724 „normale“ Menschen und 800 hospitalisierte psychiatrische Patienten gaben
an, ob die aussagen auf sie zutreffen oder nicht. Es wurden nur Feststellungen in den
Fragebogen aufgenommen, die zwischen den hospitalisierten und den normalen Probanden
differenzierten.
Die Items bilden zehn klinische Skalen:
1 oder HS (Hypochondrie) 33 Items
2 oder D (Depression) 60 Items
3 oder Hy (Hysterie) 60 Items
4 oder Pp (Psychopathie) 50 Items
5 oder Mf (Maskulinität / Femininität) 60 Items
6 oder Pa (Paranoia) 50 Items
7 oder Pt (Psychasthenie) 48 Items
5
8 oder Sc (Schizoide) 78 Items
9 oder Ma (Hypomanie) 46 Items
10 oder Si (Introversion / Extraversion) 70 Items
Die Werte auf jeder Skala können zwischen 0 und 120 schwanken, bei einem Wert über 70
gilt die psychische Funktion als abweichend. Meistens werden die Werte einer Person auf
allen Skalen graphisch auf einem MMPI-Profilblatt zusammen-gefasst. Um das Profil eines
Klienten zu bewerten, benutzen Kliniker häufig den MMPI-Atlas, eine veröffentliche
Sammlung der MMPI-Profile und Fallgeschichten verscheidener PatientInnenen. Es gibt
auch Computerprogramme, ein Profil erstellen und analysieren.
Reaktionseinstellungen und der MMPI: Jeder hat die Tendenz, in einer festgelegten Weise
zu reagieren bei einem Selbstbewertungsfragebogen wie dem MMPI:
Ja-Sage-Tendenz (Akquieszenz): Neigung, die Fragen mit ja zu beantworten
soziale Erwünschtheit: eine andere Reaktionseinstellung; die Menschen geben Antworten,
die sie für sozial akzeptiert halten
Um Verzerrungen aufgrund dieser Reaktionseinstellungen zu vermeiden, enthält der MMPI
verschiedene Zusatzskalen:
L-Skala (Lügenskala): Diese Items sollen prüfen, ob eine Person versucht, sich günstig
darzustellen
F-Skala (Häufigkeitsskala): Enthält Items, auf die fast jeder Manch gleich reagiert z.B „alles
schmeckt gleich“ (=falsch) oder „ich habe Freude an Kindern (=wahr)
Leute, die ungewöhnlich reagieren füllen den Fragebogen nachlässig aus oder sind
notorische Ja-bzw. nein-Sager
K-Skala (Abwehrskala): enthält Items, die andeuten, ob Probanden in ihren Reaktionen ihr
Bild nach aussen schützen. Wenn sie Items wie „Kritik oder Schelten verletzen mich stark“
immer verneinen, zeigt das, dass sie nicht gerne Probleme eingestehen.
Wenn eine Person auf der L-, F- oder K-Skala einen hohen Wert erreicht, kann der Kliniker
seine MMPI-Schlüsse ändern oder die Testergebnisse als ungültig erklären.
MMPI-2: Versucht, die ursprüngliche Version auf den neusten Stand zu bringen und zu
erweitern, das Altbewährte aber beizubehalten. Der MMPI-2 besteht aus 567 Items, viele
ursprüngliche, manche sprachlich angepasst, manche völlig neu.
Zu den 10 Grundskalen fügt der MMPI-2 eine Reihe neuer Skalen hinzu, um Anzeichen von
Esstörungen, Drogenmissbrauch und mangelnde berufliche Rollenerfüllung zu messen.
+ viele Kliniker begrüssten den MMPI-2 als wertvolle Verbesserung
- andere sehen gewichtige Mängel:
- die Eichstichprobe für den MMPI-2 hatte ein höheres Bildungsniveau als die
Allgemeinbevölkerung
- Zahlreiche Forschungsarbeiten, die mit dem urspr. MMPI durchgeführt wurden,
lassen sich nicht auf den MMPI-2 beziehen
- Es gibt Anzeichen, dass manche Probanden bei beiden Testversionen verschiedene Werte
erzielen, z.B hoher Depressionswert in der einen, normalen in der
andern Fassung.
Einige Kliniker verwenden bislang beide Versionen. Die Forscher untersuchen gegenwärtig
die Probleme, die Entscheidung für eine Version wird herausgeschoben.
Der Wert von Persönlichkeitsfragebogen
+ Gegenüber projektiven Tests einfach und schnell auszuwerten
+ Diese Fragebögen sind gewöhnlich standardisiert, Werte sind also vergleichbar
+ Grössere Retest-Reliabilität als projektive Tests
+ Grössere Validität
- Keine hochvaliden Testinstrumente
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- Die Eigenschaften und Merkmale, die diese Tests angeblich messen sind keine
physischen Einheiten. Charakter, Tiefe von Emotionen oder Bedürfnisse werden nur
indirekt, über Worte und Taten des Probanden ermittelt.
- Eingeschränkte Validität weil kulturelle Unterschiede nicht berücksichtigt werden
Trotz aller Einschränkungen sind MMPI und andere Persönlichkeitsfragebögen immer noch
sehr beliebte diagnostische Werkzeuge. Sie sind als grobe Screening-Instrumente zur
Identifikation nützlich und dienen den Klinikern in Ergänzung mit andern diagnostischen
Instrumenten, um sich ein klareres Bild von den Eigenschaften der Störung zu machen.
Spezifische Selbstbeurteilungsfragebögen
Behavioristen und kognitive Kliniker benutzen ebenfalls Selbstbeurteilungsfragebögen. Dabei
handelt es sich aber um Fragebögen, die Informationen über einen eng umschriebenen
Bereich des Erlebens und Verhaltens enthalten. Sie helfen dem Klinikern bei der
funktionalen Analyse, damit er ein entsprechendes Verhaltens- oder kognitives
Therapieprogramm planen kann.
Affektive Fragebögen: Messen Schweregrad von Emot. wie Angst, Depression oder Wut
Soziale Fähigkeiten: Probanden geben an, wie sie in versch. Situationen reagieren würden.
Messen soziale Fähigkeiten, Defizite, Ängste
Kognitionsfragebögen: ermitteln typische Denkweisen und Annahmen sowie die
Häufigkeit, mit der sie ins Bewusstsein treten
Verstärkerfragebögen: Die Klienten sollen über die Natur, Intensität und Häufigkeit
verschiedener Belohnungen in ihrem Leben berichten
Die Zahl der Fragebögen wie auch die Zahl der Kliniker, die sie verwenden, hat sich in den
letzten 20 Jahren ständig erhöht.
+ hohe Augenscheinvalidität wie Persönlichkeitsfragebogen Infos direkt von den
Probanden
- Sie enthalten selten Reaktionseinstellungsskalen, mit welchen man abschätzen kann,
ob die Menschen nachlässig oder unzutreffend berichten
- Nur wenige wurden standardisiert und auf Reliabilität und Validität geprüft
- Werden oft improvisiert und nicht auf Gültigkeit und Konsistenz geprüft
Psychophysiologische Tests
Psychophysische Tests: messen physiologische Reaktionen. Wurden entdeckt, als Studien
darauf hinwiesen, dass Angstzustände von vielen physiologischen Veränderungen begleitet
werden. Die Messungen dieser waren oft genauer als projektive Tests, Fragebögen usw.
Behavioristen und kognitive Kliniker begannen deshalb, solche Tests in die funktionale
Analyse miteinzubeziehen. Sind weitverbreitet in der Therapie sexueller Störungen.
Vaginalplethysmograph: Misst die sexuelle Erregung bei Frauen Sonde mit Lichtquelle am
Ende reflektiert mehr von der Vaginalwand reflektiertes Licht, wenn mehr Blut durch die
Arterien der Scheidenwand strömt (sexuelle Erregung)
Penisplethysmograph (Dehnungsmesser): Misst die sexuelle Erregung beim Mann
Biofeedback: Medizinische Probleme, die mit dem psychischen Zustand einer Person
zusammenhängen lassen sich manchmal dadurch verringern. Der Patient wird systematisch
über wichtige physiologische Reaktionen informiert, während diese auftreten und lernt so, sie
zu steuern.
- Physiologische Tests erfordern teure Aufzeichnungsapparaturen, die gewartet und
fachmännisch geeicht werden müssen
- können irreführend sein, weil sie nicht immer den Normalzustand eines Menschen
anzeigen. Das Labor selbst kann das Nervensystem eines Probanden erregen und die
Messungen beeinflussen. Physiologische Veränderungen können auch aus Ermüdungsgründen während einer Sitzung nachlassen
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- können schwierig zu interpretieren sein. Die physischen Reaktionen stimmen oft nicht mit
dem subjektiven Empfinden der Personen überein
Neuropsychologische Tests
Manche Persönlichkeits- oder Verhaltensprobleme sind manchmal durch neurologisch
definierbare Hirnschäden oder Veränderungen der Gehirnaktivität verursacht durch
Kopfverletzungen, Hirntumore, Funktionsstörungen des Gehirns, Gefässerkrankungen,
degenerative Erkrankungen, Alkoholismus und Infektionen
Neurologische Probleme lassen sich auf verschiedene Arten manchmal feststellen:
Gehirnoperation oder Biopsie, Röntgenaufnahmen des Gehirns 
kraniales Computertomogramm (CCT): erstellt Röntgenaufnahmen aus verschiedenen
Blickwinkeln des Gehirns
Elektroenzephalogramm (EEG): die elektrischen Impulse werden über am Kopf befestigte
Elektroden abgeleitet
Positronen-Emissionstomogramm (PET): computererzeugtes, bewegtes Bild der Stoffwechselaktivität über das gesamte Gehirn
Kernspintomogramm (NMR): kompliziertes Verfahren, das magnetische Eigenschaften
bestimmter Atome im Gehirn ausnutzt, um ein detailliertes Bild der Gehirnstruktur zu
erstellen
Weil sich feinere Hirnschädigungen mit diesen Methoden oft nicht nachweisen lassen, haben
Kliniker eine indirekte, manchmal aufschlussreichere Methode entwickelt:
Neuropsychologische Tests: messen von neurologischen Problemen durch Messung der
kognitiven, perzeptiven und motorischen Fähigkeiten (Testen der visuellen Wahrnehmung,
Kurzzeitgedächtnis, visuell-motorische Koordination)
Bender-Gestalt-Test: einer der meistverwendeten neurologischen Tests:
9 Karten mit einfachen Figuren. Anschauen, nachzeichnen, später aus Gedächtnis zeichnen.
Grobe Fehler gelten als Zeichen für eine Beeinträchtigung.
Manche Kliniker interpretieren den Test subjektiv andere benutzen eines vorliegenden
objektiven und standardisierten Auswertungssysteme.
+ Damit liegt die Retest-Reliabilität bei .70
+ können bei fast 75% der Fälle organisch beeinträchtigte von unbeeinträchtigten
Menschen unterscheiden
- da so viele organische Beeinträchtigungen, kann kein Test sie alle angemessen
nachweisen
- kein Test gestattet es den Klinikern, konsistent zwischen einer speziellen neurologischen
Beeinträchtigung und einer andern zu unterscheiden (= Hauptschwäche des BenderGestalt-Test und allen andern neurol. Tests. Im besten Fall dienen sie zur Grobauslese
neurologischer Beeinträchtigungen Allgemein
Batterie: umfangreiche Serie neuropsychologischer Tests zum Erreichen grösserer
Präzision und Validität. (z.B. Halstead-Reitan-Batterie, Luria-Nebraska-Neuropsych.-Batterie)
Intelligenztests
Da Intelligenz eher ein erschlossenes Konstrukt als eine spezifische physische Funktion od.
Einheit ist, kann sie nur indirekt gemessen werden. Spielen bei der Diagnostik von geistiger
Behinderung und anderer Probleme wie neurologische Störungen eine wichtige Rolle.
1905 entwickelte der franz.Psych. Alfred Binot und Mitarbeiter Theodore Simon einen IQTest
Intelligenzquotient (IQ): allgemeiner Wert aus einem Intelligenztest (urspr. Geistiges Alter :
chronologisches Alter mal 100)
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IQ-Tests bilden seit dem ersten Test Schwerpunkt auf pädagogischem und klinischen
Gebiet. 80 Gruppenintelligenztests, 30 Einzelintelligenztests, 20 für spez. Intelligenzaspekte
Meistverwendete Tests: Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (HAWIE) und
Kinder (HAWIK) und die Stanford-Binet-Skala
+ Von den sorgfältigsten konstruierten aller klinischen Tests (grosse Eichstichprobe)
+ hohe Reliabilität
+ grössere IQ-Tests relativ hohe Validität
- Faktoren wie niedrige Motivation und starke Angst können die Leistung der Person
beeinflussen
- können kulturell-verzerrte Formulierungen enthalten
- Angehörige bestimmter Minderheitsgruppen können wenig Erfahrung mit solchenTests
haben, können schlechter abschneiden
Die Integration von Testdaten
Die meisten klinischen Tests haben Mängel in einem der 3 Hauptkriterien Standardisierung,
Reliabilität und Validität. Gewöhnlich werden deshalb ganze Testbatterien angewandt, die
zur Klärung und als Ergänzung zum klinischen Interview benutzt werden.
Klinische Beobachtungen
natürliche Beobachtung / In-vivo-Beobachtung: Der Kliniker beobachtet die Klienten in
ihrer Alltagsumgebung. Die meisten klinischen Beobachtungen finden in einer natürlichen
Umgebung statt (Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse, Restaurants,
Supermärkte, Mietshäuser). Beobachtet werden Interaktionen (Eltern-Kind, Geschwister,
Lehrer-Kinder), ängstliches, aggressives, störendes Verhalten.
teilnehmende Beobachter: zentrale Personen im Umfeld der Klienten, die Beobachtungen
an den Kliniker weitergeben
strukturierte Beobachtung: Beobachtung in künstlicher Umgebung, Praxis o. Labor, wird
angewandt, wenn natürliche Beob. nicht durchführbar ist. Im Praxisraum oder Labor auf
Video aufzeichnen, durch Einwegscheibe beobachten.
Vor- und Nachteile der natürlichen und strukturierten Beobachtung
+ es nützt den Klinikern offenbar, die Klienten unmittelbar beobachten zu können
- klinische Beobachtungen sind nicht immer reliabel (Hilfe: Beobachtungschecklisten)
- Beobachter machen Fehler, welche die Validität beeinträchtigen können (z.B. weil
überlastet, zu viele relevante Verhaltensweisen und Ereignisse)
- Beobachterdrift: Genauigkeit verschlechtert sich aufgrund von Ermüdung oder es ändern
sich unmerklich die Kriterien
- Beobachterverzerrungseffekt (observer bias):Die Urteile des Beobachters werden durch
Informationen und Erwartungen beeinflusst, die er hinsichtlich des Klienten hat
- Reaktivität des Probanden: (schränkt Validität ein) sein Verhalten wird durch die
Anwesenheit des Beobachters beeinflusst
- transsituationale Validität / externe od. ökologische Validität: Kann fehlen. Da
Verhalten oft situationsspezifisch ist, lassen sich die Beobachtungen in der einen
Umgebung nicht immer auf eine andere übertragen
Selbstbeobachtung: vor allem von behavioristisch und kognitiv orientierten Klinikern
angewandt. Die Klienten beobachten sich selbst und protokollieren bestimmte Verhaltensweisen, Gefühle oder Kognitionen im Tagesverlauf (Häufigkeit, Umstände)
+ Zugang zu relativ seltenem Verhalten (z.B exibitionistische Zwänge)
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+ dient zum Beobachten von sehr häufigem Verhalten (umfassende Beob. wäre unmgl.)
+ einzige Methode, mit der sich verdeckte Kognitionen beobachten und zählen lassen
- ungesicherte Validität (z.B. durch unausreichende Instruktion der Klienten, ungenübende
Motivation, ausgeprägter reaktiver Effekt bei der Selbstbeobachtung, z.B. weniger
Rauchen,
beobachtet werden muss)
Klinische Interpretation und Urteilsbildung
Vor der Behandlung des Patienten, muss der Kliniker die gesammelte Information zu einer
Diagnose des Problems der Person bündeln. Im allgemeinen scheint es so, dass die Kliniker
ein additives oder lineares Modell benutzen, wenn sie die Information über einen Klienten
interpretieren: Sie gründen ihre Schlussfolgerungen auf die Zahl der diagnostischen
Reaktionen, die in dieselbe Richtung weisen.
Nach der Sammlung und Interpretation der Information aus der klinischen Untersuchung
bilden sich die Kliniker ein klinisches Bild, häufig in Form eines schriftlichen
psychologischen Gutachtens, das in der Terminologie und nach den Prämissen ihrer
eigenen Orientierung abgefasst ist.
Die Diagnose
Diagnose: Der Prozess, in dem festgestellt wird, ob die Auffälligkeit einer Person eine
bestimmte psychische Störung darstellt.
Es kann hilfreich sein, Fälle von andern Klinikern zu vergleichen, um eventuelle Hinweise auf
andere mögliche Merkmale dieser Störung zu erhalten oder um zu erfahren, auf welche
Therapieformen andere PatientInnen angesprochen haben. Wenn die Diagnose richtig ist,
kann das allgemeine Wissen über die Störung sinnvoll auf die Person, der er helfen will,
angewendet werden.
Klassifikationssysteme
Syndrom: eine Symptomgruppe
Diagnose: griech. „Unterscheidung“
Klassifikationssystem: Eine umfassende Liste von Kategorien von Störungen mit der
Beschreibung charakteristischer Symptome sowie mit Richtlinien zur Zuweisung von
Individuen zu den Kategorien
Zwecke des Klassifikationssystems:
1. gestattet den Klinikern, das Problem einer Person als Störung zu diagnostizieren
2. Die Diagnose erlaubt, die allg. Information über diese Störung zu nutzen
3. Forscher können damit Normabweichungen untersuchen und das Wissen über die
Ursachen von versch. Störungsmuster sowie Behandlungsmethoden erweitern. Sie
können leichter repräsentative Stichproben von Menschen mit derselben Störung ziehen
4. Ein Klassifikationssystem erleichtert Klinikern und Forschern die Kommunikation
Emil Kraepelin: entwickelte 1883 das erste einflussreiche Klassifikationssystem mit Hilfe
von Tausenden Fallstudien aus Psychiatrischen Krankenhäusern.
Internationale Klassifikation der Krankheiten oder
Diagnoseschlüssel und Glossar psychischer Krankheiten: umfasst medizinische und
psychologische Störungen, heute: 10. Fassung (ICD-10)
Kraepelins System bildet die Grundlage des psycholog. Teils dieses Klassifikationssystems,
das heute von der Weltgesundheitsorganisation verwendet wird.
Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen (DSM): Kraepelins Werk
ging ebenfalls in dieses Klassifikationssystem der American Psychiatric Association ein. Die
aktuelle Fassung von 1994 ist das meistgenutzte Klassifikationssystem in den USA und
heisst DSM-IV.
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Die heutigen Kliniker streiten über die Verdienste und Mängel des DSM-IV, ebenso wie auch
die früheren Versionen ständig diskutiert wurden.
Das DSM-IV
Mehr als 200 psychische Störungen mit ihren wichtigsten klinischen Kennzeichen und
möglichen Zusatzkennzeichen, Informationen über bestimmte alters-, kultur- oder
geschlechtsbezogene Merkmale, Prävalenz und Risiko, Verlauf, Komplikationen,
prädisponierende Faktoren und familiäre Häufung.
Das DSM-IV stützt sich auf verifizierbare Symptome und verlangt, dass die Störung
bestimmte Symptome umfassen muss, um diagnostiziert zu werden.
Für eine Diagnose mit DSM-IV muss der Zustand eines Klienten auf fünf Achsen
(Informationsbereichen) beurteilen.
Multiaxiales System: im DSM-IV werden mehrere Arten diagnostischer Information (jede
defieriert durch eine andere Achse) benutzt
Achse 1
Floride klinische Syndrome, die in der Regel eine deutliche Beeinträchtigung verursachen
1. Störungen, die typischerweise im Kleinkindalter, der Kindheit oder Adoleszenz
diagnostiziert werden Tiefgreifende Entwicklungsstörungen wie Autismus, Lernstörungen,
Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, Störungen des Sozialverhaltens, Störungen
mit Trennungsangst
2. Delir, Demenz, amnestische und andere kognitive Störungen
3. Substanzbezogene Störungen
alkoholbezogene, opiatbezogene, amphetaminbezogene, kokainbezogene und halluzinogenbezogene Störungen
4. Schizophrenie und andere psychische Störungen
Psychose. Psychotische Symptome: Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Lockerung der
Assoziationen, flacher oder inädaquater Affekt
5. Affektive Störungen
majore depressive Störung, bipolare Depressive Störung
6. Angststörungen
generalisierte Angststörungen, Phobien, Panikstörungen, Zwangsstörungen, akute Belastungsstörung, posttraumatische Belastungsstörung
7. Vorgetäuschte Störungen
8. Dissoziative Störungen
dissoziative Amnesie, dissoziative Fugue, dissoziative Identitätsstörung, multiple
Persönlichkeitsstörung
9. Esstörungen
Anorexia nervosa, Bulimia nervosa
10. Sexuelle Störungen und Störungen der Geschlechtsidentität
Paraphilien, sexuelle Funktionsstörungen, Störungen der Geschlechtsidentität
11. Schlafstörungen
Dyssomnien, Parasomnien
12. Störungen der Impulskontrolle
phatologisches Spielen, Kleptomanie, Pyromanie, intermittierende explosible Störung
13. Anpassungsstörungen
14. Andere Zustände, die Anlass zur klinischen Beobachtung geben
Beziehungsprobleme, Probleme im Zusammenhang mit Misshandlung oder Vernachlässigung, durch Medikamente induzierte Bewegungsstörungen, medizinisch definierte
Erkrankungen, bei denen psychologische Faktoren eine Rolle spielen (psychosomatische
oder psychophysiologische Störungen)
11
Achse 2
lang andauernde, nicht ganz klare Störungsbilder, die einem Menschen „anhaften“
1. Geistige Behinderung
2. Persönlichkeitsstörungen
antisoziale Persönlichkeitsstörung, dependente Persönlichkeitsstörung
Achse 3
relevante allgemeinmedizinisch definierte Beschwerden
Achse 4
Psychosoziale oder umweltbedingte Probleme
berufliche Probleme, Erziehungsprobleme, Wohnprobleme, mit dem sozialen Umfeld
zusammenhängende Probleme
Achse 5
Globalbeurteilung des Funktionsniveaus (global assessement of functioning GAF)
allgemeines Einschätzen des psychischen, sozialen und beruflichen Funktionsniveau
Reliabilität und Validität in der Klassifikation
Reliabilität: bedeutet hier: verschiedene Diagnostiker weisen ein Verhaltensmuster
übereinstimmend einer best. Kategorie zu.
- Die Reliabilität von DSM-I war mässig. DSM-III hatte eindeutigere und objektivere Kriterien,
was reliablere Diagnosen ermöglichte. Reliabilitätsstudien fanden aber selten mehr als
70% Übereinstimmung zwischen den Klinikern.
Über die Reliabilität des DSM-IV können noch keine Angaben gemacht werden.
Validität: bedeutet hier: Gültigkeit der Information, die eine diagnostische Kategorie über die
dieser Kategorie zugewiesenen Menschen und ihre Symptome bereitstellt. Die Kategorien
nützen den Klinikern am meisten, wenn sie folgende Validitäten aufweist 
Vorhersagevalidität: zukünftig Symptome oder Ereignisse können aus ihr vorhergesagt
werden
Übereinstimmungsvalidität: Wenn sie den Klinikern Information über „verwandte“
Merkmale der Störung über die „wesentlichen“ diagnostischen Symptome hinaus liefert.
- Die neueren Versionen des DSM zeigen zwar höhere Validität, aber diese war immer noch
begrenzt. Auch das DSM-IV dürfte wohl einige Validitätsprobleme aufweisen
klinische Fehlinterpretationen und Irrtümer
Auch mit vertrauenswürdigen Untersuchungsdaten und reliablen und validen Klassifikationskategorien gelangen die Kliniker manchmal zu falschen Schlussfolgerungen.
12
1. Kliniker sind wie alle Menschen fehlerhafte „Informationsverarbeiter“: Messen den
zuerst erfahrenen Daten zuviel Gewicht bei, widmen manchen Dingen zuviel
Aufmerksamkeit, Urteile unterliegen Verzerrungeffekten
2. Manchmal bringen Kliniker falsche methodologische Auffassungen in den
Entscheidungsprozess hinein (Irrglaube, je mehr Untersuchungsverfahren desto
besser), hartnäckiges Festhalten an falschen Überzeugungen hinsichtlich der
Bedeutung bestimmter Daten
3. Verzerrer sein kann auch die Erwartung der Kliniker, dass jemand, der sie konsultiert
auch wirklich eine Störung haben muss (Hineinlesesyndrom)
Die Diagnose und die Gefahr der Ettikettierung
- Die Diagnose hilft den Klinikern, gestörtes Verhalten zu verstehen, vorherzusagen und zu
ändern. Einige Theoretiker glauben aber, dass die Diagnose eine „sich selbst erfüllende
Prophezeiung“ ist. Durch die Etikettierung wird die Person möglicherweise stereotyp
gesehen, als krank behandelt und abgestempelt. Mehr und mehr fügt sie sich in die Rolle,
die ihr zugeschrieben wird.
- Unsere Gesellschaft belegt psychische Störungen mit einem Stigma, infolgedessen
können die Betroffenen Schwierigkeiten haben, einen Arbeitsplatz zu finden oder an
sozialen Beziehungen teilzunehmen. U.u. glauben sie selbst, sie dass sie unfähig,
verantwortungslos oder unerwünscht und ziehen sich vor Dingen zurück, die sie sehr wohl
bewältigen könnten.
- es kommt vor, dass eine Diagnose lange Zeit an einem Menschen hängenbleibt, auch
wenn die Störung längst verschwunden ist
Manche Menschen meinen, dass das Diagnostizieren eines Patienten mehr schadet als
nützt, weil die Etikettierung und die Vorurteile, die es weckt, der diagnostizierten Person
schaden können. Trotzdem glauben die meisten Kliniker, dass die Klassifikation und
Diagnose wertvolle Informationen erbringen, die ihnen das Verständnis und die Behandlung
leidender Menschen erleichtern.
13
Zusammenfassung, Kapitel 7, Seite 241ff
Jonas Baumann, 033 336 18 94, [email protected]
Die Therapie der Angststörungen
Was bedeutet das: eine Angststörung überwinden? Wann darf die Therapie einer derartigen Stö-rung
als erfolgreich gelten? Wenn die Symptome sich verringern oder erst, wenn sie völlig verschwinden?
Vielleicht genügt es dem Klienten, wenn er lernt, im Alltag mit der Angst umzu-gehen. Die Antwort
hängt teils von der Orientierung des Therapeuten und teils von den Ansichten und Zielen des Klienten
ab.
Globale Therapien
Der Praktiker, der eine globale Therapie anwendet, wendet unabhängig von der speziellen Störung des
Klienten dasselbe Vorgehen an. Die psychodynamisch orientierten Therapien ver-suchen allen ihren
Klienten dabei zu helfen, die Auswirkungen vergangener Ereignisse zu erkennen und aufzulösen.
(Verfahren: freie Assoziation, Deutungen anbieten...) Die humanistisch und existentiell orientierten
Therapeuten dagegen versuchen ihren Klienten zu helfen, sich ihrer wahren Gedanken und Gefühle
bewusst zu werden und sie anzunehmen, in der Hoffnung, dass die Klienten lernen, ein authentisches
und erfülltes Leben zu führen.
Psychodynamische Therapien
Praktiker der verschiedenen psychodynamischen Therapien arbeiten daran, ihren ängstlichen
Patienten zu helfen, die unbewussten Probleme, in denen theoretisch der Ursprung für ihre Störun-gen
liegt, aufzudecken und zu lösen. Klassisch psychodynamisch orientierte Therapeuten beispielsweise
versuchen ihren Klienten zu helfen, sich weniger vor ihren Es-Impulsen zu fürchten und sie
erfolgreicher zu kontrollieren. Die Objektbeziehungstheorie will den Klienten helfen, indem sie die
angstauslösenden Beziehungsprobleme aus ihrer Kindheit, erkennen und lösen. Und die Therapeuten,
die Anhänger der Theorie des Selbst sind, versuchen ängstlichen Patienten zu helfen, aus ihrem
fragmentierten Selbst, von dem sie meinen, dass es Angst erzeugt, ein kohärentes Selbst zu
entwickeln.
Kontrollierte Studien konnten die Wirksamkeit von psychodynamischen Verfahren bei Angststörungen nicht konsistent nachweisen. Viele Studien zeigen, dass sie Menschen mit einer
generalisierten Angststörung, bestenfalls mässig und denjenigen mit anderen Angststörungen, etwa
einer Phobie oder einer Zwangsstörung, kaum helfen. Psychodynamische Therapie kann die
Schwierigkeiten von zwangsgestörten Patienten sogar verstärken. Da der psychodynamische
Schwerpunkt auf der freien Assoziation und der Deutung liege, so wurde eingewendet, komme er
unbeabsichtigt der Neigung zwangsgestörter Menschen zum Grübeln und Interpretieren entgegen.
Humanistische und existentielle Therapien
Auch sie behandeln alle Störungen auf mehr oder weniger einheitliche Weise. Die klientenzen-trierten
Therapeuten versuchen, ihren Klienten unbedingte positive Wertschätzung entgegenzu-bringen und
sich in sie einzufühlen, und erwarten, dass eine annehmende und fürsorgliche Atmosphäre die
Geborgenheit schafft, die die Klienten brauchen, um ihre inneren Bedürfnisse, Gedanken und Gefühle
zu erkennen.
Trotz optimistischen Fallberichten konnte die Forschung bisher nicht zeigen, dass humanistische und
existentielle Ansätze im allgemeinen wirksame Therapien für Angststörungen darstellen. Aber die
Praktiker dieser Verfahren sind überzeugt, dass experimentelle Methoden die Gültigkeit ihrer
phänomenologischen Ausrichtung, Techniken und Ziele nicht prüfen können.
Problemspezifische Therapien
Die verhaltenstherapeutisch, kognitiv und biologisch orientierten Therapeuten praktizieren im
Gegensatz zu den Praktikern der globalen Therapien problemspezifische Therapien, die auf die
14
charakteristischen Merkmale jeder Störung zugeschnitten sind. Bei der Behandlung der Phobien,
insbesondere der spezifischen, beherrschen die Verhaltenstherapeuten das klinische Feld fast gänzlich.
Doch zur Therapie der anderen Angststörungen haben alle drei Ansätze Bedeutendes beigetragen.
Spezifische Phobien
Die Angststörungen mit der längsten therapeutischen Erfolgstradition sind die spezifischen Phobien,
wenn auch die Mehrzahl der Betroffenen wegen dieser Störungen keine Therapie erhält. Die
wichtigsten verhaltenstherapeutischen Ansätze bei einfachen Phobien sind Desensibili-sierung,
Reizüberflutung und Modelllernen. Gemeinsam nennen wir die Ansätze Konfronta-tionstherapien,
weil sie die Klienten mit dem gefürchteten Gegenstand oder der gefürchteten Situation konfrontieren.
Die Konfrontation kann ersatzweise oder unmittelbar, kurz oder lang, allmählich oder plötzlich
erfolgen.
Systematische Desensibilisierung Die Klienten, die mit dieser von Joseph Wolpe (1990...)
entwickelten Technik behandelt werden, lernen sich zu entspannen, während sie mit den gefürch-teten
Objekten oder Situationen konfrontiert sind. Da Entspannung und Angst unvereinbar sind, soll die
neue Entspannungsreaktion die Angstreaktion ersetzen.
Tatsächlich stützte ein älteres Experiment von Mary Cover Jones (1924) seine Erwartungen. Jones
hatte den Fall eines kleinen Jungen, der Angst vor Kaninchen hatte, dargestellt. Sie half ihm, die Angst
zu überwinden, indem sie ihm seine Lieblingsspeise vorsetzte, während sie ein Kaninchen immer
dichter an ihn heranbrachte. Bald spielte das Kind mit dem Kaninchen. Wolpe bezeichnete diesen
Prozess als reziproke Hemmung. Die systematische Desensibilisierung geht dabei in drei Phasen vor:
Entspannungstraining, Erstellung einer Angsthierarchie und schliesslich die eigentliche
Desensibilisierung, das heisst die stufenweise Verknüpfung der gefürchteten Objekte mit der
Entspannungsreaktion.
Entspannungstraining: Der Klient lernt, auf bestimmte Hinweisreize alle körperliche Spannung
abzubauen. Nach fortgesetztem Üben kann der Klient dann willentlich einen Zustand tiefer muskulärer
Entspannung herbeiführen. (Vorgehen: Die Muskelgruppen erkennen und anspannen, Entspannen der
Muskelgruppen)
Erstellung einer Angsthierarchie: Der Klient erstellt mit Hilfe des Therapeuten auch eine Liste der
spezifischen Situationen, in der seine Phobie auftritt. Diese werden dann in hierarchische Reihenfolge
gebracht.
Die eigentliche Desensibilisierung: Als nächstes lernt der Klient, sich immer dann, wenn die Ängste
auftreten, zu entspannen. Im allgemeinen Entspannungszustand konfrontiert ihn der Therapeut mit
dem Ereignis am unteren Ende seiner Angsthierarchie. Dies kann eine wirkliche, physische
Konfrontation sein (beispielsweise soll ein Mensch, der sich vor Höhe fürchtet, auf einen Stuhl oder
eine Trittleiter klettern); in diesem Fall heisst der Vorgang In-vivo-Desensibiliesie-rung. Die
Konfrontation kann aber auch nur in der Vorstellung erfolgen, wobei der Klient ein geisti-ges Bild des
gefürchteten Ereignisses erschafft, während der Therapeut es beschreibt; in diesem Fall heisst der
Vorgang verdeckte Desensibilisierung oder In-sensu-Desensibilisierung.
Der Klient macht die gesamte Liste durch, verknüpft also jedes gefürchtete Element in der Hierarchie
mit der Entspannungsreaktion. Wenn er während einer Szene angespannt ist, unterbricht der Therapeut
und lässt den Klienten sich ausschliesslich auf Entspannung konzentrieren. Wenn der Klient wieder
entspannt ist, versucht er es erneut mit der Szene, bis dieser sie sich angstfrei vorstellen kann. Man
geht nicht eher zur nächsten Szene.
Reizüberflutung und Implosionstherapie
Ein anderes verhaltenstherapeutisches Verfahren gegen Phobien ist die Reizüberflutung. Diese
Technik wurde eigentlich von dem psychodynamischen Therapeuten Thomas Stampfl (975) entwickelt, der sie Imposionstherapie nannte. Heute werden Reizüberflutung und Implosionsthera-pie
praktisch austauschbar gebraucht. Diese Therapeuten sind davon überzeugt, dass die Klienten ihre
Angst vor den gefürchteten Objekten loswerden, wenn sie wiederholt mit ihnen konfrontiert und zu
der Einsicht gebracht werden, dass sie eigentlich ganz harmlos sind. Die Reizüberflutung funktioniert
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ganz ähnlich wie die Löschungsverfahren, die die Konditionierungs-forscher entwickel-ten. Die
Reizüberflutungstheoretiker verwenden keine Entspannung und kein stufenweises Verfahren. Die
Reizüberflutung kann die Desensibilisierung in vivo oder in der Vorstellung statt-finden. Manche
Kliniker behalten den Ausdruck Reizüberflutung dem In-vivo-Verfahren vor und Implosionstherapie
dem vorgestellten.
Da die Implosionstherapie so intensiv ist und die Klienten so plötzlich mit den gefürchteten Stimuli
konfrontiert, befürchten manche Kliniker, das Verfahren könnte den Klienten noch mehr schaden, und
betrachten es daher nur als ein letztes Mittel. (Was heute widerlegt ist!)
Modellernen
Die verhaltenstherapeutische Technik des Modellernens oder des stellvertretenden Lernens wurde
ebenfalls zur Behandlung spezifischer Phobien eingesetzt. Bei diesem Verfahren ist es der Therapeut,
der sich dem gefürchteten Objekt oder der Situation aussetzt, während der ängstliche Klient zusieht.
Die wirksamste Technik im Rahmen des Modellernens ist das teilnehmende Modellernen. Dabei
erstellen der Therapeut und der Klient zuerst eine Angsthierarchie, genau wie der Desensibili-sierung.
(Wenn sich Fortschritte zeigen, sollte der Klient gelobt werden.) Zudem gibt es neben der In-vivoTechnik auch die des symbolischen Modellernens. (z.B. treffende Filme anschauen)
Die Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Methoden
Die klinischen Forscher stellten mehrfach fest, dass jedes der verhaltenstherapeutischen Verfahren für
spezifische Phobien tatsächlich hilft. Ausserdem entstehen nach den meisten erfolgreichen
Verhaltenstherapien von Phobien keine neuen Symptome, die die alten ersetzen, wie es manche
psychodynamischen Therapeuten voraussagen. Insgesamt nützt die Desensibili-sierung 75 Prozent der
Menschen mit spezifischen Phobien. Auch die Reizüberflutung, sowie das Model-lernen hilft
Menschen mit spezifischen Phobien.
Der entscheidende Faktor für den Erfolg einer Verhaltenstherapie scheint im realen Kontakt mit dem
gefürchteten Objekt oder der Situation zu liegen. In-vivo-Desensibilisierung ist wirksamer als
verdeckte Desensibilisierung, In-vivo-Reizüberflutung ist wirksamer als vorgestellte Reizüber-flutung,
und teilnehmendes Modellernen ist wirksamer als streng stellvertretendes Modellernen. Hält man die
Art der Konfrontation konstant, erweisen sich Desensibilisierung, Reizüberflutung und Modellernen
als gleich wirksame Therapien gegen spezifische Phobien. Da viele Verhal-tenstherapeuten die
ähnliche Wirksamkeit dieser Ansätze kennen, verbinden sie heute Merkmale von allen, beziehen aber
immer das entscheidende Merkmal der In-vivo-Konfrontation ein.
Agoraphobie
Viele Jahre lang konnten die Kliniker die Agoraphobie - die Betroffenen haben Angst, ihr Heim zu
verlassen und sich an öffentliche Orte zu begeben - relativ wenig beeinflussen. Doch neuerdings
wurden Ansätze entwickelt, die viele dieser Menschen befähigen, ihr Heim angstfreier zu verlassen.
Diese neuen Methoden bringen den Betroffenen in der Regel nicht so grosse Erleichterung wie die
höchst erfolgreichen Therapien für spezifische Phobien, doch sie erleichtern vielen Menschen ihre
Lage deutlich. Wieder einmal spielten die Verhaltenstherapeuten eine Führungsrolle; sie entwickelten
eine Reihe von In-vivo-Konfrontationsmethoden. Gewöhnlich helfen die Therapeuten den Klienten,
sich immer weiter von ihrem Heim weg zu wagen und sich die Aussenwelt allmählich, Schritt für
Schritt, zu erobern. Manchmal greifen die Therapeuten zu Unterstützung, Überzeugungsarbeit und
Überredung, um die Klienten dazu zu bringen, sich der Aussenwelt auszusetzen. Manchmal
verwenden sie auch systematischere Konfrontations-methoden. Sie umfasst für Menschen mit
Agoraphobie umfasst häufig noch mehr Elemente, insbesondere den Einsatz von
Unterstützungsgruppen und Selbsthilfegruppen für zu Hause. Die Unterstützungsgruppe, eine kleine
Anzahl Menschen mit Agoraphobie, geht gemein-sam zu Konfrontationssitzungen aus, die mehrere
Stunden dauern, Zwischen 60 und 80 Prozent der agoraphobischen Klienten, die
Konfrontationstherapie erhalten, fällt es leichter, sich an öffentlichen Orten aufzuhalten, und die
Besserung hält noch Jahre nach Beginn der Behandlung an. Allerdings handelt es sich leider oft um
teilweise Besserung statt um vollständige Heilung, und bis zu 50 Prozent der erfolgreich therapierten
Klienten erleiden Rückfälle, wenn auch diese Menschen den früheren Stand rasch wieder
zurückgewinnen können, wenn man sie erneut behandelt. Menschen mit schweren und länger
anhaltenden Symptomen profitieren tendenziell weniger von Konfrontationstherapie. Auch diejenigen,
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deren agoraphobische Symptome eine Panikstörung begleiten, profitieren offenbar weniger als andere
von Konfrontationstherapie allein.
Soziale Phobien
Wie bei der Behandlung der Agoraphobie erzielen die Kliniker erst jetzt durchgängige Erfolge bei der
Therapie sozialer Phobien. Bei diesen Phobien bestehen nachhaltige Ängste vor sozialen oder
leistungsbezogenen Situationen, die peinlich sein könnten. Soziale Phobien bestehen aus zwei
unterschiedlichen Komponenten, die sich gegenseitig aufschaukeln können: 1) Menschen mit diesen
Phobien können behindernde soziale Ängste haben, und 2) ihnen kann es an der Fähigkeit mangeln,
Unterhaltungen in Gang zu bringen, ihre Bedürfnisse zu artikulieren oder auf die Bedürf-nisse anderer
einzugehen. Heute behandeln die Therapeuten die Klienten folgendermassen: Entweder mindern sie
seine sozialen Ängste oder sie trainieren seine sozialen Fertigkeiten oder beides.
Reduktion sozialer Ängste Zwar sprechen einige Studien dafür, dass bestimmte Psycho-pharmaka
die sozialen und leistungsbezogenen Ängste von Menschen mit sozialen Phobien reduzieren können.
Doch die Kliniker haben zu diesem Zweck hauptsächlich psychotherapeutische Verfahren angewandt.
Seit einigen Jahren setzen beispielsweise die Verhaltenstherapeuten erfolgreich
Konfrontationstechniken gegen soziale Ängste ein. Oft schliesst dieser Ansatz einen häuslichen
Selbsthilfeteil ein; die Klienten erhalten die Anweisung, sich auf eigene Initiative sozialen Situationen
auszusetzen. Eine Gruppentherapie bildet oft einen idealen Rahmen für solche
Konfrontationstherapien, weil sich die Betroffenen so den gefürchteten sozialen Situationen in einer
Atmosphäre der Unterstützung und Anteilnahme aussetzen können.
Auch kognitive Interventionen werden verbreitet zur Behandlung sozialer Phobien eingesetzt.
(Wurzeln: irrationale Überzeugungen) In Ellis‘ rational-emotiver Therapie hat der Praktiker die
Aufgabe, auf die irrationalen Überzeugungen des Klienten hinzuweisen, alternative (realistischere)
Überzeugungen anzubieten und Hausaufgaben zu stellen.
Zahlreiche Studien sprechen dafür, dass die rational-emotive Therapie und ähnliche kognitive Ansätze
soziale Ängste reduzieren. Ellis‘ Therapie wurde auch bei anderen Angststörungen sowie anderen
Arten psychischer Störungen angewandt, doch nirgendwo wirkt sie besser als bei sozialen Phobien.
Weil, weder die Konfrontationstherapie, noch die kognitive Therapie, die sozialen Ängste gänzlich
verschwinden lassen, ist hier das Training sozialer Fertigkeiten in den Vordergrund gerückt.
Das Training sozialer Fertigkeiten verbindet mehrere verhaltenstherapeutische Techniken, um den
Menschen zu den benötigten sozialen Fertigkeiten zu verhelfen. In der Regel spielen die Klienten
Rollenspiele mit den Therapeuten und üben das neue Sozialverhalten, bis sie es beherrschen. Während
des gesamten Vorgangs geben die Therapeuten ehrliche Rückmeldung und verstärken die Klienten für
erfolgreiche soziale Leistungen.
Gruppen für das Training von sozialen Fertigkeiten und Selbstsicherheitstrainingsgruppen erfüllen
häufig diese Funktion. Die soziale Verstärkung von Gruppenmitgliedern ist oftmals wirksamer als
Verstärkung von einem Therapeuten allein. (Eine mögliche Anfangsübung dreht sich um
Begrüssungen... Dieser Austausch soll mit Wärme, gutem Blickkontakt und bestimmtem,
selbstsicherem Tonfall vonstatten gehen.)
Studien ergaben, dass das Training sozialer Fertigkeiten sozial ängstlichen Menschen hilft, in sozialen
Situationen besser zurechtkommen. Doch anscheinend hat diese Therapieform allein nur eine
begrenzte Wirkung auf soziale Phobien. Die Klienten mögen aufgrund der Behandlung vielleicht
sozial gewandter werden, doch häufig leiden sie weiterhin unter einem unangenehm hohen
Angstniveau. Werden die Verfahren (Konfrontationstherapie, kognitive Therapie und das Training
sozialer Fähigkeiten kombiniert, sind die Ergebnisse äusserst ermutigend.
Generalisierte Angststörung
Die generalisierte Angststörung - nachhaltige Unruhe- und Angstgefühle in bezug auf zahlreiche
Ereignisse oder Tätigkeiten - ist gegenwärtig die Angststörung, die am wenigsten auf Behandlung
anspricht, obwohl jedes Jahr etwa 27 Prozent aller Menschen mit dieser Störung ambulant eine
psychiatrische oder ärztliche Fachkraft aufsuchen. Globale Therapien, insbesondere psychodynamische und humanistisch-existentielle Ansätze, die bei dieser Störung verbreitet angewandt werden,
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erwiesen sich als mässig erfolgreich, während problemspezifische Therapierichtungen - insbesondere
kognitive Therapien, Stressmanagementtraining und angstlösende Medikamente - etwas bessere
Ergebnisse erzielten.
Kognitive Therapien
Ellis‘ rational-emotive Therapie wurde bei der generalisierten Angststörung häufig angewandt. Die
rational-emotiven Therapeuten helfen ihren Klienten, die Annahmen, die in ihnen eine derart
allumfassende Angst auslösen können, herauszufinden und zu ändern. Solche Annahmen lauten zum
Beispiel: „Es gibt unveränderlich eine richtige, genau passende und perfekte Lösung für die
menschlichen Probleme, und es ist eine Katastrophe, sie nicht zu finden. ( Wirkung --> nur eine
mässige Angstreduktion) Aaron Beck entwickelte eine weitere kognitive Therapie für die generalisierte und andere Angststörungen, die der rational-emotiven Therapie ähneln. Beck legt den
Schwerpunkt seiner Therapie auf die Änderung der zahlreichen angstauslösenden Bilder und
Gedanken, der sogenannten automatischen Gedanken, die aus den fehlangepassten Annah-men der
ängstlichen Personen hervorgehen und die in allen möglichen Situationen auf sie einhageln. In einem
Verfahren, das etwas systematischer ist als Ellis‘ Methode, hilft der Therapeut dem Klienten, seine
automatischen Gedanken zu erkennen, die fehlerhaften Dankweisen und Annahmen, die
dahinterstehen, zu beobachten und die Gültigkeit der Gedanken zu prüfen. (Diese kognitive Therapie
der generalisierten Angststörung stellt eine Abwandlung der einflussreichen und sehr wirksamen
Beckschen Therapie der Depressionen dar.) Einige vergleichende Studien sprechen dafür, dass dieser
Ansatz unter den verschiedenen Therapien für die generalisierte Angstauslösung der wirksamste sein
könnte.
Stressmanagement
Manche Kliniker glauben, dass Menschen mit generalisierter Angststörung einfach nie gelernt haben,
Angst in Belastungssituationen zu bewältigen. Diese Therapeuten bringen den Klienten Fertigkeiten
zu Stressbewältigung bei. Die verbreitetsten Formen des Stressmanagements sind Selbstinstruktion,
Entspannungstraining und Biofeedback.
Selbstinstruktion
Donald Meichenbaum entwickelte eine kognitiv-verhaltenstherapeutische Technik zur Stressbewältigung, die Selbstinstruktion oder Immunisierung gegen Stress. Sie beruht auf der
Überzeugung, dass viele Menschen in Belastungssituationen bestimmte Dinge - ähnlich den
Beckschen automatischen Gedanken - zu sich selbst sagen (Selbstaussagen), die ihre Angst steigern
und ihre Leistungsfähigkeit behindern. Therapeuten, die mit Selbstinstruktionstraining arbeiten,
bringen den Klienten bei, sich von diesen negativen Selbstaussagen zu befreien und sie durch
bewältigende Selbstaussagen zu ersetzen.
Die gelernten, bewältigenden Selbstaussagen kann der Klient in den vier charakteristischen Stadien
einer Belastungssituation anwenden. Vorbereitungsphase, Selbstaussagen in einer Situation,
Selbstaussagen in einer misslichen Situation, verstärkende Selbstaussagen; z.B. könnte dies so
aussehen: Vorbereitung auf einen Stressor, Konfrontation und Umgang mit dem Stressor, Bewältigung
des Gefühls, übermannt zu werden, Verstärkung durch Selbstaussagen. Um dies zu trainieren setzt der
Therapeut stressauslösende Filme, Elektroschocks... ein. Die Selbstinstruktion erwies sich bei
chronischer und umfassender Angst als mässig wirksam; bei Menschen mit Prüfungs- oder
Leistungsangst oder anderen leichten Angstformen half sie etwas besser. Darum schlug Meichenbaum
(1972) selber vor, sie hauptsächlich ergänzend zu anderen Therapien einzu-setzen. Gerade in der
Kombination mit rational-emotiven Therapien gab es bessere Resultate.
Das Entspannungstraining bei generalisierter Angststörung ist identisch mit demjenigen bei der
Desensibilisierung. Suggestion, Phantasien, körperliche Betätigung, Hyperventilation und sogar
kurzfristig wirkende Medikamente können zu diesem Zweck eingesetzt werden. Die Forschung belegt,
dass Entspannungstraining bei generalisierter Angststörung wirksamer ist als gar keine Behandlung
oder Placebos. Die allein dadurch erzielten Besserungen sind aber eher mässig; mässiger als etwa die
mit Becks kognitiver Therapie erreichten. Der Forschung zufolge hilft Entspannungstraining
Menschen mit generalisierter Angststörung am meisten, wenn es mit einer kognitiven Therapie oder
mit anderen Stressmanagementtechniken kombiniert wird.
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Biofeedback ist eine biologisch-verhaltenstherapeutische Technik; die Klienten werden an ein
Messgerät angeschlossen, das sie ständig über eine physiologische Aktivität (wie Pulsfrequenz oder
Muskelspannung) in ihrem Körper informiert. Somit können sie lernen, wenn sie auf die Signale des
Gerätes achten, diese Aktivitäten zu steuern. So kann eine Person durch Übung lernen, sogar
anscheinend unwillkürliche physiologische Prozesse zu kontrollieren. Auch gegen Angstgefühle setzte
man Biofeedback ein. Meist wird der sogenannte Elektromyograph (EMG) verwendet, ein Gerät,
das den Grad der Muskelspannung meldet, so dass die Klienten lernen können, diese Angst zu
verringern. Die Probanden, die EMG-Biofeedback erhalten, können ihre EMG-Werte besser
reduzieren als entspannungstrainierte Probanden, doch bei allen anderen Angstindikatoren erzielen
beide Techniken ähnliche Ergebnisse. Zur Angstreduktion benutzen die Biofeedback-Therapeuten
auch den Elektroenzephalographen (EEG), der die elektrische Aktivität des Gehirns aufzeichnet.
Die Klienten sollen damit lernen, willkürlich Alphawellen zu produzieren. Leider scheint die
Produktion von Alphawellen die Entspannung weder bei normalen noch bei hochgradig ängstlichen
Menschen durchgängig zu fördern.
Ein weiteres Biofeedback-Verfahren, das auf die generalisierte Angststörung angewandt wurde, ist das
Herzfrequenz-Feedback. Dabei lernen die Klienten, ihren Pulsschlag willkürlich zu verlangsamen.
Leider spricht die Forschung dafür, dass auch dieses Verfahren sich nur begrenzt für ängstliche
Klienten eignet. In den 60er und 70er Jahren preisen viele das Biofeedback als eine Methode, die das
Gesicht der klinischen Behandlung ändern würde. Diese anfängliche Erwartung hat sich nicht erfüllt.
Die Techniken spielen eine wichtige unterstützende Rolle bei der Behandlung einiger körperlicher
Probleme wie Kopfschmerzen, gastrointestinalen Störungen, Anfallsleiden und neuromuskulären
Störungen wie Gehirnlähmung.
Angstlösende Medikamente In unserer Gesellschaft wird man kaum einen Menschen finden, dem die
Worte „Tranquilizer“ und „Valium“ nichts sagen. Diese Vertrautheit spiegelt den enormen Einfluss
der angstlösenden Medikamente in unserer Kultur im allgemeinen wider, vom psychiatri-schen
Gesundheitswesen ganz zu schweigen. Bis in die 50er Jahre bestand die wichtigste biologische
Therapie für Angststörungen in sedierend-hypnotischen Medikamenten, insbe-sondere den
Barbituraten. Doch Ende der 40er Jahre entdeckte der Chemiker Frank Berger, der nach einem
wirksameren Antibiotikum suchte, eine Verbindung namens Meprobamat. Nebst des ausgezeichneten
Muskelrelaxens ergaben Tests, dass Meprobamat ausserdem sowohl bei Tieren als auch beim
Menschen Angst reduzierte. In den 50er Jahren kam Meprobamat als neu-artiges Anxiolytikum unter
dem Handelsnamen Miltown auf den Markt. Meprobamat war weniger gefährlich und wies weniger
Suchtpotential auf als die Barbiturate, doch es verursachte immer noch Schläfrigkeit. 1957 stellte
Lowell Randell Versuche mit einer Substanz namens Chlordiazepoxid an, das zur Gruppe der
Bezodiazepine gehört. Bald wurde Chlordiazepoxid unter dem Namen Librium vermarktet. Einige
Jahre später entwickelte man ein weiters Medikament der Benzodiaze-pingruppe, das unter dem
Namen Valium auf dem Markt kam. Die Benzodiazepinmedikamente wurden bei den klinischen
Fachleuten rasch beliebt. Sie schienen nicht nur Angst zu verringern, ohne übermässig müde zu
machen, sondern waren auch in hohen Dosen offenbar relativ ungiftig.
Erst Jahre später begannen die Forscher zu verstehen, warum die Benzodiazepine wirken. 1977 zwei
Forschergruppen unabhängig voneinander, dass es bestimmte Gebiete von Neuronen im Gehirn gibt,
die für Benzodiazepine empfänglich sind., und dass an diese Rezeptoren normalerweise GABA bindet;
dieser Neurotransmitter verhindert, dass die Neuronen feuern, dämpft also die körperliche Erregung
im gesamten Körper und reduziert somit Angst. (Siehe auch Tabelle auf der Seite 263).
Benzodiazepine werden gegen generalisierte Angststörung häufiger verschrieben als gegen andere
Angststörungen. Jedoch gibt es in dieser Hinsicht mehrere Probleme zu nennen. Erstens stellte sich
heraus, dass Benzodiazepine allein keine langfristige Lösung für Angstprobleme bieten. Wenn sie
abgesetzt werden, stellen sich die Ängste vieler Klienten so stark wie eh und je wieder ein. Zweitens
zeichnete sich ab, dass die Benzodizepine zwar nicht süchtig machen, wenn man sie über einen kurzen
Zeitraum und in niedriger Dosierung nimmt, dass jedoch Menschen, die sie über längere Zeit und in
hohen Dosen konsumieren, körperlich abhängig werden können und dass zudem deutliche
unerwünschte Wirkungen auftreten - Schläfrigkeit, Koordinationsstörungen,
Gedächtnisbeeinträchtigung, Depression, agressives Verhalten und Schlimmeres. Drittens ergaben
sich in Tierversuchen Hinweise, dass die langfristige Einnahme von Benzodiazepinen die Fähigkeit
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zur Stressbewältigung vermindern kann und so im Lauf der Jahre eine stärkere Abhängigkeit von dem
Medikament herbeiführt. Viertens sind die Benzodiazepine zwar selbst nicht giftig, potenzieren oder
vervielfachen aber die Wirkungen anderer toxischer Substanzen wie Alkohol. Weil die Medikamente
so schnell wirken und so problemloseinzunehmen sind, verordnen die praktischen Ärzte sie häufig
Patienten, die gar keine schweren Angststörungen hatten, und setzten diese unklugerweise dem
Suchtpotential oder der potenzierenden Wirkung dieser Pharmaka aus. Bis heute verschreiben die
praktischen Ärzte mehr Benzodiazepine als die Psychiater.
Mehrere neue Arten angstlösender Medikamente wurden in jüngster Zeit ebenfalls gegen
generalisierte Angststörung eingesetzt. Eine davon, die Beta-Blocker, binden an die sogenannten ßadrenergen Rezeptoren im Gehirn und verdrängen dort den Neurotransmitter Noradrenalin. Ein
anderes Anxiolytikum, Buspiron - das zur Gruppe der Azaspirone gehört, welche an wieder andere
Rezeptoren im Gehirn ankoppeln -, wird von der Forschung besser unterstützt. Dieses Medikament
wirkst oft genauso gut wie Benzodiazepine, scheint aber weniger Suchtpotential zu besitzen. Bei
generalisierter Angststörung bringen sie oft zeitweise und mässige Erleichterung, eine signifikante und
dauerhafte Besserung ist von ihnen jedoch nicht zu erwarten.
Panikstörung
Etwa 54 Prozent aller Einwohner der Vereinigten Staaten mit Panikstörung werden pro Jahr von einer
psychiatrischen oder ärztlichen Fachkraft behandelt. Heute sind die von den Klinikern angewandten
systematischen Interventionen oft sehr hilfreich, doch dies war nicht immer der Fall. Die Panikstörung
wurde früher mit der generalisierten Angststörung unter der Rubrik “Angstneurose“ zusammengefasst
und gewöhnlich mit denselben Interventionen behandelt. Dass die angstlösenden Medikamente,
insbesondere die Benzodiazepine, die Häufigkeit oder Intensität der Panikattacken gewöhnlich nicht
beeinflussen konnten, sprach überdies Bände. Diese Erkenntnisse führten dazu, die Panikstörung als
eigene psychopathalogische Erscheinung zu klassifizieren und zu erforschen.
Medikamentöse Therapien 1962 entdeckten die klinischen Forscher Donald Klein und Max Fink,
dass Panikattacken gar nicht mehr oder zumindest seltener auftraten, wenn man antidepressive
Medikamente anwendete. Von da ab bestätigten Studien in der ganzen Welt immer wieder, dass
Antidepressiva vielen Menschen mit Panikstörung helfen und dass sie unabhängig davon nützen, ob
die Panikstörung von depressiven Symptomen begleitet ist oder nicht. Vor kurzem erwies sich auch
Alprazolam (Tafil) - ein Benzodiazepin, dessen Wirkmechanismus sich von dem der ande-ren
Bezodiazepine unterscheidet - bei der Behandlung der Panikstörung als wirksam. Panik-attacken
könnten ja mit einer auffälligen Noradrenalinaktivität an bestimmten Neuronen im Gehirn
zusammenhängen. Anscheinend stellten die antidepressiven Medikamente bei den Menschen mit
Panikstörung wieder eine angemessene Noradrenalinaktivität her, insbesondere am Locus coeruleus,
einer Gehirnregion mit zahlreichen noradrenergen Neuronen. Dies trägt dazu bei, dass sich die
Symptome der Störung verringern. Diese Medikamente führen bei 80 Prozent der Patienten mit
Panikstörung zumindest eine gewisse Besserung herbei. Bei etwa 40 Prozent tritt völlige Remission
oder deutliche Besserung ein. Allerdings bleiben 20 Prozent der Menschen mit dieser Störung trotz
Behandlung schwer beeinträchtigt. Nach den Erkenntnissen der Kliniker wirken die Antidepressiva
und Alprazolam auch in den meisten Fällen von Panikstörung mit Agoraphobie, in Fällen also, in
denen die Panikstörung des Klienten von einer allgemeinen Angst vor öffentlichen Orten begleitet
sind. Die antidepressiven Medikamente und Alprazolam helfen, diesen Attack-ErwartungsangstFurcht-Kreislauf zu durchbrechen, und vielen agoraphobischen Menschen gelingt es damit, sich
wieder in die Öffentlichkeit zu wagen. Trotzdem genügen diese Medikamente nicht immer, um eine
Panikstörung mit Agoraphobie zu lindern. Meisten eignet sich eine Kombination von Therapien.
Kognitive Therapie Eine wachsende Zahl von Theoretikern ist überzeugt, dass Panikattacken dann
auftreten, wenn die Betroffenen bestimmte körperliche Empfindungen (wie Schwäche,
Brustschmerzen oder schnellen Puls) als Anzeichen einer drohenden Katastrophe deuten. Dies
Missdeutung löst weitere Paniksymptome aus und wird zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung.
Diese Ansicht liegt den kognitiven Therapien für Panikstörung zugrunde. Aron Beck (1988)
beispielsweise möchte die Patienten aufklären, dass ihre körperlichen Empfindungen harmlos sind,
und so Fehlinterpretationen verhindern. Im Verlauf von Becks Therapie können die Klienten auch
lernen, sich selbst von ihren Empfindungen “abzulenken“, indem sie beispielsweise ein Gespräch mit
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anderen beginnen, wenn die Empfindungen einsetzen. Beck löst auch während der Therapiesitzungen
Paniksequenzen aus, damit die Klienten unter sorgsamer Überwachung neue Einsichten entwickeln
und anwenden können. Der Therapeut kann sich dazu Verfahren zur biologischen Provokation
bedienen: Er lässt etwa Patienten, deren Attacken gewöhnlich von einem schnellen Puls ausgelöst
werden, in seiner Anwesenheit einige Minuten auf- und abhüpfen oder eine Treppe hinauflaufen. Die
Forschung spricht dafür, dass diese und ähnliche kognitive Therapien oft sehr hilfreich sind. Direkte
empirische Vergleiche ergaben, dass kognitive Therapie Panikstörungen zumindest genauso wirksam
behandelt wie Antidepressiva oder Alprazolam, manchmal sogar wirksamer. Aufgrund der
Wirksamkeit sowohl der kognitiven als auch der medikamentösen Therapie bei Panikstörung
versuchten einige Kliniker, beide Ansätze zu kombinieren, doch noch ist nicht klar, ob die zusätzliche
Gabe eines Medikaments wirksamer ist als kognitive Therapie allein.
Zwangsstörung
Jedes Jahr werden 41 Prozent der Einwohner der Vereinigten Staaten mit einer Zwangsstörung
psychiatrisch oder medizinisch behandelt. Vor den 70er Jahren gab es kaum wirksame Therapien für
diese Störungen, bei denen die Betroffenen von wiederkehrenden, ungewollten Gedanken
(Zwangsgedanken) gequält werden, sich immer wieder zu Ausführung bestimmter Verhaltens-weisen
(Zwangshandlungen) gedrängt fühlen oder beides. Heute jedoch haben wirksame
verhaltenstherapeutische und biologische Verfahren sowie vielversprechende kognitivverhaltenstherapeutische Ansätze dieses düstere therapeutische Bild dramatisch geändert.
Der verhaltenstherapeutische Ansatz: Konfrontation und Reaktionsverhinderung Mitte der 60er
Jahre behandelte V. Meyer (1966) zwei Patienten mit chronischer Zwangsstörung, indem er das
Klinikpersonal anwies, sie rund um die Uhr zu überwachen und sie an ihren Zwangshandlungen zu
hindern. Das Zwangsverhalten der Patienten nahm signifikant ab, und die Besserung hilft noch 14
Monate später an. In den 70er Jahren liessen Stanley Rachman und seine Kollegen die Überwachung
durch das Personal weg und forderten die Klienten einfach nur auf, zu versuchen, sich selbst an der
Ausführung ihrer Zwangshandlungen zu hindern. Die Klienten werden wiederholt mit Gegenständen
oder Situationen konfrontiert, die normalerweise Angst, zwanghafte Befürchtungen und
Zwangshandlungen auslösten, zu denen sie sich möglicherweise gezwungen fühlten. Weil dies den
Klienten sehr schwer fiel, gingen die Therapeuten oft voraus. Die Klienten sahen zu, wie die
Therapeuten mit den Objekten interagierten, ohne dabei Zwangshandlungen zu zeigen, und dann
ermutigten die Therapeuten die Klienten zu demselben Verhalten (eine Form von teilnehmendem
Modellernen). Dieses Verhalten nennt man Konfrontation mit Reaktionsverhinderung.
Modellernen In dieser Therapiephase sollte der Patient zusehen, während der Therapeut die Elemente
(z.B. Schlamm...) im Vermeidungstest berührte, und sie dann selbst anzufassen versuchen.
Reaktionsverhinderung In jeder der fünf Sitzungen verbrachte der Patient eine halbe Stunde mit
Berühren von Exkrementspuren; danach durfte er sich die Hände nicht waschen.
Therapiephase Während der beiden nächsten Monate wurde in und um die Station das
Therapieverfahren “Modellernen und Reaktionsverminderung“ durchgeführt. Jeden Tag zwischen 10
und 12 Uhr beobachtete der Patient, wie der Therapeut schmutzige Gegenstände berührte und mit
ihnen hantierte, beteiligte sich selbst und durfte seine Hände oder sonstige Körperteile oder Kleidung
nicht waschen…
Fortschritte Ein subjektives Mass des Behandlungsfortschritts stellte die gesteigerte Toleranz des
Patienten gegenüber Schmutz an seinem Körper oder seiner Kleidung dar. Am Ende jeder Sitzung
berichtete der Patient eine Abnahme von Unbehagen und Angst, und im Verlauf der gesamten
Therapie gab er an, dass er das Modellernen leichter zu bewältigen fand. Ein objektiveres Mass bildet
die Zeit, die er auf die Waschtätigkeit verwendete und … die Zeit der Male, die sich der Patient
wusch. Am Ende der Therapie wusch sich der Patient 87 Prozent weniger oft als zuvor und verbrachte
70 Prozent weniger Zeit mit diesem Verhalten.
Manche Verhaltenstherapeuten meinen, dass die Klienten nach mehreren Therapiesitzungen zu Hause
Selbsthilfeverfahren anwenden können und sollen. In dem Sinne geben sie ihnen dann auch die
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Hausaufgaben. Zuletzt helfen die Therapeuten solchen Klienten, selbst vernünftige Zeitpläne und
Vorgehensweisen für das Putzen und die Körperpflege zu erstellen und sich dabei nach normaleren
Massstäben zu richten. Relativ wenige Klienten, die diese Therapie erhalten, überwinden ihre
Symptome gänzlich, und bei immerhin einem Viertel stellt sich überhaupt keine Besserung ein. Ein
anderer Schwachpunkt dieser Methode liegt darin, dass sie Menschen mit Zwangsgedanken, aber ohne
Zwangshandlungen relativ wenig hilft. Schliesslich “erreicht“ diese Intervention Zwangsgedanken
dadurch, dass sie die resultierenden Zwangshandlungen blockiert. Die Wirksamkeit der Technik von
Konfrontation und Reaktionsverhinderung legt für viele Ver-haltenstherapeuten die Vermutung nahe,
dass zwangsgestörte Menschen dem Mann in dem alten Witz ähneln, der mit den Fingern schnalzt, um
die Elefanten zu verscheuchen. Wenn jemand darauf hinweist, dass es hier doch gar keine Elefanten
gebe, entgegnet der Mann: „Na sehen Sie?“
Kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen Zur Behandlung von Menschen mit
Zwangsstörungen verwendet man mehrere Ansätze, die kognitiv und verhaltenstherapeutische
Techniken verbinden. Einer davon ist das Habituierungstraining. Dabei versucht der Therapeut, die
Zwangsgedanken eines Klienten immer wieder zu evozieren. Dem liegt die Erwartung zugrunde, dass
derart intensive Konfrontation mit den Gedanken dazu führt, dass diese schliesslich ihre
Bedrohlichkeit verlieren, weniger Angst hervorrufen und so weniger neue Zwangsgedanken oder
Zwangshandlungen auslösen.
Bei Klienten, die nur unter Zwangsgedanken leiden, besteht oft der ganze kognitiv-verhaltenstherapeutische Therapieplan aus Habituierungstraining. Bei Klienten, die unter zahlreichen Zwangsgedanken oder unter Zwangshandlungen leiden, empfiehlt sich zusätzlich die verdeckte
Reaktionsverhinderung. Die Klienten lernen, alle anderen Zwangsgedanken oder -handlungen, die
während des Habituationstrainings auftauchen, zu erkennen, zu verhindern oder sich davon abzulenken. Nicht alle kognitiv-behavioristischen Theoretiker sind davon überzeugt, dass Habituationstraining und die verdeckte Reaktionsverhinderung alle Kernelemente von Zwangsstörungen
angehen. So gehört nach Ansicht der Psychologen David A. Clark und Christine Purdon (1993) ein
weiterer Aspekt zur Behandlung: Die Therapeuten müssen die Klienten anleiten, ihre
zugrundliegenden dysfunktionalen Überzeugungen - dass nämlich unerwünschte, negative Gedanken
schrecklich und abnorm seien und kontrolliert werden müssen - in Frage zu stellen und zu ändern.
Doch auch diese alternative Konzeption harrt noch einer empirischen Prüfung.
Medikamentöse Therapien Seit der Entdeckung der angstlösenden Medikamente, insbesondere der
Benzodiazepine, verordnen die Kliniker sie auch bei Zwangsstörungen, doch Forschungen ergaben nur
gelegentlich eine Wirkung der Medikamente auf dieses hartnäckige Leiden. Dagegen erwiesen sich bei
Zwangsstörungen bestimmte antidepressive Medikamente, insbesondere Clomipramin und Fluoxetin
(Handelsnamen Anafranil und Fluctin) als nützliche Therapieform. In einer von manchen Beobachtern
als bahnbrechend eingeschätzten Studie erwies sich vor einigen Jahren Clomipramin als höchst
wirksame Therapie von Menschen, die an Trichotillomanie litten; dieser extrem schmerzhafte und
quälende Zwang, bringt die Betroffene dazu, an ihrem Haar, ihren Wimpern und Brauen zu ziehen und
sie sich sogar auszureissen.
Mehreren Studien zufolge bringen diese Antidepressiva bei 50 bis 80 Prozent der Probanden mit
Zwangsstörungen Besserungen. Die Zwänge der mit diesen Medikamenten behandelten Menschen
verschwinden gewöhnlich nicht völlig. Menschen, die ausschliesslich mit Medikamenten behandelt
werden, erleiden meistens einen Rückfall, wenn diese abgesetzt werden.
Wieso beeinflussen diese Antidepressiva die Symptome von Zwangsstörungen? Biologisch orientierte
Forscher glauben heute, dass die Störung mit einer niedrigen Aktivität des Neurotransmitter Serotonin
und mit Funktionsstörungen in zwei Gehirnregionen und den Nuclei caudati - zusammenhängt. Eine
erfolgreiche Antidepressivatherapie behebt offenbar diese beiden physischen Auffälligkeiten. Erstens
steigern die Medikamente nachweislich die Serotoninaktivität. Die einzigen Antidepressiva, die
Zwangsstörungen günstig beeinflussen, sind in der Tat diejenigen, die die Serotoninaktivität steigern.
Antidepressiva, die hauptsächlich auf andere Neurotransmitter wirken, beeinflussen diese Störung
nicht. Bei Probanden mit schwerem zwanghaftem Nägelbeissen oder Onychophagie traten deutlichere
Besserungen ein, wenn sie das serotoninverstärkende Antidepressivum Clomipramin einnahmen, als
wenn sie Desipramin, das andere Neurotransmitter beeinflusst, bekamen. Zweitens senken die
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wirksamen Antidepressiva die Stoffwechselaktivität in der Orbitalregion der frontalen Gehirnrinde
und in den Nuclei caudati auf normalere Werte.
Akute und posttraumatische Belastungsstörungen
Die relativ neue (und immer häufiger erscheinende) Identifizierung der akuten und der
posttraumatischen Belastungsstörung als eigene psychopathalogische Kategorien löste die
Entwicklung zahlreicher Therapieprogramme für psychisch gestörte Überlebende traumatischer
Ereignisse aus. Zwar variieren bestimmte Merkmale dieser Programme von Trauma zu Trauma, doch
beruhen sie alle auf grundlegenden Zielen: Sie wollen den Opfern helfen, ihre anhaltenden Symptome
zu verringern oder zu überwinden, ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten und wieder ein
konstruktives Leben anzufangen. Die Therapeuten setzten eine Kombination von Techniken gegen die
posttraumatischen Symptome von Vietnamveteranen ein. Angstlösende Medikamente reduzieren die
Spannung, die Hypervigilanz und die übertriebenen Schreckreaktio-nen, unter denen viele Veteranen
leiden. Zusätzlich angewandte antidepressive Medikamente wirken manchmal gegen Alpträume,
Rückblenden, störenden Erinnerungen und Depression. Auch Konfrontationstechniken wurden
eingesetzt. Beispielsweise half verdeckte Reizüberflutung in Verbindung mit Entspannungstraining…
Manchmal helfen die Kliniker den Klienten, tiefsitzende Gefühle auszugraben, zu akzeptieren, was sie
getan haben, sich selbst weniger zu verurteilen und anderen wieder vertrauen zu lernen. In ähnlichen
Arbeiten stellte der Psychologe James Penne-baker (1990) fest, dass Reden (oder sogar Schreiben)
über verdrängte traumatische Erfahrungen die anhaltende Angst und Spannung mindern kann. Am
häufigsten finden die Versuche, Gefühle auszudrücken und zu Einsichten zu gelangen, im Rahmen
einer Gruppentherapie oder einer “Diskussionsgruppe“ statt. Eines der Hauptthemen in diesen
Diskussionsgruppen sind Schuld-gefühle - Schuldgefühle wegen Handlungen, die die Teilnehmer
unternahmen, um zu überleben, oder wegen der schlichten Tatsache, dass sie überlebten, während
enge Freunde umkamen.
Siehe auch den Exkurs auf den Seiten 274 & 275
Das Gefühl Wut kann in Trauer umschlagen: „Vor Wut weinen kann etwas Begrüssenswertes sein, da
dies Teil eines wichtigen Wachstums bei einer Gruppe oder einer Einzelperson ist.“ Die Nachfrage
nach Therapien verschiedener Form scheint bei Anlässen wie Gedenktagen an Kriegsereignisse und
während neuer Kriege noch anzuwachsen. Bisher zeigen klinische Berichte und empirische Studien,
dass diese Dienstleistungen eine wichtige, manchmal sogar lebensrettende Therapiemöglichkeit bieten.
Der Stand der Wissenschaft: die Therapie der Angststörungen
Das therapeutische Bild bei den Angststörungen hat sich in den letzten 15 Jahren deutlich geändert.
Viele Methoden wurden entwickelt, und Angstprobleme, die die Therapeuten früher ratlos machten,
sprechen jetzt auf klinische Interventionen an.
1. Verhaltens-, kognitive und medikamentöse Therapien beherrschen das therapeutische Bild bei den
Angststörungen. Verhaltenstherapeutische Interventionen sind häufig wirksam bei spezifi-schen
Phobien, Agoraphobie und Zwangsstörung; sie gelten in diesen Problembereichen oft sogar als Mittel
der Wahl. Neuentwickelte kognitive Ansätze sind bei Menschen mit Panikstörun-gen sehr hilfreich
und mässig hilfreich bei Menschen mit generalisierter Angststörung oder sozialen Phobien.
Angstlösende Medikamente spielen eine wichtige Rolle als Zusatzbehandlung bei der generalisierten
Angststörung, während antidepressive Medikamente Panikstörungen und Zwangs-störungen deutlich
beeinflussen. Schliesslich spielen globale Ansätze wie die psychodynamischen und humanistischen
Therapien manchmal eine hilfreiche Rolle bei generalisierter Angststörung und bei akuter und
posttraumatischer Belastungsstörung.
2. Angesichts dieser Befunde bemühen sich die Kliniker heute mehr, ängstliche Klienten bestimm-ter
Behandlungsformen zuzuweisen. Auch neigen sie stärker dazu, Verfahren aus verschiedenen
Therapiemodellen zu verknüpfen. Soziale Phobien werden heute oft mir einer Kombination von
Konfrontationstherapie, kognitiver Therapie und Training sozialer Fertigkeiten behandelt. Viele Fälle
von Panikstörungen mit Agoraphobie therapiert man mit einer Kombination von Konfrontationstechniken und antidepressiven Medikamenten. Häufig verbinden die Kliniker globale oder kognitive
Therapien und Entspannungstraining und/oder angstlösenden Medikamenten, um die generalisierte
Angststörung und akute und postraumatische Belastungsstörung zu behandeln. In vielen Fällen
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ergänzen Antidepressiva die Therapie der Zwangsstörung mit Konfrontation und
Reaktionsverhinderung.
3. In den letzten 15 Jahren erkannten die Behavioristen, wie wichtig die Konfrontation für die
verschiedenen Interventionen ist, und rückten sie in den Mittelpunkt der Therapie. Die biologisch
orientierten Therapeuten setzten die angstlösenden Medikamente umsichtiger ein, weil die Erfahrung
zeigte, dass diese Medikamente in hohen Dosen süchtig machen können; als sie entdeckten, dass bei
manchen Angststörungen antidepressive Medikamente wirksamer sind als angstlösende, richteten sie
ihre Medikationsentscheidungen entsprechend aus.
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THERAPIEN FÜR DEPRESSIVE STÖRUNGEN
Die Therapien reichen von globalen bis zu problemspezifischen
Psychodynamische Therapie
Annahme: Depressive Störungen beruhen auf unbewusster Trauer über reale oder
imaginierte Verlusterlebnisse, verbunden mit übermässiger Abhängigkeit von anderen
Menschen
Ziel: diese Prozesse ins Bewusstsein heben, Quelle des Schmerzes begreifen und
überwinden
Methode: Dieselben psychodynamischen Verfahren wie bei andern Klienten: freie
Assoziationen, Träume, Widerstände und Übertragungen. Vergangene Ereignisse und
Gefühle widerbeleben und neu bewerten
Erwartung: dass KlientIn im Verlauf der Therapie unabhängiger von andern wird, mit
Verlusten besser umgehen kann und somit Veränderungen im Alltagsleben vornehmen kann
Bewertung: langfristige Therapien helfen nur gelegentlich. Kurztherapien sind etwas
vielversprechender
Trotzdem werden psychodyn. Therapien immer noch verbreitet gegen Depression
angewandt. Zuallermindest helfen sie in den Fällen von Depression, wo eindeutig ein
Kindheitstrauma für die Depression verantwortlich ist.
Verhaltenstherapie
Peter Lewinsohn
Einflussreiche Verhaltenstherapie. Ansicht, dass Depr. auf sinkende Zahl positiver
Verstärkungen im Leben einer Person zurückgeht
Methode:
1. angenehme Ereignisse wiedereinführen
- identifizieren von Aktivitäten mit verstärkendem Charakter
- Wochenplan für diese Tätigkeiten
- evtl. formeller Vertrag
2. Nichtdepressives Verhalten verstärken
Kontingenzmanagement: ignorieren des depressiven Verhaltens, belohnen des nichtdepressiven Verh.
3. Soziale Fertigkeiten trainieren
Persönliches Effektivitätstraining: Rollenspiele in Gruppen, Mimik, Tonfall, Haltung
verbessern, soz.iale Fertigkeiten (wieder) lernen
Die Wirksamkeit von Lewinsons Verhaltenstherapie: Einzelne Techniken wenig hilfreich,
mehrere Techniken kombiniert  Reduzierung von leichten bis mittleren depressiven
Symptomen. Bei schwer depr. Personen wenig nützlich.
Interpersonale Psychotherapie (IPT) Gerald Klerman und Myrna Weissman
In 80-er Jahre entwickelt. Verschiedene Begriffe und Techniken von psychodynamischen,
humanistischen und Verhaltenstherapien
Ansicht: Depression tritt unabhängig von Symptomatik, Schweregrad, biologischer
Anfälligkeit oder Persönlichkeitsmerkmalen in einem interpersonalen Kontext auf. Für die
Genesung der Person ist es wichtig, diesen Kontext zu klären und zu gestalten.
Ziel: In 12 – 16 wöchentlichen Therapiesitzungen Einsicht in interpersonale Konflikte zu
gewinnen, soziale Situation ändern, soziale Fertigkeiten erwerben.
Bearbeitung
zentraler
Problembereiche:
interpersonaler
Problembereiche:
Vier
interpersonale
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1. Trauerreaktion: Wut, Trauer etc. zulassen, dann Situation in neuem Licht sehen lernen.
2. interpersonaler Rollenkonflikt: entsteht, wenn zwei Menschen unterschiedliche
Erwartungen an die Beziehung und die Rolle, die jeder spielen sollte hegen: möglichen
Rollenkonflikten auf die Spur kommen, Strategien zur Lösung deren ausarbeiten und
anwenden.
3. interpersonaler Rollenwechsel:
Schwierigkeiten, mit tiefgreifenden Veränderungen im Leben zurechtzukommen (Geburt
eines Kindes, Scheidung...): alte Rolle prüfen und bewerten, Chancen der neuen Rolle
untersuchen und die neuen Fertigkeiten, die sie erfordert entwickeln.
Die Wirksamkeit der interpersonalen Psychotherapie: wirksame Therapie für leichte
bis schwere Fälle unipolarer depressiver Störung. Wird häufig bei psychosozialen Konflikten
am Arbeitsplatz oder in der Ehe, Übergangsphasen im Beruf oder in soz. Rolle angewandt.
Kognitive Therapien
Aron Beck (kognitive Triade)
Auf die kognitiven Irrtümer depressiver Menschen zugeschnitten. Verfahren beginnt mit
vollständiger diagnostischer Erhebung der Symptome des Klienten, dann 4 Therapiephasen:
Phase 1: Aktivitäten erweitern und Stimmung heben:
Aufforderung zu mehr Aktivitäten und Zuversicht: Stundenplan für Woche mit schwerer
werdenden Aufgaben
Phase 2: Automatische Gedanken untersuchen und widerlegen:
Gedanken bei Auftreten aufschreiben, in Therapie kritisch betrachten  Erkenntnis, das sie
nicht wahr sind
Phase 3: Verzerrtes Denken und negative Verzerrungen identifizieren:
„Alles-oder Nichts“-Kategorien im Denken (dichtonomes Denken). Reattributionstechniken
für Klienten, die immer sich selbst beschuldigen.
Phase 4: Grundannahmen ändern:
Wiederholte Überprüfung und Infragestellung der grundlegenden Einstellungen der Klienten
hilft, weniger selbstschädigende Denkweisen zu entwickeln: der kognitive Kern der
Depression wird somit aufgelöst
Die Wirksamkeit der kognitiven Therapie: Der Zustand von leicht bis schwer depr.
Menschen bessert sich mit dieser Therapie signifikant. Immer mehr TherapeutInnen arbeiten
mit dieser Therapie, auch in Gruppen (das aber ist weniger wirksam)
Elektrokrampftherapie
Behandlungsverfahren: bilaterales EKT: je eine Elektrode auf beiden Seiten des
Stirnlappens
unilaterale EKT: Wird zunehmend häufiger angewendet. Die Elektroden werden so platziert,
dass der Strom nur durch eine Gehirnhälfte fliesst. 1942 entwickelt, schwächerer Strom.
Stromstoss löst Krampfanfall aus (25 Sek. bis einige Minuten). Auf diesem Krampf scheint
die Wirkung zu beruhen. Einsatz von Muskelrelaxan ist üblich. Erwachen ca. 10 Min. nach
dem Krampf. 6 bis 9 Behandlungen während 2 oder 3 Wochen. EKT erhöht die NT-Aktivität
im Gehirn
Die Ursprünge der EKT: 1785 durch versehentliche Verabreichung einer Überdosis
Krampher bei einem Mann mit „geistigen Schwierigkeiten“  Mann fiel ins Koma und bekam
Krämpfe  geheilt
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1930 Joseph von Meduna (ung. Arzt): Eptileptiker selten psychotisch, Psychotiker haben
selten Epilepsie. Führte durch Kampher ausgelöste Krämpfe als Psychosebehandlung
wieder ein.
Metrazol wirkt in etwa 15 Sek., doch manchmal auch sehr gefährlich und unzuverlässig.
1930 Manfred Sakel (Wiener Arzt) Insulinkomatherapie Blutzuckerspiegel sinkt dramatisch
ab  Koma. Auch sehr gefährlich, starker körperl. Stress, psych. Komplikationen, manchmal
Tod
ca. 1935 Ugo Cerletti (ital. Psych.) Krampfauslösung bei Hunden durch Elektroden in Maul
und After. Anwendung an Menschen, entwickelte zus. mit Lucio Bini die
Elektrokrampftherapie zur Behandlung der Psychose. EKT wurde bald populär und fand bei
breiter Palette psych. Störungen Anwendung. Bald aber Zweifel an Wirksamkeit der EKT bei
Psychosen.
Veränderungen des EKT-Verfahrens
Cerletti erlangte für sein Verfahren internationalen Ruhm, wandte sich aber später von ihm
ab wegen Abscheu vor Knochenbrüchen, Gedächtnisverlust, Verwirrung und
Nervenschäden.
Andere Kliniker entwickelten weiter: Muskelrelaxantien, Kurzzeitanästhetika  neue
Risiken: Atemstillstand und Herzrhythmusstörungen  Sauerstoff und Geräte zur
künstlichen Beatmung bereitstellen. ETK ist medizinisch komplizierter aber auch weniger
gefährlich und angsteinflössend geworden.
Die Wirksamkeit der EKT
Wirksame Therapie für depr. Störungen. Besserung in 60 bis 70% der Fälle. Am
wirksamsten bei schweren Fällen mit Wahnvorstellungen oder melancholischen Symptomen
(motorische Verlangsamung, Schlafstörungen, Appetitverlust)
Abnehmende Verwendung der EKT:
1. Die EKT ist eine extreme Massnahme mit unerwünschten Folgen
2. Die EKT ist früher missbraucht worden
3. Es gibt heute Medikamente gegen Depression
Antidepressiva
MAO-Hemmer (Monoaminoxidase-Hemmer)
Entdeckung in den 50er Jahren. Improniazid machte TuberkulosepatientInnen fröhlicher.
Schädigt aber Leber. Ähnliche Medikamente wurden entwickelt, die weniger toxisch waren
aber Depr. genauso wirksam bekämpften. MAO spaltet normalerweise in der Leber und im
Blut Tyramin zu einer andern Substanz.
Geeignet für Depressionen mit der Symptomatik: übermässiges Essen und Schlaf, intensive
Angst und Empfindlichkeit gegen Ablehnung
Nebenwirkungen: Blockierung der MAO-Produktion durch MAO-Hemmer Tyramin aus
Lebensmitteln reichert sich an  Bluthochdruck Lebensgefahr. Diät halten!
Trizyklische Antidepressiva
Entdeckung in 50er Jahren. Durch Zufall. Phenothiazine dämpfen schizophrene Symptome.
Eifriges suchen nach andern solchen Medikamenten. Roland Kuhn (CH Psych.) hielt
Imipramin für Kandidaten. War aber gegen Schizophrenie nicht wirksam, dafür aber gegen
Depression.
Nicht unmittelbar nach Besserung absetzen!
Umstrittene Theorie: Trizyklische Antidepressiva beeinflussen
„Wiederaufnahmemechanismen“ der Neurotransmitter (Pumpe arbeitet zu erfolgreich,
Noradrenalin und Serotoninaktivität wird zu stark reduziert, Nervenzellen feuern zu wenig)
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Andere Theorie: Trizyklische Antidepressiva wirken nicht einfach durch die Beeinflussung
der „Wiederauf-nahmemechanismen“, sondern sie korrigieren die Empfindlichkeit der
Rezeptoren.
Deutlichere Besserung als mit MAO-Hemmer
Geeignet für Depr. mit der Symptomatik: Depr. melancholischer Typus; ausgepr. motorische
Verlangsamung, Appetitverlust, Schlaflosigkeit
Nebenwirkungen: Müdigkeit, Mundtrockenheit, Benommenheit, gelegentlich Sehstörungen
Antidepressiva der zweiten Generation
Neuere, wirksame Antidepressiva, deren Struktur sich von den beiden andern Gruppen
unterscheidet. Sie scheinen hauptsächlich direkt die Empfindlichkeit der Noradrenalin- und
Serotoninrezeptoren zu verändern.
Andere
Antidepressiva
der
zweiten
Generation
werden
als
selektive
Serotoninwiederaufnahme-Hemmer (SSW-Hemmer) bezeichnet, sie verändern vermutlich
ausschliesslich
die
Serotoninaktivität.
Vergleichsstudien
fanden
keinen
Wirksamkeitsunterschied zwischen trizyklische Antidepressiva und Antidepressiva der
zweiten Generation, letztere, besonders die SSW-Hemmer werden aber zunehmend
beliebter.
Nebenwirkungen: evtl. Übelkeit, Kopfschmerzen
Antidepressiva versus EKT
EKT schnitt in Studien besser ab als Antidepressiva. Manche Forscher sehen folgenden
Grund: Wenn die EKT wirkt, dann meist innerhalb einer oder zweier Wochen. Antidepressiva
brauchen u.U. drei bis sechs Wochen und länger bis die maximale Wirksamkeit erreicht ist.
In einer biologischen Therapie werden heute für leichte bis schwere depressive Störungen
meist Antidepressiva verschrieben, EKT nur, wenn schwer depressive PatientInnen auf alle
andern Therapieformen nicht ansprechen. Bei hohem Suizidrisiko evtl. schon früher.
Trends in der Therapie
Depressive Störungen lassen sich – im Gegensatz zu andern psychischen Störungen - mit
verschiedenen Ansätzen erfolgreich behandeln: Kognitive, interpersonale und biologische
Therapien scheinen bei leichten bis schweren depressiven Störungen den grössten Erfolg zu
erzielen. Alle drei scheinen bei Depression etwa gleich und höchst effektiv zu wirken.
Kognitive scheint bei Verhütung von Rückfällen evtl. etwas wirksamer als die
medikamentöse, es sei denn, letztere wird über längere Zeit fortgesetzt.
Verhaltenstherapie ist weniger wirksam als die drei oben genannten, allerdings wirksamer
als Placebos oder gar keine Therapie. Sie hilft schwer depressiven Menschen weniger als
solchen mit leichter oder mittelschwerer Depression
Psychodynamische Therapien waren in mehreren Studien nicht wirksamer als Placebos.
Diese Kliniker argumentieren aber, dass ihre Richtung nicht geeignet sei, empirisch erforscht
zu werden. Tatsache ist, dass die meisten wegen Depression behandelten Menschen
weiterhin psychodynamische Therapien erhalten.
Einige Studien ergaben, dass eine Kombination aus kognitiver oder interpersonaler
Therapie und medikamentöser Therapie etwas besser hilft als eine dieser Methoden allein.
Manche stellten keinen Unterschied fest.
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THERAPIEN FÜR BIPOLARE STÖRUNGEN
Lithiumtherapie
Bis vor kurzem meldeten PsychotherapeutInnen aller Richtungen praktisch keine Erfolge bei
der Therapie der manischen Symptome und sehr begrenzte bei der Therapie depressiver
Symptome von bipolar gestörten PatientInnen. Lithium änderte das schlagartig. Die korrekte
Lithiumdosis zu bestimmen, ist ein diffiziler Prozess. Eine zu hohe Dosis kann zu einer
Lithiumvergiftung führen, richtige Dosierung kann innerhalb von 14 tagen spürbare
Veränderungen bewirken. Manche PatientInnen sprechen besser auf Carbamazeptin oder
auf Valproinsäure an.
Die Ursprünge der Lithiumtherapie: 1949 entdeckte John Cade (austral. Psych.) durch
einen Zufall, dass Lithium Meerschweinchen sehr lethargisch macht. Bei manischen
Menschen normalisiert es deren Stimmung.
Die Wirksamkeit von Lithium bei manischen Episoden: Alle Forschungsarbeiten
bestätigen, die Wirksamkeit von Lithium bei manischen Episoden, es scheint sogar
prophylaktische Eigenschaften zu haben. Deshalb empfehlen Kliniker, die Lithiumtherapie
fortzusetzen, auch wenn manische Episoden ausbleiben.
Die Wirksamkeit von Lithium bei depressiven Episoden: Lithium bessert auch die
depressiven Episoden bipolarer Störungen, die Befunde, ob Lithium auch gegen depressive
Störungen wirksam ist, sind gemischt. Einige sprechen gegen eine solche Wirksamkeit,
einige für eine geringe. Einige Indizien sprechen dafür, dass Lithium gelegentlich das
Wiederauftreten depressiver Störungen verhindert. Vor kurzem erwies sich Lithium als
wirksame Ergänzungstherapie für Menschen, die auf trizyklische Antidepressiva nicht
ansprechen (Durch den Zusatz von Lithium wirkte die medikamentöse Therapie)
Der Wirkmechanismus von Lithium: Die Forscher wissen eigentlich nicht, wie Lithium
wirkt.
Sie haben den Verdacht, dass es die Synapsenaktivität der Noradrenalin- und
Serotoninneuronen ändert, wenn auch auf eine andere Art als die Antidepressiva. Die
Forscher vermuten, dass Lithium die second-messengers beeinflusst oder mit den
Natriumionen in bestimmten Neuronen interagiert.
Begleitende Psychotherapie
Es stellte sich heraus, dass Lithium allein zur Therapie von bipolaren Störungen nicht immer
genügt. Bipolar gestörte PatientInnen weden in zunehmendem Mass Einzel-, Gruppen- und
Familientherapien zugeführt, damit sie ihre Probleme besser bewältigen können.
Die häufigsten Schwierigkeiten, die in der Psychotherapie behandelt werden sind:
1. Medikationsmanagement:
2. Familiäre und soziale Beziehungen
3. Aufklärung
4. Problemlösen
Psychotherapie spielt eine noch wichtigere Rolle bei der Therapie der zyklohymen Störung.
Diese PatientInnen erhalten entweder Psychotherapie allein oder kombiniert mit Lithium.
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Klinische Psychologie
Zusammenfassung, Kapitel 14, Seite 501ff
Jonas Baumann, 033 336 18 94,
[email protected]
Sexuelle Störungen und Störungen der Geschlechtsidentität
Nur für wenige Bereiche des Erlebens und Verhaltens interessieren sich die Menschen mehr als für das
Sexualverhalten. Weil unser Selbstwertgefühl so stark an die sexuelle Leistung geknüpft ist, kreisen
sowohl persönliche Gedanken als auch öffentliche Diskussionen häufig um dieses Thema. Unsere
Gesellschaft ist so neugierig auf gestörtes Sexualverhalten und verbindet soviel Scham damit, dass
viele Menschen mit Problemen in diesem Bereich deswegen noch zusätzlich unter Angst, Schuldgefühlen oder Ekel vor sich selbst zu leiden haben.
Es gibt zwei Arten von Störungen:
sexuelle Funktionsstörungen: Eine Hemmung in einem bestimmten Abschnitt des sexuellen
Reaktionszyklus. (z.B. keine Erregung, kein Orgasmus...)
Paraphilien: Wiederkehrende, starke sexuell erregende Phantasien zu
sexuellen Objekten oder Situationen. (die in der Gesellschaft
gelten)
angemessen
Störungen der Geschlechtsidentität: Diese Personen haben durchgängig das Gefühl, dem
falschen Geschlecht anzugehören und identifizieren sich
mit dem anderen Geschlecht.
Sexuelle Funktionsstörungen
Viele psychischen Störungen betreffen nur eine kleine Gruppe Menschen. Sexuelle Funktionsstörungen wie Erektionsstörungen bei Männern oder Orgasmusschwierigkeiten bei Frauen dagegen
sind sehr verbreitet und sehr leidvoll für die Betroffenen. Folgen davon sind oft sexuelle Frustration,
Schuldgefühle, emotionale Probleme mit dem Sexualpartner. Sexuelle Funktionsstörungen sind ein
häufiger Scheidungsgrund, leider -, denn die meisten lassen sich durch eine relativ kurze Therapie
beheben.
Ein Wort zur Terminologie: Die Menschen drücken sich oft vage aus, wenn sie von Sexualität
sprechen; sie sagen „mit jemandem schlafen“, wenn sie „sich sexuell betätigen“ oder „Sex haben“
meinen. Den Ausdruck „Geschlechtsverkehr“ verwenden wir nur, wenn wir Penetration meinen.
Andere sexuelle Aktivitäten werden ebenfalls genau bestimmt - „genitale Liebkosung“ beispielsweise
statt des weniger deutlichen „Petting“.
Das DSM-IV definiert die sexuellen Funktionsstörungen als psychophysische Störungen, die er der
Person unmöglich machen, den Koitus auszuüben und/oder zu geniessen. Dieser wird (vor allem von
William Masters und Virginia Johnson (1966) sowie Helen Kaphlan (1977)) in einen vierphasigen
sexuellen Reaktionszyklus eingeteilt. Eine Funktionsstörung kann jede der ersten vier Phasen
betreffen, also Appetenzphase, die Erregungsphase und die Orgasmusphase. Die vierte Phase, die
Entspannungsphase ist nicht mit sexuellen Funktionsstörungen verknüpft.
Die Appetenzphase: Verlangen nach sexueller Aktivität, sexuellen Phantasien...
folgende zwei Störungen
Verminderte sexuelle Appetenz (Mangel sex. Aktivität)
sind damit verknüpft:
sexuelle Aversion (Ekel, Abscheu, Angst...)
Die Erregungsphase: allgemeine körperliche Erregung, Steigerung des Herzschlages,
Muskelspannung Blutdruck und Atmung und durch spezifische
Veränderungen im Beckenbereich. Blutandrang oder Vasokongestion im
30
Becken führt beim Mann zur Erektion und bei der Frau zum Anschwellen
Klitoris und Schamlippen sowie Produktion von Vaginalflüssigkeit.
folgende Störungen
Störung der Erektion (Mann) (früher als Impotenz bez.)
sind damit verknüpft:
Störung der Erregung (Frau) (früher Frigidität genannt)
von
Heutige Sexualtherapeuten unterscheiden zwischen körperlicher Erregung und dem subjektiven
Gefühl emotionaler Erregung.
Die Orgasmusphase: reflexartige Muskelkontraktionen im Becken
häufigste Störung:
Ejaculatio praecox (Ejakulation bereits bei minimaler
Stimulierung, bevor es die Person wünscht...)
seltenere Störung beim Mann: gehemmte Ejakulation
Störung bei der Frau:
gehemmten Orgasmus (Es herrscht jedoch Uneinigkeit
darüber, ob das Fehlen eines Orgasmus bei der Frau während
des Verkehrs überhaupt eine sexuelle Funktionsstörung ist.
Weitere Störungen, die sich nicht ganz in das Schema der Phasen einfügen lassen:
Störungen mit sexuell bedingten Schmerzen: Vaginismus (spastische Kontraktionen verhindern das Eindringen des Penis in die Vagina.)
Dyspareunie (schmerzhafte Vereinigung)
schwere Schmerzen bei sexueller Aktivität
Da die Kategorien des DSM-IV ziemlich unscharf sind, werden einer Diagnose häufig zwei
zusätzliche deskriptive Dimensionen hinzugefügt, um das spezielle Problem eines Patienten deutlicher
zu kennzeichnen. Die Störung kann entweder als lebenslang beziehungsweise erworben oder gar
generalisiert beziehungsweise erworben beschrieben werden.
Die Prävalenz sexueller Funktionsstörungen
Es ist sehr schwierig genau anzugeben, wie viele Menschen von sexuellen Funktionsstörungen geplagt
werden. Vielen Betroffenen ist es peinlich, sich in Therapie zu begeben. Trotzdem kam eine Studie
zum Schluss, das 24% der amerikanischen Allgemeinbevölkerung an einer sexuellen Störung leiden.
Diese Rate war die zweithöchste von allen diagnostischen Kategorien; nur die substanz-bezogenen
Störungen kamen häufiger vor.
Die Prävalenz von Funktionsstörungen beim Mann: Entgegen dem Stereotyp, das alle Männer so
darstellt, als ob sie soviel Sex wollen, wie sie nur kriegen können, kommt verminderte sexuelle
Appetenz bei 15% der untersuchten Männer vor. Sexuelle Aversion scheint so selten zu sein, dass sie
in der Studie gar nicht auftaucht. Erektionsstörungen treten bei ca. 10% der Männer auf, meist sind sie
über 50 Jahre alt. Die Häufigkeit von Ejaculatio praecox in epidemiologischen Studien schwankt
zwischen zehn und 38 Prozent, wahrscheinlich weil auch die Definition des Problems schwankt. Die
Orgasmusstörung beim Mann ist eine relativ seltene Störung, sie kommt bei etwa ein bis drei Prozent
der Allgemeinbevölkerung vor.
Die Prävalenz von Funktionsstörungen bei der Frau: Verminderte sexuelle Appetenz kommt bei
20% bis 35% vor. Ein schwacher Sexualtrieb ist heute das häufigste Problem in der klinischen Praxis.
(Wie weit das gesellschaftlich bedingt ist, wäre wohl noch eine interessante Frage... Anmerkung von
mir persönlich) Sexuelle Aversion ist weniger verbreitet. Eine Störung der sexuellen Erregung allein
steht selten im Mittelpunkt von Sexualtherapie oder -forschung, da dieses Leiden gewöhnlich zugleich
mit einer Orgasmusstörung besteht. Den Studien zufolge haben elf von 48% aller Frauen Erregungsstörungen. Zehn bis 15% hatten noch nie einen Orgasmus und weitere zehn bis 15% erleben ihn nur
selten. (Kleiner Exkurs: Die neusten Forschungen haben ergeben, dass es praktisch keinen
Unterschied zwischen einem vaginalen und einem klitoralen Orgasmus gibt!)
Ursachen sexueller Funktionsstörungen
Die Theorien zu den Ursachen sexueller Funktionsstörungen legen den Schwerpunkt auf unterschiedliche Faktoren: auf die Auswirkungen dessen, was in der Kindheit über Sexualität gelernt wurde, auf
problematische Einstellungen und Überzeugungen, auf biologische Ursachen wie Auswirkungen von
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Erkrankungen und Medikamenten, auf individuelle psychodynamische Faktoren und auf Beziehungsprobleme.
Verminderte sexuelle Appetenz und sexuelle Aversion. Die Definition eines schwachen Sexualtriebs ist etwas problematisch. Das DSM-IV definiert spezifiziert nicht, was ein „Mangel“ an
sexuellem Verlangen... ist. Aufgrund der Ergebnisse einer Studie (Siehe Seite 508) ist die Diagnose
„vermin-derte sexuelle Appetenz“ vermutlich erst dann gerechtfertigt, wenn der Patient weniger oft als
einmal alle zwei Wochen Verkehr haben möchte. In den meisten sexualtherapeutischen Fällen geht es
nicht bloss um ein vermindertes sexuelles Verlangen, sondern um ein praktisch nichtexististentes
sexuelles Verlangen. Den Sexualtrieb einer Person beeinflusst ein ganzes Bündel körperlicher und
psychischer Faktoren, von denen jeder einzelne dämpfend wirken kann. Die meisten der einschlägigen
Fälle lassen sich hauptsächlich auf psychische Faktoren zurückführen, doch auch bestimmte
körperliche Bedingungen können das sexuelle Verlangen einer Person drastisch herabsetzen. Zunächst
einmal spielen die Hormone eine wichtige Rolle, resp. der Hormonspiegel. Testosteron, das
wichtigste männliche Sexualhormon, beeinflusst den Sexualtrieb sowohl von Männern als auch Frauen
(wird in den Nebennieren produziert) Luteinsierendes Hormon, das von der Hypophyse im Gehirn
erzeugt wird, regt die Testosteronproduktion an. Östrogen, das wichtigste weibliche Sexualhormon,
hat ebenfalls Bedeutung für den Sexualtrieb. (Frauen nach der Menopause haben manchmal einen zu
niedrigen Östrogenspiegel) Bei Männern beeinträchtigt eine Östrogenkonzentration über dem
normalen, niedrigen Spiegel den Sexualtrieb. Männer produzieren geringe Östrogenmengen, die
jedoch üblicherweise in der Leber abgebaut werden und keine Wirkung haben. Erhöhte Konzentration
von Prolaktin, einem anderen Hypophysenhormon, beeinträchtigen den Sexualtrieb sowohl bei
Männern als auch bei Frauen. Stillende Frauen weisen einen erhöhten Prolaktinspiegel auf, da dieses
Hormon an der Milchproduktion beteiligt ist, und manche von ihnen haben einen herabgesetzten
Sexualtrieb. Auch auffällig hohe oder tiefe Spiegel einiger Schilddrüsenhormone dämpfen den Sexualtrieb. Alle diese hormonellen Auffälligkeiten lassen sich mit Hormonsubstitution oder Medikamenten
behandeln. Es scheint jedoch, dass nur bei einem sehr kleinen Anteil der Fälle von verminderter
sexueller Appetenz die Ursache in auffälligen Hormonspiegeln liegt. Eine Reihe von Medikamenten
(darunter auch Antipsychotika, Antidepressiva...) und Drogen unterdrückt den Sexualtrieb. So kennt
man eine Menge Substanzen, die den Sexualtrieb dämpfen, doch die jahrhundertelange Suche nach
einem echten Aphrodisiakum - einem Mittel, das den Sexualtrieb anregt - blieb bisher erfolglos.
Auch chronische Krankheiten, Scheidung, Todesfall... führen zu vermindertem sexuellen Verlangen,
sowie persönliche Überzeugungen (stark sexualfeindliche religiöse und kulturelle) und Merkmale
(Persönlichkeit). Schon eine unglückliche, konfliktreiche Beziehung genügt, um den Sexualtrieb
erlöschen zu lassen. All diese Faktoren und noch viel mehr können sowohl verminderte sexuelle
Appetenz als auch sexuelle Aversion herbeiführen. Die Erfahrung, sexuell missbraucht oder
vergewaltigt worden zu sein, führt vor allem zu sexueller Aversion.
Erektionsstörung geht oft auf eine Kombination von körperlicher und psychischer Faktoren zurück.
Also psychogene und organische Faktoren. Diesselben hormonellen Auffälligkeiten, die verminderte
sexuelle Appetenz auslösen können, können auch Erektionsstörungen hervorrufen. Doch auffällige
Testosteron-, Östrogen-, Prolaktin- oder Schilddrüsenhormonspeigel finden sich nur in einem geringen
Prozentsatz der Fälle. Gefässbedingte Auffälligkeiten sind viel häufiger. Eine Herzkrankheit, eine
Behinderung des Blutstroms in den Penis durch Arteriosklerose (Arterienverengung, bedingt z.B.
durch jahrelanges starkes Rauchen) oder übermässiger Blutabfluss über abnorm vergrösserte
Penisvenen können eine Erektionsstörung daher eher hervorrufen. Etwa 50% aller Diabetiker haben
Erektionsstörungen, da Diabetes oft die an der Erektion beteiligten peripheren Nerven schädigt.
Verletzungen des Rückenmarks, Nierenversagen und Dialyse, Medikamente... sind weitere Faktoren.
Die psychischen Faktoren sind oft sehr komplex. Auch hier spielen wieder sehr viele
Beziehungspunkte und -muster mit. Weiter fand man heraus, dass arbeitslose Männer mit finanziellen
Schwierigkeiten häufig Erektionsprobleme haben. Ein wichtiger, von Masters und Johnson (1970)
hervorgehobener Mechanismus sind Leistungsangst und die die Beobachterrolle.
Ejaculatio praecox scheint typisch zu sein für junge, sexuell unerfahrene Männer, die einfach nicht
gelernt haben, langsam zu machen, ihre Erregung zu regulieren und den lustvollen Prozess des
sexuellen Aktes zu verlängern. Da das sympathische Nervensystem sowohl an Angst als auch an der
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Ejakulation beteiligt ist, vermuten die Sexualtherapeuten, dass die Versuche, die Ejakulation
zurückzuhalten, Angst auslösen, die wiederum das Problem verschlimmert. (Eine Studie bestätigte
dies jedoch nicht)
Gehemmte Ejakulation kann durch eine Anzahl physiologischer Faktoren entstehen. Auch hier
können Medikamente, Drogen, Alkohol... eine wichtige Rolle spielen. Auch kann eine Gehirnerschütterung gehemmte Ejakulation hervorrufen, die Gründe jedoch sind noch im Dunkeln. Die
psychischen Ursachen der gehemmten Ejakulation dürften denen der gehemmten Erektion ähneln.
Störungen der Erregung und des Orgasmus bei der Frau Die meisten inorgasmischen Frauen, die
zur Therapie kommen, berichten, dass sie sexualfeindlich erzogen wurden (Bestrafung bei
Masturbation, mangelnde Vorbereitung auf den Beginn der Menstruation, Restriktionen der Kontakte
zu Jungen...) Die Forschung bewies jedoch, dass eine derartige Vorgeschichte bei sexuell nicht
gestörten Frauen genau so häufig vorliegt. Leider ist noch offen, welche „Schutzfaktoren“ manche
Frauen gegen diese negativen kulturellen und familiären Botschaften immun machen. Zu den
psychischen Faktoren gehören all jene, die ich weiter oben auch schon aufgeführt habe.
Kindheitserinnerungen an eine positive Beziehung zu der Mutter, Zuneigung zwischen den Eltern,
positive Persönlichkeitszüge der Mutter und Ausdruck positiver Emotionen durch die Mutter erwiesen
sich alle als mit Orgasmusfähigkeit verbunden. Noch enger hingen der Grad der emotionalen
Anteilnahme und die Dauer der Beziehung zum Zeitpunkt der ersten Koituserfahrungen der Frau, die
bei dieser Erfahrung erlebte Lust, die gegenwärtige Anziehungskraft des Körpers ihres Partners und
die eheliche Harmonie damit zusammen. Auch körperliche Beschwerden, z.B. neurologischer Art
(multiple Sklerose...) können Gründe für die Orgasmusunfähigkeit sein. Auch Medikamente und
Drogen können die Orgasmusfähigkeit beeinträchtigen. Die Veränderungen nach der Menopause...
führt auch bei einigen Frauen dazu.
Vaginismus hat keine physiologischen Ursachen; bei diesem psychisch bedingten Leiden verkrampfen sich unwillkürlich die Muskeln um die Vagina. Dies gilt als konditionierter Angstreflex, der
durch die Vorwegnahme einer schmerzhaften und schädigenden Penetration ausgelöst wird. Ursachen:
allgemeine Angst und Unwissenheit bezüglich des Geschlechtsverkehrs, spezifische, durch übertriebene Geschichten, wie schmerzhaft und blutig der erste Verkehr für Frauen sei, aus- gelöste Ängste, ein
Trauma aufgrund eines ungeübten, ungeduldigen Liebhabers, ein Trauma eines Missbrauchs oder
einer Vergewaltigung, Infektionen an der Scheide... Die Ängste dieser Frauen beziehen sich allein auf
die Penetration.
Dyspareunie Schmerzen beim Verkehr haben bei Frauen gewöhnlich einen körperlichen Grund. (z.B.
entbindungsbedingte Schmerzen, Narben, Infektionen, allergische Reaktionen...)
Therapien für sexuelle Funktionsstörungen
Die letzten 20 Jahren brachten einen Umbruch in den psychotherapeutischen Verfahren. Vorher
brauchte man vor allem die freudsche Psychoanalyse, welche die Ursachen der Störungen vor allem
darin sah, dass die Entwicklung des Betroffenen in einer der psychosexuellen Stadien der Kindheit
steckengeblieben war. (Ansatz: Diese Stadien mit dem Therapeut noch einmal erfolgreich durchleben)
In den 50er und 60er Jahren boten dann Verhaltenstherapeuten alternative Therapien an. Nach der
behavioristischen Theorie wurzeln sexuelle Funktionsstörungen in Angst, die bekanntlich die sexuelle
Reaktion blockiert. (Ansatz: Muskelentspannungen, systematische Desensibilisierung...) Dieser angstreduzierende Ansatz war mässig erfolgreich, funktionierte aber nicht, wenn die Hauptgründe der
Störung in Fehlinformationen, einer negativen Einstellung und mangelhafter sexueller Technik lagen.
Als Masters und Johnson 1970 Impotenz und Anorgasmie veröffentlichten, setzte eine Revolution in
der Therapie ein. Ihre Methode wurde bekannt als „Sexualtherapie“. Im Laufe der Jahre wurde sie
erweitert und heute haben wir ein komplexes Behandlungsverfahren mit mehreren Komponenten,
darunter kognitive, verhaltenstherapeutische und kommunikationsverbessernde Techniken. Zudem ist
die Sexualtherapie eine Kurztherapie, die sich direkt auf das sexuelle Problem konzentriert statt auf
eine Umstrukturierung der Persönlichkeit, und vom Charakter her direktiv. 15 bis 20 wöchentliche
Therapiesitzungen genügen für die meisten Funktionsstörungen.
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Der erste Schritt der Therapie besteht in der Beurteilung und begrifflichen Definition des Problems.
Bei einer medizinischen Untersuchung auf mögliche organische Probleme werden die Patienten nach
ihrer „sexuellen Vorgeschichte“ befragt. Die aktuelle Praxis ist, der Vergangenheit viel weniger Zeit
zu widmen als den Emotionen, Einstellungen und Verhaltensweisen, die die Störung jetzt
aufrechterhalten. Wichtig ist das Prinzip beidseitiger Verantwortlichkeit. (Beide Partner haben
Anteil an dem sexuellen Problem.) Ein zweiter wichtiger Bestandteil der Sexualtherapie ist die
Informationsvermittlung über Sexualität. Die dritte Komponente besteht in der Arbeit am
problematischen Einstellungen, Kognitionen und Überzeugungen hinsichtlich Sexualität.
Weiterhin gehört die Beseitigung von Leistungsangst und der Beobachterrolle durch Techniken der
sensorischen Fokussierung und des nichtfordernden Lustspenders. Die sexuelle Bezieh-ung
zwischen den Partnern wird eigentlich von Grund auf aufgebaut. Die fünfte Komponente besteht
darin, die Kommunikation und die Effektivität der sexuellen Technik zu verbessern. Der letzte
Bestandteil der Therapie zielt darauf ab, einen destruktiven Lebensstil und die ehelichen
Interaktionen zu ändern. (Prioritäten neu ordnen, Zeitpunkt des Verkehrs...)
Verminderte sexuelle Appetenz und sexuelle Aversion Aufgrund der vielen, schwierigen psychologischen Probleme erfordern diese Art von Störungen eine längere und komplexere Therapie. Jerry
Friedman und Ronald J. Comer entwickelten (1988) dazu ein stufenweises Therapiemodell aus vier
Schritten. 1. Die gefühlsmässige Bewusstmachung 2. Die Einsichtnahme (Dem Patienten zu
verstehen helfen, warum er, die in der ersten Phase identifizierten negativen Emotionen hat. 3.
kognitive und emotionale Veränderung 4. verhaltenstherapeutische Intervention (sensori-sche
Fokussierung, Fertigkeitstraining... werden eingeführt) Bei sexueller Aversion aufgrund eines
Missbrauchs oder einer Vergewaltigung kommen zusätzliche Therapieverfahren zum Einsatz. Die
Patientin wird ermutigt, sich das Ereignis wieder ins Gedächtnis zu rufen und solange über diese
Erinnerungen nachzudenken und zu reden, bis sie nicht mehr traumatisch sind.
Kleiner Exkurs: Die Mythen über Geschlechtsrollen auf der Seite 520
Erektionsstörung Auch da wird die Leistungsangst reduziert und die Stimulation gesteigert. Wenn es
sich auch um organische Beeinträchtigung der Erektion handelt, braucht es häufig auch eine
medizinische Intervention. Verbreitet ist da die Implantation einer Penisprothese, die für eine
künstliche Erektion sorgt. Eine nichtoperative Methode zur Behebung ist die Vakuumerektionshilfe.
Durch ein Vakuum wird das Blut in den Penis gezogen. In manchen Fällen nützen auch
gefässchirurgische Eingriffe oder intravenöse zugeführte Medikamente, die die Penisarterien
erweitern.
Ejaculatio praecox Vorzeitige Ejakulation lässt sich mit fast 100prozentigem Erfolg durch direktes,
verhaltenstherapeutisches Training der Kontrollfähigkeit über die Ejakulation behandeln.
Gehemmte Ejakulation Gehemmter Orgasmus beim Mann wird behandelt, indem man seine
Leistungsangst reduziert und angemessene Stimulation sicherstellt
Erregungs- und Orgasmusstörungen bei der Frau Therapiert wird mit Selbstexploration, Förderung des Körperbewusstseins und gezieltes Masturbationstraining (in neun Schritten). Wie wir bereits
sahen, halten die Sexualtherapeuten das Ausbleiben eines Orgasmus beim Verkehr nicht für
problematisch, sofern die Frau den Verkehr geniesst und zum Orgasmus kommt, wenn ihr Partner sie
liebkost. Es geht darum, solchen Frauen zu vermitteln, dass sie völlig normal sind.
Vaginismus Patientinnen mit Vaginismus üben, den Musculus pubococcygeus, der zum Beckenboden gehört und die Vagina umgibt, anzuspannen und zu entspannen, bis sie ihn willentlich
kontrollieren können. Der Therapeut betont die Notwendigkeit wirksamer Stimulation, damit sie lernt,
die Penetration mit vaginaler Lubrikation, Lust und Erregung statt mit Angst zu assoziieren. Die
Therapie des Vaginismus ist äusserst erfolgreich. (mehr als 90%)
34
Dyspareunie Es gibt keine spezifische Therapie für „psychogene“ Dyspareunie. Da diese diese
Störung im Grunde genommen mangelnde Erregung ist, werden die allgemeinen sexualtherapeutischen Verfahren und die spezifischen Techniken zur Förderung von Erregung und Orgasmus bei der
Frau benutzt.
Paraphilien
Die Definition dieser Störung habe ich weiter oben schon eingeführt. Laut DSM-IV wird eine
Diagnose nur an Personen vergeben, die diese Impulse oder Verhaltensweisen seit mindestens sechs
Monaten verspüren und ihnen wiederholt nachgeben oder unter extremen Schuldgefühlen leiden.
Relativ wenige Menschen erhalten tatsächlich die offizielle Diagnose „Paraphilie“, doch der grosse
Markt paraphiler Pornographie und anderen Zubehörs lässt die Kliniker vermuten, dass die Störungen
recht häufig sind. Insgesamt erbrachte die Forschung relativ wenig über die Ursachen und Therapiemöglichkeiten der meisten dieser Störungen (die meisten Männer haben).
Fetischismus Die Hauptmerkmale sind wiederkehrende, starke sexuelle Impulse und sexuell
erregende Phantasien, an denen der Gebrauch eines leblosen Objektes, oft unter Ausschluss aller
anderen Stimuli, beteiligt ist. Gewöhnlich beginnt die Störung in der Adoleszenz. Die Ursachen des
Fetischismus sind noch unklar. Die Behavioristen glauben jedoch, dass Fetische durch klassische
Konditionierung erworben werden. Sie versuchten manchmal, einen Fetischismus mit Aversionstherapie zu behandeln. In einer Studie erhielten die fetischistischen Probanden einen Elektroschock am
Arm oder Bein, während sie sich ihre Wunschobjekte vorstellten. Bei einer anderen Aversionstechnik,
der verdeckten Sensibilisierung, sollen sich Personen mit Fetischismus das lustspendende, jedoch
unerwünschte Objekt vorstellen und dieses Bild wiederholt mit einem vorgestellten aversiven
Stimulus verknüpfen, bis sie das Objekt des erotischen Verlangens nicht mehr begehren. Eine weitere
Varhaltenstherapie des Fetischismus ist die masturbatorische Sättigung. Dabei masturbiert der Klient
bis zum Orgasmus, während er laut über ein sexuell angemessenes Objekt phantasiert, und geht dann
dazu über, über fetischistische Objekte in allen Einzelheiten zu phantasieren, während er bis zum
Orgasmus masturbiert; die fetischistische Phantasie setzt er dann eine Stunde lang fort. Dieses
Verfahren soll Überdruss erzeugen, der wiederum mit dem Fetisch assoziiert wird.
Transvestitischer Fetischismus oder Transvestitismus ist gekennzeichnet durch das wiederkehrende Bedürfnis oder Verlangen, Kleider des anderen Geschlechts zu tragen, um sich sexuell zu
erregen. Die typische Person mit Transvestitismus, fast immer ein heterosexueller Mann, beginnt in
der Kindheit oder Adoleszenz, Frauenkleider zu tragen. Transvestitischer Fetischismus wird oft mit
Transsexualismus verwechselt, doch wie wir gleich sehen werden, sind dies zwei völlig getrennte
Störungen. Die Entwicklung des Transvestitismus scheint manchmal den Prinzipien der operanten
Konditionierung zu folgen. (Verstärkung für das Verkleiden)
Pädophilie, wörtlich „Liebe zu Kindern“. Diese Personen suchen sexuelle Befriedigung durch Beobachten, Berühren oder einfache bis komplexe sexuelle Handlungen von und an präpubertären
Kindern, die gewöhnlich bis 13 Jahre alt sind. Einige pädophile Menschen fühlen sich ausschliesslich
von Kindern angezogen (ausschliesslicher Typus), andere auch von Erwachsenen (nichtausschliesslicher Typus) Studien sprechen dafür, dass das Opfer den Belästiger meistens kennt und dass
in 15 bis 30 Prozent der Fälle sexueller Belästigung Inzest vorliegt. Diese Störung entwickelt sich
gewöhnlich in der Adoleszenz. Viele pädophile Menschen wurden als Kinder selbst sexuell
missbraucht. Manche Kliniker vermuten, dass die Hauptursache dieser Störung häufig in Unreife liegt.
Die sozialen und sexuellen Fertigkeiten können unterentwickelt sein, so dass die Person bereits bei
dem Gedanken an eine normale sexuelle Beziehung intensive Angst verspürt. Manche Pädophile
zeigen auch fehlerhaftes Denken in Rationalisierungen wie „Sex mit Kindern ist in Ordnung, solange
sie damit einverstanden sind.“ Zu den verschiedenen Therapien zählen die schon bei anderen
Paraphilien erwähnten, etwa die Aversionstherapie und die masturbatorische Sättigung. Eine weitere,
auch bei anderen Paraphilien angewandte Methode ist die orgasmische Neuorientierung (Enright
1989). Schliesslich gibt es eine kognitive Verhaltenstherapie für Pädophilie: das
Rückfallpräventions-training. Nach dem Vorbild der Programme zur Rückfallprävention in der
Therapie der Drogenab-hängigkeit (siehe im Buch Seite 493) hilft diese Methode dem Klienten, die
problematischen Situationen, die seine pädophilen Phantasien und Handlungen gewöhnlich auslösen
35
(wie depressive Stimmung oder verzerrtes Denken), zu identifizieren und Strategien zu entwickeln,
mit denen er diese Situationen vermeiden oder effektiver bewältigen kann. Eine Studie an 147
Personen mit Pädophilie ergab fünf Jahre nach dieser Therapie eine Rückfallquote von nur vier
Prozent.
Exhibitionismus Eine Person, die an Exhibitionismus leidet, hat die sexuell erregende Phantasie, ihre
Genitalien vor einer anderen Person, fast immer des anderen Geschlechts, zur Schau zu stellen, sowie
den wiederkehrenden, intensiven Drang, diese Phantasie auszuagieren. Weitere sexuelle Aktivitäten
mit der anderen Person werden gewöhnlich nicht versucht oder gewünscht. Dagegen besteht häufig
der Wunsch, den anderen zu erschrecken oder zu überraschen. Im allgemeinen tritt die Störung vor
dem 18. Lebensjahr auf, und praktisch alle Exhibitionisten sind Männer. Viele zweifeln an oder
ängstigen sich um ihre Männlichkeit, und manche scheinen stark an eine besitzer-greifende Mutter
gebunden zu sein. Die Therapie entspricht der für andere Paraphilien.
Voyeurismus, wiederkehrende, starke sexuelle Impulse, heimlich ahnungslose Menschen beim
Auszeihen oder Paare beim Verkehr zu beobachten. Das Risiko, entdeckt zu werden, erhöht die
Erregung der Person oft noch. Voyeurismus beginnt gewöhnlich vor dem 15. Lebensjahr und neigt zu
chronischem Verlauf. Elemente des Exhibitionismus als auch des Voyeurismus können in der
normalen Sexualität eine Rolle spielen, doch dann sind die Partner damit einverstanden. Die klinische
Störung Voyeurismus ist dadurch gekennzeichnet, dass die Privatsphäre eines anderen wiederholt
verletzt wird. Jeder psychologische Ansatz (Behaviorismus, die Psychodynamiker...) hat ein wenig
eine andere Erklärung für dieses Verhalten.
Frotteurismus, wiederkehrende, starke sexuelle Impulse, eine andere Person, die damit nicht einverstanden ist, zu berühren oder sich an ihr zu reiben, oder entsprechende, sexuell erregende
Phantasien. Frotteurismus (franz. frotter - reiben) beginnt üblicherweise in der Adoleszenz oder früher.
oft nachdem die Person beobachtet, wie ein anderer eine Frottage begeht. Wenn die Person etwa 25
Jahre alt ist, nimmt die Häufigkeit der Handlungen allmählich ab, und oft verschwinden sie ganz.
Sexueller Masochismus Menschen haben wiederholte starke sexuelle Impulse und Phantasien, die
darum kreisen, gedemütigt, geschlagen, gefesselt zu werden oder sonstige Leiden zugefügt zu
bekommen. Bei einer bestimmten Form des sexuellen Masochismus, der Hypoxiphilie, würgen sich
die Betroffenen zur Steigerung ihrer sexuellen Lust selbst oder bringen sich in Erstickungsgefahr, oder
sie bitten den Partner darum. Es gibt sogar eine wachsende Zahl klinischer Berichte über
autoerotische Asphyxie: Die Betroffenen, gewöhnlich männlich und manchmal nicht älter als zehn
Jahre, führen unabsichtlich einen tödlichen Sauerstoffmangel im Gehirn herbei, indem sie sich beim
Masturbieren aufhängen, ersticken oder strangulieren. In den meisten Fällen beginnen die masochistischen sexuellen Phantasien in der Kindheit. Die Person agiert sie aber erst später aus, gewöhnlich im
frühen Erwachsenenalter. In vielen Fällen scheint sich das Muster des sexuellen Masochismus durch
klassische Konditionierung entwickelt zu haben.
Kleiner Exkurs auf den Seiten 528 - 530 Vergewaltigung; Seiten 532 - 534 Homosexualität
Sexueller Sadismus Gewöhnlich ein Mann, - erlebt intensive sexuelle Erregung, wenn er anderen
Personen real oder in der Phantasie körperliches oder psychisches Leid zufügt. Die Bezeichnung leitet
sich aus dem Namen Marquis de Sade (1740 - 1814) der anderen solche Grausamkeiten zufügte.
Erscheinung und Ausübung wie beim Masochismus. Das Muster ist chronisch. Auch hier handelt es
sich, nach der Vermutung der Behavioristen, bei der Entstehung häufig um eine klassischen
Konditionie-rung. Die Behavioristen glauben auch, dass in vielen Fällen auch das Modelllernen zu
Grunde liegt. Die psychodynamischen und kognitiv orientierten Theoretiker meinen, dass sexuellem
Sadismus sexuelle Minderwertigkeitsgefühle oder Unsicherheit zugrunde liegen und dass die
Betroffenen Schmerz zufügen, um ein Machtgefühl zu erleben, das wiederum ihre sexuelle Erregung
steigert. Einige biologisch orientierte Untersuchungen fanden umgekehrt Anzeichen möglicher
Funktionsstörungen im endokrinen System von Personen mit Sadismus. Keine der Untersuchungen
wurde jedoch systematisch untersucht oder konsistent empirisch bestätigt. Der sexuelle Sadismus
wurde mit aversiver Konditionierung behandelt. Es ist unklar, ob dies bei sexuellem Sadismus
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durchgängig wirksam ist. Rückfallpräventionstraining, das bei einigen kriminellen Fällen angewandt
wurde, scheint dagegen etwas zu bewirken.
Gesellschaftliche Normen und sexuelle Etiketten
Die Definition der verschiedenen Paraphilien hängt wie die der sexuellen Funktionsstörungen enger
mit den Normen der Gesellschaft, in der sie auftreten, als mit festen medizinischen Kriterien
zusammen. Wir müssen jedenfalls sehr sorgfältig sein anderen oder auch uns solche Etiketten
anzuhängen. Halten wir uns vor Augen, dass die klinischen Fachleute Homosexualität lange Zeit als
Paraphilie betrachteten und dass dieses Urteil zur Rechtfertigung von Gesetzen und sogar zu
polizeilichen Massnahmen diente.
Störungen der Geschlechtsidentität
Eine der faszinierendsten Störungen im Zusammenhang mit Sexualität ist die Störung der
Geschlechtsidentität oder Transsexualität. Die Betroffenen haben das anhaltende Gefühl, dass bei
ihnen ein riesiger Fehler geschehen ist - sie haben das falsche Geschlecht. Sie sind ständig damit
beschäftigt, wie sie ihre primären und sekundären Geschlechtsmerkmale - die viele von ihnen
abstossend finden - loswerden und die Merkmale des anderen Geschlechts erhalten könnten. (Sie
tragen auch oft die Kleider des anderen Geschlechts und gehen Aktivitäten, die traditionell mit dem
anderen Geschlecht in Verbindung gebracht werden, nach.) Menschen mit der Paraphilie
transvestitischer Fetischismus verkleiden sich, um sich sexuell zu erregen; Transsexuelle haben viel
tiefere Gründe für die Verkleidung, Gründe, die mit der Geschlechtsidentität zu tun haben. Manche
versuchen ihre Geschlechtsmerkmale durch eine Hormonbehandlung (Östrogen und Testosteron) zu
verändern. Verschiedene psychologische Theorien versuchen, diese Störung zu erklären, doch auf
diesem Gebiet liegen nur wenige und im allgemeinen wenig aussagekräftige Forschungsarbeiten vor.
Manche Kliniker vermuten biologische Ursachen, doch die meisten Untersuchungen fanden keine
Unterschiede. Manchmal haben auch Kinder Störungen der Geschlechtsidentität, welche gewöhnlich
in der Adoleszenz verschwindet. Vielen Transsexuellen verhelfen Medikamente und Psychotherapie
zu einem befriedigenden Leben in der Geschlechtsrolle, die sie für ihre wahre halten. Anderen genügt
dies jedoch nicht, und ihre Unzufriedenheit bringt sie dazu, sich einem der umstrittensten Verfahren in
der Medizin zu unterziehen: einer operativen Geschlechtsumwandlung. (erste Operation 1931)
Unbehandelt ist eine Störung der Geschlechtsidentität bei Erwachsenen gewöhnlich chronisch, in
manchen Fällen trat aber auch eine offensichtliche spontane Remission ein.
Der Stand der Wissenschaft: Sexuelle Störungen
Die klinischen Praktiker und Theoretiker haben erst vor kurzem angefangen, die Natur und die
Ursprünge sexueller Funktionsstörungen zu verstehen und wirksame Therapien dafür zu entwickeln.
Bei den Paraphilien, der anderen Gruppe sexueller Störungen, oder den mit Sexualität zusammenhängenden Störungen der Geschlechtsidentität sind die Fortschritte bei Wissen und Therapie noch sehr
beschränkt. In den beiden letzten Jahrzehnten wurde die Sexualität aber zu einem der am intensivsten
untersuchten Gegenstände in der klinischen Forschung. Eine der wichtigsten Einsichten aus diesen
Arbeiten ist der Aufklärungsbedarf über sexuelle Funktionsstörungen. (sehr oft noch gesellschaftliche
Mythen...)
37
Klinische Psychologie
Zusammenfassung, Kapitel 14, Seite 501ff
Jonas Baumann, 033 336 18 94,
[email protected]
Sexuelle Störungen und Störungen der Geschlechtsidentität
Nur für wenige Bereiche des Erlebens und Verhaltens interessieren sich die Menschen mehr als für das
Sexualverhalten. Weil unser Selbstwertgefühl so stark an die sexuelle Leistung geknüpft ist, kreisen
sowohl persönliche Gedanken als auch öffentliche Diskussionen häufig um dieses Thema. Unsere
Gesellschaft ist so neugierig auf gestörtes Sexualverhalten und verbindet soviel Scham damit, dass
viele Menschen mit Problemen in diesem Bereich deswegen noch zusätzlich unter Angst, Schuldgefühlen oder Ekel vor sich selbst zu leiden haben.
Es gibt zwei Arten von Störungen:
sexuelle Funktionsstörungen: Eine Hemmung in einem bestimmten Abschnitt des sexuellen
Reaktionszyklus. (z.B. keine Erregung, kein Orgasmus...)
Paraphilien: Wiederkehrende, starke sexuell erregende Phantasien zu
sexuellen Objekten oder Situationen. (die in der Gesellschaft
gelten)
angemessen
Störungen der Geschlechtsidentität: Diese Personen haben durchgängig das Gefühl, dem
falschen Geschlecht anzugehören und identifizieren sich
mit dem anderen Geschlecht.
Sexuelle Funktionsstörungen
Viele psychischen Störungen betreffen nur eine kleine Gruppe Menschen. Sexuelle Funktionsstörungen wie Erektionsstörungen bei Männern oder Orgasmusschwierigkeiten bei Frauen dagegen
sind sehr verbreitet und sehr leidvoll für die Betroffenen. Folgen davon sind oft sexuelle Frustration,
Schuldgefühle, emotionale Probleme mit dem Sexualpartner. Sexuelle Funktionsstörungen sind ein
häufiger Scheidungsgrund, leider -, denn die meisten lassen sich durch eine relativ kurze Therapie
beheben.
Ein Wort zur Terminologie: Die Menschen drücken sich oft vage aus, wenn sie von Sexualität
sprechen; sie sagen „mit jemandem schlafen“, wenn sie „sich sexuell betätigen“ oder „Sex haben“
meinen. Den Ausdruck „Geschlechtsverkehr“ verwenden wir nur, wenn wir Penetration meinen.
Andere sexuelle Aktivitäten werden ebenfalls genau bestimmt - „genitale Liebkosung“ beispielsweise
statt des weniger deutlichen „Petting“.
Das DSM-IV definiert die sexuellen Funktionsstörungen als psychophysische Störungen, die er der
Person unmöglich machen, den Koitus auszuüben und/oder zu geniessen. Dieser wird (vor allem von
William Masters und Virginia Johnson (1966) sowie Helen Kaphlan (1977)) in einen vierphasigen
sexuellen Reaktionszyklus eingeteilt. Eine Funktionsstörung kann jede der ersten vier Phasen
betreffen, also Appetenzphase, die Erregungsphase und die Orgasmusphase. Die vierte Phase, die
Entspannungsphase ist nicht mit sexuellen Funktionsstörungen verknüpft.
Die Appetenzphase: Verlangen nach sexueller Aktivität, sexuellen Phantasien...
folgende zwei Störungen
Verminderte sexuelle Appetenz (Mangel sex. Aktivität)
sind damit verknüpft:
sexuelle Aversion (Ekel, Abscheu, Angst...)
Die Erregungsphase: allgemeine körperliche Erregung, Steigerung des Herzschlages,
Muskelspannung Blutdruck und Atmung und durch spezifische
Veränderungen im Beckenbereich. Blutandrang oder Vasokongestion im
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Becken führt beim Mann zur Erektion und bei der Frau zum Anschwellen
Klitoris und Schamlippen sowie Produktion von Vaginalflüssigkeit.
folgende Störungen
Störung der Erektion (Mann) (früher als Impotenz bez.)
sind damit verknüpft:
Störung der Erregung (Frau) (früher Frigidität genannt)
von
Heutige Sexualtherapeuten unterscheiden zwischen körperlicher Erregung und dem subjektiven
Gefühl emotionaler Erregung.
Die Orgasmusphase: reflexartige Muskelkontraktionen im Becken
häufigste Störung:
Ejaculatio praecox (Ejakulation bereits bei minimaler
Stimulierung, bevor es die Person wünscht...)
seltenere Störung beim Mann: gehemmte Ejakulation
Störung bei der Frau:
gehemmten Orgasmus (Es herrscht jedoch Uneinigkeit
darüber, ob das Fehlen eines Orgasmus bei der Frau während
des Verkehrs überhaupt eine sexuelle Funktionsstörung ist.
Weitere Störungen, die sich nicht ganz in das Schema der Phasen einfügen lassen:
Störungen mit sexuell bedingten Schmerzen: Vaginismus (spastische Kontraktionen verhindern das Eindringen des Penis in die Vagina.)
Dyspareunie (schmerzhafte Vereinigung)
schwere Schmerzen bei sexueller Aktivität
Da die Kategorien des DSM-IV ziemlich unscharf sind, werden einer Diagnose häufig zwei
zusätzliche deskriptive Dimensionen hinzugefügt, um das spezielle Problem eines Patienten deutlicher
zu kennzeichnen. Die Störung kann entweder als lebenslang beziehungsweise erworben oder gar
generalisiert beziehungsweise erworben beschrieben werden.
Die Prävalenz sexueller Funktionsstörungen
Es ist sehr schwierig genau anzugeben, wie viele Menschen von sexuellen Funktionsstörungen geplagt
werden. Vielen Betroffenen ist es peinlich, sich in Therapie zu begeben. Trotzdem kam eine Studie
zum Schluss, das 24% der amerikanischen Allgemeinbevölkerung an einer sexuellen Störung leiden.
Diese Rate war die zweithöchste von allen diagnostischen Kategorien; nur die substanz-bezogenen
Störungen kamen häufiger vor.
Die Prävalenz von Funktionsstörungen beim Mann: Entgegen dem Stereotyp, das alle Männer so
darstellt, als ob sie soviel Sex wollen, wie sie nur kriegen können, kommt verminderte sexuelle
Appetenz bei 15% der untersuchten Männer vor. Sexuelle Aversion scheint so selten zu sein, dass sie
in der Studie gar nicht auftaucht. Erektionsstörungen treten bei ca. 10% der Männer auf, meist sind sie
über 50 Jahre alt. Die Häufigkeit von Ejaculatio praecox in epidemiologischen Studien schwankt
zwischen zehn und 38 Prozent, wahrscheinlich weil auch die Definition des Problems schwankt. Die
Orgasmusstörung beim Mann ist eine relativ seltene Störung, sie kommt bei etwa ein bis drei Prozent
der Allgemeinbevölkerung vor.
Die Prävalenz von Funktionsstörungen bei der Frau: Verminderte sexuelle Appetenz kommt bei
20% bis 35% vor. Ein schwacher Sexualtrieb ist heute das häufigste Problem in der klinischen Praxis.
(Wie weit das gesellschaftlich bedingt ist, wäre wohl noch eine interessante Frage... Anmerkung von
mir persönlich) Sexuelle Aversion ist weniger verbreitet. Eine Störung der sexuellen Erregung allein
steht selten im Mittelpunkt von Sexualtherapie oder -forschung, da dieses Leiden gewöhnlich zugleich
mit einer Orgasmusstörung besteht. Den Studien zufolge haben elf von 48% aller Frauen Erregungsstörungen. Zehn bis 15% hatten noch nie einen Orgasmus und weitere zehn bis 15% erleben ihn nur
selten. (Kleiner Exkurs: Die neusten Forschungen haben ergeben, dass es praktisch keinen
Unterschied zwischen einem vaginalen und einem klitoralen Orgasmus gibt!)
Ursachen sexueller Funktionsstörungen
Die Theorien zu den Ursachen sexueller Funktionsstörungen legen den Schwerpunkt auf unterschiedliche Faktoren: auf die Auswirkungen dessen, was in der Kindheit über Sexualität gelernt wurde, auf
problematische Einstellungen und Überzeugungen, auf biologische Ursachen wie Auswirkungen von
39
Erkrankungen und Medikamenten, auf individuelle psychodynamische Faktoren und auf Beziehungsprobleme.
Verminderte sexuelle Appetenz und sexuelle Aversion. Die Definition eines schwachen Sexualtriebs ist etwas problematisch. Das DSM-IV definiert spezifiziert nicht, was ein „Mangel“ an
sexuellem Verlangen... ist. Aufgrund der Ergebnisse einer Studie (Siehe Seite 508) ist die Diagnose
„vermin-derte sexuelle Appetenz“ vermutlich erst dann gerechtfertigt, wenn der Patient weniger oft als
einmal alle zwei Wochen Verkehr haben möchte. In den meisten sexualtherapeutischen Fällen geht es
nicht bloss um ein vermindertes sexuelles Verlangen, sondern um ein praktisch nichtexististentes
sexuelles Verlangen. Den Sexualtrieb einer Person beeinflusst ein ganzes Bündel körperlicher und
psychischer Faktoren, von denen jeder einzelne dämpfend wirken kann. Die meisten der einschlägigen
Fälle lassen sich hauptsächlich auf psychische Faktoren zurückführen, doch auch bestimmte
körperliche Bedingungen können das sexuelle Verlangen einer Person drastisch herabsetzen. Zunächst
einmal spielen die Hormone eine wichtige Rolle, resp. der Hormonspiegel. Testosteron, das
wichtigste männliche Sexualhormon, beeinflusst den Sexualtrieb sowohl von Männern als auch Frauen
(wird in den Nebennieren produziert) Luteinsierendes Hormon, das von der Hypophyse im Gehirn
erzeugt wird, regt die Testosteronproduktion an. Östrogen, das wichtigste weibliche Sexualhormon,
hat ebenfalls Bedeutung für den Sexualtrieb. (Frauen nach der Menopause haben manchmal einen zu
niedrigen Östrogenspiegel) Bei Männern beeinträchtigt eine Östrogenkonzentration über dem
normalen, niedrigen Spiegel den Sexualtrieb. Männer produzieren geringe Östrogenmengen, die
jedoch üblicherweise in der Leber abgebaut werden und keine Wirkung haben. Erhöhte Konzentration
von Prolaktin, einem anderen Hypophysenhormon, beeinträchtigen den Sexualtrieb sowohl bei
Männern als auch bei Frauen. Stillende Frauen weisen einen erhöhten Prolaktinspiegel auf, da dieses
Hormon an der Milchproduktion beteiligt ist, und manche von ihnen haben einen herabgesetzten
Sexualtrieb. Auch auffällig hohe oder tiefe Spiegel einiger Schilddrüsenhormone dämpfen den Sexualtrieb. Alle diese hormonellen Auffälligkeiten lassen sich mit Hormonsubstitution oder Medikamenten
behandeln. Es scheint jedoch, dass nur bei einem sehr kleinen Anteil der Fälle von verminderter
sexueller Appetenz die Ursache in auffälligen Hormonspiegeln liegt. Eine Reihe von Medikamenten
(darunter auch Antipsychotika, Antidepressiva...) und Drogen unterdrückt den Sexualtrieb. So kennt
man eine Menge Substanzen, die den Sexualtrieb dämpfen, doch die jahrhundertelange Suche nach
einem echten Aphrodisiakum - einem Mittel, das den Sexualtrieb anregt - blieb bisher erfolglos.
Auch chronische Krankheiten, Scheidung, Todesfall... führen zu vermindertem sexuellen Verlangen,
sowie persönliche Überzeugungen (stark sexualfeindliche religiöse und kulturelle) und Merkmale
(Persönlichkeit). Schon eine unglückliche, konfliktreiche Beziehung genügt, um den Sexualtrieb
erlöschen zu lassen. All diese Faktoren und noch viel mehr können sowohl verminderte sexuelle
Appetenz als auch sexuelle Aversion herbeiführen. Die Erfahrung, sexuell missbraucht oder
vergewaltigt worden zu sein, führt vor allem zu sexueller Aversion.
Erektionsstörung geht oft auf eine Kombination von körperlicher und psychischer Faktoren zurück.
Also psychogene und organische Faktoren. Diesselben hormonellen Auffälligkeiten, die verminderte
sexuelle Appetenz auslösen können, können auch Erektionsstörungen hervorrufen. Doch auffällige
Testosteron-, Östrogen-, Prolaktin- oder Schilddrüsenhormonspeigel finden sich nur in einem geringen
Prozentsatz der Fälle. Gefässbedingte Auffälligkeiten sind viel häufiger. Eine Herzkrankheit, eine
Behinderung des Blutstroms in den Penis durch Arteriosklerose (Arterienverengung, bedingt z.B.
durch jahrelanges starkes Rauchen) oder übermässiger Blutabfluss über abnorm vergrösserte
Penisvenen können eine Erektionsstörung daher eher hervorrufen. Etwa 50% aller Diabetiker haben
Erektionsstörungen, da Diabetes oft die an der Erektion beteiligten peripheren Nerven schädigt.
Verletzungen des Rückenmarks, Nierenversagen und Dialyse, Medikamente... sind weitere Faktoren.
Die psychischen Faktoren sind oft sehr komplex. Auch hier spielen wieder sehr viele
Beziehungspunkte und -muster mit. Weiter fand man heraus, dass arbeitslose Männer mit finanziellen
Schwierigkeiten häufig Erektionsprobleme haben. Ein wichtiger, von Masters und Johnson (1970)
hervorgehobener Mechanismus sind Leistungsangst und die die Beobachterrolle.
Ejaculatio praecox scheint typisch zu sein für junge, sexuell unerfahrene Männer, die einfach nicht
gelernt haben, langsam zu machen, ihre Erregung zu regulieren und den lustvollen Prozess des
sexuellen Aktes zu verlängern. Da das sympathische Nervensystem sowohl an Angst als auch an der
40
Ejakulation beteiligt ist, vermuten die Sexualtherapeuten, dass die Versuche, die Ejakulation
zurückzuhalten, Angst auslösen, die wiederum das Problem verschlimmert. (Eine Studie bestätigte
dies jedoch nicht)
Gehemmte Ejakulation kann durch eine Anzahl physiologischer Faktoren entstehen. Auch hier
können Medikamente, Drogen, Alkohol... eine wichtige Rolle spielen. Auch kann eine Gehirnerschütterung gehemmte Ejakulation hervorrufen, die Gründe jedoch sind noch im Dunkeln. Die
psychischen Ursachen der gehemmten Ejakulation dürften denen der gehemmten Erektion ähneln.
Störungen der Erregung und des Orgasmus bei der Frau Die meisten inorgasmischen Frauen, die
zur Therapie kommen, berichten, dass sie sexualfeindlich erzogen wurden (Bestrafung bei
Masturbation, mangelnde Vorbereitung auf den Beginn der Menstruation, Restriktionen der Kontakte
zu Jungen...) Die Forschung bewies jedoch, dass eine derartige Vorgeschichte bei sexuell nicht
gestörten Frauen genau so häufig vorliegt. Leider ist noch offen, welche „Schutzfaktoren“ manche
Frauen gegen diese negativen kulturellen und familiären Botschaften immun machen. Zu den
psychischen Faktoren gehören all jene, die ich weiter oben auch schon aufgeführt habe.
Kindheitserinnerungen an eine positive Beziehung zu der Mutter, Zuneigung zwischen den Eltern,
positive Persönlichkeitszüge der Mutter und Ausdruck positiver Emotionen durch die Mutter erwiesen
sich alle als mit Orgasmusfähigkeit verbunden. Noch enger hingen der Grad der emotionalen
Anteilnahme und die Dauer der Beziehung zum Zeitpunkt der ersten Koituserfahrungen der Frau, die
bei dieser Erfahrung erlebte Lust, die gegenwärtige Anziehungskraft des Körpers ihres Partners und
die eheliche Harmonie damit zusammen. Auch körperliche Beschwerden, z.B. neurologischer Art
(multiple Sklerose...) können Gründe für die Orgasmusunfähigkeit sein. Auch Medikamente und
Drogen können die Orgasmusfähigkeit beeinträchtigen. Die Veränderungen nach der Menopause...
führt auch bei einigen Frauen dazu.
Vaginismus hat keine physiologischen Ursachen; bei diesem psychisch bedingten Leiden verkrampfen sich unwillkürlich die Muskeln um die Vagina. Dies gilt als konditionierter Angstreflex, der
durch die Vorwegnahme einer schmerzhaften und schädigenden Penetration ausgelöst wird. Ursachen:
allgemeine Angst und Unwissenheit bezüglich des Geschlechtsverkehrs, spezifische, durch übertriebene Geschichten, wie schmerzhaft und blutig der erste Verkehr für Frauen sei, aus- gelöste Ängste, ein
Trauma aufgrund eines ungeübten, ungeduldigen Liebhabers, ein Trauma eines Missbrauchs oder
einer Vergewaltigung, Infektionen an der Scheide... Die Ängste dieser Frauen beziehen sich allein auf
die Penetration.
Dyspareunie Schmerzen beim Verkehr haben bei Frauen gewöhnlich einen körperlichen Grund. (z.B.
entbindungsbedingte Schmerzen, Narben, Infektionen, allergische Reaktionen...)
Therapien für sexuelle Funktionsstörungen
Die letzten 20 Jahren brachten einen Umbruch in den psychotherapeutischen Verfahren. Vorher
brauchte man vor allem die freudsche Psychoanalyse, welche die Ursachen der Störungen vor allem
darin sah, dass die Entwicklung des Betroffenen in einer der psychosexuellen Stadien der Kindheit
steckengeblieben war. (Ansatz: Diese Stadien mit dem Therapeut noch einmal erfolgreich durchleben)
In den 50er und 60er Jahren boten dann Verhaltenstherapeuten alternative Therapien an. Nach der
behavioristischen Theorie wurzeln sexuelle Funktionsstörungen in Angst, die bekanntlich die sexuelle
Reaktion blockiert. (Ansatz: Muskelentspannungen, systematische Desensibilisierung...) Dieser angstreduzierende Ansatz war mässig erfolgreich, funktionierte aber nicht, wenn die Hauptgründe der
Störung in Fehlinformationen, einer negativen Einstellung und mangelhafter sexueller Technik lagen.
Als Masters und Johnson 1970 Impotenz und Anorgasmie veröffentlichten, setzte eine Revolution in
der Therapie ein. Ihre Methode wurde bekannt als „Sexualtherapie“. Im Laufe der Jahre wurde sie
erweitert und heute haben wir ein komplexes Behandlungsverfahren mit mehreren Komponenten,
darunter kognitive, verhaltenstherapeutische und kommunikationsverbessernde Techniken. Zudem ist
die Sexualtherapie eine Kurztherapie, die sich direkt auf das sexuelle Problem konzentriert statt auf
eine Umstrukturierung der Persönlichkeit, und vom Charakter her direktiv. 15 bis 20 wöchentliche
Therapiesitzungen genügen für die meisten Funktionsstörungen.
41
Der erste Schritt der Therapie besteht in der Beurteilung und begrifflichen Definition des Problems.
Bei einer medizinischen Untersuchung auf mögliche organische Probleme werden die Patienten nach
ihrer „sexuellen Vorgeschichte“ befragt. Die aktuelle Praxis ist, der Vergangenheit viel weniger Zeit
zu widmen als den Emotionen, Einstellungen und Verhaltensweisen, die die Störung jetzt
aufrechterhalten. Wichtig ist das Prinzip beidseitiger Verantwortlichkeit. (Beide Partner haben
Anteil an dem sexuellen Problem.) Ein zweiter wichtiger Bestandteil der Sexualtherapie ist die
Informationsvermittlung über Sexualität. Die dritte Komponente besteht in der Arbeit am
problematischen Einstellungen, Kognitionen und Überzeugungen hinsichtlich Sexualität.
Weiterhin gehört die Beseitigung von Leistungsangst und der Beobachterrolle durch Techniken der
sensorischen Fokussierung und des nichtfordernden Lustspenders. Die sexuelle Bezieh-ung
zwischen den Partnern wird eigentlich von Grund auf aufgebaut. Die fünfte Komponente besteht
darin, die Kommunikation und die Effektivität der sexuellen Technik zu verbessern. Der letzte
Bestandteil der Therapie zielt darauf ab, einen destruktiven Lebensstil und die ehelichen
Interaktionen zu ändern. (Prioritäten neu ordnen, Zeitpunkt des Verkehrs...)
Verminderte sexuelle Appetenz und sexuelle Aversion Aufgrund der vielen, schwierigen psychologischen Probleme erfordern diese Art von Störungen eine längere und komplexere Therapie. Jerry
Friedman und Ronald J. Comer entwickelten (1988) dazu ein stufenweises Therapiemodell aus vier
Schritten. 1. Die gefühlsmässige Bewusstmachung 2. Die Einsichtnahme (Dem Patienten zu
verstehen helfen, warum er, die in der ersten Phase identifizierten negativen Emotionen hat. 3.
kognitive und emotionale Veränderung 4. verhaltenstherapeutische Intervention (sensori-sche
Fokussierung, Fertigkeitstraining... werden eingeführt) Bei sexueller Aversion aufgrund eines
Missbrauchs oder einer Vergewaltigung kommen zusätzliche Therapieverfahren zum Einsatz. Die
Patientin wird ermutigt, sich das Ereignis wieder ins Gedächtnis zu rufen und solange über diese
Erinnerungen nachzudenken und zu reden, bis sie nicht mehr traumatisch sind.
Kleiner Exkurs: Die Mythen über Geschlechtsrollen auf der Seite 520
Erektionsstörung Auch da wird die Leistungsangst reduziert und die Stimulation gesteigert. Wenn es
sich auch um organische Beeinträchtigung der Erektion handelt, braucht es häufig auch eine
medizinische Intervention. Verbreitet ist da die Implantation einer Penisprothese, die für eine
künstliche Erektion sorgt. Eine nichtoperative Methode zur Behebung ist die Vakuumerektionshilfe.
Durch ein Vakuum wird das Blut in den Penis gezogen. In manchen Fällen nützen auch
gefässchirurgische Eingriffe oder intravenöse zugeführte Medikamente, die die Penisarterien
erweitern.
Ejaculatio praecox Vorzeitige Ejakulation lässt sich mit fast 100prozentigem Erfolg durch direktes,
verhaltenstherapeutisches Training der Kontrollfähigkeit über die Ejakulation behandeln.
Gehemmte Ejakulation Gehemmter Orgasmus beim Mann wird behandelt, indem man seine
Leistungsangst reduziert und angemessene Stimulation sicherstellt
Erregungs- und Orgasmusstörungen bei der Frau Therapiert wird mit Selbstexploration, Förderung des Körperbewusstseins und gezieltes Masturbationstraining (in neun Schritten). Wie wir bereits
sahen, halten die Sexualtherapeuten das Ausbleiben eines Orgasmus beim Verkehr nicht für
problematisch, sofern die Frau den Verkehr geniesst und zum Orgasmus kommt, wenn ihr Partner sie
liebkost. Es geht darum, solchen Frauen zu vermitteln, dass sie völlig normal sind.
Vaginismus Patientinnen mit Vaginismus üben, den Musculus pubococcygeus, der zum Beckenboden gehört und die Vagina umgibt, anzuspannen und zu entspannen, bis sie ihn willentlich
kontrollieren können. Der Therapeut betont die Notwendigkeit wirksamer Stimulation, damit sie lernt,
die Penetration mit vaginaler Lubrikation, Lust und Erregung statt mit Angst zu assoziieren. Die
Therapie des Vaginismus ist äusserst erfolgreich. (mehr als 90%)
42
Dyspareunie Es gibt keine spezifische Therapie für „psychogene“ Dyspareunie. Da diese diese
Störung im Grunde genommen mangelnde Erregung ist, werden die allgemeinen sexualtherapeutischen Verfahren und die spezifischen Techniken zur Förderung von Erregung und Orgasmus bei der
Frau benutzt.
Paraphilien
Die Definition dieser Störung habe ich weiter oben schon eingeführt. Laut DSM-IV wird eine
Diagnose nur an Personen vergeben, die diese Impulse oder Verhaltensweisen seit mindestens sechs
Monaten verspüren und ihnen wiederholt nachgeben oder unter extremen Schuldgefühlen leiden.
Relativ wenige Menschen erhalten tatsächlich die offizielle Diagnose „Paraphilie“, doch der grosse
Markt paraphiler Pornographie und anderen Zubehörs lässt die Kliniker vermuten, dass die Störungen
recht häufig sind. Insgesamt erbrachte die Forschung relativ wenig über die Ursachen und Therapiemöglichkeiten der meisten dieser Störungen (die meisten Männer haben).
Fetischismus Die Hauptmerkmale sind wiederkehrende, starke sexuelle Impulse und sexuell
erregende Phantasien, an denen der Gebrauch eines leblosen Objektes, oft unter Ausschluss aller
anderen Stimuli, beteiligt ist. Gewöhnlich beginnt die Störung in der Adoleszenz. Die Ursachen des
Fetischismus sind noch unklar. Die Behavioristen glauben jedoch, dass Fetische durch klassische
Konditionierung erworben werden. Sie versuchten manchmal, einen Fetischismus mit Aversionstherapie zu behandeln. In einer Studie erhielten die fetischistischen Probanden einen Elektroschock am
Arm oder Bein, während sie sich ihre Wunschobjekte vorstellten. Bei einer anderen Aversionstechnik,
der verdeckten Sensibilisierung, sollen sich Personen mit Fetischismus das lustspendende, jedoch
unerwünschte Objekt vorstellen und dieses Bild wiederholt mit einem vorgestellten aversiven
Stimulus verknüpfen, bis sie das Objekt des erotischen Verlangens nicht mehr begehren. Eine weitere
Varhaltenstherapie des Fetischismus ist die masturbatorische Sättigung. Dabei masturbiert der Klient
bis zum Orgasmus, während er laut über ein sexuell angemessenes Objekt phantasiert, und geht dann
dazu über, über fetischistische Objekte in allen Einzelheiten zu phantasieren, während er bis zum
Orgasmus masturbiert; die fetischistische Phantasie setzt er dann eine Stunde lang fort. Dieses
Verfahren soll Überdruss erzeugen, der wiederum mit dem Fetisch assoziiert wird.
Transvestitischer Fetischismus oder Transvestitismus ist gekennzeichnet durch das wiederkehrende Bedürfnis oder Verlangen, Kleider des anderen Geschlechts zu tragen, um sich sexuell zu
erregen. Die typische Person mit Transvestitismus, fast immer ein heterosexueller Mann, beginnt in
der Kindheit oder Adoleszenz, Frauenkleider zu tragen. Transvestitischer Fetischismus wird oft mit
Transsexualismus verwechselt, doch wie wir gleich sehen werden, sind dies zwei völlig getrennte
Störungen. Die Entwicklung des Transvestitismus scheint manchmal den Prinzipien der operanten
Konditionierung zu folgen. (Verstärkung für das Verkleiden)
Pädophilie, wörtlich „Liebe zu Kindern“. Diese Personen suchen sexuelle Befriedigung durch Beobachten, Berühren oder einfache bis komplexe sexuelle Handlungen von und an präpubertären
Kindern, die gewöhnlich bis 13 Jahre alt sind. Einige pädophile Menschen fühlen sich ausschliesslich
von Kindern angezogen (ausschliesslicher Typus), andere auch von Erwachsenen (nichtausschliesslicher Typus) Studien sprechen dafür, dass das Opfer den Belästiger meistens kennt und dass
in 15 bis 30 Prozent der Fälle sexueller Belästigung Inzest vorliegt. Diese Störung entwickelt sich
gewöhnlich in der Adoleszenz. Viele pädophile Menschen wurden als Kinder selbst sexuell
missbraucht. Manche Kliniker vermuten, dass die Hauptursache dieser Störung häufig in Unreife liegt.
Die sozialen und sexuellen Fertigkeiten können unterentwickelt sein, so dass die Person bereits bei
dem Gedanken an eine normale sexuelle Beziehung intensive Angst verspürt. Manche Pädophile
zeigen auch fehlerhaftes Denken in Rationalisierungen wie „Sex mit Kindern ist in Ordnung, solange
sie damit einverstanden sind.“ Zu den verschiedenen Therapien zählen die schon bei anderen
Paraphilien erwähnten, etwa die Aversionstherapie und die masturbatorische Sättigung. Eine weitere,
auch bei anderen Paraphilien angewandte Methode ist die orgasmische Neuorientierung (Enright
1989). Schliesslich gibt es eine kognitive Verhaltenstherapie für Pädophilie: das
Rückfallpräventions-training. Nach dem Vorbild der Programme zur Rückfallprävention in der
Therapie der Drogenab-hängigkeit (siehe im Buch Seite 493) hilft diese Methode dem Klienten, die
problematischen Situationen, die seine pädophilen Phantasien und Handlungen gewöhnlich auslösen
43
(wie depressive Stimmung oder verzerrtes Denken), zu identifizieren und Strategien zu entwickeln,
mit denen er diese Situationen vermeiden oder effektiver bewältigen kann. Eine Studie an 147
Personen mit Pädophilie ergab fünf Jahre nach dieser Therapie eine Rückfallquote von nur vier
Prozent.
Exhibitionismus Eine Person, die an Exhibitionismus leidet, hat die sexuell erregende Phantasie, ihre
Genitalien vor einer anderen Person, fast immer des anderen Geschlechts, zur Schau zu stellen, sowie
den wiederkehrenden, intensiven Drang, diese Phantasie auszuagieren. Weitere sexuelle Aktivitäten
mit der anderen Person werden gewöhnlich nicht versucht oder gewünscht. Dagegen besteht häufig
der Wunsch, den anderen zu erschrecken oder zu überraschen. Im allgemeinen tritt die Störung vor
dem 18. Lebensjahr auf, und praktisch alle Exhibitionisten sind Männer. Viele zweifeln an oder
ängstigen sich um ihre Männlichkeit, und manche scheinen stark an eine besitzer-greifende Mutter
gebunden zu sein. Die Therapie entspricht der für andere Paraphilien.
Voyeurismus, wiederkehrende, starke sexuelle Impulse, heimlich ahnungslose Menschen beim
Auszeihen oder Paare beim Verkehr zu beobachten. Das Risiko, entdeckt zu werden, erhöht die
Erregung der Person oft noch. Voyeurismus beginnt gewöhnlich vor dem 15. Lebensjahr und neigt zu
chronischem Verlauf. Elemente des Exhibitionismus als auch des Voyeurismus können in der
normalen Sexualität eine Rolle spielen, doch dann sind die Partner damit einverstanden. Die klinische
Störung Voyeurismus ist dadurch gekennzeichnet, dass die Privatsphäre eines anderen wiederholt
verletzt wird. Jeder psychologische Ansatz (Behaviorismus, die Psychodynamiker...) hat ein wenig
eine andere Erklärung für dieses Verhalten.
Frotteurismus, wiederkehrende, starke sexuelle Impulse, eine andere Person, die damit nicht einverstanden ist, zu berühren oder sich an ihr zu reiben, oder entsprechende, sexuell erregende
Phantasien. Frotteurismus (franz. frotter - reiben) beginnt üblicherweise in der Adoleszenz oder früher.
oft nachdem die Person beobachtet, wie ein anderer eine Frottage begeht. Wenn die Person etwa 25
Jahre alt ist, nimmt die Häufigkeit der Handlungen allmählich ab, und oft verschwinden sie ganz.
Sexueller Masochismus Menschen haben wiederholte starke sexuelle Impulse und Phantasien, die
darum kreisen, gedemütigt, geschlagen, gefesselt zu werden oder sonstige Leiden zugefügt zu
bekommen. Bei einer bestimmten Form des sexuellen Masochismus, der Hypoxiphilie, würgen sich
die Betroffenen zur Steigerung ihrer sexuellen Lust selbst oder bringen sich in Erstickungsgefahr, oder
sie bitten den Partner darum. Es gibt sogar eine wachsende Zahl klinischer Berichte über
autoerotische Asphyxie: Die Betroffenen, gewöhnlich männlich und manchmal nicht älter als zehn
Jahre, führen unabsichtlich einen tödlichen Sauerstoffmangel im Gehirn herbei, indem sie sich beim
Masturbieren aufhängen, ersticken oder strangulieren. In den meisten Fällen beginnen die masochistischen sexuellen Phantasien in der Kindheit. Die Person agiert sie aber erst später aus, gewöhnlich im
frühen Erwachsenenalter. In vielen Fällen scheint sich das Muster des sexuellen Masochismus durch
klassische Konditionierung entwickelt zu haben.
Kleiner Exkurs auf den Seiten 528 - 530 Vergewaltigung; Seiten 532 - 534 Homosexualität
Sexueller Sadismus Gewöhnlich ein Mann, - erlebt intensive sexuelle Erregung, wenn er anderen
Personen real oder in der Phantasie körperliches oder psychisches Leid zufügt. Die Bezeichnung leitet
sich aus dem Namen Marquis de Sade (1740 - 1814) der anderen solche Grausamkeiten zufügte.
Erscheinung und Ausübung wie beim Masochismus. Das Muster ist chronisch. Auch hier handelt es
sich, nach der Vermutung der Behavioristen, bei der Entstehung häufig um eine klassischen
Konditionie-rung. Die Behavioristen glauben auch, dass in vielen Fällen auch das Modelllernen zu
Grunde liegt. Die psychodynamischen und kognitiv orientierten Theoretiker meinen, dass sexuellem
Sadismus sexuelle Minderwertigkeitsgefühle oder Unsicherheit zugrunde liegen und dass die
Betroffenen Schmerz zufügen, um ein Machtgefühl zu erleben, das wiederum ihre sexuelle Erregung
steigert. Einige biologisch orientierte Untersuchungen fanden umgekehrt Anzeichen möglicher
Funktionsstörungen im endokrinen System von Personen mit Sadismus. Keine der Untersuchungen
wurde jedoch systematisch untersucht oder konsistent empirisch bestätigt. Der sexuelle Sadismus
wurde mit aversiver Konditionierung behandelt. Es ist unklar, ob dies bei sexuellem Sadismus
44
durchgängig wirksam ist. Rückfallpräventionstraining, das bei einigen kriminellen Fällen angewandt
wurde, scheint dagegen etwas zu bewirken.
Gesellschaftliche Normen und sexuelle Etiketten
Die Definition der verschiedenen Paraphilien hängt wie die der sexuellen Funktionsstörungen enger
mit den Normen der Gesellschaft, in der sie auftreten, als mit festen medizinischen Kriterien
zusammen. Wir müssen jedenfalls sehr sorgfältig sein anderen oder auch uns solche Etiketten
anzuhängen. Halten wir uns vor Augen, dass die klinischen Fachleute Homosexualität lange Zeit als
Paraphilie betrachteten und dass dieses Urteil zur Rechtfertigung von Gesetzen und sogar zu
polizeilichen Massnahmen diente.
Störungen der Geschlechtsidentität
Eine der faszinierendsten Störungen im Zusammenhang mit Sexualität ist die Störung der
Geschlechtsidentität oder Transsexualität. Die Betroffenen haben das anhaltende Gefühl, dass bei
ihnen ein riesiger Fehler geschehen ist - sie haben das falsche Geschlecht. Sie sind ständig damit
beschäftigt, wie sie ihre primären und sekundären Geschlechtsmerkmale - die viele von ihnen
abstossend finden - loswerden und die Merkmale des anderen Geschlechts erhalten könnten. (Sie
tragen auch oft die Kleider des anderen Geschlechts und gehen Aktivitäten, die traditionell mit dem
anderen Geschlecht in Verbindung gebracht werden, nach.) Menschen mit der Paraphilie
transvestitischer Fetischismus verkleiden sich, um sich sexuell zu erregen; Transsexuelle haben viel
tiefere Gründe für die Verkleidung, Gründe, die mit der Geschlechtsidentität zu tun haben. Manche
versuchen ihre Geschlechtsmerkmale durch eine Hormonbehandlung (Östrogen und Testosteron) zu
verändern. Verschiedene psychologische Theorien versuchen, diese Störung zu erklären, doch auf
diesem Gebiet liegen nur wenige und im allgemeinen wenig aussagekräftige Forschungsarbeiten vor.
Manche Kliniker vermuten biologische Ursachen, doch die meisten Untersuchungen fanden keine
Unterschiede. Manchmal haben auch Kinder Störungen der Geschlechtsidentität, welche gewöhnlich
in der Adoleszenz verschwindet. Vielen Transsexuellen verhelfen Medikamente und Psychotherapie
zu einem befriedigenden Leben in der Geschlechtsrolle, die sie für ihre wahre halten. Anderen genügt
dies jedoch nicht, und ihre Unzufriedenheit bringt sie dazu, sich einem der umstrittensten Verfahren in
der Medizin zu unterziehen: einer operativen Geschlechtsumwandlung. (erste Operation 1931)
Unbehandelt ist eine Störung der Geschlechtsidentität bei Erwachsenen gewöhnlich chronisch, in
manchen Fällen trat aber auch eine offensichtliche spontane Remission ein.
Der Stand der Wissenschaft: Sexuelle Störungen
Die klinischen Praktiker und Theoretiker haben erst vor kurzem angefangen, die Natur und die
Ursprünge sexueller Funktionsstörungen zu verstehen und wirksame Therapien dafür zu entwickeln.
Bei den Paraphilien, der anderen Gruppe sexueller Störungen, oder den mit Sexualität zusammenhängenden Störungen der Geschlechtsidentität sind die Fortschritte bei Wissen und Therapie noch sehr
beschränkt. In den beiden letzten Jahrzehnten wurde die Sexualität aber zu einem der am intensivsten
untersuchten Gegenstände in der klinischen Forschung. Eine der wichtigsten Einsichten aus diesen
Arbeiten ist der Aufklärungsbedarf über sexuelle Funktionsstörungen. (sehr oft noch gesellschaftliche
Mythen...)
45
Klinische Psychologie
Zusammenfassung, Kapitel 14, Seite 501ff
Jonas Baumann, 033 336 18 94,
[email protected]
Sexuelle Störungen und Störungen der Geschlechtsidentität
Nur für wenige Bereiche des Erlebens und Verhaltens interessieren sich die Menschen mehr als für das
Sexualverhalten. Weil unser Selbstwertgefühl so stark an die sexuelle Leistung geknüpft ist, kreisen
sowohl persönliche Gedanken als auch öffentliche Diskussionen häufig um dieses Thema. Unsere
Gesellschaft ist so neugierig auf gestörtes Sexualverhalten und verbindet soviel Scham damit, dass
viele Menschen mit Problemen in diesem Bereich deswegen noch zusätzlich unter Angst, Schuldgefühlen oder Ekel vor sich selbst zu leiden haben.
Es gibt zwei Arten von Störungen:
sexuelle Funktionsstörungen: Eine Hemmung in einem bestimmten Abschnitt des sexuellen
Reaktionszyklus. (z.B. keine Erregung, kein Orgasmus...)
Paraphilien: Wiederkehrende, starke sexuell erregende Phantasien zu
sexuellen Objekten oder Situationen. (die in der Gesellschaft
gelten)
angemessen
Störungen der Geschlechtsidentität: Diese Personen haben durchgängig das Gefühl, dem
falschen Geschlecht anzugehören und identifizieren sich
mit dem anderen Geschlecht.
Sexuelle Funktionsstörungen
Viele psychischen Störungen betreffen nur eine kleine Gruppe Menschen. Sexuelle Funktionsstörungen wie Erektionsstörungen bei Männern oder Orgasmusschwierigkeiten bei Frauen dagegen
sind sehr verbreitet und sehr leidvoll für die Betroffenen. Folgen davon sind oft sexuelle Frustration,
Schuldgefühle, emotionale Probleme mit dem Sexualpartner. Sexuelle Funktionsstörungen sind ein
häufiger Scheidungsgrund, leider -, denn die meisten lassen sich durch eine relativ kurze Therapie
beheben.
Ein Wort zur Terminologie: Die Menschen drücken sich oft vage aus, wenn sie von Sexualität
sprechen; sie sagen „mit jemandem schlafen“, wenn sie „sich sexuell betätigen“ oder „Sex haben“
meinen. Den Ausdruck „Geschlechtsverkehr“ verwenden wir nur, wenn wir Penetration meinen.
Andere sexuelle Aktivitäten werden ebenfalls genau bestimmt - „genitale Liebkosung“ beispielsweise
statt des weniger deutlichen „Petting“.
Das DSM-IV definiert die sexuellen Funktionsstörungen als psychophysische Störungen, die er der
Person unmöglich machen, den Koitus auszuüben und/oder zu geniessen. Dieser wird (vor allem von
William Masters und Virginia Johnson (1966) sowie Helen Kaphlan (1977)) in einen vierphasigen
sexuellen Reaktionszyklus eingeteilt. Eine Funktionsstörung kann jede der ersten vier Phasen
betreffen, also Appetenzphase, die Erregungsphase und die Orgasmusphase. Die vierte Phase, die
Entspannungsphase ist nicht mit sexuellen Funktionsstörungen verknüpft.
Die Appetenzphase: Verlangen nach sexueller Aktivität, sexuellen Phantasien...
folgende zwei Störungen
Verminderte sexuelle Appetenz (Mangel sex. Aktivität)
sind damit verknüpft:
sexuelle Aversion (Ekel, Abscheu, Angst...)
Die Erregungsphase: allgemeine körperliche Erregung, Steigerung des Herzschlages,
Muskelspannung Blutdruck und Atmung und durch spezifische
Veränderungen im Beckenbereich. Blutandrang oder Vasokongestion im
46
Becken führt beim Mann zur Erektion und bei der Frau zum Anschwellen
Klitoris und Schamlippen sowie Produktion von Vaginalflüssigkeit.
folgende Störungen
Störung der Erektion (Mann) (früher als Impotenz bez.)
sind damit verknüpft:
Störung der Erregung (Frau) (früher Frigidität genannt)
von
Heutige Sexualtherapeuten unterscheiden zwischen körperlicher Erregung und dem subjektiven
Gefühl emotionaler Erregung.
Die Orgasmusphase: reflexartige Muskelkontraktionen im Becken
häufigste Störung:
Ejaculatio praecox (Ejakulation bereits bei minimaler
Stimulierung, bevor es die Person wünscht...)
seltenere Störung beim Mann: gehemmte Ejakulation
Störung bei der Frau:
gehemmten Orgasmus (Es herrscht jedoch Uneinigkeit
darüber, ob das Fehlen eines Orgasmus bei der Frau während
des Verkehrs überhaupt eine sexuelle Funktionsstörung ist.
Weitere Störungen, die sich nicht ganz in das Schema der Phasen einfügen lassen:
Störungen mit sexuell bedingten Schmerzen: Vaginismus (spastische Kontraktionen verhindern das Eindringen des Penis in die Vagina.)
Dyspareunie (schmerzhafte Vereinigung)
schwere Schmerzen bei sexueller Aktivität
Da die Kategorien des DSM-IV ziemlich unscharf sind, werden einer Diagnose häufig zwei
zusätzliche deskriptive Dimensionen hinzugefügt, um das spezielle Problem eines Patienten deutlicher
zu kennzeichnen. Die Störung kann entweder als lebenslang beziehungsweise erworben oder gar
generalisiert beziehungsweise erworben beschrieben werden.
Die Prävalenz sexueller Funktionsstörungen
Es ist sehr schwierig genau anzugeben, wie viele Menschen von sexuellen Funktionsstörungen geplagt
werden. Vielen Betroffenen ist es peinlich, sich in Therapie zu begeben. Trotzdem kam eine Studie
zum Schluss, das 24% der amerikanischen Allgemeinbevölkerung an einer sexuellen Störung leiden.
Diese Rate war die zweithöchste von allen diagnostischen Kategorien; nur die substanz-bezogenen
Störungen kamen häufiger vor.
Die Prävalenz von Funktionsstörungen beim Mann: Entgegen dem Stereotyp, das alle Männer so
darstellt, als ob sie soviel Sex wollen, wie sie nur kriegen können, kommt verminderte sexuelle
Appetenz bei 15% der untersuchten Männer vor. Sexuelle Aversion scheint so selten zu sein, dass sie
in der Studie gar nicht auftaucht. Erektionsstörungen treten bei ca. 10% der Männer auf, meist sind sie
über 50 Jahre alt. Die Häufigkeit von Ejaculatio praecox in epidemiologischen Studien schwankt
zwischen zehn und 38 Prozent, wahrscheinlich weil auch die Definition des Problems schwankt. Die
Orgasmusstörung beim Mann ist eine relativ seltene Störung, sie kommt bei etwa ein bis drei Prozent
der Allgemeinbevölkerung vor.
Die Prävalenz von Funktionsstörungen bei der Frau: Verminderte sexuelle Appetenz kommt bei
20% bis 35% vor. Ein schwacher Sexualtrieb ist heute das häufigste Problem in der klinischen Praxis.
(Wie weit das gesellschaftlich bedingt ist, wäre wohl noch eine interessante Frage... Anmerkung von
mir persönlich) Sexuelle Aversion ist weniger verbreitet. Eine Störung der sexuellen Erregung allein
steht selten im Mittelpunkt von Sexualtherapie oder -forschung, da dieses Leiden gewöhnlich zugleich
mit einer Orgasmusstörung besteht. Den Studien zufolge haben elf von 48% aller Frauen Erregungsstörungen. Zehn bis 15% hatten noch nie einen Orgasmus und weitere zehn bis 15% erleben ihn nur
selten. (Kleiner Exkurs: Die neusten Forschungen haben ergeben, dass es praktisch keinen
Unterschied zwischen einem vaginalen und einem klitoralen Orgasmus gibt!)
Ursachen sexueller Funktionsstörungen
Die Theorien zu den Ursachen sexueller Funktionsstörungen legen den Schwerpunkt auf unterschiedliche Faktoren: auf die Auswirkungen dessen, was in der Kindheit über Sexualität gelernt wurde, auf
problematische Einstellungen und Überzeugungen, auf biologische Ursachen wie Auswirkungen von
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Erkrankungen und Medikamenten, auf individuelle psychodynamische Faktoren und auf Beziehungsprobleme.
Verminderte sexuelle Appetenz und sexuelle Aversion. Die Definition eines schwachen Sexualtriebs ist etwas problematisch. Das DSM-IV definiert spezifiziert nicht, was ein „Mangel“ an
sexuellem Verlangen... ist. Aufgrund der Ergebnisse einer Studie (Siehe Seite 508) ist die Diagnose
„vermin-derte sexuelle Appetenz“ vermutlich erst dann gerechtfertigt, wenn der Patient weniger oft als
einmal alle zwei Wochen Verkehr haben möchte. In den meisten sexualtherapeutischen Fällen geht es
nicht bloss um ein vermindertes sexuelles Verlangen, sondern um ein praktisch nichtexististentes
sexuelles Verlangen. Den Sexualtrieb einer Person beeinflusst ein ganzes Bündel körperlicher und
psychischer Faktoren, von denen jeder einzelne dämpfend wirken kann. Die meisten der einschlägigen
Fälle lassen sich hauptsächlich auf psychische Faktoren zurückführen, doch auch bestimmte
körperliche Bedingungen können das sexuelle Verlangen einer Person drastisch herabsetzen. Zunächst
einmal spielen die Hormone eine wichtige Rolle, resp. der Hormonspiegel. Testosteron, das
wichtigste männliche Sexualhormon, beeinflusst den Sexualtrieb sowohl von Männern als auch Frauen
(wird in den Nebennieren produziert) Luteinsierendes Hormon, das von der Hypophyse im Gehirn
erzeugt wird, regt die Testosteronproduktion an. Östrogen, das wichtigste weibliche Sexualhormon,
hat ebenfalls Bedeutung für den Sexualtrieb. (Frauen nach der Menopause haben manchmal einen zu
niedrigen Östrogenspiegel) Bei Männern beeinträchtigt eine Östrogenkonzentration über dem
normalen, niedrigen Spiegel den Sexualtrieb. Männer produzieren geringe Östrogenmengen, die
jedoch üblicherweise in der Leber abgebaut werden und keine Wirkung haben. Erhöhte Konzentration
von Prolaktin, einem anderen Hypophysenhormon, beeinträchtigen den Sexualtrieb sowohl bei
Männern als auch bei Frauen. Stillende Frauen weisen einen erhöhten Prolaktinspiegel auf, da dieses
Hormon an der Milchproduktion beteiligt ist, und manche von ihnen haben einen herabgesetzten
Sexualtrieb. Auch auffällig hohe oder tiefe Spiegel einiger Schilddrüsenhormone dämpfen den Sexualtrieb. Alle diese hormonellen Auffälligkeiten lassen sich mit Hormonsubstitution oder Medikamenten
behandeln. Es scheint jedoch, dass nur bei einem sehr kleinen Anteil der Fälle von verminderter
sexueller Appetenz die Ursache in auffälligen Hormonspiegeln liegt. Eine Reihe von Medikamenten
(darunter auch Antipsychotika, Antidepressiva...) und Drogen unterdrückt den Sexualtrieb. So kennt
man eine Menge Substanzen, die den Sexualtrieb dämpfen, doch die jahrhundertelange Suche nach
einem echten Aphrodisiakum - einem Mittel, das den Sexualtrieb anregt - blieb bisher erfolglos.
Auch chronische Krankheiten, Scheidung, Todesfall... führen zu vermindertem sexuellen Verlangen,
sowie persönliche Überzeugungen (stark sexualfeindliche religiöse und kulturelle) und Merkmale
(Persönlichkeit). Schon eine unglückliche, konfliktreiche Beziehung genügt, um den Sexualtrieb
erlöschen zu lassen. All diese Faktoren und noch viel mehr können sowohl verminderte sexuelle
Appetenz als auch sexuelle Aversion herbeiführen. Die Erfahrung, sexuell missbraucht oder
vergewaltigt worden zu sein, führt vor allem zu sexueller Aversion.
Erektionsstörung geht oft auf eine Kombination von körperlicher und psychischer Faktoren zurück.
Also psychogene und organische Faktoren. Diesselben hormonellen Auffälligkeiten, die verminderte
sexuelle Appetenz auslösen können, können auch Erektionsstörungen hervorrufen. Doch auffällige
Testosteron-, Östrogen-, Prolaktin- oder Schilddrüsenhormonspeigel finden sich nur in einem geringen
Prozentsatz der Fälle. Gefässbedingte Auffälligkeiten sind viel häufiger. Eine Herzkrankheit, eine
Behinderung des Blutstroms in den Penis durch Arteriosklerose (Arterienverengung, bedingt z.B.
durch jahrelanges starkes Rauchen) oder übermässiger Blutabfluss über abnorm vergrösserte
Penisvenen können eine Erektionsstörung daher eher hervorrufen. Etwa 50% aller Diabetiker haben
Erektionsstörungen, da Diabetes oft die an der Erektion beteiligten peripheren Nerven schädigt.
Verletzungen des Rückenmarks, Nierenversagen und Dialyse, Medikamente... sind weitere Faktoren.
Die psychischen Faktoren sind oft sehr komplex. Auch hier spielen wieder sehr viele
Beziehungspunkte und -muster mit. Weiter fand man heraus, dass arbeitslose Männer mit finanziellen
Schwierigkeiten häufig Erektionsprobleme haben. Ein wichtiger, von Masters und Johnson (1970)
hervorgehobener Mechanismus sind Leistungsangst und die die Beobachterrolle.
Ejaculatio praecox scheint typisch zu sein für junge, sexuell unerfahrene Männer, die einfach nicht
gelernt haben, langsam zu machen, ihre Erregung zu regulieren und den lustvollen Prozess des
sexuellen Aktes zu verlängern. Da das sympathische Nervensystem sowohl an Angst als auch an der
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Ejakulation beteiligt ist, vermuten die Sexualtherapeuten, dass die Versuche, die Ejakulation
zurückzuhalten, Angst auslösen, die wiederum das Problem verschlimmert. (Eine Studie bestätigte
dies jedoch nicht)
Gehemmte Ejakulation kann durch eine Anzahl physiologischer Faktoren entstehen. Auch hier
können Medikamente, Drogen, Alkohol... eine wichtige Rolle spielen. Auch kann eine Gehirnerschütterung gehemmte Ejakulation hervorrufen, die Gründe jedoch sind noch im Dunkeln. Die
psychischen Ursachen der gehemmten Ejakulation dürften denen der gehemmten Erektion ähneln.
Störungen der Erregung und des Orgasmus bei der Frau Die meisten inorgasmischen Frauen, die
zur Therapie kommen, berichten, dass sie sexualfeindlich erzogen wurden (Bestrafung bei
Masturbation, mangelnde Vorbereitung auf den Beginn der Menstruation, Restriktionen der Kontakte
zu Jungen...) Die Forschung bewies jedoch, dass eine derartige Vorgeschichte bei sexuell nicht
gestörten Frauen genau so häufig vorliegt. Leider ist noch offen, welche „Schutzfaktoren“ manche
Frauen gegen diese negativen kulturellen und familiären Botschaften immun machen. Zu den
psychischen Faktoren gehören all jene, die ich weiter oben auch schon aufgeführt habe.
Kindheitserinnerungen an eine positive Beziehung zu der Mutter, Zuneigung zwischen den Eltern,
positive Persönlichkeitszüge der Mutter und Ausdruck positiver Emotionen durch die Mutter erwiesen
sich alle als mit Orgasmusfähigkeit verbunden. Noch enger hingen der Grad der emotionalen
Anteilnahme und die Dauer der Beziehung zum Zeitpunkt der ersten Koituserfahrungen der Frau, die
bei dieser Erfahrung erlebte Lust, die gegenwärtige Anziehungskraft des Körpers ihres Partners und
die eheliche Harmonie damit zusammen. Auch körperliche Beschwerden, z.B. neurologischer Art
(multiple Sklerose...) können Gründe für die Orgasmusunfähigkeit sein. Auch Medikamente und
Drogen können die Orgasmusfähigkeit beeinträchtigen. Die Veränderungen nach der Menopause...
führt auch bei einigen Frauen dazu.
Vaginismus hat keine physiologischen Ursachen; bei diesem psychisch bedingten Leiden verkrampfen sich unwillkürlich die Muskeln um die Vagina. Dies gilt als konditionierter Angstreflex, der
durch die Vorwegnahme einer schmerzhaften und schädigenden Penetration ausgelöst wird. Ursachen:
allgemeine Angst und Unwissenheit bezüglich des Geschlechtsverkehrs, spezifische, durch übertriebene Geschichten, wie schmerzhaft und blutig der erste Verkehr für Frauen sei, aus- gelöste Ängste, ein
Trauma aufgrund eines ungeübten, ungeduldigen Liebhabers, ein Trauma eines Missbrauchs oder
einer Vergewaltigung, Infektionen an der Scheide... Die Ängste dieser Frauen beziehen sich allein auf
die Penetration.
Dyspareunie Schmerzen beim Verkehr haben bei Frauen gewöhnlich einen körperlichen Grund. (z.B.
entbindungsbedingte Schmerzen, Narben, Infektionen, allergische Reaktionen...)
Therapien für sexuelle Funktionsstörungen
Die letzten 20 Jahren brachten einen Umbruch in den psychotherapeutischen Verfahren. Vorher
brauchte man vor allem die freudsche Psychoanalyse, welche die Ursachen der Störungen vor allem
darin sah, dass die Entwicklung des Betroffenen in einer der psychosexuellen Stadien der Kindheit
steckengeblieben war. (Ansatz: Diese Stadien mit dem Therapeut noch einmal erfolgreich durchleben)
In den 50er und 60er Jahren boten dann Verhaltenstherapeuten alternative Therapien an. Nach der
behavioristischen Theorie wurzeln sexuelle Funktionsstörungen in Angst, die bekanntlich die sexuelle
Reaktion blockiert. (Ansatz: Muskelentspannungen, systematische Desensibilisierung...) Dieser angstreduzierende Ansatz war mässig erfolgreich, funktionierte aber nicht, wenn die Hauptgründe der
Störung in Fehlinformationen, einer negativen Einstellung und mangelhafter sexueller Technik lagen.
Als Masters und Johnson 1970 Impotenz und Anorgasmie veröffentlichten, setzte eine Revolution in
der Therapie ein. Ihre Methode wurde bekannt als „Sexualtherapie“. Im Laufe der Jahre wurde sie
erweitert und heute haben wir ein komplexes Behandlungsverfahren mit mehreren Komponenten,
darunter kognitive, verhaltenstherapeutische und kommunikationsverbessernde Techniken. Zudem ist
die Sexualtherapie eine Kurztherapie, die sich direkt auf das sexuelle Problem konzentriert statt auf
eine Umstrukturierung der Persönlichkeit, und vom Charakter her direktiv. 15 bis 20 wöchentliche
Therapiesitzungen genügen für die meisten Funktionsstörungen.
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Der erste Schritt der Therapie besteht in der Beurteilung und begrifflichen Definition des Problems.
Bei einer medizinischen Untersuchung auf mögliche organische Probleme werden die Patienten nach
ihrer „sexuellen Vorgeschichte“ befragt. Die aktuelle Praxis ist, der Vergangenheit viel weniger Zeit
zu widmen als den Emotionen, Einstellungen und Verhaltensweisen, die die Störung jetzt
aufrechterhalten. Wichtig ist das Prinzip beidseitiger Verantwortlichkeit. (Beide Partner haben
Anteil an dem sexuellen Problem.) Ein zweiter wichtiger Bestandteil der Sexualtherapie ist die
Informationsvermittlung über Sexualität. Die dritte Komponente besteht in der Arbeit am
problematischen Einstellungen, Kognitionen und Überzeugungen hinsichtlich Sexualität.
Weiterhin gehört die Beseitigung von Leistungsangst und der Beobachterrolle durch Techniken der
sensorischen Fokussierung und des nichtfordernden Lustspenders. Die sexuelle Bezieh-ung
zwischen den Partnern wird eigentlich von Grund auf aufgebaut. Die fünfte Komponente besteht
darin, die Kommunikation und die Effektivität der sexuellen Technik zu verbessern. Der letzte
Bestandteil der Therapie zielt darauf ab, einen destruktiven Lebensstil und die ehelichen
Interaktionen zu ändern. (Prioritäten neu ordnen, Zeitpunkt des Verkehrs...)
Verminderte sexuelle Appetenz und sexuelle Aversion Aufgrund der vielen, schwierigen psychologischen Probleme erfordern diese Art von Störungen eine längere und komplexere Therapie. Jerry
Friedman und Ronald J. Comer entwickelten (1988) dazu ein stufenweises Therapiemodell aus vier
Schritten. 1. Die gefühlsmässige Bewusstmachung 2. Die Einsichtnahme (Dem Patienten zu
verstehen helfen, warum er, die in der ersten Phase identifizierten negativen Emotionen hat. 3.
kognitive und emotionale Veränderung 4. verhaltenstherapeutische Intervention (sensori-sche
Fokussierung, Fertigkeitstraining... werden eingeführt) Bei sexueller Aversion aufgrund eines
Missbrauchs oder einer Vergewaltigung kommen zusätzliche Therapieverfahren zum Einsatz. Die
Patientin wird ermutigt, sich das Ereignis wieder ins Gedächtnis zu rufen und solange über diese
Erinnerungen nachzudenken und zu reden, bis sie nicht mehr traumatisch sind.
Kleiner Exkurs: Die Mythen über Geschlechtsrollen auf der Seite 520
Erektionsstörung Auch da wird die Leistungsangst reduziert und die Stimulation gesteigert. Wenn es
sich auch um organische Beeinträchtigung der Erektion handelt, braucht es häufig auch eine
medizinische Intervention. Verbreitet ist da die Implantation einer Penisprothese, die für eine
künstliche Erektion sorgt. Eine nichtoperative Methode zur Behebung ist die Vakuumerektionshilfe.
Durch ein Vakuum wird das Blut in den Penis gezogen. In manchen Fällen nützen auch
gefässchirurgische Eingriffe oder intravenöse zugeführte Medikamente, die die Penisarterien
erweitern.
Ejaculatio praecox Vorzeitige Ejakulation lässt sich mit fast 100prozentigem Erfolg durch direktes,
verhaltenstherapeutisches Training der Kontrollfähigkeit über die Ejakulation behandeln.
Gehemmte Ejakulation Gehemmter Orgasmus beim Mann wird behandelt, indem man seine
Leistungsangst reduziert und angemessene Stimulation sicherstellt
Erregungs- und Orgasmusstörungen bei der Frau Therapiert wird mit Selbstexploration, Förderung des Körperbewusstseins und gezieltes Masturbationstraining (in neun Schritten). Wie wir bereits
sahen, halten die Sexualtherapeuten das Ausbleiben eines Orgasmus beim Verkehr nicht für
problematisch, sofern die Frau den Verkehr geniesst und zum Orgasmus kommt, wenn ihr Partner sie
liebkost. Es geht darum, solchen Frauen zu vermitteln, dass sie völlig normal sind.
Vaginismus Patientinnen mit Vaginismus üben, den Musculus pubococcygeus, der zum Beckenboden gehört und die Vagina umgibt, anzuspannen und zu entspannen, bis sie ihn willentlich
kontrollieren können. Der Therapeut betont die Notwendigkeit wirksamer Stimulation, damit sie lernt,
die Penetration mit vaginaler Lubrikation, Lust und Erregung statt mit Angst zu assoziieren. Die
Therapie des Vaginismus ist äusserst erfolgreich. (mehr als 90%)
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Dyspareunie Es gibt keine spezifische Therapie für „psychogene“ Dyspareunie. Da diese diese
Störung im Grunde genommen mangelnde Erregung ist, werden die allgemeinen sexualtherapeutischen Verfahren und die spezifischen Techniken zur Förderung von Erregung und Orgasmus bei der
Frau benutzt.
Paraphilien
Die Definition dieser Störung habe ich weiter oben schon eingeführt. Laut DSM-IV wird eine
Diagnose nur an Personen vergeben, die diese Impulse oder Verhaltensweisen seit mindestens sechs
Monaten verspüren und ihnen wiederholt nachgeben oder unter extremen Schuldgefühlen leiden.
Relativ wenige Menschen erhalten tatsächlich die offizielle Diagnose „Paraphilie“, doch der grosse
Markt paraphiler Pornographie und anderen Zubehörs lässt die Kliniker vermuten, dass die Störungen
recht häufig sind. Insgesamt erbrachte die Forschung relativ wenig über die Ursachen und Therapiemöglichkeiten der meisten dieser Störungen (die meisten Männer haben).
Fetischismus Die Hauptmerkmale sind wiederkehrende, starke sexuelle Impulse und sexuell
erregende Phantasien, an denen der Gebrauch eines leblosen Objektes, oft unter Ausschluss aller
anderen Stimuli, beteiligt ist. Gewöhnlich beginnt die Störung in der Adoleszenz. Die Ursachen des
Fetischismus sind noch unklar. Die Behavioristen glauben jedoch, dass Fetische durch klassische
Konditionierung erworben werden. Sie versuchten manchmal, einen Fetischismus mit Aversionstherapie zu behandeln. In einer Studie erhielten die fetischistischen Probanden einen Elektroschock am
Arm oder Bein, während sie sich ihre Wunschobjekte vorstellten. Bei einer anderen Aversionstechnik,
der verdeckten Sensibilisierung, sollen sich Personen mit Fetischismus das lustspendende, jedoch
unerwünschte Objekt vorstellen und dieses Bild wiederholt mit einem vorgestellten aversiven
Stimulus verknüpfen, bis sie das Objekt des erotischen Verlangens nicht mehr begehren. Eine weitere
Varhaltenstherapie des Fetischismus ist die masturbatorische Sättigung. Dabei masturbiert der Klient
bis zum Orgasmus, während er laut über ein sexuell angemessenes Objekt phantasiert, und geht dann
dazu über, über fetischistische Objekte in allen Einzelheiten zu phantasieren, während er bis zum
Orgasmus masturbiert; die fetischistische Phantasie setzt er dann eine Stunde lang fort. Dieses
Verfahren soll Überdruss erzeugen, der wiederum mit dem Fetisch assoziiert wird.
Transvestitischer Fetischismus oder Transvestitismus ist gekennzeichnet durch das wiederkehrende Bedürfnis oder Verlangen, Kleider des anderen Geschlechts zu tragen, um sich sexuell zu
erregen. Die typische Person mit Transvestitismus, fast immer ein heterosexueller Mann, beginnt in
der Kindheit oder Adoleszenz, Frauenkleider zu tragen. Transvestitischer Fetischismus wird oft mit
Transsexualismus verwechselt, doch wie wir gleich sehen werden, sind dies zwei völlig getrennte
Störungen. Die Entwicklung des Transvestitismus scheint manchmal den Prinzipien der operanten
Konditionierung zu folgen. (Verstärkung für das Verkleiden)
Pädophilie, wörtlich „Liebe zu Kindern“. Diese Personen suchen sexuelle Befriedigung durch Beobachten, Berühren oder einfache bis komplexe sexuelle Handlungen von und an präpubertären
Kindern, die gewöhnlich bis 13 Jahre alt sind. Einige pädophile Menschen fühlen sich ausschliesslich
von Kindern angezogen (ausschliesslicher Typus), andere auch von Erwachsenen (nichtausschliesslicher Typus) Studien sprechen dafür, dass das Opfer den Belästiger meistens kennt und dass
in 15 bis 30 Prozent der Fälle sexueller Belästigung Inzest vorliegt. Diese Störung entwickelt sich
gewöhnlich in der Adoleszenz. Viele pädophile Menschen wurden als Kinder selbst sexuell
missbraucht. Manche Kliniker vermuten, dass die Hauptursache dieser Störung häufig in Unreife liegt.
Die sozialen und sexuellen Fertigkeiten können unterentwickelt sein, so dass die Person bereits bei
dem Gedanken an eine normale sexuelle Beziehung intensive Angst verspürt. Manche Pädophile
zeigen auch fehlerhaftes Denken in Rationalisierungen wie „Sex mit Kindern ist in Ordnung, solange
sie damit einverstanden sind.“ Zu den verschiedenen Therapien zählen die schon bei anderen
Paraphilien erwähnten, etwa die Aversionstherapie und die masturbatorische Sättigung. Eine weitere,
auch bei anderen Paraphilien angewandte Methode ist die orgasmische Neuorientierung (Enright
1989). Schliesslich gibt es eine kognitive Verhaltenstherapie für Pädophilie: das
Rückfallpräventions-training. Nach dem Vorbild der Programme zur Rückfallprävention in der
Therapie der Drogenab-hängigkeit (siehe im Buch Seite 493) hilft diese Methode dem Klienten, die
problematischen Situationen, die seine pädophilen Phantasien und Handlungen gewöhnlich auslösen
51
(wie depressive Stimmung oder verzerrtes Denken), zu identifizieren und Strategien zu entwickeln,
mit denen er diese Situationen vermeiden oder effektiver bewältigen kann. Eine Studie an 147
Personen mit Pädophilie ergab fünf Jahre nach dieser Therapie eine Rückfallquote von nur vier
Prozent.
Exhibitionismus Eine Person, die an Exhibitionismus leidet, hat die sexuell erregende Phantasie, ihre
Genitalien vor einer anderen Person, fast immer des anderen Geschlechts, zur Schau zu stellen, sowie
den wiederkehrenden, intensiven Drang, diese Phantasie auszuagieren. Weitere sexuelle Aktivitäten
mit der anderen Person werden gewöhnlich nicht versucht oder gewünscht. Dagegen besteht häufig
der Wunsch, den anderen zu erschrecken oder zu überraschen. Im allgemeinen tritt die Störung vor
dem 18. Lebensjahr auf, und praktisch alle Exhibitionisten sind Männer. Viele zweifeln an oder
ängstigen sich um ihre Männlichkeit, und manche scheinen stark an eine besitzer-greifende Mutter
gebunden zu sein. Die Therapie entspricht der für andere Paraphilien.
Voyeurismus, wiederkehrende, starke sexuelle Impulse, heimlich ahnungslose Menschen beim
Auszeihen oder Paare beim Verkehr zu beobachten. Das Risiko, entdeckt zu werden, erhöht die
Erregung der Person oft noch. Voyeurismus beginnt gewöhnlich vor dem 15. Lebensjahr und neigt zu
chronischem Verlauf. Elemente des Exhibitionismus als auch des Voyeurismus können in der
normalen Sexualität eine Rolle spielen, doch dann sind die Partner damit einverstanden. Die klinische
Störung Voyeurismus ist dadurch gekennzeichnet, dass die Privatsphäre eines anderen wiederholt
verletzt wird. Jeder psychologische Ansatz (Behaviorismus, die Psychodynamiker...) hat ein wenig
eine andere Erklärung für dieses Verhalten.
Frotteurismus, wiederkehrende, starke sexuelle Impulse, eine andere Person, die damit nicht einverstanden ist, zu berühren oder sich an ihr zu reiben, oder entsprechende, sexuell erregende
Phantasien. Frotteurismus (franz. frotter - reiben) beginnt üblicherweise in der Adoleszenz oder früher.
oft nachdem die Person beobachtet, wie ein anderer eine Frottage begeht. Wenn die Person etwa 25
Jahre alt ist, nimmt die Häufigkeit der Handlungen allmählich ab, und oft verschwinden sie ganz.
Sexueller Masochismus Menschen haben wiederholte starke sexuelle Impulse und Phantasien, die
darum kreisen, gedemütigt, geschlagen, gefesselt zu werden oder sonstige Leiden zugefügt zu
bekommen. Bei einer bestimmten Form des sexuellen Masochismus, der Hypoxiphilie, würgen sich
die Betroffenen zur Steigerung ihrer sexuellen Lust selbst oder bringen sich in Erstickungsgefahr, oder
sie bitten den Partner darum. Es gibt sogar eine wachsende Zahl klinischer Berichte über
autoerotische Asphyxie: Die Betroffenen, gewöhnlich männlich und manchmal nicht älter als zehn
Jahre, führen unabsichtlich einen tödlichen Sauerstoffmangel im Gehirn herbei, indem sie sich beim
Masturbieren aufhängen, ersticken oder strangulieren. In den meisten Fällen beginnen die masochistischen sexuellen Phantasien in der Kindheit. Die Person agiert sie aber erst später aus, gewöhnlich im
frühen Erwachsenenalter. In vielen Fällen scheint sich das Muster des sexuellen Masochismus durch
klassische Konditionierung entwickelt zu haben.
Kleiner Exkurs auf den Seiten 528 - 530 Vergewaltigung; Seiten 532 - 534 Homosexualität
Sexueller Sadismus Gewöhnlich ein Mann, - erlebt intensive sexuelle Erregung, wenn er anderen
Personen real oder in der Phantasie körperliches oder psychisches Leid zufügt. Die Bezeichnung leitet
sich aus dem Namen Marquis de Sade (1740 - 1814) der anderen solche Grausamkeiten zufügte.
Erscheinung und Ausübung wie beim Masochismus. Das Muster ist chronisch. Auch hier handelt es
sich, nach der Vermutung der Behavioristen, bei der Entstehung häufig um eine klassischen
Konditionie-rung. Die Behavioristen glauben auch, dass in vielen Fällen auch das Modelllernen zu
Grunde liegt. Die psychodynamischen und kognitiv orientierten Theoretiker meinen, dass sexuellem
Sadismus sexuelle Minderwertigkeitsgefühle oder Unsicherheit zugrunde liegen und dass die
Betroffenen Schmerz zufügen, um ein Machtgefühl zu erleben, das wiederum ihre sexuelle Erregung
steigert. Einige biologisch orientierte Untersuchungen fanden umgekehrt Anzeichen möglicher
Funktionsstörungen im endokrinen System von Personen mit Sadismus. Keine der Untersuchungen
wurde jedoch systematisch untersucht oder konsistent empirisch bestätigt. Der sexuelle Sadismus
wurde mit aversiver Konditionierung behandelt. Es ist unklar, ob dies bei sexuellem Sadismus
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durchgängig wirksam ist. Rückfallpräventionstraining, das bei einigen kriminellen Fällen angewandt
wurde, scheint dagegen etwas zu bewirken.
Gesellschaftliche Normen und sexuelle Etiketten
Die Definition der verschiedenen Paraphilien hängt wie die der sexuellen Funktionsstörungen enger
mit den Normen der Gesellschaft, in der sie auftreten, als mit festen medizinischen Kriterien
zusammen. Wir müssen jedenfalls sehr sorgfältig sein anderen oder auch uns solche Etiketten
anzuhängen. Halten wir uns vor Augen, dass die klinischen Fachleute Homosexualität lange Zeit als
Paraphilie betrachteten und dass dieses Urteil zur Rechtfertigung von Gesetzen und sogar zu
polizeilichen Massnahmen diente.
Störungen der Geschlechtsidentität
Eine der faszinierendsten Störungen im Zusammenhang mit Sexualität ist die Störung der
Geschlechtsidentität oder Transsexualität. Die Betroffenen haben das anhaltende Gefühl, dass bei
ihnen ein riesiger Fehler geschehen ist - sie haben das falsche Geschlecht. Sie sind ständig damit
beschäftigt, wie sie ihre primären und sekundären Geschlechtsmerkmale - die viele von ihnen
abstossend finden - loswerden und die Merkmale des anderen Geschlechts erhalten könnten. (Sie
tragen auch oft die Kleider des anderen Geschlechts und gehen Aktivitäten, die traditionell mit dem
anderen Geschlecht in Verbindung gebracht werden, nach.) Menschen mit der Paraphilie
transvestitischer Fetischismus verkleiden sich, um sich sexuell zu erregen; Transsexuelle haben viel
tiefere Gründe für die Verkleidung, Gründe, die mit der Geschlechtsidentität zu tun haben. Manche
versuchen ihre Geschlechtsmerkmale durch eine Hormonbehandlung (Östrogen und Testosteron) zu
verändern. Verschiedene psychologische Theorien versuchen, diese Störung zu erklären, doch auf
diesem Gebiet liegen nur wenige und im allgemeinen wenig aussagekräftige Forschungsarbeiten vor.
Manche Kliniker vermuten biologische Ursachen, doch die meisten Untersuchungen fanden keine
Unterschiede. Manchmal haben auch Kinder Störungen der Geschlechtsidentität, welche gewöhnlich
in der Adoleszenz verschwindet. Vielen Transsexuellen verhelfen Medikamente und Psychotherapie
zu einem befriedigenden Leben in der Geschlechtsrolle, die sie für ihre wahre halten. Anderen genügt
dies jedoch nicht, und ihre Unzufriedenheit bringt sie dazu, sich einem der umstrittensten Verfahren in
der Medizin zu unterziehen: einer operativen Geschlechtsumwandlung. (erste Operation 1931)
Unbehandelt ist eine Störung der Geschlechtsidentität bei Erwachsenen gewöhnlich chronisch, in
manchen Fällen trat aber auch eine offensichtliche spontane Remission ein.
Der Stand der Wissenschaft: Sexuelle Störungen
Die klinischen Praktiker und Theoretiker haben erst vor kurzem angefangen, die Natur und die
Ursprünge sexueller Funktionsstörungen zu verstehen und wirksame Therapien dafür zu entwickeln.
Bei den Paraphilien, der anderen Gruppe sexueller Störungen, oder den mit Sexualität zusammenhängenden Störungen der Geschlechtsidentität sind die Fortschritte bei Wissen und Therapie noch sehr
beschränkt. In den beiden letzten Jahrzehnten wurde die Sexualität aber zu einem der am intensivsten
untersuchten Gegenstände in der klinischen Forschung. Eine der wichtigsten Einsichten aus diesen
Arbeiten ist der Aufklärungsbedarf über sexuelle Funktionsstörungen. (sehr oft noch gesellschaftliche
Mythen...)
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