Weitere Files findest du auf www.semestra.ch/files DIE FILES DÜRFEN NUR FÜR DEN EIGENEN GEBRAUCH BENUTZT WERDEN. DAS COPYRIGHT LIEGT BEIM JEWEILIGEN AUTOR. ZUSAMMENFASSUNGEN COMER: KLINISCHE PSYCHOLOGIE . KP. 4, 7, 9, 14 4. Klinische Untersuchung, klinische Urteilsbildung und klinische Diagnose Klinische Praktiker interessieren sich vorwiegend für ideographische (personenspezifische) Information über ihre Klienten. Um ihnen helfen zu können, müssen sie diese Menschen so umfassend wie möglich verstehen und die Natur und Ursprünge ihrer Probleme erkennen. Dieses ideographische Verständnis erreichen sie durch Untersuchung, Urteilsbildung und Diagnose. 4.1. Die klinische Untersuchung Klinische Untersuchung: Die Methoden der klinischen Untersuchung sollen verschiedene Dinge feststellen ob und warum sich eine Person abweichend verhält wie man ihr helfen könnte ob eine Person Fortschritte gemacht hat ob die Behandlung geändert werden muss Klinische Untersuchungen spielen auch in der Forschung eine wichtige Rolle, die Forscher müssen wissen, ob eine best. Stichprobe repräsentativ ist, dazu müssen sie die Probanden untersuchen können. Manchmal verlassen sich die Forscher aber auch auf die Untersuchungen, welche die Kliniker bereits geleistet haben. Welche jeweiligen Untersuchungsverfahren und Hilfsmittel ein Kliniker auswählt, hängt von seiner theoretischen Orientierung ab: Persönlichkeitstest: Sie geben psychodynamisch orientierten Klinikern Infos über Teilbereiche der Persönlichkeit und decken womöglich unbewusste Konflikte eines Menschen auf. Verhaltensanalyse: Behavioristische und kognitiv orientierte Kliniker benutzen Untersuchungsmethoden, die detailliertere Infos liefern. Die Verhaltensanalyse zielt auf eine funktionale Analyse des Verhaltens der Person ab; wie die betreffenden Verhaltensweisen gelernt haben und verstärkt wurden. Alle theoretischen Ansätze haben Hunderte von Untersuchungsverfahren und Werkzeugen entwickelt, die meisten lassen sich aber in drei Kategorien zuordnen: klinischen Interviews, Tests und Beobachtungen. Klinische Interviews Klinische Interviews: In zwischenmenschlichen Aktionen können wir Reaktionen auf unsere Fragen beobachten und ihre Antworten hören, sehen, wie die Person uns beobachtet und einen allgemeinen Eindruck von der Person erhalten. Das klinische Interview ist eine solche direkte Begegnung. Die Art wie Menschen etwas sagen kann genau so aufschlussreich sein, wie das, was sie sagen. Durchführung des Interviews Der Interviewer muss herausfinden, welcher Hintergrund und welche Erfahrungen den Klienten zu dem gemacht haben, was er ist: detaillierte Informationen über die 1 gegenwärtigen Probleme und Empfindungen, Lebensumstände, Beziehungen, persönliche Geschichte. Zudem widmen sich die Kliniker allen Themen, die sie für die wichtigsten halten: Psychodynamisch orientierte Kliniker: Bedürfnisse, Phantasien, relevante Erinnerungen an vergangene Ereignisse und Beziehungen. Sie achten darauf, wie die Person das Interview gestaltet. Behavioristische Kliniker: Akronym SORK Infos über die Stimuli (Reize), die das gestörte Verhalten auslösen, über den Organismus (Person), über die Natur der gestörten Reaktionen und über die Konsequenzen dieser Reaktionen. Kognitive Kliniker: Annahmen, Interpretationen und kognitive Bewältigungsstrategien, welche die Handlungs- und Empfindungsweise beeinflussen. Humanistische Kliniker: fragen nach dem Selbstkonzept, versuchen die ganz persönliche Wahrnehmung der Person kennenzulernen. Biologische Kliniker: suchen nach Anzeichen einer biochemischen oder neurologischen Störung. Interviewformen: Unstrukturiertes Interview: Bevorzugt von psychodynamischen und humanistischen Klinikern. Der Kliniker stellt offene Fragen, folgt interessanten Hinweisen, setzt thematisch kaum Grenzen. + Wichtige Themen können auftauchen, die der Kliniker nicht vorausahnen konnte + Besseres Abschätzen, was dem Klienten wichtig ist Strukturiertes Interview: Bevorzugt von behavioristischen, kognitiven und biologisch orientierten Klinikern. Eine Reihe vorbereiteter Fragen werden gestellt z.T mit Interviewleitfaden: Sammlung von Standardfragen oder -themen, die in jedem Interview verwendet werden können. + Interviewer kann Reaktion des Klienten mit der von andern vergleichen Prüfung des psychischen Status: Spez. Fragen, die Art und Ausmass der Störung genau ermitteln (kommt oft in strukturierten Interviews vor) Die meisten klinischen Interviews setzen sich aus strukturierten und unstrukturierten Teilen zusammen, viele Kliniker bevorzugen aber eine Variante: Schwächen Klinischer Interviews - Information ist durch den Klienten vorselektiert - Störungen können es den Klienten verunmöglichen, gültige Infos zu liefern - Subjektive Urteile der Interviewer können Infos verzerren - Voreingenommenheit z.B. hinsichtlich Geschlecht und Hautfarbe - Klienten reagieren unterschiedlich auf verschiedene Interviewer Verscheidene Kliniker kommen manchmal zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen bei derselben Person, manche Forscher finden, man soll diese Untersuchungsform abschaffen. Leider gibt es aber noch keine andern, unproblematischen Verfahren. Klinische Tests Tests: Instrumente, mit denen man Infos über einzelne Aspekte des Erlebens und Verhaltens einer Person sammeln kann. Sie werden eingesetzt, wenn sich Kliniker über Feinheiten informieren wollen und um das Erleben und Verhalten einer Person mit dem anderer Personen zu vergleichen. USA: über 500 versch. Klinische Standardtests: Fünf Kategorien 1. Projektive Tests: unstrukturiertes, mehrdeutiges Material, auf das die Menschen reagieren sollen. Soll die psychische Struktur einer Person widerspiegeln. 2 2. Selbstbeurteilungsfragebögen: Listen von (un)zutreffenden Aussagen. Soll Einblick in Prsönlichkeit, Verhaltensmuster, Emotionen und Überzeugungen geben. 3. Psychophysische Tests: Messen physiologische Reaktionen wie Puls, Muskelspannung, etc. Mögliche Indikatoren psychischer Probleme 4. Neuropsychologische Tests: Weisen auf neurologische Beeinträchtigungen hin 5. Intelligenztests: messen die intellektuelle Begabung einer Person Wenn ein Test nützlich sein soll, muss er standardisiert sein, Reliabilität und Validität besitzen. Standartisierung standartisierter / geeichter Test: Eine grosse Anzahl Probanden hat den Test absolviert, deren Abschneiden dient als allgemeiner Masstab / Norm, an der man den Wert des Individuums messen kann Eichstichprobe: Die ursprüngliche Probandengruppe. Sie muss repräsentativ für die Population sein, für die der Test gedacht ist. In manchen Fällen ist es nützlich, mehr als eine Norm zu erheben (z.B. Männer/Frauen) Reliabilität Reliabilität: Mass der Konsistenz oder Stabilität von Testergebnissen. Ein guter Test führt in der gleichen Situation immer zu gleichen Ergebnissen. (reliable Waage zeigt immer gleiches Gewicht für gleichen Gegenstand an) Retest-Reliabilität: wenn Test bei zweimaliger Anwendung am selben Menschen identische Ergebnisse erzielt, hat er hohe * Paralleltest-Reliabilität: Der Paralleltest besteht aus gleichartigen Fragen wie der ursprüngliche. Der Proband beantwortet beide Tests und die Werte werden korreliert. Eine hohe Korrelation der beiden Tests = hohe * Interne Reliabilität: Wenn die verschiedenen Teile eines Tests zu identischen Ergebnissen führen = hohe *. Um dies zu prüfen verwendet wir die Methode der Testhalbierung: Die Reaktion auf ungeradezahlige und geradezalige Items wird verglichen. Sind die Werte der beiden Testhälften eng korreliert, ist der Test intern reliabel. Interrater Reliabilität / Interbeurteilerreliabilität: Wenn verschiedene Auswerter unabhängig voneinander zu denselben Punktwerten gelangen hat Test hohe * Validität valide Ergebnisse: gültige Ergebnisse. Validität: Die Validität eines Instrumentes gib an, bis zu welchem Grad es das misst, was es messen soll. (z.B. Waage, die für 1 Kg Zucker immer 800g anzeigt, ist zwar reliabel aber nicht valide) 1. Augenscheinvalidität: Wenn ein Test plausibel wirkt. Kann die Vertrauenswürdigkeit eines Tests nicht bestätigen. 2. Vorhersagevalidität: Die Fähigkeit eines Tests, die zukünftigen Eigenschaften oder Verhaltensweisen einer Person vorherzusagen. Es ist schwierig, die Vorhersagevalidität eines Tests zu bestimmen, weil in der Zwischenzeit unzählige Störfaktoren einwirken können. 3. Übereinstimmungsvalidität: Der Grad, in dem die Testwerte mit anderer verfügbarer Information übereinstimmen. 4. Inhaltsvalidität: Test hat hohe *, wenn er alle wichtigen Aspekte des Verhaltens, der Fähigkeiten und er Eigenschaften misst, die er messen soll. 5. Konstruktvalidität: Ein Test soll * besitzen, d.h., er soll wirklich das messen, was er messen soll und nicht etwas völlig anderes (z.B ein multiple choice Psychologietest misst nicht die Fähigkeit / das Wissen in Psychologie, sondern die (Un)Fähigkeit zum Lösen von Multiple choice Tests. Solche Tests haben also keine Konstruktvalidität. 3 Projektive Tests Bei diesen Tests sollen die Probanden sollen interpretierte Antworten auf Fragen mit relativ vagen Stimuli wie Tintenkleckse oder mehrdeutige Bilder geben oder offenen Aufforderungen nachkommen (z.B. zeichne einen Menschen) Die Tests basieren auf der Annahme, dass den Probanden nichts anderes übrigbleibt, als Aspekte ihrer eigenen Persönlichkeit in die Aufgabe zu „projizieren“. Projektive Tests werden hauptsächlich von psychodynamisch orientierten Klinikern angewandt. Die meistverwendeten projektiven Tests sind der Rorschach-Test, der Thematische Apperzeptionstest und der Satz-Ergänzungs- und Zeichentest. Rohrschach-Test Hermann Rorschach und der Rorschach-Test: 1911 experimentierte der Schweizer Psychiater mit dem Einsatz von Tintenklecksen zur psychiatrischen Diagnose. Er stellte fest, dass alle Menschen Bilder in den Klecksen sahen und das das wahrgenommene Bild in bedeutsamer Weise dem psychischen Zustand des Sehers entsprach. Rorschach starb im Alter von 37 Jahren (8 Monate später). Seine Kollegen setzten seine Arbeit fort. Seine Tintenkleckse haben einen festen Platz unter den meist benutzten projektiven Tests dieses Jh. erobert. 1. Freie Assoziation / Deutungsphase: Der Proband wird gefragt, was er in dem Tinenklecks sieht, er wird zu mehreren Antworten ermutigt 2. Befragungsphase: Der Kliniker versucht herauszufinden, was die Reaktion des Probanden beeinflusst oder hervorgerufen hat 3. Grenzen testen: (fakultative Phase) Der Kliniker fragt den Probanden, ob er auch Dinge sehen kann, die andere Menschen üblicherweise sehen thematischer Gehalt: Früher widmten die Kliniker In der Auswertungsphase den assoziierten Themen, Bildern und Phantasien mehr Aufmerksamkeit, also dem * Heute spielt der thematische Gehalt immer noch eine Rolle, aber die meisten Tester legen mehr Gewicht auf den Erfassungs- und Erlebnistypus der Probanden. Sehen sie den Klecks aus Ganzheit oder sehen sie Einzelheiten? Sehen sie die Bilder in den Klecksen oder in den Zwischenräumen? Berücksichtigen sie Schattierungen und Farben? Sehen sie Bewegungen von Menschen, Tieren oder unbelebte Objekte? Thematischer Apperzeptionstest (TAT) Thematischer Apperzeptionstest (TAT): Der TAT ist ein projektiver Bildertest, entwickelt vom Psychologen Henry A. Murray 1935. Gebrächlichste Version (von 1943) = 30 Schwarzweissbilder, die Menschen in nicht eindeutig definierten Situationen darstellen. Die Kliniker wählen für jeden Klienten andere Karten aus. Die Klienten erzählen zu jeder Karte eine spannende Geschichte, erzählen, was die Figuren fühlen und denken und wie die Situation ausgehen wird. Danach folgt eine Befragungsphase, um die Antworten weiter zu klären. Die Kliniker glauben, dass sich die Menschen mit einer Figur identifizieren. Diese Figur, der Held hat Bedürfnisse und ist Zwängen ausgesetzt. Die Kliniker schauen sowohl wie, als auch was ein Klient erzählt. Satzergänzungstest Satzergänzungstest: Entwickelt vor mehr als 60 J. Besteht aus unvollendeten Sätzen, die vervollständigt werden sollen. Für verschiedene Alter gib es versch. Versionen. + Der Test kann ohne Anwesenheit des Testleiters durchgeführt werden + Gutes Sprungbrett für ein Gespräch + Schnelle, einfache Möglichkeit, die zu besprechenden Themen herauszufiltern Zeichnungen 4 Basiert auf derAnnahme, dass Zeichnungen etwas über den Zeichner aussagen. Bewertung dieser Zeichnungen nach: Qualität, Form, Bleistiftstrich, Platzierung auf dem Blatt, Grösse und Eigenschaft der Figuren, Verwendung des Hintergrunds und Bemerkungen des Zeichnenden während des Zeichnens. Draw-a-person-Test (DAP): Bei den Klinikern der beliebteste Test. Probanden zeichnen zuerst einen Menschen, dann einen zweiten andern Geschlechts. Grosse Augen z.B = grosses Misstrauen, übertrieben grosser od. kleiner Kopf kann auf Störungen der intellektuellen Leistungs-fähigkeit hinweisen, etc. Der Nutzen projektiver Tests Während man sich bis zu den 50er Jahren auf projektive Tests als Hauptindikatoren der Persönlichkeit stützte, brauchen Kliniker dieses Instrument heute eher als Ergänzung. - Praktiker und Forscher, die diese Tests übernommen haben, finden sie weniger nützlich als ihre psychodynamisch orientierten Kollegen. Projektive Tests sind nicht besonders reliabel und valide - geringe Interrater-Reliabilität (niedrige Übereinstimmung zwischen den Auswertungen versch. Kliniker) - Kein standartisiertes Verfahren zur Auswertung solcher Tests hat sich allgemein durchsetzten können - geringe Validität: manchmal Verzerrungen zuungunsten ethnischer Minderheiten Allgemeine Selbstbeurteilungsfragebögen Selbstbeurteilungsfragebögen: Die Probanden schätzen sich selber ein z.B. mit Persönlichkeitsfragebogen: Stellt den Probanden Fragen über ihr Verhalten, ihre Überzeugungen und ihre Gefühle. Besteht aus einer Reihe von Aussagen, die Probanden sollen angeben, ob sie zutreffen oder nicht Die Fragebögen werden von psychodynamisch orientierten Klinikern angewandt, sie sollen Persönlichkeitsmerkmale und Hintergründige emotionale Bedürfnisse aufdecken. MMPI Minnesota Multiphasic Personality Inventory MMPI: Der meistgenutzte Persönlichkeitsfragebogen überhaupt, Test in zwei Versionen vorhanden MMPI Originaltest: von den Psychologen Starke Hathaway und J.C. McKinley 1945 veröffentlicht. Besteht aus 550 Selbstaussagen zu zahlreichen Aspekten des persönlichen Verhaltens und Erlebens. Besorgnis um Körperfunktionen, Stimmung, innere Haltung, Einstellung zu Religion, Sexualität und sozialen Aktivitäten, mögliche Symptome psychischer Störungen wie Phobien oder Halluzinationen MMPI-2: Revisierte Auflage von 1989, von einer Psychologengruppe geleitet Konstruktion des MMPI: Gruppen von Aussagen wurden übernommen aus: Lehrbüchern, medizinischen und neurologischen Fallaufnahmeverfahren, psychiatrischen Untersuchungsformularen. 724 „normale“ Menschen und 800 hospitalisierte psychiatrische Patienten gaben an, ob die aussagen auf sie zutreffen oder nicht. Es wurden nur Feststellungen in den Fragebogen aufgenommen, die zwischen den hospitalisierten und den normalen Probanden differenzierten. Die Items bilden zehn klinische Skalen: 1 oder HS (Hypochondrie) 33 Items 2 oder D (Depression) 60 Items 3 oder Hy (Hysterie) 60 Items 4 oder Pp (Psychopathie) 50 Items 5 oder Mf (Maskulinität / Femininität) 60 Items 6 oder Pa (Paranoia) 50 Items 7 oder Pt (Psychasthenie) 48 Items 5 8 oder Sc (Schizoide) 78 Items 9 oder Ma (Hypomanie) 46 Items 10 oder Si (Introversion / Extraversion) 70 Items Die Werte auf jeder Skala können zwischen 0 und 120 schwanken, bei einem Wert über 70 gilt die psychische Funktion als abweichend. Meistens werden die Werte einer Person auf allen Skalen graphisch auf einem MMPI-Profilblatt zusammen-gefasst. Um das Profil eines Klienten zu bewerten, benutzen Kliniker häufig den MMPI-Atlas, eine veröffentliche Sammlung der MMPI-Profile und Fallgeschichten verscheidener PatientInnenen. Es gibt auch Computerprogramme, ein Profil erstellen und analysieren. Reaktionseinstellungen und der MMPI: Jeder hat die Tendenz, in einer festgelegten Weise zu reagieren bei einem Selbstbewertungsfragebogen wie dem MMPI: Ja-Sage-Tendenz (Akquieszenz): Neigung, die Fragen mit ja zu beantworten soziale Erwünschtheit: eine andere Reaktionseinstellung; die Menschen geben Antworten, die sie für sozial akzeptiert halten Um Verzerrungen aufgrund dieser Reaktionseinstellungen zu vermeiden, enthält der MMPI verschiedene Zusatzskalen: L-Skala (Lügenskala): Diese Items sollen prüfen, ob eine Person versucht, sich günstig darzustellen F-Skala (Häufigkeitsskala): Enthält Items, auf die fast jeder Manch gleich reagiert z.B „alles schmeckt gleich“ (=falsch) oder „ich habe Freude an Kindern (=wahr) Leute, die ungewöhnlich reagieren füllen den Fragebogen nachlässig aus oder sind notorische Ja-bzw. nein-Sager K-Skala (Abwehrskala): enthält Items, die andeuten, ob Probanden in ihren Reaktionen ihr Bild nach aussen schützen. Wenn sie Items wie „Kritik oder Schelten verletzen mich stark“ immer verneinen, zeigt das, dass sie nicht gerne Probleme eingestehen. Wenn eine Person auf der L-, F- oder K-Skala einen hohen Wert erreicht, kann der Kliniker seine MMPI-Schlüsse ändern oder die Testergebnisse als ungültig erklären. MMPI-2: Versucht, die ursprüngliche Version auf den neusten Stand zu bringen und zu erweitern, das Altbewährte aber beizubehalten. Der MMPI-2 besteht aus 567 Items, viele ursprüngliche, manche sprachlich angepasst, manche völlig neu. Zu den 10 Grundskalen fügt der MMPI-2 eine Reihe neuer Skalen hinzu, um Anzeichen von Esstörungen, Drogenmissbrauch und mangelnde berufliche Rollenerfüllung zu messen. + viele Kliniker begrüssten den MMPI-2 als wertvolle Verbesserung - andere sehen gewichtige Mängel: - die Eichstichprobe für den MMPI-2 hatte ein höheres Bildungsniveau als die Allgemeinbevölkerung - Zahlreiche Forschungsarbeiten, die mit dem urspr. MMPI durchgeführt wurden, lassen sich nicht auf den MMPI-2 beziehen - Es gibt Anzeichen, dass manche Probanden bei beiden Testversionen verschiedene Werte erzielen, z.B hoher Depressionswert in der einen, normalen in der andern Fassung. Einige Kliniker verwenden bislang beide Versionen. Die Forscher untersuchen gegenwärtig die Probleme, die Entscheidung für eine Version wird herausgeschoben. Der Wert von Persönlichkeitsfragebogen + Gegenüber projektiven Tests einfach und schnell auszuwerten + Diese Fragebögen sind gewöhnlich standardisiert, Werte sind also vergleichbar + Grössere Retest-Reliabilität als projektive Tests + Grössere Validität - Keine hochvaliden Testinstrumente 6 - Die Eigenschaften und Merkmale, die diese Tests angeblich messen sind keine physischen Einheiten. Charakter, Tiefe von Emotionen oder Bedürfnisse werden nur indirekt, über Worte und Taten des Probanden ermittelt. - Eingeschränkte Validität weil kulturelle Unterschiede nicht berücksichtigt werden Trotz aller Einschränkungen sind MMPI und andere Persönlichkeitsfragebögen immer noch sehr beliebte diagnostische Werkzeuge. Sie sind als grobe Screening-Instrumente zur Identifikation nützlich und dienen den Klinikern in Ergänzung mit andern diagnostischen Instrumenten, um sich ein klareres Bild von den Eigenschaften der Störung zu machen. Spezifische Selbstbeurteilungsfragebögen Behavioristen und kognitive Kliniker benutzen ebenfalls Selbstbeurteilungsfragebögen. Dabei handelt es sich aber um Fragebögen, die Informationen über einen eng umschriebenen Bereich des Erlebens und Verhaltens enthalten. Sie helfen dem Klinikern bei der funktionalen Analyse, damit er ein entsprechendes Verhaltens- oder kognitives Therapieprogramm planen kann. Affektive Fragebögen: Messen Schweregrad von Emot. wie Angst, Depression oder Wut Soziale Fähigkeiten: Probanden geben an, wie sie in versch. Situationen reagieren würden. Messen soziale Fähigkeiten, Defizite, Ängste Kognitionsfragebögen: ermitteln typische Denkweisen und Annahmen sowie die Häufigkeit, mit der sie ins Bewusstsein treten Verstärkerfragebögen: Die Klienten sollen über die Natur, Intensität und Häufigkeit verschiedener Belohnungen in ihrem Leben berichten Die Zahl der Fragebögen wie auch die Zahl der Kliniker, die sie verwenden, hat sich in den letzten 20 Jahren ständig erhöht. + hohe Augenscheinvalidität wie Persönlichkeitsfragebogen Infos direkt von den Probanden - Sie enthalten selten Reaktionseinstellungsskalen, mit welchen man abschätzen kann, ob die Menschen nachlässig oder unzutreffend berichten - Nur wenige wurden standardisiert und auf Reliabilität und Validität geprüft - Werden oft improvisiert und nicht auf Gültigkeit und Konsistenz geprüft Psychophysiologische Tests Psychophysische Tests: messen physiologische Reaktionen. Wurden entdeckt, als Studien darauf hinwiesen, dass Angstzustände von vielen physiologischen Veränderungen begleitet werden. Die Messungen dieser waren oft genauer als projektive Tests, Fragebögen usw. Behavioristen und kognitive Kliniker begannen deshalb, solche Tests in die funktionale Analyse miteinzubeziehen. Sind weitverbreitet in der Therapie sexueller Störungen. Vaginalplethysmograph: Misst die sexuelle Erregung bei Frauen Sonde mit Lichtquelle am Ende reflektiert mehr von der Vaginalwand reflektiertes Licht, wenn mehr Blut durch die Arterien der Scheidenwand strömt (sexuelle Erregung) Penisplethysmograph (Dehnungsmesser): Misst die sexuelle Erregung beim Mann Biofeedback: Medizinische Probleme, die mit dem psychischen Zustand einer Person zusammenhängen lassen sich manchmal dadurch verringern. Der Patient wird systematisch über wichtige physiologische Reaktionen informiert, während diese auftreten und lernt so, sie zu steuern. - Physiologische Tests erfordern teure Aufzeichnungsapparaturen, die gewartet und fachmännisch geeicht werden müssen - können irreführend sein, weil sie nicht immer den Normalzustand eines Menschen anzeigen. Das Labor selbst kann das Nervensystem eines Probanden erregen und die Messungen beeinflussen. Physiologische Veränderungen können auch aus Ermüdungsgründen während einer Sitzung nachlassen 7 - können schwierig zu interpretieren sein. Die physischen Reaktionen stimmen oft nicht mit dem subjektiven Empfinden der Personen überein Neuropsychologische Tests Manche Persönlichkeits- oder Verhaltensprobleme sind manchmal durch neurologisch definierbare Hirnschäden oder Veränderungen der Gehirnaktivität verursacht durch Kopfverletzungen, Hirntumore, Funktionsstörungen des Gehirns, Gefässerkrankungen, degenerative Erkrankungen, Alkoholismus und Infektionen Neurologische Probleme lassen sich auf verschiedene Arten manchmal feststellen: Gehirnoperation oder Biopsie, Röntgenaufnahmen des Gehirns kraniales Computertomogramm (CCT): erstellt Röntgenaufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln des Gehirns Elektroenzephalogramm (EEG): die elektrischen Impulse werden über am Kopf befestigte Elektroden abgeleitet Positronen-Emissionstomogramm (PET): computererzeugtes, bewegtes Bild der Stoffwechselaktivität über das gesamte Gehirn Kernspintomogramm (NMR): kompliziertes Verfahren, das magnetische Eigenschaften bestimmter Atome im Gehirn ausnutzt, um ein detailliertes Bild der Gehirnstruktur zu erstellen Weil sich feinere Hirnschädigungen mit diesen Methoden oft nicht nachweisen lassen, haben Kliniker eine indirekte, manchmal aufschlussreichere Methode entwickelt: Neuropsychologische Tests: messen von neurologischen Problemen durch Messung der kognitiven, perzeptiven und motorischen Fähigkeiten (Testen der visuellen Wahrnehmung, Kurzzeitgedächtnis, visuell-motorische Koordination) Bender-Gestalt-Test: einer der meistverwendeten neurologischen Tests: 9 Karten mit einfachen Figuren. Anschauen, nachzeichnen, später aus Gedächtnis zeichnen. Grobe Fehler gelten als Zeichen für eine Beeinträchtigung. Manche Kliniker interpretieren den Test subjektiv andere benutzen eines vorliegenden objektiven und standardisierten Auswertungssysteme. + Damit liegt die Retest-Reliabilität bei .70 + können bei fast 75% der Fälle organisch beeinträchtigte von unbeeinträchtigten Menschen unterscheiden - da so viele organische Beeinträchtigungen, kann kein Test sie alle angemessen nachweisen - kein Test gestattet es den Klinikern, konsistent zwischen einer speziellen neurologischen Beeinträchtigung und einer andern zu unterscheiden (= Hauptschwäche des BenderGestalt-Test und allen andern neurol. Tests. Im besten Fall dienen sie zur Grobauslese neurologischer Beeinträchtigungen Allgemein Batterie: umfangreiche Serie neuropsychologischer Tests zum Erreichen grösserer Präzision und Validität. (z.B. Halstead-Reitan-Batterie, Luria-Nebraska-Neuropsych.-Batterie) Intelligenztests Da Intelligenz eher ein erschlossenes Konstrukt als eine spezifische physische Funktion od. Einheit ist, kann sie nur indirekt gemessen werden. Spielen bei der Diagnostik von geistiger Behinderung und anderer Probleme wie neurologische Störungen eine wichtige Rolle. 1905 entwickelte der franz.Psych. Alfred Binot und Mitarbeiter Theodore Simon einen IQTest Intelligenzquotient (IQ): allgemeiner Wert aus einem Intelligenztest (urspr. Geistiges Alter : chronologisches Alter mal 100) 8 IQ-Tests bilden seit dem ersten Test Schwerpunkt auf pädagogischem und klinischen Gebiet. 80 Gruppenintelligenztests, 30 Einzelintelligenztests, 20 für spez. Intelligenzaspekte Meistverwendete Tests: Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene (HAWIE) und Kinder (HAWIK) und die Stanford-Binet-Skala + Von den sorgfältigsten konstruierten aller klinischen Tests (grosse Eichstichprobe) + hohe Reliabilität + grössere IQ-Tests relativ hohe Validität - Faktoren wie niedrige Motivation und starke Angst können die Leistung der Person beeinflussen - können kulturell-verzerrte Formulierungen enthalten - Angehörige bestimmter Minderheitsgruppen können wenig Erfahrung mit solchenTests haben, können schlechter abschneiden Die Integration von Testdaten Die meisten klinischen Tests haben Mängel in einem der 3 Hauptkriterien Standardisierung, Reliabilität und Validität. Gewöhnlich werden deshalb ganze Testbatterien angewandt, die zur Klärung und als Ergänzung zum klinischen Interview benutzt werden. Klinische Beobachtungen natürliche Beobachtung / In-vivo-Beobachtung: Der Kliniker beobachtet die Klienten in ihrer Alltagsumgebung. Die meisten klinischen Beobachtungen finden in einer natürlichen Umgebung statt (Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse, Restaurants, Supermärkte, Mietshäuser). Beobachtet werden Interaktionen (Eltern-Kind, Geschwister, Lehrer-Kinder), ängstliches, aggressives, störendes Verhalten. teilnehmende Beobachter: zentrale Personen im Umfeld der Klienten, die Beobachtungen an den Kliniker weitergeben strukturierte Beobachtung: Beobachtung in künstlicher Umgebung, Praxis o. Labor, wird angewandt, wenn natürliche Beob. nicht durchführbar ist. Im Praxisraum oder Labor auf Video aufzeichnen, durch Einwegscheibe beobachten. Vor- und Nachteile der natürlichen und strukturierten Beobachtung + es nützt den Klinikern offenbar, die Klienten unmittelbar beobachten zu können - klinische Beobachtungen sind nicht immer reliabel (Hilfe: Beobachtungschecklisten) - Beobachter machen Fehler, welche die Validität beeinträchtigen können (z.B. weil überlastet, zu viele relevante Verhaltensweisen und Ereignisse) - Beobachterdrift: Genauigkeit verschlechtert sich aufgrund von Ermüdung oder es ändern sich unmerklich die Kriterien - Beobachterverzerrungseffekt (observer bias):Die Urteile des Beobachters werden durch Informationen und Erwartungen beeinflusst, die er hinsichtlich des Klienten hat - Reaktivität des Probanden: (schränkt Validität ein) sein Verhalten wird durch die Anwesenheit des Beobachters beeinflusst - transsituationale Validität / externe od. ökologische Validität: Kann fehlen. Da Verhalten oft situationsspezifisch ist, lassen sich die Beobachtungen in der einen Umgebung nicht immer auf eine andere übertragen Selbstbeobachtung: vor allem von behavioristisch und kognitiv orientierten Klinikern angewandt. Die Klienten beobachten sich selbst und protokollieren bestimmte Verhaltensweisen, Gefühle oder Kognitionen im Tagesverlauf (Häufigkeit, Umstände) + Zugang zu relativ seltenem Verhalten (z.B exibitionistische Zwänge) 9 + dient zum Beobachten von sehr häufigem Verhalten (umfassende Beob. wäre unmgl.) + einzige Methode, mit der sich verdeckte Kognitionen beobachten und zählen lassen - ungesicherte Validität (z.B. durch unausreichende Instruktion der Klienten, ungenübende Motivation, ausgeprägter reaktiver Effekt bei der Selbstbeobachtung, z.B. weniger Rauchen, beobachtet werden muss) Klinische Interpretation und Urteilsbildung Vor der Behandlung des Patienten, muss der Kliniker die gesammelte Information zu einer Diagnose des Problems der Person bündeln. Im allgemeinen scheint es so, dass die Kliniker ein additives oder lineares Modell benutzen, wenn sie die Information über einen Klienten interpretieren: Sie gründen ihre Schlussfolgerungen auf die Zahl der diagnostischen Reaktionen, die in dieselbe Richtung weisen. Nach der Sammlung und Interpretation der Information aus der klinischen Untersuchung bilden sich die Kliniker ein klinisches Bild, häufig in Form eines schriftlichen psychologischen Gutachtens, das in der Terminologie und nach den Prämissen ihrer eigenen Orientierung abgefasst ist. Die Diagnose Diagnose: Der Prozess, in dem festgestellt wird, ob die Auffälligkeit einer Person eine bestimmte psychische Störung darstellt. Es kann hilfreich sein, Fälle von andern Klinikern zu vergleichen, um eventuelle Hinweise auf andere mögliche Merkmale dieser Störung zu erhalten oder um zu erfahren, auf welche Therapieformen andere PatientInnen angesprochen haben. Wenn die Diagnose richtig ist, kann das allgemeine Wissen über die Störung sinnvoll auf die Person, der er helfen will, angewendet werden. Klassifikationssysteme Syndrom: eine Symptomgruppe Diagnose: griech. „Unterscheidung“ Klassifikationssystem: Eine umfassende Liste von Kategorien von Störungen mit der Beschreibung charakteristischer Symptome sowie mit Richtlinien zur Zuweisung von Individuen zu den Kategorien Zwecke des Klassifikationssystems: 1. gestattet den Klinikern, das Problem einer Person als Störung zu diagnostizieren 2. Die Diagnose erlaubt, die allg. Information über diese Störung zu nutzen 3. Forscher können damit Normabweichungen untersuchen und das Wissen über die Ursachen von versch. Störungsmuster sowie Behandlungsmethoden erweitern. Sie können leichter repräsentative Stichproben von Menschen mit derselben Störung ziehen 4. Ein Klassifikationssystem erleichtert Klinikern und Forschern die Kommunikation Emil Kraepelin: entwickelte 1883 das erste einflussreiche Klassifikationssystem mit Hilfe von Tausenden Fallstudien aus Psychiatrischen Krankenhäusern. Internationale Klassifikation der Krankheiten oder Diagnoseschlüssel und Glossar psychischer Krankheiten: umfasst medizinische und psychologische Störungen, heute: 10. Fassung (ICD-10) Kraepelins System bildet die Grundlage des psycholog. Teils dieses Klassifikationssystems, das heute von der Weltgesundheitsorganisation verwendet wird. Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen (DSM): Kraepelins Werk ging ebenfalls in dieses Klassifikationssystem der American Psychiatric Association ein. Die aktuelle Fassung von 1994 ist das meistgenutzte Klassifikationssystem in den USA und heisst DSM-IV. 10 Die heutigen Kliniker streiten über die Verdienste und Mängel des DSM-IV, ebenso wie auch die früheren Versionen ständig diskutiert wurden. Das DSM-IV Mehr als 200 psychische Störungen mit ihren wichtigsten klinischen Kennzeichen und möglichen Zusatzkennzeichen, Informationen über bestimmte alters-, kultur- oder geschlechtsbezogene Merkmale, Prävalenz und Risiko, Verlauf, Komplikationen, prädisponierende Faktoren und familiäre Häufung. Das DSM-IV stützt sich auf verifizierbare Symptome und verlangt, dass die Störung bestimmte Symptome umfassen muss, um diagnostiziert zu werden. Für eine Diagnose mit DSM-IV muss der Zustand eines Klienten auf fünf Achsen (Informationsbereichen) beurteilen. Multiaxiales System: im DSM-IV werden mehrere Arten diagnostischer Information (jede defieriert durch eine andere Achse) benutzt Achse 1 Floride klinische Syndrome, die in der Regel eine deutliche Beeinträchtigung verursachen 1. Störungen, die typischerweise im Kleinkindalter, der Kindheit oder Adoleszenz diagnostiziert werden Tiefgreifende Entwicklungsstörungen wie Autismus, Lernstörungen, Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, Störungen des Sozialverhaltens, Störungen mit Trennungsangst 2. Delir, Demenz, amnestische und andere kognitive Störungen 3. Substanzbezogene Störungen alkoholbezogene, opiatbezogene, amphetaminbezogene, kokainbezogene und halluzinogenbezogene Störungen 4. Schizophrenie und andere psychische Störungen Psychose. Psychotische Symptome: Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Lockerung der Assoziationen, flacher oder inädaquater Affekt 5. Affektive Störungen majore depressive Störung, bipolare Depressive Störung 6. Angststörungen generalisierte Angststörungen, Phobien, Panikstörungen, Zwangsstörungen, akute Belastungsstörung, posttraumatische Belastungsstörung 7. Vorgetäuschte Störungen 8. Dissoziative Störungen dissoziative Amnesie, dissoziative Fugue, dissoziative Identitätsstörung, multiple Persönlichkeitsstörung 9. Esstörungen Anorexia nervosa, Bulimia nervosa 10. Sexuelle Störungen und Störungen der Geschlechtsidentität Paraphilien, sexuelle Funktionsstörungen, Störungen der Geschlechtsidentität 11. Schlafstörungen Dyssomnien, Parasomnien 12. Störungen der Impulskontrolle phatologisches Spielen, Kleptomanie, Pyromanie, intermittierende explosible Störung 13. Anpassungsstörungen 14. Andere Zustände, die Anlass zur klinischen Beobachtung geben Beziehungsprobleme, Probleme im Zusammenhang mit Misshandlung oder Vernachlässigung, durch Medikamente induzierte Bewegungsstörungen, medizinisch definierte Erkrankungen, bei denen psychologische Faktoren eine Rolle spielen (psychosomatische oder psychophysiologische Störungen) 11 Achse 2 lang andauernde, nicht ganz klare Störungsbilder, die einem Menschen „anhaften“ 1. Geistige Behinderung 2. Persönlichkeitsstörungen antisoziale Persönlichkeitsstörung, dependente Persönlichkeitsstörung Achse 3 relevante allgemeinmedizinisch definierte Beschwerden Achse 4 Psychosoziale oder umweltbedingte Probleme berufliche Probleme, Erziehungsprobleme, Wohnprobleme, mit dem sozialen Umfeld zusammenhängende Probleme Achse 5 Globalbeurteilung des Funktionsniveaus (global assessement of functioning GAF) allgemeines Einschätzen des psychischen, sozialen und beruflichen Funktionsniveau Reliabilität und Validität in der Klassifikation Reliabilität: bedeutet hier: verschiedene Diagnostiker weisen ein Verhaltensmuster übereinstimmend einer best. Kategorie zu. - Die Reliabilität von DSM-I war mässig. DSM-III hatte eindeutigere und objektivere Kriterien, was reliablere Diagnosen ermöglichte. Reliabilitätsstudien fanden aber selten mehr als 70% Übereinstimmung zwischen den Klinikern. Über die Reliabilität des DSM-IV können noch keine Angaben gemacht werden. Validität: bedeutet hier: Gültigkeit der Information, die eine diagnostische Kategorie über die dieser Kategorie zugewiesenen Menschen und ihre Symptome bereitstellt. Die Kategorien nützen den Klinikern am meisten, wenn sie folgende Validitäten aufweist Vorhersagevalidität: zukünftig Symptome oder Ereignisse können aus ihr vorhergesagt werden Übereinstimmungsvalidität: Wenn sie den Klinikern Information über „verwandte“ Merkmale der Störung über die „wesentlichen“ diagnostischen Symptome hinaus liefert. - Die neueren Versionen des DSM zeigen zwar höhere Validität, aber diese war immer noch begrenzt. Auch das DSM-IV dürfte wohl einige Validitätsprobleme aufweisen klinische Fehlinterpretationen und Irrtümer Auch mit vertrauenswürdigen Untersuchungsdaten und reliablen und validen Klassifikationskategorien gelangen die Kliniker manchmal zu falschen Schlussfolgerungen. 12 1. Kliniker sind wie alle Menschen fehlerhafte „Informationsverarbeiter“: Messen den zuerst erfahrenen Daten zuviel Gewicht bei, widmen manchen Dingen zuviel Aufmerksamkeit, Urteile unterliegen Verzerrungeffekten 2. Manchmal bringen Kliniker falsche methodologische Auffassungen in den Entscheidungsprozess hinein (Irrglaube, je mehr Untersuchungsverfahren desto besser), hartnäckiges Festhalten an falschen Überzeugungen hinsichtlich der Bedeutung bestimmter Daten 3. Verzerrer sein kann auch die Erwartung der Kliniker, dass jemand, der sie konsultiert auch wirklich eine Störung haben muss (Hineinlesesyndrom) Die Diagnose und die Gefahr der Ettikettierung - Die Diagnose hilft den Klinikern, gestörtes Verhalten zu verstehen, vorherzusagen und zu ändern. Einige Theoretiker glauben aber, dass die Diagnose eine „sich selbst erfüllende Prophezeiung“ ist. Durch die Etikettierung wird die Person möglicherweise stereotyp gesehen, als krank behandelt und abgestempelt. Mehr und mehr fügt sie sich in die Rolle, die ihr zugeschrieben wird. - Unsere Gesellschaft belegt psychische Störungen mit einem Stigma, infolgedessen können die Betroffenen Schwierigkeiten haben, einen Arbeitsplatz zu finden oder an sozialen Beziehungen teilzunehmen. U.u. glauben sie selbst, sie dass sie unfähig, verantwortungslos oder unerwünscht und ziehen sich vor Dingen zurück, die sie sehr wohl bewältigen könnten. - es kommt vor, dass eine Diagnose lange Zeit an einem Menschen hängenbleibt, auch wenn die Störung längst verschwunden ist Manche Menschen meinen, dass das Diagnostizieren eines Patienten mehr schadet als nützt, weil die Etikettierung und die Vorurteile, die es weckt, der diagnostizierten Person schaden können. Trotzdem glauben die meisten Kliniker, dass die Klassifikation und Diagnose wertvolle Informationen erbringen, die ihnen das Verständnis und die Behandlung leidender Menschen erleichtern. 13 Zusammenfassung, Kapitel 7, Seite 241ff Jonas Baumann, 033 336 18 94, [email protected] Die Therapie der Angststörungen Was bedeutet das: eine Angststörung überwinden? Wann darf die Therapie einer derartigen Stö-rung als erfolgreich gelten? Wenn die Symptome sich verringern oder erst, wenn sie völlig verschwinden? Vielleicht genügt es dem Klienten, wenn er lernt, im Alltag mit der Angst umzu-gehen. Die Antwort hängt teils von der Orientierung des Therapeuten und teils von den Ansichten und Zielen des Klienten ab. Globale Therapien Der Praktiker, der eine globale Therapie anwendet, wendet unabhängig von der speziellen Störung des Klienten dasselbe Vorgehen an. Die psychodynamisch orientierten Therapien ver-suchen allen ihren Klienten dabei zu helfen, die Auswirkungen vergangener Ereignisse zu erkennen und aufzulösen. (Verfahren: freie Assoziation, Deutungen anbieten...) Die humanistisch und existentiell orientierten Therapeuten dagegen versuchen ihren Klienten zu helfen, sich ihrer wahren Gedanken und Gefühle bewusst zu werden und sie anzunehmen, in der Hoffnung, dass die Klienten lernen, ein authentisches und erfülltes Leben zu führen. Psychodynamische Therapien Praktiker der verschiedenen psychodynamischen Therapien arbeiten daran, ihren ängstlichen Patienten zu helfen, die unbewussten Probleme, in denen theoretisch der Ursprung für ihre Störun-gen liegt, aufzudecken und zu lösen. Klassisch psychodynamisch orientierte Therapeuten beispielsweise versuchen ihren Klienten zu helfen, sich weniger vor ihren Es-Impulsen zu fürchten und sie erfolgreicher zu kontrollieren. Die Objektbeziehungstheorie will den Klienten helfen, indem sie die angstauslösenden Beziehungsprobleme aus ihrer Kindheit, erkennen und lösen. Und die Therapeuten, die Anhänger der Theorie des Selbst sind, versuchen ängstlichen Patienten zu helfen, aus ihrem fragmentierten Selbst, von dem sie meinen, dass es Angst erzeugt, ein kohärentes Selbst zu entwickeln. Kontrollierte Studien konnten die Wirksamkeit von psychodynamischen Verfahren bei Angststörungen nicht konsistent nachweisen. Viele Studien zeigen, dass sie Menschen mit einer generalisierten Angststörung, bestenfalls mässig und denjenigen mit anderen Angststörungen, etwa einer Phobie oder einer Zwangsstörung, kaum helfen. Psychodynamische Therapie kann die Schwierigkeiten von zwangsgestörten Patienten sogar verstärken. Da der psychodynamische Schwerpunkt auf der freien Assoziation und der Deutung liege, so wurde eingewendet, komme er unbeabsichtigt der Neigung zwangsgestörter Menschen zum Grübeln und Interpretieren entgegen. Humanistische und existentielle Therapien Auch sie behandeln alle Störungen auf mehr oder weniger einheitliche Weise. Die klientenzen-trierten Therapeuten versuchen, ihren Klienten unbedingte positive Wertschätzung entgegenzu-bringen und sich in sie einzufühlen, und erwarten, dass eine annehmende und fürsorgliche Atmosphäre die Geborgenheit schafft, die die Klienten brauchen, um ihre inneren Bedürfnisse, Gedanken und Gefühle zu erkennen. Trotz optimistischen Fallberichten konnte die Forschung bisher nicht zeigen, dass humanistische und existentielle Ansätze im allgemeinen wirksame Therapien für Angststörungen darstellen. Aber die Praktiker dieser Verfahren sind überzeugt, dass experimentelle Methoden die Gültigkeit ihrer phänomenologischen Ausrichtung, Techniken und Ziele nicht prüfen können. Problemspezifische Therapien Die verhaltenstherapeutisch, kognitiv und biologisch orientierten Therapeuten praktizieren im Gegensatz zu den Praktikern der globalen Therapien problemspezifische Therapien, die auf die 14 charakteristischen Merkmale jeder Störung zugeschnitten sind. Bei der Behandlung der Phobien, insbesondere der spezifischen, beherrschen die Verhaltenstherapeuten das klinische Feld fast gänzlich. Doch zur Therapie der anderen Angststörungen haben alle drei Ansätze Bedeutendes beigetragen. Spezifische Phobien Die Angststörungen mit der längsten therapeutischen Erfolgstradition sind die spezifischen Phobien, wenn auch die Mehrzahl der Betroffenen wegen dieser Störungen keine Therapie erhält. Die wichtigsten verhaltenstherapeutischen Ansätze bei einfachen Phobien sind Desensibili-sierung, Reizüberflutung und Modelllernen. Gemeinsam nennen wir die Ansätze Konfronta-tionstherapien, weil sie die Klienten mit dem gefürchteten Gegenstand oder der gefürchteten Situation konfrontieren. Die Konfrontation kann ersatzweise oder unmittelbar, kurz oder lang, allmählich oder plötzlich erfolgen. Systematische Desensibilisierung Die Klienten, die mit dieser von Joseph Wolpe (1990...) entwickelten Technik behandelt werden, lernen sich zu entspannen, während sie mit den gefürch-teten Objekten oder Situationen konfrontiert sind. Da Entspannung und Angst unvereinbar sind, soll die neue Entspannungsreaktion die Angstreaktion ersetzen. Tatsächlich stützte ein älteres Experiment von Mary Cover Jones (1924) seine Erwartungen. Jones hatte den Fall eines kleinen Jungen, der Angst vor Kaninchen hatte, dargestellt. Sie half ihm, die Angst zu überwinden, indem sie ihm seine Lieblingsspeise vorsetzte, während sie ein Kaninchen immer dichter an ihn heranbrachte. Bald spielte das Kind mit dem Kaninchen. Wolpe bezeichnete diesen Prozess als reziproke Hemmung. Die systematische Desensibilisierung geht dabei in drei Phasen vor: Entspannungstraining, Erstellung einer Angsthierarchie und schliesslich die eigentliche Desensibilisierung, das heisst die stufenweise Verknüpfung der gefürchteten Objekte mit der Entspannungsreaktion. Entspannungstraining: Der Klient lernt, auf bestimmte Hinweisreize alle körperliche Spannung abzubauen. Nach fortgesetztem Üben kann der Klient dann willentlich einen Zustand tiefer muskulärer Entspannung herbeiführen. (Vorgehen: Die Muskelgruppen erkennen und anspannen, Entspannen der Muskelgruppen) Erstellung einer Angsthierarchie: Der Klient erstellt mit Hilfe des Therapeuten auch eine Liste der spezifischen Situationen, in der seine Phobie auftritt. Diese werden dann in hierarchische Reihenfolge gebracht. Die eigentliche Desensibilisierung: Als nächstes lernt der Klient, sich immer dann, wenn die Ängste auftreten, zu entspannen. Im allgemeinen Entspannungszustand konfrontiert ihn der Therapeut mit dem Ereignis am unteren Ende seiner Angsthierarchie. Dies kann eine wirkliche, physische Konfrontation sein (beispielsweise soll ein Mensch, der sich vor Höhe fürchtet, auf einen Stuhl oder eine Trittleiter klettern); in diesem Fall heisst der Vorgang In-vivo-Desensibiliesie-rung. Die Konfrontation kann aber auch nur in der Vorstellung erfolgen, wobei der Klient ein geisti-ges Bild des gefürchteten Ereignisses erschafft, während der Therapeut es beschreibt; in diesem Fall heisst der Vorgang verdeckte Desensibilisierung oder In-sensu-Desensibilisierung. Der Klient macht die gesamte Liste durch, verknüpft also jedes gefürchtete Element in der Hierarchie mit der Entspannungsreaktion. Wenn er während einer Szene angespannt ist, unterbricht der Therapeut und lässt den Klienten sich ausschliesslich auf Entspannung konzentrieren. Wenn der Klient wieder entspannt ist, versucht er es erneut mit der Szene, bis dieser sie sich angstfrei vorstellen kann. Man geht nicht eher zur nächsten Szene. Reizüberflutung und Implosionstherapie Ein anderes verhaltenstherapeutisches Verfahren gegen Phobien ist die Reizüberflutung. Diese Technik wurde eigentlich von dem psychodynamischen Therapeuten Thomas Stampfl (975) entwickelt, der sie Imposionstherapie nannte. Heute werden Reizüberflutung und Implosionsthera-pie praktisch austauschbar gebraucht. Diese Therapeuten sind davon überzeugt, dass die Klienten ihre Angst vor den gefürchteten Objekten loswerden, wenn sie wiederholt mit ihnen konfrontiert und zu der Einsicht gebracht werden, dass sie eigentlich ganz harmlos sind. Die Reizüberflutung funktioniert 15 ganz ähnlich wie die Löschungsverfahren, die die Konditionierungs-forscher entwickel-ten. Die Reizüberflutungstheoretiker verwenden keine Entspannung und kein stufenweises Verfahren. Die Reizüberflutung kann die Desensibilisierung in vivo oder in der Vorstellung statt-finden. Manche Kliniker behalten den Ausdruck Reizüberflutung dem In-vivo-Verfahren vor und Implosionstherapie dem vorgestellten. Da die Implosionstherapie so intensiv ist und die Klienten so plötzlich mit den gefürchteten Stimuli konfrontiert, befürchten manche Kliniker, das Verfahren könnte den Klienten noch mehr schaden, und betrachten es daher nur als ein letztes Mittel. (Was heute widerlegt ist!) Modellernen Die verhaltenstherapeutische Technik des Modellernens oder des stellvertretenden Lernens wurde ebenfalls zur Behandlung spezifischer Phobien eingesetzt. Bei diesem Verfahren ist es der Therapeut, der sich dem gefürchteten Objekt oder der Situation aussetzt, während der ängstliche Klient zusieht. Die wirksamste Technik im Rahmen des Modellernens ist das teilnehmende Modellernen. Dabei erstellen der Therapeut und der Klient zuerst eine Angsthierarchie, genau wie der Desensibili-sierung. (Wenn sich Fortschritte zeigen, sollte der Klient gelobt werden.) Zudem gibt es neben der In-vivoTechnik auch die des symbolischen Modellernens. (z.B. treffende Filme anschauen) Die Wirksamkeit verhaltenstherapeutischer Methoden Die klinischen Forscher stellten mehrfach fest, dass jedes der verhaltenstherapeutischen Verfahren für spezifische Phobien tatsächlich hilft. Ausserdem entstehen nach den meisten erfolgreichen Verhaltenstherapien von Phobien keine neuen Symptome, die die alten ersetzen, wie es manche psychodynamischen Therapeuten voraussagen. Insgesamt nützt die Desensibili-sierung 75 Prozent der Menschen mit spezifischen Phobien. Auch die Reizüberflutung, sowie das Model-lernen hilft Menschen mit spezifischen Phobien. Der entscheidende Faktor für den Erfolg einer Verhaltenstherapie scheint im realen Kontakt mit dem gefürchteten Objekt oder der Situation zu liegen. In-vivo-Desensibilisierung ist wirksamer als verdeckte Desensibilisierung, In-vivo-Reizüberflutung ist wirksamer als vorgestellte Reizüber-flutung, und teilnehmendes Modellernen ist wirksamer als streng stellvertretendes Modellernen. Hält man die Art der Konfrontation konstant, erweisen sich Desensibilisierung, Reizüberflutung und Modellernen als gleich wirksame Therapien gegen spezifische Phobien. Da viele Verhal-tenstherapeuten die ähnliche Wirksamkeit dieser Ansätze kennen, verbinden sie heute Merkmale von allen, beziehen aber immer das entscheidende Merkmal der In-vivo-Konfrontation ein. Agoraphobie Viele Jahre lang konnten die Kliniker die Agoraphobie - die Betroffenen haben Angst, ihr Heim zu verlassen und sich an öffentliche Orte zu begeben - relativ wenig beeinflussen. Doch neuerdings wurden Ansätze entwickelt, die viele dieser Menschen befähigen, ihr Heim angstfreier zu verlassen. Diese neuen Methoden bringen den Betroffenen in der Regel nicht so grosse Erleichterung wie die höchst erfolgreichen Therapien für spezifische Phobien, doch sie erleichtern vielen Menschen ihre Lage deutlich. Wieder einmal spielten die Verhaltenstherapeuten eine Führungsrolle; sie entwickelten eine Reihe von In-vivo-Konfrontationsmethoden. Gewöhnlich helfen die Therapeuten den Klienten, sich immer weiter von ihrem Heim weg zu wagen und sich die Aussenwelt allmählich, Schritt für Schritt, zu erobern. Manchmal greifen die Therapeuten zu Unterstützung, Überzeugungsarbeit und Überredung, um die Klienten dazu zu bringen, sich der Aussenwelt auszusetzen. Manchmal verwenden sie auch systematischere Konfrontations-methoden. Sie umfasst für Menschen mit Agoraphobie umfasst häufig noch mehr Elemente, insbesondere den Einsatz von Unterstützungsgruppen und Selbsthilfegruppen für zu Hause. Die Unterstützungsgruppe, eine kleine Anzahl Menschen mit Agoraphobie, geht gemein-sam zu Konfrontationssitzungen aus, die mehrere Stunden dauern, Zwischen 60 und 80 Prozent der agoraphobischen Klienten, die Konfrontationstherapie erhalten, fällt es leichter, sich an öffentlichen Orten aufzuhalten, und die Besserung hält noch Jahre nach Beginn der Behandlung an. Allerdings handelt es sich leider oft um teilweise Besserung statt um vollständige Heilung, und bis zu 50 Prozent der erfolgreich therapierten Klienten erleiden Rückfälle, wenn auch diese Menschen den früheren Stand rasch wieder zurückgewinnen können, wenn man sie erneut behandelt. Menschen mit schweren und länger anhaltenden Symptomen profitieren tendenziell weniger von Konfrontationstherapie. Auch diejenigen, 16 deren agoraphobische Symptome eine Panikstörung begleiten, profitieren offenbar weniger als andere von Konfrontationstherapie allein. Soziale Phobien Wie bei der Behandlung der Agoraphobie erzielen die Kliniker erst jetzt durchgängige Erfolge bei der Therapie sozialer Phobien. Bei diesen Phobien bestehen nachhaltige Ängste vor sozialen oder leistungsbezogenen Situationen, die peinlich sein könnten. Soziale Phobien bestehen aus zwei unterschiedlichen Komponenten, die sich gegenseitig aufschaukeln können: 1) Menschen mit diesen Phobien können behindernde soziale Ängste haben, und 2) ihnen kann es an der Fähigkeit mangeln, Unterhaltungen in Gang zu bringen, ihre Bedürfnisse zu artikulieren oder auf die Bedürf-nisse anderer einzugehen. Heute behandeln die Therapeuten die Klienten folgendermassen: Entweder mindern sie seine sozialen Ängste oder sie trainieren seine sozialen Fertigkeiten oder beides. Reduktion sozialer Ängste Zwar sprechen einige Studien dafür, dass bestimmte Psycho-pharmaka die sozialen und leistungsbezogenen Ängste von Menschen mit sozialen Phobien reduzieren können. Doch die Kliniker haben zu diesem Zweck hauptsächlich psychotherapeutische Verfahren angewandt. Seit einigen Jahren setzen beispielsweise die Verhaltenstherapeuten erfolgreich Konfrontationstechniken gegen soziale Ängste ein. Oft schliesst dieser Ansatz einen häuslichen Selbsthilfeteil ein; die Klienten erhalten die Anweisung, sich auf eigene Initiative sozialen Situationen auszusetzen. Eine Gruppentherapie bildet oft einen idealen Rahmen für solche Konfrontationstherapien, weil sich die Betroffenen so den gefürchteten sozialen Situationen in einer Atmosphäre der Unterstützung und Anteilnahme aussetzen können. Auch kognitive Interventionen werden verbreitet zur Behandlung sozialer Phobien eingesetzt. (Wurzeln: irrationale Überzeugungen) In Ellis‘ rational-emotiver Therapie hat der Praktiker die Aufgabe, auf die irrationalen Überzeugungen des Klienten hinzuweisen, alternative (realistischere) Überzeugungen anzubieten und Hausaufgaben zu stellen. Zahlreiche Studien sprechen dafür, dass die rational-emotive Therapie und ähnliche kognitive Ansätze soziale Ängste reduzieren. Ellis‘ Therapie wurde auch bei anderen Angststörungen sowie anderen Arten psychischer Störungen angewandt, doch nirgendwo wirkt sie besser als bei sozialen Phobien. Weil, weder die Konfrontationstherapie, noch die kognitive Therapie, die sozialen Ängste gänzlich verschwinden lassen, ist hier das Training sozialer Fertigkeiten in den Vordergrund gerückt. Das Training sozialer Fertigkeiten verbindet mehrere verhaltenstherapeutische Techniken, um den Menschen zu den benötigten sozialen Fertigkeiten zu verhelfen. In der Regel spielen die Klienten Rollenspiele mit den Therapeuten und üben das neue Sozialverhalten, bis sie es beherrschen. Während des gesamten Vorgangs geben die Therapeuten ehrliche Rückmeldung und verstärken die Klienten für erfolgreiche soziale Leistungen. Gruppen für das Training von sozialen Fertigkeiten und Selbstsicherheitstrainingsgruppen erfüllen häufig diese Funktion. Die soziale Verstärkung von Gruppenmitgliedern ist oftmals wirksamer als Verstärkung von einem Therapeuten allein. (Eine mögliche Anfangsübung dreht sich um Begrüssungen... Dieser Austausch soll mit Wärme, gutem Blickkontakt und bestimmtem, selbstsicherem Tonfall vonstatten gehen.) Studien ergaben, dass das Training sozialer Fertigkeiten sozial ängstlichen Menschen hilft, in sozialen Situationen besser zurechtkommen. Doch anscheinend hat diese Therapieform allein nur eine begrenzte Wirkung auf soziale Phobien. Die Klienten mögen aufgrund der Behandlung vielleicht sozial gewandter werden, doch häufig leiden sie weiterhin unter einem unangenehm hohen Angstniveau. Werden die Verfahren (Konfrontationstherapie, kognitive Therapie und das Training sozialer Fähigkeiten kombiniert, sind die Ergebnisse äusserst ermutigend. Generalisierte Angststörung Die generalisierte Angststörung - nachhaltige Unruhe- und Angstgefühle in bezug auf zahlreiche Ereignisse oder Tätigkeiten - ist gegenwärtig die Angststörung, die am wenigsten auf Behandlung anspricht, obwohl jedes Jahr etwa 27 Prozent aller Menschen mit dieser Störung ambulant eine psychiatrische oder ärztliche Fachkraft aufsuchen. Globale Therapien, insbesondere psychodynamische und humanistisch-existentielle Ansätze, die bei dieser Störung verbreitet angewandt werden, 17 erwiesen sich als mässig erfolgreich, während problemspezifische Therapierichtungen - insbesondere kognitive Therapien, Stressmanagementtraining und angstlösende Medikamente - etwas bessere Ergebnisse erzielten. Kognitive Therapien Ellis‘ rational-emotive Therapie wurde bei der generalisierten Angststörung häufig angewandt. Die rational-emotiven Therapeuten helfen ihren Klienten, die Annahmen, die in ihnen eine derart allumfassende Angst auslösen können, herauszufinden und zu ändern. Solche Annahmen lauten zum Beispiel: „Es gibt unveränderlich eine richtige, genau passende und perfekte Lösung für die menschlichen Probleme, und es ist eine Katastrophe, sie nicht zu finden. ( Wirkung --> nur eine mässige Angstreduktion) Aaron Beck entwickelte eine weitere kognitive Therapie für die generalisierte und andere Angststörungen, die der rational-emotiven Therapie ähneln. Beck legt den Schwerpunkt seiner Therapie auf die Änderung der zahlreichen angstauslösenden Bilder und Gedanken, der sogenannten automatischen Gedanken, die aus den fehlangepassten Annah-men der ängstlichen Personen hervorgehen und die in allen möglichen Situationen auf sie einhageln. In einem Verfahren, das etwas systematischer ist als Ellis‘ Methode, hilft der Therapeut dem Klienten, seine automatischen Gedanken zu erkennen, die fehlerhaften Dankweisen und Annahmen, die dahinterstehen, zu beobachten und die Gültigkeit der Gedanken zu prüfen. (Diese kognitive Therapie der generalisierten Angststörung stellt eine Abwandlung der einflussreichen und sehr wirksamen Beckschen Therapie der Depressionen dar.) Einige vergleichende Studien sprechen dafür, dass dieser Ansatz unter den verschiedenen Therapien für die generalisierte Angstauslösung der wirksamste sein könnte. Stressmanagement Manche Kliniker glauben, dass Menschen mit generalisierter Angststörung einfach nie gelernt haben, Angst in Belastungssituationen zu bewältigen. Diese Therapeuten bringen den Klienten Fertigkeiten zu Stressbewältigung bei. Die verbreitetsten Formen des Stressmanagements sind Selbstinstruktion, Entspannungstraining und Biofeedback. Selbstinstruktion Donald Meichenbaum entwickelte eine kognitiv-verhaltenstherapeutische Technik zur Stressbewältigung, die Selbstinstruktion oder Immunisierung gegen Stress. Sie beruht auf der Überzeugung, dass viele Menschen in Belastungssituationen bestimmte Dinge - ähnlich den Beckschen automatischen Gedanken - zu sich selbst sagen (Selbstaussagen), die ihre Angst steigern und ihre Leistungsfähigkeit behindern. Therapeuten, die mit Selbstinstruktionstraining arbeiten, bringen den Klienten bei, sich von diesen negativen Selbstaussagen zu befreien und sie durch bewältigende Selbstaussagen zu ersetzen. Die gelernten, bewältigenden Selbstaussagen kann der Klient in den vier charakteristischen Stadien einer Belastungssituation anwenden. Vorbereitungsphase, Selbstaussagen in einer Situation, Selbstaussagen in einer misslichen Situation, verstärkende Selbstaussagen; z.B. könnte dies so aussehen: Vorbereitung auf einen Stressor, Konfrontation und Umgang mit dem Stressor, Bewältigung des Gefühls, übermannt zu werden, Verstärkung durch Selbstaussagen. Um dies zu trainieren setzt der Therapeut stressauslösende Filme, Elektroschocks... ein. Die Selbstinstruktion erwies sich bei chronischer und umfassender Angst als mässig wirksam; bei Menschen mit Prüfungs- oder Leistungsangst oder anderen leichten Angstformen half sie etwas besser. Darum schlug Meichenbaum (1972) selber vor, sie hauptsächlich ergänzend zu anderen Therapien einzu-setzen. Gerade in der Kombination mit rational-emotiven Therapien gab es bessere Resultate. Das Entspannungstraining bei generalisierter Angststörung ist identisch mit demjenigen bei der Desensibilisierung. Suggestion, Phantasien, körperliche Betätigung, Hyperventilation und sogar kurzfristig wirkende Medikamente können zu diesem Zweck eingesetzt werden. Die Forschung belegt, dass Entspannungstraining bei generalisierter Angststörung wirksamer ist als gar keine Behandlung oder Placebos. Die allein dadurch erzielten Besserungen sind aber eher mässig; mässiger als etwa die mit Becks kognitiver Therapie erreichten. Der Forschung zufolge hilft Entspannungstraining Menschen mit generalisierter Angststörung am meisten, wenn es mit einer kognitiven Therapie oder mit anderen Stressmanagementtechniken kombiniert wird. 18 Biofeedback ist eine biologisch-verhaltenstherapeutische Technik; die Klienten werden an ein Messgerät angeschlossen, das sie ständig über eine physiologische Aktivität (wie Pulsfrequenz oder Muskelspannung) in ihrem Körper informiert. Somit können sie lernen, wenn sie auf die Signale des Gerätes achten, diese Aktivitäten zu steuern. So kann eine Person durch Übung lernen, sogar anscheinend unwillkürliche physiologische Prozesse zu kontrollieren. Auch gegen Angstgefühle setzte man Biofeedback ein. Meist wird der sogenannte Elektromyograph (EMG) verwendet, ein Gerät, das den Grad der Muskelspannung meldet, so dass die Klienten lernen können, diese Angst zu verringern. Die Probanden, die EMG-Biofeedback erhalten, können ihre EMG-Werte besser reduzieren als entspannungstrainierte Probanden, doch bei allen anderen Angstindikatoren erzielen beide Techniken ähnliche Ergebnisse. Zur Angstreduktion benutzen die Biofeedback-Therapeuten auch den Elektroenzephalographen (EEG), der die elektrische Aktivität des Gehirns aufzeichnet. Die Klienten sollen damit lernen, willkürlich Alphawellen zu produzieren. Leider scheint die Produktion von Alphawellen die Entspannung weder bei normalen noch bei hochgradig ängstlichen Menschen durchgängig zu fördern. Ein weiteres Biofeedback-Verfahren, das auf die generalisierte Angststörung angewandt wurde, ist das Herzfrequenz-Feedback. Dabei lernen die Klienten, ihren Pulsschlag willkürlich zu verlangsamen. Leider spricht die Forschung dafür, dass auch dieses Verfahren sich nur begrenzt für ängstliche Klienten eignet. In den 60er und 70er Jahren preisen viele das Biofeedback als eine Methode, die das Gesicht der klinischen Behandlung ändern würde. Diese anfängliche Erwartung hat sich nicht erfüllt. Die Techniken spielen eine wichtige unterstützende Rolle bei der Behandlung einiger körperlicher Probleme wie Kopfschmerzen, gastrointestinalen Störungen, Anfallsleiden und neuromuskulären Störungen wie Gehirnlähmung. Angstlösende Medikamente In unserer Gesellschaft wird man kaum einen Menschen finden, dem die Worte „Tranquilizer“ und „Valium“ nichts sagen. Diese Vertrautheit spiegelt den enormen Einfluss der angstlösenden Medikamente in unserer Kultur im allgemeinen wider, vom psychiatri-schen Gesundheitswesen ganz zu schweigen. Bis in die 50er Jahre bestand die wichtigste biologische Therapie für Angststörungen in sedierend-hypnotischen Medikamenten, insbe-sondere den Barbituraten. Doch Ende der 40er Jahre entdeckte der Chemiker Frank Berger, der nach einem wirksameren Antibiotikum suchte, eine Verbindung namens Meprobamat. Nebst des ausgezeichneten Muskelrelaxens ergaben Tests, dass Meprobamat ausserdem sowohl bei Tieren als auch beim Menschen Angst reduzierte. In den 50er Jahren kam Meprobamat als neu-artiges Anxiolytikum unter dem Handelsnamen Miltown auf den Markt. Meprobamat war weniger gefährlich und wies weniger Suchtpotential auf als die Barbiturate, doch es verursachte immer noch Schläfrigkeit. 1957 stellte Lowell Randell Versuche mit einer Substanz namens Chlordiazepoxid an, das zur Gruppe der Bezodiazepine gehört. Bald wurde Chlordiazepoxid unter dem Namen Librium vermarktet. Einige Jahre später entwickelte man ein weiters Medikament der Benzodiaze-pingruppe, das unter dem Namen Valium auf dem Markt kam. Die Benzodiazepinmedikamente wurden bei den klinischen Fachleuten rasch beliebt. Sie schienen nicht nur Angst zu verringern, ohne übermässig müde zu machen, sondern waren auch in hohen Dosen offenbar relativ ungiftig. Erst Jahre später begannen die Forscher zu verstehen, warum die Benzodiazepine wirken. 1977 zwei Forschergruppen unabhängig voneinander, dass es bestimmte Gebiete von Neuronen im Gehirn gibt, die für Benzodiazepine empfänglich sind., und dass an diese Rezeptoren normalerweise GABA bindet; dieser Neurotransmitter verhindert, dass die Neuronen feuern, dämpft also die körperliche Erregung im gesamten Körper und reduziert somit Angst. (Siehe auch Tabelle auf der Seite 263). Benzodiazepine werden gegen generalisierte Angststörung häufiger verschrieben als gegen andere Angststörungen. Jedoch gibt es in dieser Hinsicht mehrere Probleme zu nennen. Erstens stellte sich heraus, dass Benzodiazepine allein keine langfristige Lösung für Angstprobleme bieten. Wenn sie abgesetzt werden, stellen sich die Ängste vieler Klienten so stark wie eh und je wieder ein. Zweitens zeichnete sich ab, dass die Benzodizepine zwar nicht süchtig machen, wenn man sie über einen kurzen Zeitraum und in niedriger Dosierung nimmt, dass jedoch Menschen, die sie über längere Zeit und in hohen Dosen konsumieren, körperlich abhängig werden können und dass zudem deutliche unerwünschte Wirkungen auftreten - Schläfrigkeit, Koordinationsstörungen, Gedächtnisbeeinträchtigung, Depression, agressives Verhalten und Schlimmeres. Drittens ergaben sich in Tierversuchen Hinweise, dass die langfristige Einnahme von Benzodiazepinen die Fähigkeit 19 zur Stressbewältigung vermindern kann und so im Lauf der Jahre eine stärkere Abhängigkeit von dem Medikament herbeiführt. Viertens sind die Benzodiazepine zwar selbst nicht giftig, potenzieren oder vervielfachen aber die Wirkungen anderer toxischer Substanzen wie Alkohol. Weil die Medikamente so schnell wirken und so problemloseinzunehmen sind, verordnen die praktischen Ärzte sie häufig Patienten, die gar keine schweren Angststörungen hatten, und setzten diese unklugerweise dem Suchtpotential oder der potenzierenden Wirkung dieser Pharmaka aus. Bis heute verschreiben die praktischen Ärzte mehr Benzodiazepine als die Psychiater. Mehrere neue Arten angstlösender Medikamente wurden in jüngster Zeit ebenfalls gegen generalisierte Angststörung eingesetzt. Eine davon, die Beta-Blocker, binden an die sogenannten ßadrenergen Rezeptoren im Gehirn und verdrängen dort den Neurotransmitter Noradrenalin. Ein anderes Anxiolytikum, Buspiron - das zur Gruppe der Azaspirone gehört, welche an wieder andere Rezeptoren im Gehirn ankoppeln -, wird von der Forschung besser unterstützt. Dieses Medikament wirkst oft genauso gut wie Benzodiazepine, scheint aber weniger Suchtpotential zu besitzen. Bei generalisierter Angststörung bringen sie oft zeitweise und mässige Erleichterung, eine signifikante und dauerhafte Besserung ist von ihnen jedoch nicht zu erwarten. Panikstörung Etwa 54 Prozent aller Einwohner der Vereinigten Staaten mit Panikstörung werden pro Jahr von einer psychiatrischen oder ärztlichen Fachkraft behandelt. Heute sind die von den Klinikern angewandten systematischen Interventionen oft sehr hilfreich, doch dies war nicht immer der Fall. Die Panikstörung wurde früher mit der generalisierten Angststörung unter der Rubrik “Angstneurose“ zusammengefasst und gewöhnlich mit denselben Interventionen behandelt. Dass die angstlösenden Medikamente, insbesondere die Benzodiazepine, die Häufigkeit oder Intensität der Panikattacken gewöhnlich nicht beeinflussen konnten, sprach überdies Bände. Diese Erkenntnisse führten dazu, die Panikstörung als eigene psychopathalogische Erscheinung zu klassifizieren und zu erforschen. Medikamentöse Therapien 1962 entdeckten die klinischen Forscher Donald Klein und Max Fink, dass Panikattacken gar nicht mehr oder zumindest seltener auftraten, wenn man antidepressive Medikamente anwendete. Von da ab bestätigten Studien in der ganzen Welt immer wieder, dass Antidepressiva vielen Menschen mit Panikstörung helfen und dass sie unabhängig davon nützen, ob die Panikstörung von depressiven Symptomen begleitet ist oder nicht. Vor kurzem erwies sich auch Alprazolam (Tafil) - ein Benzodiazepin, dessen Wirkmechanismus sich von dem der ande-ren Bezodiazepine unterscheidet - bei der Behandlung der Panikstörung als wirksam. Panik-attacken könnten ja mit einer auffälligen Noradrenalinaktivität an bestimmten Neuronen im Gehirn zusammenhängen. Anscheinend stellten die antidepressiven Medikamente bei den Menschen mit Panikstörung wieder eine angemessene Noradrenalinaktivität her, insbesondere am Locus coeruleus, einer Gehirnregion mit zahlreichen noradrenergen Neuronen. Dies trägt dazu bei, dass sich die Symptome der Störung verringern. Diese Medikamente führen bei 80 Prozent der Patienten mit Panikstörung zumindest eine gewisse Besserung herbei. Bei etwa 40 Prozent tritt völlige Remission oder deutliche Besserung ein. Allerdings bleiben 20 Prozent der Menschen mit dieser Störung trotz Behandlung schwer beeinträchtigt. Nach den Erkenntnissen der Kliniker wirken die Antidepressiva und Alprazolam auch in den meisten Fällen von Panikstörung mit Agoraphobie, in Fällen also, in denen die Panikstörung des Klienten von einer allgemeinen Angst vor öffentlichen Orten begleitet sind. Die antidepressiven Medikamente und Alprazolam helfen, diesen Attack-ErwartungsangstFurcht-Kreislauf zu durchbrechen, und vielen agoraphobischen Menschen gelingt es damit, sich wieder in die Öffentlichkeit zu wagen. Trotzdem genügen diese Medikamente nicht immer, um eine Panikstörung mit Agoraphobie zu lindern. Meisten eignet sich eine Kombination von Therapien. Kognitive Therapie Eine wachsende Zahl von Theoretikern ist überzeugt, dass Panikattacken dann auftreten, wenn die Betroffenen bestimmte körperliche Empfindungen (wie Schwäche, Brustschmerzen oder schnellen Puls) als Anzeichen einer drohenden Katastrophe deuten. Dies Missdeutung löst weitere Paniksymptome aus und wird zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Diese Ansicht liegt den kognitiven Therapien für Panikstörung zugrunde. Aron Beck (1988) beispielsweise möchte die Patienten aufklären, dass ihre körperlichen Empfindungen harmlos sind, und so Fehlinterpretationen verhindern. Im Verlauf von Becks Therapie können die Klienten auch lernen, sich selbst von ihren Empfindungen “abzulenken“, indem sie beispielsweise ein Gespräch mit 20 anderen beginnen, wenn die Empfindungen einsetzen. Beck löst auch während der Therapiesitzungen Paniksequenzen aus, damit die Klienten unter sorgsamer Überwachung neue Einsichten entwickeln und anwenden können. Der Therapeut kann sich dazu Verfahren zur biologischen Provokation bedienen: Er lässt etwa Patienten, deren Attacken gewöhnlich von einem schnellen Puls ausgelöst werden, in seiner Anwesenheit einige Minuten auf- und abhüpfen oder eine Treppe hinauflaufen. Die Forschung spricht dafür, dass diese und ähnliche kognitive Therapien oft sehr hilfreich sind. Direkte empirische Vergleiche ergaben, dass kognitive Therapie Panikstörungen zumindest genauso wirksam behandelt wie Antidepressiva oder Alprazolam, manchmal sogar wirksamer. Aufgrund der Wirksamkeit sowohl der kognitiven als auch der medikamentösen Therapie bei Panikstörung versuchten einige Kliniker, beide Ansätze zu kombinieren, doch noch ist nicht klar, ob die zusätzliche Gabe eines Medikaments wirksamer ist als kognitive Therapie allein. Zwangsstörung Jedes Jahr werden 41 Prozent der Einwohner der Vereinigten Staaten mit einer Zwangsstörung psychiatrisch oder medizinisch behandelt. Vor den 70er Jahren gab es kaum wirksame Therapien für diese Störungen, bei denen die Betroffenen von wiederkehrenden, ungewollten Gedanken (Zwangsgedanken) gequält werden, sich immer wieder zu Ausführung bestimmter Verhaltens-weisen (Zwangshandlungen) gedrängt fühlen oder beides. Heute jedoch haben wirksame verhaltenstherapeutische und biologische Verfahren sowie vielversprechende kognitivverhaltenstherapeutische Ansätze dieses düstere therapeutische Bild dramatisch geändert. Der verhaltenstherapeutische Ansatz: Konfrontation und Reaktionsverhinderung Mitte der 60er Jahre behandelte V. Meyer (1966) zwei Patienten mit chronischer Zwangsstörung, indem er das Klinikpersonal anwies, sie rund um die Uhr zu überwachen und sie an ihren Zwangshandlungen zu hindern. Das Zwangsverhalten der Patienten nahm signifikant ab, und die Besserung hilft noch 14 Monate später an. In den 70er Jahren liessen Stanley Rachman und seine Kollegen die Überwachung durch das Personal weg und forderten die Klienten einfach nur auf, zu versuchen, sich selbst an der Ausführung ihrer Zwangshandlungen zu hindern. Die Klienten werden wiederholt mit Gegenständen oder Situationen konfrontiert, die normalerweise Angst, zwanghafte Befürchtungen und Zwangshandlungen auslösten, zu denen sie sich möglicherweise gezwungen fühlten. Weil dies den Klienten sehr schwer fiel, gingen die Therapeuten oft voraus. Die Klienten sahen zu, wie die Therapeuten mit den Objekten interagierten, ohne dabei Zwangshandlungen zu zeigen, und dann ermutigten die Therapeuten die Klienten zu demselben Verhalten (eine Form von teilnehmendem Modellernen). Dieses Verhalten nennt man Konfrontation mit Reaktionsverhinderung. Modellernen In dieser Therapiephase sollte der Patient zusehen, während der Therapeut die Elemente (z.B. Schlamm...) im Vermeidungstest berührte, und sie dann selbst anzufassen versuchen. Reaktionsverhinderung In jeder der fünf Sitzungen verbrachte der Patient eine halbe Stunde mit Berühren von Exkrementspuren; danach durfte er sich die Hände nicht waschen. Therapiephase Während der beiden nächsten Monate wurde in und um die Station das Therapieverfahren “Modellernen und Reaktionsverminderung“ durchgeführt. Jeden Tag zwischen 10 und 12 Uhr beobachtete der Patient, wie der Therapeut schmutzige Gegenstände berührte und mit ihnen hantierte, beteiligte sich selbst und durfte seine Hände oder sonstige Körperteile oder Kleidung nicht waschen… Fortschritte Ein subjektives Mass des Behandlungsfortschritts stellte die gesteigerte Toleranz des Patienten gegenüber Schmutz an seinem Körper oder seiner Kleidung dar. Am Ende jeder Sitzung berichtete der Patient eine Abnahme von Unbehagen und Angst, und im Verlauf der gesamten Therapie gab er an, dass er das Modellernen leichter zu bewältigen fand. Ein objektiveres Mass bildet die Zeit, die er auf die Waschtätigkeit verwendete und … die Zeit der Male, die sich der Patient wusch. Am Ende der Therapie wusch sich der Patient 87 Prozent weniger oft als zuvor und verbrachte 70 Prozent weniger Zeit mit diesem Verhalten. Manche Verhaltenstherapeuten meinen, dass die Klienten nach mehreren Therapiesitzungen zu Hause Selbsthilfeverfahren anwenden können und sollen. In dem Sinne geben sie ihnen dann auch die 21 Hausaufgaben. Zuletzt helfen die Therapeuten solchen Klienten, selbst vernünftige Zeitpläne und Vorgehensweisen für das Putzen und die Körperpflege zu erstellen und sich dabei nach normaleren Massstäben zu richten. Relativ wenige Klienten, die diese Therapie erhalten, überwinden ihre Symptome gänzlich, und bei immerhin einem Viertel stellt sich überhaupt keine Besserung ein. Ein anderer Schwachpunkt dieser Methode liegt darin, dass sie Menschen mit Zwangsgedanken, aber ohne Zwangshandlungen relativ wenig hilft. Schliesslich “erreicht“ diese Intervention Zwangsgedanken dadurch, dass sie die resultierenden Zwangshandlungen blockiert. Die Wirksamkeit der Technik von Konfrontation und Reaktionsverhinderung legt für viele Ver-haltenstherapeuten die Vermutung nahe, dass zwangsgestörte Menschen dem Mann in dem alten Witz ähneln, der mit den Fingern schnalzt, um die Elefanten zu verscheuchen. Wenn jemand darauf hinweist, dass es hier doch gar keine Elefanten gebe, entgegnet der Mann: „Na sehen Sie?“ Kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen Zur Behandlung von Menschen mit Zwangsstörungen verwendet man mehrere Ansätze, die kognitiv und verhaltenstherapeutische Techniken verbinden. Einer davon ist das Habituierungstraining. Dabei versucht der Therapeut, die Zwangsgedanken eines Klienten immer wieder zu evozieren. Dem liegt die Erwartung zugrunde, dass derart intensive Konfrontation mit den Gedanken dazu führt, dass diese schliesslich ihre Bedrohlichkeit verlieren, weniger Angst hervorrufen und so weniger neue Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen auslösen. Bei Klienten, die nur unter Zwangsgedanken leiden, besteht oft der ganze kognitiv-verhaltenstherapeutische Therapieplan aus Habituierungstraining. Bei Klienten, die unter zahlreichen Zwangsgedanken oder unter Zwangshandlungen leiden, empfiehlt sich zusätzlich die verdeckte Reaktionsverhinderung. Die Klienten lernen, alle anderen Zwangsgedanken oder -handlungen, die während des Habituationstrainings auftauchen, zu erkennen, zu verhindern oder sich davon abzulenken. Nicht alle kognitiv-behavioristischen Theoretiker sind davon überzeugt, dass Habituationstraining und die verdeckte Reaktionsverhinderung alle Kernelemente von Zwangsstörungen angehen. So gehört nach Ansicht der Psychologen David A. Clark und Christine Purdon (1993) ein weiterer Aspekt zur Behandlung: Die Therapeuten müssen die Klienten anleiten, ihre zugrundliegenden dysfunktionalen Überzeugungen - dass nämlich unerwünschte, negative Gedanken schrecklich und abnorm seien und kontrolliert werden müssen - in Frage zu stellen und zu ändern. Doch auch diese alternative Konzeption harrt noch einer empirischen Prüfung. Medikamentöse Therapien Seit der Entdeckung der angstlösenden Medikamente, insbesondere der Benzodiazepine, verordnen die Kliniker sie auch bei Zwangsstörungen, doch Forschungen ergaben nur gelegentlich eine Wirkung der Medikamente auf dieses hartnäckige Leiden. Dagegen erwiesen sich bei Zwangsstörungen bestimmte antidepressive Medikamente, insbesondere Clomipramin und Fluoxetin (Handelsnamen Anafranil und Fluctin) als nützliche Therapieform. In einer von manchen Beobachtern als bahnbrechend eingeschätzten Studie erwies sich vor einigen Jahren Clomipramin als höchst wirksame Therapie von Menschen, die an Trichotillomanie litten; dieser extrem schmerzhafte und quälende Zwang, bringt die Betroffene dazu, an ihrem Haar, ihren Wimpern und Brauen zu ziehen und sie sich sogar auszureissen. Mehreren Studien zufolge bringen diese Antidepressiva bei 50 bis 80 Prozent der Probanden mit Zwangsstörungen Besserungen. Die Zwänge der mit diesen Medikamenten behandelten Menschen verschwinden gewöhnlich nicht völlig. Menschen, die ausschliesslich mit Medikamenten behandelt werden, erleiden meistens einen Rückfall, wenn diese abgesetzt werden. Wieso beeinflussen diese Antidepressiva die Symptome von Zwangsstörungen? Biologisch orientierte Forscher glauben heute, dass die Störung mit einer niedrigen Aktivität des Neurotransmitter Serotonin und mit Funktionsstörungen in zwei Gehirnregionen und den Nuclei caudati - zusammenhängt. Eine erfolgreiche Antidepressivatherapie behebt offenbar diese beiden physischen Auffälligkeiten. Erstens steigern die Medikamente nachweislich die Serotoninaktivität. Die einzigen Antidepressiva, die Zwangsstörungen günstig beeinflussen, sind in der Tat diejenigen, die die Serotoninaktivität steigern. Antidepressiva, die hauptsächlich auf andere Neurotransmitter wirken, beeinflussen diese Störung nicht. Bei Probanden mit schwerem zwanghaftem Nägelbeissen oder Onychophagie traten deutlichere Besserungen ein, wenn sie das serotoninverstärkende Antidepressivum Clomipramin einnahmen, als wenn sie Desipramin, das andere Neurotransmitter beeinflusst, bekamen. Zweitens senken die 22 wirksamen Antidepressiva die Stoffwechselaktivität in der Orbitalregion der frontalen Gehirnrinde und in den Nuclei caudati auf normalere Werte. Akute und posttraumatische Belastungsstörungen Die relativ neue (und immer häufiger erscheinende) Identifizierung der akuten und der posttraumatischen Belastungsstörung als eigene psychopathalogische Kategorien löste die Entwicklung zahlreicher Therapieprogramme für psychisch gestörte Überlebende traumatischer Ereignisse aus. Zwar variieren bestimmte Merkmale dieser Programme von Trauma zu Trauma, doch beruhen sie alle auf grundlegenden Zielen: Sie wollen den Opfern helfen, ihre anhaltenden Symptome zu verringern oder zu überwinden, ihre traumatischen Erfahrungen zu verarbeiten und wieder ein konstruktives Leben anzufangen. Die Therapeuten setzten eine Kombination von Techniken gegen die posttraumatischen Symptome von Vietnamveteranen ein. Angstlösende Medikamente reduzieren die Spannung, die Hypervigilanz und die übertriebenen Schreckreaktio-nen, unter denen viele Veteranen leiden. Zusätzlich angewandte antidepressive Medikamente wirken manchmal gegen Alpträume, Rückblenden, störenden Erinnerungen und Depression. Auch Konfrontationstechniken wurden eingesetzt. Beispielsweise half verdeckte Reizüberflutung in Verbindung mit Entspannungstraining… Manchmal helfen die Kliniker den Klienten, tiefsitzende Gefühle auszugraben, zu akzeptieren, was sie getan haben, sich selbst weniger zu verurteilen und anderen wieder vertrauen zu lernen. In ähnlichen Arbeiten stellte der Psychologe James Penne-baker (1990) fest, dass Reden (oder sogar Schreiben) über verdrängte traumatische Erfahrungen die anhaltende Angst und Spannung mindern kann. Am häufigsten finden die Versuche, Gefühle auszudrücken und zu Einsichten zu gelangen, im Rahmen einer Gruppentherapie oder einer “Diskussionsgruppe“ statt. Eines der Hauptthemen in diesen Diskussionsgruppen sind Schuld-gefühle - Schuldgefühle wegen Handlungen, die die Teilnehmer unternahmen, um zu überleben, oder wegen der schlichten Tatsache, dass sie überlebten, während enge Freunde umkamen. Siehe auch den Exkurs auf den Seiten 274 & 275 Das Gefühl Wut kann in Trauer umschlagen: „Vor Wut weinen kann etwas Begrüssenswertes sein, da dies Teil eines wichtigen Wachstums bei einer Gruppe oder einer Einzelperson ist.“ Die Nachfrage nach Therapien verschiedener Form scheint bei Anlässen wie Gedenktagen an Kriegsereignisse und während neuer Kriege noch anzuwachsen. Bisher zeigen klinische Berichte und empirische Studien, dass diese Dienstleistungen eine wichtige, manchmal sogar lebensrettende Therapiemöglichkeit bieten. Der Stand der Wissenschaft: die Therapie der Angststörungen Das therapeutische Bild bei den Angststörungen hat sich in den letzten 15 Jahren deutlich geändert. Viele Methoden wurden entwickelt, und Angstprobleme, die die Therapeuten früher ratlos machten, sprechen jetzt auf klinische Interventionen an. 1. Verhaltens-, kognitive und medikamentöse Therapien beherrschen das therapeutische Bild bei den Angststörungen. Verhaltenstherapeutische Interventionen sind häufig wirksam bei spezifi-schen Phobien, Agoraphobie und Zwangsstörung; sie gelten in diesen Problembereichen oft sogar als Mittel der Wahl. Neuentwickelte kognitive Ansätze sind bei Menschen mit Panikstörun-gen sehr hilfreich und mässig hilfreich bei Menschen mit generalisierter Angststörung oder sozialen Phobien. Angstlösende Medikamente spielen eine wichtige Rolle als Zusatzbehandlung bei der generalisierten Angststörung, während antidepressive Medikamente Panikstörungen und Zwangs-störungen deutlich beeinflussen. Schliesslich spielen globale Ansätze wie die psychodynamischen und humanistischen Therapien manchmal eine hilfreiche Rolle bei generalisierter Angststörung und bei akuter und posttraumatischer Belastungsstörung. 2. Angesichts dieser Befunde bemühen sich die Kliniker heute mehr, ängstliche Klienten bestimm-ter Behandlungsformen zuzuweisen. Auch neigen sie stärker dazu, Verfahren aus verschiedenen Therapiemodellen zu verknüpfen. Soziale Phobien werden heute oft mir einer Kombination von Konfrontationstherapie, kognitiver Therapie und Training sozialer Fertigkeiten behandelt. Viele Fälle von Panikstörungen mit Agoraphobie therapiert man mit einer Kombination von Konfrontationstechniken und antidepressiven Medikamenten. Häufig verbinden die Kliniker globale oder kognitive Therapien und Entspannungstraining und/oder angstlösenden Medikamenten, um die generalisierte Angststörung und akute und postraumatische Belastungsstörung zu behandeln. In vielen Fällen 23 ergänzen Antidepressiva die Therapie der Zwangsstörung mit Konfrontation und Reaktionsverhinderung. 3. In den letzten 15 Jahren erkannten die Behavioristen, wie wichtig die Konfrontation für die verschiedenen Interventionen ist, und rückten sie in den Mittelpunkt der Therapie. Die biologisch orientierten Therapeuten setzten die angstlösenden Medikamente umsichtiger ein, weil die Erfahrung zeigte, dass diese Medikamente in hohen Dosen süchtig machen können; als sie entdeckten, dass bei manchen Angststörungen antidepressive Medikamente wirksamer sind als angstlösende, richteten sie ihre Medikationsentscheidungen entsprechend aus. 24 THERAPIEN FÜR DEPRESSIVE STÖRUNGEN Die Therapien reichen von globalen bis zu problemspezifischen Psychodynamische Therapie Annahme: Depressive Störungen beruhen auf unbewusster Trauer über reale oder imaginierte Verlusterlebnisse, verbunden mit übermässiger Abhängigkeit von anderen Menschen Ziel: diese Prozesse ins Bewusstsein heben, Quelle des Schmerzes begreifen und überwinden Methode: Dieselben psychodynamischen Verfahren wie bei andern Klienten: freie Assoziationen, Träume, Widerstände und Übertragungen. Vergangene Ereignisse und Gefühle widerbeleben und neu bewerten Erwartung: dass KlientIn im Verlauf der Therapie unabhängiger von andern wird, mit Verlusten besser umgehen kann und somit Veränderungen im Alltagsleben vornehmen kann Bewertung: langfristige Therapien helfen nur gelegentlich. Kurztherapien sind etwas vielversprechender Trotzdem werden psychodyn. Therapien immer noch verbreitet gegen Depression angewandt. Zuallermindest helfen sie in den Fällen von Depression, wo eindeutig ein Kindheitstrauma für die Depression verantwortlich ist. Verhaltenstherapie Peter Lewinsohn Einflussreiche Verhaltenstherapie. Ansicht, dass Depr. auf sinkende Zahl positiver Verstärkungen im Leben einer Person zurückgeht Methode: 1. angenehme Ereignisse wiedereinführen - identifizieren von Aktivitäten mit verstärkendem Charakter - Wochenplan für diese Tätigkeiten - evtl. formeller Vertrag 2. Nichtdepressives Verhalten verstärken Kontingenzmanagement: ignorieren des depressiven Verhaltens, belohnen des nichtdepressiven Verh. 3. Soziale Fertigkeiten trainieren Persönliches Effektivitätstraining: Rollenspiele in Gruppen, Mimik, Tonfall, Haltung verbessern, soz.iale Fertigkeiten (wieder) lernen Die Wirksamkeit von Lewinsons Verhaltenstherapie: Einzelne Techniken wenig hilfreich, mehrere Techniken kombiniert Reduzierung von leichten bis mittleren depressiven Symptomen. Bei schwer depr. Personen wenig nützlich. Interpersonale Psychotherapie (IPT) Gerald Klerman und Myrna Weissman In 80-er Jahre entwickelt. Verschiedene Begriffe und Techniken von psychodynamischen, humanistischen und Verhaltenstherapien Ansicht: Depression tritt unabhängig von Symptomatik, Schweregrad, biologischer Anfälligkeit oder Persönlichkeitsmerkmalen in einem interpersonalen Kontext auf. Für die Genesung der Person ist es wichtig, diesen Kontext zu klären und zu gestalten. Ziel: In 12 – 16 wöchentlichen Therapiesitzungen Einsicht in interpersonale Konflikte zu gewinnen, soziale Situation ändern, soziale Fertigkeiten erwerben. Bearbeitung zentraler Problembereiche: interpersonaler Problembereiche: Vier interpersonale 25 1. Trauerreaktion: Wut, Trauer etc. zulassen, dann Situation in neuem Licht sehen lernen. 2. interpersonaler Rollenkonflikt: entsteht, wenn zwei Menschen unterschiedliche Erwartungen an die Beziehung und die Rolle, die jeder spielen sollte hegen: möglichen Rollenkonflikten auf die Spur kommen, Strategien zur Lösung deren ausarbeiten und anwenden. 3. interpersonaler Rollenwechsel: Schwierigkeiten, mit tiefgreifenden Veränderungen im Leben zurechtzukommen (Geburt eines Kindes, Scheidung...): alte Rolle prüfen und bewerten, Chancen der neuen Rolle untersuchen und die neuen Fertigkeiten, die sie erfordert entwickeln. Die Wirksamkeit der interpersonalen Psychotherapie: wirksame Therapie für leichte bis schwere Fälle unipolarer depressiver Störung. Wird häufig bei psychosozialen Konflikten am Arbeitsplatz oder in der Ehe, Übergangsphasen im Beruf oder in soz. Rolle angewandt. Kognitive Therapien Aron Beck (kognitive Triade) Auf die kognitiven Irrtümer depressiver Menschen zugeschnitten. Verfahren beginnt mit vollständiger diagnostischer Erhebung der Symptome des Klienten, dann 4 Therapiephasen: Phase 1: Aktivitäten erweitern und Stimmung heben: Aufforderung zu mehr Aktivitäten und Zuversicht: Stundenplan für Woche mit schwerer werdenden Aufgaben Phase 2: Automatische Gedanken untersuchen und widerlegen: Gedanken bei Auftreten aufschreiben, in Therapie kritisch betrachten Erkenntnis, das sie nicht wahr sind Phase 3: Verzerrtes Denken und negative Verzerrungen identifizieren: „Alles-oder Nichts“-Kategorien im Denken (dichtonomes Denken). Reattributionstechniken für Klienten, die immer sich selbst beschuldigen. Phase 4: Grundannahmen ändern: Wiederholte Überprüfung und Infragestellung der grundlegenden Einstellungen der Klienten hilft, weniger selbstschädigende Denkweisen zu entwickeln: der kognitive Kern der Depression wird somit aufgelöst Die Wirksamkeit der kognitiven Therapie: Der Zustand von leicht bis schwer depr. Menschen bessert sich mit dieser Therapie signifikant. Immer mehr TherapeutInnen arbeiten mit dieser Therapie, auch in Gruppen (das aber ist weniger wirksam) Elektrokrampftherapie Behandlungsverfahren: bilaterales EKT: je eine Elektrode auf beiden Seiten des Stirnlappens unilaterale EKT: Wird zunehmend häufiger angewendet. Die Elektroden werden so platziert, dass der Strom nur durch eine Gehirnhälfte fliesst. 1942 entwickelt, schwächerer Strom. Stromstoss löst Krampfanfall aus (25 Sek. bis einige Minuten). Auf diesem Krampf scheint die Wirkung zu beruhen. Einsatz von Muskelrelaxan ist üblich. Erwachen ca. 10 Min. nach dem Krampf. 6 bis 9 Behandlungen während 2 oder 3 Wochen. EKT erhöht die NT-Aktivität im Gehirn Die Ursprünge der EKT: 1785 durch versehentliche Verabreichung einer Überdosis Krampher bei einem Mann mit „geistigen Schwierigkeiten“ Mann fiel ins Koma und bekam Krämpfe geheilt 26 1930 Joseph von Meduna (ung. Arzt): Eptileptiker selten psychotisch, Psychotiker haben selten Epilepsie. Führte durch Kampher ausgelöste Krämpfe als Psychosebehandlung wieder ein. Metrazol wirkt in etwa 15 Sek., doch manchmal auch sehr gefährlich und unzuverlässig. 1930 Manfred Sakel (Wiener Arzt) Insulinkomatherapie Blutzuckerspiegel sinkt dramatisch ab Koma. Auch sehr gefährlich, starker körperl. Stress, psych. Komplikationen, manchmal Tod ca. 1935 Ugo Cerletti (ital. Psych.) Krampfauslösung bei Hunden durch Elektroden in Maul und After. Anwendung an Menschen, entwickelte zus. mit Lucio Bini die Elektrokrampftherapie zur Behandlung der Psychose. EKT wurde bald populär und fand bei breiter Palette psych. Störungen Anwendung. Bald aber Zweifel an Wirksamkeit der EKT bei Psychosen. Veränderungen des EKT-Verfahrens Cerletti erlangte für sein Verfahren internationalen Ruhm, wandte sich aber später von ihm ab wegen Abscheu vor Knochenbrüchen, Gedächtnisverlust, Verwirrung und Nervenschäden. Andere Kliniker entwickelten weiter: Muskelrelaxantien, Kurzzeitanästhetika neue Risiken: Atemstillstand und Herzrhythmusstörungen Sauerstoff und Geräte zur künstlichen Beatmung bereitstellen. ETK ist medizinisch komplizierter aber auch weniger gefährlich und angsteinflössend geworden. Die Wirksamkeit der EKT Wirksame Therapie für depr. Störungen. Besserung in 60 bis 70% der Fälle. Am wirksamsten bei schweren Fällen mit Wahnvorstellungen oder melancholischen Symptomen (motorische Verlangsamung, Schlafstörungen, Appetitverlust) Abnehmende Verwendung der EKT: 1. Die EKT ist eine extreme Massnahme mit unerwünschten Folgen 2. Die EKT ist früher missbraucht worden 3. Es gibt heute Medikamente gegen Depression Antidepressiva MAO-Hemmer (Monoaminoxidase-Hemmer) Entdeckung in den 50er Jahren. Improniazid machte TuberkulosepatientInnen fröhlicher. Schädigt aber Leber. Ähnliche Medikamente wurden entwickelt, die weniger toxisch waren aber Depr. genauso wirksam bekämpften. MAO spaltet normalerweise in der Leber und im Blut Tyramin zu einer andern Substanz. Geeignet für Depressionen mit der Symptomatik: übermässiges Essen und Schlaf, intensive Angst und Empfindlichkeit gegen Ablehnung Nebenwirkungen: Blockierung der MAO-Produktion durch MAO-Hemmer Tyramin aus Lebensmitteln reichert sich an Bluthochdruck Lebensgefahr. Diät halten! Trizyklische Antidepressiva Entdeckung in 50er Jahren. Durch Zufall. Phenothiazine dämpfen schizophrene Symptome. Eifriges suchen nach andern solchen Medikamenten. Roland Kuhn (CH Psych.) hielt Imipramin für Kandidaten. War aber gegen Schizophrenie nicht wirksam, dafür aber gegen Depression. Nicht unmittelbar nach Besserung absetzen! Umstrittene Theorie: Trizyklische Antidepressiva beeinflussen „Wiederaufnahmemechanismen“ der Neurotransmitter (Pumpe arbeitet zu erfolgreich, Noradrenalin und Serotoninaktivität wird zu stark reduziert, Nervenzellen feuern zu wenig) 27 Andere Theorie: Trizyklische Antidepressiva wirken nicht einfach durch die Beeinflussung der „Wiederauf-nahmemechanismen“, sondern sie korrigieren die Empfindlichkeit der Rezeptoren. Deutlichere Besserung als mit MAO-Hemmer Geeignet für Depr. mit der Symptomatik: Depr. melancholischer Typus; ausgepr. motorische Verlangsamung, Appetitverlust, Schlaflosigkeit Nebenwirkungen: Müdigkeit, Mundtrockenheit, Benommenheit, gelegentlich Sehstörungen Antidepressiva der zweiten Generation Neuere, wirksame Antidepressiva, deren Struktur sich von den beiden andern Gruppen unterscheidet. Sie scheinen hauptsächlich direkt die Empfindlichkeit der Noradrenalin- und Serotoninrezeptoren zu verändern. Andere Antidepressiva der zweiten Generation werden als selektive Serotoninwiederaufnahme-Hemmer (SSW-Hemmer) bezeichnet, sie verändern vermutlich ausschliesslich die Serotoninaktivität. Vergleichsstudien fanden keinen Wirksamkeitsunterschied zwischen trizyklische Antidepressiva und Antidepressiva der zweiten Generation, letztere, besonders die SSW-Hemmer werden aber zunehmend beliebter. Nebenwirkungen: evtl. Übelkeit, Kopfschmerzen Antidepressiva versus EKT EKT schnitt in Studien besser ab als Antidepressiva. Manche Forscher sehen folgenden Grund: Wenn die EKT wirkt, dann meist innerhalb einer oder zweier Wochen. Antidepressiva brauchen u.U. drei bis sechs Wochen und länger bis die maximale Wirksamkeit erreicht ist. In einer biologischen Therapie werden heute für leichte bis schwere depressive Störungen meist Antidepressiva verschrieben, EKT nur, wenn schwer depressive PatientInnen auf alle andern Therapieformen nicht ansprechen. Bei hohem Suizidrisiko evtl. schon früher. Trends in der Therapie Depressive Störungen lassen sich – im Gegensatz zu andern psychischen Störungen - mit verschiedenen Ansätzen erfolgreich behandeln: Kognitive, interpersonale und biologische Therapien scheinen bei leichten bis schweren depressiven Störungen den grössten Erfolg zu erzielen. Alle drei scheinen bei Depression etwa gleich und höchst effektiv zu wirken. Kognitive scheint bei Verhütung von Rückfällen evtl. etwas wirksamer als die medikamentöse, es sei denn, letztere wird über längere Zeit fortgesetzt. Verhaltenstherapie ist weniger wirksam als die drei oben genannten, allerdings wirksamer als Placebos oder gar keine Therapie. Sie hilft schwer depressiven Menschen weniger als solchen mit leichter oder mittelschwerer Depression Psychodynamische Therapien waren in mehreren Studien nicht wirksamer als Placebos. Diese Kliniker argumentieren aber, dass ihre Richtung nicht geeignet sei, empirisch erforscht zu werden. Tatsache ist, dass die meisten wegen Depression behandelten Menschen weiterhin psychodynamische Therapien erhalten. Einige Studien ergaben, dass eine Kombination aus kognitiver oder interpersonaler Therapie und medikamentöser Therapie etwas besser hilft als eine dieser Methoden allein. Manche stellten keinen Unterschied fest. 28 THERAPIEN FÜR BIPOLARE STÖRUNGEN Lithiumtherapie Bis vor kurzem meldeten PsychotherapeutInnen aller Richtungen praktisch keine Erfolge bei der Therapie der manischen Symptome und sehr begrenzte bei der Therapie depressiver Symptome von bipolar gestörten PatientInnen. Lithium änderte das schlagartig. Die korrekte Lithiumdosis zu bestimmen, ist ein diffiziler Prozess. Eine zu hohe Dosis kann zu einer Lithiumvergiftung führen, richtige Dosierung kann innerhalb von 14 tagen spürbare Veränderungen bewirken. Manche PatientInnen sprechen besser auf Carbamazeptin oder auf Valproinsäure an. Die Ursprünge der Lithiumtherapie: 1949 entdeckte John Cade (austral. Psych.) durch einen Zufall, dass Lithium Meerschweinchen sehr lethargisch macht. Bei manischen Menschen normalisiert es deren Stimmung. Die Wirksamkeit von Lithium bei manischen Episoden: Alle Forschungsarbeiten bestätigen, die Wirksamkeit von Lithium bei manischen Episoden, es scheint sogar prophylaktische Eigenschaften zu haben. Deshalb empfehlen Kliniker, die Lithiumtherapie fortzusetzen, auch wenn manische Episoden ausbleiben. Die Wirksamkeit von Lithium bei depressiven Episoden: Lithium bessert auch die depressiven Episoden bipolarer Störungen, die Befunde, ob Lithium auch gegen depressive Störungen wirksam ist, sind gemischt. Einige sprechen gegen eine solche Wirksamkeit, einige für eine geringe. Einige Indizien sprechen dafür, dass Lithium gelegentlich das Wiederauftreten depressiver Störungen verhindert. Vor kurzem erwies sich Lithium als wirksame Ergänzungstherapie für Menschen, die auf trizyklische Antidepressiva nicht ansprechen (Durch den Zusatz von Lithium wirkte die medikamentöse Therapie) Der Wirkmechanismus von Lithium: Die Forscher wissen eigentlich nicht, wie Lithium wirkt. Sie haben den Verdacht, dass es die Synapsenaktivität der Noradrenalin- und Serotoninneuronen ändert, wenn auch auf eine andere Art als die Antidepressiva. Die Forscher vermuten, dass Lithium die second-messengers beeinflusst oder mit den Natriumionen in bestimmten Neuronen interagiert. Begleitende Psychotherapie Es stellte sich heraus, dass Lithium allein zur Therapie von bipolaren Störungen nicht immer genügt. Bipolar gestörte PatientInnen weden in zunehmendem Mass Einzel-, Gruppen- und Familientherapien zugeführt, damit sie ihre Probleme besser bewältigen können. Die häufigsten Schwierigkeiten, die in der Psychotherapie behandelt werden sind: 1. Medikationsmanagement: 2. Familiäre und soziale Beziehungen 3. Aufklärung 4. Problemlösen Psychotherapie spielt eine noch wichtigere Rolle bei der Therapie der zyklohymen Störung. Diese PatientInnen erhalten entweder Psychotherapie allein oder kombiniert mit Lithium. 29 Klinische Psychologie Zusammenfassung, Kapitel 14, Seite 501ff Jonas Baumann, 033 336 18 94, [email protected] Sexuelle Störungen und Störungen der Geschlechtsidentität Nur für wenige Bereiche des Erlebens und Verhaltens interessieren sich die Menschen mehr als für das Sexualverhalten. Weil unser Selbstwertgefühl so stark an die sexuelle Leistung geknüpft ist, kreisen sowohl persönliche Gedanken als auch öffentliche Diskussionen häufig um dieses Thema. Unsere Gesellschaft ist so neugierig auf gestörtes Sexualverhalten und verbindet soviel Scham damit, dass viele Menschen mit Problemen in diesem Bereich deswegen noch zusätzlich unter Angst, Schuldgefühlen oder Ekel vor sich selbst zu leiden haben. Es gibt zwei Arten von Störungen: sexuelle Funktionsstörungen: Eine Hemmung in einem bestimmten Abschnitt des sexuellen Reaktionszyklus. (z.B. keine Erregung, kein Orgasmus...) Paraphilien: Wiederkehrende, starke sexuell erregende Phantasien zu sexuellen Objekten oder Situationen. (die in der Gesellschaft gelten) angemessen Störungen der Geschlechtsidentität: Diese Personen haben durchgängig das Gefühl, dem falschen Geschlecht anzugehören und identifizieren sich mit dem anderen Geschlecht. Sexuelle Funktionsstörungen Viele psychischen Störungen betreffen nur eine kleine Gruppe Menschen. Sexuelle Funktionsstörungen wie Erektionsstörungen bei Männern oder Orgasmusschwierigkeiten bei Frauen dagegen sind sehr verbreitet und sehr leidvoll für die Betroffenen. Folgen davon sind oft sexuelle Frustration, Schuldgefühle, emotionale Probleme mit dem Sexualpartner. Sexuelle Funktionsstörungen sind ein häufiger Scheidungsgrund, leider -, denn die meisten lassen sich durch eine relativ kurze Therapie beheben. Ein Wort zur Terminologie: Die Menschen drücken sich oft vage aus, wenn sie von Sexualität sprechen; sie sagen „mit jemandem schlafen“, wenn sie „sich sexuell betätigen“ oder „Sex haben“ meinen. Den Ausdruck „Geschlechtsverkehr“ verwenden wir nur, wenn wir Penetration meinen. Andere sexuelle Aktivitäten werden ebenfalls genau bestimmt - „genitale Liebkosung“ beispielsweise statt des weniger deutlichen „Petting“. Das DSM-IV definiert die sexuellen Funktionsstörungen als psychophysische Störungen, die er der Person unmöglich machen, den Koitus auszuüben und/oder zu geniessen. Dieser wird (vor allem von William Masters und Virginia Johnson (1966) sowie Helen Kaphlan (1977)) in einen vierphasigen sexuellen Reaktionszyklus eingeteilt. Eine Funktionsstörung kann jede der ersten vier Phasen betreffen, also Appetenzphase, die Erregungsphase und die Orgasmusphase. Die vierte Phase, die Entspannungsphase ist nicht mit sexuellen Funktionsstörungen verknüpft. Die Appetenzphase: Verlangen nach sexueller Aktivität, sexuellen Phantasien... folgende zwei Störungen Verminderte sexuelle Appetenz (Mangel sex. Aktivität) sind damit verknüpft: sexuelle Aversion (Ekel, Abscheu, Angst...) Die Erregungsphase: allgemeine körperliche Erregung, Steigerung des Herzschlages, Muskelspannung Blutdruck und Atmung und durch spezifische Veränderungen im Beckenbereich. Blutandrang oder Vasokongestion im 30 Becken führt beim Mann zur Erektion und bei der Frau zum Anschwellen Klitoris und Schamlippen sowie Produktion von Vaginalflüssigkeit. folgende Störungen Störung der Erektion (Mann) (früher als Impotenz bez.) sind damit verknüpft: Störung der Erregung (Frau) (früher Frigidität genannt) von Heutige Sexualtherapeuten unterscheiden zwischen körperlicher Erregung und dem subjektiven Gefühl emotionaler Erregung. Die Orgasmusphase: reflexartige Muskelkontraktionen im Becken häufigste Störung: Ejaculatio praecox (Ejakulation bereits bei minimaler Stimulierung, bevor es die Person wünscht...) seltenere Störung beim Mann: gehemmte Ejakulation Störung bei der Frau: gehemmten Orgasmus (Es herrscht jedoch Uneinigkeit darüber, ob das Fehlen eines Orgasmus bei der Frau während des Verkehrs überhaupt eine sexuelle Funktionsstörung ist. Weitere Störungen, die sich nicht ganz in das Schema der Phasen einfügen lassen: Störungen mit sexuell bedingten Schmerzen: Vaginismus (spastische Kontraktionen verhindern das Eindringen des Penis in die Vagina.) Dyspareunie (schmerzhafte Vereinigung) schwere Schmerzen bei sexueller Aktivität Da die Kategorien des DSM-IV ziemlich unscharf sind, werden einer Diagnose häufig zwei zusätzliche deskriptive Dimensionen hinzugefügt, um das spezielle Problem eines Patienten deutlicher zu kennzeichnen. Die Störung kann entweder als lebenslang beziehungsweise erworben oder gar generalisiert beziehungsweise erworben beschrieben werden. Die Prävalenz sexueller Funktionsstörungen Es ist sehr schwierig genau anzugeben, wie viele Menschen von sexuellen Funktionsstörungen geplagt werden. Vielen Betroffenen ist es peinlich, sich in Therapie zu begeben. Trotzdem kam eine Studie zum Schluss, das 24% der amerikanischen Allgemeinbevölkerung an einer sexuellen Störung leiden. Diese Rate war die zweithöchste von allen diagnostischen Kategorien; nur die substanz-bezogenen Störungen kamen häufiger vor. Die Prävalenz von Funktionsstörungen beim Mann: Entgegen dem Stereotyp, das alle Männer so darstellt, als ob sie soviel Sex wollen, wie sie nur kriegen können, kommt verminderte sexuelle Appetenz bei 15% der untersuchten Männer vor. Sexuelle Aversion scheint so selten zu sein, dass sie in der Studie gar nicht auftaucht. Erektionsstörungen treten bei ca. 10% der Männer auf, meist sind sie über 50 Jahre alt. Die Häufigkeit von Ejaculatio praecox in epidemiologischen Studien schwankt zwischen zehn und 38 Prozent, wahrscheinlich weil auch die Definition des Problems schwankt. Die Orgasmusstörung beim Mann ist eine relativ seltene Störung, sie kommt bei etwa ein bis drei Prozent der Allgemeinbevölkerung vor. Die Prävalenz von Funktionsstörungen bei der Frau: Verminderte sexuelle Appetenz kommt bei 20% bis 35% vor. Ein schwacher Sexualtrieb ist heute das häufigste Problem in der klinischen Praxis. (Wie weit das gesellschaftlich bedingt ist, wäre wohl noch eine interessante Frage... Anmerkung von mir persönlich) Sexuelle Aversion ist weniger verbreitet. Eine Störung der sexuellen Erregung allein steht selten im Mittelpunkt von Sexualtherapie oder -forschung, da dieses Leiden gewöhnlich zugleich mit einer Orgasmusstörung besteht. Den Studien zufolge haben elf von 48% aller Frauen Erregungsstörungen. Zehn bis 15% hatten noch nie einen Orgasmus und weitere zehn bis 15% erleben ihn nur selten. (Kleiner Exkurs: Die neusten Forschungen haben ergeben, dass es praktisch keinen Unterschied zwischen einem vaginalen und einem klitoralen Orgasmus gibt!) Ursachen sexueller Funktionsstörungen Die Theorien zu den Ursachen sexueller Funktionsstörungen legen den Schwerpunkt auf unterschiedliche Faktoren: auf die Auswirkungen dessen, was in der Kindheit über Sexualität gelernt wurde, auf problematische Einstellungen und Überzeugungen, auf biologische Ursachen wie Auswirkungen von 31 Erkrankungen und Medikamenten, auf individuelle psychodynamische Faktoren und auf Beziehungsprobleme. Verminderte sexuelle Appetenz und sexuelle Aversion. Die Definition eines schwachen Sexualtriebs ist etwas problematisch. Das DSM-IV definiert spezifiziert nicht, was ein „Mangel“ an sexuellem Verlangen... ist. Aufgrund der Ergebnisse einer Studie (Siehe Seite 508) ist die Diagnose „vermin-derte sexuelle Appetenz“ vermutlich erst dann gerechtfertigt, wenn der Patient weniger oft als einmal alle zwei Wochen Verkehr haben möchte. In den meisten sexualtherapeutischen Fällen geht es nicht bloss um ein vermindertes sexuelles Verlangen, sondern um ein praktisch nichtexististentes sexuelles Verlangen. Den Sexualtrieb einer Person beeinflusst ein ganzes Bündel körperlicher und psychischer Faktoren, von denen jeder einzelne dämpfend wirken kann. Die meisten der einschlägigen Fälle lassen sich hauptsächlich auf psychische Faktoren zurückführen, doch auch bestimmte körperliche Bedingungen können das sexuelle Verlangen einer Person drastisch herabsetzen. Zunächst einmal spielen die Hormone eine wichtige Rolle, resp. der Hormonspiegel. Testosteron, das wichtigste männliche Sexualhormon, beeinflusst den Sexualtrieb sowohl von Männern als auch Frauen (wird in den Nebennieren produziert) Luteinsierendes Hormon, das von der Hypophyse im Gehirn erzeugt wird, regt die Testosteronproduktion an. Östrogen, das wichtigste weibliche Sexualhormon, hat ebenfalls Bedeutung für den Sexualtrieb. (Frauen nach der Menopause haben manchmal einen zu niedrigen Östrogenspiegel) Bei Männern beeinträchtigt eine Östrogenkonzentration über dem normalen, niedrigen Spiegel den Sexualtrieb. Männer produzieren geringe Östrogenmengen, die jedoch üblicherweise in der Leber abgebaut werden und keine Wirkung haben. Erhöhte Konzentration von Prolaktin, einem anderen Hypophysenhormon, beeinträchtigen den Sexualtrieb sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Stillende Frauen weisen einen erhöhten Prolaktinspiegel auf, da dieses Hormon an der Milchproduktion beteiligt ist, und manche von ihnen haben einen herabgesetzten Sexualtrieb. Auch auffällig hohe oder tiefe Spiegel einiger Schilddrüsenhormone dämpfen den Sexualtrieb. Alle diese hormonellen Auffälligkeiten lassen sich mit Hormonsubstitution oder Medikamenten behandeln. Es scheint jedoch, dass nur bei einem sehr kleinen Anteil der Fälle von verminderter sexueller Appetenz die Ursache in auffälligen Hormonspiegeln liegt. Eine Reihe von Medikamenten (darunter auch Antipsychotika, Antidepressiva...) und Drogen unterdrückt den Sexualtrieb. So kennt man eine Menge Substanzen, die den Sexualtrieb dämpfen, doch die jahrhundertelange Suche nach einem echten Aphrodisiakum - einem Mittel, das den Sexualtrieb anregt - blieb bisher erfolglos. Auch chronische Krankheiten, Scheidung, Todesfall... führen zu vermindertem sexuellen Verlangen, sowie persönliche Überzeugungen (stark sexualfeindliche religiöse und kulturelle) und Merkmale (Persönlichkeit). Schon eine unglückliche, konfliktreiche Beziehung genügt, um den Sexualtrieb erlöschen zu lassen. All diese Faktoren und noch viel mehr können sowohl verminderte sexuelle Appetenz als auch sexuelle Aversion herbeiführen. Die Erfahrung, sexuell missbraucht oder vergewaltigt worden zu sein, führt vor allem zu sexueller Aversion. Erektionsstörung geht oft auf eine Kombination von körperlicher und psychischer Faktoren zurück. Also psychogene und organische Faktoren. Diesselben hormonellen Auffälligkeiten, die verminderte sexuelle Appetenz auslösen können, können auch Erektionsstörungen hervorrufen. Doch auffällige Testosteron-, Östrogen-, Prolaktin- oder Schilddrüsenhormonspeigel finden sich nur in einem geringen Prozentsatz der Fälle. Gefässbedingte Auffälligkeiten sind viel häufiger. Eine Herzkrankheit, eine Behinderung des Blutstroms in den Penis durch Arteriosklerose (Arterienverengung, bedingt z.B. durch jahrelanges starkes Rauchen) oder übermässiger Blutabfluss über abnorm vergrösserte Penisvenen können eine Erektionsstörung daher eher hervorrufen. Etwa 50% aller Diabetiker haben Erektionsstörungen, da Diabetes oft die an der Erektion beteiligten peripheren Nerven schädigt. Verletzungen des Rückenmarks, Nierenversagen und Dialyse, Medikamente... sind weitere Faktoren. Die psychischen Faktoren sind oft sehr komplex. Auch hier spielen wieder sehr viele Beziehungspunkte und -muster mit. Weiter fand man heraus, dass arbeitslose Männer mit finanziellen Schwierigkeiten häufig Erektionsprobleme haben. Ein wichtiger, von Masters und Johnson (1970) hervorgehobener Mechanismus sind Leistungsangst und die die Beobachterrolle. Ejaculatio praecox scheint typisch zu sein für junge, sexuell unerfahrene Männer, die einfach nicht gelernt haben, langsam zu machen, ihre Erregung zu regulieren und den lustvollen Prozess des sexuellen Aktes zu verlängern. Da das sympathische Nervensystem sowohl an Angst als auch an der 32 Ejakulation beteiligt ist, vermuten die Sexualtherapeuten, dass die Versuche, die Ejakulation zurückzuhalten, Angst auslösen, die wiederum das Problem verschlimmert. (Eine Studie bestätigte dies jedoch nicht) Gehemmte Ejakulation kann durch eine Anzahl physiologischer Faktoren entstehen. Auch hier können Medikamente, Drogen, Alkohol... eine wichtige Rolle spielen. Auch kann eine Gehirnerschütterung gehemmte Ejakulation hervorrufen, die Gründe jedoch sind noch im Dunkeln. Die psychischen Ursachen der gehemmten Ejakulation dürften denen der gehemmten Erektion ähneln. Störungen der Erregung und des Orgasmus bei der Frau Die meisten inorgasmischen Frauen, die zur Therapie kommen, berichten, dass sie sexualfeindlich erzogen wurden (Bestrafung bei Masturbation, mangelnde Vorbereitung auf den Beginn der Menstruation, Restriktionen der Kontakte zu Jungen...) Die Forschung bewies jedoch, dass eine derartige Vorgeschichte bei sexuell nicht gestörten Frauen genau so häufig vorliegt. Leider ist noch offen, welche „Schutzfaktoren“ manche Frauen gegen diese negativen kulturellen und familiären Botschaften immun machen. Zu den psychischen Faktoren gehören all jene, die ich weiter oben auch schon aufgeführt habe. Kindheitserinnerungen an eine positive Beziehung zu der Mutter, Zuneigung zwischen den Eltern, positive Persönlichkeitszüge der Mutter und Ausdruck positiver Emotionen durch die Mutter erwiesen sich alle als mit Orgasmusfähigkeit verbunden. Noch enger hingen der Grad der emotionalen Anteilnahme und die Dauer der Beziehung zum Zeitpunkt der ersten Koituserfahrungen der Frau, die bei dieser Erfahrung erlebte Lust, die gegenwärtige Anziehungskraft des Körpers ihres Partners und die eheliche Harmonie damit zusammen. Auch körperliche Beschwerden, z.B. neurologischer Art (multiple Sklerose...) können Gründe für die Orgasmusunfähigkeit sein. Auch Medikamente und Drogen können die Orgasmusfähigkeit beeinträchtigen. Die Veränderungen nach der Menopause... führt auch bei einigen Frauen dazu. Vaginismus hat keine physiologischen Ursachen; bei diesem psychisch bedingten Leiden verkrampfen sich unwillkürlich die Muskeln um die Vagina. Dies gilt als konditionierter Angstreflex, der durch die Vorwegnahme einer schmerzhaften und schädigenden Penetration ausgelöst wird. Ursachen: allgemeine Angst und Unwissenheit bezüglich des Geschlechtsverkehrs, spezifische, durch übertriebene Geschichten, wie schmerzhaft und blutig der erste Verkehr für Frauen sei, aus- gelöste Ängste, ein Trauma aufgrund eines ungeübten, ungeduldigen Liebhabers, ein Trauma eines Missbrauchs oder einer Vergewaltigung, Infektionen an der Scheide... Die Ängste dieser Frauen beziehen sich allein auf die Penetration. Dyspareunie Schmerzen beim Verkehr haben bei Frauen gewöhnlich einen körperlichen Grund. (z.B. entbindungsbedingte Schmerzen, Narben, Infektionen, allergische Reaktionen...) Therapien für sexuelle Funktionsstörungen Die letzten 20 Jahren brachten einen Umbruch in den psychotherapeutischen Verfahren. Vorher brauchte man vor allem die freudsche Psychoanalyse, welche die Ursachen der Störungen vor allem darin sah, dass die Entwicklung des Betroffenen in einer der psychosexuellen Stadien der Kindheit steckengeblieben war. (Ansatz: Diese Stadien mit dem Therapeut noch einmal erfolgreich durchleben) In den 50er und 60er Jahren boten dann Verhaltenstherapeuten alternative Therapien an. Nach der behavioristischen Theorie wurzeln sexuelle Funktionsstörungen in Angst, die bekanntlich die sexuelle Reaktion blockiert. (Ansatz: Muskelentspannungen, systematische Desensibilisierung...) Dieser angstreduzierende Ansatz war mässig erfolgreich, funktionierte aber nicht, wenn die Hauptgründe der Störung in Fehlinformationen, einer negativen Einstellung und mangelhafter sexueller Technik lagen. Als Masters und Johnson 1970 Impotenz und Anorgasmie veröffentlichten, setzte eine Revolution in der Therapie ein. Ihre Methode wurde bekannt als „Sexualtherapie“. Im Laufe der Jahre wurde sie erweitert und heute haben wir ein komplexes Behandlungsverfahren mit mehreren Komponenten, darunter kognitive, verhaltenstherapeutische und kommunikationsverbessernde Techniken. Zudem ist die Sexualtherapie eine Kurztherapie, die sich direkt auf das sexuelle Problem konzentriert statt auf eine Umstrukturierung der Persönlichkeit, und vom Charakter her direktiv. 15 bis 20 wöchentliche Therapiesitzungen genügen für die meisten Funktionsstörungen. 33 Der erste Schritt der Therapie besteht in der Beurteilung und begrifflichen Definition des Problems. Bei einer medizinischen Untersuchung auf mögliche organische Probleme werden die Patienten nach ihrer „sexuellen Vorgeschichte“ befragt. Die aktuelle Praxis ist, der Vergangenheit viel weniger Zeit zu widmen als den Emotionen, Einstellungen und Verhaltensweisen, die die Störung jetzt aufrechterhalten. Wichtig ist das Prinzip beidseitiger Verantwortlichkeit. (Beide Partner haben Anteil an dem sexuellen Problem.) Ein zweiter wichtiger Bestandteil der Sexualtherapie ist die Informationsvermittlung über Sexualität. Die dritte Komponente besteht in der Arbeit am problematischen Einstellungen, Kognitionen und Überzeugungen hinsichtlich Sexualität. Weiterhin gehört die Beseitigung von Leistungsangst und der Beobachterrolle durch Techniken der sensorischen Fokussierung und des nichtfordernden Lustspenders. Die sexuelle Bezieh-ung zwischen den Partnern wird eigentlich von Grund auf aufgebaut. Die fünfte Komponente besteht darin, die Kommunikation und die Effektivität der sexuellen Technik zu verbessern. Der letzte Bestandteil der Therapie zielt darauf ab, einen destruktiven Lebensstil und die ehelichen Interaktionen zu ändern. (Prioritäten neu ordnen, Zeitpunkt des Verkehrs...) Verminderte sexuelle Appetenz und sexuelle Aversion Aufgrund der vielen, schwierigen psychologischen Probleme erfordern diese Art von Störungen eine längere und komplexere Therapie. Jerry Friedman und Ronald J. Comer entwickelten (1988) dazu ein stufenweises Therapiemodell aus vier Schritten. 1. Die gefühlsmässige Bewusstmachung 2. Die Einsichtnahme (Dem Patienten zu verstehen helfen, warum er, die in der ersten Phase identifizierten negativen Emotionen hat. 3. kognitive und emotionale Veränderung 4. verhaltenstherapeutische Intervention (sensori-sche Fokussierung, Fertigkeitstraining... werden eingeführt) Bei sexueller Aversion aufgrund eines Missbrauchs oder einer Vergewaltigung kommen zusätzliche Therapieverfahren zum Einsatz. Die Patientin wird ermutigt, sich das Ereignis wieder ins Gedächtnis zu rufen und solange über diese Erinnerungen nachzudenken und zu reden, bis sie nicht mehr traumatisch sind. Kleiner Exkurs: Die Mythen über Geschlechtsrollen auf der Seite 520 Erektionsstörung Auch da wird die Leistungsangst reduziert und die Stimulation gesteigert. Wenn es sich auch um organische Beeinträchtigung der Erektion handelt, braucht es häufig auch eine medizinische Intervention. Verbreitet ist da die Implantation einer Penisprothese, die für eine künstliche Erektion sorgt. Eine nichtoperative Methode zur Behebung ist die Vakuumerektionshilfe. Durch ein Vakuum wird das Blut in den Penis gezogen. In manchen Fällen nützen auch gefässchirurgische Eingriffe oder intravenöse zugeführte Medikamente, die die Penisarterien erweitern. Ejaculatio praecox Vorzeitige Ejakulation lässt sich mit fast 100prozentigem Erfolg durch direktes, verhaltenstherapeutisches Training der Kontrollfähigkeit über die Ejakulation behandeln. Gehemmte Ejakulation Gehemmter Orgasmus beim Mann wird behandelt, indem man seine Leistungsangst reduziert und angemessene Stimulation sicherstellt Erregungs- und Orgasmusstörungen bei der Frau Therapiert wird mit Selbstexploration, Förderung des Körperbewusstseins und gezieltes Masturbationstraining (in neun Schritten). Wie wir bereits sahen, halten die Sexualtherapeuten das Ausbleiben eines Orgasmus beim Verkehr nicht für problematisch, sofern die Frau den Verkehr geniesst und zum Orgasmus kommt, wenn ihr Partner sie liebkost. Es geht darum, solchen Frauen zu vermitteln, dass sie völlig normal sind. Vaginismus Patientinnen mit Vaginismus üben, den Musculus pubococcygeus, der zum Beckenboden gehört und die Vagina umgibt, anzuspannen und zu entspannen, bis sie ihn willentlich kontrollieren können. Der Therapeut betont die Notwendigkeit wirksamer Stimulation, damit sie lernt, die Penetration mit vaginaler Lubrikation, Lust und Erregung statt mit Angst zu assoziieren. Die Therapie des Vaginismus ist äusserst erfolgreich. (mehr als 90%) 34 Dyspareunie Es gibt keine spezifische Therapie für „psychogene“ Dyspareunie. Da diese diese Störung im Grunde genommen mangelnde Erregung ist, werden die allgemeinen sexualtherapeutischen Verfahren und die spezifischen Techniken zur Förderung von Erregung und Orgasmus bei der Frau benutzt. Paraphilien Die Definition dieser Störung habe ich weiter oben schon eingeführt. Laut DSM-IV wird eine Diagnose nur an Personen vergeben, die diese Impulse oder Verhaltensweisen seit mindestens sechs Monaten verspüren und ihnen wiederholt nachgeben oder unter extremen Schuldgefühlen leiden. Relativ wenige Menschen erhalten tatsächlich die offizielle Diagnose „Paraphilie“, doch der grosse Markt paraphiler Pornographie und anderen Zubehörs lässt die Kliniker vermuten, dass die Störungen recht häufig sind. Insgesamt erbrachte die Forschung relativ wenig über die Ursachen und Therapiemöglichkeiten der meisten dieser Störungen (die meisten Männer haben). Fetischismus Die Hauptmerkmale sind wiederkehrende, starke sexuelle Impulse und sexuell erregende Phantasien, an denen der Gebrauch eines leblosen Objektes, oft unter Ausschluss aller anderen Stimuli, beteiligt ist. Gewöhnlich beginnt die Störung in der Adoleszenz. Die Ursachen des Fetischismus sind noch unklar. Die Behavioristen glauben jedoch, dass Fetische durch klassische Konditionierung erworben werden. Sie versuchten manchmal, einen Fetischismus mit Aversionstherapie zu behandeln. In einer Studie erhielten die fetischistischen Probanden einen Elektroschock am Arm oder Bein, während sie sich ihre Wunschobjekte vorstellten. Bei einer anderen Aversionstechnik, der verdeckten Sensibilisierung, sollen sich Personen mit Fetischismus das lustspendende, jedoch unerwünschte Objekt vorstellen und dieses Bild wiederholt mit einem vorgestellten aversiven Stimulus verknüpfen, bis sie das Objekt des erotischen Verlangens nicht mehr begehren. Eine weitere Varhaltenstherapie des Fetischismus ist die masturbatorische Sättigung. Dabei masturbiert der Klient bis zum Orgasmus, während er laut über ein sexuell angemessenes Objekt phantasiert, und geht dann dazu über, über fetischistische Objekte in allen Einzelheiten zu phantasieren, während er bis zum Orgasmus masturbiert; die fetischistische Phantasie setzt er dann eine Stunde lang fort. Dieses Verfahren soll Überdruss erzeugen, der wiederum mit dem Fetisch assoziiert wird. Transvestitischer Fetischismus oder Transvestitismus ist gekennzeichnet durch das wiederkehrende Bedürfnis oder Verlangen, Kleider des anderen Geschlechts zu tragen, um sich sexuell zu erregen. Die typische Person mit Transvestitismus, fast immer ein heterosexueller Mann, beginnt in der Kindheit oder Adoleszenz, Frauenkleider zu tragen. Transvestitischer Fetischismus wird oft mit Transsexualismus verwechselt, doch wie wir gleich sehen werden, sind dies zwei völlig getrennte Störungen. Die Entwicklung des Transvestitismus scheint manchmal den Prinzipien der operanten Konditionierung zu folgen. (Verstärkung für das Verkleiden) Pädophilie, wörtlich „Liebe zu Kindern“. Diese Personen suchen sexuelle Befriedigung durch Beobachten, Berühren oder einfache bis komplexe sexuelle Handlungen von und an präpubertären Kindern, die gewöhnlich bis 13 Jahre alt sind. Einige pädophile Menschen fühlen sich ausschliesslich von Kindern angezogen (ausschliesslicher Typus), andere auch von Erwachsenen (nichtausschliesslicher Typus) Studien sprechen dafür, dass das Opfer den Belästiger meistens kennt und dass in 15 bis 30 Prozent der Fälle sexueller Belästigung Inzest vorliegt. Diese Störung entwickelt sich gewöhnlich in der Adoleszenz. Viele pädophile Menschen wurden als Kinder selbst sexuell missbraucht. Manche Kliniker vermuten, dass die Hauptursache dieser Störung häufig in Unreife liegt. Die sozialen und sexuellen Fertigkeiten können unterentwickelt sein, so dass die Person bereits bei dem Gedanken an eine normale sexuelle Beziehung intensive Angst verspürt. Manche Pädophile zeigen auch fehlerhaftes Denken in Rationalisierungen wie „Sex mit Kindern ist in Ordnung, solange sie damit einverstanden sind.“ Zu den verschiedenen Therapien zählen die schon bei anderen Paraphilien erwähnten, etwa die Aversionstherapie und die masturbatorische Sättigung. Eine weitere, auch bei anderen Paraphilien angewandte Methode ist die orgasmische Neuorientierung (Enright 1989). Schliesslich gibt es eine kognitive Verhaltenstherapie für Pädophilie: das Rückfallpräventions-training. Nach dem Vorbild der Programme zur Rückfallprävention in der Therapie der Drogenab-hängigkeit (siehe im Buch Seite 493) hilft diese Methode dem Klienten, die problematischen Situationen, die seine pädophilen Phantasien und Handlungen gewöhnlich auslösen 35 (wie depressive Stimmung oder verzerrtes Denken), zu identifizieren und Strategien zu entwickeln, mit denen er diese Situationen vermeiden oder effektiver bewältigen kann. Eine Studie an 147 Personen mit Pädophilie ergab fünf Jahre nach dieser Therapie eine Rückfallquote von nur vier Prozent. Exhibitionismus Eine Person, die an Exhibitionismus leidet, hat die sexuell erregende Phantasie, ihre Genitalien vor einer anderen Person, fast immer des anderen Geschlechts, zur Schau zu stellen, sowie den wiederkehrenden, intensiven Drang, diese Phantasie auszuagieren. Weitere sexuelle Aktivitäten mit der anderen Person werden gewöhnlich nicht versucht oder gewünscht. Dagegen besteht häufig der Wunsch, den anderen zu erschrecken oder zu überraschen. Im allgemeinen tritt die Störung vor dem 18. Lebensjahr auf, und praktisch alle Exhibitionisten sind Männer. Viele zweifeln an oder ängstigen sich um ihre Männlichkeit, und manche scheinen stark an eine besitzer-greifende Mutter gebunden zu sein. Die Therapie entspricht der für andere Paraphilien. Voyeurismus, wiederkehrende, starke sexuelle Impulse, heimlich ahnungslose Menschen beim Auszeihen oder Paare beim Verkehr zu beobachten. Das Risiko, entdeckt zu werden, erhöht die Erregung der Person oft noch. Voyeurismus beginnt gewöhnlich vor dem 15. Lebensjahr und neigt zu chronischem Verlauf. Elemente des Exhibitionismus als auch des Voyeurismus können in der normalen Sexualität eine Rolle spielen, doch dann sind die Partner damit einverstanden. Die klinische Störung Voyeurismus ist dadurch gekennzeichnet, dass die Privatsphäre eines anderen wiederholt verletzt wird. Jeder psychologische Ansatz (Behaviorismus, die Psychodynamiker...) hat ein wenig eine andere Erklärung für dieses Verhalten. Frotteurismus, wiederkehrende, starke sexuelle Impulse, eine andere Person, die damit nicht einverstanden ist, zu berühren oder sich an ihr zu reiben, oder entsprechende, sexuell erregende Phantasien. Frotteurismus (franz. frotter - reiben) beginnt üblicherweise in der Adoleszenz oder früher. oft nachdem die Person beobachtet, wie ein anderer eine Frottage begeht. Wenn die Person etwa 25 Jahre alt ist, nimmt die Häufigkeit der Handlungen allmählich ab, und oft verschwinden sie ganz. Sexueller Masochismus Menschen haben wiederholte starke sexuelle Impulse und Phantasien, die darum kreisen, gedemütigt, geschlagen, gefesselt zu werden oder sonstige Leiden zugefügt zu bekommen. Bei einer bestimmten Form des sexuellen Masochismus, der Hypoxiphilie, würgen sich die Betroffenen zur Steigerung ihrer sexuellen Lust selbst oder bringen sich in Erstickungsgefahr, oder sie bitten den Partner darum. Es gibt sogar eine wachsende Zahl klinischer Berichte über autoerotische Asphyxie: Die Betroffenen, gewöhnlich männlich und manchmal nicht älter als zehn Jahre, führen unabsichtlich einen tödlichen Sauerstoffmangel im Gehirn herbei, indem sie sich beim Masturbieren aufhängen, ersticken oder strangulieren. In den meisten Fällen beginnen die masochistischen sexuellen Phantasien in der Kindheit. Die Person agiert sie aber erst später aus, gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter. In vielen Fällen scheint sich das Muster des sexuellen Masochismus durch klassische Konditionierung entwickelt zu haben. Kleiner Exkurs auf den Seiten 528 - 530 Vergewaltigung; Seiten 532 - 534 Homosexualität Sexueller Sadismus Gewöhnlich ein Mann, - erlebt intensive sexuelle Erregung, wenn er anderen Personen real oder in der Phantasie körperliches oder psychisches Leid zufügt. Die Bezeichnung leitet sich aus dem Namen Marquis de Sade (1740 - 1814) der anderen solche Grausamkeiten zufügte. Erscheinung und Ausübung wie beim Masochismus. Das Muster ist chronisch. Auch hier handelt es sich, nach der Vermutung der Behavioristen, bei der Entstehung häufig um eine klassischen Konditionie-rung. Die Behavioristen glauben auch, dass in vielen Fällen auch das Modelllernen zu Grunde liegt. Die psychodynamischen und kognitiv orientierten Theoretiker meinen, dass sexuellem Sadismus sexuelle Minderwertigkeitsgefühle oder Unsicherheit zugrunde liegen und dass die Betroffenen Schmerz zufügen, um ein Machtgefühl zu erleben, das wiederum ihre sexuelle Erregung steigert. Einige biologisch orientierte Untersuchungen fanden umgekehrt Anzeichen möglicher Funktionsstörungen im endokrinen System von Personen mit Sadismus. Keine der Untersuchungen wurde jedoch systematisch untersucht oder konsistent empirisch bestätigt. Der sexuelle Sadismus wurde mit aversiver Konditionierung behandelt. Es ist unklar, ob dies bei sexuellem Sadismus 36 durchgängig wirksam ist. Rückfallpräventionstraining, das bei einigen kriminellen Fällen angewandt wurde, scheint dagegen etwas zu bewirken. Gesellschaftliche Normen und sexuelle Etiketten Die Definition der verschiedenen Paraphilien hängt wie die der sexuellen Funktionsstörungen enger mit den Normen der Gesellschaft, in der sie auftreten, als mit festen medizinischen Kriterien zusammen. Wir müssen jedenfalls sehr sorgfältig sein anderen oder auch uns solche Etiketten anzuhängen. Halten wir uns vor Augen, dass die klinischen Fachleute Homosexualität lange Zeit als Paraphilie betrachteten und dass dieses Urteil zur Rechtfertigung von Gesetzen und sogar zu polizeilichen Massnahmen diente. Störungen der Geschlechtsidentität Eine der faszinierendsten Störungen im Zusammenhang mit Sexualität ist die Störung der Geschlechtsidentität oder Transsexualität. Die Betroffenen haben das anhaltende Gefühl, dass bei ihnen ein riesiger Fehler geschehen ist - sie haben das falsche Geschlecht. Sie sind ständig damit beschäftigt, wie sie ihre primären und sekundären Geschlechtsmerkmale - die viele von ihnen abstossend finden - loswerden und die Merkmale des anderen Geschlechts erhalten könnten. (Sie tragen auch oft die Kleider des anderen Geschlechts und gehen Aktivitäten, die traditionell mit dem anderen Geschlecht in Verbindung gebracht werden, nach.) Menschen mit der Paraphilie transvestitischer Fetischismus verkleiden sich, um sich sexuell zu erregen; Transsexuelle haben viel tiefere Gründe für die Verkleidung, Gründe, die mit der Geschlechtsidentität zu tun haben. Manche versuchen ihre Geschlechtsmerkmale durch eine Hormonbehandlung (Östrogen und Testosteron) zu verändern. Verschiedene psychologische Theorien versuchen, diese Störung zu erklären, doch auf diesem Gebiet liegen nur wenige und im allgemeinen wenig aussagekräftige Forschungsarbeiten vor. Manche Kliniker vermuten biologische Ursachen, doch die meisten Untersuchungen fanden keine Unterschiede. Manchmal haben auch Kinder Störungen der Geschlechtsidentität, welche gewöhnlich in der Adoleszenz verschwindet. Vielen Transsexuellen verhelfen Medikamente und Psychotherapie zu einem befriedigenden Leben in der Geschlechtsrolle, die sie für ihre wahre halten. Anderen genügt dies jedoch nicht, und ihre Unzufriedenheit bringt sie dazu, sich einem der umstrittensten Verfahren in der Medizin zu unterziehen: einer operativen Geschlechtsumwandlung. (erste Operation 1931) Unbehandelt ist eine Störung der Geschlechtsidentität bei Erwachsenen gewöhnlich chronisch, in manchen Fällen trat aber auch eine offensichtliche spontane Remission ein. Der Stand der Wissenschaft: Sexuelle Störungen Die klinischen Praktiker und Theoretiker haben erst vor kurzem angefangen, die Natur und die Ursprünge sexueller Funktionsstörungen zu verstehen und wirksame Therapien dafür zu entwickeln. Bei den Paraphilien, der anderen Gruppe sexueller Störungen, oder den mit Sexualität zusammenhängenden Störungen der Geschlechtsidentität sind die Fortschritte bei Wissen und Therapie noch sehr beschränkt. In den beiden letzten Jahrzehnten wurde die Sexualität aber zu einem der am intensivsten untersuchten Gegenstände in der klinischen Forschung. Eine der wichtigsten Einsichten aus diesen Arbeiten ist der Aufklärungsbedarf über sexuelle Funktionsstörungen. (sehr oft noch gesellschaftliche Mythen...) 37 Klinische Psychologie Zusammenfassung, Kapitel 14, Seite 501ff Jonas Baumann, 033 336 18 94, [email protected] Sexuelle Störungen und Störungen der Geschlechtsidentität Nur für wenige Bereiche des Erlebens und Verhaltens interessieren sich die Menschen mehr als für das Sexualverhalten. Weil unser Selbstwertgefühl so stark an die sexuelle Leistung geknüpft ist, kreisen sowohl persönliche Gedanken als auch öffentliche Diskussionen häufig um dieses Thema. Unsere Gesellschaft ist so neugierig auf gestörtes Sexualverhalten und verbindet soviel Scham damit, dass viele Menschen mit Problemen in diesem Bereich deswegen noch zusätzlich unter Angst, Schuldgefühlen oder Ekel vor sich selbst zu leiden haben. Es gibt zwei Arten von Störungen: sexuelle Funktionsstörungen: Eine Hemmung in einem bestimmten Abschnitt des sexuellen Reaktionszyklus. (z.B. keine Erregung, kein Orgasmus...) Paraphilien: Wiederkehrende, starke sexuell erregende Phantasien zu sexuellen Objekten oder Situationen. (die in der Gesellschaft gelten) angemessen Störungen der Geschlechtsidentität: Diese Personen haben durchgängig das Gefühl, dem falschen Geschlecht anzugehören und identifizieren sich mit dem anderen Geschlecht. Sexuelle Funktionsstörungen Viele psychischen Störungen betreffen nur eine kleine Gruppe Menschen. Sexuelle Funktionsstörungen wie Erektionsstörungen bei Männern oder Orgasmusschwierigkeiten bei Frauen dagegen sind sehr verbreitet und sehr leidvoll für die Betroffenen. Folgen davon sind oft sexuelle Frustration, Schuldgefühle, emotionale Probleme mit dem Sexualpartner. Sexuelle Funktionsstörungen sind ein häufiger Scheidungsgrund, leider -, denn die meisten lassen sich durch eine relativ kurze Therapie beheben. Ein Wort zur Terminologie: Die Menschen drücken sich oft vage aus, wenn sie von Sexualität sprechen; sie sagen „mit jemandem schlafen“, wenn sie „sich sexuell betätigen“ oder „Sex haben“ meinen. Den Ausdruck „Geschlechtsverkehr“ verwenden wir nur, wenn wir Penetration meinen. Andere sexuelle Aktivitäten werden ebenfalls genau bestimmt - „genitale Liebkosung“ beispielsweise statt des weniger deutlichen „Petting“. Das DSM-IV definiert die sexuellen Funktionsstörungen als psychophysische Störungen, die er der Person unmöglich machen, den Koitus auszuüben und/oder zu geniessen. Dieser wird (vor allem von William Masters und Virginia Johnson (1966) sowie Helen Kaphlan (1977)) in einen vierphasigen sexuellen Reaktionszyklus eingeteilt. Eine Funktionsstörung kann jede der ersten vier Phasen betreffen, also Appetenzphase, die Erregungsphase und die Orgasmusphase. Die vierte Phase, die Entspannungsphase ist nicht mit sexuellen Funktionsstörungen verknüpft. Die Appetenzphase: Verlangen nach sexueller Aktivität, sexuellen Phantasien... folgende zwei Störungen Verminderte sexuelle Appetenz (Mangel sex. Aktivität) sind damit verknüpft: sexuelle Aversion (Ekel, Abscheu, Angst...) Die Erregungsphase: allgemeine körperliche Erregung, Steigerung des Herzschlages, Muskelspannung Blutdruck und Atmung und durch spezifische Veränderungen im Beckenbereich. Blutandrang oder Vasokongestion im 38 Becken führt beim Mann zur Erektion und bei der Frau zum Anschwellen Klitoris und Schamlippen sowie Produktion von Vaginalflüssigkeit. folgende Störungen Störung der Erektion (Mann) (früher als Impotenz bez.) sind damit verknüpft: Störung der Erregung (Frau) (früher Frigidität genannt) von Heutige Sexualtherapeuten unterscheiden zwischen körperlicher Erregung und dem subjektiven Gefühl emotionaler Erregung. Die Orgasmusphase: reflexartige Muskelkontraktionen im Becken häufigste Störung: Ejaculatio praecox (Ejakulation bereits bei minimaler Stimulierung, bevor es die Person wünscht...) seltenere Störung beim Mann: gehemmte Ejakulation Störung bei der Frau: gehemmten Orgasmus (Es herrscht jedoch Uneinigkeit darüber, ob das Fehlen eines Orgasmus bei der Frau während des Verkehrs überhaupt eine sexuelle Funktionsstörung ist. Weitere Störungen, die sich nicht ganz in das Schema der Phasen einfügen lassen: Störungen mit sexuell bedingten Schmerzen: Vaginismus (spastische Kontraktionen verhindern das Eindringen des Penis in die Vagina.) Dyspareunie (schmerzhafte Vereinigung) schwere Schmerzen bei sexueller Aktivität Da die Kategorien des DSM-IV ziemlich unscharf sind, werden einer Diagnose häufig zwei zusätzliche deskriptive Dimensionen hinzugefügt, um das spezielle Problem eines Patienten deutlicher zu kennzeichnen. Die Störung kann entweder als lebenslang beziehungsweise erworben oder gar generalisiert beziehungsweise erworben beschrieben werden. Die Prävalenz sexueller Funktionsstörungen Es ist sehr schwierig genau anzugeben, wie viele Menschen von sexuellen Funktionsstörungen geplagt werden. Vielen Betroffenen ist es peinlich, sich in Therapie zu begeben. Trotzdem kam eine Studie zum Schluss, das 24% der amerikanischen Allgemeinbevölkerung an einer sexuellen Störung leiden. Diese Rate war die zweithöchste von allen diagnostischen Kategorien; nur die substanz-bezogenen Störungen kamen häufiger vor. Die Prävalenz von Funktionsstörungen beim Mann: Entgegen dem Stereotyp, das alle Männer so darstellt, als ob sie soviel Sex wollen, wie sie nur kriegen können, kommt verminderte sexuelle Appetenz bei 15% der untersuchten Männer vor. Sexuelle Aversion scheint so selten zu sein, dass sie in der Studie gar nicht auftaucht. Erektionsstörungen treten bei ca. 10% der Männer auf, meist sind sie über 50 Jahre alt. Die Häufigkeit von Ejaculatio praecox in epidemiologischen Studien schwankt zwischen zehn und 38 Prozent, wahrscheinlich weil auch die Definition des Problems schwankt. Die Orgasmusstörung beim Mann ist eine relativ seltene Störung, sie kommt bei etwa ein bis drei Prozent der Allgemeinbevölkerung vor. Die Prävalenz von Funktionsstörungen bei der Frau: Verminderte sexuelle Appetenz kommt bei 20% bis 35% vor. Ein schwacher Sexualtrieb ist heute das häufigste Problem in der klinischen Praxis. (Wie weit das gesellschaftlich bedingt ist, wäre wohl noch eine interessante Frage... Anmerkung von mir persönlich) Sexuelle Aversion ist weniger verbreitet. Eine Störung der sexuellen Erregung allein steht selten im Mittelpunkt von Sexualtherapie oder -forschung, da dieses Leiden gewöhnlich zugleich mit einer Orgasmusstörung besteht. Den Studien zufolge haben elf von 48% aller Frauen Erregungsstörungen. Zehn bis 15% hatten noch nie einen Orgasmus und weitere zehn bis 15% erleben ihn nur selten. (Kleiner Exkurs: Die neusten Forschungen haben ergeben, dass es praktisch keinen Unterschied zwischen einem vaginalen und einem klitoralen Orgasmus gibt!) Ursachen sexueller Funktionsstörungen Die Theorien zu den Ursachen sexueller Funktionsstörungen legen den Schwerpunkt auf unterschiedliche Faktoren: auf die Auswirkungen dessen, was in der Kindheit über Sexualität gelernt wurde, auf problematische Einstellungen und Überzeugungen, auf biologische Ursachen wie Auswirkungen von 39 Erkrankungen und Medikamenten, auf individuelle psychodynamische Faktoren und auf Beziehungsprobleme. Verminderte sexuelle Appetenz und sexuelle Aversion. Die Definition eines schwachen Sexualtriebs ist etwas problematisch. Das DSM-IV definiert spezifiziert nicht, was ein „Mangel“ an sexuellem Verlangen... ist. Aufgrund der Ergebnisse einer Studie (Siehe Seite 508) ist die Diagnose „vermin-derte sexuelle Appetenz“ vermutlich erst dann gerechtfertigt, wenn der Patient weniger oft als einmal alle zwei Wochen Verkehr haben möchte. In den meisten sexualtherapeutischen Fällen geht es nicht bloss um ein vermindertes sexuelles Verlangen, sondern um ein praktisch nichtexististentes sexuelles Verlangen. Den Sexualtrieb einer Person beeinflusst ein ganzes Bündel körperlicher und psychischer Faktoren, von denen jeder einzelne dämpfend wirken kann. Die meisten der einschlägigen Fälle lassen sich hauptsächlich auf psychische Faktoren zurückführen, doch auch bestimmte körperliche Bedingungen können das sexuelle Verlangen einer Person drastisch herabsetzen. Zunächst einmal spielen die Hormone eine wichtige Rolle, resp. der Hormonspiegel. Testosteron, das wichtigste männliche Sexualhormon, beeinflusst den Sexualtrieb sowohl von Männern als auch Frauen (wird in den Nebennieren produziert) Luteinsierendes Hormon, das von der Hypophyse im Gehirn erzeugt wird, regt die Testosteronproduktion an. Östrogen, das wichtigste weibliche Sexualhormon, hat ebenfalls Bedeutung für den Sexualtrieb. (Frauen nach der Menopause haben manchmal einen zu niedrigen Östrogenspiegel) Bei Männern beeinträchtigt eine Östrogenkonzentration über dem normalen, niedrigen Spiegel den Sexualtrieb. Männer produzieren geringe Östrogenmengen, die jedoch üblicherweise in der Leber abgebaut werden und keine Wirkung haben. Erhöhte Konzentration von Prolaktin, einem anderen Hypophysenhormon, beeinträchtigen den Sexualtrieb sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Stillende Frauen weisen einen erhöhten Prolaktinspiegel auf, da dieses Hormon an der Milchproduktion beteiligt ist, und manche von ihnen haben einen herabgesetzten Sexualtrieb. Auch auffällig hohe oder tiefe Spiegel einiger Schilddrüsenhormone dämpfen den Sexualtrieb. Alle diese hormonellen Auffälligkeiten lassen sich mit Hormonsubstitution oder Medikamenten behandeln. Es scheint jedoch, dass nur bei einem sehr kleinen Anteil der Fälle von verminderter sexueller Appetenz die Ursache in auffälligen Hormonspiegeln liegt. Eine Reihe von Medikamenten (darunter auch Antipsychotika, Antidepressiva...) und Drogen unterdrückt den Sexualtrieb. So kennt man eine Menge Substanzen, die den Sexualtrieb dämpfen, doch die jahrhundertelange Suche nach einem echten Aphrodisiakum - einem Mittel, das den Sexualtrieb anregt - blieb bisher erfolglos. Auch chronische Krankheiten, Scheidung, Todesfall... führen zu vermindertem sexuellen Verlangen, sowie persönliche Überzeugungen (stark sexualfeindliche religiöse und kulturelle) und Merkmale (Persönlichkeit). Schon eine unglückliche, konfliktreiche Beziehung genügt, um den Sexualtrieb erlöschen zu lassen. All diese Faktoren und noch viel mehr können sowohl verminderte sexuelle Appetenz als auch sexuelle Aversion herbeiführen. Die Erfahrung, sexuell missbraucht oder vergewaltigt worden zu sein, führt vor allem zu sexueller Aversion. Erektionsstörung geht oft auf eine Kombination von körperlicher und psychischer Faktoren zurück. Also psychogene und organische Faktoren. Diesselben hormonellen Auffälligkeiten, die verminderte sexuelle Appetenz auslösen können, können auch Erektionsstörungen hervorrufen. Doch auffällige Testosteron-, Östrogen-, Prolaktin- oder Schilddrüsenhormonspeigel finden sich nur in einem geringen Prozentsatz der Fälle. Gefässbedingte Auffälligkeiten sind viel häufiger. Eine Herzkrankheit, eine Behinderung des Blutstroms in den Penis durch Arteriosklerose (Arterienverengung, bedingt z.B. durch jahrelanges starkes Rauchen) oder übermässiger Blutabfluss über abnorm vergrösserte Penisvenen können eine Erektionsstörung daher eher hervorrufen. Etwa 50% aller Diabetiker haben Erektionsstörungen, da Diabetes oft die an der Erektion beteiligten peripheren Nerven schädigt. Verletzungen des Rückenmarks, Nierenversagen und Dialyse, Medikamente... sind weitere Faktoren. Die psychischen Faktoren sind oft sehr komplex. Auch hier spielen wieder sehr viele Beziehungspunkte und -muster mit. Weiter fand man heraus, dass arbeitslose Männer mit finanziellen Schwierigkeiten häufig Erektionsprobleme haben. Ein wichtiger, von Masters und Johnson (1970) hervorgehobener Mechanismus sind Leistungsangst und die die Beobachterrolle. Ejaculatio praecox scheint typisch zu sein für junge, sexuell unerfahrene Männer, die einfach nicht gelernt haben, langsam zu machen, ihre Erregung zu regulieren und den lustvollen Prozess des sexuellen Aktes zu verlängern. Da das sympathische Nervensystem sowohl an Angst als auch an der 40 Ejakulation beteiligt ist, vermuten die Sexualtherapeuten, dass die Versuche, die Ejakulation zurückzuhalten, Angst auslösen, die wiederum das Problem verschlimmert. (Eine Studie bestätigte dies jedoch nicht) Gehemmte Ejakulation kann durch eine Anzahl physiologischer Faktoren entstehen. Auch hier können Medikamente, Drogen, Alkohol... eine wichtige Rolle spielen. Auch kann eine Gehirnerschütterung gehemmte Ejakulation hervorrufen, die Gründe jedoch sind noch im Dunkeln. Die psychischen Ursachen der gehemmten Ejakulation dürften denen der gehemmten Erektion ähneln. Störungen der Erregung und des Orgasmus bei der Frau Die meisten inorgasmischen Frauen, die zur Therapie kommen, berichten, dass sie sexualfeindlich erzogen wurden (Bestrafung bei Masturbation, mangelnde Vorbereitung auf den Beginn der Menstruation, Restriktionen der Kontakte zu Jungen...) Die Forschung bewies jedoch, dass eine derartige Vorgeschichte bei sexuell nicht gestörten Frauen genau so häufig vorliegt. Leider ist noch offen, welche „Schutzfaktoren“ manche Frauen gegen diese negativen kulturellen und familiären Botschaften immun machen. Zu den psychischen Faktoren gehören all jene, die ich weiter oben auch schon aufgeführt habe. Kindheitserinnerungen an eine positive Beziehung zu der Mutter, Zuneigung zwischen den Eltern, positive Persönlichkeitszüge der Mutter und Ausdruck positiver Emotionen durch die Mutter erwiesen sich alle als mit Orgasmusfähigkeit verbunden. Noch enger hingen der Grad der emotionalen Anteilnahme und die Dauer der Beziehung zum Zeitpunkt der ersten Koituserfahrungen der Frau, die bei dieser Erfahrung erlebte Lust, die gegenwärtige Anziehungskraft des Körpers ihres Partners und die eheliche Harmonie damit zusammen. Auch körperliche Beschwerden, z.B. neurologischer Art (multiple Sklerose...) können Gründe für die Orgasmusunfähigkeit sein. Auch Medikamente und Drogen können die Orgasmusfähigkeit beeinträchtigen. Die Veränderungen nach der Menopause... führt auch bei einigen Frauen dazu. Vaginismus hat keine physiologischen Ursachen; bei diesem psychisch bedingten Leiden verkrampfen sich unwillkürlich die Muskeln um die Vagina. Dies gilt als konditionierter Angstreflex, der durch die Vorwegnahme einer schmerzhaften und schädigenden Penetration ausgelöst wird. Ursachen: allgemeine Angst und Unwissenheit bezüglich des Geschlechtsverkehrs, spezifische, durch übertriebene Geschichten, wie schmerzhaft und blutig der erste Verkehr für Frauen sei, aus- gelöste Ängste, ein Trauma aufgrund eines ungeübten, ungeduldigen Liebhabers, ein Trauma eines Missbrauchs oder einer Vergewaltigung, Infektionen an der Scheide... Die Ängste dieser Frauen beziehen sich allein auf die Penetration. Dyspareunie Schmerzen beim Verkehr haben bei Frauen gewöhnlich einen körperlichen Grund. (z.B. entbindungsbedingte Schmerzen, Narben, Infektionen, allergische Reaktionen...) Therapien für sexuelle Funktionsstörungen Die letzten 20 Jahren brachten einen Umbruch in den psychotherapeutischen Verfahren. Vorher brauchte man vor allem die freudsche Psychoanalyse, welche die Ursachen der Störungen vor allem darin sah, dass die Entwicklung des Betroffenen in einer der psychosexuellen Stadien der Kindheit steckengeblieben war. (Ansatz: Diese Stadien mit dem Therapeut noch einmal erfolgreich durchleben) In den 50er und 60er Jahren boten dann Verhaltenstherapeuten alternative Therapien an. Nach der behavioristischen Theorie wurzeln sexuelle Funktionsstörungen in Angst, die bekanntlich die sexuelle Reaktion blockiert. (Ansatz: Muskelentspannungen, systematische Desensibilisierung...) Dieser angstreduzierende Ansatz war mässig erfolgreich, funktionierte aber nicht, wenn die Hauptgründe der Störung in Fehlinformationen, einer negativen Einstellung und mangelhafter sexueller Technik lagen. Als Masters und Johnson 1970 Impotenz und Anorgasmie veröffentlichten, setzte eine Revolution in der Therapie ein. Ihre Methode wurde bekannt als „Sexualtherapie“. Im Laufe der Jahre wurde sie erweitert und heute haben wir ein komplexes Behandlungsverfahren mit mehreren Komponenten, darunter kognitive, verhaltenstherapeutische und kommunikationsverbessernde Techniken. Zudem ist die Sexualtherapie eine Kurztherapie, die sich direkt auf das sexuelle Problem konzentriert statt auf eine Umstrukturierung der Persönlichkeit, und vom Charakter her direktiv. 15 bis 20 wöchentliche Therapiesitzungen genügen für die meisten Funktionsstörungen. 41 Der erste Schritt der Therapie besteht in der Beurteilung und begrifflichen Definition des Problems. Bei einer medizinischen Untersuchung auf mögliche organische Probleme werden die Patienten nach ihrer „sexuellen Vorgeschichte“ befragt. Die aktuelle Praxis ist, der Vergangenheit viel weniger Zeit zu widmen als den Emotionen, Einstellungen und Verhaltensweisen, die die Störung jetzt aufrechterhalten. Wichtig ist das Prinzip beidseitiger Verantwortlichkeit. (Beide Partner haben Anteil an dem sexuellen Problem.) Ein zweiter wichtiger Bestandteil der Sexualtherapie ist die Informationsvermittlung über Sexualität. Die dritte Komponente besteht in der Arbeit am problematischen Einstellungen, Kognitionen und Überzeugungen hinsichtlich Sexualität. Weiterhin gehört die Beseitigung von Leistungsangst und der Beobachterrolle durch Techniken der sensorischen Fokussierung und des nichtfordernden Lustspenders. Die sexuelle Bezieh-ung zwischen den Partnern wird eigentlich von Grund auf aufgebaut. Die fünfte Komponente besteht darin, die Kommunikation und die Effektivität der sexuellen Technik zu verbessern. Der letzte Bestandteil der Therapie zielt darauf ab, einen destruktiven Lebensstil und die ehelichen Interaktionen zu ändern. (Prioritäten neu ordnen, Zeitpunkt des Verkehrs...) Verminderte sexuelle Appetenz und sexuelle Aversion Aufgrund der vielen, schwierigen psychologischen Probleme erfordern diese Art von Störungen eine längere und komplexere Therapie. Jerry Friedman und Ronald J. Comer entwickelten (1988) dazu ein stufenweises Therapiemodell aus vier Schritten. 1. Die gefühlsmässige Bewusstmachung 2. Die Einsichtnahme (Dem Patienten zu verstehen helfen, warum er, die in der ersten Phase identifizierten negativen Emotionen hat. 3. kognitive und emotionale Veränderung 4. verhaltenstherapeutische Intervention (sensori-sche Fokussierung, Fertigkeitstraining... werden eingeführt) Bei sexueller Aversion aufgrund eines Missbrauchs oder einer Vergewaltigung kommen zusätzliche Therapieverfahren zum Einsatz. Die Patientin wird ermutigt, sich das Ereignis wieder ins Gedächtnis zu rufen und solange über diese Erinnerungen nachzudenken und zu reden, bis sie nicht mehr traumatisch sind. Kleiner Exkurs: Die Mythen über Geschlechtsrollen auf der Seite 520 Erektionsstörung Auch da wird die Leistungsangst reduziert und die Stimulation gesteigert. Wenn es sich auch um organische Beeinträchtigung der Erektion handelt, braucht es häufig auch eine medizinische Intervention. Verbreitet ist da die Implantation einer Penisprothese, die für eine künstliche Erektion sorgt. Eine nichtoperative Methode zur Behebung ist die Vakuumerektionshilfe. Durch ein Vakuum wird das Blut in den Penis gezogen. In manchen Fällen nützen auch gefässchirurgische Eingriffe oder intravenöse zugeführte Medikamente, die die Penisarterien erweitern. Ejaculatio praecox Vorzeitige Ejakulation lässt sich mit fast 100prozentigem Erfolg durch direktes, verhaltenstherapeutisches Training der Kontrollfähigkeit über die Ejakulation behandeln. Gehemmte Ejakulation Gehemmter Orgasmus beim Mann wird behandelt, indem man seine Leistungsangst reduziert und angemessene Stimulation sicherstellt Erregungs- und Orgasmusstörungen bei der Frau Therapiert wird mit Selbstexploration, Förderung des Körperbewusstseins und gezieltes Masturbationstraining (in neun Schritten). Wie wir bereits sahen, halten die Sexualtherapeuten das Ausbleiben eines Orgasmus beim Verkehr nicht für problematisch, sofern die Frau den Verkehr geniesst und zum Orgasmus kommt, wenn ihr Partner sie liebkost. Es geht darum, solchen Frauen zu vermitteln, dass sie völlig normal sind. Vaginismus Patientinnen mit Vaginismus üben, den Musculus pubococcygeus, der zum Beckenboden gehört und die Vagina umgibt, anzuspannen und zu entspannen, bis sie ihn willentlich kontrollieren können. Der Therapeut betont die Notwendigkeit wirksamer Stimulation, damit sie lernt, die Penetration mit vaginaler Lubrikation, Lust und Erregung statt mit Angst zu assoziieren. Die Therapie des Vaginismus ist äusserst erfolgreich. (mehr als 90%) 42 Dyspareunie Es gibt keine spezifische Therapie für „psychogene“ Dyspareunie. Da diese diese Störung im Grunde genommen mangelnde Erregung ist, werden die allgemeinen sexualtherapeutischen Verfahren und die spezifischen Techniken zur Förderung von Erregung und Orgasmus bei der Frau benutzt. Paraphilien Die Definition dieser Störung habe ich weiter oben schon eingeführt. Laut DSM-IV wird eine Diagnose nur an Personen vergeben, die diese Impulse oder Verhaltensweisen seit mindestens sechs Monaten verspüren und ihnen wiederholt nachgeben oder unter extremen Schuldgefühlen leiden. Relativ wenige Menschen erhalten tatsächlich die offizielle Diagnose „Paraphilie“, doch der grosse Markt paraphiler Pornographie und anderen Zubehörs lässt die Kliniker vermuten, dass die Störungen recht häufig sind. Insgesamt erbrachte die Forschung relativ wenig über die Ursachen und Therapiemöglichkeiten der meisten dieser Störungen (die meisten Männer haben). Fetischismus Die Hauptmerkmale sind wiederkehrende, starke sexuelle Impulse und sexuell erregende Phantasien, an denen der Gebrauch eines leblosen Objektes, oft unter Ausschluss aller anderen Stimuli, beteiligt ist. Gewöhnlich beginnt die Störung in der Adoleszenz. Die Ursachen des Fetischismus sind noch unklar. Die Behavioristen glauben jedoch, dass Fetische durch klassische Konditionierung erworben werden. Sie versuchten manchmal, einen Fetischismus mit Aversionstherapie zu behandeln. In einer Studie erhielten die fetischistischen Probanden einen Elektroschock am Arm oder Bein, während sie sich ihre Wunschobjekte vorstellten. Bei einer anderen Aversionstechnik, der verdeckten Sensibilisierung, sollen sich Personen mit Fetischismus das lustspendende, jedoch unerwünschte Objekt vorstellen und dieses Bild wiederholt mit einem vorgestellten aversiven Stimulus verknüpfen, bis sie das Objekt des erotischen Verlangens nicht mehr begehren. Eine weitere Varhaltenstherapie des Fetischismus ist die masturbatorische Sättigung. Dabei masturbiert der Klient bis zum Orgasmus, während er laut über ein sexuell angemessenes Objekt phantasiert, und geht dann dazu über, über fetischistische Objekte in allen Einzelheiten zu phantasieren, während er bis zum Orgasmus masturbiert; die fetischistische Phantasie setzt er dann eine Stunde lang fort. Dieses Verfahren soll Überdruss erzeugen, der wiederum mit dem Fetisch assoziiert wird. Transvestitischer Fetischismus oder Transvestitismus ist gekennzeichnet durch das wiederkehrende Bedürfnis oder Verlangen, Kleider des anderen Geschlechts zu tragen, um sich sexuell zu erregen. Die typische Person mit Transvestitismus, fast immer ein heterosexueller Mann, beginnt in der Kindheit oder Adoleszenz, Frauenkleider zu tragen. Transvestitischer Fetischismus wird oft mit Transsexualismus verwechselt, doch wie wir gleich sehen werden, sind dies zwei völlig getrennte Störungen. Die Entwicklung des Transvestitismus scheint manchmal den Prinzipien der operanten Konditionierung zu folgen. (Verstärkung für das Verkleiden) Pädophilie, wörtlich „Liebe zu Kindern“. Diese Personen suchen sexuelle Befriedigung durch Beobachten, Berühren oder einfache bis komplexe sexuelle Handlungen von und an präpubertären Kindern, die gewöhnlich bis 13 Jahre alt sind. Einige pädophile Menschen fühlen sich ausschliesslich von Kindern angezogen (ausschliesslicher Typus), andere auch von Erwachsenen (nichtausschliesslicher Typus) Studien sprechen dafür, dass das Opfer den Belästiger meistens kennt und dass in 15 bis 30 Prozent der Fälle sexueller Belästigung Inzest vorliegt. Diese Störung entwickelt sich gewöhnlich in der Adoleszenz. Viele pädophile Menschen wurden als Kinder selbst sexuell missbraucht. Manche Kliniker vermuten, dass die Hauptursache dieser Störung häufig in Unreife liegt. Die sozialen und sexuellen Fertigkeiten können unterentwickelt sein, so dass die Person bereits bei dem Gedanken an eine normale sexuelle Beziehung intensive Angst verspürt. Manche Pädophile zeigen auch fehlerhaftes Denken in Rationalisierungen wie „Sex mit Kindern ist in Ordnung, solange sie damit einverstanden sind.“ Zu den verschiedenen Therapien zählen die schon bei anderen Paraphilien erwähnten, etwa die Aversionstherapie und die masturbatorische Sättigung. Eine weitere, auch bei anderen Paraphilien angewandte Methode ist die orgasmische Neuorientierung (Enright 1989). Schliesslich gibt es eine kognitive Verhaltenstherapie für Pädophilie: das Rückfallpräventions-training. Nach dem Vorbild der Programme zur Rückfallprävention in der Therapie der Drogenab-hängigkeit (siehe im Buch Seite 493) hilft diese Methode dem Klienten, die problematischen Situationen, die seine pädophilen Phantasien und Handlungen gewöhnlich auslösen 43 (wie depressive Stimmung oder verzerrtes Denken), zu identifizieren und Strategien zu entwickeln, mit denen er diese Situationen vermeiden oder effektiver bewältigen kann. Eine Studie an 147 Personen mit Pädophilie ergab fünf Jahre nach dieser Therapie eine Rückfallquote von nur vier Prozent. Exhibitionismus Eine Person, die an Exhibitionismus leidet, hat die sexuell erregende Phantasie, ihre Genitalien vor einer anderen Person, fast immer des anderen Geschlechts, zur Schau zu stellen, sowie den wiederkehrenden, intensiven Drang, diese Phantasie auszuagieren. Weitere sexuelle Aktivitäten mit der anderen Person werden gewöhnlich nicht versucht oder gewünscht. Dagegen besteht häufig der Wunsch, den anderen zu erschrecken oder zu überraschen. Im allgemeinen tritt die Störung vor dem 18. Lebensjahr auf, und praktisch alle Exhibitionisten sind Männer. Viele zweifeln an oder ängstigen sich um ihre Männlichkeit, und manche scheinen stark an eine besitzer-greifende Mutter gebunden zu sein. Die Therapie entspricht der für andere Paraphilien. Voyeurismus, wiederkehrende, starke sexuelle Impulse, heimlich ahnungslose Menschen beim Auszeihen oder Paare beim Verkehr zu beobachten. Das Risiko, entdeckt zu werden, erhöht die Erregung der Person oft noch. Voyeurismus beginnt gewöhnlich vor dem 15. Lebensjahr und neigt zu chronischem Verlauf. Elemente des Exhibitionismus als auch des Voyeurismus können in der normalen Sexualität eine Rolle spielen, doch dann sind die Partner damit einverstanden. Die klinische Störung Voyeurismus ist dadurch gekennzeichnet, dass die Privatsphäre eines anderen wiederholt verletzt wird. Jeder psychologische Ansatz (Behaviorismus, die Psychodynamiker...) hat ein wenig eine andere Erklärung für dieses Verhalten. Frotteurismus, wiederkehrende, starke sexuelle Impulse, eine andere Person, die damit nicht einverstanden ist, zu berühren oder sich an ihr zu reiben, oder entsprechende, sexuell erregende Phantasien. Frotteurismus (franz. frotter - reiben) beginnt üblicherweise in der Adoleszenz oder früher. oft nachdem die Person beobachtet, wie ein anderer eine Frottage begeht. Wenn die Person etwa 25 Jahre alt ist, nimmt die Häufigkeit der Handlungen allmählich ab, und oft verschwinden sie ganz. Sexueller Masochismus Menschen haben wiederholte starke sexuelle Impulse und Phantasien, die darum kreisen, gedemütigt, geschlagen, gefesselt zu werden oder sonstige Leiden zugefügt zu bekommen. Bei einer bestimmten Form des sexuellen Masochismus, der Hypoxiphilie, würgen sich die Betroffenen zur Steigerung ihrer sexuellen Lust selbst oder bringen sich in Erstickungsgefahr, oder sie bitten den Partner darum. Es gibt sogar eine wachsende Zahl klinischer Berichte über autoerotische Asphyxie: Die Betroffenen, gewöhnlich männlich und manchmal nicht älter als zehn Jahre, führen unabsichtlich einen tödlichen Sauerstoffmangel im Gehirn herbei, indem sie sich beim Masturbieren aufhängen, ersticken oder strangulieren. In den meisten Fällen beginnen die masochistischen sexuellen Phantasien in der Kindheit. Die Person agiert sie aber erst später aus, gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter. In vielen Fällen scheint sich das Muster des sexuellen Masochismus durch klassische Konditionierung entwickelt zu haben. Kleiner Exkurs auf den Seiten 528 - 530 Vergewaltigung; Seiten 532 - 534 Homosexualität Sexueller Sadismus Gewöhnlich ein Mann, - erlebt intensive sexuelle Erregung, wenn er anderen Personen real oder in der Phantasie körperliches oder psychisches Leid zufügt. Die Bezeichnung leitet sich aus dem Namen Marquis de Sade (1740 - 1814) der anderen solche Grausamkeiten zufügte. Erscheinung und Ausübung wie beim Masochismus. Das Muster ist chronisch. Auch hier handelt es sich, nach der Vermutung der Behavioristen, bei der Entstehung häufig um eine klassischen Konditionie-rung. Die Behavioristen glauben auch, dass in vielen Fällen auch das Modelllernen zu Grunde liegt. Die psychodynamischen und kognitiv orientierten Theoretiker meinen, dass sexuellem Sadismus sexuelle Minderwertigkeitsgefühle oder Unsicherheit zugrunde liegen und dass die Betroffenen Schmerz zufügen, um ein Machtgefühl zu erleben, das wiederum ihre sexuelle Erregung steigert. Einige biologisch orientierte Untersuchungen fanden umgekehrt Anzeichen möglicher Funktionsstörungen im endokrinen System von Personen mit Sadismus. Keine der Untersuchungen wurde jedoch systematisch untersucht oder konsistent empirisch bestätigt. Der sexuelle Sadismus wurde mit aversiver Konditionierung behandelt. Es ist unklar, ob dies bei sexuellem Sadismus 44 durchgängig wirksam ist. Rückfallpräventionstraining, das bei einigen kriminellen Fällen angewandt wurde, scheint dagegen etwas zu bewirken. Gesellschaftliche Normen und sexuelle Etiketten Die Definition der verschiedenen Paraphilien hängt wie die der sexuellen Funktionsstörungen enger mit den Normen der Gesellschaft, in der sie auftreten, als mit festen medizinischen Kriterien zusammen. Wir müssen jedenfalls sehr sorgfältig sein anderen oder auch uns solche Etiketten anzuhängen. Halten wir uns vor Augen, dass die klinischen Fachleute Homosexualität lange Zeit als Paraphilie betrachteten und dass dieses Urteil zur Rechtfertigung von Gesetzen und sogar zu polizeilichen Massnahmen diente. Störungen der Geschlechtsidentität Eine der faszinierendsten Störungen im Zusammenhang mit Sexualität ist die Störung der Geschlechtsidentität oder Transsexualität. Die Betroffenen haben das anhaltende Gefühl, dass bei ihnen ein riesiger Fehler geschehen ist - sie haben das falsche Geschlecht. Sie sind ständig damit beschäftigt, wie sie ihre primären und sekundären Geschlechtsmerkmale - die viele von ihnen abstossend finden - loswerden und die Merkmale des anderen Geschlechts erhalten könnten. (Sie tragen auch oft die Kleider des anderen Geschlechts und gehen Aktivitäten, die traditionell mit dem anderen Geschlecht in Verbindung gebracht werden, nach.) Menschen mit der Paraphilie transvestitischer Fetischismus verkleiden sich, um sich sexuell zu erregen; Transsexuelle haben viel tiefere Gründe für die Verkleidung, Gründe, die mit der Geschlechtsidentität zu tun haben. Manche versuchen ihre Geschlechtsmerkmale durch eine Hormonbehandlung (Östrogen und Testosteron) zu verändern. Verschiedene psychologische Theorien versuchen, diese Störung zu erklären, doch auf diesem Gebiet liegen nur wenige und im allgemeinen wenig aussagekräftige Forschungsarbeiten vor. Manche Kliniker vermuten biologische Ursachen, doch die meisten Untersuchungen fanden keine Unterschiede. Manchmal haben auch Kinder Störungen der Geschlechtsidentität, welche gewöhnlich in der Adoleszenz verschwindet. Vielen Transsexuellen verhelfen Medikamente und Psychotherapie zu einem befriedigenden Leben in der Geschlechtsrolle, die sie für ihre wahre halten. Anderen genügt dies jedoch nicht, und ihre Unzufriedenheit bringt sie dazu, sich einem der umstrittensten Verfahren in der Medizin zu unterziehen: einer operativen Geschlechtsumwandlung. (erste Operation 1931) Unbehandelt ist eine Störung der Geschlechtsidentität bei Erwachsenen gewöhnlich chronisch, in manchen Fällen trat aber auch eine offensichtliche spontane Remission ein. Der Stand der Wissenschaft: Sexuelle Störungen Die klinischen Praktiker und Theoretiker haben erst vor kurzem angefangen, die Natur und die Ursprünge sexueller Funktionsstörungen zu verstehen und wirksame Therapien dafür zu entwickeln. Bei den Paraphilien, der anderen Gruppe sexueller Störungen, oder den mit Sexualität zusammenhängenden Störungen der Geschlechtsidentität sind die Fortschritte bei Wissen und Therapie noch sehr beschränkt. In den beiden letzten Jahrzehnten wurde die Sexualität aber zu einem der am intensivsten untersuchten Gegenstände in der klinischen Forschung. Eine der wichtigsten Einsichten aus diesen Arbeiten ist der Aufklärungsbedarf über sexuelle Funktionsstörungen. (sehr oft noch gesellschaftliche Mythen...) 45 Klinische Psychologie Zusammenfassung, Kapitel 14, Seite 501ff Jonas Baumann, 033 336 18 94, [email protected] Sexuelle Störungen und Störungen der Geschlechtsidentität Nur für wenige Bereiche des Erlebens und Verhaltens interessieren sich die Menschen mehr als für das Sexualverhalten. Weil unser Selbstwertgefühl so stark an die sexuelle Leistung geknüpft ist, kreisen sowohl persönliche Gedanken als auch öffentliche Diskussionen häufig um dieses Thema. Unsere Gesellschaft ist so neugierig auf gestörtes Sexualverhalten und verbindet soviel Scham damit, dass viele Menschen mit Problemen in diesem Bereich deswegen noch zusätzlich unter Angst, Schuldgefühlen oder Ekel vor sich selbst zu leiden haben. Es gibt zwei Arten von Störungen: sexuelle Funktionsstörungen: Eine Hemmung in einem bestimmten Abschnitt des sexuellen Reaktionszyklus. (z.B. keine Erregung, kein Orgasmus...) Paraphilien: Wiederkehrende, starke sexuell erregende Phantasien zu sexuellen Objekten oder Situationen. (die in der Gesellschaft gelten) angemessen Störungen der Geschlechtsidentität: Diese Personen haben durchgängig das Gefühl, dem falschen Geschlecht anzugehören und identifizieren sich mit dem anderen Geschlecht. Sexuelle Funktionsstörungen Viele psychischen Störungen betreffen nur eine kleine Gruppe Menschen. Sexuelle Funktionsstörungen wie Erektionsstörungen bei Männern oder Orgasmusschwierigkeiten bei Frauen dagegen sind sehr verbreitet und sehr leidvoll für die Betroffenen. Folgen davon sind oft sexuelle Frustration, Schuldgefühle, emotionale Probleme mit dem Sexualpartner. Sexuelle Funktionsstörungen sind ein häufiger Scheidungsgrund, leider -, denn die meisten lassen sich durch eine relativ kurze Therapie beheben. Ein Wort zur Terminologie: Die Menschen drücken sich oft vage aus, wenn sie von Sexualität sprechen; sie sagen „mit jemandem schlafen“, wenn sie „sich sexuell betätigen“ oder „Sex haben“ meinen. Den Ausdruck „Geschlechtsverkehr“ verwenden wir nur, wenn wir Penetration meinen. Andere sexuelle Aktivitäten werden ebenfalls genau bestimmt - „genitale Liebkosung“ beispielsweise statt des weniger deutlichen „Petting“. Das DSM-IV definiert die sexuellen Funktionsstörungen als psychophysische Störungen, die er der Person unmöglich machen, den Koitus auszuüben und/oder zu geniessen. Dieser wird (vor allem von William Masters und Virginia Johnson (1966) sowie Helen Kaphlan (1977)) in einen vierphasigen sexuellen Reaktionszyklus eingeteilt. Eine Funktionsstörung kann jede der ersten vier Phasen betreffen, also Appetenzphase, die Erregungsphase und die Orgasmusphase. Die vierte Phase, die Entspannungsphase ist nicht mit sexuellen Funktionsstörungen verknüpft. Die Appetenzphase: Verlangen nach sexueller Aktivität, sexuellen Phantasien... folgende zwei Störungen Verminderte sexuelle Appetenz (Mangel sex. Aktivität) sind damit verknüpft: sexuelle Aversion (Ekel, Abscheu, Angst...) Die Erregungsphase: allgemeine körperliche Erregung, Steigerung des Herzschlages, Muskelspannung Blutdruck und Atmung und durch spezifische Veränderungen im Beckenbereich. Blutandrang oder Vasokongestion im 46 Becken führt beim Mann zur Erektion und bei der Frau zum Anschwellen Klitoris und Schamlippen sowie Produktion von Vaginalflüssigkeit. folgende Störungen Störung der Erektion (Mann) (früher als Impotenz bez.) sind damit verknüpft: Störung der Erregung (Frau) (früher Frigidität genannt) von Heutige Sexualtherapeuten unterscheiden zwischen körperlicher Erregung und dem subjektiven Gefühl emotionaler Erregung. Die Orgasmusphase: reflexartige Muskelkontraktionen im Becken häufigste Störung: Ejaculatio praecox (Ejakulation bereits bei minimaler Stimulierung, bevor es die Person wünscht...) seltenere Störung beim Mann: gehemmte Ejakulation Störung bei der Frau: gehemmten Orgasmus (Es herrscht jedoch Uneinigkeit darüber, ob das Fehlen eines Orgasmus bei der Frau während des Verkehrs überhaupt eine sexuelle Funktionsstörung ist. Weitere Störungen, die sich nicht ganz in das Schema der Phasen einfügen lassen: Störungen mit sexuell bedingten Schmerzen: Vaginismus (spastische Kontraktionen verhindern das Eindringen des Penis in die Vagina.) Dyspareunie (schmerzhafte Vereinigung) schwere Schmerzen bei sexueller Aktivität Da die Kategorien des DSM-IV ziemlich unscharf sind, werden einer Diagnose häufig zwei zusätzliche deskriptive Dimensionen hinzugefügt, um das spezielle Problem eines Patienten deutlicher zu kennzeichnen. Die Störung kann entweder als lebenslang beziehungsweise erworben oder gar generalisiert beziehungsweise erworben beschrieben werden. Die Prävalenz sexueller Funktionsstörungen Es ist sehr schwierig genau anzugeben, wie viele Menschen von sexuellen Funktionsstörungen geplagt werden. Vielen Betroffenen ist es peinlich, sich in Therapie zu begeben. Trotzdem kam eine Studie zum Schluss, das 24% der amerikanischen Allgemeinbevölkerung an einer sexuellen Störung leiden. Diese Rate war die zweithöchste von allen diagnostischen Kategorien; nur die substanz-bezogenen Störungen kamen häufiger vor. Die Prävalenz von Funktionsstörungen beim Mann: Entgegen dem Stereotyp, das alle Männer so darstellt, als ob sie soviel Sex wollen, wie sie nur kriegen können, kommt verminderte sexuelle Appetenz bei 15% der untersuchten Männer vor. Sexuelle Aversion scheint so selten zu sein, dass sie in der Studie gar nicht auftaucht. Erektionsstörungen treten bei ca. 10% der Männer auf, meist sind sie über 50 Jahre alt. Die Häufigkeit von Ejaculatio praecox in epidemiologischen Studien schwankt zwischen zehn und 38 Prozent, wahrscheinlich weil auch die Definition des Problems schwankt. Die Orgasmusstörung beim Mann ist eine relativ seltene Störung, sie kommt bei etwa ein bis drei Prozent der Allgemeinbevölkerung vor. Die Prävalenz von Funktionsstörungen bei der Frau: Verminderte sexuelle Appetenz kommt bei 20% bis 35% vor. Ein schwacher Sexualtrieb ist heute das häufigste Problem in der klinischen Praxis. (Wie weit das gesellschaftlich bedingt ist, wäre wohl noch eine interessante Frage... Anmerkung von mir persönlich) Sexuelle Aversion ist weniger verbreitet. Eine Störung der sexuellen Erregung allein steht selten im Mittelpunkt von Sexualtherapie oder -forschung, da dieses Leiden gewöhnlich zugleich mit einer Orgasmusstörung besteht. Den Studien zufolge haben elf von 48% aller Frauen Erregungsstörungen. Zehn bis 15% hatten noch nie einen Orgasmus und weitere zehn bis 15% erleben ihn nur selten. (Kleiner Exkurs: Die neusten Forschungen haben ergeben, dass es praktisch keinen Unterschied zwischen einem vaginalen und einem klitoralen Orgasmus gibt!) Ursachen sexueller Funktionsstörungen Die Theorien zu den Ursachen sexueller Funktionsstörungen legen den Schwerpunkt auf unterschiedliche Faktoren: auf die Auswirkungen dessen, was in der Kindheit über Sexualität gelernt wurde, auf problematische Einstellungen und Überzeugungen, auf biologische Ursachen wie Auswirkungen von 47 Erkrankungen und Medikamenten, auf individuelle psychodynamische Faktoren und auf Beziehungsprobleme. Verminderte sexuelle Appetenz und sexuelle Aversion. Die Definition eines schwachen Sexualtriebs ist etwas problematisch. Das DSM-IV definiert spezifiziert nicht, was ein „Mangel“ an sexuellem Verlangen... ist. Aufgrund der Ergebnisse einer Studie (Siehe Seite 508) ist die Diagnose „vermin-derte sexuelle Appetenz“ vermutlich erst dann gerechtfertigt, wenn der Patient weniger oft als einmal alle zwei Wochen Verkehr haben möchte. In den meisten sexualtherapeutischen Fällen geht es nicht bloss um ein vermindertes sexuelles Verlangen, sondern um ein praktisch nichtexististentes sexuelles Verlangen. Den Sexualtrieb einer Person beeinflusst ein ganzes Bündel körperlicher und psychischer Faktoren, von denen jeder einzelne dämpfend wirken kann. Die meisten der einschlägigen Fälle lassen sich hauptsächlich auf psychische Faktoren zurückführen, doch auch bestimmte körperliche Bedingungen können das sexuelle Verlangen einer Person drastisch herabsetzen. Zunächst einmal spielen die Hormone eine wichtige Rolle, resp. der Hormonspiegel. Testosteron, das wichtigste männliche Sexualhormon, beeinflusst den Sexualtrieb sowohl von Männern als auch Frauen (wird in den Nebennieren produziert) Luteinsierendes Hormon, das von der Hypophyse im Gehirn erzeugt wird, regt die Testosteronproduktion an. Östrogen, das wichtigste weibliche Sexualhormon, hat ebenfalls Bedeutung für den Sexualtrieb. (Frauen nach der Menopause haben manchmal einen zu niedrigen Östrogenspiegel) Bei Männern beeinträchtigt eine Östrogenkonzentration über dem normalen, niedrigen Spiegel den Sexualtrieb. Männer produzieren geringe Östrogenmengen, die jedoch üblicherweise in der Leber abgebaut werden und keine Wirkung haben. Erhöhte Konzentration von Prolaktin, einem anderen Hypophysenhormon, beeinträchtigen den Sexualtrieb sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Stillende Frauen weisen einen erhöhten Prolaktinspiegel auf, da dieses Hormon an der Milchproduktion beteiligt ist, und manche von ihnen haben einen herabgesetzten Sexualtrieb. Auch auffällig hohe oder tiefe Spiegel einiger Schilddrüsenhormone dämpfen den Sexualtrieb. Alle diese hormonellen Auffälligkeiten lassen sich mit Hormonsubstitution oder Medikamenten behandeln. Es scheint jedoch, dass nur bei einem sehr kleinen Anteil der Fälle von verminderter sexueller Appetenz die Ursache in auffälligen Hormonspiegeln liegt. Eine Reihe von Medikamenten (darunter auch Antipsychotika, Antidepressiva...) und Drogen unterdrückt den Sexualtrieb. So kennt man eine Menge Substanzen, die den Sexualtrieb dämpfen, doch die jahrhundertelange Suche nach einem echten Aphrodisiakum - einem Mittel, das den Sexualtrieb anregt - blieb bisher erfolglos. Auch chronische Krankheiten, Scheidung, Todesfall... führen zu vermindertem sexuellen Verlangen, sowie persönliche Überzeugungen (stark sexualfeindliche religiöse und kulturelle) und Merkmale (Persönlichkeit). Schon eine unglückliche, konfliktreiche Beziehung genügt, um den Sexualtrieb erlöschen zu lassen. All diese Faktoren und noch viel mehr können sowohl verminderte sexuelle Appetenz als auch sexuelle Aversion herbeiführen. Die Erfahrung, sexuell missbraucht oder vergewaltigt worden zu sein, führt vor allem zu sexueller Aversion. Erektionsstörung geht oft auf eine Kombination von körperlicher und psychischer Faktoren zurück. Also psychogene und organische Faktoren. Diesselben hormonellen Auffälligkeiten, die verminderte sexuelle Appetenz auslösen können, können auch Erektionsstörungen hervorrufen. Doch auffällige Testosteron-, Östrogen-, Prolaktin- oder Schilddrüsenhormonspeigel finden sich nur in einem geringen Prozentsatz der Fälle. Gefässbedingte Auffälligkeiten sind viel häufiger. Eine Herzkrankheit, eine Behinderung des Blutstroms in den Penis durch Arteriosklerose (Arterienverengung, bedingt z.B. durch jahrelanges starkes Rauchen) oder übermässiger Blutabfluss über abnorm vergrösserte Penisvenen können eine Erektionsstörung daher eher hervorrufen. Etwa 50% aller Diabetiker haben Erektionsstörungen, da Diabetes oft die an der Erektion beteiligten peripheren Nerven schädigt. Verletzungen des Rückenmarks, Nierenversagen und Dialyse, Medikamente... sind weitere Faktoren. Die psychischen Faktoren sind oft sehr komplex. Auch hier spielen wieder sehr viele Beziehungspunkte und -muster mit. Weiter fand man heraus, dass arbeitslose Männer mit finanziellen Schwierigkeiten häufig Erektionsprobleme haben. Ein wichtiger, von Masters und Johnson (1970) hervorgehobener Mechanismus sind Leistungsangst und die die Beobachterrolle. Ejaculatio praecox scheint typisch zu sein für junge, sexuell unerfahrene Männer, die einfach nicht gelernt haben, langsam zu machen, ihre Erregung zu regulieren und den lustvollen Prozess des sexuellen Aktes zu verlängern. Da das sympathische Nervensystem sowohl an Angst als auch an der 48 Ejakulation beteiligt ist, vermuten die Sexualtherapeuten, dass die Versuche, die Ejakulation zurückzuhalten, Angst auslösen, die wiederum das Problem verschlimmert. (Eine Studie bestätigte dies jedoch nicht) Gehemmte Ejakulation kann durch eine Anzahl physiologischer Faktoren entstehen. Auch hier können Medikamente, Drogen, Alkohol... eine wichtige Rolle spielen. Auch kann eine Gehirnerschütterung gehemmte Ejakulation hervorrufen, die Gründe jedoch sind noch im Dunkeln. Die psychischen Ursachen der gehemmten Ejakulation dürften denen der gehemmten Erektion ähneln. Störungen der Erregung und des Orgasmus bei der Frau Die meisten inorgasmischen Frauen, die zur Therapie kommen, berichten, dass sie sexualfeindlich erzogen wurden (Bestrafung bei Masturbation, mangelnde Vorbereitung auf den Beginn der Menstruation, Restriktionen der Kontakte zu Jungen...) Die Forschung bewies jedoch, dass eine derartige Vorgeschichte bei sexuell nicht gestörten Frauen genau so häufig vorliegt. Leider ist noch offen, welche „Schutzfaktoren“ manche Frauen gegen diese negativen kulturellen und familiären Botschaften immun machen. Zu den psychischen Faktoren gehören all jene, die ich weiter oben auch schon aufgeführt habe. Kindheitserinnerungen an eine positive Beziehung zu der Mutter, Zuneigung zwischen den Eltern, positive Persönlichkeitszüge der Mutter und Ausdruck positiver Emotionen durch die Mutter erwiesen sich alle als mit Orgasmusfähigkeit verbunden. Noch enger hingen der Grad der emotionalen Anteilnahme und die Dauer der Beziehung zum Zeitpunkt der ersten Koituserfahrungen der Frau, die bei dieser Erfahrung erlebte Lust, die gegenwärtige Anziehungskraft des Körpers ihres Partners und die eheliche Harmonie damit zusammen. Auch körperliche Beschwerden, z.B. neurologischer Art (multiple Sklerose...) können Gründe für die Orgasmusunfähigkeit sein. Auch Medikamente und Drogen können die Orgasmusfähigkeit beeinträchtigen. Die Veränderungen nach der Menopause... führt auch bei einigen Frauen dazu. Vaginismus hat keine physiologischen Ursachen; bei diesem psychisch bedingten Leiden verkrampfen sich unwillkürlich die Muskeln um die Vagina. Dies gilt als konditionierter Angstreflex, der durch die Vorwegnahme einer schmerzhaften und schädigenden Penetration ausgelöst wird. Ursachen: allgemeine Angst und Unwissenheit bezüglich des Geschlechtsverkehrs, spezifische, durch übertriebene Geschichten, wie schmerzhaft und blutig der erste Verkehr für Frauen sei, aus- gelöste Ängste, ein Trauma aufgrund eines ungeübten, ungeduldigen Liebhabers, ein Trauma eines Missbrauchs oder einer Vergewaltigung, Infektionen an der Scheide... Die Ängste dieser Frauen beziehen sich allein auf die Penetration. Dyspareunie Schmerzen beim Verkehr haben bei Frauen gewöhnlich einen körperlichen Grund. (z.B. entbindungsbedingte Schmerzen, Narben, Infektionen, allergische Reaktionen...) Therapien für sexuelle Funktionsstörungen Die letzten 20 Jahren brachten einen Umbruch in den psychotherapeutischen Verfahren. Vorher brauchte man vor allem die freudsche Psychoanalyse, welche die Ursachen der Störungen vor allem darin sah, dass die Entwicklung des Betroffenen in einer der psychosexuellen Stadien der Kindheit steckengeblieben war. (Ansatz: Diese Stadien mit dem Therapeut noch einmal erfolgreich durchleben) In den 50er und 60er Jahren boten dann Verhaltenstherapeuten alternative Therapien an. Nach der behavioristischen Theorie wurzeln sexuelle Funktionsstörungen in Angst, die bekanntlich die sexuelle Reaktion blockiert. (Ansatz: Muskelentspannungen, systematische Desensibilisierung...) Dieser angstreduzierende Ansatz war mässig erfolgreich, funktionierte aber nicht, wenn die Hauptgründe der Störung in Fehlinformationen, einer negativen Einstellung und mangelhafter sexueller Technik lagen. Als Masters und Johnson 1970 Impotenz und Anorgasmie veröffentlichten, setzte eine Revolution in der Therapie ein. Ihre Methode wurde bekannt als „Sexualtherapie“. Im Laufe der Jahre wurde sie erweitert und heute haben wir ein komplexes Behandlungsverfahren mit mehreren Komponenten, darunter kognitive, verhaltenstherapeutische und kommunikationsverbessernde Techniken. Zudem ist die Sexualtherapie eine Kurztherapie, die sich direkt auf das sexuelle Problem konzentriert statt auf eine Umstrukturierung der Persönlichkeit, und vom Charakter her direktiv. 15 bis 20 wöchentliche Therapiesitzungen genügen für die meisten Funktionsstörungen. 49 Der erste Schritt der Therapie besteht in der Beurteilung und begrifflichen Definition des Problems. Bei einer medizinischen Untersuchung auf mögliche organische Probleme werden die Patienten nach ihrer „sexuellen Vorgeschichte“ befragt. Die aktuelle Praxis ist, der Vergangenheit viel weniger Zeit zu widmen als den Emotionen, Einstellungen und Verhaltensweisen, die die Störung jetzt aufrechterhalten. Wichtig ist das Prinzip beidseitiger Verantwortlichkeit. (Beide Partner haben Anteil an dem sexuellen Problem.) Ein zweiter wichtiger Bestandteil der Sexualtherapie ist die Informationsvermittlung über Sexualität. Die dritte Komponente besteht in der Arbeit am problematischen Einstellungen, Kognitionen und Überzeugungen hinsichtlich Sexualität. Weiterhin gehört die Beseitigung von Leistungsangst und der Beobachterrolle durch Techniken der sensorischen Fokussierung und des nichtfordernden Lustspenders. Die sexuelle Bezieh-ung zwischen den Partnern wird eigentlich von Grund auf aufgebaut. Die fünfte Komponente besteht darin, die Kommunikation und die Effektivität der sexuellen Technik zu verbessern. Der letzte Bestandteil der Therapie zielt darauf ab, einen destruktiven Lebensstil und die ehelichen Interaktionen zu ändern. (Prioritäten neu ordnen, Zeitpunkt des Verkehrs...) Verminderte sexuelle Appetenz und sexuelle Aversion Aufgrund der vielen, schwierigen psychologischen Probleme erfordern diese Art von Störungen eine längere und komplexere Therapie. Jerry Friedman und Ronald J. Comer entwickelten (1988) dazu ein stufenweises Therapiemodell aus vier Schritten. 1. Die gefühlsmässige Bewusstmachung 2. Die Einsichtnahme (Dem Patienten zu verstehen helfen, warum er, die in der ersten Phase identifizierten negativen Emotionen hat. 3. kognitive und emotionale Veränderung 4. verhaltenstherapeutische Intervention (sensori-sche Fokussierung, Fertigkeitstraining... werden eingeführt) Bei sexueller Aversion aufgrund eines Missbrauchs oder einer Vergewaltigung kommen zusätzliche Therapieverfahren zum Einsatz. Die Patientin wird ermutigt, sich das Ereignis wieder ins Gedächtnis zu rufen und solange über diese Erinnerungen nachzudenken und zu reden, bis sie nicht mehr traumatisch sind. Kleiner Exkurs: Die Mythen über Geschlechtsrollen auf der Seite 520 Erektionsstörung Auch da wird die Leistungsangst reduziert und die Stimulation gesteigert. Wenn es sich auch um organische Beeinträchtigung der Erektion handelt, braucht es häufig auch eine medizinische Intervention. Verbreitet ist da die Implantation einer Penisprothese, die für eine künstliche Erektion sorgt. Eine nichtoperative Methode zur Behebung ist die Vakuumerektionshilfe. Durch ein Vakuum wird das Blut in den Penis gezogen. In manchen Fällen nützen auch gefässchirurgische Eingriffe oder intravenöse zugeführte Medikamente, die die Penisarterien erweitern. Ejaculatio praecox Vorzeitige Ejakulation lässt sich mit fast 100prozentigem Erfolg durch direktes, verhaltenstherapeutisches Training der Kontrollfähigkeit über die Ejakulation behandeln. Gehemmte Ejakulation Gehemmter Orgasmus beim Mann wird behandelt, indem man seine Leistungsangst reduziert und angemessene Stimulation sicherstellt Erregungs- und Orgasmusstörungen bei der Frau Therapiert wird mit Selbstexploration, Förderung des Körperbewusstseins und gezieltes Masturbationstraining (in neun Schritten). Wie wir bereits sahen, halten die Sexualtherapeuten das Ausbleiben eines Orgasmus beim Verkehr nicht für problematisch, sofern die Frau den Verkehr geniesst und zum Orgasmus kommt, wenn ihr Partner sie liebkost. Es geht darum, solchen Frauen zu vermitteln, dass sie völlig normal sind. Vaginismus Patientinnen mit Vaginismus üben, den Musculus pubococcygeus, der zum Beckenboden gehört und die Vagina umgibt, anzuspannen und zu entspannen, bis sie ihn willentlich kontrollieren können. Der Therapeut betont die Notwendigkeit wirksamer Stimulation, damit sie lernt, die Penetration mit vaginaler Lubrikation, Lust und Erregung statt mit Angst zu assoziieren. Die Therapie des Vaginismus ist äusserst erfolgreich. (mehr als 90%) 50 Dyspareunie Es gibt keine spezifische Therapie für „psychogene“ Dyspareunie. Da diese diese Störung im Grunde genommen mangelnde Erregung ist, werden die allgemeinen sexualtherapeutischen Verfahren und die spezifischen Techniken zur Förderung von Erregung und Orgasmus bei der Frau benutzt. Paraphilien Die Definition dieser Störung habe ich weiter oben schon eingeführt. Laut DSM-IV wird eine Diagnose nur an Personen vergeben, die diese Impulse oder Verhaltensweisen seit mindestens sechs Monaten verspüren und ihnen wiederholt nachgeben oder unter extremen Schuldgefühlen leiden. Relativ wenige Menschen erhalten tatsächlich die offizielle Diagnose „Paraphilie“, doch der grosse Markt paraphiler Pornographie und anderen Zubehörs lässt die Kliniker vermuten, dass die Störungen recht häufig sind. Insgesamt erbrachte die Forschung relativ wenig über die Ursachen und Therapiemöglichkeiten der meisten dieser Störungen (die meisten Männer haben). Fetischismus Die Hauptmerkmale sind wiederkehrende, starke sexuelle Impulse und sexuell erregende Phantasien, an denen der Gebrauch eines leblosen Objektes, oft unter Ausschluss aller anderen Stimuli, beteiligt ist. Gewöhnlich beginnt die Störung in der Adoleszenz. Die Ursachen des Fetischismus sind noch unklar. Die Behavioristen glauben jedoch, dass Fetische durch klassische Konditionierung erworben werden. Sie versuchten manchmal, einen Fetischismus mit Aversionstherapie zu behandeln. In einer Studie erhielten die fetischistischen Probanden einen Elektroschock am Arm oder Bein, während sie sich ihre Wunschobjekte vorstellten. Bei einer anderen Aversionstechnik, der verdeckten Sensibilisierung, sollen sich Personen mit Fetischismus das lustspendende, jedoch unerwünschte Objekt vorstellen und dieses Bild wiederholt mit einem vorgestellten aversiven Stimulus verknüpfen, bis sie das Objekt des erotischen Verlangens nicht mehr begehren. Eine weitere Varhaltenstherapie des Fetischismus ist die masturbatorische Sättigung. Dabei masturbiert der Klient bis zum Orgasmus, während er laut über ein sexuell angemessenes Objekt phantasiert, und geht dann dazu über, über fetischistische Objekte in allen Einzelheiten zu phantasieren, während er bis zum Orgasmus masturbiert; die fetischistische Phantasie setzt er dann eine Stunde lang fort. Dieses Verfahren soll Überdruss erzeugen, der wiederum mit dem Fetisch assoziiert wird. Transvestitischer Fetischismus oder Transvestitismus ist gekennzeichnet durch das wiederkehrende Bedürfnis oder Verlangen, Kleider des anderen Geschlechts zu tragen, um sich sexuell zu erregen. Die typische Person mit Transvestitismus, fast immer ein heterosexueller Mann, beginnt in der Kindheit oder Adoleszenz, Frauenkleider zu tragen. Transvestitischer Fetischismus wird oft mit Transsexualismus verwechselt, doch wie wir gleich sehen werden, sind dies zwei völlig getrennte Störungen. Die Entwicklung des Transvestitismus scheint manchmal den Prinzipien der operanten Konditionierung zu folgen. (Verstärkung für das Verkleiden) Pädophilie, wörtlich „Liebe zu Kindern“. Diese Personen suchen sexuelle Befriedigung durch Beobachten, Berühren oder einfache bis komplexe sexuelle Handlungen von und an präpubertären Kindern, die gewöhnlich bis 13 Jahre alt sind. Einige pädophile Menschen fühlen sich ausschliesslich von Kindern angezogen (ausschliesslicher Typus), andere auch von Erwachsenen (nichtausschliesslicher Typus) Studien sprechen dafür, dass das Opfer den Belästiger meistens kennt und dass in 15 bis 30 Prozent der Fälle sexueller Belästigung Inzest vorliegt. Diese Störung entwickelt sich gewöhnlich in der Adoleszenz. Viele pädophile Menschen wurden als Kinder selbst sexuell missbraucht. Manche Kliniker vermuten, dass die Hauptursache dieser Störung häufig in Unreife liegt. Die sozialen und sexuellen Fertigkeiten können unterentwickelt sein, so dass die Person bereits bei dem Gedanken an eine normale sexuelle Beziehung intensive Angst verspürt. Manche Pädophile zeigen auch fehlerhaftes Denken in Rationalisierungen wie „Sex mit Kindern ist in Ordnung, solange sie damit einverstanden sind.“ Zu den verschiedenen Therapien zählen die schon bei anderen Paraphilien erwähnten, etwa die Aversionstherapie und die masturbatorische Sättigung. Eine weitere, auch bei anderen Paraphilien angewandte Methode ist die orgasmische Neuorientierung (Enright 1989). Schliesslich gibt es eine kognitive Verhaltenstherapie für Pädophilie: das Rückfallpräventions-training. Nach dem Vorbild der Programme zur Rückfallprävention in der Therapie der Drogenab-hängigkeit (siehe im Buch Seite 493) hilft diese Methode dem Klienten, die problematischen Situationen, die seine pädophilen Phantasien und Handlungen gewöhnlich auslösen 51 (wie depressive Stimmung oder verzerrtes Denken), zu identifizieren und Strategien zu entwickeln, mit denen er diese Situationen vermeiden oder effektiver bewältigen kann. Eine Studie an 147 Personen mit Pädophilie ergab fünf Jahre nach dieser Therapie eine Rückfallquote von nur vier Prozent. Exhibitionismus Eine Person, die an Exhibitionismus leidet, hat die sexuell erregende Phantasie, ihre Genitalien vor einer anderen Person, fast immer des anderen Geschlechts, zur Schau zu stellen, sowie den wiederkehrenden, intensiven Drang, diese Phantasie auszuagieren. Weitere sexuelle Aktivitäten mit der anderen Person werden gewöhnlich nicht versucht oder gewünscht. Dagegen besteht häufig der Wunsch, den anderen zu erschrecken oder zu überraschen. Im allgemeinen tritt die Störung vor dem 18. Lebensjahr auf, und praktisch alle Exhibitionisten sind Männer. Viele zweifeln an oder ängstigen sich um ihre Männlichkeit, und manche scheinen stark an eine besitzer-greifende Mutter gebunden zu sein. Die Therapie entspricht der für andere Paraphilien. Voyeurismus, wiederkehrende, starke sexuelle Impulse, heimlich ahnungslose Menschen beim Auszeihen oder Paare beim Verkehr zu beobachten. Das Risiko, entdeckt zu werden, erhöht die Erregung der Person oft noch. Voyeurismus beginnt gewöhnlich vor dem 15. Lebensjahr und neigt zu chronischem Verlauf. Elemente des Exhibitionismus als auch des Voyeurismus können in der normalen Sexualität eine Rolle spielen, doch dann sind die Partner damit einverstanden. Die klinische Störung Voyeurismus ist dadurch gekennzeichnet, dass die Privatsphäre eines anderen wiederholt verletzt wird. Jeder psychologische Ansatz (Behaviorismus, die Psychodynamiker...) hat ein wenig eine andere Erklärung für dieses Verhalten. Frotteurismus, wiederkehrende, starke sexuelle Impulse, eine andere Person, die damit nicht einverstanden ist, zu berühren oder sich an ihr zu reiben, oder entsprechende, sexuell erregende Phantasien. Frotteurismus (franz. frotter - reiben) beginnt üblicherweise in der Adoleszenz oder früher. oft nachdem die Person beobachtet, wie ein anderer eine Frottage begeht. Wenn die Person etwa 25 Jahre alt ist, nimmt die Häufigkeit der Handlungen allmählich ab, und oft verschwinden sie ganz. Sexueller Masochismus Menschen haben wiederholte starke sexuelle Impulse und Phantasien, die darum kreisen, gedemütigt, geschlagen, gefesselt zu werden oder sonstige Leiden zugefügt zu bekommen. Bei einer bestimmten Form des sexuellen Masochismus, der Hypoxiphilie, würgen sich die Betroffenen zur Steigerung ihrer sexuellen Lust selbst oder bringen sich in Erstickungsgefahr, oder sie bitten den Partner darum. Es gibt sogar eine wachsende Zahl klinischer Berichte über autoerotische Asphyxie: Die Betroffenen, gewöhnlich männlich und manchmal nicht älter als zehn Jahre, führen unabsichtlich einen tödlichen Sauerstoffmangel im Gehirn herbei, indem sie sich beim Masturbieren aufhängen, ersticken oder strangulieren. In den meisten Fällen beginnen die masochistischen sexuellen Phantasien in der Kindheit. Die Person agiert sie aber erst später aus, gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter. In vielen Fällen scheint sich das Muster des sexuellen Masochismus durch klassische Konditionierung entwickelt zu haben. Kleiner Exkurs auf den Seiten 528 - 530 Vergewaltigung; Seiten 532 - 534 Homosexualität Sexueller Sadismus Gewöhnlich ein Mann, - erlebt intensive sexuelle Erregung, wenn er anderen Personen real oder in der Phantasie körperliches oder psychisches Leid zufügt. Die Bezeichnung leitet sich aus dem Namen Marquis de Sade (1740 - 1814) der anderen solche Grausamkeiten zufügte. Erscheinung und Ausübung wie beim Masochismus. Das Muster ist chronisch. Auch hier handelt es sich, nach der Vermutung der Behavioristen, bei der Entstehung häufig um eine klassischen Konditionie-rung. Die Behavioristen glauben auch, dass in vielen Fällen auch das Modelllernen zu Grunde liegt. Die psychodynamischen und kognitiv orientierten Theoretiker meinen, dass sexuellem Sadismus sexuelle Minderwertigkeitsgefühle oder Unsicherheit zugrunde liegen und dass die Betroffenen Schmerz zufügen, um ein Machtgefühl zu erleben, das wiederum ihre sexuelle Erregung steigert. Einige biologisch orientierte Untersuchungen fanden umgekehrt Anzeichen möglicher Funktionsstörungen im endokrinen System von Personen mit Sadismus. Keine der Untersuchungen wurde jedoch systematisch untersucht oder konsistent empirisch bestätigt. Der sexuelle Sadismus wurde mit aversiver Konditionierung behandelt. Es ist unklar, ob dies bei sexuellem Sadismus 52 durchgängig wirksam ist. Rückfallpräventionstraining, das bei einigen kriminellen Fällen angewandt wurde, scheint dagegen etwas zu bewirken. Gesellschaftliche Normen und sexuelle Etiketten Die Definition der verschiedenen Paraphilien hängt wie die der sexuellen Funktionsstörungen enger mit den Normen der Gesellschaft, in der sie auftreten, als mit festen medizinischen Kriterien zusammen. Wir müssen jedenfalls sehr sorgfältig sein anderen oder auch uns solche Etiketten anzuhängen. Halten wir uns vor Augen, dass die klinischen Fachleute Homosexualität lange Zeit als Paraphilie betrachteten und dass dieses Urteil zur Rechtfertigung von Gesetzen und sogar zu polizeilichen Massnahmen diente. Störungen der Geschlechtsidentität Eine der faszinierendsten Störungen im Zusammenhang mit Sexualität ist die Störung der Geschlechtsidentität oder Transsexualität. Die Betroffenen haben das anhaltende Gefühl, dass bei ihnen ein riesiger Fehler geschehen ist - sie haben das falsche Geschlecht. Sie sind ständig damit beschäftigt, wie sie ihre primären und sekundären Geschlechtsmerkmale - die viele von ihnen abstossend finden - loswerden und die Merkmale des anderen Geschlechts erhalten könnten. (Sie tragen auch oft die Kleider des anderen Geschlechts und gehen Aktivitäten, die traditionell mit dem anderen Geschlecht in Verbindung gebracht werden, nach.) Menschen mit der Paraphilie transvestitischer Fetischismus verkleiden sich, um sich sexuell zu erregen; Transsexuelle haben viel tiefere Gründe für die Verkleidung, Gründe, die mit der Geschlechtsidentität zu tun haben. Manche versuchen ihre Geschlechtsmerkmale durch eine Hormonbehandlung (Östrogen und Testosteron) zu verändern. Verschiedene psychologische Theorien versuchen, diese Störung zu erklären, doch auf diesem Gebiet liegen nur wenige und im allgemeinen wenig aussagekräftige Forschungsarbeiten vor. Manche Kliniker vermuten biologische Ursachen, doch die meisten Untersuchungen fanden keine Unterschiede. Manchmal haben auch Kinder Störungen der Geschlechtsidentität, welche gewöhnlich in der Adoleszenz verschwindet. Vielen Transsexuellen verhelfen Medikamente und Psychotherapie zu einem befriedigenden Leben in der Geschlechtsrolle, die sie für ihre wahre halten. Anderen genügt dies jedoch nicht, und ihre Unzufriedenheit bringt sie dazu, sich einem der umstrittensten Verfahren in der Medizin zu unterziehen: einer operativen Geschlechtsumwandlung. (erste Operation 1931) Unbehandelt ist eine Störung der Geschlechtsidentität bei Erwachsenen gewöhnlich chronisch, in manchen Fällen trat aber auch eine offensichtliche spontane Remission ein. Der Stand der Wissenschaft: Sexuelle Störungen Die klinischen Praktiker und Theoretiker haben erst vor kurzem angefangen, die Natur und die Ursprünge sexueller Funktionsstörungen zu verstehen und wirksame Therapien dafür zu entwickeln. Bei den Paraphilien, der anderen Gruppe sexueller Störungen, oder den mit Sexualität zusammenhängenden Störungen der Geschlechtsidentität sind die Fortschritte bei Wissen und Therapie noch sehr beschränkt. In den beiden letzten Jahrzehnten wurde die Sexualität aber zu einem der am intensivsten untersuchten Gegenstände in der klinischen Forschung. Eine der wichtigsten Einsichten aus diesen Arbeiten ist der Aufklärungsbedarf über sexuelle Funktionsstörungen. (sehr oft noch gesellschaftliche Mythen...) 53 54