Leseprobe Potentialausgleich - VDE

Werbung
3
Potentialausgleich
3.1
Einführung
Der bisher übliche Begriff „Hauptpotentialausgleich“ taucht in neueren Normen nicht
mehr auf. Stattdessen wurde der Begriff „Schutzpotentialausgleich“ eingeführt, und
der früher bekannte „zusätzliche Potentialausgleich“ heißt nach der neuen Begrifflichkeit „zusätzlicher Schutzpotentialausgleich“. Mit dieser Änderung wollte man
auch begrifflich eine saubere Abgrenzung erzielen zwischen
x dem Potentialausgleich, der eine Teilmaßnahme für den Schutz vor elektrischem
Schlag, z. B. nach VDE 0100-410, darstellt und
x dem Funktionspotentialausgleich, z. B. nach VDE 0800-2-310, der u. a. dazu dient,
für informationstechnische Anlagen einen sauberen Signalbezug herzustellen
Dass Normen der Reihe VDE 0800 Anforderungen zum Potentialausgleich beschreiben, ist verständlich, denn informationstechnische Einrichtungen sind in der
Regel wesentlich sensibler als übliche Betriebsmittel der Energietechnik, und die
üblichen Störgrößen werden durch einen umfassenden Potentialausgleich deutlich
reduziert. Probleme entstehen häufig, wenn die Informationstechnik unabhängig
von der übrigen elektrischen Anlage geplant und errichtet wird. Hier passen die
Dinge oft nicht mehr zusammen, und es darf nicht verwundern, wenn anschließend
funktionelle Probleme auftreten.
Planer und Errichter von elektrischen Niederspannungsanlagen berücksichtigen bei
Erdung und Potentialausgleich in der Regel zunächst nur die Anforderungen der Normenreihe VDE 0100. Diese Einstellung ist jedoch nicht mehr zeitgemäß. Wer weiß,
dass im fertigen Gebäude informationstechnische Einrichtungen betrieben werden,
muss entsprechend den Anforderungen aus VDE 0100-510, Abschnitt 512.1.5, auch
die Belange solcher Einrichtungen mit im Blick haben.
Für den Fall, dass informationstechnische Anlagen zu berücksichtigen sind, müssen
zwangsläufig zu den Anforderungen an Erdung und Potentialausgleich, wie sie in
Normen der Normenreihe VDE 0100 beschrieben werden, solche aus Normen der
Normenreihe VDE 0800 beachtet werden. Ganz und gar falsch ist deshalb die Behauptung, dass die Anforderungen zu Erdung und Potentialausgleich nach Normen
der Normenreihe VDE 0800 bei Berücksichtigung der Anforderungen nach Normen
der Normenreihe VDE 0100 automatisch miterfüllt sind.
Um jedoch die Abgrenzung zwischen dem Schutzpotentialausgleich und dem Funktionspotentialausgleich exakter zu fassen, benötigt man von ihnen genaue Beschreibun-
27
gen. Meist weiß die Elektrofachkraft zwar, was im Zusammenhang mit der Errichtung
eines Schutzpotentialausgleichs angeschlossen und verbunden werden muss, weil sie
dies so gelernt hat. Die theoretischen Hintergründe sind jedoch vielen unklar. Eine
Abgrenzung zwischen Schutz- und Funktionspotentialausgleich wäre sicher leichter
möglich, wenn die Kenntnis vorhanden wäre, was der Schutzpotentialausgleich bewirkt bzw. was der Funktionspotentialausgleich zusätzlich bewirken kann.
3.2
Aufgabe, Wesen und Arten des Potentialausgleichs
Ein elektrisches Potential stellt, vereinfacht gesprochen, ein Energieniveau dar.
Wenn man zwei verschiedene Potentiale miteinander vergleicht, so ergibt sich eine
Potentialdifferenz. Eine solche Potentialdifferenz nennen wir elektrische Spannung.
Die Spannung, die z. B. zwischen zwei leitfähigen Teilen ansteht, sagt also aus, wie
verschieden die elektrischen Potentiale dieser beiden Teile sind.
Hieraus wird die Aufgabe eines Potentialausgleichs im Grunde leicht verständlich: Er
soll Potentiale ausgleichen. Gemeint ist natürlich, dass verschiedene leitfähige Teile,
die verschiedene elektrische Potentiale annehmen können, miteinander verbunden
werden. Dadurch wird vermieden, dass eine Potentialdifferenz, also eine Spannung
zwischen diesen Teilen, auftreten kann. Ganz gleich, ob dies geschieht, weil diese
Spannung für den Menschen gefährlich werden kann, oder ob vermieden werden
soll, dass diese Spannung eventuell einen Störstrom z. B. auf einem Kabelschirm
verursacht. Beim ersten Fall geht es um den Schutz vor elektrischem Schlag nach
VDE 0100 und im zweiten Fall um die Vermeidung von Störeinflüssen im Sinne
der EMV.
3.3
Der Schutzpotentialausgleich
3.3.1
Wirkung des Schutzpotentialausgleichs
Durch den Schutzpotentialausgleich werden an zentraler Stelle einer Anlage fremde leitfähige Teile – in erster Linie Rohrleitungssysteme – untereinander, mit dem
Schutzleitersystem und mit dem Erder des Gebäudes verbunden.
Dabei muss zunächst festgestellt werden, welche leitfähigen Teile hier gemeint sind.
Definitionsgemäß sind fremde leitfähige Teile solche Teile, die nicht zur elektrischen
Anlage gehören und die ein fremdes Potential einführen können. Beim Stichwort
„fremdes Potential“ geht es in erster Linie um das Potential der neutralen Erde bzw.
um das Erdpotential (Bezugserde). Dass hier nämlich andere elektrische Potentiale
gemeint sein können, ist im Zusammenhang mit dem Schutzpotentialausgleich eher
auszuschließen. Die verschiedenen elektrischen Betriebsmittel innerhalb der elek-
28
trischen Anlage werden nach VDE 0100-410 durch mehrere Schutzvorkehrungen
geschützt, sodass die Gefahr, ein elektrisches Potential einzuführen bzw. zu übertragen, auf ein Minimum reduziert wird.
Erreicht wird dieser Schutz entweder durch eine Basisschutzvorkehrung, verbunden mit einer automatischen Abschaltung im Fehlerfall, oder dadurch, dass das
Betriebsmittel eine Isolierung aufweist, die der Schutzklasse II entspricht. In beiden
Fällen müssen also erst zwei Fehler auftreten, um das Potential der Netzspannung
auf fremde leitfähige Teile zu übertragen, ohne dass eine entsprechende Reaktion
(z. B. eine Abschaltung) erfolgt.
Wohlgemerkt, es geht bei dieser Betrachtung ganz und gar nicht darum, ob dies
möglich ist oder nicht. Die Frage, ob dies möglich ist, muss natürlich ganz eindeutig
mit Ja beantwortet werden. Aber die Normungsgremien haben sich von Anfang an
darauf geeinigt, mindestens ein akzeptiertes Grenzrisiko anzustreben, das immer ein
mehr oder weniger hohes Restrisiko einschließt. Eine Maximalforderung und das
Streben nach einer hundertprozentigen Sicherheit waren nie Ziel der Normungsarbeit (zumal es eine solche Sicherheit gar nicht gibt). Aus diesem Grund werden in
VDE 0100-410 keine Doppelfehler betrachtet. Diese Voraussetzung durchzieht die
gesamten Anforderungen mit ganz wenigen Ausnahmen, wie z. B. bei Fehlern im
IT-System.
Bezogen auf die Situation im Zusammenhang mit dem Schutzpotentialausgleich heißt
das: Es werden fremde leitfähige Teile betrachtet, die nicht irgendein elektrisches
Potential aus der Anlage übertragen, sondern ausschließlich das Erdpotential, das
von außerhalb des Gebäudes in das Gebäude eingeschleppt werden könnte.
Folglich werden mindestens folgende „leitfähigen Teile“ (sofern vorhanden) über
die Haupterdungsschiene miteinander verbunden:
a) Schutzleiter der Spannungsquelle (im TN-System)
b) Fremde leitfähige Teile, die von außen das Potential der neutralen Erde (Bezugserde) einführen können
c) Gebäudeerder (z. B. Fundamenterder)
d) Blitzschutzerder
Mit dieser Maßnahme wird das elektrische Potential der neutralen Erde (Bezugserde)
aus dem Gebäude herausgehalten. Das Schutzleitersystem wird an der Haupterdungsschiene sozusagen auf ein „Gebäudepotential“ festgelegt. Mit der Maßnahme unter
a) wird zudem das an der Haupterdungsschiene festgelegte Potential auf die gesamte
elektrische Anlage (also auch auf alle Körper der Betriebsmittel der Schutzklasse I)
übertragen.
Dadurch wird erreicht, dass im Fehlerfall, beispielsweise bei Körperschluss eines
Betriebsmittels, die im Gebäude auftretende Potentialdifferenz begrenzt bleibt.
Maximal kann eine Person oder ein Tier zwischen dem Körper eines Betriebs-
29
mittels und z. B. einer Wasserleitung im Fall eines Körperschlusses die Spannung
abgreifen, die durch den fließenden Fehlerstrom entlang des Schutzleiters von der
Fehlerstelle bis zur Haupterdungsschiene auftritt. Auf diese Weise vermindert der
Schutzpotentialausgleich die Höhe der möglichen Berührungsspannung und erhöht
so die Sicherheit in der elektrischen Anlage. An den folgenden Beispielen soll dies
verdeutlicht werden.
Beispiel 1: Auswirkung eines Fehlers
bei nicht vorhandenem Schutzpotentialausgleich
Bei der in Bild 3.1 dargestellten Situation (Haus ohne Schutzpotentialausgleich)
kann die dargestellte Person den Spannungsfall abgreifen, der durch den Fehlerstrom
entlang des Schutzleiters von der Fehlerstelle bis zur Spannungsquelle verursacht
wird.
Wenn man voraussetzt, dass die Leiterquerschnitte für die Außenleiter und den
Schutzleiter gleich sind, wäre das bei einem widerstandslosen Körperschluss die
halbe Netzspannung.
400/230 V
L1
L2
L3
PEN
K
B
W
G
RB
RE
Bild 3.1 Gebäude ohne Schutzpotentialausgleich im TN-System
W metallene Wasserverbrauchsleitung
K Lage des Fehlers (Körperschluss im Gerät G)
B Stelle der Berührung
RB Betriebserder
RE Erdungswiderstand des fremden leitfähigen Teils (hier die Wasserleitung)
G elektrisches Verbrauchsmittel (Gerät)
30
Herunterladen