Joachim Lilla (Bearb.): Statisten in Uniform. Die Mitglieder des

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Joachim Lilla (Bearb.): Statisten in Uniform. Die Mitglieder des
Reichstags 1933 - 1945. Ein biographisches Handbuch. Unter
Einbeziehung der völkischen und nationalsozialistischen
Reichstagsabgeordneten ab Mai 1924. Unter Mitarbeit von Martin
Döring und Andreas Schulz (= Eine Veröffentlichung der
Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der
politischen Parteien), Düsseldorf: Droste 2004, 996 S., ISBN 37700-5254-4, EUR 120,00.
Rezensiert von:
Dieter Pohl
Institut für Zeitgeschichte München/Berlin
In bewährter Manier und Gründlichkeit hat die ParlamentarismusKommission ein neues biografisches Handbuch erarbeiten lassen. Freilich
fällt dieses Nachschlagewerk aus dem Rahmen: Zwar wird nun die Lücke
von 1933 bis 1942/45 geschlossen, doch blieb der Reichstag im "Dritten
Reich" als reine Akklamationsbühne weitgehend funktionslos. Somit ist
das Werk nicht so sehr als Abgeordneten-Handbuch von Bedeutung, da
die Mitgliedschaft im Reichstag letztendlich nur als formales
Zuordnungskriterium der Einträge gelten kann. Vielmehr erscheint es als
ein kompetentes Nachschlagewerk für die meisten nationalsozialistischen
Führungsgruppen, auch wenn Angaben über viele relativ unbedeutende
Funktionäre ihren Niederschlag fanden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf
den regionalen NSDAP-Potentaten im Reich, aber auch "Multi-Funktionäre"
aus Partei und SS, die in ganz Europa tätig waren, sind zahlreich
vertreten. Sinnvoll erscheint die Ergänzung um die nationalsozialistischen
und - damit teilidentischen - völkischen Abgeordneten aus der Weimarer
Zeit. Zusammen ergibt dies fast 1300 Einträge, von allen bekannten NSFührern bis hinunter zu vielen Kreisleitern.
Der Hauptbearbeiter, selbst Archivar in Krefeld, ist bereits durch mehrere
ähnliche Veröffentlichungen ausgewiesen, die eine qualitative Analyse des
enormen Datenmaterials in Angriff nehmen. Angesichts der fehlenden
Transparenz der Politik im "Dritten Reich" mussten die meisten Angaben
mühevoll in Personalakten und anderswo recherchiert werden. So lässt
sich vielfach das Datum des Kirchenaustritts oder eine der epidemischen
Korruptionsaffären ermitteln. Dabei treten die Tücken die NS-Biographik
zu Tage: Widersprüchliche Angaben mussten durch Fußnoten
dokumentiert werden. Viele Daten sind als rein formal anzusehen, oft saß
der entsprechende Funktionär schon erheblich länger auf dem Posten, als
es der offizielle Ernennungszeitpunkt der Akte verzeichnet. Andererseits
trieb der Wildwuchs an neuen Funktionen, die der Nationalsozialismus
schuf, seine Blüten. So wurden manche der hier verzeichneten
Dienststellen nie eingerichtet (zum Beispiel die Generalkommissariate
Charkow und Rostow).
Etwas bedauerlich ist der Verzicht auf Informationen, die allerdings nur
schwer systematisch beschafft werden können, so vor allem die
Berufsbezeichnung des Vaters, aber auch die familiären Verhältnisse oder
die Existenz eines Nachlasses. Für die Lebensläufe in der Nachkriegszeit,
die hier nicht ausgespart bleiben, wäre eine "Regelanfrage" beim
Bundesarchiv in Ludwigsburg sicher nützlich gewesen. Sie hätte eingestellte - strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen erheblich mehr
NS-Chargen dokumentiert.
Als grundsätzliche Schwierigkeit bei der Erstellung aller biografischer
Lexika zum "Dritten Reich" erscheint die nähere Charakterisierung der
Tätigkeit des jeweiligen Funktionärs, die sich über die formelle
Dienstbezeichnung oft gar nicht erfassen lässt. Besonders heikel sind
dabei Feststellungen über kriminelle Aktivitäten. Die Bearbeiter haben hier
Zurückhaltung walten lassen, vermutlich weil dann extensive Recherchen
in der gigantischen Literatur zur NS-Politik vonnöten gewesen wären, aber
auch, weil oft zweifelsfrei gesicherte Angaben nicht gemacht werden
können. Immerhin finden sich hin und wieder Einträge zu den Verfolgungsund Mordaktionen des Nationalsozialismus.
Sieht man von diesen, vielfach kaum zu überwindenden Problemen ab, so
bleibt ein positives Fazit: Der Leser bekommt ein Nachschlagewerk an die
Hand, dass an Präzision und gut recherchierter Detailgenauigkeit
seinesgleichen sucht. Die Quellenangaben beruhen auf der Konsultierung
von 115 Archiven, wenn ich richtig zähle; hinzukommen weitere
Institutionen. Ein ausführliches Register von nicht weniger als 180 Seiten
lässt keine Wünsche offen; selbst die zahlreichen Selbstmorde bei oder
nach Kriegsende sind in einer Übersicht verzeichnet. Eine vergleichbare
Erschließung vermisst man in fast allen anderen Büchern dieses
Zuschnitts. So ist eine Personenrecherche über die Dienststelle oder den
Ort möglich. Zweifelsohne setzt "Statisten in Uniform" neue Maßstäbe.
Das Buch wird auf Dauer ein unverzichtbares Hilfsmittel für die Forschung
zur Zeit des Nationalsozialismus bleiben.
Redaktionelle Betreuung: Redaktion der Vierteljahrshefte für
Zeitgeschichte
Empfohlene Zitierweise:
Dieter Pohl: Rezension von: Joachim Lilla (Bearb.): Statisten in Uniform. Die
Mitglieder des Reichstags 1933 - 1945. Ein biographisches Handbuch. Unter
Einbeziehung der völkischen und nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten ab
Mai 1924. Unter Mitarbeit von Martin Döring und Andreas Schulz, Düsseldorf: Droste
2004, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 5 [15.05.2004], URL:
<http://www.sehepunkte.historicum.net/2004/05/5757.html>
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