Tumore der männlichen Genitalorgane Stand: 20. August 2004 Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie Tumore der männlichen Genitalorgane Autoren: C. Bokemeyer, D. Hossfeld 1. Hodentumore Das hier empfohlene Vorgehen wurde interdisziplinär abgesprochen (AIO/AUO/ARO) (1). 1.1 Epidemiologie Inzidenz 8–9/100000 pro Jahr. Zwar machen die Keimzelltumoren des Hodens (nachfolgend Hodentumoren) nur 1% aller bösartigen Erkrankungen bei Männern aus, bei Männern zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr ist der Hodentumor jedoch die häufigste Krebsart. 1.2 Prävention Nicht bekannt. Kontralaterale Hodenbiopsie kann TIN (Testikuläre intralobuläre Neoplasie) (Häufigkeit 4–5%) frühzeitig aufdecken und damit Frühdiagnostik eines potentiellen zweiten Hodentumors erlauben. 1.3 Diagnostik Der diagnostische Leitbefund ist eine schmerzlose, harte Hodenschwellung ohne Translumineszenz. Palpatorisch zu beurteilen sind darüber hinaus Nebenhoden, Samenstrang, inguinale und supraklavikuläre Lymphknoten. Metastasen im Retroperitonealraum sind nur zu tasten, wenn diese eine beträchtliche Größe erreicht haben. Die Differentialdiagnose umfaßt Hydrozele, Epididymitis, Orchitis, Hodeninfarkt und Hodentorsion. Die Sonographie ist obligat und hilft bei unklaren Fällen. Die Diagnose einer Hydrozele schließt ein Hodenkarzinom nicht aus, weil in etwa 10% eine Hydrozele mit einem Hodenkarzinom assoziiert ist. Jede Hodenschwellung, die nicht innerhalb von zwei Wochen auf geeignete therapeutische Maßnahmen anspricht, muß als bösartig aufgefaßt und chirurgisch exploriert werden. Stadieneinteilende Maßnahmen nach histologischer Sicherung: – Computertomographie der Thoraxorgane – Computertomographie des Abdomens unter besonderer Berücksichtigung des Retroperitonealraums – Bestimmung der Tumormarker α-Fetoprotein (AFP), humanes Choriongonadotropin (HCG), plazentare alkalische Phosphatase (PLAP), Lactatdehydrogenase. Beurteilung unter Berücksichtigung der jeweiligen Halbwertszeit (AFP 5 Tage; HCG 2 Tage; PLAP 1 Tag); nachfolgende Bestimmungen der PLAP sind nur beim Seminom (und Nichtrauchern) sinnvoll – Schädel-CT und Skelettszintigraphie bei allen Patienten mit Nichtseminomen mit "schlechter Prognose" empfohlen 1 www.dgho.de Tumore der männlichen Genitalorgane Stand: 20. August 2004 Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie – bisher kein Stellenwert der Positronenemissionstomographie (PET) in der Stadieneinteilung/Primärdiagnostik Wird eine Chemotherapie durchgeführt, so muß jeweils vor Beginn eines neuen Zyklus die Markerbestimmung erfolgen. Eine Bestimmung während einer laufenden Chemotherapie oder unmittelbar danach ist nicht sinnvoll, da aufgrund des Tumorzellzerfalls falsch-hohe Werte gemessen werden können (2). 1.4 Stadieneinteilung nach TNM Für die Stadieneinteilung wird die TNM-Klassifikation der UICC verwendet, in der auch die Tumormarker AFP, HCG und LDH berücksichtigt sind. Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung sind darüber hinaus den Prognosegruppen nach den Kriterien der IGCCCG zuzuordnen (Tabelle B.15-1). pT-Primärtumor pTX Primärtumor kann nicht beurteilt werden (wenn keine radikale Orchiektomie durchgeführt wurde, wird der Fall als TX klassifiziert) pT0 -Kein Anhalt für Primärtumor (z.B. histologische Narbe im Hoden) pTis -Intratubulärer Keimzelltumor (Carcinoma in situ) pT1 Tumor begrenzt auf Hoden und Nebenhoden, ohne Blut-/Lymphgefäßinvasion (der Tumor kann die Tunica albuginea infiltrieren, nicht aber die Tunica vaginalis) pT2 Tumor begrenzt auf Hoden und Nebenhoden, mit Blut-/Lymphgefäßinvasion, oder Tumor mit Ausdehnung durch die Tunica albuginea mit Befall der Tunica vaginalis pT3 Tumor infiltriert Samenstrang (mit oder ohne Blut-/Lymphgefäßinvasion) pT4 Tumor infiltriert Skrotum (mit oder ohne Blut-/Lymphgefäßinvasion) pN – Regionäre Lymphknoten pNX regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden pN0 keine regionären Lymphknotenmetastasen pN1 Metastasierung in Form eines Lymphknotenkonglomerats, 2 cm oder weniger in größter Ausdehnung, und 5 oder weniger positive Lymphknoten, keiner mehr als 2 cm in größter Ausdehnung pN2 Metastasierung in Form eines Lymphknotenkonglomerats, mehr als 2 cm, aber nicht mehr als 5 cm in größter Ausdehnung, oder mehr als 5 positive Lymphknoten, keiner mehr als 5 cm in größter Ausdehnung, oder extragonadale Tumorausbreitung pN3 Metastasierung in Form eines Lymphknotenkonglomerats, mehr als 5 cm in größter Ausdehnung 2 www.dgho.de Tumore der männlichen Genitalorgane Stand: 20. August 2004 Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie M – Fernmetastasen MX Fernmetastasen können nicht beurteilt werden M0 keine Fernmetastasen M1 Fernmetastasen M1a -nicht-regionäre Lymphknoten- oder Lungenmetastasen M1b andere Fernmetastasen S-Serum-Tumormarker Die Klassifikation beruht auf dem niedrigsten Wert nach Orchiektomie. SX Werte der Serumtumormarker nicht verfügbar S0 Serumtumormarker innerhalb der normalen Grenzen S1 –S3 Serumtumormarker erhöht Klinische Stadieneinteilung Stadium 0 pTIS N0 M0 SX Stadium I pT1 –4 N0 M0 SX IA: pT1 S0 IB: pT2 –4 S0 IS: jedes pT/TX S1 –3 Stadium II jedes pT/TX N1 –3 M0 SX IIA: N1 S0, 1 IIB: N2 S0, 1 IIC: N3 S0, 1 Stadium III jedes pT/TX jedes N M1, 1a SX IIIA: jedes N M1, 1a S0, 1 IIIB: N1 –3 M0 S2 jedes N M1, 1a S2 IIIC: N1 –3 M0 S3 jedes N M1,1a S3 jedes N M1b jedes S 1.5 Therapie Operation des Primärtumors Grundsätzlich wird zunächst der Primärtumor entfernt. Bei ausgedehnter, vital bedrohlicher Metastasierung wird primär eine Chemotherapie eingeleitet, und die Tumorentfernung erfolgt nach deren Abschluß. Die operative Entfernung des Hodens erfolgt über einen Leistenschnitt mit hoher Ligatur des Samenstrangs und seiner Gefäße. Bei allen Patienten mit germinalem Hodentumor wird zur Früherkennung eines kontralateralen zweiten Tumors eine kontralaterale Hodenbiopsie empfohlen. Patienten sollten vor der Durchführung einer Chemotherapie auf die Möglichkeit zur Spermakryokonservierung hingewiesen werden. 3 www.dgho.de Tumore der männlichen Genitalorgane Stand: 20. August 2004 Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie Seminom Klinisches Stadium I: Eine Standardtherapie ist die postoperative adjuvante Bestrahlung der infradiaphragmalen, paraaortalen Lymphknotenstationen mit einer Zielvolumendosis von 20 Gy in 2 Gy Einzelfraktionen. Die obere Feldgrenze ist die Oberkante von BWK 11, die untere Begrenzung die Unterkante von LWK 5 (Empfehlungsgrad A; 3, 4). Eine adjuvante Chemotherapie mit 2 Zyklen Carboplatin dosiert mit AUC 5 oder mit einem Zyklus Carboplatin in einer Dosis AUC 7 ist der Strahlentherapie äquivaltent (Empfehlungsgrad A; 5). Auf der Basis der Risikofaktoren Infiltration von Rete testis und Primärtumorgröße (</> 4 cm) kann heute auch eine riskoadaptierte Strategie durchgeführt werden mit "Wait and see" für Patienten ohne Risikofaktoren und Strahlentherapie oder adjuvante CarboplatinTherapie für Patienten mit Risikofaktoren. Die Rezidivrate beträgt dann jeweils < 5% nach 3 Jahren (Empfehlungsgrad B; 6) Klinisches Stadium IIa: Postoperative Bestrahlung der infradiaphragmalen, paraaortalen und der ipsilateralen iliakalen Lymphknotenstationen mit einer Zielvolumendosis von 30 Gy. Klinisches Stadium IIb: Zielvolumendosis von 36 Gy auf die gleichen Felder oder 3 Zyklen PE(B) Chemotherapie (7, 8). Klinisches Stadium IIc bis III: Standard ist eine cisplatinhaltige Chemotherapie. Wird neben Cisplatin nur Etoposid (PE) verabreicht, so müssen insgesamt vier Zyklen im Abstand von jeweils drei Wochen gegeben werden; wird neben Cisplatin und Etoposid zusätzlich Bleomycin oder Ifosfamid verabreicht, sind drei Zyklen für Patienten mit „guter Prognose“ nach IGCCCG ausreichend (90% der metastasierten Seminompatienten), Patienten mit „intermediärer Prognose“ (ca. 10% der Patienten) erhalten 4 Zyklen. Patienten mit „schlechter Prognose“ gibt es beim Seminom nicht (1, 9). Beim Seminom werden Residuen unabhängig von der Größe nicht reseziert, sondern zunächst bildgebend und mit Tumormarkerbestimmungen kontrolliert. Eine aktuelle Analyse zum diagnostischen Wert der PET wies eine hohe Zuverlässigkeit bei der Bestimmung der Vitalität von Resttumoren nach Chemotherapie beim reinen Seminom nach. Falsch-positive Befunde und falsch-negative Befunde traten bei Residuen >3 cm nicht auf, sodass die PET hier einen Stellenwert für die Routine gewinnt (Empfehlungsgrad B; 10). Nichtseminomatöse Hodentumore Klinisches Stadium I: Die transabdominelle, retroperitoneale Lymphadenektomie ist nicht mehr grundsätzlicher Bestandteil der operativen Primärtherapie. Vaskulare Invasion (VI) im Primärtumor ist der wichtigste Prognosefaktor für ein Rezidiv (48% für Patienten mit vaskulärer Invasion im Vergleich zu 14% – 20% für Patienten ohne VI). Als Standardvorgehen wird heute eine risikoadaptierte Strategie auf der Basis von Fehlen oder Vorhandensein einer VI empfohlen (8). Patienten mit niedrigem Rezidivrisiko ohne VI sollten primär eine "wait and see"Strategie angeboten bekommen. Mit diesem Vorgehen brauchen 78% - 86% der 4 www.dgho.de Tumore der männlichen Genitalorgane Stand: 20. August 2004 Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie Patienten keine weitere Therapie nach Orchiektomie. Retroperitoneale Lymphadenektomie oder adjuvante Chemotherapie sollten erwogen werden, wenn äußere Umstände gegen die Survaillancestrategie sprechen (Empfehlungsgrad B; 8). Patienten mit hohem Risiko für Rezidiv (vaskuläre Invasion vorhanden) sollten 2 Zyklen adjuvante Chemotherapie mit PEB erhalten. Sie bleiben damit in 97% rezidivfrei. Patienten, die keine Survaillancestrategie oder adjuvante Chemotherapie erhalten wollen, sollten eine nervensparende Lymphadenektomie (ggf. laparoskopischer Ansatz) erhalten. Mit dem risikoadaptierten Vorgehen sollte die Gesamttherapiebelastung der Patienten individuell minimiert werden und gleichzeitig eine exzellente Heilungsrate von 99% erzielt werden (8). Empfohlen wird die primäre Chemotherapie mit Ausnahme unklarer Befunde (sehr kleine retroperitoneale Lymphknoten), wo eine operative Sicherung sinnvoll erscheint (8). Stadium IIa/b: Auch für diese Stadien gibt es derzeit drei Therapieoptionen mit gleichwertigem Heilungserfolg, jedoch unterschiedlicher Morbidität: – primäre nervschonende Lymphadenektomie plus adjuvante Chemotherapie (zwei Zyklen PEB) – primäre nervschonende Lymphadenektomie ohne adjuvante Chemotherapie mit engmaschiger Kontrolle – primäre Chemotherapie (drei Zyklen PEB) plus Resektion bei Residualtumor Klinisches Stadium IIc/III: Die Therapie der Wahl bei Patienten mit geringer Tumorlast und „guter Prognose“ ist die Chemotherapie mit drei Zyklen PEB (5Tages-Schema) im Abstand von drei Wochen. Bei Kontraindikation gegen Bleomycin sind vier Zyklen PE notwendig (Empfehlungsgrad A; 8, 9, 11, 12, 13). Patienten mit größerer Tumorlast und „intermediärer Prognose“ bzw. großer Tumorlast und „schlechter Prognose“ erhalten vier Zyklen PEB. Die Kombination Platin+Etoposid+Ifosfamid (PEI) ist äquieffektiv, aber myelotoxischer (Empfehlungsgrad A; 14, 15). Ob für Patienten mit großer Tumorlast eine Hochdosis-Chemotherapie die Resultate verbessert, wurde bisher in randomisierten Studien nicht nachgewiesen. Matched-Pair-Analysen weisen jedoch auf eine bessere Überlebensrate hin, so daß diese Patienten nur in prospektiven Studien und in erfahrenen onkologischen Zentren behandelt werden sollten (Empfehlungsgrad B; 16, 17). Bei allen Patienten, bei denen nach einer Chemotherapie eine TumormarkerNormalisierung erreicht wurde, bei denen die bildgebenden Verfahren Tumorresiduen > 1 cm nachweisen, soll eine Resektion des Restbefundes durchgeführt werden. Anzustreben ist die vollständige Resektion aller residuellen Tumormanifestationen. Aufgrund diskordanter histologischer Befunde retroperitonealer und supradiaphragmaler Residuen (35–50%) und nicht ausreichender prognostischer Modelle zur Vorhersage der Dignität der supradiaphragmalen Residuen (89% richtig positiv bei Nachweis von Nekrose im Retroperitoneum) kann bei supra- und infradiaphragmalen Residuen zunächst auf 5 www.dgho.de Tumore der männlichen Genitalorgane Stand: 20. August 2004 Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie eine Resektion der supradiaphragmalen verzichtet werden. Eine Resektion retroperitonealer Residuen sollte daher der Entfernung supradiaphragmaler Reste unter Berücksichtigung der Dominanz der Tumorresiduen vorangehen (Empfehlungsgrad B; 19, 20). Bei Patienten mit persistierend erhöhten Tumormarkern ist die operative Entfernung residueller Tumormanifestationen nur in Einzelfällen sinnvoll. Nach Resektion von Nekrosen oder reifem Teratom ist keine weitere Therapie erforderlich. Bei Nachweis von vitalem Karzinom im Resektat ist die Notwendigkeit einer nachfolgenden (weiteren) Chemotherapie (z.B. zwei zusätzliche Zyklen PEI) unklar. Für Patienten mit Rezidiv nach cisplatinhaltiger Chemotherapie wird in Studien eine Hochdosischemotherapie mit autologer PBSC-Transplantation angeboten. Konventionelle cisplatinbasierte Salvagechemotherapie erreicht abhängig von individuellen Prognosefaktoren 15% - 40% Lanzeitremmissionen. Phase-II-Studien zeigen für HD-Chemotherapie ca. 10% - 15% Verbesserung dieser Ergebnisse an. Alle Patienten sollten in Studien behandelt werden (Empfehlungsgrad B; 8). 1.6 Nachsorge Im ersten und zweiten Jahr in dreimonatigen Abständen. Die Nachsorge beinhaltet die körperliche Untersuchung, die Bestimmung der Tumormarker, Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane in zwei Ebenen, Computertomographie des Abdomens im Wechsel. Im dritten bis fünften Jahr werden diese Kontrolluntersuchungen alle sechs Monate empfohlen. Bei Patienten, bei denen initial keine kontralaterale Hodenbiopsie vorgenommen worden ist, soll während der ersten zwei Jahre alle sechs Monate, danach bis zum fünften Jahr einmal jährlich eine Hodensonographie durchgeführt werden. Bei Patienten im Stadium I, die sich für die Überwachungsstrategie entschieden hatten, Kontrolluntersuchungen im ersten Jahr alle zwei Monate, im zweiten Jahr alle drei Monate und im dritten bis fünften Jahr alle vier Monate. 2. Prostatakarzinom 2.1 Epidemiologie Häufigster bösartiger Tumor beim Mann (ca. 20% erkranken im Laufe des Lebens). Inzidenz: 75/100000/Jahr, zunehmende Tendenz. Starke Altersabhängigkeit: Inzidenz bei 50–60jährigen: 20/1000000, bei 70– 80jährigen: 500/100000 und Jahr. Außer familiärer Häufung keine Risikofaktoren bekannt. 2.2 Prävention Nicht bekannt. Früherkennung Wert des Screenings umstritten, aber zunehmend Hinweise aus der angloamerikanischen Literatur zur Reduktion der Mortalität durch Screening. Empfohlen 6 www.dgho.de Tumore der männlichen Genitalorgane Stand: 20. August 2004 Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie wird bei asymptomatischen Männern im Alter zwischen 50–70 Jahren die jährliche digitale rektale Untersuchung und PSA-Bestimmung, sofern die Lebenserwartung > 10 Jahre beträgt. Die PSA-Bestimmung ist nicht im Leistungsspektrum der Früherkennung der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten (21, 22). 2.3 Diagnostik Im Frühstadium macht das Prostatakarzinom keine Symptome. Mit Fortschreiten der Erkrankung treten Nykturie, Pollakisurie, Dysurie, Hämaturie auf. Das vorherrschende Symptom im Stadium der Metastasierung sind Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule und des Beckens infolge Knochenmetastasen. Bei Verdacht ultraschallgesteuerte Sextanten-Stanzbiopsien zur histologischen Sicherung. Der Histologiebericht muß das Grading beinhalten (hochdifferenziert = Grad 1; mäßig differenziert = Grad 2; gering differenziert = Grad 3). Zur Beschreibung des Gradings hat sich der Gleason-Score durchgesetzt (G1 = Gleason-Score 24; G2 = Gleason-Score 5-7; G3 = Gleason-Score 8-10). Die weitere Diagnostik sollte sich nach der Höhe des PSA-Werts und dem Gleason-Score bzw. dem Grading richten; Knochenszintigraphie, Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane, CT, Kernspintomographie sind überflüssig bei einem PSA < 20 µg und einem Gleason-Score < 8. Histologie 95% Adenokarzinome, etwa zur Hälfte uniforme und zur Hälfte pluriforme Karzinome. 2.4 Stadieneinteilung (TNM) T-Stadium Stadium TX Stadium T0 Stadium T1 Primärtumor nicht beurteilbar kein Anhalt für Primärtumor inzidentelles Prostatakarzinom (transurethrales Resektat, Adenomenukleation), weder tastbar noch mit bildgebenden Verfahren erkennbar T1a -inzidentelles Karzinom, in weniger als 5% des Resektionsmaterials T1b -inzidentelles Karzinom, in mehr als 5% des Resektionsmaterials T1c -bioptisch gesicherter Tumor (z.B. aufgrund eines erhöhten PSA-Wertes, jedoch unauffälliger Tastbefund) Stadium T2 organbegrenztes Prostatakarzinom T2a Tumor befällt weniger als die Hälfte eines Lappens T2b Tumor befällt mehr als die Hälfte eines Lappens T2c Tumor befällt beide Lappen Stadium T3 -kapselüberschreitendes Prostatakarzinom T3a -extrakapsuläres Wachstum (ein- oder beidseitig) T3b Tumor infiltriert Samenblase(n) Stadium T4 -Tumor ist fixiert oder infiltriert Nachbarstrukturen, die bei T3 nicht genannt sind, z.B. Blasenhals und (oder) externen Sphinkter und (oder) Rektum und (oder) Levatormuskel und (oder) ist an der Beckenwand fixiert 7 www.dgho.de Tumore der männlichen Genitalorgane Stand: 20. August 2004 Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie N-Stadium Stadium NX Stadium N0 Stadium N1 -Beurteilung der regionären Lymphknoten nicht möglich -keine regionären Lymphknotenmetastasen regionäre Lymphknotenmetastasen M-Stadium Stadium MX Stadium M0 Stadium M1 M1a M1b M1c -Beurteilung von Fernmetastasen nicht möglich Fernmetastasen nicht vorhanden Fernmetastasen -nicht-regionäre Lymphknotenmetastasen Knochenmetastasen andere Lokalisation 2.5 Therapie Primärtherapie Ziel ist eine risisko- und prognoseorientierte Behandlung. Die wichtigsten Prognosefaktoren sind der Gleason-Score, Samenblaseninfiltration, Kapselpenetration, PSADynamik, Lymphknotenstatus. Neben diesen Prognosefaktoren sind immer auch Alter und Allgemeinzustand des Patienten zu beachten (23, 24).. Stadium T1aN0M0 G1–2: abwarten, regelmäßige Kontrolle (PSA, digitale Untersuchung, transrektaler Ultraschall); Kontrollbiopsie in 6 Monaten. Stadium T1aN0M0 G3, T1b–T2: Standard: Radikale Prostatektomie (nach pelviner (Sampling-) Lymphadenektomie). Rezidivfreiheit nach 10 Jahren: 70–90%. Nachteil: Impotenz bei 30-40% der Patienten bei nervschonender Operation, > 90% bei nichtnervschoneneder Operation; bleibende Inkontinenz bei 7% der Patienten. Alternative: kurative Strahlentherapie (externe Strahlentherapie; Brachytherapie), Ergebnisse zumindest über 5–10 Jahre vergleichbar. Impotenz ca. 30–50%, Inkontinenz selten. Höhere Akuttoxizität (Rektum, Blase), schwere Langzeittoxizität (Strahlenproktitis) in ca. 3%. Bei Patienten mit einer voraussichtlichen Lebenserwartung von unter deutlich zehn Jahren ist abwartendes Verhalten gerechtfertigt. Nur 10% der Patienten mit lokal begrenztem Prostatakarzinom sterben in diesem Zeitraum am Tumor. Stadium T3N0M0: Therapiealternativen wie bei T2, aber mit schlechteren Langzeitergebnissen. Die präoperative Hormontherapie im Sinne eines down-staging ist bezüglich des rezidivfreien Überlebens ineffektiv. Die adjuvante Hormon- und Strahlentherapie nach Prostatektomie werden in Studien derzeit überprüft. Stadium T4N0M0, T1–4N1–3M0: keine gesicherten Therapiestandards. Sofortige Hormontherapie oder abwartendes Verhalten möglich. Im Stadium T1–3N1 nur in Einzelfällen Operation oder Strahlentherapie sinnvoll. Metastasiertes Prostatakarzinom: Hormontherapie: Hormontherapie der ersten Wahl ist die beiseitige Orchiektomie oder die Behandlung mit LHRH-Analoga (z.B. Goserelin, 3,6 mg subkutan alle 4 Wochen; cave: initiales flare-up). bei Progredienz: zusätzlich Antiandrogene (z.B. Flutamid, 750 mg täglich per os) bei weiterer Progredienz: Antiandogrene absetzen 8 www.dgho.de Tumore der männlichen Genitalorgane Stand: 20. August 2004 Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie - weitere Therapiemöglichkeiten: Fosfestosterol-Stoß (1.200 mg täglich über 10 Tage, dann dreimal täglich 120-240 mg täglich per os); Prednison; Ketoconazol Zytostatika bei Hormonrefraktärität: Docetaxel plus Prednison Docetaxel plus Estramustin Mitoxantron plus Prednison Epirubicin Bei lokalisierten schmerzhaften Knochenmetastasen Bestrahlung. Bei generalisierten Knochenschmerzen Bisphosphonate (Zoledronsäure) plus Analgetica. Therapieverfahren – Hormontherapie der ersten Wahl: beidseitige Orchiektomie oder Behandlung mit LHRH-Analoga (z.B. Goserelin 3,6 mg s.c. alle 4 Wochen; cave: initiales „lare-up“) – bei Progredienz: zusätzlich Antiandrogene (z.B. Flutamid 750 mg/Tag p.o.) – bei weiterer Progredienz: Antiandrogene absetzen – weitere Therapiemöglichkeiten: Fosfesterolstoß (1200 mg/Tag über 10 Tage, dann 3mal tägl. 120–240 mg/Tag p.o.), Estramustinphosphat 3 ∇ 280 mg für 4 Wochen, dann 2 ∇ 280 mg p.o., Steroide (Prednisolon 20 mg/Tag) – zytostatische Therapie: Wirksamkeit gering. Zytostatikakombinationen bieten gegenüber Monosubstanzen keine Vorteile. Mitoxantron und Epirubicin sind für das Prostatakarzinom zugelassen – Mitoxantron 12–14 mg/m2 i.v. (in Kombination mit Prednison 10 mg/die) (Empfehlungsgrad A; 25, 26) – Epirubicin 25 mg/m2 KO i.v. wöchentlich – in Phase-II-Studien wurden hohe „PSA-Ansprechraten“ mit neueren Kombinationen wie z.B. Estramastin plus Paclitaxel oder Docetaxel; Etoposid plus Estramastin und mit Vinorelbin-Therapie berichtet (27) – bei lokalisierten schmerzhaften Knochenmetastasen Bestrahlung, bei generalisierten Knochenschmerzen Bisphosphonate plus Schmerztherapie 2.6 Nachsorge – abhängig von Therapie und Prognose, wobei der Nutzen einer systematischen Nachsorge nicht bewiesen ist – nach radikaler Prostatektomie sollte der PSA-Wert innerhalb von drei Wochen auf < 0,1 ng/ml abfallen. Empfohlen werden dann vierteljährliche klinische Untersuchung, digitale rektale Untersuchung und PSA-Bestimmung für zwei Jahre, dann Übergang auf halbjährliche Kontrollintervalle – nach Strahlentherapie ist ein Abfall des PSA unter 1 ng/ml als prognostisch günstig anzusehen. Bei ca. 40% der Patienten bleibt PSA aber erhöht. Wiederanstieg korreliert mit Rezidiv, Konsequenzen umstritten 9 www.dgho.de Tumore der männlichen Genitalorgane Stand: 20. August 2004 Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie – bei „wait and see“-Strategie klinische Kontrollen und PSA-Bestimmung, zunächst in vierteljährlichen Abständen, bei stabilem Verlauf und hohem Alter auch halbjährlich 3. Literatur 1. Souchon R, Schmoll HJ, Krege S für die German Testicular Cancer Study Group: Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Hodentumoren auf Grundlage evidenzbasierter Medizin (EBM) W. Zuckschwerdt Verlag (2002). 2. Bokemeyer C: Current trends in the chemotherapy for metastatic nonseminomatous testicular germ cell tumors. Oncology 55 (1998) 177–188. 3. Fossa SC, Horwich A, Russel JM et al: Optimal planning target volume for stage I testicular seminoma: a Medical Research Council randomized trial. J Clin Oncol 17 (1999) 1146–1154. 4. Classen J, Schmidberger H, Meisner C et al: German Testicular cancer study Group (GTCSG): Para-aortic irradiation for stage I testicular seminoma: results of a prospective study in 675 patients. 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