Stichverletzungen bei der zahnärztlichen Behandlung Einleitung von Dr. med. Markus Sander, Berlin Stichverletzungen sind die häufigsten Arbeitsunfälle bei der zahnärztlichen Behandlung. Das besondere Gesundheitsrisiko für die Betroffenen liegt in der möglichen Übertragung von Infektionskrankheiten. Häufig werden die Gesundheitsrisiken nach Stichverletzungen mit kontaminierten Instrumenten unterschätzt oder bagatellisiert. Eine ausreichende Aufklärung über Infektionsrisiken, Präventions- und Behandlungsstrategien ist die Grundlage für einen sicheren Umgang mit scharfen oder spitzen Instrumenten bei der zahnärztlichen Behandlung. Der nachfolgende Beitrag widmet sich praxisnah dieser Thematik. Epidemiologie Zuverlässige epidemiologische Daten über die Häufigkeit und Ursachen von Stichverletzungen bei der zahnärztlichen Behandlung liegen kaum vor. Dies ist in der unzureichenden statistischen Erfassung von Stichverletzungen durch die Unfallversicherungsträger und in einer hohen Dunkelziffer von nicht gemeldeten Stichverletzungen begründet. In der wissenschaftlichen Literatur finden sich unterschiedliche Angaben über die Häufigkeit von Stichverletzungen bei der zahnärztlichen Behandlung. Die Angaben liegen je nach Studie zwischen 0,5 und 10 Stichverletzungen pro Beschäftigten und Jahr (6,19,21,24). Diese Streubreite ergibt sich aus einer unterschiedlichen Anzahl von Behandlungen pro Jahr, unterschiedlichen zahnärztlichen Behandlungsschwerpunkten und einem unterschiedlichen Meldeverhalten der Studienteilnehmer. Stichverletzungen machen mehr als die Hälfte aller Arbeitsunfälle bei der zahnärztlichen Behandlung aus (21). Zahnärzte, Zahnmedizinstudenten und zahnmedizinisches Assistenzpersonal sind durch den regelmäßigen Umgang mit scharfen oder spitzen Instrumenten (Injektionskanülen, chirurgisches Nahtmaterial, Skalpelle, Sonden, Bohrer u. a.) besonders gefährdet, berufliche Stichverletzungen zu erleiden. Am häufigsten sind Zahnarzthelferinnen in operativen Arbeitsbereichen betroffen, gefolgt von Zahnärzten und Zahnmedizinstudenten. Die häufigste Ursache für intraorale Stichverletzungen sind Injektionskanülen (21,24). Bei extraoralen Stichverletzungen sind Bohrer die häufigste Ursache (24). Abbildung 1 zeigt Instrumente, die häufig zu Schnitt- oder Stichverletzungen bei der zahnärztlichen Behandlung führen können. Abb. 1: Scharfe und spitze Instrumente bei der zahnärztlichen Behandlung 1 Infektionserreger Die größte Bedeutung für die Übertragung von Infektionskrankheiten durch Stichverletzungen haben die in Abbildung 2 aufgeführten Infektionserreger. • Hepatitis-B Virus (HBV) • Hepatitis-C Virus (HCV) • Human Immunodeficiency Virus (HIV) Abb. 2: Infektionserreger bei Stichverletzungen Eine Infektion mit diesen hämatogen übertragbaren Erregern geschieht in der Regel durch Stichverletzungen mit blutkontaminierten Instrumenten. Eine Übertragung durch Instrumente, die lediglich mit Speichel kontaminiert sind, ist zwar prinzipiell möglich, aber aufgrund der weitaus niedrigeren Viruskonzentrationen der oben genannten Infektionserreger im Speichel kaum wahrscheinlich. Andere Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Syphilis, Zytomegalie- und Adenovirus-Infektionen können zwar ebenfalls hämatogen übertragen werden, spielen aber zahlenmäßig keine Rolle. Abbildung 3 zeigt die Prävalenz der wichtigsten Infektionserreger in der Allgemeinbevölkerung (22,25). Infektionserreger Prävalenz in der Allgemeinbevölkerung in % HBV ~ 0,6 HCV ~ 0,4 HIV ~ 0,1 Abb. 3: Prävalenz der wichtigsten Infektionserreger in der Allgemeinbevölkerung Es ist allerdings zu beachten, dass die Prävalenz lokal (in Großstädten und ausgewählten Großräumen) sowie innerhalb von Risikogruppen (i. v.-Drogenabhängige, Dialysepatienten, Homosexuelle und Hämophile) deutlich über den oben genannten Zahlen liegen kann. Ein überdurchschnittlich hohes Infektionsrisiko des zahnmedizinischen Personals für die Hepatitis B lässt sich aus epidemiologischen Seroprävalenz-Studien ableiten. Die Prävalenz von serologischen Markern einer Hepatitis B ist bei zahnmedizinischem Personal gegenüber der Allgemeinbevölkerung um ein Mehrfaches erhöht (2). In einer österreichischen Untersuchung (18) findet sich eine "Hepatitis-B-Durchseuchung" (Anti-HBs- bzw. Anti-HBc-Nachweis) bei zahnmedizinischem Personal von 12,7 Prozent. In der Zeit vor Einführung der Hepatitis-B-Impfung lag dieser Wert sogar bei bis zu 30 Prozent. Über die Prävalenz von Hepatitis-C-Antikörpern bei zahnmedizinischem Personal finden sich in der Literatur unterschiedliche Angaben. Während die meisten Studien eine nur gering erhöhte Prävalenz gegenüber der Allgemeinbevölkerung nachweisen können (7,20) zeigt eine New Yorker Untersuchung (16) eine um das 6fach erhöhte Anti-HCV-Prävalenz gegenüber einer Kontrollgruppe von Blutspendern. Es existieren nur wenige Untersuchungen über die Prävalenz von HIV-Antikörpern bei Zahnärzten oder zahnmedizinischem Personal. Die vorliegenden Daten sprechen allerdings nicht für eine erhöhte Prävalenz gegenüber der Allgemeinbevölkerung (12,17). Bisher ist weltweit kein gesicherter Fall einer beruflichen Übertragung von HIV bei der zahnärztlichen Behandlung beschrieben worden. Bei 19 Stichverletzungen mit Exposition gegenüber HIV-haltigem Blut während der zahnärztlichen Behandlung, die im Rahmen einer Studie in den Vereinigten Staaten beobachtet worden waren (10), kam es zu keiner Übertragung der Infektion. Dies ist auf die niedrige Infektiösität des HIV und auf die nur geringe Menge von Blut, die in der Regel durch Stichverletzungen bei der zahnärztlichen Behandlung übertragen wird, zurückzuführen. 2 Infektionsrisiko nach Stichverletzungen Abhängig von der Art der Verletzung (Tiefe der Wunde, Eröffnung von Blutgefäßen) und der Menge der übertragenen Viruspartikel (sichtbar blutkontaminiertes Instrument, hohe Viruskonzentration im Blut des Patienten) kann das Risiko für eine Infektion nach Stichverletzungen deutlich schwanken. Anhand von Metaanalysen kann für den Fall einer Stichverletzung mit gesicherter Exposition eine erregerspezifische "mittlere Übertragungswahrscheinlichkeit" für eine Hepatitis-B-, eine Hepatits-C- oder eine HIV-Infektion angegeben werden. Die mittleren Übertragungswahrscheinlichkeiten für die drei wichtigsten Infektionserreger sind in Abbildung 4 dargestellt. Die höchste Übertragungswahrscheinlichkeit findet sich für HBV mit ca. 30 Prozent. Dies bedeutet, dass ca. jede 3. Stichverletzung mit einem HBV-kontaminierten Instrument zu einer Infektion bei einem nicht immunen Beschäftigten führt. In Abhängigkeit von der serologischen Konstellation beim infizierten Patienten (Nachweis von HBeAg oder hohe Viruskonzentration) kann die Übertragungswahrscheinlichkeit auf bis zu 100 Prozent ansteigen (11,13). Für HCV ergibt sich eine mittlere Übertragungswahrscheinlichkeit von ca. 3 Prozent und für HIV von ca. 0,3 Prozent (4,9,14). Nur ca. jede 300. Stichverletzung mit einem HIV-kontaminierten Instrument führt zu einer Übertragung der Infektion. Infektionserreger Übertragungswahrscheinlichkeit in % HBV ~ 30 HCV ~3 HIV ~ 0,3 Abb. 4: Mittlere Übertragungswahrscheinlichkeit nach Stichverletzungen in % Prävention Um einen bestmöglichen Schutz vor Infektionskrankheiten zu erzielen, ist eine Primärprävention in Form einer zuverlässigen Vermeidung von Stichverletzungen bei der zahnärztlichen Behandlung unbedingt anzustreben. Die Aufklärung über Gesundheitsrisiken und Maßnahmen der Unfallverhütung ist ein wesentlicher Schritt zur Vermeidung von Stichverletzungen. Zahnärzte und zahnmedizinisches Assistenzpersonal sollten ihren Umgang mit spitzen oder scharfen Instrumenten hinsichtlich des Verletzungsbzw. Infektionsrisikos kritisch überprüfen. Durch die Einführung der Biostoffverordnung (BioStoffV) 1999 hat der Umgang mit Infektionserregern eine neue rechtliche Grundlage erhalten. Hiernach ist der Arbeitgeber verpflichtet, Gefährdungen durch Infektionserreger zu ermitteln und zu beurteilen. Wenn es nicht möglich ist, die Gefährdung zu beseitigen, sind geeignete Schutzmaßnahmen zu treffen. Für die Beschäftigten muss der bestimmungsgemäße und sichere Umgang mit spitzen oder scharfen Instrumenten in regelmäßigen Unterweisungen nach § 12 BioStoffV arbeitsplatzbezogen erläutert werden. Praktische Übungen während solcher Unterweisungen können dabei von Vorteil sein. Die Unterweisungen sind vor Aufnahme der gefährdenden Tätigkeit und in regelmäßigen Abständen durchzuführen und schriftlich zu dokumentieren. Umgang mit Instrumenten Injektionskanülen werden bei der zahnärztlichen Behandlung in der Regel bei der Lokal- und Leitungsanästhesie benutzt. Stichverletzungen treten dabei vor allem bei der Entsorgung von gebrauchten 3 Kanülen auf. Injektionskanülen und andere scharfe oder spitze Instrumente dürfen nicht unsachgemäß abgelegt werden, sondern müssen sofort in einen, am besten direkt am Behandlungsplatz vorhandenen, durchstichsicheren Abfallbehälter entsorgt werden. Der Abwurfbehälter sollte standsicher befestigt sein, um ein verletzungsträchtiges Festhalten des Behälters mit der Hand beim Abwerfen der Kanüle zu vermeiden. Am Deckel von geeigneten Abwurfbehältern befinden sich "Diskonnektierungshilfen", die das Abtrennen gebrauchter Injektionskanülen von Injektionssystemen direkt in den Abwurfbehälter ermöglichen und somit ein "Recapping", d. h. das Zurückstecken einer benutzten Injektionskanüle in die Schutzhülle, überflüssig machen. Das in Abbildung 5 dargestellte "zweihändige Recapping" ist auf alle Fälle zu vermeiden! Das "einhändige Recapping" ist bei ausreichender Übung als sichere und erprobte Maßnahme anzusehen. Hierbei wird die gebrauchte Kanüle direkt nach der Injektion einhändig in die auf dem Tisch liegende oder in einem Ständer arretierte Schutzhülle zurückgesteckt und anschließend in einen Abfallbehälter entsorgt. Abb. 5: Zweihändiges "Recapping" einer Injektionskanülen ist zu vermeiden Auch der Gebrauch von Einmal-Spritzen kann, wegen der einfachen und sicheren Entsorgung des kompletten Systems in einen Abwurfbehälter, das Risiko für Kanülenstichverletzungen senken. Neue "sichere Instrumente und Injektionssysteme" können ebenfalls die Zahl der Stichverletzungen bei der zahnärztlichen Behandlung senken26. Hier sind folgende Beispiele zu nennen: • Injektionssysteme mit sich selbst abdeckenden Kanülen, • Injektionssysteme mit sich selbst zurückziehenden Kanülen, • Injektionssysteme mit aufsetzbaren, herunter klappbaren Schutzhüllen, • Skalpelle mit sich selbst in die Halterung zurückziehender Klinge. Diese "sicheren Instrumente und Injektionssysteme" werden in angloamerikanischen Ländern bereits vermehrt genutzt. Eine Erprobung unterschiedlicher Systeme kann helfen, ein geeignetes auszuwählen. Das Personal muss über den bestimmungsgemäßen und sicheren Umgang mit dem neuen System unterwiesen werden. Hepatitis-B-Impfung Zur Prävention der Hepatitis B bietet die aktive Hepatitis-B-Impfung einen zuverlässigen Schutz. Nach einer erfolgreichen Hepatitis-B-Impfung, d. h. insgesamt 3 Impfungen in einem vorgegebenen zeitlichen Ablauf (z. B. 0-1-6 Monate) und ausreichende Antikörperreaktion (Anti-HBs-Titer =100 IE/l), ist mit einem ausreichenden Impfschutz für ca. 10 Jahre zu rechnen. Es wird diskutiert, ob die Schutzwirkung nicht noch wesentlich länger besteht8. Der Arbeitgeber hat die Hepatitis-B-Impfung Beschäftigten, die möglicherweise in Kontakt mit HBV kommen können, nach §15 Abs. 4 BioStoffV rechtsverbindlich anzubieten. Die Kosten für eine Grundimmunisierung von derzeit ca. 165,- Euro (Rote Liste 2002) hat der Arbeitgeber zu übernehmen. Leider zeigt sich, dass die Durchimpfungsrate für die Hepatitis-B-Impfung bei Zahnärzten und zahnmedizinischem Assistenzpersonal noch immer deutlich zu niedrig ist. Eine Studie von 1997 zeigt für niedergelassene Berliner Zahnärzte eine Durchimpfungsrate von ca. 75 Prozent (1). Hier ist eine bessere 4 Aufklärung über die Nutzen-Risiko-Relation dieser zuverlässigen und sicheren Impfung dringend notwendig. Sofortmaßnahmen Im Falle einer Stichverletzung mit einem möglicherweise kontaminierten Instrument ist der Blutfluss durch Ausstreichen der Wunde oder proximale Kompression für mindestens 1 Min. zu fördern. Anschließend ist eine Desinfektion der Wunde über mindestens 10 Min. durchzuführen, wobei darauf zu achten ist, dass immer eine ausreichende Benetzung der Wunde mit dem Desinfektionsmittel gewährleistet ist. Bei Exposition gegenüber Hepatitisviren wird eine hochprozentige Alkohollösung, bei Exposition gegenüber HIV-haltigem Blut eine jodhaltige Desinfektionslösung empfohlen (Abb. 6). Ist der mögliche Infektionserreger unbekannt, kann eine jodhaltige Alkohollösung zum Einsatz kommen. 1. Ausbluten lassen (> 1 Min.) 2. Desinfizieren (> 10 Min.) ♦ bei HIV jodhaltige Desinfektionslösung ♦ bei HBV und HCV hochprozentige Alkohollösung Abb. 6: Sofortmaßnahmen nach Stichverletzung Nach Durchführung der Sofortmaßnahmen sind folgende Punkte schriftlich im Verbandbuch zu dokumentieren: 1. Unfallzeitpunkt, Unfallhergang und Zeugen des Unfalls 2. Art und Umfang der Verletzung (Tiefe der Wunde, Blutung, sichtbar mit Blut kontaminiertes Instrument) 3. Angaben des Betroffenen über Impf-, Sero- und Immunstatus 4. Angaben des Patienten über Infektionskrankheiten, Zugehörigkeit zu Risikogruppen, Immunstatus, opportunistische Infektionen, Impfstatus 5. Sofortmaßnahmen Nach jeder Stichverletzung mit einem blutkontaminierten Instrument hat eine Vorstellung zur Beratung und Behandlung bei einem D-Arzt zu erfolgen. Hier werden serologische Kontrollen beim Betroffenen durchgeführt, ein Unfallbericht für den Unfallversicherungsträger erstellt sowie weitere eventuell notwendige Maßnahmen koordiniert und durchgeführt. In jeder zahnärztlichen Praxis oder Zahnklinik sollte der Hygieneplan eine schriftliche Anweisung über Sofortmaßnahmen, weitere Behandlungsoptionen sowie die Kontaktadresse und die Telefonnummer eines D-Arztes oder einer nahegelegenen Klinik mit Erste-Hilfe-Einrichtung enthalten. Postexpositionsprophylaxe Maßnahmen, die nach stattgefundener Exposition eine Infektion verhindern sollen, werden unter dem Begriff Postexpositionsprophylaxe (PEP) zusammengefasst. Die Indikation zu einer PEP ergibt sich aus der Nutzen-Risiko-Abwägung durch den D-Arzt, Betriebsarzt oder einen anderen mit der Behandlung von Stichverletzungen erfahrenen Spezialisten. Für HBV und HIV existieren effektive Maßnahmen zur PEP. Eine PEP muss für eine optimale Wirksamkeit möglichst zeitnah nach dem Unfallereignis durchgeführt werden. 5 Postexpositionsprophylaxe gegen HIV Aktuell wird für die HIV-PEP eine orale antiretrovirale Dreifachmedikation empfohlen (23). Diese besteht aus zwei nukleosidalen Inhibitoren der reversen Transkriptase und einem Inhibitor der viralen Protease. Das Beispiel einer Standard-Kombination zur HIV-PEP ist in Abbildung 7 wiedergegeben. Die Zeitspanne innerhalb derer eine optimale Wirksamkeit der HIV-PEP anzunehmen ist, liegt unterhalb von 2 Stunden. Wahrscheinlich ist die HIV-PEP noch bis 72 Stunden nach Exposition wirksam. Die HIV-PEP wird über 4 Wochen durchgeführt. Leichte reversible Nebenwirkungen treten häufig, schwere Nebenwirkungen jedoch relativ selten auf. Eine Studie über die Effektivität einer HIV-PEP mit einer Zidovudin-Monotherapie (Retrovir®) zeigt eine Wirksamkeit von ca. 80 Prozent, d. h. 80 Prozent der Infektionen, die nach HIV-Exposition zu erwarten gewesen wären, konnten verhindert werden (5). Neuere Studien, die eine vermutlich bessere Wirksamkeit der antiretroviralen Dreifachtherapie nach beruflichen Stichverletzungen belegen, existieren nicht, da sie aufgrund geringer Fallzahlen schwer durchführbar und ethisch kaum vertretbar sind. • Zwei Inhibitoren der reversen Transkriptase: ♦ Zidovudin 2 x 250 mg ♦ Lamivudin 2 x 150 mg • Ein Proteaseinhibitor: ♦ Nelfinavir 2 x 1250 mg Abb. 7: Beispiel einer Standard-Kombination zur HIV-PEP Postexpositionsprophylaxe gegen HBV Bei Personen, die gegenüber Hepatitis B nicht immun sind, muss bei HBV-Exposition nach einer Stichverletzung von einem hohen Infektionsrisiko ausgegangen werden. Als nicht immun gelten: 1. nicht geimpfte Personen, die bisher keine Hepatitis B durchgemacht haben, 2. geimpfte Personen mit nicht ausreichender Antikörperbildung (Low- bzw. Non-Responder), 3. geimpfte Personen mit einem aktuellen Anti-HBs-Titer von < 10 IE/l. Für nicht immune Personen gibt es nach einer Stichverletzung die Möglichkeit einer PEP in Form einer Simultanimpfung (aktiv und passiv) gegen Hepatitis B4. Hierzu werden Hepatitis-B-Immunglobulin (0,06 ml/kg KG) und Hepatitis-B-Impfstoff simultan i.m. verabreicht. Anschließend wird die Hepatitis-B-Grundimmunisierung nach dem oben genannten Zeitschema fortgeführt. Die Simultanimpfung hat innerhalb von 48 Stunden nach dem Unfallereignis zu erfolgen. Danach ist eine Wirksamkeit der Maßnahme nicht mehr im vollen Umfang anzunehmen. Die Effektivität der HBV-PEP wird auf ca. 80 Prozent geschätzt. Die Kosten einer HBV-PEP sind nicht unerheblich und betragen allein für die Gabe von Immunglobulinen ca. 840,- Euro (Rote Liste 2002). Zusätzlich entstehen Kosten für die aktive Grundimmunisierung. Bei eingeschränkter Immunität (aktueller Anti-HBs-Titer < 100 IE/l oder Abstand zur letzten erfolgreichen Impfung > 5 Jahre) wird lediglich eine aktive Hepatitis-B-Auffrischimpfung empfohlen. Postexpositionsprophylaxe gegen HCV? Für HCV existiert gegenwärtig keine etablierte PEP. Neuere Studienergebnisse belegen einen Erfolg von Interferon-Alpha bei der Behandlung der chronischen Hepatitis C. Daten einer Studie aus dem letzten Jahr (15) zeigen, dass Interferon-Alpha sehr wahrscheinlich auch die Chronifizierung einer akuten Hepatitis-C-Infektion effektiv verhindern kann. Studien zur Frage, ob Interferon-Alpha auch zur PEP nach einer Stichverletzung mit HCV-Exposition wirksam ist, liegen zur Zeit nicht vor. Aus den derzeitigen medizinischen Erkenntnissen folgt, dass nach Stichverletzungen mit HCV-Exposition engmaschige serologische Kontrollen durchzuführen sind, um nach einer möglichen Serokonversion mit einer frühzeitigen 6 Interferon-Alpha-Therapie eine Chronifizierung der HCV-Infektion zu verhindern. Zusammenfassung Die Prävention von Stichverletzungen ist der sicherste Schutz vor der Übertragung von Infektionskrankheiten bei der zahnärztlichen Behandlung. Eine gute Aufklärung über den sicheren Umgang mit scharfen oder spitzen Instrumenten sowie die Verwendung von "sicheren Instrumenten und Injektionssystemen" können dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Allen Personen, die bei der zahnärztlichen Behandlung in Kontakt mit Blut kommen können, ist dringend eine Hepatitis-B-Impfung zu empfehlen. Nach jeder Stichverletzung mit einem blutkontaminierten Instrument ist nach der Durchführung von Sofortmaßnahmen eine Vorstellung beim D-Arzt erforderlich. Hier kann fachkundig über weitere eventuell zu treffende Maßnahmen entschieden werden und es erfolgt eine Dokumentation des Arbeitsunfalls, die später von versicherungsrechtlicher Bedeutung sein kann. Korrespondenzadresse: Dr. med. Markus Sander Institut für Arbeitsmedizin Freie Universität Berlin & Humboldt Universität zu Berlin Ostpreußendamm 111 12207 Berlin E-Mail: [email protected] 7