Zentrum Ökumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau Kostenlose Koranverteilung der Salafisten in den Fußgängerzonen – eine Orientierungshilfe In den letzten Wochen haben Salafisten in den Fußgängerzonen deutscher Städte kostenlos Korane verteilt, um so offensiv für den Islam zu werben. Diese Aktion erhielt eine hohe mediale Aufmerksamkeit und wurde sowohl von Islamgegnern als auch Islamisten instrumentalisiert. Dies hat viele Menschen christlichen und muslimischen Glaubens verunsichert und verärgert. Im Folgenden sollen nun wesentliche Fragen, die im Zusammenhang mit der Koranverteilung der Salafisten aufgetaucht sind, beantwortet werden. 1. Wer sind die Salafisten? Salafisten sind eine islamistische Sondergruppe. Ihr Ziel ist es zu den Anfängen des Islams, dem „goldenen Zeitalter“ der islamischen Urgemeinde, zurückzukehren. Ihr rückwärtsgewandtes Lebensideal und Wertesystem, das sich am Koran und der Sunna (Geschichten und Aussprüche des Propheten und Aussagen der Gelehrten der ersten drei Generationen), den traditionellen Quellen der Scharia, orientiert, entspricht nicht den Gesetzen eines säkularen demokratischen Rechtsstaates. Theologisch stehen sie dem ultrakonservativen, fundamentalistischen Wahabismus Saudi-Arabiens nahe. Hier gibt es sowohl persönliche als auch finanzielle Beziehungen. Sie haben ein stark polarisierendes Weltbild und verstehen sich selbst als eine elitäre Gemeinschaft, die die einzig wahre Religion vertritt. Folgen ihrer Ideologie sind die Abgrenzung von Andersgläubigen, ein missionarisches Sendungsbewusstsein und ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gruppe, das sich u.a. durch das Tragen eines Bartes und traditioneller islamischer Kleidung (Kopfbedeckung und Gelabiya) ausdrückt. In den letzten Jahren hat die Zahl der Salafisten zugenommen. Dabei sind es vor allem junge Männer, die zum Salafismus konvertieren. Der Bundesverfassungsschutz spricht von etwa 4000 Salafisten in Deutschland. Charismatische Prediger wie Abu Hamza, der ehemalige Kölner Boxer Pierre Vogel, oder der aus Palästina stammende Ibrahim Abou Nagie werben in Missionsveranstaltungen und auf professionell gestalteten Websites (z.B. www.dawaffm.de oder www.diewahreReligion.de) für die salafistische Form des islamischen Glaubens. Die salafistischen Missionsbemühungen haben vor allem bei jungen Menschen aus sozial schwierigen Verhältnissen Erfolg. Ausgrenzungserfahrungen und religiöse Orientierungslosigkeit spielen eine wichtige Rolle. Ein Ausstieg aus der Gruppe ist schwierig. Die Konversion zum Salafismus muss nicht zwangsläufig zu einer Radikalisierung führen, aber islamistische Terroristen bedienen sich bei der Legitimierung ihrer Terroraktionen oft der salafistischen Ideologie. Der Salafismus ist eine globale Bewegung. Viele Salafisten verbringen einige Zeit in SaudiArabien, um dort den wahabistischen Islam zu studieren. 2. Warum kann eine Koranverteilung nicht verboten werden? Der Koran ist die heilige Schrift des Islams. Jede Religion hat in Deutschland das Recht, ihre heilige Schrift zu verteilen und für ihre eigene Religion zu werben. Die Freiheit der aktiven und passiven Religionsausübung ist wesentlicher Bestandteil des deutschen Grundgesetzes und wird auch von Christen in Anspruch genommen. In einem Kommuniqué, das die EKHN zusammen mit der EKKW und einigen islamischen Verbänden in Hessen 2008 verfasst hat, gestehen sich die Unterzeichner gegenseitig Religions- und Missionsfreiheit zu. 2 Der Koran an sich ist genauso wenig oder viel eine Hetzschrift wie die Bibel und die Verteilung eines Korans mit konservativer Übersetzung ist nicht gleichbedeutend mit einem Aufruf zu einer verfassungsfeindlichen Handlung. Erst wenn man den Koran politisch instrumentalisiert, indem man ihn mit mündlichen oder schriftlichen Aufrufen zu verfassungsfeindlichem Verhalten verknüpft, wird die Verteilung des Korans zur strafbaren Handlung. In einem solchen Fall ist der Verfassungsschutz gefragt, der die salafistischen Gruppierungen in Deutschland schon seit längerem beobachtet. 3. Wie verstehen Muslime den Koran? Muslime begegnen dem Koran anders als Christen der Bibel. Für sie ist der Koran das Wort Gottes, das dieser Mohammed durch den Engel Gabriel mitgeteilt hat und das in einer langen Überlieferungsgeschichte buchstäblich bewahrt wurde. Dieses besondere Verständnis hat Konsequenzen für die Interpretation und den täglichen Umgang mit dem Koran. Die traditionelle Koranauslegung ist nicht fundamentalistisch. Schon in den ersten Jahrhunderten nach der Entstehung des Korans wurden Interpretationen notwendig, da der Koran nur wenige klare Handlungsanweisungen enthielt und viele Fragen offen ließ. Um die Aussagen des Korans in die Lebenswirklichkeit des Einzelnen übersetzen zu können, wurden Geschichten und Aussprüche des Propheten und Kommentare und Interpretationen der ersten Generationen (Sunna) gesammelt. Es entwickelten sich Rechtsschulen, die den Koran in Beziehung zur Sunna und der aktuellen Lebenssituation setzten. In den letzten Jahrzehnten sind neben dieser traditionellen Auslegungsweise viele neue Formen der Koranexegese entstanden. Die Bandbreite reicht von historisch-kontextuellen und historisch-kritischen über feministische bis hin zu befreiungstheologischen Ansätzen. Noch heute wenden sich viele Muslime an islamische Geistliche, wenn sie den Koran verstehen wollen. Die fundamentalistische Interpretation des Korans, so wie sie von den Salafisten vertreten wird, entstand erst am Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Glaube an den Koran als buchstäbliches Wort Gottes hat zu einem besonderen Umgang mit dem zum Buch gewordenen Wort geführt. Hierzu gehört die besondere Wertschätzung, Achtung und Sorgfalt, die man dem Koran in seiner Originalsprache entgegenbringt. Man legt ihn nicht einfach auf den Boden oder wirft ihn in den Papierkorb. Konservative Muslime wehren sich sogar dagegen, dass Andersgläubige den arabischen Koran anfassen, und reinigen sich vor jeder Berührung mit ihm. Die Misshandlung eines in arabischer Sprache geschriebenen Korans kommt einer Gotteslästerung gleich. Auch wenn Koranübersetzungen nicht die gleiche Bedeutung wie das arabische Original haben, so ist doch nur schwer verständlich, wie eine Gruppierung mit fundamentalistischem Schriftverständnis, wie die Salafisten, durch die willkürliche Verteilung von Koranen riskieren kann, dass diese im Altpapier landen. 4. Wie sehen die Vertreter islamischer Verbände in Deutschland diese Aktion? Die Koranverteilungsaktion der Salafisten trifft bei den meisten Muslimen auf wenig Zustimmung. Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime Aiman Mazyek sagte in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur KNA: „Der Koran wird durch das gute Beispiel gelernt, gelehrt und geehrt. Ihn ohne Vorbild und Erläuterungen auf der Straße zu verteilen, konterkariert diesen Gedanken.“ In einer Presseerklärung des Koordinierungsrates der Muslime in Deutschland (KRM) wird auf die besondere Bedeutung des Korans für Muslime hingewiesen. Auch eine Weitergabe des Korans an Menschen anderen Glaubens könne sinnvoll sein, um so das Verständnis für Muslime und den Islam zu fördern. In der Aktion der Salafisten sieht der KRM jedoch eine Instrumentalisierung des Korans, die islamischem Glaubens- und Koranverständnis widerspricht. 3 5. Wie sollte man sich verhalten? Das Lesen eines Korans ist für Christen nicht verboten. Wer mehr über das wissen will, was Muslime glauben und sich deshalb einen Koran schenken lässt, sollte nicht außer Acht lassen, wer ihm dieses Buch geschenkt hat. Der Koran, den die Salafisten zurzeit verteilen, ist eine konservative deutsche Übersetzung, die die salafistische Ideologie begründen soll. Wer sich näher mit dem Koran beschäftigen möchte, so wie ihn die Mehrheit der Muslime in Deutschland versteht, der sollte andere Übersetzungen (z.B. Friedrich Rückert) wählen und möglichst einführende Literatur über den Koran lesen oder sich den Koran von einem Muslim erklären lassen. Da der Koran muslimischen Menschen viel bedeutet, sollten Christen aus Respekt gegenüber dem Glauben des anderen, den Koran sorgfältig behandeln und ihn nicht einfach nach dem Lesen in den nächsten Papierkorb werfen. Gespräche mit überzeugten Salafisten sind selten fruchtbar. Die salafistische Ideologie lässt keinen Platz für einen echten Dialog. Es fehlt die dafür notwendige Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion. Anders ist das beim Dialog mit muslimischen Nachbarn. Dieser ist für ein friedliches Zusammenleben unverzichtbar und kann mit dazu beitragen, den Einfluss extremistischer Gruppen wie der Salafisten zu schwächen. Dort wo kein Austausch stattfindet und man von dem anderen nichts oder nur wenig weiß, haben radikale Ideologien sowohl islamischer als auch christlicher Prägung einen guten Nährboden. Eine Fokussierung auf das Extreme versperrt den Blick für das Normale. Dialog ermöglicht dagegen Informationen über den anderen aus erster Hand. Dies ist vor allem für viele Jugendliche wichtig, deren Bild vom Islam durch ansprechende Internetseiten entweder islamistischen oder islamophobischen Inhalts geprägt ist. Für weitere Fragen steht das Zentrum Ökumene gerne zur Verfügung. Kontakt: Pfrin. Susanna Faust Kallenberg Beauftragte für Interreligiöse Fragen Zentrum Ökumene der EKHN Praunheimer Landstraße 206 60488 Frankfurt am Main Te. 069-976518-22 [email protected] www.zentrum-oekumene-ekhn.de