vernetzte neuronen und neue ideen

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GERHARD ROTH
INSTITUT FÜR HIRNFORSCHUNG
VERNETZTE NEURONEN UND NEUE IDEEN
GEHIRN, INTELLIGENZ UND KREATIVITÄT
© G. Roth, 2009
WERKZEUGHERSTELLUNG BEI DER
NEUKALEDONISCHEN KRÄHE
weirmovie.mov
DEFINITIONEN VON INTELLIGENZ
Wechsler (1964): „Intelligenz ist die zusammengesetzte oder
globale Fähigkeit des Individuums, zweckvoll zu handeln,
vernünftig zu denken und sich mit seiner Umgebung wirkungsvoll
auseinander-zusetzen“.
Stern und Neubauer (2007): „Intelligenz ist die Fähigkeit, sich in
neuen Situationen aufgrund von Einsicht zurechtzufinden,
Aufgaben mithilfe des Denkens zu lösen, wobei nicht auf eine
bereits vorliegende Lösungen zugrückgegriffen werden kann,
sondern diese erst aus der Erfassung von Beziehungen abgeleitet
werden muss“.
Oder einfach ausgedrückt: Intelligenz ist kreatives Problemlösen
unter Zeitdruck.
MERKMALE VON KREATIVITÄT NACH J. ASENDORPF
(1) schnelles Erkennen des Problems;
(2) rasches Hervorbringen unterschiedlicher Ideen, Symbole
und Bilder;
(3) Flexibilität des Denkens, Wechsel der Bezugssysteme
und Finden von Alternativen;
(4) Um- und Neuinterpretation gewohnter Dinge und Wege;
(5) schnelles Erfassen der Realisierbarkeit allgemeiner
Pläne;
(6) seltene und unkonventionelle Gedankenführungen und
Denkresultate.
WIE WIRD INTELLIGENZ GEMESSEN?
Intelligenztests messen die individuellen kognitiven Leistungsfähigkeit in verschiedenen Bereichen (verbal – nichtverbal) im
Vergleich zu einer nach Alter eingeteilten Normstichprobe.
Die Verteilung der so gemessenen Intelligenz ist normalverteilt
(Gauss‘sche Glockenkurve). Eine durchschnittliche Intelligenz ist als
ein Intelligenzquotient von 100 definiert. Innerhalb des Bereichs plusminus einer Standardabweichung liegen rund 68% aller Werte. Dies
entspricht einem IQ-Bereich zwischen 85 und 115 und bedeutet, dass
die Intelligenz der meisten Menschen eng beieinander liegt.
Menschen mit einem IQ von 115 und mehr gelten als hochbegabt,
solche mit einem IQ von 135 als höchstbegabt. Sie machen rund 1%
der Bevölkerung aus.
VERTEILUNG DER INTELLIGENZLEISTUNG (IQ)
Normal intelligent: IQ 85-115 (68%)
Hochbegabt: IQ > 115 (14%)
„Höchstbegabt“: IQ > 135 (1%)
INTELLIGENZ, GENE UND UMWELT
Eineiige Zwillinge weisen einen Korrelationskoeffizienten
von 0,67 – 0,78 auf (Amelang und Bartussek, 1998;
Asendorpf, 2004). Dabei gehen allerdings gemeinsame
vorgeburtliche, geburtliche und früh-nachgeburtliche
Prägungsprozesse mit ein.
Zwischen dem IQ von früh adoptierten Kindern und dem
ihre Adoptiveltern besteht eine Korrelation von 0,09 und
0,15, während zwischen dem IQ dieser Kinder und dem
ihrer biologischen Eltern, die sie nie gesehen haben, eine
Korrelation von 0,4 besteht.
Nach heutigen Erkenntnissen, vor allem der Zwillingsforschung, ist Intelligenz im hochgradig angeboren.
Die Entwicklung der Intelligenz stabilisiert sich schnell und ist
mit ca. 15 Jahren abgeschlossen. Die Intelligenz einer Person
mit sechs und mit vierzig Jahren korreliert mit einem Korrelationskoeffizienten von 0,6.
Die Intelligenz eineiiger, kurz nach der Geburt getrennter
Zwillinge korreliert mit einem Korrelationskoeffizienten
zwischen 0,67 – 0,78.
Andere Persönlichkeitsmerkmale und Begabungen sind
weniger deutlich genetisch bedingt (Korr.-Koeff. von 0.4-0.7).
Man nimmt an, dass Umwelteinflüsse eine Auswirkung im
Bereich von 20 IQ-Punkten haben.
KREATIVITÄT UND INTELLIGENZ
Kreativität und Intelligenz sind nicht identisch, hängen aber eng
miteinander zusammen (Korr.-Koeff. 0,4-0,5).
Höher als 0,5 ist der Zusammenhang zwischen der Leistung im
Verbalteil eines IQ-Tests und Kreativität (gemessen mit
Kreativitäts-Skalen)
Hohe Intelligenz ist zwar nicht gleichbedeutend mit hoher
Kreativität ist, aber hohe Kreativität eine überdurchschnittliche,
insbesondere sprachliche Intelligenz voraussetzt.
Intelligenz hat offenbar eher etwas mit basalen Eigenschaften
kognitiver Prozesse, Kreativität dagegen mehr mit komplexeren
Eigenschaften dieser Prozesse zu tun.
NEUROBIOLOGISCHE GRUNDLAGEN DER
VON INTELLIGENZ UND KREATIVITÄT
Seitenansicht des menschlichen Gehirns
(nach Nieuwenhuys et al. 1991)
Bewusstsein und
Intelligenz sind
beim Menschen
unabtrennbar an
Aktivitäten der
Großhirnrinde
(Cortex cerebri)
gebunden.
Der Cortex enthält
ca. 15 Milliarden
Neurone und 500
Billionen Synapsen.
Funktionale Gliederung der Großhirnrinde
BEWEGUNGSVORSTELLUNGEN
MOTORIK
SOMATOSENSORIK
KÖRPER
RAUM
SYMBOLE
DENKEN
PLANUNG
ENTSCHEIDUNG
ARBEITSGEDÄCHTNIS
SEHEN
SPRACHE
BEWERTUNG
SOZIALE
REGELN
AUTOBIOGRAPHIE
OBJEKTE
GESICHTER
SZENEN
HÖREN/SPRACHE
PET-Untersuchungen zum Nachweis einer „generellen
Intelligenz“ (Duncan et al., Science 289 (2000))
Allgemeine Intelligenz korreliert am besten mit der Effektivität des Arbeitsgedächtnisses.
Das Arbeitsgedächtnis besteht aus einem verbal-auditorischen und einem visuellen Teil. Es ist in seinen Ressourcen und seiner Geschwindigkeit hochgradig beschränkt und
stellt beim Problemlösen den kognitiven „Flaschenhals“ dar.
Untersuchungen zeigen, dass intelligente Menschen ein
effektiver arbeitendes Arbeitsgedächtnis haben als weniger
intelligente.
Arbeitsgedächtnis als Integrationszentrum
Expertenwissen
Arbeitsgedächtnis
Zellulärer Aufbau der
Großhirnrinde
(Cortex)
Beim Menschen ca.
15 Milliarden
Nervenzellen
Zeichnung von
S. Ramón y Cajal
CORTICALE SYNAPTISCHE KONTAKTE
(beim Menschen ca. 400 Billionen)
PRÄSYNAPSE
ERREGUNGSÜBERTRAGUNG
AN EINER
CHEMISCHEN
SYNAPSE
POSTSYNAPSE
MÖGLICHE NEUROBIOLOGISCHE KORRELATE
HÖHERER INTELLIGENZ
(„Neural Efficiency-Hypothese)
• Schnellere Verarbeitungskapazität und damit
„Kostenersparnis“
• Effizientere neuronale Verschaltung („Pruning“)
• Stärkere Myelinisierung
• Höhere Automatisierung des Wissens
Zu erwarten ist deshalb: Das Gehirn, insbesondere das
Stirnhirn, intelligenterer Menschen treibt weniger Aufwand
und arbeitet effizienter. Der Aufwand wird in „Routinen“
verlagert, die im parietalen Cortex gespeichert sind.
Roland Grabner, Universität Graz, Aljoscha Neubauer,
Universität Graz, Elsbeth Stern, MPI Berlin/ETH Zürich
Vergleich der kortikalen Aktivierung von überdurchschnittlich und unterdurchschnittlich intelligenten
Taxifahrern bei der Bearbeitung von Aufgaben zum
Taxifahren und beim Lösen von Intelligenztestaufgaben
Grabner, R., Stern, E., & Neubauer, A. (2003). When intelligence
loses its impact: Neural efficiency during reasoning in a highly familiar
area. International Journal of Psychophysiology, 49, 89–98
IQ niedrig
IQ hoch
Taxifahrer-Aufgabe
(Berufsroutine)
Intelligenz-Aufgabe
Die Leitungsgeschwindigkeit der Axone wird durch
die Dicke der Markscheiden (das Myelin) bestimmt.
Gliazellen (blaue Punkte
= Zellkerne) bilden die
Markscheiden der
Nervenzellaxone.
Weiße Substanz in
mikroskopischer Ansicht
Elektronenmikroskopisches Bild
Querschnitte durch myelinisierte
Axone, die von
Oligodendrozyten
myelinisiert werden.
Je dicker die Myelinschicht, desto
schneller die Leitungsgeschwindigkeit
Eine Dendrogliazelle
umhüllt mehrere
Axone auf eine Länge
von 1-2 mm.
Durchmesser (µm)
1- 3
2- 5
10 - 20
Leitungsgeschwindigkeit
nicht myelinisiert myelinisiert
5 - 20
10 - 30
60 -120
Mesolimbisches
System:
Nucleus
accumbens
Nucleus accumbens
(projiziert stark zum
Stirnhirn!)
Ventrales Tegmentales
Areal
Antrieb/Motivation:
Dopaminerges System
Belohnung und
Wohlbefinden:Hirneigene Opiate und
andere „hedonische“
Stoffe.
Ventrales
Tegmentales
Areal
MÖGLICHE GESCHLECHTSSPEZIFISCHE
HIRNUNTERSCHIEDE
HIRNVOLUMEN UND INTELLIGENZ
Gehirnvolumen (GV) bei Männern um ca. 10% größer als bei Frauen
(1350 vs. 1220 Gramm). Differenz verschwindet bei Berücksichtigung
des geringeren durchschnittlichen Körpervolumens und der dickeren
subkutanen Fettschicht der Frauen (!!!).
Die Korrelation zwischen GV und IQ variiert in unterschiedlichen
Studien zwischen 0 und 0.6 und liegt im Mittel zwischen 0.3 und 0.4.
Die beste Korrelation findet man in Hinblick auf frontale, temporale und
parietale Cortexareale, Hippocampus und Cerebellum (Luders et al., im
Druck).
Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Korrelation zwischen
Gehirnvolumen und IQ wurden nicht gefunden.
Gehirne von Frauen zeigen relativ zum Gesamtvolumen mehr graue
Substanz, Gehirne von Männern mehr weiße Substanz (Luders et al.,
2005). Die Bedeutung ist unklar.
Der vielzitierte Befund eines größeren Balken (Corpus callosum)
bei Frauen (Driesen und Raz, 1995) konnte nicht bestätigt
werden.
Einige Autoren finden keine geschlechtsspezifischen Unterschiede (Jäncke et al. 1997), andere sogar gegenteilige Befunde
(Sullivan et al., 2001).
Neueste Befunde (Luders et al., 2007) zeigen zwar eine
signifikante Korrelation zwischen der Dicke des posterioren CC
und dem IQ, aber keine geschlechtsspezifischen Unterschiede.
Wernicke-Areal: Einfaches Wortverständnis, Lexikon
Broca-Areal: Syntax, Grammatik, komplexes Wort- und
Satzverständnis
Es finden sich bei Frauen ein erhöhtes relatives Volumen und mehr
graue Substanz im Broca- und Wernicke-Sprachareal und eine
erhöhte Neuronenzahl im Wernicke-Sprachareal (Harasty et al., 1997;
Witelson et al. 1995; Luders et al., 2005).
Stärkere bilaterale Aktivierung bei sprachlichen Aufgaben bei Frauen,
mehr unilaterale (linke) Aktivierung bei Männern (Shaywitz et al.,
1995).
Im Allgemeinen wird eine stärkere Lateralisierung von Funktionen bei
Männern gefunden – es gibt aber auch Gegenbefunde.
Bei räumlicher Navigation ergeben sich deutliche Aktivitätsunterschiede
zwischen Mann und Frau:
Frauen zeigen mehr Aktivierungen im rechten Frontal- und Scheitellappen, Männer im linken Hippocampus.
Frauen orientieren sich eher an Wegmarken, Männer nehmen eher
abstrakte Koordinaten (Himmelsrichtungen, Entfernungen). Bei
gleichguten Leistungen in mentaler Rotation werden bei Männern und
Frauen Unterschiede in parietalen Regionen gefunden.
Starke Hormonabhängigkeit kognitiver Aufgaben: Auf dem
Höhepunkt des Östrogenspiegels verstärkt sich der Unterschied sprachlich vs. visuell-räumlich (z.B. mentale Rotation)
zwischen Frauen und Männern.
Dieser Unterschied gleicht sich bei niedrigem Östrogenspiegel
mehr aus.
Ein erhöhter Testosteron-Spiegel steigert bei Frauen die
Fähigkeit zur mentalen Rotation, während ein (weiter)
erhöhter Testosteronspiegel bei Männern deren Fähigkeit zur
mentalen Rotation verschlechtert (umgekehrte U-Kurve).
WAS IST MIT DEM GEHIRN DER
INTELLIGENTEN RABENVÖGEL LOS?
EVOLUTION
DER
GROSSHIRN-RINDE
SALAMANDER
SCHILDKRÖTE
EIDECHSE
OPOSSUM
Seitenansicht des menschlichen Gehirns
(nach Nieuwenhuys et al. 1991)
SECHSSCHICHTIGER
AUFBAU DER
GROSSHIRNRINDE
DER SÄUGETIERE
Schnitt durch das Endhirn (Taube)
Übersichtsfärbung Klüver Barrera
Hyperpallium
Isocortex?
Hippocampus
Allocortex
Mesopallium
Nidopallium
Septum
Mediales
Striatum
Globus
pallidus
Subcorticales Endhirn
Laterales
Striatum
olfaktorischer
Cortex
Wahrscheinlich gibt es ganz allgemeine neurobiologische
Grundlagen für Intelligenz. Diese sind:
(1) Starker uni- und multimodaler sensorischer Input
(2) Ein großer assoziativer Gedächtnisspeicher mit vielen
erregenden Projektionsneuronen und wenigen hemmenden
Interneuronen.
(3) Eine typische Verknüpfungsarchitektur mit dichter lokaler
und spärtlicher globaler Verknüpfung.
(4) Eine hohe und schnelle Plastizität synaptischer Kontakte.
(5) Ein Arbeitsgedächtnis, in dem selektierte Inhalte vorübergehend neu zusammengeschaltet werden.
Zumindest im Prinzip könne man das nachbauen!
WIE WERDE ICH INTELLIGENT
UND KREATIV?
(1) (Allgemeine) Intelligenz und Kreativität sind relativ stark
genetisch bedingt.
(2) Beide sind zudem deutlich abhängig von einer Förderung in
Kindheit und Jugend. Dies macht rund 20 IQ-Punkte aus.
(3) Kreativ-kognitive Leistung hängt ab von allgemeiner Intelligenz, Wissen, Motivation und Fleiß. Diese vier Faktoren
können sich zumindest teilweise ersetzen.
(4) Intelligentes und kreatives Problemlösen ist sehr stressanfällig. Man sollte in Fällen, in denen solches Problemlösen
gefordert wird, Stress in jedem Fall vermeiden und sich,
wenn man keine Lösung findet, eine „Auszeit“ nehmen.
(5) Bei komplexen Problemsituationen sollte man vom rationalen
auf intuitives Problemlösen umschalten.
INTUITIVES PROBLEMLÖSEN
UND ENTSCHEIDEN
Unsere Intuitionen werden geleitet vom Erfahrungsgedächtnis. Es
arbeitet vorbewusst und ist in der Großhirnrinde angesiedelt.
Es stellt mit rund 15 Milliarden Nervenzellen und 400 Billionen
Synapsen ein gigantisches assoziatives Netzwerk dar.
Es arbeitet analog, nicht digital wie das Arbeitsgedächtnis, und hat
deshalb eine viel höhere Verarbeitungskapazität.
Es braucht jedoch Zeit (eine Stunde oder „die Nacht darüber
schlafen“), und seine Lösung ist sprachlich nicht im Detail wiedergebbar – ist eben „intuitiv“.
ZUSAMMENFASSUNG
Intelligenz und Kreativität sind anders als andere Persönlichkeitsmerkmale stark genetisch bedingt, aber doch in Grenzen
(um rund 20 IQ-Punkte) durch Umwelt und Training veränderbar. Wissen, Motivation und Fleiß stärken die Intelligenz,
können sie aber auch zumindest teilweise ersetzen.
Intelligenz und Kreativität korrelieren stark mit den Eigenschaften von Netzwerken im präfrontalen Cortex („Arbeitsgedächtnis“). Dabei gilt, dass intelligente und kreative Menschen das
AG effektiver nutzen, d.h. diesen Flaschenhals schneller
durchlaufen und überdies intuitiv „Abkürzungen“ vornehmen.
Hochintelligente und hochkreative Leistungen entstehen mehr
durch intuitive als durch logisch-rationale Prozesse im so
genannten „Vorbewussten“, das identisch ist mit dem Wissensgedächtnis der Großhirnrinde.
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